Programmheft (Auszug) "IMAGINARY EUROPE" (UA)

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Imaginary Europe Projekt 1 des Europa Ensembles


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IMAGINARY EUROPE P ro j e k t 1 de s E u ro pa E ns e m bl e s Eine Koproduktion mit dem Nowy Teatr, Warschau und dem Zagreb Youth Theatre (Zagrebačko kazalište mladih) Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes


IMAGINARY EUROPE P ro j e k t 1 de s E u ro pa E ns e m bl e s Mit Texten von Peter Weiss Die Ästhetik des Widerstands, J. B. Savigny und Alexandre Corréard Der Schiffbruch der Fregatte Medusa, Walter Benjamin Angelus Novus und Heiner Müller Der glücklose Engel mit

Tenzin Kolsch Claudia Korneev Tina Orlandini Adrian Pezdirc Jaśmina Polak Jan Sobolewski

Konzept, Inszenierung und Bühne Oliver Frljić Kostüme Sandra Dekanić Licht Jörg Schuchardt Dramaturgie Carolin Losch Übertitel Agnieszka Fietz Regieassistenz Bühnenbildassistentin Kostümbildassistenz Dramaturgieassistenz

Annalisa Engheben Hanna Bowe Maïté Forster Christina Schlögl

Inspizienz Roberto Rochow / Hans Beck Bühnenbildhospitanz Mina Raiser, Lea Stöcker Dramaturgiehospitanz Anka Božić

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Technische Direktion Schauspiel Guido Schneitz | Technische Leitung Kammer­ theater Stephan Abeck | Technische Einrichtung Nils Marstaller | Beleuchtung Walter Bühler | Ton Thomas Tinkl | Requisite Norbert Eitel, Uwe Puschmann | Direktor der Dekorationswerkstätten Bernhard Leykauf | Technische Produktions­ planung Tobias Laaber | Leitung Malsaal Lisa Fuß | Leitung Bildhauerei Maik Glemser | Leitung Dekorationsabteilung Dirk Herle | Leitung Schreinerei Alexander Kurtz | Leitung Schlosserei Patrick Knopke | Maskendirektion Jörg Müller | Leitung Maske Nena Frei | Maske Bettina Löffler | Kostümdirektion Elke Wolter | Produktionsleitung Kostüme Kerstin Hägele | Gewandmeister*Innen Mareile Eder, Vivien Schlickel (Damen), Anna Volk, Aaron Schilling (Herren) | Leitung Färberei Martina Lutz, Milenko Mociljanin | Leitung Modisterei Eike Schnatmann | Leitung Rüstmeisterei Achim Bitzer | Leitung Schuhmacherei Verena Bähr, Alfred Budenz | Leitung Kunstgewerbe Nicola Baumann, Daniel Strobel Die Maskenabteilung der Staatstheater Stuttgart wird unterstützt durch MAC Cosmetics

Kammertheater

Aufführungsdauer 2:00 Stunden, eine Pause Uraufführung 10. April 2019

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ANGELUS NOVUS von Walter Benjamin

Es gibt ein Bild von Paul Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.

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DER GLÜCKLOSE ENGEL von Heiner Müller

Hinter ihm schwemmt Vergangenheit an, schüttet Geröll auf Flügel und Schultern, mit Lärm wie von begrabnen Trommeln, während vor ihm sich die Zukunft staut, seine Augen eindrückt, die Augäpfel sprengt wie ein Stern, das Wort umdreht zum tönenden Knebel, ihn würgt mit seinem Atem. Eine Zeit lang sieht man noch sein Flügelschlagen, hört in das Rauschen die Steinschläge vor über hinter ihm niedergehn, lauter je heftiger die vergebliche Bewegung, vereinzelt, wenn sie langsamer wird. Dann schließt sich über ihm der Augenblick: auf dem schnell verschütteten Stehplatz kommt der glücklose Engel zur Ruhe, wartend auf der Geschichte in der Versteinerung von Flug Blick Atem. Bis das erneute Rauschen mächtiger Flügelschläge sich in Wellen durch den Stein fortpflanzt und seinen Flug anzeigt.

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Stehen wir in der zweiten Reihe? Regisseur Oliver Frljić im Gespräch mit D r a m at u rg i n C a ro l i n Lo sc h

Carolin Losch: Du hast dich für deine Inszenierung nicht von politischen Konzepten, sondern von drei Werken der Kunstgeschichte inspirieren lassen. Oliver Frljić: Der Boden, auf dem die Schauspieler*innen stehen, führt uns zu neuralgischen Punkten europäischer Geschichte. Wir beginnen unseren Abend mit dem Schwarzen Quadrat von Kasimir Malewitsch. Entstanden 1915, also noch vor der Novemberrevolution, repräsentiert es auf paradoxe Weise alle Möglichkeiten künstlerischer Darstellung und markiert zugleich das Ende von figurativer und mimetischer Malerei. Dann betreten wir Das Floß der Medusa von Théo­ dore Géricault, das Überlebende eines Schiffbruchs im Jahre 1816 zeigt. Peter Weiss lässt in seinem Roman Die Ästhetik des Widerstands eine seiner Hauptfiguren über die Bedeutung dieses Ereignisses sprechen. Wir sehen den Vorgang also in doppelter Interpretation: einmal in der Deutung eines Malers, die wiederum durch einen Schriftsteller interpretiert wird. Das Motiv des Floßes ist oft als Sinnbild für die Flüchlingskrise benutzt worden, ich wollte es aber eher als Metapher für unser heutiges Europa betrachten.

CL: Am Anfang der Probenarbeit hast du formuliert, das Floß der Medusa sei auch als eine Form von Utopie zu begreifen, da es dort keinerlei Form von Privatbesitz gäbe. OF: Als wir die Idee entwickelten, ein europäisches Ensemble zu gründen, haben wir sehr viel über das Konzept „Utopia“ gesprochen, und ich habe einige klassische Texte zu utopischem Denken wiedergelesen. Allen gemeinsam ist, dass als eine der zentralen Bedingungen für utopische Gesellschaftsmodelle die Abschaffung von Privateigentum formuliert wird. Auf dem Floß bildete sich ein Mikro­ kosmos, in dem die gesellschaftlichen Unterschiede zumindest zeitweise außer Kraft gesetzt waren. Optimistisch betrachtet zeigt uns das Ereignis dieses Schiffbruchs, dass unter bestimmten Rahmenbedingungen – die in diesem Fall von der Not geprägt sind – neue Formen sozialen Zusammenlebens entstehen können. CL: Ist es ein resignatives oder ein optimistisches Bild? Peter Weiss spricht einerseits von „Versprengten einer ausgelieferten Generation“, andererseits von der

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Das komplette Programmheft zu „IMaginary Europe“ können Sie beim Besucher­­service oder in unserem Theater­shop zum Preis von 2,50 € erwerben 12


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