WOLKEN.HEIM. Elfriede Jelinek
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WOLKEN.HEIM. Elfriede Jelinek Unter Verwendung des Epilogs „Und dann nach Hause“
WOLKEN.HEIM. von Elfriede Jelinek Unter Verwendung des Epilogs „Und dann nach Hause“
MIT Christiane Roßbach Therese Dörr Josephine Köhler Celina Rongen
Inszenierung Friederike Heller Bühne und Kostüme Sabine Kohlstedt Sound Design und Musik Peter Thiessen Licht Stefan Schmidt Dramaturgie Sina Katharina Flubacher Regieassistenz Magdalena Schönfeld Bühnenbildassistenz Francesca Carletti Kostümbildassistenz Ulf Brauner Dramaturgieassistenz Christina Schlögl
Soufflage Francisca Pinheiro Ribeiro Inspizienz Lars Erik Bohling / Ralf Fuhrmann kammertheater
Aufführungsrechte Rowohlt Theater Verlag, Hamburg Aufführungsdauer 1:20 Stunden, keine Pause Premiere 24. Mai 2019 Wolken.Heim. von Elfriede Jelinek ist als E-Book beim Rowohlt Verlag erhältlich
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Technische Direktion Schauspiel Guido Schneitz | Technische Leitung Kammertheater
Stephan Abeck | Technische Einrichtung Nils Marstaller | Beleuchtung Walter Bühler | Ton Thomas Tinkl | Requisite Norbert Eitel, Uwe Puschmannn | Direktion Dekorationswerkstätten Bernhard Leykauf | Konstruktion Tobias Laaber | Technische Produktionsplanung Monika Höger | Leitung Malsaal Lisa Fuß | Leitung Bildhauerei Maik Glemser | Leitung Dekorationsabteilung Dirk Herle | Leitung Schreinerei Oliver Bundschuh | Leitung Schlosserei Patrick Knopke | Maskendirektion Jörg Müller | Leitung Maske Nena Frei | Maske Bettina Löffler | Kostümdirektion Elke Wolter | Produktionsleitung Kostüme Petra Bongard | GewandmeisterInnen Mareile Eder, Vivien Schlickel (Damen), Anna Volk, Aaron Schilling (Herren) | Leitung Färberei Martina Lutz, Milenko Mociljanin | Leitung Modisterei Eike Schnatmann | Leitung Rüstmeisterei Achim Bitzer | Leitung Schuhmacherei Verena Bähr, Alfred Budenz | Kunstgewerbe Nicola Baumann, Daniel Strobel Die Maskenabteilung der Staatstheater Stuttgart wird unterstützt durch MAC Cosmetics
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DAS HÄSSLICHE HAUPT NATIONALEN GEDANKENGUTS Die Regisseurin Friederike Heller im Gespräch mit der Dramaturgin Sina Katharina Flubacher Sina Flubacher: Elfriede Jelineks Wolken.Heim. – eine Collage aus Zitaten von u. a. Hölderlin, Hegel, Fichte, Kleist, Heidegger bis hin zur RAF – entstand 1988 und ist ein monolithischer Redestrom, der in der ständigen Beschwörung eines „Wir“ zur Rechtfertigungsrede für Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit geriert. Jelinek selbst beschrieb in einem Interview 1990, dass ihr Text nach dem Mauerfall für sie eine erschreckende Aktualität erhielt. Was war dein erster Eindruck? Friederike Heller: Die Aktualität des Textes ist leider ungebrochen. Schlimmer noch: Sie ist verschärft. Ich war zur Zeit von Mauerfall und Wiedervereinigung, dem ersten Irakkrieg und den Balkankriegen eine junge Frau, fast erwachsen, und habe damals große Ängste durchlitten: Meine (West-)Berliner Schulfreunde mussten nun plötzlich doch zum Bund und in meiner Naivität sah ich sie schon durch den irakischen Wüstensand robben. Beim Sieg der deutschen Mannschaft in der Fußball-WM drehte die Menge auf dem Kurfürstendamm durch und vor meinen Augen wurden Reichskriegsflaggen entrollt. Meine Freundin Sarah, eine person of colour, bekam Angst auf unseren Radtouren ins Umland von Berlin wegen einer Gruppe Skinheads und ihren provokanten Sprüchen. Ich erinnere mich, dass meine Freunde und ich am Tag
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der deutschen Einheit als Zombies verkleidet Poker um das Volksver mögen spielten, symbolisch verkörpert durch Monopoly-Geld – ein zynisch-unbeholfener, privater Versuch, unseren Schrecken über das neu erhobene, hässliche Haupt des rechtsextremen Gedankenguts als nahezu salonfähige Größe zu verarbeiten. SF: Hattet ihr zu diesem Zeitpunkt ein Gefühl für die Tragweite der Ereignisse? FH: In meiner persönlichen Erinnerung erreichte die Diskussion über deutsche Identität nach der Wiedererlangung der politischen Souveränität und politischen Einheit einen Höhepunkt, flankiert von Wahlsiegen rechter Parteien, Fremdenfeindlichkeit und Gewaltausbrüchen gegen unschuldige Opfer. Nachdem 1993 der Asylkompromiss geschlossen wurde, die Rauchschwaden, Neonazis und Gaffer vor den Heimen für Geflüchtete abgezogen waren und auch die Republikaner wieder aus dem Berliner Abgeordnetenhaus verschwanden, redete ich mir Mut zu, dass all diese Phänomene den aufregenden Wechselfällen der jüngeren Geschichte geschuldet gewesen waren, und die Deutschen nun wieder zur Ruhe gekommen wären. Selbst als sich 2011 der NSU enttarnte und sich in diesem Zuge das unglaubliche Versagen der Behörden zeigte, versuchte ich mir einzureden, dass es sich um fanatische Einzeltäter handelte. Aber spätestens seit dem Prozess in München und den politischen Entwicklungen der letzten Jahre muss ich einsehen, dass aggressives nationales Gedankengut nicht nur salonfähig, sondern richtig weit verbreitet ist. Etwas ist faul im Staate D. SF: Die Stimmen in Wolken.Heim. sind die von Untoten, längst Gestorbenen, die im Boden nicht zur Ruhe kommen. Jelinek verlegt damit das deutsche Nationalgefühl ins Reich der Toten und lässt so die Vergangenheit als etwas immer noch Fortwährendes sprechen. Es scheint, dass das nicht nur die bundesdeutsche Geschichte prägt, sondern „das Deutsche“ selbst. FH: Ja absolut. Ich beziehe mich in der Inszenierung ästhetisch zwar nur auf die letzten hundert Jahre, das hat aber vor allem damit zu tun, dass
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durch die Fotografie die Bilder dieser Zeit präsent geblieben sind. Wir blättern mit den vier Schauspielerinnen quasi durchs Familienalbum. Jelineks Text spannt den Bogen sehr viel weiter. Da sie auf Urtexte des deutschen Idealismus zurückgreift, übt sie eine zunächst überpolitisch wirkende Sprachkritik. Durch geschickte Montage schafft sie einen Malmstrom von idealistisch-poetischem Klang mit zunehmend chauvinistischem und aggressivem Inhalt. Sie zielt darauf ab, das faschistische Potential der deutschen Sprache an sich offenzulegen. Das mag zunächst fies wirken. Aber Geschichte ist fies und ich glaube, dass Frau Jelineks Sprachkritik trifft. Immer wieder wird versucht, Bedrohungsszenarien zu beschwören, damit sich die Aggression auf „andere“ als geistig-politische Notwehr darstellen kann. Wenn ich versuche zu verstehen, warum meine Mitmenschen einen egoistischen, aggressiven und nationalistischen politischen Standpunkt wählen, scheint mir dieser psychologische Mechanismus, der „Opfertrick“ unbedingt notwendig. Ganz in diesem Sinne betrachte ich auch den Chor der untoten Stimmen in Wolken.Heim.: Das Ressentiment wird geboren aus der Einsamkeit und der Angst. SF: Die Geistesväter des Stücks sind beinahe durchweg männlich. In deiner Inszenierung wird der Text durch vier Schauspielerinnen verkörpert – wie kam es zu dieser Idee? FH: Es gibt diese Beschreibung von Elfriede Jelinek, in der sie sich vorstellt, dass bei Wolken.Heim. eine deutsche Norne auf der Bühne sitzt und an einem sich ewig verlängernden Leichentuch strickt, neben sich einen Volksempfänger, aus dem der Text hörbar wird. Ich habe in den Vorbereitungen lange an einem Inszenierungskonzept gehangen, in dem auf der Bühne Körper und Text getrennt bleiben. Aber ich habe diesen Ansatz verworfen, weil er den „Opfertrick“ wiederholen würde: Frauen werden die Opfer von männlichen Ideologien. Es ist schwer zu ertragen, muss aber wohl leider gesehen werden, dass Frauen durchaus auch selbständig an der Beschädigung ihrer selbst arbeiten. SF: Die vier Frauen stellen jeweils eine Generation in der Geschichte der Bundesrepublik dar: die 1950er, die 70er, die 90er und die 2010er Jahre als das „heute“ – was hat dich an dieser Setzung interessiert?
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FH: Die verschiedenen Jahrzehnte sind zum einen so gewählt, dass eine Genealogie plausibel wird. Sie markieren zum anderen aber auch für mich besonders prägnante Phasen in der deutschen Nachkriegsgeschichte: Die Frau in den 50er Jahren hat den Krieg und die Not der Nachkriegszeit, aber auch die Anfänge des Wirtschaftswunders und des „Wir sind wieder wer“ erlebt. Sie ist eine von den vielen, die freiwillig in die Küche, an den Herd zurückgekehrt sind. Die Frau aus den 70ern hingegen erlebte die 68er-Bewegung und die damit einhergehenden Emanzipationsbewegungen des Feminismus der zweiten Welle. Ich stelle sie mir vor als eine Frau mit beruflichen Ambitionen und Kind(ern), die am Tag zwei „Schichten“ arbeitet: erst im Beruf und dann im Haushalt. Die Frau aus den 90ern steht ganz im Zeichen der deutschen Wiedervereinigung und der Wiedererlangung der politischen Souveränität. SF: Die 1970er sind auch von Aufarbeitungswillen geprägt und verstanden sich eher als Gegenentwurf zur Verdrängung der 50er Jahre und einem erstarkenden nationalistischen Selbstbewusstsein der 90er und 2010er Jahre. Wie passt diese Generation in den Jelinekschen Malmstrom? FH: Jelinek hat Passagen aus Briefen der RAF-Inhaftierten in Stammheim in den Stücktext montiert, die auch recht auffällig sind aufgrund ihres sehr differenten Duktus. Ich denke, dass Jelinek im Sinn hatte, die strukturelle Ähnlichkeit radikaler und totalitär übersteigerter Systeme aufzuzeigen, egal wo sie sich politisch verorten. Mir ist psychologisch plausibel, dass sich Terror irgendwann ins Innere verlagert. So wie es in Stammheim geschehen ist. Ein anderes Beispiel ist der Werdegang von Horst Mahler, der von einer extrem linken Position ausging und im rechtsextremen Feld gelandet ist. Ich glaube, Elfriede Jelinek greift hier einen typisch deutschen Rigorismus, eine Sucht nach Superlativen an. Es scheint eine deutsche Sehnsucht danach zu geben, in allem Weltmeister zu sein – ob es nun Fußball, Export, Horror der Geschichte oder den Imperativ zu ihrer Aufarbeitung betrifft. In diesem Sinne verstehe ich auch die 70er in der Inszenierung. SF: Die Frauenfiguren stehen beispielhaft auch für die Familie und damit die Frage, wie die Komplexe Schuld und Verantwortung, Identi-
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tät und Heimat, Männlichkeit und Weiblichkeit über Generationen vererbt werden. Sind wir als Nachkommen immer schon „Verwundete“? FH: In meinen Augen besteht diese Gefahr sehr real. Familien sind wahnsinnig mächtig, das Private ist politisch. Und umgekehrt greift Politik weit hinein in den privaten Körper. Wie kommt es immer wieder dazu, dass Frauen sich bereit erklären, ihren Körper, ihre Kinder herzugeben für eine menschenverachtende Ideologie? Wie konstruiert sich der Knacks, der diesen Widersinn möglich macht? Diese Fragen haben mich sehr interessiert. SF: Kann es einen Ausweg aus diesem Kreislauf geben? FH: Ja, durchaus. Es bedeutet aber viel Arbeit an uns selbst. Und Mut. Es ist natürlich nicht angenehm, Kritik einzustecken oder sich selbst bei politischen Vorurteilen oder Gender-Klischees zu erwischen. In meiner Familie verballhornte man, als ich Kind war, gerne Schiller: „Die Axt im Haus erspart den Kaiserschnitt“. Sexismus meets Idealismus. Es gruselt mich bis heute.
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Das komplette Programmheft zu „Wolken.Heim.“ können Sie beim Besucherservice zum Preis von 2,50 € erwerben.
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