Medea Franz Grillparzer
Auszug
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MEDEA Franz Grillparzer
MEDEA Franz Grillparzer
Medea Jason Kreon, König von Korinth Kreusa, seine Tochter Gora, Medeas Amme Herold
Sylvana Krappatsch Benjamin Pauquet Klaus Rodewald Katharina Hauter Marietta Meguid Jannik Mühlenweg
Kinder Tom Pekarski, Emil Wipfler / Julius Haneberg, Paul Thurner UND Martin Bäßler, Balthasar Burger, Johannes Gerlitz, David von Szilagyi, Alexander Wiedmann, Erik Wunderlich, Lena Zimmer mann Inszenierung Mateja Koležnik Bühne Raimund Orfeo Voigt Kostüme Alan Hranitelj MUSIK Nikolaj Efendi ChoreografIE Matija Ferlin Licht Felix Dreyer Dramaturgie Carolin Losch Dramaturgische Mitarbeit / Alina Zeichen Dolmetscherin Regieassistenz Bühnenbildassistenz Kostümbildassistenz
Annalisa Engheben Andrej Rutar Friederike Wörner, Natalie Nazemi
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Soufflage Simone Weinmann Inspizienz Thomas Hoffmann Kostümhospitanz Evelyn Gulbinski
Technische Direktion Schauspiel Guido Schneitz | Bühnenoberinspektor Manuel Willi | Technische Einrichtung Ralf Bogusch | Leitung Beleuchtung Felix Dreyer | Beleuchtung Franz Born | Leitung Ton & Video Frank Bürger | Leitender Tontechniker Jona
than Eichhorn | Ton Sebastian Thein | Leitung Requisite Philipp Unger | Requisite Sybille Reger, Jörg Schellenberg | Leitung Maschinerie Mustafa Agacdograyan | Direktion Dekorationswerkstätten Bernhard Leykauf | Konstruktion Tobias Laaber | Technische Produktionsplanung Philipp Neal | Leitung Malsaal Lisa Fuß | Leitung Bildhauerei Maik Glemser | Leitung Dekorationsabteilung Dirk Herle | Leitung Nähsaal Heidi Lange | Leitung Schreinerei Oliver Bundschuh | Leitung Schlosserei Patrick Knopke | Maskendirektion Jörg Müller | Leitung Maske Nena Frei | Maske Hanna Maile, Andrea Wagner, Susanne Ziegler | Kostümdirektion Elke Wolter | Produktionsleitung Kostüme Kerstin Hägele | GewandmeisterInnen Mareile Eder, Vivien Schlickel (Damen), Anna Volk, Aaron Schilling (Herren) | Leitung Färberei Martina Lutz, Milenko Mociljanin | Leitung Modisterei Eike Schnatmann | Leitung Rüstmeisterei Achim Bitzer | Leitung Schuhmacherei Verena Bähr, Alfred Budenz | Kunstgewerbe Nicola Baumann, Daniel Strobel | Leitung Statisterie Isabelle Grupp Die Maskenabteilung der Staatstheater Stuttgart wird unterstützt durch MAC Cosmetics
Schauspielhaus
Aufführungsdauer 1:15 Stunden, keine Pause Premiere 14. Dezember 2018
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MYTHOS MEDEA Der antiken Sage nach war Medea die Tochter des Königs Aietes, der vom Sonnengott Helios abstammte. Aietes herrschte über Kolchis, ein Land am Schwarzen Meer, am Fuße des Kaukasus. Von ihrer Tante Kirke hatte Medea die Zubereitung von magischen Tränken gelernt und konnte mit ihrer Kunst sowohl heilen als auch verderben. Pelias, König von Jolkos, hatte nach dem Tod seines Bruders Aison die Macht an sich gerissen. Der legitime Thronfolger Jason wurde dem Kentauren Cheiron zur Erziehung übergeben. Als Jason herangewachsen war und seinen Herrschaftsanspruch geltend machte, schickte sein Onkel Pelias ihn nach Kolchis, das goldene Vlies zu holen. Es war das Fell eines Widders, der nicht nur fliegen, sondern auch sprechen konnte und vor langer Zeit den thessalischen Prinzen Phrixos und seine Schwester Helle entführt hatte, um sie vor den mörderischen Absichten ihrer Stiefmutter zu beschützen. Als der Widder über die Wasserstraße zwischen Europa und Asien flog, fiel Helle herab und ertrank im Meer, das seitdem Hellespont heißt. Phrixos erreichte Kolchis, wo er den Widder auf dessen eigenen Wunsch opferte und sein goldenes Fell an einer Eiche im heiligen Hain des Gottes Ares aufhängte. Dieses Vlies sollte Jason zurück nach Jolkos bringen. Mehrere griechische Helden zogen mit ihm, der erfah-
rene Schiffsbauer Argos baute das beste Schiff, das bis dahin konstruiert worden war. Nach ihrem Baumeister erhielt es den Namen Argo. Auf ihr gelangten die „Argonauten“ sicher nach Kolchis. Als sie ihr Ziel erreicht hatten, sorgte die Göttin Hera dafür, dass die Königstochter Medea sich rettungslos in Jason verliebte. Ihr Vater Aietes willigte ein, Jason das goldene Vlies zu überlassen, wenn er eine Probe bestünde: Jason sollte zwei feuerspeiende Stiere vor einem Flug spannen, ein Feld flügen, in die Furchen Drachenzähne säen und die bewaffneten Männer, die aus den Drachenzähnen erwachsen würden, töten. Jason traf Medea heimlich im Tempel der Hekate, Göttin der Unterwelt, deren Priesterin Medea war. Der Fremde aus Griechenland versprach ihr, sie auf der Argo mit in seine Heimat zu nehmen. Mithilfe eines Zaubertrankes und wichtiger Ratschläge Medeas vollbrachte Jason die scheinbar unlösbare Aufgabe, doch Aietes weigerte sich, das Vlies heraus zu geben. Medea schlich sich ins Lager der Griechen, da sie fürchtete, ihr Verrat könnte offenbar werden. Jason schwor vor allen Gefährten, er werde Medea heiraten, wenn sie beide Griechenland erreichen würden. Daraufhin führte Medea Jason zu der Stelle, wo das goldene Vlies von einem Drachen bewacht wurde. Mit Beschwörungen und einem Zauberkraut versenkte sie den Drachen in einen tiefen Schlaf.
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So konnte Jason das Vlies in seinen Besitz bringen. Er eilte mit Medea zur Argo zurück und befahl, sofort abzusegeln. Die Kolcher bemerkten den Raub des Vlieses bald, und Aietes verfolgte die Argo mit seinen schnellen Schiffen. Medea hatte ihren jüngeren Bruder Apsyrtos mitgenommen. Sie forderte Jason auf, ihn zu töten, zerhackte den Leichnam und warf ihn Stück für Stück ins Meer, um die Kolcher von der Verfolgung abzuhalten. Denn um den Prinzen begraben zu können, mussten sie die Leichenteile aus dem Meer fischen. Auf der Heimfahrt, die eine jahrelange Irrfahrt war, bestanden die Argonauten viele gefährliche Situationen mit Medeas Hilfe. Ihre Tante Kirke entsühnte Medea und Jason von dem Mord an Apsyrtos und verheirate die beiden. Zwei Söhne wurden geboren. In Jolkos angekommen, überzeugte Medea den Usurpator Pelias, dass sie ihm seine Jugend zurückgeben könne. Medea erklärte seinen Töchtern, sie müssten dazu ihren Vater in Stücke hacken und diese in einem großen Kessel aufkochen. So wurde der König durch seine eigenen Töchter getötet. Jason und Medea wurden aus Jolkos vertrieben, König Kreon von Korinth nahm die beiden in seiner Stadt auf. Die Ehe des griechischen Prinzen mit der Ausländerin wurde in Ko rinth nicht anerkannt, die gemeinsamen Söhne galten als Bastarde. Jason war deshalb leicht zu überreden, Medea zu verstoßen, um Kreons einzige Tochter Kreusa heiraten zu können. Medea sann auf Rache. Zum Schein willigte sie ein, das Land zu verlassen, doch die Abschiedsgeschenke – ein Kleid und ein Diadem –, die sie Kreusa sandte, waren vergiftet und töteten die Königstochter und ihren Vater. Danach ermordete Medea ihre eigenen Söhne. Sie entschwand mit den beiden Leichen in einem von geflü-
gelten Drachen gezogenen Wagen, den ihr der Sonnengott Helios, ihr Ahnherr, geschickt hatte. Jason blieb allein zurück. Franz Grillparzer, österreichischer Dichter des Biedermeier, schrieb seine Trilogie „Das goldene Vlies“ zwischen 1818 und 1820, in einer Zeit, als die Industrialisierung das Leben der Menschen zu verändern begann und die politische Restauration zu einer Flucht ins Private führte. Grillparzer verwandelte die antike Rächerin in eine psychologisch komplexe Figur und zeigt einen modernen Geschlechterkampf. Während der abenteuerlichen Fahrt, auf der sich Jason und Medea beide in der Fremde befanden, im Niemandsland zwischen beiden Welten, schien ein kurzes Glück möglich. Doch zurück in Griechenland, holen die kulturell bedingten Konflikte die beiden ein. Besonderes Augenmerk richtet Grillparzer auf Jasons Perspektive, es sei „die große Tragödie des Lebens, dass der Mensch in seiner Jugend sucht, was er im Alter nicht brauchen kann“. Jasons Situation – als Flüchtender an der Seite einer als „Barbarin“ verachteten Frau – ist das Resultat der Träume seiner Jugend. Voller Siegesgewissheit war er zum Eroberungszug nach Kolchis aufgebrochen, an das östliche Ende der damals bekannten Welt, doch seine Träume vom Ruhm zerplatzten. Um den Thron hat man ihn betrogen, das Volk fürchtet ihn. Die einzige Hoffnung bleibt Korinth, wo Jason als Junge eine Zeitlang lebte. Als ihm König Kreon ein Bleiberecht für sich und seine Söhne zusichert, zögert er keine Sekunde, einen radikalen Neuanfang zu wagen. Für Jason hat Medea ihre Familie verraten, ihre Heimat verlassen und ein selbstbestimmtes Leben aufgegeben. Grill parzer befreit sie jedoch von Schuld:
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Abweichend von der mythologischen Überlieferung ist Medea, bevor sie in Korinth eintrifft, nicht direkt verantwortlich für den Tod ihrer Verwandten: Ihr Bruder Apsyrtos stürzte sich von einer Klippe, um einer drohenden Gefangennahme durch die Griechen zu entgehen, und ihr Vater, der sie verfluchte, begeht nach Medeas Flucht ebenfalls Selbstmord. Auch der Mord an König Pelias in Jolkos, dessen sie angeklagt wird, kann ihr nicht nachgewiesen werden. Pelias stirbt im Wahn, im Angesicht des goldenen Vlieses. Konfrontiert mit Verrat und Treuebruch und im Angesicht ihrer völligen Entrechtung entschließt sich Medea zu jener ungeheuren Tat, die seit 2000 Jahren verstört. Das goldene Vlies bedeutete für Grillparzer ein „sinnliches Zeichen des Wünschenswerten, des mit Begierde Gesuchten und des mit Unrecht Erworbenen“. Das Vlies ist also das Symbol der uneingeschränkten Macht, ein Zeichen für Sieg und Rache, die mit Raub und Mord verbunden sind. Wie ein ständiger Schatten begleitet das Vlies die Entscheidungen und Handlungen der Protagonisten und wird so zum Spiegel ihres Seelen zustandes. „Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie, fortzeugend, Böses muss gebären.“, formulierte Grillparzer als Kern seines Dramas.
Der Grundriss von Grillparzers Dramen spiegelt die Erfahrung eines Zeitalters: die nihilistische Konsequenz des Historismus als einer allgemeinen Welthaltung. Die bedingungslose Autonomie alles Individuellen enthüllt sich in einer Bewegung jäher Ernüchterung als dessen totale Isolation im leeren Raum. Welt steht unverbunden neben Welt, Gott neben Gott und Mensch neben Mensch. Jeder Versuch einer Begegnung stößt auf abgebrochene Brücken. Die menschliche Freiheit, einst begeistertes Postulat einer ekstatischen Generation, erscheint auf einmal als Schicksal von immanenter Tragik. Die Menschen Grillparzers sind mit der sie umgebenden Welt unlösbar verhaftet, und die in traumhaft angemaßter Freiheit begangene Tat der Alliierung an einen fremden Schicksalsbereich erweist sich als Hybris, welche die gänzliche Heimatlosigkeit, die dumpfe Lethargie des Verstoßenen zur Folge hat.
Carolin Losch
Peter von Matt
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