Die Physiker Friedrich DĂźrrenmatt
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DIE PHYSIKER Friedrich Dürrenmat t
DIE PHYSIKER Friedrich Dürrenmatt Frau Doktor Mathilde von Zahnd Marietta Meguid Marta Boll, Oberschwester Gabriele Hintermaier Monika Stettler, Amina Merai Krankenschwester Herbert Georg Beutler, Benjamin Pauquet genannt Newton Ernst Heinrich Ernesti, Klaus Rodewald genannt Einstein Johann Wilhelm Möbius Marco Massafra Richard Voß, Kriminalinspektor Michael Stiller Frau Missionar Lina Rose Gabriele Hintermaier Adolf-Friedrich Nikolai Krafft / Jan Rohrbacher Wilfried-Kaspar Jannis Wetzel / Malte Bernstein Jörg-Lukas Vitus Glass / Jannis Memmersheim Inszenierung Cilli Drexel Bühne Judith Oswald Kostüme Janine Werthmann MUSIK Bärbel Schwarz Licht Jörg Schuchardt Dramaturgie Carolin Losch Regieassistenz Benjamin Zeeb Bühnenbildassistenz Saskia Bellmann Kostümbildassistenz Maïté Forster Soufflage Frank Laske Inspizienz Ralf Fuhrmann Regiehospitanz Anke Hoffmann Bühnenbildhospitanz Niklas Kreidel
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Technische Direktion Schauspiel Guido Schneitz | Bühnenoberinspektor Manuel Willi |
Technische Einrichtung Ralf Bogusch | Leitung Beleuchtung Felix Dreyer | Beleuchtung Thomas Pfisterer | Leitung Ton & Video Frank Bürger | Leitender Tontechniker Jonathan Eichhorn | Ton Tim Heumesser, Raimund Förnzler | Leitung Requisite Philipp Unger | Requisite Sybille Reger, Jörg Schellenberg | Leitung Maschinerie Mustafa Agacdograyan | Direktion Dekorationswerkstätten Bern hard Leykauf | Konstruktion Tobias Laaber | Technische Produktionsplanung Kathrin Leßner | Leitung Malsaal Lisa Fuß | Leitung Bildhauerei Maik Glemser | Leitung Dekorationsabteilung Dirk Herle | Leitung Nähsaal Heidi Lange | Leitung Schreinerei Alexander Kurtz | Leitung Schlosserei Patrick Knopke | Masken direktion Jörg Müller | Leitung Maske Nena Frei | Maske Hanna Maile, Franziska Rupp, Susanne Ziegler | Kostümdirektion Elke Wolter | Produktionsleitung Kostüme Petra Bongard | Gewandmeister*Innen Mareile Eder, Vivien Schlickel (Damen), Anna Volk, Aaron Schilling (Herren) | Leitung Färberei Martina Lutz, Milenko Mociljanin | Leitung Modisterei Eike Schnatmann | Leitung Rüstmeisterei Achim Bitzer | Leitung Schuhmacherei Verena Bähr, Alfred Budenz | Kunstgewerbe Nicola Baumann, Daniel Strobel | Statisterie Isabelle Grupp Die Maskenabteilung der Staatstheater Stuttgart wird unterstützt durch MAC Cosmetics
Schauspielhaus
Aufführungsrechte Felix Bloch Erben, Berlin Aufführungsdauer 2:00 Stunden, eine Pause Premiere 22. Juni 2019
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Marco Massafra im Hรถchstleistungsrechenzentrum
IST WISSEN IMMER GUT? Dr. Andreas Kaminski, Leiter der Abteilung Wissenschafts- und Technikphilosophie der Simulation am Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart, im Gespräch mit Dramaturgin Carolin Losch über die Relevanz der „Physiker“ in Zeiten neuer technischer Herausforderungen Carolin Losch: Dürrenmatt hat Die Physiker 1962 geschrieben, der Kalte Krieg befand sich auf einem Höhepunkt. Die Angst vor einem möglichen Atomkrieg beunruhigte die Menschen. Seit 1989, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Zusammenbruch des Sowjetischen Imperiums, geriet diese Gefahr ein wenig aus dem Bewusstsein. Unlängst hatten wir das zweifelhafte Vergnügen, die grotesken Bilder des Gipfels zwischen Donald Trump und Kim Jong Un zu bestaunen, auf dem zwei Machtpolitiker ziemlich unverhohlen mit ihren Nuklear waffenpotenzialen drohten. War die Konfrontation mit den negativen Auswirkungen der Kernforschung durch die Bombardierung von Hiro shima und Nagasaki eine grundsätzlichere Erschütterung als die Angst vor technischen Neuerungen, die es immer gegeben hat und die sich aktuell auch wieder in den Diskussionen um die Folgen der Forschung zur Künstlichen Intelligenz niederschlägt? Andreas Kaminski: Es gibt auch apokalyptische Visionen, wie Gesell schaften durch Künstliche Intelligenz untergehen können, aber das ist noch Theorie. Damals machte die Menschheit erstmalig die nicht-fiktive Erfahrung, dass sie in der Lage war, sich selber zu vernichten. Es stan den sich zwei feindliche Blöcke gegenüber und man wusste nicht, wie der andere Akteur sich verhalten würde, welche Signale falsch gedeutet
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werden konnten. Die Sorge um die bestehenden Arsenale von Atomwaf fen und die Art des Umgangs damit ist aber nie ganz verschwunden. CL: Der geniale Physiker Möbius sieht sich mit der Gefahr konfrontiert, dass sein Denken in den Dienst politischer und militärischer Interessen gestellt wird. Ist die Forschung heutzutage frei? AK: Dürrenmatts Stück diskutiert zwei Prämissen neuzeitlicher Gesell schaften, die leicht in einen Konflikt zu einander treten. Dieser Konflikt wird hier auf der Bühne ausgetragen. Die erste Prämisse ist die auf Francis Bacon zurückreichende Idee: Wissen ist Macht. Die zweite Prä misse ist die aufklärerische Vorstellung: Wissen ist gut. Dürrenmatts Drama arbeitet zum einen mit Bacons Idee, ergänzt sie jedoch um die Frage: Welche Macht ist erforderlich, um Wissenschaft zu betreiben? Macht wird also als eine Voraussetzung für Wissen betrachtet. Daher geht Möbius auch in die Psychiatrie, in der wahnsinnigen Hoffnung, sich in einer absoluten Institution bestimmten Mächten zu entziehen. Nehmen wir ein aktuelles Beispiel: Die Forschung im Bereich Maschi nelles Lernen oder dem, was man Künstliche Intelligenz nennt, wird wesentlich durch privatwirtschaftlich betriebene Firmen geleistet. Für diese Forschung sind sehr große Datenmengen nötig, über die vor allem die großen Software-Unternehmen verfügen. Und nun stellt sich die Frage, was man braucht, um gute Forschung in diesem Bereich zu betreiben, welchen Einblick man erhält und was mit den Ergebnissen dieser Forschung geschieht. Die öffentliche Forschung verfügt nicht über die gleichen Voraussetzungen. Das ist ein Bereich, der die Politik zuneh mend interessiert und der als ein großes Problem erkannt wird. Die zweite Prämisse, die in diesem Stück infrage gestellt wird ist die, dass Wissen immer gut ist. Für Gesellschaften, die sehr stark durch ein Aufklärungsdenken geprägt worden sind, ist die Idee der Transparenz eine Grundvoraussetzung. Aber heutzutage sind in verschiedenen Berei chen Zweifel aufgekommen, ob etwas Wissbares immer auch etwas Gutes ist. Die Daten, welche durch Sensorik und Aufzeichnungen über uns entstehen oder die Daten, welche Software-Unternehmen über uns sammeln, empfinden wir durchaus als problematisches Wissen. Das gilt auch für diagnostische Bereiche in der Medizin, bei denen Prognosen
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über den möglichen Ausbruch von Erbkrankheiten entstehen und wo die Betroffenen zum Teil Bedenken haben, ob sie ein Wissen über Wahr scheinlichkeiten überhaupt haben möchten. Die Freiheit in der universitären Forschung ist meines Erachtens weiter hin sehr groß. Es kommt natürlich darauf an, wie Forschung organisiert wird und welche Steuerungsprozesse es gibt. Dadurch, dass Themen mit Ausschreibungen verbunden werden, werden Anreize gesetzt, bestimmte Forschungsfelder neu in den Blick zu nehmen. Gibt es beispiels weise Ausschreibungen zu lernenden Algorithmen in der Industrie, wird dazu natürlich mehr geforscht. Dahinter steht aber auch eine Absicht, wie Politik steuernd in Wissenschaft eingreifen kann. CL: Zunehmend beschleicht uns ein ungutes Gefühl, auf welche Weise autoritäre Regime, wie beispielsweise China, Forschung betreiben und in den Besitz von Daten gelangen. AK: In diesen Systemen existiert eine scharfe Asymmetrie zwischen dem, was gewusst werden darf und dem, was nicht gewusst werden darf. Damit kommen wir zurück zu Dürrenmatts Erweiterung: Die Macht, etwas zu wissen. Stichwort chinesische Firewall, also: Was findet man nicht im Internet? Das ist ein häufig zu beobachtendes Muster, wenn es um die Erfassung von Daten geht. Der NSA-Skandal hatte genau die gleiche Struktur; eine Agentur, über die möglichst nichts gewusst wer den soll, möchte möglichst viel über andere wissen. Insofern sehen wir, dass die Prämisse Wissen ist gut im Alltag nicht immer zur Geltung kommt. Nun kann man versuchen, diese Asymmetrie, die Grenzen, die darin enthalten sind, aufzuheben. Ich glaube, es ist im Moment ein Stück weit die Strategie der EU, zu sagen, Daten sollten für alle öffent lich sein. CL: Wenn alle Informationen verfügbar sind, ist die Gefahr des Miss brauchs geringer? AK: Ich denke, das ist die Vermutung, die dahinter steht. Es ist aber eine sehr, sehr komplexe Frage, ob das so stimmt (lacht).
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CL: Stellt man sich in Ihrem Institut die Frage, ob bestimmte Bereiche überhaupt erforscht werden sollen? AK: Das HLRS hat sich beispielsweise verpflichtet, keine Simulation im Bereich der Nuklearforschung zu unternehmen. Sehr viele Computer simulationszentren sind dadurch entstanden, dass man versucht hat, reale Experimente mit Atomwaffen zu vermeiden, indem man Computersimulationen unternimmt. In Amerika haben die größten Zentren diesen Auftrag. CL: Kommen wir noch einmal zu dem zentralen Satz, den Möbius am Ende formuliert: „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurück genommen werden.“ AK: Ich habe eine Skepsis gegenüber dieser These, weil unser zivilisato risches Langzeitgedächtnis nicht allzu ausgeprägt ist. Zeithistorische Umstände wandeln sich rasend schnell. Andererseits gibt es Techniken der Erinnerung, und sobald sich Wissen in bestimmten Techniken manifestiert – seien es Techniken der Erinnerung, seien es Techniken der Nutzbarmachung – hat dieses Wissen eine bestimmte Bedeutung für die jeweilige Kultur erreicht und verschwindet nicht mehr so leicht. Im 19. Jahrhundert kam der Gedanke auf, Vergessen sei vielleicht kein Unfall, sondern eine Leistung des Gedächtnisses. Bei Nietzsche wird das sehr emphatisch als menschliches Vermögen hervorgehoben. In verwan delter Form finden wir diese Vorstellung in der Psychoanalyse, hier geht es nicht um einfaches Vergessen, sondern um ein Vergessen, was durch Durcharbeitung von Vergangenem erfolgen kann. In Bezug auf Erinnerung, die in Technik ihren Niederschlag findet, hat Dürrenmatts Überlegung tatsächlich noch einmal eine andere Bedeu tung für uns. Wenn wir uns ansehen, wie schnell sich die Verwendungs weisen von Technik wandeln, wieviel an kulturellem Wissen nötig ist, um Techniken nutzen zu können, scheint mir die Gefahr weniger darin zu bestehen, dass wir etwas nicht mehr vergessen könnten, was einmal entwickelt worden ist, sondern dass wir es falsch erinnern. So haben wir ja auch durch die psychologische Forschung gelernt, wie sich Individuen falsch erinnern können. Die Verwendungsweise und unser Vorstellungs
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vermögen, wie eine Technik genutzt werden kann, welche Bedeutung sie hat und welche Folgen sie haben könnte, verändert sich. Nehmen wir die Speicher-Medien; wir haben doch vor ein paar Jahren gedacht, CD-ROMs würde es auch in Zukunft noch geben. Und jetzt merken wir, dass wir nach erstaunlich kurzer Zeit nicht mehr auf diese Daten zugreifen können. Wir wissen aus der Wissenschaftsgeschichte, wieviel Praxiswissen nötig ist, um Experimente wiederholen zu können. Und da ist ein Stück weit der Eindruck entstanden, dass die Gefahr darin besteht, dass wir Modelle gar nicht mehr in der Weise verstehen, wie sie einmal entwickelt worden sind und wofür sie gedacht waren. Das ist eine These, die Edmund Husserl in den 1930er Jahren in Bezug auf die Geschichte der Mathematik entwickelt hat. Vielleicht liegt die Gefahr also nicht so sehr in einem Vergessen als in der unmerklichen Verände rung der Erinnerung. CL: In dem Stück werden exemplarisch drei Haltungen vorgeführt: Der eine Physiker (Newton, Agent eines westlichen Geheimdienstes) vertritt die Theorie der reinen Lehre: Forschung sei Forschung, für die Konse quenzen trügen die Wissenschaftler keine Verantwortung. Die zweite Position (Einstein, Agent des Ostblocks) möchte die Forschung in den Dienst einer Ideologie stellen. Die dritte Haltung (Möbius) ist die Ver weigerung, die Flucht aus der Forschung. Wenn man sich fragt, welcher Typus von Wissenschaftler unser zukünftiges Leben bestimmen wird, landet man schnell bei dem mythenumrankten Nerd des Silicon Valley. Dort werden Vorstellungen entwickelt, wie die Welt aussehen sollte. AK: Neben den großen monetären Interessen spielen Lebensentwürfe eine wichtige Rolle. Entweder weil man Lebensentwürfe verkaufen möchte oder weil man den Eindruck hat, durch Technik definieren wir, auf welche Weise wir kommunizieren, wie wir lernen und arbeiten, wie wir uns kennen lernen und uns zueinander verhalten. Alle Bereiche unse res modernen Lebens sind von Technik durchdrungen. Und diejenigen, die diese Technik erfinden und entwickeln, gestalten genau diese Bereiche. CL: Gibt es von diesen Ideen öffentliche Verlautbarungen oder gar ein Manifest?
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Das komplette Programmheft zu „Die Physiker“ können Sie beim Besucherservice zum Preis von 2,50 € erwerben.
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