Programmheft Auszug "100 SONGS"

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100 SONGS Roland Schimmelpfennig


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Deutschsprachige ErstauffĂźhrung

100 SONGS von Roland Schimmelpfennig


100 SONGS von Roland Schimmelpfennig

Mit

Katharina Hauter Sebastian Röhrle Anne-Marie Lux Robert Rožić Alexandra von Schwerin Reinhard Mahlberg

Inszenierung und Bühne Kostüme Mitarbeit Kostüme Komposition Licht Dramaturgie

Roland Schimmelpfennig Lane Schäfer Verena Salome Bisle Hannes Gwisdek Stefan Schmidt Gwendolyne Melchinger

Regieassistenz Frida Bräumer Bühnenbildassistenz Hanna Bowe Soufflage Ulf Wolter Inspizienz Roberto Rochow Regiehospitanz Sarah Rindone Hospitanz Musik Moritz Meier

kammertheater

Aufführungsrechte Aufführungsdauer Deutschsprachige Erstaufführung

S. Fischer Theater Medien, Frankfurt am Main 1:45 Stunden, keine Pause 21. Juni 2019

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Technische Direktion Schauspiel Guido Schneitz | Technische Leitung Kammertheater

Stephan Abeck | Technische Einrichtung Nils Marstaller | Beleuchtung Walter Bühler | Ton Mike Waschfeld | Requisite Norbert Eitel | Direktor der Dekorationswerkstätten Bernhard Leykauf | Konstruktion Andreas Guhl | Technische Produktionsplanung Claudia Cramer-Zimmermann | Leitung Malsaal Lisa Fuß | Leitung Bildhauerei Maik Glemser | Leitung Dekorationsabteilung Dirk Herle | Leitung Schreinerei Alexander Kurtz | Leitung Schlosserei Patrick Knopke | Maskendirektion Jörg Müller | Leitung Maske Nena Frei | Maske Bettina Löffler | Kostüm­direktion Elke Wolter | Produktionsleitung Kostüme Petra Bongard | Gewand­meister*innen Mareile Eder, Vivien Schlickel (Damen), Anna Volk, Aaron Schilling (Herren) | Leitung Färberei Martina Lutz, Milenko Mociljanin | Leitung Modisterei Eike Schnatmann | Leitung Rüstmeisterei Achim Bitzer | Leitung Schuhmacherei Verena Bähr, Alfred Budenz | Leitung Kunstgewerbe Nicola Baumann, Daniel Strobel Die Maskenabteilung der Staatstheater Stuttgart wird unterstützt durch MAC Cosmetics

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ZUM STÜCK An einem Spätsommertag um 8:51 auf einem Bahnsteig. Ein Zug fährt ein. Menschen drängen auf den Bahnsteig. Das Signal schrillt zur Abfahrt, im Bahnhofscafé gegenüber läuft im Radio Kim Carnes Bette Davis Eyes, das Lieblingslied der Kellnerin Sally. Der Zeiger springt auf 8:55. In diesem Moment fällt Sally die Tasse aus der Hand, während vor ihren Augen der Zug explodiert. 100 Songs erzählt von diesen vier Minuten, beschreibt die letzten Sekunden der Menschen vor der Explosion, ihre Lebenssituationen, Gedanken, Erinnerungen, ihre Sehnsüchte, Konflikte und, vor allen Dingen, welche Musik sie im Ohr hatten, was auf ihren Kopfhörern lief oder im Radio zu hören war. All die Pendler, Touristen, Familien, Studenten, Liebenden, die zufällig an diesem Morgen zusammenkommen, um in den Zug zu steigen, die sich im Augenblick der Explosion verbinden und für immer verschwinden werden. Der Text springt in den Minuten vor und zurück bis zum Moment der Explosion. Wie in einem Puzzle setzen sich die Teile von Biografien zusammen, werden unterbrochen von anderen, neuen Figuren, die entworfen werden. Einige kehren immer wieder, andere blitzen nur einmal auf und dann nie wieder. Und über all dem steht der Versuch, das Unsagbare sagbar, das Unbeschreibliche beschreibbar zu machen. Roland Schimmelpfenning hat mit seinem neuen Stück ein leichtfüßiges, poetisches Spiel des Zufalls und der Zeit geschrieben, der Lotterie des Lebens, der unzähligen Momente und Geschichten, traurig und komisch zugleich in all der Flüchtigkeit und Ungewissheit, die das Leben mit sich bringt. Gwendolyne Melchinger

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Theater und Schreiben vo n Ro l a n d Sc h i m m e l p f e n n ig

Das Thema des Theaters ist der Mensch, und damit ist das Thema des Theaters die Vergänglichkeit, die Endlichkeit, denn unserer Endlichkeit begegnen wir alle, früher oder später, so ist es nun mal. Davon handelt Theater: Irgendwann ist der Sturz zu Ende. Irgendwann kommt der Aufschlag. Theater handelt von Vergänglichkeit, und Theater besteht selbst aus Haltlosigkeit und Vergänglichkeit. Theater ist ein feines Gespinst, das vor unseren Augen entsteht und auch wieder verschwindet. Alles, was über das Theater und Theaterstücke zu sagen ist, ist einfach. Es muss einfach sein, denn niemand will vorher einen Essay lesen müssen, um ein Stück zu sehen, um ein Stück sehen zu können. Theater ist einfach und gleichzeitig hochkomplex, denn Theater wird vom Menschen für Menschen gemacht, und Theater handelt vom Menschen. Es handelt vom Individuum und seinem Bezug zu der Gesellschaft, zur Welt. Und das Theater ist in der Folge so einfach oder so komplex, wie es diese Begriffe sind: Individuum und Gesellschaft.

Ich bin deshalb kein ausführlicherer Theoretiker des Schreibens, weil ich nicht, oder nur sehr begrenzt, über die Gabe verfüge, auf gemachten Erfahrungen aufzubauen. Ich bin jemand, der in seinem Schreiben immer wieder von vorn anfängt, mit jedem Text, den ich beginne – oder: mit jedem neuen Stoff, dem ich begegne. Ich kann auf Dauer nichts behalten. Und deshalb kann ich mich auch nicht auf meine Texte stützen, ich kann mich nicht auf ihnen ausruhen, und – das ist das Gute – ich kann mich auch nicht selbst langfristig enttäuschen. Ich falle durch mein Leben wie durch das berühmte Kaninchenloch, und das, was an mir während des Sturzes vorbei­ fliegt, das versuche ich festzuhalten: Menschen, Überlegungen, Fragen, Sehnsüchte, Begegnungen mit anderen und mit mir selbst, und dann geht es weiter ohne Antworten – das ist haltlos – oder das wäre haltlos, wenn es nicht die Texte gäbe, die auf dem Weg entstehen. Die Texte sind die Antworten – die Texte bleiben, auf Papier. Das Thema des Theaters ist nicht die Sprache.

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Veränderung – und die Verhinderung der Veränderung – ist das zentrale Motiv, der Motor des Theaters: Der Wunsch nach Veränderung, DU MUSST KÖNIG WERDEN, das Verbot der Veränderung, DU DARFST NICHT KÖNIG WERDEN oder: DU DARFST NICHT LIEBEN, DU MUSST HEIRATEN, die Angst vor der Veränderung, ICH WILL AN DER MACHT BLEIBEN, oder größer: ICH WILL GERECHTIGKEIT. ICH WILL NICHT MEHR ALLEIN SEIN. ICH WILL NICHT STERBEN.

Theater ist Spiel. Der Mensch spielt. Der Mensch, der Schauspieler, spielt, er sei jemand anderes. Er nimmt Rollen an. Der Zuschauer identifiziert sich mit der Rolle, die ein anderer für ihn spielt, für ihn annimmt. Das ist ein Moment großer menschlicher Leichtigkeit und Freiheit. Das Theater erzählt Geschichten. Immer. Selbst die Avantgarde, das Theater der Textflächen und der Diskurse erzählen letztlich immer Geschichten, Verläufe, manchmal ohne es zu merken. Geschichten haben einen Anfang, und sie haben ein Ende. Jede Geschichte ist die Beschreibung eines Verlaufs. Ein Verlauf bedeutet Veränderung, oder auch Stillstand. Stillstand ist aber nur eine Variante der Veränderung.

„ Vielleicht ist dies der letzte Sommertag. “ 9


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Das komplette Programmheft zu „100 Songs“ können Sie beim Besucher­­service zum Preis von 2,50 € erwerben.


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