Der Menschenfeind Molière
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DER MENSCHENFEIND Molière Deutsch von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens
DER MENSCHENFEIND Molière Deutsch von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens Alceste Matthias Leja Philinte Robert Rožić Oronte Sven Prietz Célimène Therese Dörr Arsinoé Marietta Meguid Éliante Celina Rongen Acaste Benjamin Pauquet Clitandre Sebastian Röhrle DuBois Julian Lehr Musiker Marvin Holley (Gitarre, Hackbrett), Marc Roos (Posaune), Fabian Wendt (Bass) Inszenierung Bernadette Sonnenbichler Bühne Wolfgang Menardi Kostüme Tanja Kramberger Komposition & Musikalische Jacob Suske Einrichtung Jean Laurent Sasportes Choreografie Licht Sebastian Isbert Dramaturgie Gwendolyne Melchinger Regieassistenz Frida Bräumer Bühnenbildassistenz Hanna Bowe Kostümbildassistenz Natalie Nazemi Soufflage Simone Weinmann Inspizienz Lars Erik Bohling
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Regiehospitanz Mona Pünger Bühnenbildhospitanz Éanna Whelan Kostümhospitanz Maxine Weisskopf Technische Direktion Schauspiel Guido Schneitz | Bühnenoberinspektor Manuel Willi | Technische Einrichtung Jörn Dornbusch | Leitung Beleuchtung Felix Dreyer | Be-
leuchtung Franz Born | Leitung Ton & Video Frank Bürger | Leitender Tontechniker Jonathan Eichhorn | Ton Phillipp Reineboth | Leitung Requisite Philipp Unger | Requisite Sybille Reger, Jörg Schellenberg | Leitung Maschinerie Mustafa Agacdograyan | Direktion Dekorationswerkstätten Bernhard Leykauf | Leitung Malsaal Lisa Fuß | Leitung Bildhauerei Maik Glemser | Leitung Dekorationsabteilung Dirk Herle | Leitung Nähsaal Heidi Lange | Leitung Schreinerei Alexander Kurtz | Leitung Schlosserei Patrick Knopke | Maskendirektion Jörg Müller | Leitung Maske Nena Frei | Maske Hanna Maile, Gabriele Nessel, Yvonne Stock, Andrea Wagner | Kostümdirektion Elke Wolter | Produktionsleitung Kerstin Hägele | Gewandmeister*Innen Mareile Eder, Vivien Schlickel (Damen), Anna Volk, Aaron Schilling (Herren) | Leitung Färberei Martina Lutz, Milenko Mociljanin | Leitung Modisterei Eike Schnatmann | Leitung Rüstmeisterei Achim Bitzer | Leitung Schuhmacherei Verena Bähr, Alfred Budenz | Kunstgewerbe Nicola Baumann, Daniel Strobel Die Maskenabteilung der Staatstheater Stuttgart wird unterstützt durch MAC Cosmetics
schauspielhaus
Aufführungsrechte Aufführungsdauer Premiere
Verlag der Autoren, Frankfurt am Main 1:45 Stunden, keine Pause 23. Februar 2019
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Der verliebte Menschenfeind Maske, so ist Alceste überzeugt, findet sich der wahre Mensch mit seinen guten Eigenschaften. Aber was in aller Welt würde die Demaskierung denn eigentlich bedeuten und wieviel Wahrheit verträgt der Mensch?
Wie wir die Welt sehen, bestimmen wir ganz allein. Durch welche Brille wir unsere Umwelt wahrnehmen auch. An dem Anderen, dem anderen Menschen kommen wir nicht vorbei – an einer ganzen Gesellschaft schon gar nicht … Es sei denn, wir suchen uns einen fernen Winkel, die Wildnis oder eine einsame Insel. Die Misanthropie ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst. Sie gab es immer und wird es immer geben. Wenn der Menschenfeind, Alceste, feststellt, dass ihm beim Anblick der Menschen die Augen weh tun, ist die Misanthropie schon fortgeschritten. Dabei geht es nicht um den Menschen an und für sich. Gegen den hat er nichts. Aus diesem ließe sich schon einiges machen. Sein leidenschaftlicher Hass richtet sich gegen das Verhalten der Menschen und ihren Umgang miteinander.
Molière hat mit seinem Menschenfeind eine komplexe und tiefgründige Komödie geschrieben mit einer ambivalenten Hauptfigur. 1666 wurde das Stück im Palais Royal, in Paris uraufgeführt. Molière selbst stand als Alceste auf der Bühne. Die Reaktionen des Publikums und der Kritik auf das neue Stück waren durchwachsen. Zuviel „Ernst“ befand man, für eine Komödie, zu undurchsichtig und ambivalent sei die Hauptfigur. Auch die eindeutige Kritik an der höfischen Gesellschaft und ihren Umgangsformen sorgte für Irritation und hatte zur Folge, dass die Komödie am königlichen Hof, an dem Molière eine ausgezeichnete Stellung innehatte und großes Ansehen genoss, nicht gezeigt wurde. Dabei war Molière gerade mit seinem Menschenfeind auf dem Höhepunkt seines Schaffens und Könnens. Bereits seine vorangegangenen Stücke Don Juan und Tartuffe waren Meisterwerke, die sich durch ihre Vielschichtigkeit, durch zen trale gesellschaftspolitische Fragen und komplexe Hauptfiguren auszeichnen. Molière war Theatermann genug, um zu wissen, was für einen Konflikt er seiner
Wo er auch hinsieht. Überall sieht er Verstellung, Heuchelei, Intrige, Lüge. So einer Gesellschaft kann er, will er nicht mehr angehören. In seiner bedingungslosen Forderung nach Wahrheit und Aufrichtigkeit bringt der wütende Rebell Alceste nicht nur seine Kontrahenten gegen sich auf, sondern er beleidigt auch die Menschen, die es gut mit ihm meinen. Die gesellschaftliche Struktur, die auf bestimmten Regeln fußt, muss gestürzt und neu gedacht werden. Der Kampf von Molières Menschenfeind gilt der Demaskierung der Gesellschaft, denn hinter der
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Célimène, eine junge Witwe, die von allen Männern umschwärmt wird und ausgerechnet an der Spitze der Gesellschaft steht, die ihm so verhasst ist. Außerdem verkörpert sie all jene Eigenschaften – wie Eitelkeit, Selbstsucht, Koketterie und Verstellung –, die Alceste verabscheut. Und obendrein spielt sie genauso mit seiner Liebe, wie sie es mit der Liebe ihrer anderen Verehrer tut. Nur in kurzen Momenten gewährt sie Alceste Einblick in ihre wahren Gefühle, die ihm den Vorzug geben. Alceste kommt von dieser Liebe (gegen jede Vernunft) nicht los, so sehr er sich auch darum bemüht. Seine Liebe zu Célimène ist seine Achillesferse, seine Hoffnung und sein Fluch. Diese Liebe macht Molières Menschenfeind zur tragischen und komischen Figur zugleich: undurchsichtig und ambivalent und zu einem der ganz großen, allzu menschlichen Helden des Welttheaters.
Hauptfigur geben musste, damit die Komödie die nötige Zündkraft erhielt: Der Untertitel seines Menschenfeind lautet: Der Verliebte mit der schwarzen Galle. Der Begriff „schwarze Galle“ ging auf die medizinische Lehre, der „Kardinalssäfte“ zurück. Die Gesundheit und der psychische Zustand eines Menschen hing mit einem Gleichgewicht von Blut und Schleim zusammen. Alle Krankheiten konnte man auf ein Missverhältnis der Säfte im Körper oder eine Veränderung von deren Qualität zurückführen. Davon leitete man auch die Gemütszustände und die vier Temperamente – Choleriker, Sanguiniker, Melancholiker und Phlegmatiker – ab. Alcestes aufbrausender und pessimistischer Zustand ließ sich auf das Ungleichgewicht seiner Säfte zurückführen, verursacht durch die schwarze Galle, namentlich die Melancholie. Nun liebt der Menschenfeind aber auch – und das leidenschaftlich und bedingungslos. Aber nicht irgendeine Frau, sondern ausgerechnet
Gwendolyne Melchinger
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DER GESELLSCHAFTSFLÜCHTLING Von Andreas Mahler
Ganz zu Beginn steht schon ein Schluss. Der Menschenfeind sehnt sich enttäuscht nach Einsamkeit. Zwar begehrt er die junge kokette Célimène, doch ist sie das Zentrum der von ihm verhassten höfischen Gesellschaft; und wer sie kriegt, bekommt mit ihr die Last des lügenhaften Umgangs. Das will der wahrheitsliebende Alceste gerade nicht. Doch der Gesellschaftsflüchtling kann sich nicht fügen. Wie zu Beginn, so ists denn auch – nach viel Streit – am Schluss. „Versteckt, fern von den Menschen, such’ ich mein Glück fortan / Dort, wo ein Mann von Ehre in Freiheit leben kann“ Der Menschenfeind ist ständig auf der Flucht. Doch die von ihm ersehnte menschenferne „Wüste“ erreicht er nie. Das Karussell dreht endlos ihn stets wieder neu in die Gesellschaft. Und genau darum dreht sich Molières wohl ehrgeizigste Komödie: Den Liebenden zieht es zu Célimène in die Gesellschaft, und kaum hat er sie erreicht, eckt er an, stellt sich bloß, macht sich unmöglich und will fort. Es ist der 4. Juni 1666. Molière spielt selbst die Rolle des Alceste. Mit wehenden grünen Bändern gibt er noch einmal den Bouffon, doch lässt er Körperkomik merklich aus. Ganz ohne den üblichen Bart, ohne Moustaches, ganz ohne Augenrollen und mechanisch ruckartigen Gang – wie etwa noch als Arnolphe in der École des femmes (Die Schule der Frauen, 1662) oder als Sganarelle im Médecin malgré lui (Der Arzt wider Willen, 1666) – enttäuscht er das Parterre. Wo noch der Adel für den ganzen Hof doppeldeutig lobt: „Toute la cour en dit du bien“, ist das Volk deutlich irritiert: Statt lauthals ungeniertes Lachen bietet das
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Stück nur kenntnisreich verhaltenes Gelächter, ein „rire dans l‘âme“, ein Lachen der Seele, so wohlwollend glättend der Zeitgenosse Donneau de Visé. Und auch Molière ist tief enttäuscht. Voll überzeugt, sein bestes Werk zu präsentieren: „je ne ferais jamais mieux“, vermisst er mit Schmerz den lohnenden Applaus. Was ihm sein staunenswertes Meisterwerk, scheint nicht so recht goutiert und allzu rasch verkannt. Vorsätzliche Fehlbesetzung Molière ist nicht nur beifallsüchtiger Komödiant; er ist vor allem auch Komödienautor. Ihm gehts um Nobilitierung, um Hebung der Komödie, um seine eigene Anerkennung als ernsthafter Literat. Als Autor zielt er nicht so sehr aufs Lachen allerorts, sondern vielmehr auf ein verständiges, verständnisvolles „faire rire les honnêtes gens“: auf fröhlich belachende Einsicht in ein verblüffend, intelligent, einfallsreich komisches Werk. Entsprechend sind seine Figuren erkennbare soziale Charaktere; entsprechend verteidigt er sich offen und gern auch explizit poetologisch; entsprechend experimentiert er beständig an den Gattungsgrenzen: Sein Don Juan (1665) erprobt die Grenzen der Moral; sein Georges Dandin (1668) zerstört das gute Ende; und sein Tartuffe (1664 – 1669) treibt das Lachen gnadenlos oszillierend hin zum potentiellen Mitleid und zur ernsten Konsequenz. Im Misanthrope zentral ist eine bewusst platzierte Fehlbesetzung. Diese ist gradwegs genauso grenzaustestendes Programm: Liebhaber und komischer Held fallen in eins, der Repräsentant erneuernder Vernunft ist zugleich Hauptvertreter blanker Unvernunft, die Titelfigur ihr eigener vornehmster Widerstand. Molière gründet das komödiantische Misanthropenspiel auf dem Paradox, dass der verbohrte Menschenfeind zugleich auch liebt. Er ist, so sagts der Untertitel, beides: „atrabilaire“ und „amoureux“, abgewandt und zugewandt, melancholisch gallenkrank und schwerverliebt. Alceste will Célimène, doch Célimène braucht die Gesellschaft. Beide sind Opponenten ihres eigenen Begehrens. In mehrerlei Hinsicht geht das folgerecht nicht gut. Die überkommene Liebeshandlung bleibt labil, weil der Held seine Angebetete mal sucht, mal flieht; das gute Ende bleibt ein halbes, weil sich das designierte Hauptpaar doch nicht traut; und das befreite Lachen bleibt zuweilen tief im Hals, weil Alcestes vernunftheiligender „Wahnsinn“,
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