Programmheft (Auszug) DAS IMPERIUM DES SCHÖNEN

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Nis-Momme Stockmann


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Uraufführung

DAS IMPERIUM DES SCHÖNEN Nis-Momme Stockmann


DAS IMPERIUM DES SCHÖNEN Nis-Momme Stockmann

Adriana Falk Maja Matze Ignaz Ismael

Inszenierung Kostüme Licht Dramaturgie

Katharina Hauter Marco Massafra Nina Siewert Martin Bruchmann Daniel Fleischmann Marielle Layher Tina Lanik Natalie Soroko Stefan Schmidt Carolin Losch

Regieassistenz Anja Schoenwald Bühnenbildassistenz Saskia Bellmann Dramaturgieassistenz Christina Schlögl

Soufflage Inspizienz Regiehospitanz Dramaturgiehospitanz

Ulf Wolter Hans Beck Annabel Mack Jan Pfannenstiel

Kammertheater

Aufführungsrechte Aufführungsdauer Uraufführung

schæfersphilippen ™ Theater und Medien GbR, Köln 2:10 Stunden, keine Pause 31. Januar 2019

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Technische Direktion Schauspiel Guido Schneitz | Technische Leitung Kammertheater

Stephan Abeck | Technische Einrichtung Nils Marstaller | Beleuchtung Stefan Schmidt | Ton Maik Waschfeld | Video Jochen Gehrung | Requisite Uwe Puschmann | Direktion Dekorationswerkstätten Bernhard Leykauf | Konstruktion Andreas Guhl | Technische Produktions­planung Monika Höger | Leitung Malsaal Lisa Fuß | Leitung Bildhauerei Maik Glemser | Leitung Deko­rationsabteilung Dirk Herle | Leitung Nähsaal Heidi Lange | Leitung Schreinerei Oliver Bundschuh | Leitung Schlosserei Patrick Knopke | Masken­direktion Jörg Müller | Leitung Maske Nena Frei | Maske Bettina Löffler | Kostümdirektion Elke Wolter | Produktions­leitung Kostüme Petra Bongard | GewandmeisterInnen Mareile Eder, Vivien Schlickel (Damen), Anna Volk, Aaron Schilling (Herren) | Leitung Färberei Martina Lutz, Milenko Mociljanin | Leitung Modisterei Eike Schnatmann | Leitung Rüst­meisterei Achim Bitzer | Leitung Schuhmacherei Verena Bähr, Alfred Budenz | Kunstgewerbe Nicola Baumann, Daniel Strobel Die Maskenabteilung der Staatstheater Stuttgart wird unterstützt durch MAC Cosmetics

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AN DER OBERFLÄCHE Der Autor Nis-Momme Stockmann im Gespräch mit Dramaturgin Carolin Losch

Eine gemeinsame Reise hat schon manchen Familienverband an den Rand des Abgrunds geführt. Wie bist du auf die Idee gekommen, deine Protagonist*innen auf eine Fahrt nach Japan zu schicken? Nis-Momme Stockmann: Ich bin beruflich viel mit Japan in Berührung gekommen und fand es immer spannend, welche Bilder wir Europäer von der Kultur haben. Typisch ist es für den Westen, die starken Gruppierungstendenzen der Japaner geringschätzig zu betrachten. Wir laufen mit so einer Haltung rum: Gesellschaft, das ist der Kampf des Individuums gegen die Auslöschungs- und Gleichschaltungsversuche der Obrigkeit. Und diesem Kampf führen die Japaner nicht, sondern haben sich mit ihrer Rolle einverstanden erklärt. Also so ein Hauch von: „Naja – die sind Schafe“. Viele Vorstellungen, die wir mit Japan assoziieren, haben eher mit der Trivial- als mit der Hochkultur zu tun. NMS: In Japan funktioniert das Spiel der Kräfte, die Betrachtungsweisen zu „Oberfläche und Tiefe“ und auch zu gesellschaftlicher Partizipation etwas anders. Das speist sich vor allen Dingen aus dem Shintoismus, dem Zen-Buddhismus und dem Konfuzianismus. Da sind wir bei den ästhetischen Konzepten Japans, mit denen du dich im Stück beschäftigst. Kannst du ein bisschen was dazu sagen? NMS: In der christlich-metaphysisch geprägten Art, die Dinge zu betrachten, streben wir danach, die wahre Natur eines Phänomens ergründen zu wollen, die sich nie an der Oberfläche zeigt; das betrifft

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auch oder hat wahrscheinlich seinen Ursprung im christlichen Menschenbild. Die Seele ist das „eigentliche“, und damit wird das „dahinter“ aufgewertet, die Oberfläche entwertet (was im Widerspruch zur japanischen Anschauung steht, in der die Oberfläche nicht bloß Tor zur Tiefe, sondern als der eigentliche Ort der Auseinandersetzung begriffen wird). Auch wenn man kein religiöses Weltbild hat, ist doch diese Art zu denken tief in unsere und die japanische Gesellschaft eingeschrieben. Selbst in der Wissenschaft und in der Politik sind diese Anschauungen spürbar. Persönlichkeit und Selbstbild werden bei uns ganz anders gefasst als in Südostasien, wo man das ist, was man macht – man ist, womit man „in Erscheinung tritt“ – und nicht in erster Linie seine Haltungen, seine Seele, seine Gefühle, die wir im Westen (auch oft strategisch) von unseren Handlungen abspalten. Aus westlicher Perspektive werten wir diese Denkstruktur schnell ab. Dabei wäre das durchaus etwas, was uns als Kulturtechnik helfen könnte. Statt uns in Globalisierungszusammenhängen und den eher ab­strakten gesellschaftlichen Fragen durch Haltung und Meinung politisch zu fühlen (was ja oft kaum mehr als Selbstbeschwichtigung und eine Verdrehung dessen ist, was eigentlich „politisch“ ist), begreifen sich die Japaner als konkrete Entität, die in einem konkreten Verhältnis zu den Problemen steht und tätig werden kann. Als wir uns im Westen zum Beispiel darüber aufgeregt haben, dass die Japaner nach dem Reaktorunfall in Fukushima nicht auf die Straße gegangen sind, um gegen die Notfallmaßnahmen und die Informationspolitik ihrer Regierung zu demonstrieren, haben das Zigtausende eher als Zeitverschwendung begriffen und sich stattdessen dazu entschlossen, in die betroffenen Regionen zu fahren und Soforthilfe zu leisten. Sie fühlten sich verantwortlich – auch weil sie es waren, die diese Regierung gewählt hatten. Mir geht es nicht darum, christliche Metaphysik gegen östliche Anschauungen in Stellung zu bringen, sondern darum, in der Lage zu sein, sich anderen Denkstrukturen gegenüber zu öffnen. Ich finde es wichtig, darauf hinzuweisen, dass es mehrere, radikal unterschiedliche Wege gibt, die Welt zu betrachten. Und dass man dabei nicht von „richtig“ oder „falsch“ sprechen kann, sondern eher von „praktikabel“. Während uns im Westen zum Beispiel oft einer reibungslosen Integra-

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tion im Rahmen einer Gruppe der Aufruf zur Individuation im Wege steht, steht den Japanern auf dem Weg zur Individuation der massive Aufruf zur Gruppierung im Weg. Es sind zwei Seiten einer Medaille, zwei soziale Strategien, die den selben Wunsch in sich tragen: Harmonie und Freiheit innerhalb der Gesellschaft. Auf meinen Reisen nach Japan habe ich vielleicht weniger die japanische Kultur verstanden, als gelernt, meine eigene zu perspektivieren. Dafür hockt man ja zuhause einfach zu sehr im eigenen Saft. Sprechakte stehen im Zentrum deines Stückes. Was hat dich dazu bewogen, ein Konversationsstück zu schreiben? NMS: Ich beschäftige mich sehr viel mit der Frage, welches Schreiben eigentlich zeitgemäß ist, und ich finde es vereinfachend, nur in den Kategorien von konventionellem und postdramatischem Schreiben zu denken – also Repräsentationstheater versus Aufbegehren durch Formen. Was ich mit diesem Stück vorhatte, ist eine sanfte Mischform, eher eine Hommage oder eine Auseinandersetzung mit einem Sprechtheaterstück, dem der Text formal sehr nahe kommt. Es bedient sich der Bögen eines klassisch gebauten Stückes, ohne den Anspruch zu hegen, repräsentativ zu sein. Es erzählt von unserer Welt, ohne Welt abbilden zu wollen und beschäftigt sich ernsthaft mit Dingen, ohne didaktisch oder welterklärerisch zu sein. Ich will nicht behaupten, dass die Zeit des Postdramas vorbei ist, aber ich glaube, dass uns Kunst nur helfen kann, wenn sie uns weder belehrt noch völlig verwirrt. Das kann passieren, wenn man vielleicht keine konsumerablen Antworten bekommt, sondern dazu angeregt wird, sich mit eröffneten Fragen zu beschäftigen. So funktionieren ja auch Träume. Man weiß, dass sie mit einem zu tun haben, man weiß, dass man niemals ihren Sinn entschlüsseln kann, und trotzdem beschäftigen sie einen, ohne dass man den Anspruch schlüssiger Interpretation oder Didaktik hätte. Es arbeitet in einem. Wenn das entstehen kann, ist das für mich immer das Schönste am Theater. Es kann uns zeigen, dass es nicht so einfach ist, wie wir denken, kann uns in die schönste Unordnung bringen. Dafür ist Kunst ja da. Jeder andere gesellschaftliche Vorgang hat dagegen einen ordnenden Anspruch.

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Ist in einer Gesellschaft, die in Partikularinteressen zerfällt, überhaupt noch eine Verständigung möglich? Oder bewegen wir uns alle nur noch in abgeschotteten Blasen, in anderen Lebenswelten, die keinerlei Berührungspunkte mehr haben? NMS: Ich glaube entgegen der populären Meinung nicht, dass das ein neuer Trend ist. Vielleicht begreifen wir ihn als solchen, weil die mediale Verbreitung anders funktioniert als vor 10–15 Jahren. Aber „alternative facts“ sind keine Erfindung der Trump-Administration oder der Demagogen des 21. Jahrhunderts. Wahrheit und Lüge war schon immer Gemeinschaftsleistung, nehmen wir die katholische Kirche, den Nationalsozialismus etc. Wie sich über Sprache Wirklichkeit konstituiert, diesen Vorgang finde ich sehr spannend. Das ist ja nicht nur zu verteufeln, das ist auch eine total radikale, kreative Kraft, mit der wir da als Menschen ausgestattet sind: Herr über unsere Wirklichkeit zu sein. Wie gelangen wir von dem einen zum anderen, und wie ist es möglich, seine Meinung zu ändern? Nur immer zu verdammen, wie mit der Wirklichkeit verfahren wird und auf sein sehr viel wirklicheres Wirklichkeitsbild zu verweisen, finde ich etwas einseitig. Wir müssen uns der Frage stellen, welches Weltbild, welche Vision wir den komplexen Anforderungen des 21. Jahrhunderts entgegenstellen wollen. Einer Gesellschaft, deren widersprüchliche Kräfte sich nicht auflösen, sondern, wenn es so weiterläuft, sich immer weiter verstärken werden. Der radikale Islam wird genauso wenig verschwinden wie die AfD. Oftmals ist es heute gar nicht mehr wichtig, zu einer Lösung zu kommen, die in der Wirklichkeit nachprüfbar wäre, es geht eher um die Popularität einer Idee. „Postfaktisch“ ist so ein schöner, wie treffender Begriff. Man kann darin immer das Schreckliche sehen, aber man kann sich auch berufen fühlen, an einer zukunftsfähigen Wirklichkeit zu stricken und sie den anderen entgegenzustellen. Das ist im Grunde das, wofür die Aufklärung und der Humanismus gekämpft haben – und womit wir jetzt aberwitzigerweise kämpfen: der Freiheit, sein Weltbild selbst zu bestimmen. Man kann Donald Trumps gesamten politischen Erfolg damit erklären, dass er es geschafft hat, das Bild der Wirklichkeit für Menschen in großem Stil zu verändern. Und da fragt man sich, ob nicht das wichtigste politische Parkett unserer Zeit das Innere des Menschen ist.

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Adriana und Falk könnte man als Prototypen der den Diskurs beherrschenden neuen Mittelschicht betrachten. Ein verfeinerter Lebensstil gilt in diesem Milieu als Distinktionsmerkmal. Der Vorwurf an diese vermeintliche „Elite“ lautet, dass sie den Sinn für die sozialen Realitäten verloren habe. NMS: Ich würde es nicht so politisch ausformulieren, dass hier konkret die neue Mittelschicht dargestellt wird. Im Stück geht es darum, dass man den Blick für den nächsten Menschen, sogar aus der eigenen Familie, verliert. Dass dieser sich innerhalb kürzester Zeit verändern kann und welche Prozesse dahinterstehen. Und da sind wir wieder bei dem großen Kontrastverhältnis zwischen japanischer und westlicher Kultur: Im Westen unterliegt es der Interpretation und auch der Gestaltung, mit welchem Selbstbild ich nach außen trete, wie ich in meiner Rolle funktioniere. Und ob die Leute mir das glauben. Ich muss diese Konstruktion verinnerlichen und anderen glaubhaft vermitteln, ich muss es mir zunächst mal selbst glaubhaft vermitteln können. Es ist wie eine Blase, die jederzeit platzen könnte – und ja auch ständig platzt. Ist das Schreiben an einem Roman anders als an einem Drama? NMS: Nein: das ist 100 Prozent gleich! (lacht) Nee, ist natürlich schon anders. Ein dramatischer Text geht durch sehr viele Filter: durch das Lektorat, durch die Dramaturgie und dann natürlich auch durch die Auseinandersetzung der Schauspieler*innen mit dem, was sie da sprechen sollen und ob sie das wollen. Der Text wird auf Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit hin untersucht. Ich glaube, dass mein Schreiben für das Theater mir geholfen hat, genau zu sein. Bei einem Roman ist das anders, da kannst, bzw. sollst du dich erzählerisch ausbreiten und sehr viel freier mit dem Entwurf operieren. Das Medium des Sprechtheaters ist ja entgegen der gängigen Vorstellung nicht „die Sprache“, sondern „das Sprechen“, als konkreter akustischer Vorgang. Ich liebe beides: die Genauigkeit, die einem das Theater dadurch aufnötigt, und die Möglichkeit, in epischeren Formaten in die Breite gehen zu können. Wobei (lacht) … wenn man so überlange Stücke schreibt, sollte man sich vielleicht nicht zu weit aus dem Fenster lehnen in Bezug auf „Genauigkeit“ …

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Das komplette Programmheft zu „Das ImpErium des Schönen“ können Sie beim Besucher­­service oder in unserem Theater­shop zum Preis von 2,50 € erwerben. 12


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