Stadtforschung Statistik – Ausgabe 2/2008

Page 1

EDITORIAL

Hinz und Kunze

Einen Artikel von Frau Hinz finden Sie in dieser Ausgabe nicht. Aber einen von Herrn Kunze, seines Zeichens Wissenschaftsredakteur. Er schreibt über die Schreibe von Statistikern und was ihm bei einigen Blicken in Ausgabe 1/2008 aufgefallen ist, lesen Sie unter „Ilsebill salzte nach“. Viele nützliche Tipps, eine Pflichtlektüre. Am Anfang dieser Ausgabe steht ein Bericht über die Präsidentenwahl in den USA. Frau Hündorf, Mitarbeiterin der US-Botschaft in Berlin, führt uns näher an das amerikanische Wahlsystem heran. Sie beschreibt dieses selbst für Kenner schwer durchschaubare Dickicht, diese Mischung aus Tradition und Moderne. Und quasi nebenbei weist sie darauf hin, wie wichtig die Volkszählung in den USA ist. Schwerpunkt dieser Ausgabe sind Personen mit Migrationshintergrund – auch aus statistischer Sicht eine facettenreiche Gruppe. Fünf Artikel bietet die Redaktion Ihnen an. Wählen Sie aus oder lesen Sie einfach alle. Eindeutig sind wir Statistiker bei der Migration gut präpariert, doch bei GIS hapert es noch etwas. Da sind andere weiter, auch wenn Dortmund uns einen guten Weg aufzeigt. Weiter können Sie etwas lesen über Waldbesucher, SWOT-Analyse, Familienberichterstattung, Clusteranalyse ... Statistiker sind doch Diplomaten. Mit kleinen Anmerkungen – bei nur wenigen deftigen Ausnahmen – haben sie klar gestellt: Die Neuerungen beim Inhaltsverzeichnis waren suboptimal. Also starten wir den nächsten Versuch. Ach ja, was wäre für Sie die Zahl des Jahres 2008? Mehr auf Seite 15. Martin Schlegel, Hagen

Stadtforschung und Statistik 2/ 08

1


Stadtforschung und Statistik Zeitschrift des Verbandes Deutscher Städtestatistiker Ausgabe 2 • 2008

Inhalt

Rückblick

International

Aus den Kommunen

Schwerpunkt Migration

Seite

2

Gunter Brückner, Wiesbaden

Das Warum und Wie eines neuen Darstellungskonzepts in der Sozialstatistik Das Problem Migrationshintergrund

11

Heike Diefenbach, Groß-Britannien, Anja Weiß, Duisburg

Eine heterogene Gruppe mit vielen Erfassungsproblemen Menschen mit Migrationshintergrund in der Statistik

16

Uwe Schubert, Hagen

Bessere Daten über eine wichtige Gruppe Jeder 3. Hagener mit Migrationshintergrund

22

Roland Richter, Duisburg

Große oder kleine Lösung bei der statistischen Erfassung? Einwohner mit Migrationshintergrund

23

Utz Lindemann, Stuttgart

Ableitung des Migrationshintergrunds mit Hilfe des Geburtsortes MigraPro: Ein großer Schritt

26

Ernst-Otto Sommerer, Dortmund

Statistische Daten im Geografischen Informationssystem Dortmunds Weg zum Statistikatlas

30

Tobias Reeh, Christoph Riegert, Göttingen

Befragung der Waldbesucher in Göttingen Die Bürger erwarten Ruhe

32

Claudia Horch, Essen

Demografischer Wandel und Innovation im Ruhrgebiet Mehr Bildung wird zur Pflicht

37

Andrea Schultz, Leipzig

Geringverdiener sind zufriedener als Arbeitslose Zufrieden trotz ungünstiger Einkommensentwicklung

40

Michael Haußmann, Stuttgart

Einwohner in Großstädten plus Umland / 1995 und 2005 Über die Grenzen hinaus gesehen

56

Geertje Hündorf, Berlin

Wahlrecht und Wahlverfahren bei der Präsidentenwahl in den USA Kampf ums Weiße Haus

5

Günter Bamberger: Ideenreicher Anreger, gewissenhafter Analytiker, vielseitiger Statistiker Ein Leben in der deutschen Städtestatistik

73

Volkszählung, Todesursachen und Wahlmaschinen Statistische Themen 1908, 1933 und 1958

87

Ulrich Naumann, Köln Martin Schlegel, Hagen

Stadtforschung und Statistik 2/ 08


INHALT

Rubriken

Streiflichter

Internes

Methodik

Seite

Klaus Trutzel, Nürnberg

Paradigmenwechsel in der amtlichen Statistik/ Bund top – Städte flop? Verantwortung für kommunale Daten

43

Hans Menge, Bonn

Urban Audit: Methodische Probleme und ihre Lösungen Regionen runter brechen – gibt das nur Bruch?

48

Julia Meininghaus, Mirjam Brondies, Dortmund

Die „SWOT-Analyse“ als Instrument der kleinräumigen Wohnungsmarktbeobachtung Ein Weg zu starken Daten

62

Annett Schultz, Holger Wunderlich, Bochum

Familienberichterstattung mit dem Familienatlas Genauer hinschauen lohnt sich

65

Annett Schultz, Holger Wunderlich, Bochum

Lebensbedingungen von Familien – Beispiele Oberhausen, Mülheim, Siegen-Wittgenstein Zur konkreten Kritik am Familienatlas

68

Uta Thien-Seitz, München

Die AG Methodik des VDSt stellt sich vor Zum Start die Clusteranalyse

79

Andreas Kunze, Hagen

In „Stadtforschung und Statistik“ könnte kräftig nachgesalzen werden. Ilsebill salzte nach.

80

Ferdinand Böltken, Hürth

Die Ex-AG auf der Frühjahrstagung 2008 Grenzenlos in Saarbrücken

83

Martin Schlegel, Hagen

Saarbrücker Nachlese Von sparsam bis opulent

86

Drei Ja der Studenten

10

Ist Ihnen etwas aufgefallen?

15

Zeit ist Geld

21

I’m not amused

42

Weiß oder Marx?

61

That`s All Right

67

Stars in „Stadtforschung und Statistik“

82

Editorial Hinz und Kunze

1

Bevor der Ernst beginnt Saarbrücker Verspätung

4

Impressum

86

Autorenverzeichnis

88

Stadtforschung und Statistik 2/ 08

3


BEVOR DER ERNST BEGINNT

Saarbrücker Verspätung Martin Schlegel, Hagen

Es ist eigentlich unmöglich, dass er zu spät kommt, gilt für ihn doch: „Wer vorne steht, muss Erster sein, also pünktlich.“ Aber die Besprechung über die letzten Feinheiten für die Frühjahrstagung in Saarbrücken begann mit einer Verspätung von 23 Minuten. Alle warteten auf eine Erklärung, diese 23 Minuten konnten nicht im Raum stehen bleiben. Hans Teschner berichtete: „Alles begann völlig harmlos. Ich fuhr rechtzeitig los. Das neue Navigationsgerät, ein Geschenk meiner Frau, beschwerte sich zwar, als ich in Ahlen die Autobahn verließ. Doch ich musste dort Frau Merfert abholen, ohne die eine Frühjahrstagung nun wirklich nicht läuft.“ Zustimmendes Gemurmel im Saal. „Als ich Christiane, also Frau Merfert, in Ahlen eingesammelt hatte, ging es zügig weiter. Wir kamen gut durch, es gab keinen Stau. Auf der A1 in Höhe von Hagen nannte mein Navigationsgerät meine Kontonummer und fragte, ob sie noch stimme. Mitten in einer Baustelle und bei leicht überhöhter Geschwindigkeit sind solche Avancen wirklich unangebracht. Ich schwieg und konzentrierte mich auf’s Fahren. Gleiches wiederholte sich in der nächsten Baustelle. Also ich kann euch wirklich sagen, solche Navis sind ein Segen der Technik – aber auch ein Fluch. Schon bei dem alten Navigationsgerät gefiel mir die „Achtung“-Funktion. Fährt man schneller als zugelassen – das Navi weiß, wo Geschwindigkeitsbegrenzungen sind -, dann ertönt diese Warnung. Man muss nicht bis zur verlangten Geschwindigkeit abbremsen, sollte aber Obacht halten, ob am Straßenrand eine Kamera versteckt ist. Dieses „Achtung“ haben wir mehrfach vernommen, ich tucker ja nicht durch die Gegend.“ „Aber deswegen verspätet man sich doch nicht,“ mahnte einer. „Warte nur ab. Kurz hinter Köln meldete das Gerät: „Ihr Konto ist im Minus!“ Eine völlig unsinnige Aussage, dennoch folgte ich Christianes Rat und bog auf den nächsten Parkplatz ein. Dort gönnten wir uns Kaffee und Kuchen und Christiane studierte die Gebrauchsanleitung des Navis. Auf Seite 23 fand sie: „Wie bei den Vorgängermodellen ertönt ein „Achtung“, wenn Sie zu schnell fahren. Dieses Modell kann mehr: Es misst die überhöhte Geschwindigkeit, zieht die Toleranz ab und berechnet Strafe und Flensburger Punkte. Die Punkte werden unverzüglich in der Sünderkartei notiert, die Strafe wird sofort von Ihrem Konto abgebucht. Ein besonderer Service ist die Mitteilung, wenn Ihr Konto dabei ins Minus gerät.“ Da habe ich mich den Rest des Weges streng an die zugelassene Geschwindigkeit gehalten. Das kostete 23 Minuten.“ „So gewöhnt deine Frau dir die Raserei ab,“ kommentierte einer vom Vorstand. 4

Stadtforschung und Statistik 2/ 08


Wahlrecht und Wahlverfahren bei der Präsidentenwahl in den USA

Kampf ums Weiße Haus Geertje Hündorf, Berlin

US-amerikanische Wähler bestimmen den Präsidenten und Vizepräsidenten durch ein komplexes Zusammenspiel von Verfassungsvorgaben, Bundesund Einzelstaatengesetzen und den Praktiken der politischen Parteien, das in seiner Gesamtheit als Electoral College System bezeichnet wird.

rechtliches Relikt aus dem 18. Jahrhundert“ bezeichnet wird, finden einige wichtige Elemente des amerikanischen Wahlsystems (Nominierungsparteitage und Vorwahlen) in der Verfassung keine Erwähnung. Sie sind Ergebnisse historischer Entwicklungen aus den Anfängen der Vereinigten Staaten.

Der US-Präsident als oberste exekutive Instanz ist sowohl Staats- als auch Regierungschef. In der amerikanischen Verfassung finden sich jedoch nur spärliche Hinweise auf die Organisation der Präsidentschaftswahlen. Im Gegensatz zum Wahlmännerverfahren, das häufig als „verfassungs-

Wenn amerikanische Wähler am 4. November 2008 einen neuen Präsidenten und Vizepräsidenten wählen, wählen sie eigentlich Wahlmänner (electors) bzw. das Wahlmännerkollegium (Electoral College). Dahinter verbirgt sich eine Gruppe von Personen, die von den Parteimitgliedern in den einzelnen

Bundesstaaten aufgestellt werden. Am Wahltag werden diese Wahlmänner, die jeweils für einen der Kandidaten stehen, von der Bevölkerung gewählt. Vielen Wählern ist dies nicht bewusst, denken sie doch, dass sie direkt für einen Präsidentschaftskandidaten stimmen. Am 4. November erfolgt jedoch nicht nur die Wahl des nächsten Präsidenten; alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus und 33 der 100 Sitze im Senat stehen zur Wahl. Im Gegensatz zu anderen parlamentarischen Systemen werden in den Vereinigten Staaten die Exekutive und Legislative unabhängig voneinander gewählt. Das Weiße Haus in Washington D.C.

Stadtforschung und Statistik 2/ 08

5


KAMPF UMS WEISSE HAUS

Die Kür der Kandidaten

John McCain wurde am 29. August 1936 in der Panama-Kanal-Zone geboren. Er besuchte Schulen in Alexandria, Virginia und schloss 1958 die United States Naval Academy in Annapolis, Maryland, und 1973 das National War College in Washington ab. Von 1958 bis 1981 diente Senator McCain als Pilot in der United States Navy. Während seines Dienstes in Vietnam geriet er zwischen 1967 und 1973 in vietnamesische Kriegsgefangenschaft. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen – u.a. Silver Star, Legion of Merit, Purple Heart und Distinguished Flying Cross. 1982 wurde McCain erstmals als Mitglied des Repräsentantenhauses in den US-Kongress gewählt; 1984 erfolgte seine Wiederwahl. McCain entschloss sich, für den US-Senat zu kandidieren und wurde 1986 erstmals zum Senator des Bundesstaates Arizona gewählt; seine Wiederwahl erfolgte 1992, 1998 und 2004. Senator McCain bewarb sich 2000 erfolglos um die Präsidentschaftskandidatur der Republikanischen Partei.

6

Barack Obama wurde am 4. August 1961 in Honolulu, Hawaii, geboren. Seine Mutter, Ann Dunahm, stammt aus Wichita in Kansas, sein Vater, Barack Hussein Obama, aus Alego im Osten Kenias. Senator Obama wuchs vor allem in Jakarta, Indonesien, und auf Hawaii auf. Nach seinem Schulabschluss studierte er am Occidental College in Los Angeles und an der Columbia-Universität in New York; dort erhielt er 1983 seinen B.A. Im Anschluss arbeitet Obama als Community-Organizer in Chicago. Obama studierte Rechtswissenschaften an der Harvard University und erhielt dort im Jahr 1991 seinen Abschluss mit „magna cum laude“. Als erster Schwarzer wurde er zum Chefredakteur der renommierten juristischen Fachzeitschrift Harvard Law Review gewählt. Nach seinem Studium lehrte er Verfassungsrecht an der University of Chicago. Zwischen 1997 und 2004 saß Obama im Illinois State Senate. Am 3. Januar 2005 trat er sein Amt als demokratischer Senator des Bundesstaates Illinois im US-Senat in Washington an.

Das Nominierungsverfahren der Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten erscheint komplex – für Beobachter zuweilen gar verwirrend. Seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts, als die Demokratische und die Republikanische Partei begannen, die Regeln für die Auswahl ihrer Präsidentschafts- und Vizepräsidentschaftskandidaten zu überarbeiten, ist das System im ständigen Wandel. Bei Demokraten und Republikanern wird der überwiegende Teil der Delegierten für die Nominierungsparteitage durch Vorwahlen und Caucuses bestimmt. Daneben gibt es Superdelegierte (bei den Demokraten) sowie ungebundene Delegierte (bei den Republikanern). Beide geben ihre Stimme unabhängig von den Ergebnissen der Vorwahlen und Wahlversammlungen in ihren Bundesstaaten ab.

Primaries Vorwahlen (Primaries) sind Wahlveranstaltungen, bei denen eine politische Partei einen Kandidaten für ein öffentliches Amt bestimmt. Sie können auf allen Regierungsebenen abgehalten werden. Dazu zählen Bürgermeisterwahlen, Kreiswahlen für das Repräsentantenhaus, Gouverneurs- oder Senatswahlen auf Bundesstaatenebene und die Wahl des Präsidenten der Vereinigten Staaten. Bei „geschlossenen“ Vorwahlen bleibt die Teilnahme den registrierten Mitgliedern einer Partei vorbehalten. Bei „offenen“ Vorwahlen können Wähler einer Partei („Überwechsler“) auch bei der Vorwahl einer anderen Partei wählen.

Vorwahlen für Präsidentschaftskandidaten werden auf Bundesstaatenebene abgehalten, um festzustellen, welchen Kandidaten die Einwohner dieses Bundesstaates für die Partei bevorzugen. Abhängig vom Bundesstaat können die Wähler ihre Stimme direkt für ihren bevorzugten Präsidentschaftskandidaten oder für Delegierte abgeben, die sich zur Unterstützung dieses Präsidentschaftskandidaten beim Parteitag „verpflichtet“ haben. Demokraten wie Republikaner setzen die Stimmen unterschiedlich um. Die Demokraten verfahren in allen Bundesstaaten nach einem proportionalen System, die Verteilung der Delegierten richtet sich nach dem jeweiligen prozentualen Abstimmungsergebnis. Bei den Republikanern besteht in einigen Staaten das winner-take-all–System: dem ner-take-all Kandidaten mit den meisten Stimmen werden alle Delegiertenstimmen zugesprochen. Einige Staaten verfahren nach einer proportionalen Verteilung, während in Einzelfällen auch ein Mischsystem implementiert wurde.

Caucuses Darunter versteht man die Zusammenkunft der örtlichen Parteimitglieder während des Nominierungsverfahrens für den Präsidentschaftskandidaten ihrer Partei. In einem „Stufensystem“ von Parteiversammlungen wählen die Parteimitglieder Abgeordnete für Treffen auf Landkreisebene aus, die wiederum Delegierte für Zusammenkünfte auf Bundesstaatenebene bestimmen. Dort werden die Abgeordneten für den nationalen Nominierungsparteitag ausgewählt. Stadtforschung und Statistik 2/ 08


KAMPF UMS WEISSE HAUS Der Zweck dieses Systems von Parteiversammlungen besteht darin, durch die Wahl der Delegierten anzudeuten, welchen Kandidaten die Parteimitglieder der einzelnen Bundesstaaten bevorzugen. Damit soll die Nominierung der Präsidentschaftskandidaten demokratisiert werden, da die bevorzugten Kandidaten im Wesentlichen bereits zu Beginn des gesamten Verfahrens auf Wahlkreisebene bestimmt werden. Bei einem Caucus werden viele einzelne Versammlungen an mehreren Orten gleichzeitig abgehalten, man kommt zusammen, um seinen Kandidaten zu unterstützen und andere Parteimitglieder dazu zu bewegen, dies ebenfalls zu tun. Sowohl die Demokratische als auch die Republikanische Partei haben ihre eigenen Vorschriften für die Durchführung des Caucus. Diese sind je nach Bundesstaat unterschiedlich. Das Ritual der Caucuses datiert auf die Anfangsjahre der Vereinigten Staaten, bevor sich Anfang des 20. Jahrhunderts das System der Vorwahlen entwickelte.

Nominierungsparteitage Jede hält Partei nach den Vorwahlen einen nationalen Parteitag (National Party Convention) ab, um ihren Präsidentschaftskandidaten zu nominieren. In diesem Jahr stimmten auf der Democratic Convention, die in Denver stattfand, 4234 Delegierte ab, darunter 796 Superdelegierte. Die Delegiertenstimmen Floridas und Michigans wurden zu 50% aberkannt, da die Bundesstaaten ihre Vorwahlen ohne Einwilligung der Partei vorzogen.

Stadtforschung und Statistik 2/ 08

Die Republikaner entsandten 2380 Delegierte zu ihrem Nominierungsparteitag nach St. Paul (Minnesota), 463 davon waren ungebundene Delegierte. Die Stimmen der Delegierten aus Florida, Michigan, New Hampshire, South Carolina und Wyoming wurden um die Hälfte reduziert, da diese Bundesstaaten den beschlossenen Zeitplan des Republican National Committee missachteten.

Das Wahlmännerkollegium Das System der Wahl durch ein Wahlmännerkollegium (Electoral College) ist in Artikel II, Abschnitt I der amerikanischen Verfassung festgelegt. Das Wahlmännerkollegium setzt sich aus Bürgern zusammen, die von den einzelnen Bundesstaaten ausgewählt werden, im Namen der Bürger des Bundesstaates ihre Stimme für den Präsidenten und den Vizepräsidenten abzugeben. Durch das Abgeben ihrer Stimme wählen die Wähler eines jeden Bundesstaates die Wahlmänner. In den meisten Bundesstaaten stehen die Namen der Wahlmänner nicht auf den Wahlzetteln. Dort steht vielmehr „Wahlmänner für“ (electors electors for for) und dann der Name des Präsidentschaftskandidaten. Ein Bundesstaat hat so viele Wahlmänner, wie er im Kongress mit Abgeordneten des Repräsentantenhauses und Senatoren vertreten ist. Damit variiert die Zahl der Wahlmänner eines Bundesstaates von 3 bis 55. Washington D.C., das keine wahlberechtigten Vertreter in den Kongress entsendet, verfügt seit der Verabschiedung des 23. Zusatzartikels über drei Wahlmänner. Bei 435

Voraussetzungen für die Kandidatur Ein Präsidentschaftskandidat in den Vereinigten Staaten muss ein in den Vereinigten Staaten geborener US-Bürger und mindestens 35 Jahre alt sein. Darüber hinaus muss er seit mindestens 14 Jahren in den Vereinigten Staaten leben. Diese Voraussetzungen sind in Artikel II, Absatz 1 der US-Verfassung dargelegt. Gemäß dem 12. Verfassungszusatz darf der Vizepräsident nicht aus dem selben Bundesstaat kommen wie der Präsident. Abgeordneten im Repräsentantenhaus, 100 Senatoren und 3 Wahlmännern für Washington ergeben sich 538 Wahlmänner. Ein Präsidentschaftskandidat benötigt 270 Stimmen, um die Wahl durch einfache Mehrheit für sich zu entscheiden. Bis auf zwei Bundesstaaten – Maine [4 Wahlmänner] und Nevada [5 Wahlmänner], die auf das District-System zurückgreifen – praktizieren alle ein reines Mehrheitswahlprinzip (winner-take-all), winner-take-all), das dem winner-take-all Kandidaten, der die meisten Stimmen erhält, alle Wahlmännerstimmen zuerkennt. District System: Hierbei werden jeweils zwei Wahlmänner auf Ebene des Bundesstaates gewählt, während die weiteren Wahlmänner innerhalb der Congressional Districts der beiden Bundesstaaten gewählt werden. Jeder Wähler gibt eine Stimme für das Presidential Ticket (Präsident und Vizepräsident) ab, diese Stimmen werden jedoch zweifach gezählt; auf bundesstaatlicher Ebene, hierbei ist die relative Mehrheit der abgegebenen Stimmen ausschlaggebend und dann in den jeweiligen Districts, um dort jeweils einen Wahlmann zu bestimmen. Anhänger dieser Methode verweisen darauf, dass durch dieses System die unterschiedlichen Interessenlagen der einzelnen Teile der Bundesstaaten Eingang in die Auswahl der Wahlmänner finden.

7


KAMPF UMS WEISSE HAUS

Wahltermin Die Präsidentschaftswahlen werden am ersten Dienstag nach dem ersten Montag im November in jedem durch 4 teilbaren Jahr abgehalten. Der Kongress beschloss dies 1845; zuvor fanden die Wahlen in den einzelnen Bundesstaaten an verschiedenen Terminen über den Zeitraum von September bis November statt. Diese Handhabung führte bisweilen dazu, dass Bürger mehrfach über die Grenzen der Einzelstaaten hinweg wählten. Die Geschichte der Vereinigten Staaten war überwiegend landwirtschaftlich geprägt. Als man sich für ein Datum im November entschied – nach der Erntezeit, aber vor dem Winter, in dem das Reisen schwierig wurde – wollte man es den Landwirten und Landarbeitern so einfach wie möglich machen, wählen zu gehen. Da viele Bürger in ländlichen Gegenden weit entfernt von den Wahllokalen lebten, entschied man sich für Dienstag, nicht Montag, damit die Bürger, die am Sonntag die Kirche besuchten, ihre Reise nach dem Gottesdienst beginnen konnten und ihren Zielort noch rechtzeitig erreichten, um ihre Stimme abzugeben. Der Dienstag nach dem ersten Montag wurde ausgewählt, da der Gesetzgeber verhindern wollte, dass der Wahltag auf den 1. November fällt. Erstens ist am 1. November Allerheiligen, ein Tag, an dem Anhänger der römisch-katholischen Kirche dazu angehalten sind, den Gottesdienst zu besuchen. Außerdem glichen die Kaufleute ihre Konten vom Monat zuvor normalerweise am ersten Tag eines neuen Monats aus. Die Präsidentschaftswahlen finden somit 2008 am 4. November statt. Die Regierungen der Bundesstaaten, die Kommunalregierungen und die politischen Parteien legen das Datum der Vorwahlen (primaries) oder der parteiinternen Wahlversammlungen (caucuses) fest.

Wähleridentifizierungsgesetze (Voter ID Laws) Bundesstaaten, in denen eine ID vorgelegt werden muss (hierbei werden auch Lohnschecks, Nebenkostenabrechnungen, Bankunterlagen, die die Adresse des Wählers enthalten etc. akzeptiert): Alabama, Alaska, Arizona, Arkansas, Colorado, Connecticut, Delaware, Georgia, Kentucky, Missouri, Montana, New Mexico, North Dakota, Ohio, South Carolina, Tennessee, Texas, Virginia, Washington Bundesstaaten, die einen Lichtbildausweis (photo ID) verlangen (zulässig sind neben den auf Bundes- und Einzelstaatenebene ausgestellten Ausweisen auch von Arbeitgebern, Schulen und Hochschulen ausgestellte Ausweise): Florida, Hawaii, Indiana, Louisiana, South Dakota Bundesstaaten, die von Erstwählern die Vorlage einer ID verlangen: Kansas, Pennsylvania

8

Die Zahl der Abgeordneten je Bundesstaat – und damit auch die Zahl der Wahlmänner – wird nach der alle zehn Jahre vorgenommen Volkszählung (Census) bestimmt. Dabei können einzelne Bundesstaaten Wahlmänner verlieren bzw. gewinnen. Die Verteilung für die Präsidentschaftswahl 2004 gilt auch für die diesjährige Wahl. Die Neuverteilung wird nach der Volkszählung 2010 vorgenommen und kommt demzufolge bei der Wahl 2012 zum Tragen.

gen sollten. Heute gelten die Wahlmänner nach allgemeinem Verständnis als Vertreter des Wählerwillens. Zwar kann man sich weder auf eine Verfassungsvorgabe noch auf ein Bundesgesetz berufen, jedoch binden 27 Staaten die von ihnen entsandten Wahlmänner durch Gesetze (state laws) an den Wählerwillen. Mitunter geschieht dies auch durch ein bindendes Gelöbnis an die den jeweiligen Wahlmann nominierende Partei auf Einzelstaatenebene.

Kandidaten für das Wahlmännergremium

Nichtsdestotrotz brachen in der Vergangenheit einzelne Wahlmänner ihre Verpflichtung und stimmten für einen anderen Kandidaten. Sie ließen sich von Partei A für das Wahlmännergremium nominieren und wurden von den Wählern auch gewählt; dann aber stimmten sie für den Kandidaten der Partei B. Diese Wahlmänner werden als treulose (faithless oder unfaithful) Wahlmänner beunfaithful zeichnet. Verfassungsrechtler gehen davon aus, dass Wahlmänner auch nach ihrer Wahl verfassungsrechtlich unabhängige Agenten bleiben und so berechtigt sind, für jeden Präsidentschaftskandidaten abzustimmen, der die generellen Anforderungen erfüllt. Solche Fälle waren aber selten; im 20. Jahrhundert gab es einzelne „abtrünnige“ Wahlmänner: 1948, 1956, 1960, 1968, 1972, 1976 und 1988, und im Jahr 2000 einen leeren Stimmzettel. Der Ausgang der Präsidentschaftswahl wurde dadurch nicht beeinflusst.

Die Nominierung der Kandidaten erfolgt auf Einzelstaatenebene und ist abhängig von der jeweiligen politischen Partei. Die Mehrzahl der Bundesstaaten geht nach einer von zwei Methoden vor: in 34 Einzelstaaten werden die Kandidaten von Parteiversammlungen benannt, in 10 Staaten werden diese Kandidaten durch den Zentralausschuss (central committtee) der Partei ausgewählt. Die übrigen Staaten bedienen sich unterschiedlicher Methoden, so werden u.a. die Kandidaten von den Gouverneuren berufen, durch eine Vorwahl bestimmt oder von den Präsidentschaftskandidaten der Parteien ernannt.

Bindung der Wahlmänner Es wird von den Wahlmännern erwartet, für den Kandidaten zu stimmen, dessen Partei sie nominiert hat. Es gibt Hinweise darauf, dass die Gründungsväter davon ausgingen, dass die Wahlmänner unabhängig agieren und die Standpunkte der konkurrierenden Präsidentschaftskandidaten abwä-

Die Wahlen Am 4. November 2008 werden die Wahlmänner durch die Wähler gewählt. Am Montag nach dem zweiten Mittwoch im Dezember (15. Dezember Stadtforschung und Statistik 2/ 08


KAMPF UMS WEISSE HAUS 2008) kommen sie zur offiziellen Stimmabgabe in den Hauptstädten ihrer Bundesstaaten zusammen. Danach vertagt sich das Kollegium und ruht bis zur nächsten Präsidentschaftswahl. Die Wahlmännerstimmen werden nach Washington übermittelt, um dort während einer gemeinsamen Sitzung des Kongresses ausgezählt zu werden. Diese Zusammenkunft wird nach den diesjährigen Wahlen am 6. Januar 2009 erfolgen. Dem amtierenden Vizepräsidenten fällt hierbei eine wichtige Rolle zu: als Präsident des Senats öffnet er die versiegelten Wahlmännerstimmen der einzelnen Staaten in alphabetischer Ordnung und reicht diese an vier Stimmzähler weiter, jeweils zwei aus den beiden Kammern des Kongresses. Die Stimmen werden daraufhin gezählt und das Endergebnis vom Vizepräsidenten verkündet. Kann keiner der Präsidentschaftskandidaten die Mehrheit der Wahlmännerstimmen auf sich vereinen, sieht der 12. Zusatzartikel der Verfassung vor, dass die Wahl durch das Repräsentantenhaus entschieden wird. In diesem Fall wählt das Repräsentantenhaus den Präsidenten per Mehrheitsentscheid unter den drei Kandidaten aus, die die höchste Anzahl an Wahlmännerstimmen erhalten haben. Dabei stimmen die Abgeordneten nach Staaten ab, wobei jede Delegation eine Stimme hat. Erhält keiner der Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten die Mehrheit der Wahlmännerstimmen, entscheidet der Senat per Mehrheitsentscheid über den Vizepräsidenten, wobei sich jeder Senator für einen der beiden Kandidaten mit der größten Anzahl an Wahlmännerstimmen entscheiden muss. Stadtforschung und Statistik 2/ 08

Wähler, Wahlberechtigung, Wahlbeteiligung In den Vereinigten Staaten existiert kein nationales Wählerverzeichnis, daher müssen sich die Bürger und potentiellen Wähler zunächst registrieren lassen (register to vote). Die Registrierung findet jeweils am Wohnort statt, d.h. bei einem Umzug wird eine nochmalige Registrierung nötig. Das Registrierungsverfahren und die hierfür erforderlichen Aufenthaltsvorschriften und Registrierungsfristen unterscheiden sich von Bundesstaat zu Bundesstaat. In den vergangenen Jahren gab es Bemühungen, die Anforderungen für eine Registrierung zu vereinfachen. Das Bundesgesetz zur Wählerregistrierung (National Voter Registration Act Act) aus dem Jahre 1993 ermöglicht den Bürgern, sich bei Behördengängen gleichzeitig zu registrieren, zum Beispiel wenn sie einen neuen Führerschein beantragen. 2004 waren 72% der Bürger im wahlberechtigten Alter für die Wahlen registriert (2000: 70%). 126 Millionen gaben ihre Stimme während der Wahlen im November 2004 ab, d.h. 89% der registrierten Wähler nahmen an der Wahl teil (2000: 86%). 20% der Wähler gaben an, 2004 vor dem eigentlichen Wahltag ihre Stimme abgegeben zu haben – entweder durch Stimmabgabe in einem Wahllokal oder per Briefwahl. Bei der Registrierung und den Vorschriften zur Briefwahl bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesstaaten. Im Bundesstaat Ohio, der oft als Miniatur-USA bezeichnet wird, da seine demographische Struktur in etwa der

Wahlbeteiligung 2004 197 Mill. wahlberechtigte US-Bürger 142 (72%) registrierte Wähler 126 Mill. US-Bürger (89% der registrierten Wähler) wählten 65% der Frauen und 62% der Männer gaben ihre Stimme ab 70% der US-Bürger über 45 J. wählten 47% der 18 - 24-jährigen US-Bürger wählten Quelle: U.S. Census Bureau, Mai 2005 der USA entspricht, gelten folgende Bestimmungen: In Ohio ist Briefwahl ((Absentee Voting) ohne Angabe von Gründen möglich. Die Stimmabgabe findet im Wahlbüro des Landkreises statt und ist vom 35. Tag bis zum Tag vor der wahl möglich. Eine ID muss hierbei vorgelegt werden, jedoch werden unter Identification auch der Führerschein des Bundesstaates, ein Militärausweis, Bankunterlagen, aktuelle Gehaltsscheine

Help America Vote Act Im Jahr 2002 verabschiedete der 107. Kongress ein Gesetz, das den Wahlprozess vereinheitlichte (Help America Vote Act – HAVA, Public Law 107-252). Dieses Gesetz gilt für Wahlen auf Bundesebene und enthält u.a. folgende Elemente: Zum einen stellte die Regierung den einzelnen Staaten und Bezirken Geld zur Verfügung, um veraltete Lochkarten- und Hebelwahlmaschinen zu ersetzen. Zum anderen wurde eine Bundesbehörde, die US-Wahlhilfekommission (U.S. Election Assistance Commission – EAC) geschaffen, die den Wahlen eine nationale Ausrichtung verleiht, die örtlichen Wahlleiter fachlich unterstützt und allgemeingültige Normen für Wahleinrichtungen einführte. Die EAC besteht aus vier Mitgliedern – zwei Demokraten und zwei Republikanern, die vom US-Präsidenten ernannt und vom US-Senat bestätigt werden. Sie nahm ihre Arbeit Ende 2003 auf. Im Zuge des Help America Vote Acts wurden mehr als drei Milliarden Dollar an Bundesmitteln für die Verbesserung des Wahlverfahrens bereitgestellt. Des Weiteren verfügte HAVA, dass die Einzelstaaten eine zentralisierte Liste der registrierten Wähler erstellen und sicherstellen, dass Neuwähler, die sich auf dem Schriftweg registrieren lassen, eine ID vorweisen, bevor sie ihre Wahlstimme abgeben können. Darüber hinaus verabschiedeten in den vergangenen Jahren viele Bundesstaaten ihre eigenen Gesetze zur Wahlreform.

9


DREI JA DER STUDENTEN und jedes von einer amtlichen Stelle ausgestellte Dokument, das die aktuelle Adresse des Antragstellers bezeugt, gelistet. Die Voraussetzungen, um in Ohio zu wählen, sind u.a. die US-amerikanische Staatsbürgerschaft, die Vollendung des 18. Lebensjahres am oder vor dem Tag der Wahl, Ohio muss seit mindestens 30 Tagen der Wohnort des potentiellen Wählers sein, auch darf dieser bei der Antragstellung keine Haftstrafe absitzen. Zur Registrierung für die Wahlen muss in Ohio entweder der Führerschein oder ID des Bundesstaates vorgelegt oder eine

Sozialversicherungsnummer nachgewiesen werden. Jeder Bundesstaat bestimmt eigenverantwortlich über das Wahlrecht verurteilter Straftäter auf und legt auch die Anforderungen für eine Wiedererlangung des Wahlrechts fest. Die Wahlbeteiligung lag zu den Zwischenwahlen im Jahr 2006 bei 41 Prozent der Wahlberechtigten und 2004 bei 61 Prozent. Die Wahlbeteiligung liegt bei den Präsidentschaftswahlen also deutlich höher als bei den Zwischenwahlen. Erscheinen Personen in einem

Wahlbüro, deren Name nicht auf den Listen steht, so erhalten sie einen provisorischen Wahlzettel, um ihre Stimme abzugeben. Ihre Wahlberechtigung wird dann überprüft, bevor ihre Stimmen gezählt werden.

Dieser Artikel basiert in Teilen auf den Publikationen des Büros für internationale Informationsprogramme (IIP) im US-Außenministeriums. Weitergehende Informationen finden Sie unter: http://usa.usembassy.de/elections08/statistics.htm

Golf – Steine – Sand – und Bier

Drei Ja der Studenten Unbekannter Autor

Ein Philosophie-Professor nimmt einen großen Blumentopf und füllt ihn mit Golfbällen. Dann fragt er die Studenten, ob der Topf voll sei. Sie bejahen und der Professor schüttet Kieselsteine in den Blumentopf. Er bewegt den Topf sachte, sodass die Kiesel in die Leerräume zwischen den Golfbällen rollen. Daraufhin fragt er die Studenten, ob der Topf nun voll sei. Sie stimmen zu. Sofort schüttet der Professor Sand in den Topf. Der Sand füllt den kleinsten verbliebenen Freiraum. Ohne gefragt zu werden, sagen die Studenten zum dritten mal: Der Topf ist voll. Der Professor holt unter dem Tisch zwei Flaschen Bier hervor und schüttet es in den Topf. Die Studenten lachen.

10

Sodann erklärt der Professor: Verstehen Sie diesen Topf als Repräsentation Ihres Lebens. Die Golfbälle sind die wichtigsten Dinge in Ihrem Leben: Familie, Kinder, Freunde, Gesundheit. Also die Dinge, die so wichtig sind, dass Ihr Leben auch dann noch erfüllt wäre, wenn alle anderen Dinge nicht da wären. Die Kieselsteine symbolisieren die anderen, auch wichtigen Dinge, wie Arbeit, Haus, Auto. Der Sand ist alles andere, die vielen Kleinigkeiten. Wenn Sie zuerst den Sand in den Topf geben, ist kein Platz für Kieselsteine oder Golfbälle. Dasselbe gilt für ihr Leben: Wenn Sie alle Zeit und Energie in Kleinigkeiten investie-

ren, werden Sie nie Platz für die wichtigen Dinge haben. Achten Sie auf die wichtigen Dinge, spielen Sie mit Ihren Kindern, führen Sie Ihren Partner zum Essen aus. Es wird immer noch Zeit bleiben, um das Haus zu reinigen oder Pflichten zu erledigen. Achten Sie zuerst auf die Golfbälle, die wirklich wichtigen Dinge. Setzen Sie Ihre Prioritäten, der Rest ist nur Sand. „Und wofür steht in Ihrem Beispiel das Bier?“ fragt ein Student. Der Professor schmunzelt: „Gut, dass Sie das fragen. Es ist da, um Ihnen zu zeigen, dass, egal wie schwierig Ihr Leben auch sein mag, immer noch Platz ist für ein oder zwei Bierchen.“

Stadtforschung und Statistik 2/ 08


Das Warum und Wie eines neuen Darstellungskonzeptes in der Sozialstatistik

Das Problem Migrationshintergrund Gunter Brückner, Wiesbaden

Die amtliche Statistik in Deutschland behandelt den Themenbereich „Migration“ bislang überwiegend dadurch, dass sie ausgewählte demographische und sozioökonomische Daten aus dem Bereich der Sozialstatistiken nach der Nationalität bzw. der Staatsangehörigkeit der Betroffenen gegliedert darstellt. Dabei wird in aller Regel nur nach ‚deutsch‘ und ‚nicht-deutsch‘ unterschieden. Nur in ausgewählten Statistiken werden Merkmale für die ausländische Bevölkerung in einer tiefer gegliederten Darstellung nach der Staatsangehörigkeit ausgewiesen. Grundsätzlich werden Angaben für Deutsche mit einer zusätzlichen ausländischen Staatsangehörigkeit (Doppelstaatler) nicht gesondert ausgewiesen. Diese Darstellungsstandards haben sich aus mehreren Gründen als unzureichend herausgestellt. Dies liegt an der Vielschichtigkeit der Zuwanderung, die in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges stattgefunden hat.

Migration im NachkriegsDeutschland Die Zuwanderung von Ausländern begann 1956 mit der Anwerbung der ersten Gastarbeiter. Diese Zuwanderung dauerte mit Unterbrechungen Stadtforschung und Statistik 2/ 08

bis etwa 1978 an und wurde durch den Nachzug von Familienangehörigen abgelöst. Seit 1980 stieg die ausländische Bevölkerung vor allem durch die Aufnahme von Asylbewerbern oder Bürgerkriegsflüchtlingen an. 1960 wies (West-)Deutschland 690 000 registrierte Ausländer auf, bei der Wiedervereinigung 1999 waren es 5,0 Mio. im Westen und 191 000 in den Neuen Ländern. Der höchste Wert wurde 1996 mit 7,5 Mio. Ausländern erreicht, am Jahresende 2007 waren es noch 7,2 Mio. Neben der Zuwanderung von Ausländer erlebte Deutschland aber seit dem Ende des 2. Weltkrieges auch einen kontinuierlichen Zustrom von Menschen mit deutscher Staatangehörigkeit. Für die große Mehrzahl der der auf insgesamt 14 Mio. geschätzten Flüchtlinge und Vertriebenen in der Folge des 2. Weltkrieges war die Zuwanderung aber bereits 1950 abgeschlossen. Im Übrigen werden diese Vertriebenen und Flüchtlinge zumeist nicht mit der Migration im Nachkriegsdeutschland in Verbindung gebracht. Seither erfolgte jedoch auch weiterhin ein kontinuierlicher Zustrom von Aussiedlern und Spätaussiedlern, die nach amtlichen Angaben seit 1950 eine Gesamtzahl von 4,5 Mio. erreicht hat, von denen mehr als 2,6 Mio. zwischen

1988 und 1999, d.h. im Zusammenhang mit dem Fall des Eisernen Vorhangs, zugewandert sind. Es ist nicht bekannt, wie viele dieser zugewanderten Aus- und Spätaussiedler heute noch in Deutschland leben. Außerdem wurden in Deutschland seit 1950 etwa 4.4 Mio. Ausländer eingebürgert, 3.3 Mio. von ihnen zwischen 1990 und 2006. Es ist nicht bekannt, wie viele von diesen Eingebürgerten heute noch hier lebt. Schließlich müssen unter Migrationsgesichtspunkten auch die in Deutschland geborenen Kinder von (Spät-) Aussiedlern und von Eingebürgerten berücksichtigt werden. Sie sind zwar von Geburt an deutsch, stellen aber Kindergärten und Schulen – vor allem wegen der fehlenden Sprachkompetenz – vor große Herausforderungen. Ähnliches dürfte künftig auch für die seit dem Ausländergesetz 2000 nach dem Optionsmodell geborenen Kinder ausländischer Eltern gelten. Ihre Zahl wird auf jährlich 50 000 geschätzt. Die Betroffenen müssen sich vor Ablauf ihres 21. Lebensjahrs für eine Staatsangehörigkeit entscheiden; es lässt sich derzeit nicht annähernd abschätzen, ob ihre spätere Entscheidung für oder gegen die Deutsche Staatsangehörigkeit ausfallen wird.

Aussiedler

Ausländer

Doppelstaatler

11


DAS PROBLEM MIGRATIONSHINTERGRUND

Konsequenzen der Migration Über viele Jahre wurden die Konsequenzen aus der Migration für die Deutsche Gesellschaft nur ansatzweise thematisiert. In den letzten Jahren widmen sich jedoch Politik und Öffentlichkeit vermehrt dem ‚Integrationsbedarf’, der sich für Menschen aus anderen Kulturkreisen ergibt, wenn sie sich erfolgreich im Lebensalltag in Deutschland behaupten wollen. Sicher hat die Pisa-Studie nicht unerheblich zu dem beobachteten Bewusstseinswandel beigetragen. In dieser Studie war erstmals das Konzept des „Migrationshintergrunds“ verwendet worden, um Schüler mit fremden kulturellen Wurzeln ohne ausschließlichen Bezug auf ihre Staatsangehörigkeit zu identifizieren. Die Ergebnisse der Studie machten deutlich, dass die Schüler mit Migrationshintergrund besonderer Förderung bedürfen, wenn sie sich im schulischen Erfolg mit ihren Mitschülern ohne Migrationshintergrund messen wollen. Seither haben die Diskussion auf den bisherigen Integrationsgipfeln und die im Rahmen des nationalen Integrationsplans übernommenen Verpflichtungen erheblich zur Schärfung des Bewusstseins beigetragen. Es mag in diesem Zusammenhang auch hilfreich gewesen sein, dass das Statistische Bundesamt im Jahr 2006 erstmals Zahlen zur „Bevölkerung mit Migrationshintergrund“ in Deutschland veröffentlicht und damit eine empirische Grundlage für die einsetzenden Diskussionen geschaffen hat.

12

„Bevölkerung mit Migrationshintergrund“ Die damals vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Angaben beruhen auf Auswertungen des Mikrozensus. Im Jahr 2005 war das Frageprogramm grundsätzlich überarbeitet worden. Man hatte unter anderen eine Reihe von Fragen zu Zuwanderung, Staatsangehörigkeit und Einbürgerung aufgenommen und sich zusätzlich die Eigenschaft des Mikrozensus zunutze gemacht, als Haushaltsstichprobe z.B. auch Elterangaben zur definitorischen Abgrenzung von Personen heranziehen zu können. In Abstimmung mit verschiedenen Experten wurden die unterschiedlichen Anforderungen definiert, die eine Definition erfüllen muss, um die erforderlich allgemeine Akzeptanz zu erzielen. Es bestand Einvernehmen, dass • man sich nicht auf die Zugewanderten beschränken darf, sondern auch deren In Deutschland geborenen Nachkommen einbeziehen muss, • die bisher verwendeten Kategorien wie Ausländer, (Spät-)Aussiedler, und Eingebürgerte wo immer möglich auch innerhalb der neuen Abgrenzung erkennbar und identifizierbar sein sollen, • die Definition nicht ausufern darf, sondern die mit ihr abgegrenzte Teilbevölkerung zumindest theoretisch einen wie auch immer zu formulierenden potentiellen Integrationsbedarf haben muss. Außerdem war man an die gesetzlich festgelegten Erhebungsmerkmale des Mikrozensus gebunden, die kurzfristig nicht zur Disposition stehen.

Die Diskussionen endeten mit einem Definitionsentwurf, der sich innerhalb kurzer Zeit einer wachsenden Beliebtheit erfreute und der – entgegen ursprünglicher Erwartungen – überwiegend wohlwollend aufgenommen wurde und keinen erkennbaren konzeptionellen Diskurs auslöste. In dieser Definition zählen zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund a) alle Ausländer, unabhängig davon, ob sie zugewandert oder im Inland geboren sind, b) alle eingebürgerten ehemaligen Ausländer, unabhängig davon, ob sie zugewandert oder im Inland geboren sind, c) alle seit 1950 zugewandeten Deutschen, die ihre Staatsangehörigkeit nicht durch Einbürgerung erhalten haben, sowie d) alle im Inland Geborenen, die ihre deutsche Staatsangehörigkeit „durch Geburt“ erhalten haben, sofern sie zumindest einen Elternteil haben, der zu den drei vorigen Kategorien a) bis c) gehört. Die Kategorie c) umfasst Aussiedler und Spätaussiedler; allerdings sind bedingt durch rechtliche Regeln auch eine Vielzahl von Spätaussiedlern formal eingebürgert worden und ohne Zusatzkriterien nicht von sonstigen Eingebürgerten zu unterscheiden. Die zeitliche Abgrenzung dient dazu, (Spät)Aussiedler von Vertriebenen und Flüchtlingen des 2. Weltkrieges zu unterscheiden, die nach allgemeinem Verständnis nicht zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund zählen sollen, vor allem weil sein keinen Integrationsbedarf aufweisen, der auch nur annähernd mit dem der unter a) bis d) aufgeführten Bevölkerungsgruppen vergleichbar wäre. Stadtforschung und Statistik 2/ 08


DAS PROBLEM MIGRATIONSHINTERGRUND Die verwendete Definition weist keinen expliziten Bezug zur Einwanderergeneration auf. Man unterscheidet lediglich die erste (Zuwander-)Generation von der 2. und 3. Generation der im Inland geborenen Nachkommen dieser Zuwanderer. Diese Entscheidung wurde bewusst getroffen, da eine willkürfreie Zuordnung in vielen Fällen nicht möglich ist, etwa wenn die Eltern ihrerseits unterschiedlichen Einwanderergenerationen angehören.

große Mehrheit der in den letzten 15 Jahren Geborenen dürfte dies nicht mehr gelten. Kinder von Spätaussiedlern und die nach dem Optionsmodell geboren Kinder ausländischer Eltern sind bereits in der 2. Generation Deutsche durch Geburt. Damit endet für sie der Migrationshintergrund mit der 2. Generation, sofern nicht in Zukunft noch andere Einflüsse wirksam werden.

Als Leitlinie gilt vielmehr, dass ein „Deutscher durch Geburt“ zwar einen Migrationshintergrund haben kann, wenn seine Eltern bestimmte Bedingungen erfüllen, dass er aber diesen Migrationshintergrund nicht an seine Nachkommen weitergibt. Hierzu sind nur Ausländer und deutsche Zuwanderer in der Lage. Dies bedeutet implizit, dass bei den Gastarbeitern der ersten Generation die Bevölkerung mit Migrationshintergrund üblicherweise drei Generationen umfasst, weil die Kinder der Gastarbeiter weit überwiegend noch mit ausländischer Staatangehörigkeit geboren wurde und damit der Migrationhintergrund erst mit den Enkeln endet. Für die

2005 gab es in Deutschland 15,3 Mio. Menschen mit Migrationshintergrund; das waren 18,6% der Bevölkerung. Dabei überstieg die Zahl der 8,0 Mio. Deutschen mit Migrationshintergrund (9,7%) die Zahl der 7,3 Mio. Ausländer (8,9%) wahrnehmbar. Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund unterscheidet sich in einer Reihe von Merkmalen recht deutlich von jener ohne Migrationshintergrund: Sie ist jünger (Durchschnittsalter 33,8 gegenüber 44,9 Jahren), weitaus häufiger ledig (47,5% gegenüber 37,8%) und der Anteil der Männer unter ihnen ist höher (50,8% gegenüber 48,5%). Sie leben häufiger im früheren

Stadtforschung und Statistik 2/ 08

Erste Ergebnisse

Bundesgebiet (96,0% gegenüber 81,0%) und bevorzugt in Großstädten. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung war 2005 besonders hoch in Stuttgart (40,1%), Frankfurt am Main (39,5%) und Nürnberg (37,3%). Bei den unter 5jährigen lag der Anteil in 7 Großstädten über 60%, in Nürnberg (67,0%), in Frankfurt am Main (64,6%), Düsseldorf (63,9%) Stuttgart (63,6%), Wuppertal (62,0%) und Augsburg (60,2%).

Ende des Migrationshintergrundes

Die Zugewanderten stellten 2005 mit 10,4 Mio. knapp 70,0% der Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Diese hatten sich im Schnitt sein 18,5 Jahren in Deutschland aufgehalten und war bei der Einreise im Mittel 24,0 Jahre alt gewesen. Die im Inland geborenen Menschen mit Migrationshintergrund waren 2005 im Schnitt 16,1 Jahre alt. Die Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund unterscheidet sich noch in einer Reihe weiterer Merkmale erheblich; zumeist befinden sich dabei Menschen mit Migrationshintergrund in einer weniger vorteilhaften Position als jene ohne. Sie haben

Tab. 1: Bevölkerung nach Geschlecht und Migrationsstatus in den Jahren 2005 und 2006

13


DAS PROBLEM MIGRATIONSHINTERGRUND

Abb. 1: Bevölkerung nach Alter, Geschlecht und Migrationsstatus

häufiger keinen allgemeinen Schulabschluss (9,6% gegenüber 1,5%), keinen beruflichen Abschluss (39,0% gegenüber 23,2%), die 25- bis 65jährigen unter ihnen sind häufiger erwerbslos (13,3% gegenüber 7,5%) oder stehen als Nichterwerbstätige dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung (25,0% gegenüber 19,6%) – letzteres gilt vor allen für die Frauen (36,9% gegenüber 26,3%). Erwerbstätige Menschen mit Migrationshintergrund sind

häufiger als Arbeiter (47,6& gegenüber 25,9%) tätig als jene ohne Migrationshintergrund und erzielen im Mittel deutlich niedrigere Erwerbseinkommen.

Entwicklung im Zeitablauf Im April 2008 hat das Statistische Bundesamt die Ergebnisse des Mikrozensus 2006 zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund veröffentlicht. Mit

diesen Daten wird es erstmals möglich, zumindest ansatzweise die künftige Dynamik der Bevölkerungsentwicklung in ihren jeweiligen Teilbereichen zu analysieren. Die Ergebnisse sind in Teilbereichen auch für Experten überraschend. Tabelle 1 enthält die Ergebnisse im Detail. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass sich die Bevölkerungsstruktur im Zeitablauf verschieben wird. So geht die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund – vor allem altersbedingt – absolut und relativ zurück, während die Bevölkerung mit Migrationshintergrund absolut und relativ ansteigt. Allerdings betreffen die Veränderungen auch die Struktur innerhalb der Menschen mit Migrationshintergrund: Bei den Zuwanderern etwa ist ein deutlicher Rückgang bei den „Deutschen ohne Einbürgerung“ – einer Teilmenge der Spätaussiedler – zu beobachten. Dies dürfte u. a. die Folge von erfolgreichen Anwerbeversuchen einzelner Herkunftsländer sein, die sich darum bemühen, deutsche Spätaussiedler zurückzuholen. Die größten Änderungen ergeben sich aber bei den in Inland geborenen Deutschen mit Migrationshintergrund – also den Kindern von Spätaussiedlern, Eingebürgerten und den ius soli-Kindern von Ausländern. Letzteres lässt sich auch am Rückgang der Zahl der im Inland geborenen Ausländer ablesen. Dies ist nicht verwunderlich, gibt es doch seit etwa 2000 kaum mehr eine quantitative bedeutsame Zuwanderung. Der jährliche Zuzug von Spätaussiedlern stagniert auf dem Niveau von etwa 5 000, und die Zuwanderung von Ausländern liegt in etwa auf dem Niveau der jährlichen Einbürgerungen, d.h. bei 100 000

14

Stadtforschung und Statistik 2/ 08


IST IHNEN ETWAS AUFGEFALLEN? bis 120 000. Demgegenüber fallen natürlich die Geburten von Deutschen mit Migrationshintergrund ins Gewicht, die schon heute zwischen 25 und 35% aller Geburten ausmachen dürften. Der langfristige Bevölkerungsstruktur-Effekt ist dagegen ungleich schwerer abzuschätzen. Sollte der gegenwärtige Trend anhalten und es auch in Zukunft keine quantitativ bedeutsame Zuwanderung mehr gegen, dann wäre die Bevölkerung mit Migrationshintergrund eine temporäres Phänomen. Nach zwei bis spätestens drei Generationen hätte sich diese Bevölkerungsgruppe durch die Bevölkerungspyramide bewegt, und ab 2050 würden in Bevölkerungspyramiden bei den Nulljährigen wieder ausschließlich Menschen ohne Migrationshintergrund aufweisen. Eine Verstetigung des Anteils von Menschen mit Migrationshintergrund in der Zukunft setzt dagegen eine nachhaltige Zuwanderung nach Deutschland voraus. Hierfür gibt es

derzeit keinerlei Anhaltspunkte. Eine Zuwanderung dürfte sich erst vielmehr dann wieder einstellen, wenn sich Deutschland als Folge von Gewalt,

Terror oder Bürgerkriege in der Welt wieder dazu entschließt, Flüchtlinge aufzunehmen. Abb. 2: Bevölkerung mit Migrationshintergrund nach detailliertem Migrationsstatus

21%

Über Sta

tistik: Man sag t: „Wisse n versteck t sich.“ Dem mü ssen wir begegne n.

Ist Ihnen etwas aufgefallen? Martin Schlegel, Hagen Gefragt ist nicht, ob Ihr Chef sich verändert hat – mental oder jobmäßig. Das mag wichtig sein, das ist sogar wichtig, gehört aber nicht in diese Zeitschrift. Hier steht die Zahl im Vordergrund.

Stadtforschung und Statistik 2/ 08

In diesem Jahr sind Ihnen wieder viele Zahlen durch die Hand oder den Kopf gegangen. Solche, die Sie selbst erarbeitet haben, und solche, die aus der Feder anderer Leute stammen. Gute und schlechte, interessante und weniger interessante.

Fällt Ihnen zum Thema „Interessante Zahl“ etwas ein? Eine Zahl, von der Sie sagen: Das ist eine besondere Zahl! Die sollte die Zahl des Jahres 2008 werden. Wenn Ihnen eine solche Zahl aufgefallen ist, sagen Sie sie der Redaktion weiter.

Zahl des Jahres 2008

15


Eine heterogene Gruppe mit vielen Erfassungsproblemen

Menschen mit Migrationshintergrund in der Statistik Heike Diefenbach, Groß-Britannien, Anja Weiß, Duisburg

Das Selbstverständnis von Nationalstaaten ist historisch gewachsen. In Deutschland ging man traditionell davon aus, dass Staatsangehörigkeit und Nation in der „Volksnation“ weitgehend deckungsgleich sind (Brubaker 1994). Daher wurden migrationsbezogene Fragen und Probleme anhand der Unterscheidung zwischen Deutschen und Ausländern untersucht. Die Klarheit dieser bewährten Vorgehensweise wurde und wird durch mehreGrundlage dieses Aufsatzes ist das Gutachten für die Stadt München

16

re Entwicklungen unterlaufen: Zum einen kam es zu einer kontinuierlichen Zuwanderung, die – getreu dem Selbstverständnis der Volksnation – nicht in eine entsprechende Zahl an Einbürgerungen mündete. So leben mehrere Millionen „Ausländer“ in der zweiten oder gar dritten Generation in Deutschland. Auch erhalten hier geborene Kinder legal in Deutschland lebender Eltern mittlerweile die Option auf die deutsche Staatsangehörigkeit. Soweit diese Kinder weiterhin migrationsbezogene Besonderheiten aufweisen, wie das z.B. bei fremdsprachigen Herkunftsfamilien der Fall ist, wäre es sinnvoll, einen Hinweis auf ihren Migrationshintergrund zu haben. Da diese Kinder bis zum 18. Lebensjahr als deutsche Staatsbürger behandelt werden, sind sie aber ebenso wie Eingebürgerte statistisch nicht „erkennbar“. Dieser Effekt war und ist bei einer Reihe von Personen, wie z.B. Spätaussiedlern politisch erwünscht. Spätaussiedler machten während der 1990er Jahre den größten Teil der „echten“ Neuankömmlinge aus. Dadurch lassen sich die klassischen Probleme von Neuzuwanderern aber bei der größten Zahl der seit 1990 neu eingewanderten Migranten und Migrantinnen gar nicht mit einem Ausländerstatus in Verbindung bringen.

Die Erfassung der Bevölkerungsteile mit „Migrationshintergrund“ über die Staatsangehörigkeit geht also an den empirischen Realitäten und politischen Entwicklungen vorbei. So werden Integrationserfolge unsichtbar, wenn z.B. die besseren Schüler häufiger eingebürgert werden, so dass die Schulabschlüsse der verbliebenen „Ausländer“ niedriger scheinen, als dies für alle Kinder ihrer Migrationsgeneration und Altersgruppe der Fall wäre. Wir klären im Folgenden, mit welchen Dilemmata eine Erfassung des Migrationshintergrundes konfrontiert ist und welche sozialen Sachverhalte unter der Überschrift „Migrationshintergrund“ behandelt werden. Positivbeispiele aus der nationalen (z.B. Mikrozensus ab 2005) und internationalen Statistik sowie das Für und Wieder einzelner Indikatoren werden in einer längeren Fassung dieses Textes diskutiert.1 Dieser Beitrag geht abschließend auf einige zentrale Indikatoren ein und schlägt vor, welche Arten von Migrationsbevölkerung sinnvollerweise unterschieden werden können und sollen.

1. Probleme und Dilemmata Eine statistische Erfassung von Menschen mit Migrationshintergrund ist mit einigen ProbleStadtforschung und Statistik 2/ 08


MENSCHEN MIT MIGRATIONSHINTERGRUND IN DER STATISTIK men und Widersprüchlichkeiten konfrontiert, die sich nicht auflösen lassen: Seit der Entstehung von Nationalstaaten in der Neuzeit kommt es immer wieder zu Definitionskämpfen darüber, wer „Migrant(in)“ ist (Weiß 2001). Wenn die Statistik Daten erzeugen will, die längerfristig vergleichbar sind, kommt sie nicht umhin, auf die allgemein geläufigen Begriffe und Bezeichnungen zurückzugreifen. Wir plädieren dafür, neben rechtlichen Kategorien, die spezifisch für einzelne Nationalstaaten oder Bundesländer sind und die sich schnell und häufig ändern, Konstrukte zu erheben, die international vergleichbar und etwas „unpolitischer“ sind. Dabei ist z.B. an den Geburtsort der Eltern zu denken, die eigene Migrationserfahrung oder an das alltägliche Sprechen von Fremdsprachen. „Menschen mit Migrationshintergrund“ sollen u.a. deshalb statistisch erfasst werden, weil sie den Staat vor besondere Anforderungen stellen und/ oder weil sie in besonderem Maße Nachteile gegenüber Menschen ohne Migrationshintergrund haben. Oft erfassen gerade die Indikatoren, die am zweckmäßigsten erscheinen, beides: die Migrationserfahrung und den aus ihr resultierenden Förder- oder Integrationsbedarf. Wenn man Menschen mit Migrationshintergrund z.B. darüber definiert, dass diese in ihrer Familie eine Minderheitssprache sprechen, wird damit bereits eine „Abweichung“ benannt, die z.B. schulpolitisches Handeln erfordern kann. Wenn man einen Migrationshintergrund implizit mit Defiziten verbindet, begibt man sich jedoch in einen Teufelskreis, denn diejenigen Menschen mit Migrationshintergrund, die z.B. die MehrStadtforschung und Statistik 2/ 08

heitssprache sprechen und die von daher keine politische „Problembewältigung“ erfordern, verschwinden aus der Statistik.2 Es empfiehlt sich daher, die statistische Erfassung von „Menschen mit Migrationshintergrund“ klar von der Diagnose eines Förderbedarfs zu trennen. Eine ähnliche Problematik ist aus der Perspektive der „Betroffenen“ zu konstatieren. Offiziell dient eine Erfassung des Migrationshintergrundes der Förderung der Integration. Häufig machen Menschen ohne deutschen Pass aber die Erfahrung, dass die Frage nach ihrem Rechtsstatus mit der Aberkennung von Rechten verbunden ist. Wenn eine Behörde ohne einsichtigen Grund fragen würde, ob jemand Muslim(a) ist, könnte das angesichts aktueller Mediendiskurse als stigmatisierend empfunden werden. Der Sinn von Fragen für die jeweilige Behörde sollte daher für die Befragten unmittelbar einsichtig sein, und die Fragen bzw. die Datenerfassung sollten nicht stigmatisierend wirken. Grundsätzlich stellt sich die Frage, wann eine Unterscheidung zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund notwendig und sinnvoll ist. Auch wenn eine Definition und Operationalisierung von „Menschen mit Migrationshintergrund“ gelingen und breit überzeugen sollte, handelt es sich um eine in sich ausgesprochen heterogene Gruppe, die nur gemeinsam hat, dass in ihrem Leben – oder dem Leben ihrer Vorfahren – eine Ländergrenze überschritten wurde. Es kann sein, dass es sich um Menschen handelt, die unabhängig von der Migration arm oder reich, ungebildet oder gebildet, vereinsamt oder sozial integriert

oder politisch desinteressiert oder interessiert sind. Wenn es um die empirisch beobachtbare Schlechterstellung von Menschen geht, wird man im Regelfall viele Aspekte bedenken müssen, die nur teilweise in inhaltlichem Zusammenhang mit dem Migrationshintergrund einer Person stehen.

Definitionskampf: Wer ist Migrant?

2. Dimensionen des Migrationshintergrundes Was ist eigentlich gemeint, wenn man von „Ausländern und Ausländerinnen“, „Migranten und Migrantinnen“ oder auch „Menschen mit Migrationshintergrund“ spricht? Schon in diesen wenigen Begriffen sind inhaltlich ganz verschiedene Aspekte angesprochen: der Rechtsstatus, eine bestimmte geographische Mobilität in der Lebensgeschichte, die (Selbst-) und Fremdwahrnehmung einer familiären Besonderheit und das Geschlecht. Wir gehen im Folgenden auf fünf Aspekte ein, die in Deutschland oder anderen Ländern für die Definition von Migrationsbevölkerungen verwendet werden.

5 Aspekte zur Definition

Nationalität und ethnische Gruppe Der öffentliche Diskurs über Migration und häufig auch die Migrationsforschung betonen die Besonderheiten von Nationalstaaten und teilweise auch von ethnischen Minderheiten, die über keinen eigenen Staat verfügen. Dabei wird implizit unterstellt, dass alle Menschen, die auf einem Territorium leben und die die entsprechende Staatsbürgerschaft besitzen und Sprache sprechen, eine gemeinsame Geschichte und Kultur teilen, die sie einander ähnlich werden lassen. Migranten 17


MENSCHEN MIT MIGRATIONSHINTERGRUND IN DER STATISTIK

Staatsangehörigkeit plus Sprache

Zentrales Kriterium: Geburtsort

18

und Migrantinnen stellen in dieser Vorstellung von Nationalität eine Anomalie dar, weil sie aus einer solchen nationalen Gemeinschaft in eine andere wandern, man sie also nicht mehr klar zurechnen kann. Oft ist dann die Rede von „Türken in Deutschland“ oder auch nur von „Türken“. Die Analyse einer spezifischen Nationalität ist einerseits grob und andererseits sehr speziell. Grob ist die Verwendung von spezifischen Nationalitäten, weil z.B. Menschen mit türkischer Staatsangehörigkeit unter sich je nach Sozialstatus, ethnischer und religiöser Zugehörigkeit mindestens so heterogen sind wie Deutsche. Über die Zeit und in der Migration verändert sich der „Inhalt“ der Nationalität. Man denke an die „Deutschen“ in den USA, die ihre Kinder „Heidi“ nennen. Allerdings ist die Benennung von Nationalitäten angebracht, wenn man eine spezifische Migrationsgeschichte und deren Selektivität beschreiben will. Die Türken und Türkinnen, die im Zuge der Gastarbeiteranwerbung nach Deutschland gingen, hatten in der Türkei einen anderen sozioökonomischen Status, und sie fanden in Deutschland andere Integrationsangebote vor als ihre Landsleute, die zum Studium in die USA auswanderten. Die spezifische Migrationsgeschichte zwischen zwei Ländern beeinflusst die Chancen der jeweiligen Migrationsbevölkerungen, kann dann aber nicht auf alle Menschen aus der Türkei überall auf der Welt verallgemeinert werden. Meist trägt die Erhebung der Nationalität aber eher zur Stereotypenbildung denn zur Erfassung von Personen mit Migrationshintergrund bei. Die Aspekte des Migrationsgeschehens, die für eine öffentliche

Verwaltung bedeutsam sind, können präziser über andere Konstrukte erfasst werden. Wenn man Nationalität für differenzierte Analysen benötigt, die eine besondere Migrationsgeschichte abbilden sollen, ist eine Kombination des Indikators Staatsangehörigkeit mit der im Privatleben bevorzugt gesprochenen Sprache zu empfehlen.

Familiärer Migrationshintergrund Migration wird im Unterschied zu Mobilität als längerfristige Verschiebung des Lebensmittelpunktes über eine nationalstaatliche Grenze hinweg definiert. Im Verlauf einer Migration werden eine ganze Reihe von Faktoren wirksam, die den Lebensverlauf und die Chancen von Personen beeinflussen: Fast immer ist ein Umzug erforderlich, der bei einer Migration in der Regel über eine größere Distanz erfolgt als bei innerstaatlicher Mobilität. Es kommt zu einer Umstellung zwischen nationalen Institutionensystemen (die z.B. im Bildungssystem zu Problemen bei der Anerkennung von Bildungstiteln führen kann). Oft ist eine kulturelle und soziale Distanz zu überwinden, und Migranten und Migrantinnen müssen eine neue Sprache benutzen, was den Zugang z.B. zu Arbeitsplätzen erschweren kann. Je nach dem Umfang der Migration zwischen zwei Ländern oder Sprachgemeinschaften finden Zuwanderer ethnische „communities“ vor Ort vor, die ihnen den Übergang erleichtern können. An den Formulierungen „meist“, „oft“, „fast immer“ wird schon erkennbar, dass die genannten Schwierigkeiten nicht immer auftreten. Man denke beispielsweise an die

Migration zwischen Österreich und Deutschland. Dennoch kann man annehmen, dass der Wechsel des Lebensmittelpunktes über nationale Staatsgrenzen hinweg den zentralen Indikator dafür darstellt, ob geographische Mobilität soziale Folgen hat. Ein familiärer Migrationshintergrund ist von eigener Migrationserfahrung zu unterscheiden. Eine familiäre Migrationsgeschichte wirkt sich nur dann sozial aus, wenn sich der Integrationsprozess – wie in vielen Fällen weltweit – über mehrere Generationen erstreckt. Kinder von Migranten und Migrantinnen müssen keinen Umzug bewältigen, und im Regelfall verfügen sie über einheimische Bildungsabschlüsse, Dokumente etc. Es kann aber sein, dass sie die Mehrheitssprache nicht, weniger oder mit Akzent beherrschen oder dass sie mit negativen Zuschreibungen konfrontiert sind. Diese Überlegungen sprechen dafür, auch die familiäre Migrationsgeschichte zu berücksichtigen, wobei je nach lokaler Situation nur die zweite Herkunftsgeneration oder weitere Herkunftsgenerationen erfasst werden.3 Die Erhebung der Migationserfahrung z.B. über den Geburtsort im Ausland sollte für die Bestimmung des Migrationshintergrundes zentral sein. Sinnvoll ist auch die Frage nach dem Zuzugsjahr bzw. nach dem Alter bei der Zuwanderung sowie nach dem Migrationshintergrund von Vater und Mutter. Die Definition des familiären Migrationshintergrundes sollte in jedem Fall beide Elternteile berücksichtigen.

Rechtsstatus und rechtliche Exklusion Für den Migrationshintergrund ist nicht nur wichtig, ob und Stadtforschung und Statistik 2/ 08


MENSCHEN MIT MIGRATIONSHINTERGRUND IN DER STATISTIK wann man eine nationalstaatliche Grenze überschritten hat. Entscheidend ist auch, unter welchen rechtlichen Bedingungen dieser Wechsel vollzogen wurde und ob eine ausländerrechtliche Sonderstellung lange und womöglich bis heute angehalten hat. Das betrifft zum einen die Staatsangehörigkeit, die über den Zugang zu politischen Rechten und damit die Möglichkeit der politischen Partizipation entscheidet. Außerdem ist der ausländerrechtliche Status wichtig, über den eine Person verfügt. Eine Integrationsmessung, die feststellt, dass Personen arbeitslos sind, die als Asylbewerber oder Geduldete (fast) nicht arbeiten dürfen, würde sich selbst ad absurdum führen. Zu bedenken ist aber auch, dass ein langes Verweilen in einem ausländerrechtlich nachteiligen Status dauerhaft negative Auswirkungen auf die Integrationschancen hat. Wenn es in Erhebungen nicht möglich ist, den Rechtsstatus umfassend zu erheben, wäre darüber nachzudenken, ob neben dem Jahr der Einreise ggf. das Jahr der Einbürgerung und das Jahr berücksichtigt wird, in dem ein gleichberechtigter Rechtsstatus durch Niederlassungserlaubnis bzw. vor 2005 durch eine Aufenthaltsberechtigung erreicht wurde.

Identität Der Identität einer Person liegt ihre Selbstidentifikation mit bestimmten sozialen Kategorien zugrunde. Zwar bildet sich die Identität in Auseinandersetzung mit Fremdzuschreibung und damit auch in Auseinandersetzung mit denjenigen Kategorien (z.B. Akzent, Aussehen, religiöse Symbole), über die die Person Stadtforschung und Statistik 2/ 08

von anderen Personen eingeordnet wird. Jedoch heißt dies nicht automatisch, dass die Person diese Merkmale oder Kategorien als für sich relevant akzeptiert. Zum Beispiel kann sich ein Kind eines deutschen und eines chinesischen Elternteils, das in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, gänzlich mit Deutschland identifizieren und sich als „Deutsche“ fühlen, während andere es aufgrund seiner äußerlichen Erscheinung als „Chinesin“ kategorisieren. Die Identifikation mit bestimmten sozialen Kategorien ist für Personen handlungsleitend. Daher kann sie ebenso wichtig oder sogar wichtiger für ihre soziale Position sein, wie „objektivere“ Merkmale, also z.B. Staatsangehörigkeit oder Migrationserfahrung. In vielen Fällen kollidiert die Frage nach der Selbsteinschätzung mit den Bedürfnissen von Verwaltungen. Wenn nach der Selbsteinschätzung gefragt wird, dann sollte dies in Kombination mit Fragen nach anderen Merkmalen erfolgen (vgl. Teil 3). Es kann sinnvoll sein, einige häufige bzw. für die Verwaltung relevante Antwortkategorien vorzugeben und durch die Kategorie „Sonstige“ (gegebenenfalls erweitert durch „Welche?“ als offene Frage) zu ergänzen. Mittel- und langfristig erscheint uns die Frage nach der Selbsteinschätzung aber ausgesprochen wichtig.

Minderheiten- und Diskriminierungserfahrung Wenn Migration im öffentlichen Diskurs problematisiert und bestimmte Gruppen als defizitär stigmatisiert werden, verändert sich schleichend die Art der „Integrations“-Proble-

matik. Während am Anfang eines Migrationsgeschehens Übergänge zwischen den Institutionensystemen etc. zweier Länder bewältigt werden müssen, werden später die Kindeskinder von Migrationsbevölkerungen als ethnische Minderheiten konstruiert und häufig auch diskriminiert. Aus diesem Grund erfassen „alte“ Einwanderungsländer nicht die 3., 4. oder 5. Generation mit familiärem Migrationshintergrund, sondern die Zugehörigkeit zu ethnischen Minderheiten. Hier geht es darum, welche von anderen wahrgenommenen Merkmale einer Person, wie z.B. die Hautfarbe oder ein Akzent, die Basis für eine Zuordnung dieser Person zu einer Minderheit sind, oder – weitergehend – die Basis für diskriminierendes Verhalten gegenüber dieser Person darstellen bzw. wie groß das Ausmaß der Diskriminierung dieser Person gegenüber ist. Merkmale, die eine Person als Migranten, als Angehörigen einer ethnischen oder kulturellen Minderheit ausweisen, sind aus dieser Perspektive also nicht als solche relevant für deren Lebenslage oder Lebenschancen, sondern dann, wenn sie Grundlage für diskriminierendes Verhalten gegenüber der Person sind (Weiß 2001).

Ethnische Minderheit

Selbsteinschätzung

Eine Erfassung von Menschen mit Migrationshintergrund über deren Diskriminierungserfahrungen ist für die amtliche Statistik nicht zu empfehlen, zumal die Statistik damit Gefahr läuft, selbst Diskriminierungserfahrungen zu erzeugen. Diejenigen Ämter oder Abteilungen innerhalb einer Verwaltung, deren Auftrag es ist, sich speziell mit Gleichstellung und Antidiskriminierung zu beschäftigen, sollten aber auf jeden Fall alle 19


MENSCHEN MIT MIGRATIONSHINTERGRUND IN DER STATISTIK Personen als Zielgruppe erfassen, die von Diskriminierung betroffen sind.

3. Zusammenfassende Empfehlungen

Auskunft zur Identität

Zentral: ausländischer Geburtsort

„Migrationshintergrund“ beinhaltet viele Aspekte, die für die amtliche Statistik von Belang sein können. „Menschen mit Migrationshintergrund“ sollten in der amtlichen Statistik möglichst so definiert werden, dass die Definition über die Grenzen von Kommunen und Bundesländern hinweg und möglichst auch international vergleichbar ist. Integrationserfolge sollten sichtbar bleiben und die Definition sollte längerfristig aussagekräftig sein. Die meisten amtlichen Daten werden ohne inhaltlichen Bezug zum Thema „Migration“ erhoben. Es hat sich jedoch als sinnvoll erwiesen, zumindest eine Variable zum Migrationshintergrund mitzuführen, da so für verschiedene Themenbereiche grob geprüft werden kann, ob Menschen mit Migrationshintergrund anders betroffen sind als die sonstige Wohnbevölkerung. Wir plädieren dafür, einen ausländischen Geburtsort zum zentralen Kriterium für einen Migrationshintergrund zu machen. In der flächendeckenden amtlichen Statistik wäre also zu prüfen, ob eine Person im Ausland geboren ist oder nicht. Vorteilhaft ist am Geburtsort im Ausland Ausland, dass der Indikator international häufig angewendet wird. Spätaussiedler können relativ gut identifiziert werden bzw. man kann sichtbar machen, dass eine Person aus dem Ausland zugewandert ist, unabhängig davon, ob es sich um Spätaussiedler oder andere Zuwanderer handelt. Außerdem wird dieses Merkmal ohnehin in den amtlichen

20

Daten erhoben. Wenn man nur einen einzelnen Indikator erheben kann, ist der Geburtsort im Ausland empfehlenswert. Für die zukünftige Ausgestaltung amtlicher Statistiken wären u.E. vor allem über den Einbezug der folgenden weiteren Indikatoren nachzudenken: Staatsangehörigkeit, Aufenthaltsdauer und Identität. Gerade hinsichtlich der Identität müssen aber neue Wege der Erfassung entwickelt und erprobt werden. Zum Beispiel könnte man im Anschluss an den Geburtsort fragen: „Ihre Meldedaten besagen, dass Sie (oder einer Ihrer Eltern) in [Land der Geburt] geboren sind. Daher könnten Sie als [Angehörige(r) dieses Landes] eingeordnet werden. Sehen Sie sich auch so? (Falls nicht?) Wie würden Sie ihre Zugehörigkeit benennen?” Bei dieser Frageformulierung handelt es sich um eine Übersetzung und Adaption einer niederländischen Frageformulierung (Reinsch 2000: 244), die in Deutschland zunächst einem Praxistest unterzogen werden müsste. Die Frage müsste auch bei in Deutschland geborenen Personen gestellt werden, wenn man alteingesessene ethnische Minderheiten (jüdische Deutsche, Afrodeutsche, Sinti und Roma) erfassen möchte. Ein Vorteil dieser Frageformulierung ist es, dass viele Befragte eine Übereinstimmung ihrer Selbstdefinition mit dem „objektiven“ Merkmal „Ort der Geburt“ feststellen werden, so dass die so gewonnenen Daten eine Kodierung offener Antworten nur für diejenigen notwendig werden lassen, deren Selbstdefinition nicht mit der „amtlichen Sichtweise“ übereinstimmt. Bei diesen Bürgern und Bürgerinnen ist es aber umso wichtiger, die Selbstdefinition mit zu erfas-

sen, da hier deutlich werden kann, dass nationale Bevölkerungen in sich nicht homogen sind. Ein weiterer Vorteil ist darin zu sehen, dass den Betreffenden explizit die Gelegenheit zur Selbstdefinition auch im Unterschied zur amtlichen Zuordnung gegeben wird. Damit werden Bürgerrechte gestärkt, obwohl inhaltlich Klassifikationen erhoben werden, die auf einen symbolischen Ausschluss aus der Gemeinschaft der Staatsbürger verweisen können. Im Durchgang durch die Dimensionen von Migrationshintergrund und einigen wichtigen Indikatoren ist v.a. eines deutlich geworden: Migrationsbevölkerungen sind in sich heterogen und die Fragen, die die amtliche Statistik adressiert, wenn sie „Menschen mit Migrationshintergrund“ erfasst, sind komplex. Dennoch wollen wir die Frage, wie Menschen mit Migrationshintergrund in der amtlichen Statistik erfasst werden können, möglichst konkret beantworten. In Weiterentwicklung einer Typologie von Hoffmeyer-Zlotnik (2003; siehe auch Lambert 2005: 269) schlagen wir eine Unterteilung der Gesamtbevölkerung in sechs Gruppen vor. Ein Vorteil dieser Typologie ist die Kombination objektiver Indikatoren für einen Migrationshintergrund mit ethnischer Identität. Letztlich genügen u. E. also zwei Indikatoren um eine relativ aussagekräftige (und international vergleichbare) Typologie zu erstellen.

Literatur: Brubaker, Rogers (1994). StaatsBürger. Deutschland und Frankreich im historischen Vergleich. Hamburg: Junius. Hoffmeyer-Zlotnik, Jürgen H. P. (2003). „How to measure race Stadtforschung und Statistik 2/ 08


ZEIT IST GELD and ethnicity.“ In: Jürgen H. P. Hoffmeyer-Zlotnik and Christof Wolf (Hg.). Advances in CrossNational comparison. A European Working Book for Demographic and Socio-Economic Variables. Dordrecht: Kluwer, S. 267-277. Lambert, Paul S. (2005). „Ethnicity and the comparative analysis of contemporary survey data.“ In: Jürgen H. P. Hoffmeyer-Zlotnik and Janet A. Harkness (Hg.). Methodological aspects in cross-national research. Mannheim: ZUMA, S. 259-277. Reinsch, Peter (2000). Measuring immigrant integration. Diversity in a Dutch city [Proefschrift ter verkrijging van de graad van doctor aan de Universiteit Utrecht, Nederlands]. Amsterdam: Peter Reinsch. Weiß, Anja (2001). Rassismus wider Willen. Ein anderer Blick auf eine Struktur sozialer Ungleichheit. Westdeutscher Verlag: Opladen.

Anmerkungen 1

Der Beitrag geht auf das Gutachten „Menschen mit Migrationshintergrund. Datenerfassung für die Integrationsberichterstattung“, das von den Autorinnen für das Statistische Amt und die Stelle für interkulturelle Arbeit der Landeshauptstadt München / Sozialreferat 2006 erstellt wurde. Das Gutachten kann von www. muenchen.de/interkult Rubrik Publikationen heruntergeladen werden.

2

3

Hinzu kommt, dass viele Personen, die zu Hause eine Minderheitensprache sprechen, auch die Mehrheitssprache beherrschen und dass man auch die Einsprachigkeit von Institutionen als Defizit ansehen kann wie dies z.B. Gogolin (1994) tut. Es sei aber auch daran erinnert, dass es in Einwanderungsländern wie Kanada unsinnig erscheint, Menschen, die im Land mit kanadischer Staatsbürgerschaft geboren sind, überhaupt von der Mehrheitsbevölkerung zu unterscheiden.

Über Statistik:

Zahlen sind wie Wein: Es dauert eine Weile bis zur Reife, dann sollte man wohldosiert damit umgehen.

„Be first but the first right!“

Zeit ist Geld Martin Schlegel, Hagen Als Israel Beer Josaphat kam er 1816 in Kassel zur Welt, als Julius Reuter starb er 1899 in Nizza. Dazwischen unternahm er viel. Zuerst erlernte er das Bankgeschäft, doch die kaufmännische Vorsicht der Banker war nicht sein Ding. Er versuchte sich an mehreren anderen Projekten, bei denen er aber nicht den erhofften Erfolg verbuchte. Dann stieß er auf das Metier, deren Wert andere nicht erkannten, das ihn fortan sein Leben lang fesselte – und ihn reich werden ließ: Informationen, schnelle Informationen. In der Telegraphenlinie Berlin – Paris klaffte zwischen Aachen Stadtforschung und Statistik 2/ 08

und Brüssel eine Lücke, diese 150 km mussten anders überwunden werden. Während andere hier der Bahn vertrauten, setzte er Brieftauben ein und war so 5 Stunden schneller als die Konkurrenz. Er ließ die Postdampfer von den USA nach England vor Irlands Küste abpassen. Helfer auf den Schiffen warfen wichtige Nachrichten in wasserdichten Kanistern über Bord, wo sie aufgefischt wurden, um sie nach London zu telegrafieren. Der Zeitgewinn war Bares wert. Julius Reuter wusste, worauf es im Geschäft ankam:

„Be first but the first right!“ Für ihn hieß das: Sei der Erste und der Erste, der Richtiges berichtet. Schnell und richtig, dieses Doppelpack erzeugt ein anderes Duo: Vertrauen und Gewinn. Hinsichtlich der Richtigkeit würde Julius Reuter, der Begründer der weltumspannenden Nachrichtenagentur, uns Statistiker loben. Bei der Schnelligkeit hätte er sicher noch eine Reihe von Tipps parat. Quelle: Uwe Jean Heuser, John F. Jungclaussen (Hg.): Schöpfer und Zerstörer – Große Unternehmer und ihre Momente der Entscheidung, Rowolth, 2004 21


Bessere Daten über eine wichtige Gruppe

Jeder 3. Hagener mit Migrationshintergrund Uwe Schubert, Hagen

Verwaltungsinterne und -externe Anfragen nach Bevölkerungszahlen beinhalten meistens auch die Frage nach der Zahl der in Hagen lebenden Ausländer. Ging es dabei früher tatsächlich noch um Ausländer, also um Personen mit einer nichtdeutschen Staatsangehörigkeit, ist der Focus inzwischen in Richtung Personen mit Migrationshintergrund verschoben. Die Frage nach der Ausländerzahl war von uns immer leicht zu beantworten. Beispielsweise lautet die Antwort für den 30.06.2007: 27100 Ausländer, womit sie 13,8 % der Hagener Bevölkerung stellen.

22

Bei der Frage nach dem Migrationshintergrund mussten wir lange Zeit passen und auf die Zukunft verweisen. Aber mit der Einführung von MigraPro ist die Schwachstelle gestopft. Zwar mussten wir einige Manpower investieren, denn es mussten trotz der in Stuttgart geführten Referenzdatei Geburtsort/Geburtsland 30 000 im Hagener Melderegister gefundene Geburtsorte manuell um den jeweiligen Länderschlüssel ergänzt werden. Aber der Aufwand hat sich gelohnt, ergänzen die aufbereiteten Daten doch das Bild der Stadt Hagen um ein wichtiges Detail. Die erste verlässliche Auswertung zum Stand 30.6.2007 erbrachte für Hagen ca. 65 000 Personen mit Migrationshintergrund. Neben den klassischen Ausländern waren dies Eingebürgerte und Aussiedler, sowie Minderjährige mit mindestens einem Elternteil mit Migrationshintergrund. Damit verfügte jeder Dritte der 197 000 Hagener über einen Migrationshintergrund. Bei 41,7 % fußt der Migrationshintergrund auf einer ausländischen Staatsangehörigkeit, bei 32,6 % auf dem Aussiedlerstatus und bei 27,7 % auf einer Einbürgerung, wobei die minderjährigen Kinder der jeweiligen Gruppe zugeordnet wurden. Die Population mit Migrationshintergrund ist spürbar jünger als die ohne. So ist der Anteil Jüngerer bei den Personen mit

Migrationshintergrund doppelt so groß (30 % zu 15 %). Dagegen lauten die entsprechenden Anteile bei den Senioren 16 % zu 33 %. Ein Blick auf Geburtsort und Geburtsland zeigt, dass 36 % der Migranten bereits in Deutschland zur Welt gekommen sind (33 % sogar in Hagen). Danach folgen Polen (21,3 %) und die Türkei (12,8 %). Weil viele Migranten einer schlechter bezahlten Arbeit nachgehen und sie nur einen geringen Teil ihres Einkommens für Miete aufbringen wollen oder können, ist von einer annähernd gleichmäßigen Verteilung über das Stadtgebiet nicht zu sprechen. So gibt es Quartiere mit einem Migrantenanteil von deutlich über 60 %, denen Bezirke mit einem Anteil von weniger als 10 % gegenüberstehen. Für die städtische Politik ist dies noch einmal die Aufforderung, ihre Integrationsbemühungen zu verstärken und zu optimieren. Nach der Veröffentlichung der wichtigsten Ergebnisse in den Hagener Monatszahlen, begleitet von einer Pressemitteilung, kam es zu einer ausführlichen Berichterstattung in der Hagener Presse. Auch die Hagener Verwaltungsstellen fragten die Zahlen ab. An erster Stelle das Kulturamt, dass die Daten ausgezeichnet für das laufende Projekt Interkultur verwenden kann. Stadtforschung und Statistik 2/ 08


Große oder kleine Lösung bei der statistischen Erfassung?

Einwohner mit Migrationshintergrund Roland Richter, Duisburg

“Wie viele Einwohner mit Migrationshintergrund haben wir in Duisburg“? Diese Frage – eine der Häufigsten, die in letzter Zeit an die Statistik gerichtet worden sind – wird in der Regel von einer selbstverständlichen Hoffnung und Erwartung an eine valide, registergestützte, interkommunal vergleichbare Antwort begleitet. Dass sofort die Nachfrage folgt: „Was verstehen Sie denn unter einem Migranten?“, führt in der Mehrzahl der Fälle zumindest zu Irritationen, wenn nicht gar zu Kopfschütteln über das vermeintliche Unvermögen kommunaler und amtlicher Statistik.

Definitions- und Messprobleme Tatsächlich aber sind viele Bemühungen um eine statistische Erfassung der betreffenden Bevölkerungsteile immer auch schon begleitet worden von Definitions- und Messproblemen (hier stellvertretend: Härle 2004; Statistisches Bundesamt 2006; Siegert 2006; neuerdings: Diefenbach/Weiß 2007). Die Frage lautet dabei m. E. nicht nur: „Was ist denn unter „Einwohnern mit Migrationshintergrund“ zu verstehen“ und „Wie erhalte ich eine aussagekräftige, interkommunal vergleichbare Statistik“ sondern auch (an der Planungs- und Entscheidungspraxis orientiert): „Zu welchen Zwecken benötige ich entspreStadtforschung und Statistik 2/ 08

chende Informationen“ und folgerichtig dann: „Wie komme ich an handhabbare und nachvollziehbare Zahlen?“ Im Sozialbericht 2007 der Stadt Duisburg wurden die statistischen Informationen erstmals um den Indikator „Bevölkerung mit Migrationshintergrund“ erweitert. Es sind registerbasierte Informationen, die die Duisburger Einwohnermeldedatei und die anhängenden Verfahren für einen Ausweis der „Einwohner mit Migrationshintergrund“ zurzeit zur Verfügung stellen können. Bei 500.914 Einwohner mit Hauptwohnsitz in Duisburg (Stand: 31.12.2005) wird deutlich, dass knapp ein Drittel aller Duisburgerinnen und Duisburger (31,7 %) eine „Zuwanderungsgeschichte“ aufweist. Dies sind – erst einmal – handhabbare und nachvollziehbare Zahlen für Duisburg. Sie sind das Ergebnis eines objektiven Auszugs aus einem Register, das – wie das Duisburger Einwohnermelde-Verfahren – noch gar nicht auf das „Phänomen“ Migration eingestellt und vorbereitet ist. Zum gleichen Zeitpunkt weisen die Ergebnisse des Mikrozensus 2005 (vgl. Statistisches Bundesamt 2006) für die Duisburger Bevölkerung einen Anteil der Personen mit Migrationshintergrund zwischen 20% bis unter 30% aus. Beide angewandten Verfahren bilden also die „Wirklichkeit“ zumindest unterschiedlich ab. Insgesamt präsentiert das Duisburger Ver-

fahren zurzeit ein nur ungenügendes Abbild der Realität.

Probleme der großen Lösung… In den laufenden Versuchen einer bundesweit einheitlichen, interkommunal vergleichbaren statistischen Erfassung eines möglichen Migrationshintergrundes („Große Lösung“) werden vor allem folgende Probleme offenbar: 1. Die vom Statistischen Bundesamt im Mikrozensus 2005 realisierte, umfangreiche qualitative Definition und quantitative Beschreibung der Migration in Deutschland (vgl. Statistisches Bundesamt 2006: 321ff.) ist – zumindest seitens der Duisburger Kom-

Probleme der großen Lösung

Abb. 1: Einwohner mit Migrationshintergrund in Duisburg 2005

23


EINWOHNER MIT MIGRATIONSHINTERGRUND munalstatistik – nur schwer handhabbar. Statistische Informationen über die 2. bzw. 3. Generation sind z.B. aus dem normalen Registerverfahren nur schwer bis gar nicht erhältlich.

Migrationshintergrund = Integrationsbedarf

Spätaussiedler bringen Probleme

2. Wenn angedacht ist, dass mit der Anzahl der „Einwohner mit Migrationshintergrund“ gleichzeitig auch die Anzahl der „Einwohner mit Integrationsbedarf“ identifiziert werden können, ergibt sich die Notwendigkeit einer Auswahl an Staatsangehörigkeiten, die landläufig keiner Integrationsanstrengungen bedürfen (Österreicher, Schweizer, US-Amerikaner, Kanadier, West- bzw. Nordeuropäer, etc.). Dies gilt gleichzeitig für entsprechende Doppelstaatsangehörige. 3. Spätaussiedler lassen sich nur schwer identifizieren. Wenn ihre Übersiedlung nicht mit einem Staatsangehörigkeitswechsel (Einbürgerung) vor Ort einhergeht oder sich Spätaussiedler durch einen zweiten Pass „verraten“, sind sie nur als Deutsche identifizierbar. Darüber hinaus stellt sich hier das Problem, dass sich viele Spätaussiedler der 2. oder 3. Generation bzw. Spätaussiedler, die bereits längere Zeit hier sind, nicht als „Migranten“ betrachten.

… und Lösungsansätze

Duisburger Leitfaden

24

Definitions- und Messproblemen versucht man in der Kommunalstatistik durch den Aufbau einer standardisierten Schlüsseldatei „Ausländische Geburtsorte“ zu entgehen (z.B. MigraPro (Stuttgart), DWH

(Köln)). Darüber hinaus bietet die KOSIS-Haushaltsgenerierung demnächst eine „HHSTAT zertifizierte Definition zum Migrationshintergrund“ und eine daran orientierte Version eines Bestanddatensatzes an (vgl. hierzu Lindemann 2008). In Kombination mit „MigraPro“ ermöglicht die Haushaltsgenerierung demnächst die Identifikation eines persönlichen Migrationshintergrundes durch die Merkmale: Staatsangehörigkeit, weitere Staatsangehörigkeit, Zuzugsherkunft, ausländischer Geburtsort, Art der deutschen Staatsangehörigkeit. Alle aus dem Melderegister zur Verfügung stehenden Informationsquellen sollen damit berücksichtigt sein (solange es das jeweilige Melderegister zulässt). Aber auch hier liegen m.E. Probleme vor, die aus der Sichtweise eines relativ mechanischen, statistikorientierten Registerabgleich resultieren: Eine 3. Generation, die oftmals mit höheren Integrationsanforderungen einher geht, dürfte hier nicht angesprochen sein. Nach wie vor existieren Staatsangehörigkeiten, die nicht zum Kreis der Bevölkerung gehören, denen Integrationsmaßnahmen zugedacht sein könnten. Auch hier existieren Zeitschranken, vor oder hinter denen eine Zuwanderung keine Zuwanderung mehr ist, vor oder hinter denen eine Einbürgerung ihren Merkmalsstatus verliert. Und wir stehen letztlich auch hier vor dem Problem, dass eine Orientierung an eventuellen Selbsteinschätzungen der angesprochenen Bevölkerungsteile oft zu anderen Ergebnissen führen würde. Eine Statistik der „Einwohner mit Migrationshintergrund“ wird sich auch auf absehbare Zeit mit Definitions- und Mess-

problemen konfrontiert sehen. Als Instrument einer validen, objektiven, interkommunal vergleichbaren statistischen Erfassung dieser Bevölkerungsgruppe können bisherige Versuche (noch) nicht dienen. Doch: Die Bedeutung einer statistischen Erhebung der „Einwohner mit Migrationshintergrund“ bemisst sich auch und vor allem an ihrer Rolle als wichtige anwendungsorientierte Entscheidungsinformation für städtische Planungen, beispielsweise in den Bereichen Soziales, Wohnen, Jugend, Kinder, Bildung etc.. Hier können „Kleine Lösungen“ weit eher und schneller helfen.

Duisburgs Weg Für eine vorausschauende und zielorientierte Migrations- und Integrationsarbeit in Duisburg sind Daten und Informationen über Personen mit Migrationshintergrund eine notwendige Voraussetzung. Um finanzielle und personelle Ressourcen adäquat und effizient einsetzen zu können, müssen auch die Integrationsdefizite in diversen, integrationsrelevanten Bereichen ermittelt werden. Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel der Stadt, (praxis- und anwendungsorientiert) die Zuwanderungsgeschichte der „Kunden“ der verschiedenen städtischen Dienststellen zu erfassen. Das Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik (LDS) NRW macht dies seit kurzer Zeit auch bei allen Schulen des Bundeslandes, indem über jeden Schüler – über die üblich vorhandene Schulstatistik hinaus – ein kurzer Erhebungsbogen ausgefüllt werden muss. Der in Duisburg nun vorgeschlagene, in ausgesuchten Verwaltungs- und Kundenbereichen einsetzbare Abfrageleitfaden orientiert sich Stadtforschung und Statistik 2/ 08


EINWOHNER MIT MIGRATIONSHINTERGRUND größtenteils an der Vorlage des LDS. Die in Frage kommenden Bereiche für die Erhebung sind vorerst die sozialen, integrationsrelevanten Tätigkeitsfelder: Sozialhilfe, Wohnungsversorgung, Kinder, Jugend, Bildung, Ausbildung, Senioren, Behinderte, Beschäftigungsförderung, Frauen und Mädchen, Wirtschaftsförderung. Mit dem von städtischen Stellen in Zusammenarbeit mit dem Referat für Integration erarbeiteten, kurzen Erhebungsleitfaden (siehe Entwurf) soll in den betreffenden Dienststellen das Merkmal „Migrationshintergrund“ der Kunden geklärt werden. Um Missverständnissen auf Seiten der Befragten vorzubeugen, wird ein mehrsprachiges Merkblatt erstellt, in der die Notwendigkeit dieser kurzen Abfrage erläutert wird. Weiterhin ist eine zusätzliche Aufklärung durch die städtischen Mitarbeiter mit entsprechenden Sprachkompetenzen angedacht. Die anfänglich beschriebene „Große Lösung“ lässt bundesweit noch einige Zeit auf sich warten. Ein neues Einwohnermeldeverfahren, das zum Jahresende 2008 in Duisburg seinen Betrieb aufnehmen wird, könnte bald Abhilfe schaffen. Bis dahin müssen dringende Informationen für alle Handelnde und Planende bereitgestellt werden. Im Hinblick auf die zeitliche, soziale und räumliche Erhebungssituation vor Ort repräsentiert die vorgestellte „Kleine Lösung“ das kurzfristig Machbare. Darüber hinaus führt das N.U.R.E.C. Institute Duisburg (Network for Urban Research in the European Union) im Auftrag der Stadt Duisburg die erste Duisburger Befragung zur Integration von Zuwanderern durch. Mit diesem gemeinsam vom Amt für Stadtforschung und Statistik 2/ 08

Statistik, Stadtforschung und Europaangelegenheiten und dem Referat für Integration verantworteten und aus Fördermitteln des Landes NRW finanzierten Umfrageprojekt soll Rechenschaft über den Stand und die Probleme der Integration unterschiedlicher Bevölkerungs- und Zuwanderergruppen abgelegt werden.

Statistisches Bundesamt, 2006: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus 2005. Fachserie 1 Reihe 2.2. Wiesbaden

Duisburger Abfrageleitfaden „Migrationshintergrund“

Literatur Diefenbach, H./Weiß, A., 2007: Menschen mit Migrationshintergrund in der Statistik. Eine heterogene Gruppe mit vielen Erfassungsproblemen. in: Stadtforschung und Statistik 2008 (II). Dollinger, B., 2008: Monitoring als kommunalstatistische Aufgabe. Vielzweckinstrument Monitoring: Informieren und Dokumentieren. in: Stadtforschung und Statistik 2008 (I). Europäisches Forum für Migrationsstudien, Manuel Siegert (Verf.), 2006: Integrationsmonitoring – State of The Art in internationaler Perspektive. Studie im Auftrag des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) Nürnberg. Universität Bamberg Härle, J., 2004: Personen mit „Migrationshintergrund“ – ein neuer Begriff und seine Operationalisierung. in: Stadtforschung und Statistik 2004 (I). Lindemann, U., 2008: MigraPro: Instrument zur Information über Migrationshintergrund. in: KOSIS Verbund, Neues vom KOSIS-Verbund Nr. 02/2008, Nürnberg Netzwerk Migration in Europa e.V. (Hrsg.), 2008: Migration und Bevölkerung. Newsletter 4. Online unter: www.migration-info.de

Insofern aus den Individualdaten der Migrationshintergrund der befragten Person nicht zu entnehmen ist, weiter mit:

25


Ableitung des Migrationshintergrunds mit Hilfe des Geburtsortes

MigraPro: Ein großer Schritt Utz Lindemann, Stuttgart

Referenzdatei der Geburtsorte

Problem: Namensgleiche Orte

Abbildung 1

26

Der Migrationshintergrund kann nicht direkt aus dem Melderegister in Statistikdateien übernommen werden. Das Merkmal muss abgeleitet werden. Ziel ist dabei, neben dem zu ersetzenden Indikator „Ausländeranteil“ ein Verfahren zur Ableitung des Indikators „Migrationshintergrund“ zu erarbeiten, das auf der überregional vorhandenen standardisierten Statistikdatei aufsetzt und zu überregional vergleichbaren Ergebnisse kommt. Mit MigraPro steht ein Verfahren bereit, das aus verschiedenen, im Statistikdatensatz Bevölkerungsbestand vorhandenen Datenfeldern den Zuwanderungs-/Migrationshintergrund einer Person ableitet. Wichtigstes Indiz ist dabei die Lage des Geburtsortes. Da der Ort nur als Klartextangabe in die Statistikdatei übernommen werden kann, muss er zunächst verschlüsselt werden. Das Programm unterstützt die Verschlüsselung der Geburtsorte und leitet dann den Migrationshintergrund und das Bezugsland (ehemalige Staatsangehörigkeit eingebürgerter Deutscher bzw. Herkunftsland der Aussiedler) ab. Für die Verschlüsselung der Geburtsorte

ist eine Referenzdatei aufgebaut worden, die derzeit ca. 160 000 Einträge erhält und von den Städten, die das Programm einsetzen, fortgeschrieben wird.

Wie verschlüsselt MigraPro die Orte? Im Idealfall sind Geburtsorte von Ausländern, die im Ausland liegen, gemäß „DS Meld Blatt 0603“ bereits im Einwohnermelderegister mit einem Gebietsschlüssel versehen. Dort vorhandene Einträge werden dann in die Statistik Bevölkerungsbestandsdatei übernommen. In der Praxis fehlt aber noch ein beträchtlicher Teil der Gebietsschlüssel der Geburtsorte im Ausland oder vorhandene Schlüssel sind falsch. Mit MigraPro werden im Programmpunkt „Einwohnerbestand umschlüsseln“ die Klartextangaben der Geburtsorte in der Bestandsdatei mit den in der Referenz enthaltenen Geburtsorten abgeglichen. Fehlt der Gebietsschlüssel des Geburtsorts im Einwohnerbestand, wird er aus der Referenz übernommen. Schon im Bestand vorhandene Schlüssel werden beim Verschlüsselungslauf mit

der Referenz abgeglichen. Weichen Bestand und Referenz voneinander ab, wird der im Bestand vorhanden Schlüssel überschrieben und der Datensatz protokolliert. Nicht in jedem Fall ist es aber sinnvoll, den im Bestand vorhandenen Schlüssel zu überschreiben. Namensgleiche Orte im Ausland, wie St. Johann in Österreich (151), könnten so einen Inlandsschlüssel, hier von St. Johann in Baden-Württemberg (08415093), erhalten. Um dies zu unterbinden, können in einer weiteren Datei Gemeindenamen einschließlich Gebietsschlüssel vorgegeben werden, deren Schlüssel nicht verändert werden sollen. Geburtsorte, die noch nicht verschlüsselt sind und in der Geburtsortereferenz noch fehlen, werden zur weiteren Bearbeitung in die Referenzdatei aufgenommen. Diesen Geburtsorten muss in einem weiteren Arbeitsgang manuell ein Gebietsschlüssel zugeordnet werden. Dies wird von MigraPro unterstützt. Enthält die Bestandsdatei verschlüsselte Geburtsorte, die in der Referenz fehlen, werden diese Geburtsorte samt Gebietsschlüssel in die Referenz übernommen.

Stadtforschung und Statistik 2/ 08


MIGRAPRO: EIN GROSSER SCHRITT Wie im Beispiel der Abbildung 1 zu ersehen, wird dem Ort ohne Gebietschlüssel der Schlüssel 134 für Griechenland zugewiesen. Dieser kann vom schon vorhandenen, aber anders geschriebenen Ort übernommen werden. In der Regel können 80 Prozent der fehlenden Schlüssel auf diese Weise zugeordnet werden.

Wie wird der Hintergrund abgeleitet? Das Merkmal Migrations-/Zuwanderungshintergrund wird in zwei Varianten nachgewiesen. Zunächst wird der persönliche Migrationshintergrund einer Person abgeleitet. Dabei werden im Bevölkerungsbestand die Datenfelder „Erste Staatsangehörigkeit“, „Zweite Staatsangehörigkeit“, „Zuzugsherkunft“, „Art der deutschen Staatsangehörigkeit“ und die „Lage des Geburtsorts“ mit weiteren Bedingungen kombiniert und analysiert. Das Merkmal „Art der deutschen Staatsangehörigkeit“, das vor allem die „Optionseinbürgerungen“ eindeu-

Stadtforschung und Statistik 2/ 08

tig ausweist, kann allerdings nur richtig umgesetzt werden, wenn die Verschlüsselung der Ausprägungen den Vorgaben der Datensatzbeschreibung entspricht. Um den persönlichen Migrationshintergrund dann noch nach Ausländern, Einbürgerungen und Aussiedlern unterscheiden zu können, sind weitere Bedingungen zu erfüllen. So erhalten Personen, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, keinen Migrationshintergrund. Im Ausland geborene Deutsche können aber theoretisch Migrationshintergrund erhalten. Die Fallzahlen sind hier aber so gering und können aus statistischer Sicht vernachlässigt werden. Da persönliche Daten von Kindern, die in Deutschland geboren sind, selten Hinweise auf einen Migrationshintergrund enthalten, wird ergänzend die Situation im Haushalt analysiert. Hat mindestens ein Elternteil einen Migrationshintergrund, übernehmen Kinder unter 18 Jahren als familiären Migrationshintergrund den Migrationshintergrund der El-

tern. Da für die Zuweisung des Migrationshintergrunds bei Kindern vereinbarungsgemäß ein Elternteil mit Zuwanderungshintergrund reicht, wird ergänzend nachgewiesen, ob es sich um einen „einseitigen“ Migrationhintergrund handelt, d.h. nur ein Elternteil hat Migrationshintergrund, oder um einen „zweiseitigen“ Migrationshintergrund. Dieser setzt Migrationhintergrund bei beiden Elternteilen oder von einem Elternteil bei Alleinerziehenden voraus. Kinder, die einen persönlichen Migrationshintergrund haben, weil sie z.B. im Ausland geboren sind, deren Eltern aber keinen Migrationshintergrund haben, übernehmen als familiären Migrationshintergrund auch den der Eltern, d.h. sie verlieren den Migrationshintergrund, weil es sich zum Beispiel um Diplomatenkinder handelt.

Was bedeutet „Bezugsland“

Persönlicher Migrationshintergrund

Zusätzlich: Situation im Haushalt

In den Statistik-Bewegungsdaten stehen für die Auswertung der Wechsel der Staatsangehörigkeit die neue und die alte

27


MIGRAPRO: EIN GROSSER SCHRITT Staatsangehörigkeit zur Verfügung. Im Einwohnerbestand gibt es nur die aktuelle Staatsangehörigkeit und eventuell eine weitere Staatsangehörigkeit. In den meisten Fällen ist nicht mehr erkennbar, welchem Kulturkreis die eingebürgerte Person angehört hat. Mit der Ableitung eines Bezugslands wird versucht dies zu reproduzieren. Dazu werden, wie schon bei der Ableitung des Zuwanderungshintergrunds, die Datenfelder Abbildung 2

„Erste Staatsangehörigkeit“, Zweite Staatsangehörigkeit, „Lage des Geburtsortes“ und „Zuzugsherkunft“ durchgescannt. Der Gebiets- oder Staatsangehörigkeitsschlüssel, der dort gefunden wird, wird zum Bezugsland. Dabei werden alle Personen eines Kernhaushaltes gemeinsam betrachtet. Wenn sich im gesamten Kernhaushalt kein gültiger Schlüssel finden lässt, wird „unbekannt“ verschlüsselt.

Auswertungen mit MigraPro Die Ergebnisse aus MigraPro werden in die Statistikdatei Bevölkerungsbestand zurückgeschrieben. Als neue Datenfelder stehen für jede Person folgende Angaben zur Verfügung • der persönliche Migrationshintergrund • der familiäre Migrationshintergrund / Zuwanderungshintergrund HHSTAT • das Bezugsland • der Migrationstyp des Kindes • der Gebietsschlüssel für jeden Geburtsort – auch für Geburtsorte in Deutschland Der Migrationshintergrund wird mit folgenden Ausprägungen nachgewiesen: 1. Ausländer 2. Einbürgerung 3. Aussiedler 4. Einwohner ohne (erkennbaren) Migrationshintergrund Die Zahl der Aussiedler oder die Zahl der Einbürgerungen kann allerdings nur nachgewiesen werden, wenn alle Geburtsorte mit einem exakten Gebietsschlüssel versehen worden sind. Ist bei der Lage des Geburtsortes nur zwischen Inland und Ausland unterschieden worden, sind die Auswertemöglichkeiten stark eingeschränkt – der Migrationshintergrund kann aber erkannt werden. Die wichtigste Information, die Zahl der Personen mit Migrationshintergrund, wird aus dem neuen Merkmal „Zuwanderungshintergrund HHSTAT“ als Summe der Ausprägungen „Ausländer“ „Einbürgerungen“ und „Aussiedler“ ermittelt. In Stuttgart haben aktuell 38,3 Prozent der Einwohner einen Zuwanderungshintergrund. Seit dem Jahr 2000 hat sich die-

28

Stadtforschung und Statistik 2/ 08


MIGRAPRO: EIN GROSSER SCHRITT ser Anteil um knapp 3 Prozentpunkte erhöht, hauptsächlich durch den Anstieg der Zahl der Einbürgerungen und der nicht im gleichen Umfang gesunkenen Zahl der Ausländer. In der nebenstehenden Alterspyramide (Abb. 2) kann die Verteilung der Personen mit Migrationshintergrund ergänzend mit den Ausländern nach Alter verglichen werden. Besonders bei den ab dem Jahr 2000 Geborenen ist der Rückgang der Zahl der Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit bei etwa gleich bleibender Zahl von Personen mit Zuwanderungshintergrund erkennbar. Deutlich wird aber auch, dass in den unteren Jahrgängen Kinder mit Migrationshintergrund dominieren. In den hier dargestellten Einbürgerungen sind die „Optionseinbürgerungen“ enthalten. In amtliche Einbürgerungsstatistiken gehen diese erst ein, wenn spätestens vor Vollendung des 23. Lebensjahres die deutsche Staatsangehörigkeit bestätigt worden ist. Die Information „Person mit Migrationshintergrund“ kann mit der „Lage des Geburtsorts“ kombiniert werden. Aus dieser Kombination kann ermittelt werden, ob die Person mit Migrationshintergrund im Inland oder im Ausland geboren ist und so der Typ „mit eigener Migrationserfahrung“ (in Stuttgart 68 % der Personen mit Migrationshintergrund) oder „ohne eigene Migrationserfahrung“ in gebildet werden. Vergleiche dazu auch die vorbildlichen Ausführungen von Wiesbaden, die mit den vorhandenen Ableitungen reproduziert werden können. Der „Zuwanderungshintergrund HHSTAT“ ist weitestgehend mit den Ergebnissen des Mikrozensus vergleichbar. In Stuttgart unterscheiden sich Stadtforschung und Statistik 2/ 08

die Ergebnisse nur um einen Prozentpunkt. Auch beim Mikrozensus übernehmen Kinder ohne persönlichen Zuwanderungshintergrund den Zuwanderungshintergrund der Eltern, wenn mindestens ein Elternteil Migrationshintergrund hat. In der Kommunalstatistik ist die Eltern-Kind-Beziehung allerdings nur bis unter 18 Jahren verfügbar. Anwender sehen dies aber durchweg als positiv an, wenn Personen ohne eigene Migrationserfahrung diesen Status mit 18 Jahren verlieren.

Abb. 3

Abb. 4

Spezielle Auswertungen Auf der Basis des Bezugslands können Ländergruppen zusammengefasst werde, die gemeinsam betrachtet werden sollen. So ist bei den eingebürgerten Personen schnell zu beantworten, welcher Staatsangehörigkeit sie wahrscheinlich vor der Einbürgerung angehört haben. (Abb. 3) An den Stuttgarter Daten zeigt sich, dass einerseits die als ehemalige Gastarbeiter stark vertretenen Gruppen die Hitliste anführen oder unter den ersten 10 zu finden sind. Die ehemaligen Gastarbeiter haben an den Ausländern lange Zeit einen Anteil von etwa 80 Prozent gehabt. Anderseits sind auch die Nachbarstaaten oder die USA oder der Iran, aus dem viele Asylbewerber nach Deutschland gekommen sind, weit vorn zu finden. Bei der Herkunft der Aussiedler dominieren ganz stark die Staaten der ehemaligen Sowjetunion, wobei Kasachstan und die Russische Föderation allein jeweils mehr ein Drittel der ehemaligen Sowjetunion stellen. (Abb. 4) Gruppiert man die Personen mit Zuwanderungshintergrund

Abb. 5

nach ehemaligen Anwerbeländern, nimmt das ehemalige Jugoslawien in Stuttgart noch immer eine führende Stellung ein. Dies ist nicht überraschend, da seit Ende der 60erJahre in Stuttgart die meisten Ausländer aus Jugoslawien gekommen sind. Erst nach dem Zerfall Jugoslawiens haben Türken diesen Platz eingenommen. (Abb. 5) Nach diesem Muster lassen sich noch zahlreiche Gruppierungen nach anderen Kriterien durchführen. So kann ich mir die Gruppe der arabisch sprechenden Zuwanderer oder die der „westlichen Welt“ zusammenstellen. 29


DORTMUNDS WEG ZUM STATISTIKATLAS

Fazit Viele Erkenntnisse und kleinräumige Daten

Zusammen mit den Einwohnern mit ausländischer Staatsangehörigkeit (127 000) leben weitere 100 000 Personen in Stuttgart, die selbst, oder deren Eltern einen Zuwanderungs-

hintergrund haben. Besonders durch die Berücksichtigung des Merkmals Geburtsort sind die Personen mit Zuwanderungshintergrund besser als mit jedem anderen Merkmal zu erkennen. Dieser Erkenntnisgewinn rechtfertigt den Aufwand

der dauerhaften Erschließung des Geburtsortes als weiteres Merkmal für die Statistik, vor allem, wenn man berücksichtigt, dass Auswertungen für die planende Verwaltung auf kleinräumiger Ebene zur Verfügung gestellt werden können.

Statistische Daten im Geografischen Informationssystem

Dortmunds Weg zum Statistikatlas Ernst-Otto Sommerer, Dortmund

INSPIRE

30

Geografische Informationssysteme (GIS) bauen auf einem differenzierten elektronischen Kartenwerk auf, das in der Regel von den Vermesser zur Verfügung gestellt wird. Diese Daten werden als Geobasisdaten bezeichnet, da nur sie die räumliche Verortung der Sachdaten ermöglichen, die über einen Raumbezug verfügen. Statistische Daten erfüllen diese Voraussetzung in aller Regel. In der Sprache der Vermessung bzw. des sich daraus entwickelten Geodatenmanagements heißen diese Fachdaten denn auch folgerichtig Geofachdaten. INSPIRE, eine EU-Richtlinie zur Vereinheitlichung von Geodaten und deren europaweite Bereitstellung bis zum Jahr 2012 standardisiert diese Begrifflichkeiten – ohne natürlich die dahinterliegenden Feinheiten bspw. des Datenschutzes oder des Statistikgeheimnisses immer ausreichend zu würdigen. Es gibt seit längerer Zeit karto-

grafische Tools, die der Statistik immer ausgereicht haben, ihre Daten zu präsentieren. Wir alle kennen diese Karten, deren Teilflächen entsprechend einer aussagekräftigen Skala farblich gekennzeichnet sind. Diese Form der Präsentation unserer Daten ist hier nicht gemeint, sondern die Vermittlung statistischer Informationen über die erweiterten Möglichkeiten eines gesamtstädtischen, fachübergreifenden GIS. Ein solches Informationssystem verfügt als Basis über digitalisiertes Kartenmaterial in unterschiedlichen Maßstäben und entsprechende technische Möglichkeiten, Teilräume zu bilden und als Layer aufzunehmen. Da ein Adressbezug vorgesehen ist, können Daten auch adressenscharf oder aggregiert auf Teilräume flexibel dargestellt werden, sofern sie als adressbezogene Daten vorliegen. Dies eröffnet der Informationsbildung völlig neue Felder – bis hin zur dynamischen

Verknüpfung von operationalen Daten des Controllings mit den Instrumenten des Geodatenmanagements. Das ist aber alles nicht neu, etliche Städte bieten ihren Fachbereichen statistische Informationen flexibel auf digitalen Karten an. Es ist jedoch immer wieder eine Frage des Einstiegs, der in aller Regel nicht alleine geschafft werden kann.

Auch kleine Schritte führen zum Ziel, … Nachdem man in Dortmund schon länger mit MapInfo – in den meisten deutschen Städte sind (vergleichbare) ESRI-Produkte im Einsatz – Erfahrungen gemacht und Themenkarten hergestellt hatte, wollten wir einen Statistikatlas herstellen. Er sollte gängige Merkmale zur kleinräumigen Beschreibung abbilden, die kommentiert und mit Daten hinterlegt werden. Die Karten wurden mit MapInfo hergestellt. Und während Stadtforschung und Statistik 2/ 08


DORTMUNDS WEG ZUM STATISTIKATLAS zunächst die 37 Bestands- und 35 Bewegungsindikatoren mit Excel für die 170 Statistischen Unterbezirke berechnet und weitergegeben wurden, wird dieses zukünftig unmittelbar aus der DB2-Datenbank, dem zentralen Datenspeicher des Fachbereichs Statistik heraus geschehen. Das Ergebnis war der Dortmunder Statistikatlas 2007. Er verfügt über • die vorgenannten Themenkarten samt Kommentierung, • einer Beschreibung der eingesetzten Indikatoren, • den zugrundegelegten Daten in Tabellenform und • einem besonderen Teil mit Stadtbezirkskarten und –informationen. Man kann die 188 Seiten ausdrucken – nur sind sie dann nicht mehr handlich zu verwenden. In digitaler Form kann man anhand der Verlinkungen sicher von Thema zu Thema wechseln, ohne den Faden zu verlieren und sich so einen schnellen räumlichen Überblick über unterschiedliche Strukturen verschaffen. Der Atlas wird kostenlos angeboten und kann unter der Adresse http://www. statistik.dortmund.de heruntergeladen werden.

… die Begehrlichkeiten beginnen … Vor dem Hintergrund der Bemühungen, ein fachübergreifendes Geodatenmanagement aufzubauen, begann vor rd. 4 Jahren ein kleine Gruppe, in der auch die Statistik vertreten ist. Diese Gruppe soll Projekte erarbeiten, die auf das Geodatenmanagement zurückgreifen und dieses mit einem entsprechenden Mehrwert nutzen. Der Aufbau des Verwaltungsatlas ist eines dieser Projekte. Er Stadtforschung und Statistik 2/ 08

firmiert unter dem Begriff Doris-Web (Dortmunder Rauminformationssystem – webbasiert) und ist derzeit nur als Intranetlösung zu erreichen. Man findet dort neben den Basiskarten der Vermessung eine Vielzahl anderer Layer, von der Verteilung der Altenheime, über Altlastenkarten und Kartenmaterial des Tiefbauamtes auch das Aufmarschgebiet der Loveparade 2008. Da der Statistikatlas erstmalig Kartenmaterial in derart hoher Konzentration breit in der Verwaltung streuen konnte, bestand sehr schnell das Interesse, diese Daten auch in den Verwaltungsatlas zu integrieren. Dies geschah dann auch zügig, wenngleich seitens der Statistik Bedenken bestanden, da es sich um statische Daten handelte, die bereits heute einen relativ alten Stand (2005) aufweisen. Allerdings verändern sich die Strukturen nicht innerhalb weniger Jahre, sodass sie als erste Info über das Machbare durchaus ihren Sinn haben. Das Machbare umzusetzen, sollte die Devise der Statistik sein. Dass Ergebnis ist beeindruckend. Ohne zu großen Aufwand gelang es, die thematischen Karten mit einer Vielzahl anderer Layer zu hinterlegen bzw. zu ergänzen, sodass beide Seiten gewonnen haben. Wir müssen lernen, die Stärken anderer zu nutzen, um uns zu behaupten. Abgrenzung führt nicht zum Ziel. Das bedeutet, wir müssen uns der Verwaltung insgesamt verpflichtet fühlen und gemeinsam die zur Verfügung stehende Technik nutzen, Produkte als Ergebnis gemeinsamer Anstrengungen ansehen, womit sich der Kreis zum Denken in Arbeits-Prozessen schließt.

… aber auch die Sicherstellung der Arbeit. Wer sich auf den Weg einlässt, benötigt eine standardisierte Datenhaltung, die über entsprechende Abfragemöglichkeiten verfügt. In Dortmund verwenden wir als Eigenentwicklung Dostat 2.0, das zunächst auf einer DB2-Datenbank aufsetzt und individuelle Abfragen aus dem gesamten Angebot der Statistik ermöglicht. Je nach Verfügbarkeit können die Jahre oder die räumliche Darstellungsebene gewählt werden. Entscheidend ist, dass die Daten in einer Datenbank gehalten werden, auf welche die unterschiedlichen Systeme zugreifen können, damit keine Redundanzen entstehen. Der Einbindung von Statistikdaten in das GIS kam es sehr entgegen, dass festgelegt war, die eigenen Daten in Datenbanken zu organisieren, um sie flexibel auswertbar zu machen. So wird ohne weitere Prüfungen sichergestellt, dass beide Systeme die selben Ergebnisse ausgeben.

Dostat 2.0

Mit Dostat 2.0 schließt sich auch wieder ein Kreis, da die dortigen Ergebnisse optional in ausgewählten Basis-Karten des Verwaltungsatlas dargestellt werden können. Der Zugang zu Dostat 2.0 aus dem Internet ist wieder über http://www. statistik.de möglich und führt zunächst zu DoMap, dem Dortmunder Verwaltungsportal, in dem man sich registrieren lassen kann, um die Vielfalt des Datenangebotes in Anspruch zu nehmen. Als Gast hat man nur auf einen kleineren Teil Zugang. Die Nutzung des Verwaltungsportals wird zu einem späteren Zeitpunkt den Paybereich öffnen. 31


Befragung der Waldbesucher in Göttingen

Die Bürger erwarten Ruhe Tobias Reeh, Christoph Riegert, Göttingen

Erholungsmöglichkeiten in der freien Landschaft beeinflussen die urbane Lebensqualität maßgeblich. Dabei kommt der Walderholung häufig eine besondere Rolle zu. Wie sich die Erholungsnutzung im Fall des stadtnahen „Göttinger Waldes“ gestaltet, war Gegenstand von Untersuchungen an der Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie der Georg-

August-Universität Göttingen (SCHAUB 2006, WEHOFSICH 2006, SÜRIE 2005). Die Größe des Untersuchungsgebietes beläuft sich auf 74,3 km2 (vgl. Karte).

Methode und Stichprobe In den Jahren 2005 und 2006 wurden standardisierte münd-

liche Besucherbefragungen sowie -zählungen im Zielgebiet durchgeführt. Die Grundgesamtheit bildeten die Besucher des Göttinger Waldes ab einem Alter von vierzehn Jahren (Zufallsauswahl). In Abstimmung mit den zuständigen Forstverwaltungen wurden fünf Erhebungsstandorte ausgewählt, mit denen die existierende Erholungsnutzung möglichst umfassend abgedeckt werden sollte. Die Erhebungen wurden an Werktagen und an Wochenenden jeweils über einen ganzen Tageslauf verteilt vorgenommen. Insgesamt konnten 577 Personen befragt werden. Zusätzlich wurden 1.509 Besucher gezählt und einer Erholungsart zugeordnet. Einige der nachfolgenden Aussagen beziehen sich methodisch bedingt nur auf Teilmengen dieser Stichprobe.

Profil der Waldbesucher Das Geschlechterverhältnis der Waldbesucher ist weitgehend ausgewogen (52% Frauen; 48% Männer). Personen aus den mittleren Altersklassen überwiegen dabei deutlich. Bei der Herkunft zeigt sich, dass 64% der Befragten ihren Wohnsitz in Göttingen haben. 20% der Besucher stammen aus den größeren und stadtnahen, die restlichen 16% aus den ländlichen und stadtfernen Umlandgemeinden. Diese enge räumliche Bindung zeigt sich auch in der Auswertung der Anfahrtsmittel und -zeit. So kommen knapp die Hälfte 32

Stadtforschung und Statistik 2/ 08


DIE BÜRGER ERWARTEN RUHE (46%) der befragten Waldbesucher „zu Fuß“ in den Göttinger Wald. 37% benutzen für die Anfahrt das „Auto“ und 15% das „Fahrrad“. Die „sonstigen Verkehrsmittel“ (Bus/Taxi) spielen eine untergeordnete Rolle. Es dominieren kurze Anfahrts- bzw. Anlaufzeiten unter 10 Minuten; mehr als 21 Minuten werden nur selten in Kauf genommen.

Abbildung 1: Besucheraufkommen im Wochenverlauf nach Jahreszeit

Erholungsnutzung Unabhängig von der Jahreszeit geben die meisten Befragten an, am Wochenende den Wald aufzusuchen (vgl. Abb. 1). Über die einzelnen Werktage hinweg existiert dagegen ein nahezu homogenes Waldbesucheraufkommen. Hinsichtlich der Besuchshäufigkeit kann festgestellt werden, dass jeder zweite Erholungssuchende häufiger als 30mal pro Jahr im Wald anzutreffen ist. Das tageszeitliche Besuchermaximum wird im Frühjahr, Sommer und Herbst am späteren Nachmittag (16-17h) erreicht, im Winter ist es der frühe Nachmittag (15-16h). Am Wochenende liegt das Besuchermaximum tendenziell etwas früher (1416h). Es kann eine eindeutige Präferenz für Waldaufenthalte mit einer Dauer von 1 bis 2 Stunden festgestellt werden (73%), 11% der Befragten sind kürzer, 16% länger im Wald unterwegs. Die regelmäßige Walderholung erfolgt nach Auskunft der Erholungssuchenden in 28% der Fälle auch bei schlechtem Wetter. Die Mehrheit (56%) gibt an, den Göttinger Wald bei widriger Witterung zumindest gelegentlich aufzusuchen. Nur 16% verzichten bei schlechtem Wetter völlig auf ihren Waldbesuch. Wandern/Spazierengehen ist mit 59% die wichtigste Erholungsart im Göttinger Wald, geStadtforschung und Statistik 2/ 08

Abbildung 2: Verteilung der Erholungsarten

folgt vom Radfahren mit 24% und Joggen mit 11%. Die Anzahl der Reiter spielt eine eher untergeordnete Rolle. Betrachtet man die Erholungsarten im Zusammenhang mit dem Erholungsort, so zeigt sich, dass die Erholungsart Wandern/Spazierengehen insbesondere in den stadtnahen Waldflächen dominiert, während mit zunehmender Entfernung zum Quellgebiet die Bedeutung des Radfahrens zunimmt. Das Niedersächsische Gesetz über den Wald und die Landschaftsordnung benennt die besondere Bedeutung der Umweltwirkungen des Waldes für

die Nutzfunktion (z.B. Holzgewinnung), den Wasserhaushalt, das Klima und den natürlichen Lebensraum für Fauna und Flora (Schutzfunktion) sowie für die Erholung der Bevölkerung (Erholungsfunktion). Die Befragung der Waldbesucher des Göttinger Waldes lässt entgegen der rechtlich geforderten Gleichrangigkeit dieser Funktionen eine deutlich zu Gunsten der Sozialleistung des Waldes verschobene Tendenz erkennen. Als wichtigste Waldfunktion sehen die Besucher mit 38% der Antworten die „Erholung“ an. Der „Naturschutz“ folgt mit 28% der Nennungen 33


DIE BÜRGER ERWARTEN RUHE vor dem „Klimaschutz“ (21%). Die „Holzgewinnung“ erachten lediglich 5% der Waldbesucher als die wichtigste Waldfunktion (vgl. Abb. 3). In diesem Zusammenhang zeigen Ergebnisse des ECOLOG-Instituts, dass weit über die Hälfte der Göttinger (64%) den Wald als ein selbstverständlich verfügbares Land-

schaftselement ansehen, das jedoch forstlich nur in dem Maße genutzt werden dürfe, solange nicht mehr Holz entnommen wird als nachwächst (93%) (vgl. KLEINHÜCKELKOTTEN 2007). Mit Ausnahme der „Klimaschutzfunktion“ muss der Wald nach Auffassung der Mehrheit der Befragten zum Erhalt der gewünschten Funk-

Abbildung 3: Die wichtigste Waldfunktion aus Besuchersicht

tionen gepflegt werden. Dabei sollten für die erforderlichen Pflegemaßnahmen in erster Linie „Förster“ (55% der Antworten) und „Waldbesitzer“ (28%) verantwortlich sein. Als zentrale Anforderungen an einen Erholungswald („wichtig“ und „sehr wichtig“) sehen die Befragten den Aspekt „Nähe zum Wohnort“ (89%) gefolgt von waldbaulichen Aspekten „Sichtschneisen/Ausblicke“ (83%) und „Lichtungen“ (70%) an (vgl. Abb. 4). Hinsichtlich infrastruktureller Aspekte sind ein „Ausgebautes Wegenetz“ mit 56% der Antworten und das Vorhandensein von „Bänken“ mit 39% in den Kategorien „wichtig“ und „sehr wichtig“ von besonderer Relevanz für die Erholungssuchenden. Ein Informationsangebot (z.B. Lehrpfade, Kartenmaterial) erscheint den Befragten mit 55% der Antworten ebenso bedeutsam wie das genannte Wegenetz als Basis der Walderholung.

Abbildung 4: Anforderungen an einen Erholungswald

34

Stadtforschung und Statistik 2/ 08


DIE BÜRGER ERWARTEN RUHE Von der im Göttinger Wald praktizierten forstlichen Bewirtschaftung fühlen sich 84% der Befragten nicht in ihrer Erholung gestört. 13% sehen in der Waldbewirtschaftung einen Störfaktor, während 3% hierzu keine Meinung haben. Fragt man diejenigen, die sich von der Bewirtschaftung gestört fühlen nach den Gründen, so dominieren eindeutig „Lärm“ (51%) und „Wegsperrungen“ (21%). „Maschinen im Wald“ und „herumliegende Holzreste“ nehmen mit jeweils 7% eine nachgeordnete Stellung ein (vgl. auch Tab. 1 und Tab. 2).

Tab. 1: Die Top-5-Aspekte des Göttinger Waldes aus Besuchersicht

Tab. 2: Die Flop-5-Aspekte des Göttinger Waldes aus Besuchersicht

Wertschätzung der Erholungsfunktion Tabelle 1 zeigt, welche Aspekte des Göttinger Waldes die Besucher besonders mögen. Die Tabelle 2 stellt hingegen dar, welche Aspekte als besonders störend empfunden werden. Den aus den Tabellen ersichtlichen Konflikten zwischen unterschiedlichen Erholungssuchenden auf der einen Seite und Waldbesuchern und der Forstwirtschaft auf der anderen Seite begegnet man seitens der Forstverwaltungen durch Maßnahmen der Besucherlenkung (z.B. Wegführung, Beschilderung). Dieses Vorgehen wird von der Mehrheit der Erholungssuchenden (73%) als „sehr gut“ bis „gut“ und nur durch 14% als „schlecht“ oder „sehr schlecht“ bewertet. 13% der Waldbesucher sind derartige Konzepte „egal“. Bezüglich der Wichtigkeit des Waldbesuchs geben 61% an, dass dieser für sie „unverzichtbar“ sei, für 22% ist er „wichtig“ und insgesamt nur 17% halten ihn für „weniger wichtig“ bzw. „verzichtbar“. Um dieses Ergebnis zu validieren, wurde zum einen nach der (1) monetären Wertschätzung anhand der fiktiven ZahlungsbeStadtforschung und Statistik 2/ 08

reitschaft für den Waldbesuch und zum anderen nach der (2) nicht-monetären Wertschätzung anhand des Informations- und Mitspracheinteresses gefragt. Zu 1) Die Verteilung der Zahlungsbereitschaft für eine Jahreseintrittskarte weist eine große Streuung auf (Minimum 0 Euro; Maximum 200 Euro). Der Durchschnittswert liegt bei 64,21 Euro. Fehlende Zahlungsbereitschaft (0 Euro) kann bei 13% der Befragten festgestellt werden. Um den Einfluss der „Zahlungsmodalität“ abschätzen zu können, wurde auch nach einer Tageskarte gefragt. Auch hier zeigt sich eine große Streuung (Minimum 0 Euro; Maximum 8,50 Euro). Der Durchschnittswert für einen Tageseintritt liegt bei 2,99 Euro, wobei 19% der Befragten keine Zahlungsbereitschaft (0 Euro) haben. Die imaginären Eintrittspreise hätten dabei nur einen geringen Einfluss auf die Besuchshäufigkeit; 92% der

Befragten würden ihr Verhalten nicht verändern. Da der Status quo des Göttinger Waldes als Erholungswald sehr positiv gesehen wird, würden die Besucher weitere erholungsbezogene Investitionen nicht durch eine zusätzliche Zahlungsbereitschaft honorieren. Zu 2) Ein eindeutiger Trend hinsichtlich des Interesses an Informationen über „das Forstamt“ und dessen Aktivitäten ist nicht aufzudecken. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten findet ein solches Angebot wünschenswert (54%), bei 44% ist dies nicht der Fall, 2% besitzen hierzu keine Meinung. 56% der Befragten haben Interesse an einem Mitspracherecht, 44% legen hierauf keinen Wert bzw. es ist ihnen egal. Unter den Befürwortern der Mitspracheoption konzentriert sich der Wunsch nach Einfluss auf Fragen rund um den „persönlichen Waldbesuch“ (36%), gefolgt von denjenigen, die bei „allen Entscheidun-

Eintritt für den Wald?

Jahreskarte 64 Euro. Tageskarte 3 Euro

35


DIE BÜRGER ERWARTEN RUHE gen“ mitreden wollen (12%) sowie weiteren 10%, denen eine Mitsprache nur in „finanziellen Fragen“ erstrebenswert erscheint.

Fazit

Wald = Naherholung

Distanzempfindlichkeit

36

Die Erholungsnutzung im Göttinger Wald entspricht im Wesentlichen der anderer Stadtwälder. Die Herkunft der Waldbesucher, die geringen Anfahrtsdistanzen und -zeiten als auch die gewählten Verkehrsträger (insbesondere „zu Fuß“ und „Fahrrad“) unterstreichen den Charakter als Naherholungsgebiet für die Stadt Göttingen. Dem Göttinger Wald weist man in erster Linie eine Bedeutung für Erholung und Naturschutz zu. Dabei wünscht man sich eine möglichst „unauffällige“ Waldpflege/-bewirtschaftung, um den als „naturnah“ empfundenen Zustand des Waldes nicht zu beeinträchtigen. Insbesondere den waldspezifischen Rekreationsmomenten (z.B. „Ruhe“) sollte bei der Waldbewirtschaftung Rechnung getragen werden. Das Spektrum der ausgeübten Freizeitaktivitäten ist sehr umfangreich und somit typisch für einen stadtnahen Erholungswald (vgl. ZUNDEL/VÖLKSEN 2002). Dabei lässt sich zwischen der Besuchshäufigkeit, der Dauer, den Gründen für den Waldbesuch sowie der Entfernung zum Wald ein Zusammenhang aufdecken, der als „Distanzempfindlichkeit“ bezeichnet wird: Bei steigender Entfernung nimmt die Besuchshäufigkeit ab, die Dauer des Besuchs nimmt zu („damit die Anreise lohnt“) und die Gründe für einen Waldbesuch verlagern sich Richtung zeitintensiver Aktivitäten wie z.B. „Radfahren“ oder „Wandern“.

Aufgrund der starken Frequentierung des Göttinger Waldes sind „Crowding Effekte“ nachweisbar. Diese zwingen über Maßnahmen der Besucherlenkung im Sinne einer räumlichen und zeitlichen Entzerrung verstärkt nachzudenken. Ein hoher Akzeptanzgrad kann voraus gesetzt werden. Insgesamt erfüllt der Göttinger Wald aufgrund seiner unmittelbaren Nähe zum Stadtgebiet, seiner naturräumlichen Charakteristika, des waldbaulichen Erscheinungsbildes als auch seiner infrastrukturellen Ausstattung in hohem Maße die Besuchererwartungen an einen Erholungswald. Insofern genießt der Göttinger Wald auch eine ausgeprägte Wertschätzung seitens der Bevölkerung. Explizit 80% der Göttinger empfinden ihren Waldaufenthalt als ein Stück Lebensqualität (vgl. KLEINHÜCKELKOTTEN 2007). Seine Erholungsleistung kann als ein mit potenzieller Zahlungsbereitschaft unterlegtes Gut betrachtet werden. Bei vielen Befragten besteht sogar grundsätzlich die Bereitschaft, an der weiteren Entwicklung ihres „Hauswaldes“ aktiv mitzuwirken.

SCHAUB, J. (2006): Das Rehwild im Konfliktfeld zwischen Naherholung und Jagd – Analyse der Nutzungsansprüche und Aktivitäten von Erholungssuchenden und Jägern im Göttinger Stadtwald, Masterarbeit, Universität Göttingen. SÜRIE, C. (2005): Ein Bild vom Wald. Masterarbeit, Universität Göttingen. WEHOFSICH, S. (2006): Der Erholungswert des Göttinger Waldes. Bachelorarbeit, Universität Göttingen. ZUNDEL, R., VÖLKSEN, G. (2002): Ergebnisse der Walderholungsforschung – eine vergleichende Darstellung deutschsprachiger Untersuchungen. Verlag Dr. Kessel, Remagen-Oberwinter.

Literatur KLEINHÜCKELKOTTEN, S. (2007): Befragung zu Wald und Holz in Göttingen (n=272), Seminar: „Umweltpolitik in forst- und holzwirtschaftlichen Betrieben“; Institut für Forstpolitik, Forstgeschichte und Naturschutz der Universität Göttingen im Rahmen des Forschungsprojektes „Social Marketing und Bildung für eine Nachhaltige Waldwirtschaft“; ECOLOG-Institut für sozialökologische Forschung und Bildung gGmbH, Göttingen/ Hannover. Stadtforschung und Statistik 2/ 08


Demografischer Wandel und Innovation im Ruhrgebiet

Mehr Bildung wird zur Pflicht Claudia Horch, Essen

Der wirtschaftliche Erfolg und damit die Zukunftsaussichten einer Region korrelieren stark mit der Fähigkeit, durch Produkt-, Verfahrensund Organisationsinnovationen vorhandene Märkte zu sichern und neue zu erschließen. Das regionale Innovationsgeschehen ist abhängig davon, wie stark Forschung und Entwicklung vorangetrieben und in kommerzielle Nutzung überführt werden können. Eine wichtige Rolle spielen hier öffentliche Einrichtungen wie Hochschulen, Bildungseinrichtungen und „intermediäre Organisationen“ wie Transferstellen und Technologieparks. Wie weit es gelingt, aus neuem Wissen marktfähige Produkte zu machen, ist in der modernen Wissensgesellschaft v.a. aber auch eine Frage der Qualifikation von Arbeitskräften. Insofern spielt der demografische Wandel und seine Folgen – u.a. die Segmentierung des Arbeitsmarktes und die Überwindung von Ausschlussmechanismen – eine zentrale Rolle im regionalen Innovationsgeschehen.

Indikatoren des Innovationsgeschehens Im Innovationsbericht Ruhr 2006 hat das Ruhr-Forschungsinstitut für Innovations- und Strukturpolitik (RUFIS) im Auftrag des Regionalverbands Ruhr das regionale Innovationssystem Ruhrgebiet Stadtforschung und Statistik 2/ 08

untersucht und eine StärkenSchwächen-Analyse der Innovationspolitik im Ruhrgebiet vorgenommen. Die Analyse beruhte zum einen auf der quantitativen Auswertung von über 50 Indikatoren und zum anderen auf der qualitativen Bewertung des regionalen Innovationssystems Ruhrgebiet anhand von Kriterien, die aus der New Economic Geography abgeleitet wurden. Dieser Artikel fasst die Analyseergebnisse kurz zusammen. Arbeitslosigkeit Die überdurchschnittliche Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet wirkt – trotz der nur moderaten Steigerungsraten im Vergleich zu anderen Metropolregionen – nach wie vor stark innovationshemmend. Da die Arbeitslosenquote von Frauen im RVR-Gebiet überdurchschnittlich hoch ist, ist das Augenmerk vor allem auf die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt zu richten. Überdurchschnittlich hoch ist auch die Arbeitslosenquote der 5565jährigen und die der Langzeitarbeitslosen. Dadurch läuft das Ruhrgebiet Gefahr, Erfahrungswissen nicht ausreichend zu nutzen bzw. einen Teil der Erwerbspersonen dauerhaft aus dem Arbeitsmarkt auszuschließen, wodurch Qualifikationen verloren gehen. Die Arbeitslosigkeit bei den Jüngeren (15-30 J.) ist zwar nicht überdurchschnittlich hoch, doch ist das Erwerbspersonenpotenzial in dieser Altersgruppe im Ruhrgebiet unterdurchschnittlich.

Bildung und Qualifizierung Der Anteil hoch Qualifizierter an den Einwohnern und Beschäftigten ist ein Indikator für die Innovationskraft einer Region. Da das Ruhrgebiet durch einen hohen Anteil an gering qualifizierten und einen niedrigen Anteil an hoch qualifizierten Beschäftigten charakterisiert ist, besteht die Gefahr eines „brain drain“, zumal das Ruhrgebiet ein „Nettoexporteur“ von Studienabsolventen ist (es finden weniger Studienabsolventen einen Arbeitsplatz als die Hochschulen verlassen). Aber auch die Ausbildungsplatzdichte im Ruhrgebiet ist unterdurchschnittlich. Arbeitsmarktregionen Trotz der tendenziell sinkenden Einwohnerzahlen hat das Ruhrgebiet im Vergleich der deutschen Metropolregionen die höchste Einwohner- und auch Einwohner-ArbeitsplatzDichte. Diese eigentlich positiven Indikatoren werden relativiert durch die Tatsache, dass das Ruhrgebiet sich seit den 1980er Jahren von einer Einzu einer Auspendlerregion entwickelt hat. Da der Verlust an sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen den Verlust an Einwohnern bei weitem überwiegt, hat sich das Ruhrgebiet tendenziell von einem Arbeitszu einem Wohnstandort entwickelt. Nach wie vor zeigt sich die starke funktionale Verflechtung der Ruhrgebietsstädte und -kreise in den Pendlerbezie-

Viele Arbeitslose, wenig Ausbildungsplätze

Wohnort Ruhrgebiet

37


MEHR BILDUNG WIRD ZUR PFLICHT

Gemächliche Ablösung gewachsener Strukturen

Zu wenig F+E-Ausgaben

Mangelnde Wachstumseffekte

hungen. Die Pendlerregionen werden allerdings großräumiger und beziehen benachbarte Regionen – insbesondere die Rheinschiene – stärker ein. Arbeitsmarktzentren im Ruhrgebiet sind Essen, Dortmund, Bochum und Hagen, während der Kreis Recklinghausen zunehmend auf andere Arbeitsmarktregionen orientiert ist. Patente Neben diesen eher mittelbaren Indikatoren dienen vor allem drei weitere Indikatoren der Einschätzung regionaler Innovationsintensität: Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung1, der Beschäftigungsanteil in Hochtechnologie-Industrie und wissensbasierten Dienstleistungsbranchen sowie Patente. Der Anteil der Patente misst allerdings lediglich das Innovationspotenzial, weil ja über die Marktfähigkeit der Erfindung noch keine Aussage gemacht werden kann. Gemessen am Indikator „Patente je 100.000 Einwohner“ liegt das Ruhrgebiet im unteren Mittelfeld der untersuchten Metropolregionen. Der Ennepe-RuhrKreis erreicht einen sehr hohen Wert, der allerdings überwiegend auf ein „patentintensives“ Unternehmen zurückgeführt werden kann. Hohe Werte werden auch von Mülheim und dem Kreis Wesel erreicht. Maßgeblich für das gute Mülheimer Abschneiden sind wahrscheinlich zwei Max-Planck-Institute. Betrachtet man nur den Anteil der von der Wirtschaft gehaltenen Patente, erreichen fast alle Ruhrgebietskommunen und –kreise nur knapp einen mittleren Rang im Metropolenvergleich. Fazit der Indikatorenanalyse Das Ruhrgebiet beginnt erst langsam, die über Jahre ge-

38

wachsenen korporatistischen Strukturen, die sich rund um die montanindustriellen Verflechtungen zwischen Unternehmen, Gewerkschaften, Ministerien, Kammern und weiteren Verbänden gebildet hatten, durch neue, auf Innovation statt Strukturerhalt gerichtete Netzwerke zu ersetzen. Dadurch, dass in der wirtschaftlichen Wachstumsphase Innovationen auf den Montanbereich begrenzt blieben, konnte keine ausreichende Diversifizierung erfolgen, die in neue Wachstumspfade hätte münden können. Erschwerend kam hinzu, dass erst ab den 1960er Jahren die großen Universitäten gegründet wurden. So sind im Ruhrgebiet die FuEAufwendungen noch immer unterdurchschnittlich, und auch der Anteil der in FuE Beschäftigten an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erreicht nur knapp die Werte von Baden-Württemberg, Bayern und Hessen. Dies erklärt zum Teil, warum HochschulabsolventInnen nach Abschluss ihres Studiums häufig die Region verlassen (müssen). Auch führt der wirtschaftliche und demografische Strukturwandel noch immer zu Friktionen auf dem Arbeitsmarkt. Besonders gravierend ist der „mismatch“ zwischen einerseits der niedrigen Qualifikation der Arbeitslosen und des hohen Anteils Langzeitarbeitsloser und andererseits der Erholung auf dem Arbeitsmarkt (Verlangsamung des Stellenabbaus, mehr offenen Stellen). Bei der Patentintensität werden nur 40 % des Bundesdurchschnitts erreicht; lediglich bei den Drittmitteln je HochschullehrerIn liegt das Ruhrgebiet leicht über dem Durchschnitt. Auch die Gründungsintensität liegt hier um 10 % unter dem Bundesdurchschnitt. Eine wei-

tere Steigerung ist schwierig, da eine steigende Selbständigenquote die demografische Entwicklung wahrscheinlich nicht kompensieren kann.

Ansätze regionaler Innovationspolitik Nachdem im Rahmen der regionalen Strukturpolitik lange Zeit strukturkonservierend gehandelt wurde, erfolgte ab Mitte der 1980er Jahre mit der Förderung von Technologieparks und –transferstellen eine Förderung regionaler Innovations-Infrastruktur. Allerdings wurde Innovationsförderung noch nicht als der zentrale regionalpolitische Förderansatz begriffen, sondern als Teilbereich der Strukturpolitik unter Vielen verstanden. Ende der 1980er Jahre wurde mit der „Zukunftsinitiative für die Regionen NRWs“ (ZIN) ein neuer Weg zur Mobilisierung der endogenen Potenziale beschritten, der allerdings die Unternehmen nur bedingt einbezog und zu wenig angebotsorientiert war. Die stärkere Unternehmensorientierung sollte ab der Förderperiode 2000-2006 im Rahmen einer Clusterpolitik erfolgen, die auf die Stärkung regionaler Wertschöpfungsketten zielte. Indem besonders Branchenverbünde mit einem Potenzial zu überregionaler Marktführerschaft gestärkt werden sollten, wurde das Augenmerk stärker auf Innovationsförderung gelegt. Im Rückblick zeigt sich, dass zahlreiche Kompetenzfelder und die entsprechenden Technologie- und Gründerzentren keine kritische Größe und damit auch keine Wachstumseffekte erreichen konnten. Auch spielt die schwerpunkt- und die querschnittsorientierte Innovationsförderung strukturpolitisch noch immer eine Nebenrolle im Vergleich zu AnStadtforschung und Statistik 2/ 08


MEHR BILDUNG WIRD ZUR PFLICHT siedlungsförderungs- und Infrastrukturmaßnahmen. In Anbetracht des demografischen Wandels besonders prekär ist, dass die Humankapital- und Beschäftigungsförderung weder in der Lage ist, den oben beschriebenen „mismatch“ zu beseitigen, noch fühlbar zur Stimulierung von Innovationsprozessen beiträgt. Neue Ansätze sollten Innovationspolitik zu einem integralen Bestandteil regionaler Strukturpolitik machen. Zwei Ziele müssen hierbei im Vordergrund stehen: • Die Förderung von Grundlagenforschung sollte stärker die Relevanz für Innovationsentstehung und Systembildung (z.B. Spin-offs oder Kooperationen) in den Fokus nehmen. • Staatliche Einrichtungen sollten weniger Fördermittelgeber als Moderator regionaler Netze sein und Subventionen stärker komplementär zu privater Finanzierung gezahlt werden. Darüber hinaus sollte sich regionale Innovationspolitik auf folgende Felder richten: • Abkehr von der Trennung zwischen öffentlicher Grundlagenforschung und privater Produktentwicklung zugunsten der Förderung von Verfahren und Produkten, die interdisziplinär entwickelt werden. Wissenschaftler sind hierbei gleichzeitig Unternehmer und Grundlagenforscher (Bsp. Bio-Photonik, Adaptronik, Tissue Engineering). • Abkehr von der Förderung von Einzelorganisationen hin zu stärkerer Moderations- und Koordinierungstätigkeit. Das bedeutet auch, dass dort, wo funktionierende Netzwerke existieren, Stadtforschung und Statistik 2/ 08

kein staatlicher Interventionsbedarf besteht bzw. sich der Staat nach erfolgreicher Initiierung von Netzwerken sukzessive herausziehen sollte. • Die Moderation von Kooperation und strategischen Entwicklungsprozessen trägt dazu bei, die Wissensbasis zu verbreitern und zu diversifizieren. Im Hinblick auf das Ruhrgebiet heißt die Ausrichtung auf ein stärkeres KompetenzfeldManagement, dass zunächst eine Profilschärfung erfolgen muss. Ein Kriterium für die Förderung sollte die Einbindung regional ansässiger Großunternehmen sein, die im Ruhrgebiet im Vergleich zu anderen Regionen (z.B. im Vergleich zu Mobilitätsclustern in Stuttgart, Wolfsburg oder Ingolstadt) unterdurchschnittlich ist. Viele der Ruhrgebiets-Netzwerke existieren allein durch politischen Willen und werden nur schwach von Unternehmen getragen. Weitere Kriterien sind regionale Alleinstellungsmerkmale und die Aussicht, dass das Netzwerk eine kritische Größe überschreitet. Nur durch diese expandierenden Märkte wird auch das Risiko für Neugründungen gesenkt. Wenn – wie im Ruhrgebiet – die kritische Masse an Kooperationspartnern nicht erreicht wird, muss eine Vernetzung von Wissensträgern aus weiteren Regionen organisiert werden. Zentral hierbei ist die Schaffung einer Vertrauensbasis über Qualitäts- und Zuverlässigkeitskriterien. Die bisherige vorwiegend angebotsorientierte Infrastrukturförderung birgt die Gefahr, dass die geförderte Wissensbasis regional nur schwach verankert ist und daher an

Standorte abwandert, an denen höhere Einkommen erzielt werden können. Zudem konnte sich durch die besondere Dynamik des sektoralen Strukturwandels die neue FuE-Infrastruktur im Ruhrgebiet noch nicht ausreichend etablieren und vernetzen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zersplitterung der Akteurslandschaft zu Unübersichtlichkeit, langwierigen Entscheidungs- und Abstimmungsprozessen und teilweise sogar widersprüchlichen Zielen führt.

Unübersichtliche Akteurslandschaft

Ausblick Durch die veränderten Bedingungen der Wissensproduktion müssen sich die Beschäftigten fortwährenden Lernprozessen stellen. Hieraus ergeben sich in den Regionen mit forciertem demografischen Wandel drei Handlungsansätze im Bereich der Qualifizierungspolitik: 1. Aus- und Weiterbildungssysteme sind so fortzuentwickeln, dass sie auch „lernungewohnte“ Beschäftigte erreichen. 2. Die Unternehmen müssen ihren Beschäftigten Anreize bieten, ihr Erfahrungswissen stärker und gezielter einzubringen und von anderen zu lernen. 3. Arbeitslose müssen stärker hinsichtlich passender Bildungsangebote beraten und über Fallmanagement gezielter in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels besteht die besondere Herausforderung darin, die Lücke zwischen Langzeitarbeitslosigkeit / niedriger Qualifikation des Erwerbspersonenpotenzials und dem gleichzeitig drohenden Hochqualifizierten-Mangel zu schließen.

Unternehmen gehen auf Distanz

Moderation statt Einzelförderung

39


ZUFRIEDEN TROTZ UNGÜNSTIGER EINKOMMENSENTWICKLUNG

tistik: Über Stsaor:

s Ein Profe zur rhältnis e „Mein V s zu a d ist wie Statistik rau: meiner F ich sie, aber Ich liebe ht.“ he sie nic c s r r e h e b

Da das Ruhrgebiet weiterhin EinwohnerInnen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren verlieren wird, ist die Bildungs- und Qualifizierungspolitik auch für das künftige Innovationsgeschehen von zentraler Bedeutung. Wichtig ist, nicht nur auf Spitzenqualifikation zu setzen, sondern auch den unschön „bildungsfern“ Genannten eine

Teilhabechance auf den Bildungs- und Arbeitsmärkten zu eröffnen. Der Weg hin zu einer innovativen Region kann nur über eine starke Wissens- und Zivilgesellschaft erfolgen. Der Innovationsbericht Ruhr kann als PDF heruntergeladen werden unter http://www.rvronline.de/wirtschaft/downloads/ InnoBericht_2006zus..pdf?

Anmerkungen 1

Die Erhöhung des Anteils der Forschungs- und Entwicklungsausgaben am BIP gehört zu den zentralen Zielen der EU im sog. Lissabon-Prozess.

Geringverdiener sind zufriedener als Arbeitslose

Zufrieden trotz ungünstiger Einkommensentwicklung Andrea Schultz, Leipzig

Häufig werden in der Umfrageforschung Fragen zur Zufriedenheit gestellt, indem die subjektive Bewertung zu ausgewählten Themenbereichen erfragt wird. Fragen zur Zufriedenheit mit Aspekten des öffentlichen Lebens wie beispiels-

weise dem Wohnen, Arbeiten oder Versorgen sind häufig von kommunalem Interesse. Gleichwohl ist die Einschätzung der persönlichen allgemeinen Lebenszufriedenheit der Bürger auch ein wichtiger Indikator für kommunale Entscheidungsträger hinsichtlich der generellen Stimmung in einer Stadt. Gerade im Städtevergleich fällt jedoch auf, dass nicht unbedingt in jenen Städten mit vergleichsweise günstigen Wirtschafts- und Arbeitsmarktbedingungen auch die zufriedensten Bürger leben. Zuletzt wurde diese Diskrepanz bei einer Vergleichsuntersuchung unter 75 europäischen Städten deutlich (Befragung Urban Audit 2006). Die Befragungsergebnisse bescheinigten der Stadt Leipzig, dass ihre Bürgern zu den zufriedensten im europäischen

40

Städtevergleich gehören. Nur in Krakow (PL) und Groningen (NL) herrscht eine noch höhere Lebenszufriedenheit. Allerdings spiegelt sich dieses positive Ergebnis für Leipzig nicht in den „harten“ ökonomischen Indikatoren der Stadt wider. Beispielsweise ist die Arbeitslosigkeit hoch, die Haushaltseinkommen fallen vergleichsweise gering aus. Es stellt sich demnach die Frage, wie sich Zufriedenheiten erklären lassen und von welchen soziodemografischen Merkmalen sie abhängen. Zudem wird geprüft, inwieweit die individuelle ökonomische Situation der Befragten möglicherweise doch die Ausprägungen bestimmter Zufriedenheitsparameter beeinflusst. Die Argumentation wird anhand von Daten der kommunalen Leipziger Bürgerumfrage vorgenommen. Stadtforschung und Statistik 2/ 08


ZUFRIEDEN TROTZ UNGÜNSTIGER EINKOMMENSENTWICKLUNG Dazu wird die Entwicklung der preisbereinigten Äquivalenzeinkommen in den Leipziger Haushalten der Einschätzung der - persönlichen wirtschaftlichen Situation, - der aktuellen Lebenszufriedenheit und - der Einschätzung der persönlichen Zukunft gegenübergestellt. Das Äquivalenzeinkommen berücksichtigt die bedarfsgerechte Verteilung des Einkommens auf die Haushaltsmitglieder und stellt somit die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Haushaltsgrößen dar. Das preisbereinigte Äquivalenzeinkommen kann demnach als „harter“ Indikator für die reale Entwicklung des verfügbaren Einkommens der Haushalte gesehen werden. Wie in Abbildung 1 ersichtlich, sank das Äquivalenzeinkommen der Leipziger Haushalte seit der Jahrtausendwende sukzessive ab. Auch die Einschätzung der persönlichen wirtschaftlichen Lage (schwarze gestrichelte Linie) wird entsprechend schlechter eingeschätzt. Auf die allgemeine persönliche Lebenszufriedenheit (schwarze durchgängige Linie) und die Einschätzung der persönlichen Zukunft hat dieser Einkommensrückgang jedoch keine Auswirkung, schließlich ist bei diesen Bewertungsparametern ein konstanter oder sogar steigender Trend zu beobachten. Genaueren Einblick in die Abhängigkeit bestimmter Zufriedenheitswerte vom Einkommen soll eine Querschnittsbetrachtung auf der Grundlage der Daten aus der kommunalen Bürgerumfrage 2006 liefern. Wie in Abbildung 2 dargestellt, steigt die Einschätzung der persönlichen wirtschaftlichen Stadtforschung und Statistik 2/ 08

Lage mit steigendem Äquivalenzeinkommen annähernd linear an. Die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage korreliert recht hoch mit dem Äquivalenzeinkommen (R = 0,42, Signifikanz < 0,001). Auch die aktuelle persönliche Lebenszufriedenheit wächst mit steigendem Einkommen, wobei ab etwa 1 400 � ein Sättigungspunkt erreicht wird, ab dem die Lebenszufriedenheit konstant verläuft. Während bei den Geringverdienern ein Einkommenszuwachs die Lebenszufriedenheit erhöht, lässt sich dies für Gutverdiener nicht mehr nachweisen. Der Erklärungsgehalt zum Einkommen fällt eher gering aus, der Korrelationskoeffizient beträgt 0,32 (Signifikanz < 0,001). Für die Einschätzung der persönlichen Zukunft liefert das erzielte Äquivalenzeinkommen des Haushaltes dagegen kaum noch einen Erklärungswert (R = 0,19). Der Zukunftsoptimismus ist in allen Einkommensklassen nahezu ähnlich ausgeprägt, die Linie verläuft in etwa parallel. Diese abnehmenden Erklärungswerte (Korrelationskoeffizienten) deuten darauf hin, dass neben dem Einkommen eine Vielzahl von Parametern die Einschätzungen beeinflussen. An dieser Stelle sollen daher zwei weitere soziodemografische Aspekte und ihre Einflüsse auf das Antwortverhalten thematisiert werden. In Abbildung 3 sind die Ausprägungen der Zufriedenheitswerte für die von Arbeitslosigkeit betroffenen Befragten dargestellt. Arbeitslose charakterisieren sich durch ausgesprochen negative Einschätzungen. Gleichermaßen verfügen diese Haushalte mit durchschnittlich 648 � auch

über ein sehr geringes Äquivalenzeinkommen. Vergleicht man die Arbeitslosengruppe mit der Gesamtgruppe der Geringverdiener (vergleichbare Einkommensverhältnisse) wird jedoch deutlich, dass Ar-

41


I’M NOT AMUSED beitslose ihre wirtschaftliche Situation, ihre Lebenszufriedenheit und ihre persönliche Zukunft negativer einschätzen als die Vergleichsgruppe mit äquivalenter Einkommenssituation. Eine weitere Abhängigkeit besteht vom Alter der Befragten. Wie in Abbildung 4 dargestellt, verlaufen die Kurven zur Einschätzung der wirtschaftlichen Lage und zur allgemeinen Lebenszufriedenheit relativ parallel zueinander. Schließlich konnte für diese beiden Parameter ein relativ hoher Erklärungswert vom Einkommen festgestellt werden. Ein anderes Ergebnis lässt sich bei der Analyse der persönlichen Zukunft in Abhängigkeit vom Alter festhalten. Die persönliche Zukunft (graue Linie) wird in jungen Jahren positiv eingeschätzt, obwohl diese Jahrgänge oft durch ein vergleichsweise geringes Einkommen geprägt sind. Andererseits nimmt der Zukunftsoptimismus ab den 40er Jahrgängen deutlich ab.

Insgesamt kann daher festgehalten werden, dass Zufriedenheitswerte, wie sie häufig in der Meinungsforschung erhoben werden, stets mit einer hohen Sensibilität ausgewertet werden müssen. Wie die beiden Beispiele gezeigt haben, können soziodemographische Merkmale die Ausprägungen von Zufriedenheitswerten beeinflussen. Dies gilt es bei der Erstellung von Zeitreihen genauso wie beim innerstädtischen Quartiersvergleich oder bei Vergleichsuntersuchungen zwischen den Städten zu berücksichtigen. Neben soziodemographischen Gegebenheiten können auch Mentalitäten oder aktuelle Stimmungslagen das Antwortverhalten beeinflussen (vgl. z.B. Sudmann, S., Bradburn, N.M. und Schwarz, N. (1996): Thinking about answers. San Francisco.). Während so genannte „harte“ Daten objektive Messwerte einer streng abgegrenzten Thematik sind und ein Faktum

darstellen, gilt dies für so genannte „weiche Daten“ nicht. Meinungs- und Zufriedenheitswerte sind subjektiv und gehen aus einem Bündel an Bewertungsmaßstäben hervor. Sie sind ein Resümee an allen langfristigen und kurzfristigen Eindrücken des Befragten. Falls – wie in der eingangs beschriebenen Vergleichsuntersuchung (Urban Audit) – die Ausprägungen von Meinungs- und Zufriedenheitswerten ein anderes Bild als „harte“ statistische Indikatoren aufzeigen, sollte diese vermeintliche Diskrepanz nicht dazu führen, die erhobenen „weichen“ Daten in Frage zu stellen. Meinungsdaten und insbesondere Zufriedenheitswerte sind kein Spiegelbild für die von der amtlichen Statistik erhobenen „harten“ Daten, sondern stellen stets (nur) eine Ergänzung dar. Im Idealfall können Meinungsdaten bei statistischen Analysen somit zu einer Horizonterweiterung beitragen.

I’m not amused Martin Schlegel, Hagen Redaktionskonferenzen sind ernste Angelegenheiten, auch wenn es locker zugeht. Einige Beiträge liegen auf dem Tisch und wir versuchen, daraus das nächste Heft zu stricken. Das ähnelt keineswegs der Quadratur des Kreises, aber einfach ist es auch nicht, soll jedes Heft doch eine runde Sache werden. Das „Den Artikel nehmen wir!“ ist eine nette Entscheidung, unangenehmer ist es, 42

einen guten Beitrag zu schieben oder abzulehnen. Auf der letzten Konferenz mussten aus Platzgründen gleich mehrere Artikel verschoben werden. Einer davon schon zum zweiten Mal. 3 H (Hubert Harfst, Hannover) übernahm die Aufgabe, das Hannoveraner Autorentrio zu informieren, für ihn ein Heimspiel. Doch die waren verständlicherweise „not

amused“, denn ihre Zentralitätsanalyse ist schließlich kein Whisky, der durch lange Lagerung an Reife gewinnt. Doch in dieser Ausgabe war einfach kein Platz mehr, wir mussten so schon ein paar Seiten drauflegen. Und so können Sie erst im nächsten Heft erfahren, wo Hannover und Hagen auf Platz 1 liegen. Und an welcher Stelle Ihre Stadt liegt. Stadtforschung und Statistik 2/ 08


Paradigmenwechsel in der amtlichen Statistik / Bund top – Städte flop?

Verantwortung für kommunale Daten Klaus Trutzel, Nürnberg

Die Globalisierung scheint bei den maßgeblichen Vertretern staatlicher Statistik in Deutschland und einigen Nachbarstaaten den Eindruck erzeugt zu haben, dass es künftig vor allem um die globalen Zusammenhänge und weniger um die kleinräumigen Verhältnisse und Entwicklungen geht. Der allenthalben verkündete Paradigmenwechsel weg von der Volkszählung, hin zu einem sog. registergestützten Zensus zielt in diese Richtung, auch wenn andere Faktoren diese Abkehr von einer Zählung ausgelöst haben mögen, die nachvollziehbar alle gebietlichen Ebenen in gleicher Weise erfasst und abbildet. Bei dem, was künftig in der amtlichen Statistik auf uns zukommt, beziehe ich mich auf den Vortrag des Präsidenten des Statistischen Bundesamtes bei der Statistischen Woche 2007 in Kiel, in dem er den geplanten Paradigmenwechsel am Beispiel der Außenhandelsstatistik anschaulich dargestellt hat. Die Zukunftsvision heißt „Multiple Source Mixed Mode“. Das soll besagen, dass künftig der Produktionsprozess von der Datenquelle zur statistischen Information nicht linear (Erhebung – Aufbereitung – Tabelle) abläuft, sondern dass verschiedene Quellen in einem DataWarehouse verknüpft schließlich die statistische Information erzeugen. Gegen diese Vorstellung ist grundsätzlich Stadtforschung und Statistik 2/ 08

nichts zu einzuwenden, wenn dabei zumindest gleichwertige statistische Informationen entstehen. Genau das ist aber bei kleinräumigen Statistiken in wesentlichen Teilen fraglich.

Höherer Bedarf kleinräumiger Daten In diesem Beitrag soll zu den veränderten Zielsetzungen und geplanten Verfahrensänderungen der deutschen amtlichen Statistik aus der Sicht städtebezogener Statistikinformation Stellung genommen werden. Ihre Bedarfslage leitet sich allerdings nicht alleine aus der umfassenden Verantwortung der Kommunen für das Wohl der örtlichen Gemeinschaft nach Art. 28, Abs. 2 GG ab; der Bedarf an städtebezogener statistischer Information verstärkt sich vielmehr noch wesentlich durch die wachsenden Anforderungen staatlicher und europäischer Städtepolitik. Längst hat man in der Verfolgung der Ziele von Lissabon und Göteborg die Funktion der Städte als Wachstumsmotoren der nationalen und europäischen Entwicklung erkannt und misst daher den Städten als Kristallisationskernen der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und ökologischen Entwicklung immer größere Bedeutung bei. So heißt es – frei übersetzt – in den Strategischen Leitlinien zur

Kohäsion, die der Europäische Rat am 06.10.2006 beschlossen hat: „In Städten und städtischen Gebieten konzentrieren sich nicht nur Chancen, hier ballen sich auch Herausforderungen, die erfordern, dass deren besondere Probleme erkannt und beobachtet werden, in Bezug auf Arbeitslosigkeit, gesellschaftliche Ausgrenzung (einschließlich des Problems der „arbeitenden Armen“), hohe und steigende Kriminalität, wachsende Verkehrsbelastung und die Existenz von Gebieten und Gruppen mit eklatanten Versorgungsmängeln.“ Und auch der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung weist im Memorandum zu einer nationalen Stadtentwicklungspolitik darauf hin, dass Deutschland die Fragen integrierter Stadtentwicklung in den Mittelpunkt seiner europäischen Ratspräsidentschaft 2007 gestellt hat. Wesentliche Teile des 4. Kohäsionsberichts der EU-Kommission gründen sich auf das Urban Audit, eine umfassende Datensammlung für mehr als 350 europäische Städte (darunter 40 deutsche Städte), die neben 190 Merkmalen für die städtische Region und 340 Merkmalen für die Gesamtstadt auch mehr als 50 Merkmale für städtische Teilräume einschließt. Zu diesen Merkmalen, die in allen anderen Ländern aus dem letzten Zensus gewonnen wurden und die in

Veränderte Ziele

Städte sind Wachstumsmotoren

43


VERANTWORTUNG FÜR KOMMUNALE DATEN

Fehlende Daten

Generierte Daten

Nicht lieferbare Daten

44

Deutschland mangels Zensus selbst aus Registern nicht zu gewinnen waren, zählen unter anderen • der Bildungsgrad der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter nach ISCED (auch für Stadtteile) • die überwiegende Quelle des Lebensunterhalts von Personen und Haushalten (auch für Stadtteile) • im Ausland Geborene, • Mieter- und Eigentümerhaushalte, Haushalte in Sozialwohnungen • Tagespendler Wichtige weitere Teile wurden in aufwändigen und kostspieligen Verfahren aus Ergebnissen des Mikrozensus für die sog. Regionalen Anpassungsschichten auf Kreise heruntergeschätzt. Dazu gehören unter anderem Angaben zur • Einkommensverteilung, • Verkehrsmittelwahl, Entfernung und Zeitaufwand der Berufspendler • Wohnungsbelegung (einschl. Überbelegung (> 1 Person je Wohnraum) Mögen diese Informationen letztlich „nur“ zur Fundierung einer allgemeinen städtebezogenen Politik der EU, etwa zur Feststellung von Disparitäten und zur Erfolgskontrolle, benötigt werden, so muss man doch anerkennen, dass eine Wachstums-, Kohäsions- und Förderungspolitik ohne dieses Basisinformationen nicht zu verantworten ist. Im Rahmen der ab 2009 verlangten nationalen Berichte zur Stadtentwicklung werden ebenfalls wichtige Basisdaten gefordert, welche die deutsche amtliche Statistik aus Registern und mit kleinen Stichproben nicht wird liefern können. Wenn man dann in unserer Koordinationsgruppe „Netzwerk Stadt- und Regionalstatistik“,

bestehend aus Bundesamt, Landesämtern, Städtestatistik, BBR und BA, erfährt, dass die zuständige Bundesbehörde mangels entsprechend kleinräumig gegliederter amtlicher Daten solche Daten aus der privaten Marktforschung zukaufen muss, so unterstreicht dies die Feststellung, dass Bundes- und Landesstatistik bereits heute wohl ihrem verfassungsmäßigen Auftrag nur unzureichend gerecht werden. Dabei heißt es im Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgericht aus dem Jahr 1983, dass „eine am Sozialstaatsprinzip orientierte staatliche Politik die ökonomische, soziale und ökologische Entwicklung nicht als unabänderliches Schicksal hinnehmen darf, sondern als permanente Aufgabe zu verstehen hat. Unentbehrliche Handlungsgrundlage sind hierfür zuverlässige Informationen, die umfassend, differenziert, aktuell und vielseitig kombinierbar sein müssen.“ Und § 1 Bundesstatistikgesetz behauptet, dass diese Informationsgrundlagen für Bund und Länder einschließlich der Gemeinden und Gemeindeverbände durch die Bundesstatistik bereitgestellt werden. Die grundgesetzlich bestimmte umfassende Verantwortung der Kommunen für das Gemeinwohl vor Ort erzeugt gegenüber den bundes- und landespolitischen Anforderungen einen erheblich differenzierteren kleinräumigeren Informationsbedarf. Deshalb betreiben alle großen Städte eine eigene Statistik. Diese Statistik ist aus den übrigen Verwaltungsbereichen ausgegliedert und in abgeschotteten Statistikstellen zusammengefasst. Nur dieser Stelle ist es gestattet, nicht voll anonymisierte Daten „auf Vorrat“ zur Beantwortung künftiger Fragestellungen zu speichern. Denn

durch ad-hoc-Erhebungen sind die für Zeitvergleiche notwendigen historischen Daten nicht zu gewinnen. Mangels kleinräumig differenzierbarer statistischer Daten über die sozialen und ökonomischen Verhältnisse in den Nachbarschaften haben gerade die Städte erhebliche Probleme, die personal- und kostenaufwändige Politik systematisch vorsorgend und wirksam zu betreiben, die Bund und Länder von ihnen fordern: Integration von Migranten, die sprachliche und soziale Förderung benachteiligter Gruppen, die Hin- und Rückführung von Langzeitarbeitlosen ins Berufsleben, die begleitende Bildungsförderung von Jugendlichen aus prekären sozialen Verhältnissen, Vorbeugung gegen Kriminalität und Drogenabhängigkeit, Vorbeugung gegen die Vernachlässigung von Kleinkindern, Unterstützung alter Alleinstehender beim Bemühen, so lange wie möglich in der häuslichen Umgebung zu verbleiben – all das sind Aufgaben, die auch mit nationalen Programmen wie dem Bund-Länderprogramm „Soziale Stadt“ gefördert und die von der EU im Rahmen ihrer Kohäsionspolitik gefordert und unterstützt werden. Globale Daten für die Stadt als ganzes oder gar Schätzungen auf Stichprobenbasis helfen hier nicht weiter, liefern sie doch nicht die für gezielte Maßnahmen im Wohnumfeld erforderlichen zuverlässigen Informationen über besonders betroffene oder bedrohte Stadtgebietsteile und Bevölkerungsgruppen. Stichproben können diese Informationslücken definitiv nicht schließen. Schon in ihrer Stellungnahme zur Volkszählung stellte 1983 die Deutsche Statistische Gesellschaft fest: „Stichproben können TotaStadtforschung und Statistik 2/ 08


VERANTWORTUNG FÜR KOMMUNALE DATEN lerhebungen nur zum Teil ersetzen. Zugleich sachlich und regional tief gegliederte Ergebnisse sind damit nicht erreichbar...“ Um die für die vielfältigen kommunalen Planungen benötigten ständig wechselnden Gebietsabgrenzungen bedienen zu können, führen die Städte ein Raumbezugssystem auf der Basis von Straße und Hausnummer mit einer hierarchischen innergebietlichen Gliederung und der Verbindung zu Koordinaten für kartographische Darstellungen und geographische Analysen. Mit Ausnahme der Daten der Bautätigkeits- und der Verkehrsunfallstatistik wird ihnen diese flexible Auswertungsmöglichkeit bei den von der Bundes- und Landesstatistik erhobenen Daten bisher nicht geboten. Selbstverständlich nutzen die Städte die ihnen in der Verwaltung zur Verfügung stehenden Quellen, vor allem die Melderegister, sie führen fortgeschriebene Gebäude- und Infrastrukturdateien und bedienen sich eigener Bevölkerungsumfragen auf Stichprobenbasis. Auch erhalten sie aufgrund vertraglicher Vereinbarung von der Bundesagentur für Arbeit Arbeitsmarktdaten für Stadtteile, welche die BA mit Hilfe der von den Städten bereitgestellten gebietlichen Referenzen nach Straße und Hausnummer für sie aufbereitet. Vor allem aber verwenden sie die vielfältigen Daten der laufenden Bundesund Landesstatistik, allerdings nur für die Gesamtstadt, weil sie kleinräumig nicht auswertbar sind. Wenn einzelne Großstädte das Glück haben, beim Mikrozensus eigene regionale Anpassungsschichten zu bilden, stehen ihnen bisher auch die Ergebnisse dieser 1%Stichprobe der Bundesstatistik für die Gesamtstadt zur VerfüStadtforschung und Statistik 2/ 08

gung. Kleinräumigere Daten bis zur Straße und Hausnummer lieferten bis 1971 die großen Zählungen, 1987 immerhin noch Angaben für Blockseiten. Nun aber soll auch diese Quelle dringend benötigter sozialstatistischer Merkmale wegfallen. Und selbst beim Mikrozensus wird angeblich überlegt, ihn durch kleinere – dann nicht einmal mehr für große Städte als ganzes repräsentative – Stichproben zu ersetzen. Eigentlich muss diese bedrohliche Entwicklung nicht nur die Städte, sondern alle auf kleinräumige Informationen angewiesene Institutionen der Länder, des Bundes und der EU auf den Plan rufen.

Verantwortung für die kommunale Datenversorgung Die seit der letzten Volkszählung in den Hintergrund getretene Diskussion um die Verantwortung von Bund und Ländern für die Datenversorgung der Kommunen muss nun erneut und mit größerem Nachdruck

geführt werden. Betroffen sind besonders die Städte, in denen sich die sozialen und wirtschaftlichen Probleme ballen, und von denen entsprechend verstärkte Entwicklungsanstrengungen erwartet werden.. Leicht wird in der Politik vergessen, dass für das Handeln der Kommunen ähnlich wichtig wie die Finanzausstattung der Zugang zu den dafür erforderlichen Informationen ist. Wird dieser Zugang nicht gewährt, so höhlt dies die grundgesetzlich garantierte kommunale Selbstverwaltung aus. Art. 28 Abs. 2 GG bestimmt, „Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.“ Und nach Abs. 3 hat der Bund zu gewährleisten, dass die verfassungsmäßige Ordnung der Länder dieser Bestimmung entspricht. Die Länder können durch Gesetz Aufgaben an sich ziehen. Tun sie das nicht, müssen sie den Kommunen die Möglichkeit geben, die Angelegenheiten

1971: Gebäudescharf 1987: Blockseitenscharf 2011: Völlig unscharf

Handeln ohne Informationen?

45


VERANTWORTUNG FÜR KOMMUNALE DATEN

Kommunale VZ?

der örtlichen Gemeinschaft verantwortungsvoll zu regeln. Zuverlässige problementsprechende Informationen sind dafür zwingende Voraussetzung. Mit den Landesstatistikgesetzen haben Bundesländer ihren Kommunen u. a. auch die Möglichkeit geschaffen, eigene statistische Erhebungen durchzuführen, wenn die benötigten Daten nicht vom Statistischen Landesamt bereitgestellt werden können. In Bayern ist dies sogar mit Auskunftspflicht möglich. Diese Ermächtigung müsste auch in allen anderen Bundesländern geschaffen werden. Ob – daraus ableitbar – kommunale Volkszählungen künftig der Ausweg sind, den prekären Datenmangel zu überwinden, dürfte eher als letzte Möglichkeit zu diskutieren sein. Dagegen sprächen viele praktische und auch statistisch-fachliche Gesichtspunkte, zu denen nicht zuletzt die mangelnde Vergleichbarkeit individueller kommunaler Zählungen gehört. Jedenfalls lässt sich die prinzipielle Verantwortung des

Staates für die Informationsversorgung der Kommunen kaum leugnen. Und das Konnexitätsprinzip, nach dem den Kommunen neue Aufgaben nur übertragen werden dürfen, wenn von Bund und Ländern zugleich für deren Finanzierung gesorgt wird, gilt ja wohl auch im Umkehrschluss: Der Staat darf den Kommunen keine bisher gewährte Leistung einfach entziehen, wenn er nicht zumindest finanziell und rechtlich für einen Ausgleich zur entsprechenden Selbsthilfe sorgt. Dies gilt besonders für die sozio-ökonomischen Daten mit Zuordnung zu Straße und Hausnummer, die mit dem geplanten Zensus 2011 nicht bereitgestellt werden können.

Zur Abwendung der Informationskrise Zusammenfassend ist zunächst festzustellen: Die deutsche amtliche Statistik ist auf dem Weg zu einem Paradigmenwechsel. Sie wird

künftig primär aus Registern und kleinen Stichproben gespeist. Da die Register nicht alle erforderlichen Merkmale enthalten, und Stichproben für kleine räumliche Einheiten, wie die städtischen Teilräume, keine brauchbaren Ergebnisse liefern können, entsteht besonders durch den Wegfall der Volkszählung eine nicht hinnehmbare Informationslücke für alle, die auf zuverlässige kleinräumige statistische Daten angewiesen sind. Betroffen sind nicht nur die Städte, sondern zumindest all die Stellen, die in den Ländern, im Bund und auf der europäischen Ebene, städtebezogene Politik statistisch fundieren müssen. Die amtliche Statistik insgesamt ist hier in der Pflicht. Bei unvoreingenommener Betrachtung bestehen gemeinsame Interessen der Bundes-, Landes- und Städtestatistik, die eine gemeinsame Suche nach Lösungen ermöglichen sollten. Dabei sind rein rechtlich gegenüber den Städten vor allem die Statistischen Landesämter in der Pflicht, weil aus Bundessicht die Gemeinden als Teile der Länder zu betrachten sind und die Föderalismusreform diese Haltung noch verstärkt hat. Landes- und Kommunalstatistik sollten – auch im Interesse der Bundesstatistik – folgendes anstreben: • Straße und Hausnummer werden als Grundlage flexibler kleinräumiger statistischer Auswertungen Erhebungsmerkmale oder permanent verfügbare Hilfsmerkmale. Sie können von den Inhaltsdaten getrennt werden, müssen aber verknüpfbar erhalten bleiben.

46

Stadtforschung und Statistik 2/ 08


VERANTWORTUNG FÜR KOMMUNALE DATEN • Die Quellen der amtlichen Statistik sind so zu gestalten, dass sie zuverlässig auch den kleinräumigen Informationsbedarf befriedigen können. • Abgeschotteten Statistikstellen der Städte ist ein den Statistischen Landesämter gleichberechtigter Zugang zu den amtlichen Datenquellen einzuräumen. • Die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder erhalten Zugang zu den von den Städten geführten Systemen der kleinräumigen Gliederung. Sie dürfen diese für kleinräumig basierte Analysen nutzen, zu denen sie die rechtliche Kompetenz haben, sollten sich aber – zur Wahrung der kommunalen Selbstverwaltung und der kommunalen „Interpretationshoheit“ über innerstädtische Verhältnisse und Entwicklungen – analytischer Aussagen über einzelne Teilräume der Städte enthalten. Zweifellos eröffnet eine verstärkte statistische Nutzung von Verwaltungsregistern auch Chancen für eine partiell bessere Informationsversorgung. Diese werden für die Kommunen – und im Hinblick auf die durch den Datenschutz gesetzten Grenzen, primär für die Städte mit abgeschotteten Statistikstellen – allerdings erst dann wirksam, wenn diesen Stellen ein gegenüber den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder gleichrangiger Zugang zu diesen Registern eingeräumt wird. Tatsächlich aber haben die Städte bisher keinen vollwertigen Zugang zum Unternehmensregister, welches die früheren Arbeitsstättenzählungen weitgehend ersetzen soll, sie Stadtforschung und Statistik 2/ 08

haben keinen eigenen Zugang zu den Beschäftigtendaten der Bundesagentur für Arbeit, die wenigstens für Beschäftigte auch Bildungsdaten enthalten, sie erhalten nach langjährigen Auseinandersetzungen jetzt zwar endlich auch Schülerdaten, aber ohne deren Wohnadresse, so dass auf das Bildungsverhalten in den einzelnen Teilräumen der Stadt nicht geschlossen werden kann. Kaum ein Landesamt bereitet seinen Städten bisher die Lohnund Einkommensteuerstatistik kleinräumig auf, wie dies die Statistischen Landesämter von Hamburg und Nordrhein-Westfalen in vorbildlicher Weise tun. Bisher haben die Städte mangels ausdrücklicher gesetzlicher Ermächtigung auch keinen selbständigen Zugang zu den Einzeldaten der Bundes- und Landesstatistik. Selbst ohne eine solche Ermächtigung ließen sich aber für abgeschottete kommunalen Statistikstellen durch die Vereinbarung einer „Datenverarbeitung im Auftrag“ Wege zu einer gemeinsamen Nutzung des gegenwärtigen und eines künftig noch erweiterten Datenpotentials schaffen. Dies käme auch der Bundes- und Landesstatistik zugute, weil sie dann für gemeindeübergreifende Analysen, zu denen sie die rechtliche Kompetenz hat, kleinräumig gegliedertes Material nutzen könnte, wie es etwa für die regionale und nationale Städtepolitik dringend benötigt wird. Die Städte begrüßen die mit dem registergestützten Zensus 2011 verbundene statistische Gebäudezählung. Die dabei zu erhebenden Merkmale bedürfen noch der Diskussion, damit wichtige Informationsbedürfnisse der Städte und städtebe-

zogener Politik berücksichtigt werden. Die Städte werden damit ihre bisherigen statistischen Gebäudedateien überarbeiten bzw. neu aufbauen und fortschreiben. Der bevorstehende Paradigmenwechsel wirft nicht zuletzt ernstzunehmende Fragen der Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit der amtlichen Statistik auf. Alle an der Vertrauenswürdigkeit der deutschen amtlichen Statistik Interessierten müssen alles daransetzen, dass das Vertauen in die Zuverlässigkeit der amtlichen Statistik auch nach dem Paradigmenwechsel erhalten bleibt.

Die Vorbilder: HH und NRW

Über Sta tis

tik: „Manchm al glaube ich, jede Zahl diese r Stadt duz t mich.“ „Aber so ist das doch unte r guten Freunden !“

47


Dieser Beitrag fällt vielleicht ein wenig aus dem Rahmen, er liegt abseits von den üblichen, leicht übertragbaren Erörterungen eines vertrauten Sachthemas. Als Methodenbeitrag scheint er somit eher allgemein. Ist er daher nur theoretisch? Sollte man seine Aussagen daher eher schieben, auf übermorgen und danach? Eher nein. Denn: Wenn man das nutzt, was hier am Beispiel von Urban Audit exerziert wird, könnte nnte man auch im Datenangebot ffür die St Städte und Kreise generell ein gutes Stück vorankommen.

Urban Audit: Methodische Probleme und ihre Lösungen

Regionen runter brechen – gibt das nur Bruch? Hans Menge, Bonn Zuerst die gute Nachricht: Nein, Bruch muss es keineswegs geben, wenn man Regionaldaten weiter herunter bricht – im Gegenteil: Es können gut belastbare Daten für die Städte und Kreise herauskommen. Die schlechte Nachricht: Es ist mit einigem Aufwand verbunden; man musste dazu die bekannten Regionalisierungsverfahren der VGR für das Urban Audit-Projekt weiter entwickeln, das heißt umsichtig diversifizieren, um sie an vielschichtigere Datenstrukturen anzupassen – unterschiedlich sowohl in den regionalen als auch in den sachlichen Gliederungen. Die unten aufgeführten Berechnungen, flankierenden Arbeiten und Vorschläge führen z. T. über den Rahmen von Urban Audit hinaus.

Urban Audit ist ein EU-Projekt, das in Deutschland von der KOSIS-Gemeinschaft Urban Audit betreut wird – im Einvernehmen mit den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder. Die in diesem Beitrag beschriebenen Schätzungen von 47 der insgesamt rund 350 UA-Merkmale basiert auf Sonderaufbereitungen des Mikroszensus und der Wohnungsstichprobe, die das Statistische Bundesamt freundlicherweise übernommen hat.

48

Nach der allgemeinen guten Nachricht noch eine zweite, konkrete: Es ist möglich, für 43 der geforderten 47 Merkmale, die aus dem Mikrozensus durch regionale Disaggregation abgeleitet werden sollten, belastbare Ergebnisse für die Kreisebene abzuleiten, desgleichen sogar für die großen kreisangehörigen Städte. Das begründet den Optimismus, die Regionalisierung der MZ-Ergebnisse bundesweit und ggf. für weitere MZ-Merkmale, über das Urban Audit-Programm hinaus, nach diesen Verfahren auszuführen. Wie das? Und worum geht es/ ging es? Im Rahmen von Urban Audit (UA) kam als Datenquelle für etliche aktuelle Haushaltsund Wohnungsmerkmale in Deutschland nur der Mikrozensus (mit Wohnungsstichprobe) in Frage. Die meisten anderen Merkmale waren problemlos aus dem Datenangebot der amtlichen Regionalstatistik abzuleiten oder wurden von den Urban Audit-Städten bereitgestellt, einige auch von zentralen Kulturinstitutionen verfügbar gemacht. Hauptproblem bei den MZ-Merkmalen: Die meisten UA-Städte sind

nur Teile der kleinsten Regionaleinheiten, die für den MZ deutschlandweit ausgewiesen werden, den „Regionalen Anpassungsschichten“ (RAS)1. Und selbst für diese, die RAS, wird der Nachweis etlicher Merkmalsausprägungen unterdrückt, soweit die Fallzahlen der Stichprobe zu gering sind2. Die „Schätzungen“ der Merkmale, die in der amtlichen Statistik nicht für die gewünschte regionale Tiefe von Urban Audit verfügbar sind, sollten nach Disaggreations-Verfahren (wie bei den VGR’n) vorgenommen werden oder auch durch „Typisierung“ in denjenigen Fällen, wo keine geeigneten Schlüsselmerkmale verfügbar sind3. Die VGR spricht bei den Ergebnissen ihrer regionalen Disaggregation aber keineswegs von „Schätzungen“, sondern von „Berechnungen“, womit ein qualitativer Unterschied angesagt ist. Dieser Wertung schließt sich der Verfasser hier ausdrücklich an. Es zeigte sich aber, dass die VGR-Verfahren nicht für alle geforderten UAMerkmale anwendbar sind. Dies betrifft insbesondere die „nicht-summierbaren“ Merkmale wie z. B. „Pers. je WohStadtforschung und Statistik 2/ 08


REGIONEN RUNTER BRECHEN – GIBT DAS NUR BRUCH?

Abb. 2

nung“ oder das durchschnittliche „Haushaltseinkommen (Euro)“ je Stadt. Also mussten die bekannten Verfahren weiterentwickelt bzw. diversifiziert werden.

Probleme, die zu beachten, oder für die spezifische Lösungen zu suchen waren: Regionales Allerlei Die verschiedenen Bezugsräume der Basisdaten und der Ergebnis-Einheiten für Urban Audit sind recht vielgestaltig und meist nicht kompatibel. Dazu mehr in der nächsten Ausgabe von „Stadtforschung und Statistik“. Regionale Disaggregation Die gängigen VGR-Verfahren (Abb. 3) erlauben nur die Disaggregation von summierbaren Merkmalen (z.B. „Anzahl Haushalte je Region“). Für Urban Audit waren aber etliche nicht-summierbare Merkmale verlangt (vgl. Abb. 4). Hierfür mussten die Regionalisierungsverfahren der VGR diversifiziert werden. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um zwei unterschiedliche Fallgruppen: Fall a) Für Zähler- und Nennergröße liegen jeweils geeignete Schlüsselmerkmale vor. Z. B.: für Wohnfläche je Person: Die Wohnfläche ist ebenso auf Kreisund Gemeindeebene ausgewiesen wie die Bev lkerung am Ort der HauptBevö wohnung (letzteres hier als hinreichend geeigneter Schlüssel für die eigentlich geforderte wohnberechtigte Bev BevölkeStadtforschung und Statistik 2/ 08

Abb. 1 Abb. 4

rung). Die Disaggregation erfolgt dann für Zählermerkmal (Z) und Nennermerkmal (N) getrennt, diese werden anschließend ins Verhältnis gesetzt, nunmehr jedoch als disaggregiertes Merkmal für die Kreiseinheiten. Fall b) Für die Disaggregation liegt ein ebenfalls nur ein nicht summierbares Merkmal (Z/N) vor, dessen Zähler oder Nenner sich nicht gleichermaßen durch summierbare Merkmale disaggregieren lassen, z. B. Miete je qm. Hier ist ein anderer Weg einzuschlagen (vgl Abb. 5). Es gab weitere Probleme, für die eine Lösung gefunden werden musste: „Davon“-Merkmale (z. B. „Personen nach Ausbildungsabschluss“): Um konsistente Disaggregationsergebnisse zu erzielen, ist hier ein iterativer Randsummenausgleich durchzuführen4, um die Spaltensummen (Merkmalsgliederung) und die Zeilensummen (regionale Gliederung) abzugleichen. Anderenfalls wären

Abb. 3

49


REGIONEN RUNTER BRECHEN – GIBT DAS NUR BRUCH? Strukturverzerrungen in Kauf zu nehmen5. Verschachtelte Merkmale. Beispiel: • Mieterhaushalte • Haushalte in Geschosswohnungen, und • Mieterhaushalte in Geschosswohnungen. Hier führte ein recht komplexer Ansatz zum Ziel, konsistente Ergebnisse zu produzieren. Geeignete Schlüsselvariable: Gelegentlich boten sich mehrere verfügbare Merkmale zur Auswahl an, immer waren die theoretisch definierten Variablen (zur Disaggregation) aber auf ihre Korrelation zu dem Merkmal zu prüfen, das disaggregiert werden sollte6. In Zweifelsfällen wurde anhand von Proberechnungen ein Mix aus mehreren Merkmalen verwendet und optimiert. Quellen der auf Kreis- und Gemeindeebene verwendeten Daten: vgl. Abb. 6. UA-Merkmale und gewählte Schlüssel: vgl. Abb. 7. In weiteren Fällen, bei zwei nichtsummierbaren Merkmalen, war eine Dämpfung7 durchzuführen, hier mittels Quadratwurzel aus den DisaggregationsFaktoren (=1,0 ± x).

Klassifizierte Merkmale Drei Ausgangsmerkmale (Haushaltseinkommen sowie Pendler-Distanzen in km und Min.) liegen im MZ als klassifizierte Größen vor, aus denen u.a. Durchschnittswerte zu ermitteln waren. In Satelliten-Rechnungen für alle RAS war dafür Sorge zu tragen, dass die Ergebnisse der Durchschnittsbildung nicht verzerrt würden durch die gegebenen schiefen Werteverteilungen bei z. T. geringer Klassenzahl sowie durch die Annahmen für die offenen Randklassen. Problemlösungen: Bei schiefer Verteilung mit geringer Klassenzahl (4): Die Wahl der Klassenmitte als Repräsentant der jeweiligen Klasse wurde verworfen, sie würde zu nennenswerten Ergebnisverzerrungen führen, wie durch Beispielrechnungen zu belegen war. Als genauere Repräsentanten wurden die Mittelpunkte der „Trapez-Flächen“ bzw. der Dreiecke unter der Verleitungslinie ermittelt. Zu den offenen Randklassen: Hier wurden die Ergebnisse anderer Erhebungen bzw. Untersuchungen mit feinerer Klassenbildung herangezogen, um die Repräsentanten der Randklasse zu bestimmen.

Datengrundlage für Urban Audit 2001 und 2004 Für die Haushalts-, Bildungs-, Einkommens- und PendlerMerkmale stand mit dem MZ jeweils eine zeitgerechte Datengrundlage zur Verfügung. Anders für die Wohnungsmerkmale: Hier gab es nur die Wohnungsstichprobe 2002. Was tun? Aus der Gebäude- und Wohnungsfortschreibung sind für fast alle UA-Merkmale des MZ auch geeignete Daten auf Kreis- und Gemeindeebene verfügbar, um die Ergebnisse der WS 2002 fort- bzw. rück zu schreiben. Dies erscheint auch geboten angesichts der zwischenzeitlich z. T. kräftigen Veränderungen, vor allem bei den kleineren Wohnungen in den neuen Bundesländern. Für das Merkmal „Miete je qm“ ist zusätzlich der „Preisindex Preisindex ffür Nettokaltmieten“ (nach Ländern) heranzuziehen. Typisierung oder Regression? Für die kreisangehörigen Städte standen nicht immer dieselben Schlüsselmerkmale zur Verfügung (z. B. in Statistik-lokal) wie für die Kreisebene (z. B. Statistik-regional u.a.m.). Hier wurde zunächst

Abb. 5 Abb. 6

50

Stadtforschung und Statistik 2/ 08


REGIONEN RUNTER BRECHEN – GIBT DAS NUR BRUCH? Abb. 7

Stadtforschung und Statistik 2/ 08

51


REGIONEN RUNTER BRECHEN – GIBT DAS NUR BRUCH? mit einem Typisierungsverfahren experimentiert. Für 16 Regionen bieten die verfügbaren Kreisdaten von Statistik-regional eine gute Möglichkeit, die Stadt-/Umland-Relationen zahlenmäßig zu belegen (z. B. für Aachen Stadt und Kreis). Problem: Hier werden jeweils 2 vollständige Gebietseinheiten miteinander verglichen – für die kreisangehörigen Städte in Urban Audit ist aber eine Stadt-Umland-Typisierung Abb. 8

nach „kreisangehörige Stadt / Rest-Kreis“ erforderlich. Dieser Unterschied ist mittels einer Umrechnungsformel zu lösen8. Da die 16 für die Typisierung heranzuziehenden Stadt-/Umland-Relationen aber eine erhebliche Streuung aufwiesen, wurde einem anderen Ansatz der Vorzug gegeben: Nutzung eines Ersatz-Indikators auf Gemeindeebene, der mittels einer Regressionsgleichung mit dem bevorzugten Schlüsselmerkmal auf Kreisebene umzurechen war. Beispiel: „Anzahl der Wohneinheiten“ (auch für die Gemeindeebene verfügbar) in seiner Relation zur „Anzahl der Haushalte“ (nur auf Kreisebene verfügbar). Aggregation zu LUZ (LUZ = Larger Urban Zone = Kernstadt + Umland) Sofern eine LUZ die ihnen zugeordneten RAS-Gebiete zerschneidet, war die Aggregation der zuvor ermittelten entsprechenden Kreisergebnisse erforderlich. Kein Problem, zumal alle Kreis-

Abb. 9

einheiten in Deutschland ins Rechenverfahren einbezogen waren. Für die nicht-summierbaren Merkmale war jedoch eine gewichtete Aggregation durchzuführen, das heißt: Für Relativzahlen muss der Merkmalswert jeder beteiligten Gebietseinheit mit dem Gewicht der jeweiligen Nennergröße einfließen – beispielsweise: Das Merkmal „Miete je qm“ ist mit dem Wohnflächenanteil jedes Teilgebiets zu aggregieren. Kein Problem.

Prüfen, Prüfen, Prüfen Die Vielfalt der regionalen Besonderheiten, der Merkmalstypen und der methodischen Sonderfälle erzwingt es, die verwendeten Daten und Rechnungen in verschiedenen Stadien zu überprüfen, um die gewünschte Ergebnisqualität zu sichern. Dies betrifft mehrere Ebenen: A Die Ausgangsdaten 1) die MZ-Daten nach RAS (Ausreißer und zeitliche Kontinuität?) 2) die Schlüsselmerkmale, die für die Disaggregation aus unterschiedlich strukturierten Datenquellen nach Kreisen oder Gemeinden heranzuziehen waren. B die Zwischenergebnisse der erforderlichen umfangreichen Satellitenrechnungen9 C die Ergebnisse für die UAEinheiten bzw. für alle 439 Kreiseinheiten in Deutschland im Vergleich mit den MZ-Ergebnissen der zugeordneten RAS-Einheiten. Zur Plausibilitätsprüfung herangezogen wurden folgende Prüf-Indikatoren: • %-Anteile aller Teil-Merkmale an ihren InsgesamtWerten (Quervergleiche mit

52

Stadtforschung und Statistik 2/ 08


REGIONEN RUNTER BRECHEN – GIBT DAS NUR BRUCH? korrespondierenden Merkmalen) • ‰-Anteile aller Regionalergebnisse an Deutschland insgesamt. Dieses sind Indikatoren, die im Vergleich der (summierbaren) Merkmale sehr schnell mögliche Ungereimtheiten zwischen den verschiedenen Merkmalen anzeigen, Beispiel: Wenn der Haushaltsanteil einer Region xy 1,0 ‰ an Deutschland anzeigt, kann der Wohnflächenanteil kaum 1,5‰ oder 0,7‰ betragen. • Zeitvergleiche sowohl zwischen den Mikrozensus-Ergebnissen 2001 und 2004 als auch zwischen den Kreisdaten aus Statistikregional und ihre Effekte auf die Rechenergebnisse – dies bietet außerdem eine gute Möglichkeit, um aus der zeitlichen Stetigkeit Rückschlüsse auf die Validität der verwendeten Daten zu schließen. • Ausreißer: Um ein Gefühl für die Passfähigkeit bzw. zur Streuung der verwendeten Merkmale zu bekommen und ggf. einzelne Ausreißer einzuordnen, wurden zahlreiche Scattergramme zu allen verwandten oder zur Prüfung herangezogenen Merkmalenskombinationen analysiert. Dadurch konnten nebenbei einige Fehler in dem komplexen Rechenwerk lokalisiert werden, wie zum Beispiel ein Fehler in der benutzen Referenzdatei „RAS / zugehörige Kreise“ (vgl Abb. 8)10.

Vorschläge für umfassendere Lösungen Die oben aufgeführten methodischen Problemlösungen wur-

den sukzessive entwickelt, sie konnten im Rahmen des UAProjekts nicht vollständig auch rückwirkend auf die bereits bearbeiteten Projektabschnitte angewandt zu werden. Aber

Abb. 10

Zu den Ergebnissen der Plausi-Prüfungen und Einschätzung der benutzten Datenquellen: vgl. Abb. 9. Einige Kennziffern zu den MZErgebnissen nach RAS: vgl. Abb. 10. Stadtforschung und Statistik 2/ 08

53


REGIONEN RUNTER BRECHEN – GIBT DAS NUR BRUCH? künftig. Hierzu einige Vorschläge zur weiteren Verbesserung der Ergebnisqualität – mit der anspruchsvollen Perspektive, den Mikrozensus generell zur Erzielung belastbarer Regionalergebnisse für die Kreisebene11 zu erschließen. Und sogar für die großen kreisangehörigen Städte! Verstetigung der Datenbasis In Urban Audit sind Berechnungen nur im Dreijahres-Rhythmus vorgesehen. Problem: Größere Veränderungen in den Regionaldaten lassen sich über den Zeitraum von 3 Jahren schwer einordnen. Beispiel: Sind die Einkommensdaten für Bonn in 2001 wirklichkeitsnah oder eher die in 2004? Daher sollten auch die Ergebnisse aller Jahre dazwischen mit in die Analyse einbezogen werden. Besser noch: Stichprobenbedingt12 muss man immer auch mit regionalen und zeitlichen Ausrutschern bei den RAS-Ergebnissen des MZ rechnen. Daher liegt es nahe, jeweils nicht nur das MZErgebnis eines einzigen Stichjahres ins Kalkül einzubeziehen, sondern mehrere Jahresergebnisse. Mit dem Verfahren der exponentiell gleitenden Durchschnitte13 könnte man beispielsweise die regionale Stichprobenmasse erhöhen (über die Zeitschiene) und dadurch eindeutigere Entwicklungstrends gewinnen, also Veränderungen der Ergebnisse, die die Realität widerspiegeln, und nicht nur ein Stichprobenproblem bzw. einzelne lokale Unkorrektheiten bei der Erhebung. Solche Verrechnungen zu Aggregaten der ursprünglichen MZ-Ergebnisse bewirken auch, dass alle Merkmalsausprägungen ausgewiesen werden können, die sonst dem FallzahlLimit der „reinen“ MZ-Nachweise zum Opfer fallen! Dieses 54

Vorgehen sollte man ggf. auch auf einzelne erkannte Problemfälle bei den Daten für die Regionalisierung (Schlüsselwerte) anwenden, um die regionalen Strukturunterschiede noch sicherer abzubilden. Die Wohnungsstichprobe Das bislang nur für das UAProjekt 2001 angewandte Verfahren der Rückschreibung mit Daten der Gebäude- und Wohnungsfortschreibung sollte künftig immer angewandt werden. Mehr noch: Auch hier sollten die Ergebnisse mehrerer WS-Erhebungsjahre analysiert werden, um mehr Sicherheit bei der Beurteilung einzelner Regionalergebnisse zu erhalten. Äquivalenz-Einkommen vs. Haushaltseinkommen Die im Rahmen des UA-Projekts geforderten Einkommensmerkmale („EUR je Haushalt“) sind als Wohlstands- bzw. Armutskriterium nicht unproblematisch, wenn es darum geht, Stadt-/Umland-Relationen adäquat abzubilden. Dies ist begründet durch die recht unterschiedlichen Haushaltsstrukturen und -größen (Nenner) in den Gebietseinheiten. So streut z. B. die Zahl der „Personen je Haushalt“ für die Kreisebene in Deutschland zwischen 1,75 und 2,77 (+58% gegenüber dem Minimalwert), wobei die kreisfreien Städte durchweg am unteren Ende de Skala liegen, während die Landkreise in der Regel höhere Werte aufweisen. Folglich weist das „Einkommen je Haushalt“ für Städte im Vergleich mit Kreisen allgemein relativ geringere Werte aus als das entsprechende „Einkommen je Person“. Aber auch die Umrechnung auf „Einkommen je Person“ würde nur zu bedingt vergleichbaren Werten führen, da

der geringere finanzielle Mehrbedarf für weitere Personen im Haushalt (bei Mehrpersonen-Haushalten) unberücksichtigt bleibt. Daher wurde in der Armutsforschung der Indikator„Bedarfsgewichtetes Äquivalenzeinkommen“ eingeführt. Auch auf Makroebene ist es möglich, aus den Haushaltseinkommen nachträglich noch Äquivalenz-Einkommen zu berechnen. Das dafür erforderliche Rechenschema wurde im Rahmen des Urban AuditProjektes entwickelt und zu Vergleichszwecken erprobt. Es führt zu deutlich anderen regionalen Ranglisten bzgl. „Wohlhabenheit“ bzw. „Armut“, und zwar Gunsten der großen Städte. Anregung zur Ableitung weiterer Merkmale aus den Ergebnissen Mit einfachen Rechenoperationen lassen sich z. B. folgende weitere Merkmale aus den Ergebnissen ableiten. Beispielsweise zu den Einkommensmerkmalen: • Anteil des Haushaltseinkommens, der für Wohnungsmieten ausgegeben werden muss • Umrechnung der Haushaltseinkommen in Einkommen je Person • Äquivalenz-Einkommen (für das Durchschnittseinkommen je Haushalt) • Äquivalenz-Einkommen (für das Median-Einkommen je Haushalt). Zur Spreizung der Einkommensverhältnisse in den Regionaleinheiten: • Abstand zwischen 1. und 4. Einkommens-Quintil • – Abstand zwischen 1. und 4. Einkommens-Quintil, bezogen auf das Median-Einkommen. • … und weitere Merkmale. Stadtforschung und Statistik 2/ 08


REGIONEN RUNTER BRECHEN – GIBT DAS NUR BRUCH?

Resümee: In den umfassenderen methodischen Vorstudien, MethodenEntwicklungen und Regionalanalysen zu Urban Audit wurde aufgezeigt: • Die Regionalergebnisse des Mikrozensus sind eine hinreichend geeignete Grundlage für weitere Regionalisierungen (Kreisebene und große kreisfreie Städte). • Über den derzeitigen Merkmalumfang von Urban Audit hinaus lassen sich aus der MZ-Datenbasis weitere Indikatoren gewinnen. • Die vorgeschlagene „Aggregation des Mikrozensus über die Zeitschiene“ macht Ergebnisnachweise von Teilergebnissen des MZ möglich, deren Veröffentlichung sonst wegen der zu geringen Stichprobenmenge“ unterdrückt würde. • Es ist zu prüfen, ob sich einige der vorgeschlagenen Verfahren auch dazu eignen, kleinräumige Ergebnisse aus dem künftigen Zensus zu gewinnen, der ja – wie der Mikrozensus – ebenfalls als Stichprobe ausgeführt werden soll.

5

6

7

8

9

Anmerkungen 1

2

3

4

RAS sind meist Zusammenfassungen von 2 bis max. 10 Kreiseinheiten, nur in wenigen fällen umfasst eine RAS nur eine einzige Kreisfreie Stadt oder nur einen Kreis. Die geforderten 92 MZ-Basismerkmale nach allen 132 RAS wurden vom Statistischen Bundesamt über eine Sonderaufbereitung bereitgestellt (92 Basismerkmale deswegen, weil einige der benötigten 47 UA-Merkmale, z. B. das Durchschnittseinkommen, aus klassifizierten Daten zu berechnen waren). Allgemein: wenn die Fallzahl unter 10000 liegt Hier: für die kreisangehörigen Städte Da für die Disaggregation der Davon-Merkmale Schlüsselmerkmale verwendet werden, deren sachli-

Stadtforschung und Statistik 2/ 08

10

11

12

che Struktur nicht 100% identisch ist mit der Struktur der vorgegebenen Merkmale des Mikrozensus (differenziert nach RAS), ergibt die Berechnung auf Kreisebene im allgemeinen zunächst (geringfügige) Abweichungen in der Struktur (bei den Spaltensummen). Diese Differenzen sind in einer iterativen Rechenprozedur solange anzupassen, bis Spalten- und Zeilensummen die gewünschte Genauigkeit zu den vorgegebenen Strukturen der übergeordneten Regionalebene aufweisen. In einem Extremfall (ÖPNV-Pendler für Wolfsburg) wären sogar negative Ergebnisse zu erwarten, wenn als Schlüsselmerkmal für die PkwPendler die (für Wolfsburg extreme) Pkw-Quote verwendet wird und aus der übergeordneten RAS nur eine recht geringe ÖPNV-Quote auf die zugeordneten Kreiseinheiten zu verteilen ist. Da würden die vielen Pkw in Wolfsburg die marginalen ÖPNV-Nutzer über den Rand von ±0 quetschen. Hierzu waren die auf Kreisebene vorhandenen Merkmale zunächst auf die zugeordneten RAS zu aggregieren um mit den MZ-Merkmalen (nach RAS) in Beziehung gesetzt werden zu können. Dies erschien in zwei Fällen geboten: a) wenn das Kreismerkmal auch auf RAS-Ebene allgemein eine höhere Streuung aufwies als das MZ-Merkmal oder wenn b) einzelne Ausreißer das Korrelationsmaß drückten. Q* = 1 + { (KS/LK – 1) × [ (Kreis i – kreisangehörige Stadt j ) / (Kreis i ) ] } mit „KS“ = krsfr. Stadt und „LK“ = Landkreis (Faktoren aus der Typenbildung) Hier: für die Einkommensgrößen (Median, Quintile sowie Anteile der Haushalte mit weniger als 50% bzw. 60% des Median-Einkommens), die Pendler-Distanzen, die Ausbildungsabschlüsse und die Wohnungsmieten Der Fehler war: Gemäß Referenzdatei war ein Kreis fälschlich der RAS 609 zugeordnet statt 608 (Kassel) Von einigen Landesämtern werden einzelne Kreisdaten herausgegeben (ermittelt durch MZ-interne Hochrechnungen), allerdings nur, soweit die kritische Fallzahl (i. A. 5000) erreicht wird. Das bedeutet für nicht wenige Merkmalsausprägungen: „kein Nachweis“! – Es bleibt einer weiteren Prüfung vorbehalten, die Belastbarkeit der durch interne Hochrechnung bzw. externe Disaggregation ermittelten Kreisergebnisse miteinander zu vergleichen. … und vielleicht auch wegen der nicht immer korrekten Ausfüh-

13

rung durch einige Interviewer vor Ort? Probates Verfahren aus der Aktienanalyse: Jeder Wert einer Zahlenreihe wird berücksichtigt, aber mit exponentiell abnehmendem Gewicht (vom aktuellsten Wert rückwärts), z.B.: 1,0 / ½ / ¼ / … Damit ist – gegenüber den einfachen gleitenden Durchschnitten – auch das Problem am aktuellen Rand gelöst.

Über Statistik :

Von A wie Alk ohol bis Z wie Zahlen gilt: Zu viel ist schlech t.

55


Einwohner in Großstädten plus Umland / 1995 und 2005

Über die Grenzen hinaus gesehen Michael Haußmann, Stuttgart

Dieser Beitrag ist inklusive zweier Farbkarten in der Reihe Statistik und Informationsmanagement, Heft 3/2007, erschienen.

56

Der Vergleich von Großstädten ist nicht einfach, denn jede Stadt hat ihre eigene Geschichte. Die Bevölkerungsentwicklung seit der Industriellen Revolution hat jeweils andere Spuren hinterlassen. Viele Städte konnten ihre Gemarkungsgrenzen weit ins Umland ausdehnen, bei anderen Städten ist die Einwohnerentwicklung deutlich über die Stadtgrenze hinausgegangen. Wer Großstädte nur nach der Einwohnerzahl der Kernstädte vergleicht, greift daher in vielen Fällen zu kurz. Deshalb wird in diesem Beitrag auch der Verflechtungsraum bis 50 km um den Mittelpunkt der Kernstadt betrachtet. Innerhalb dieses Entfernungsbereichs sind die Verflechtungen, beispielsweise in Form von Umzügen1, besonders intensiv. Von besonderem Interesse in der vergleichenden Städtestatistik ist die Betrachtung der 15 größten deutschen Städte. Hier waren am 31. Dezember 2005

rund 13,5 Millionen Einwohner mit Hauptwohnsitz registriert – das entspricht einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von etwa 16 Prozent. Rechnet man den Einzugsbereich von 50 Kilometern um den Mittelpunkt der 15 Städte dazu, kommt man auf 42 Millionen Einwohner – mit 51,1 Prozent immerhin mehr als die Hälfte der Einwohnerzahl der Bundesrepublik (vgl. Tabelle 1). Den internationalen Vergleich brauchen die deutschen Stadtregionen in punkto Einwohnerzahl nicht zu scheuen. Wie Tabelle 2 verdeutlicht, liegen die nordrhein-westfälischen Großstadträume nur wenig hinter den Regionen London und Paris. Stuttgart als Raum mit einer relativ kleinen Kernstadt befindet sich auf Augenhöhe mit den Räumen Berlin, Barcelona, Frankfurt, Amsterdam, Rom und Athen. Strukturell unterscheiden sich die 15 deutschen Stadträume stark voneinander. Das Grö-

ßenverhältnis zwischen der Kernstadt und dem Umland bis 50 km ist in Düsseldorf und den Städten des Ruhrgebiets am stärksten zu Gunsten des Umlands ausgebildet (1:10 bis 1:14). Auf Grund der hohen Städte- und Einwohnerdichte in diesem polyzentralen Raum werden zahlreiche Städte dem Umland mehrerer Großstädte zugerechnet. Entsprechend hoch sind die Einwohnerzahlen in den einzelnen Stadtregionen. Mit einem Verhältnis von 1:6 bzw. 1:5 folgen die polyzentralen Räume Stuttgart, Frankfurt und Köln. Die anderen Stadträume weisen eher monozentrische Strukturen auf. Hamburg und insbesondere Berlin sind unter den 15 Stadtregionen die einzigen, in denen die Kernstädte mehr Einwohner beherbergen als das Umland (vgl. Tabelle 3 und Karte 1). In den zehn Jahren von 1995 bis 2005 ist die Einwohnerzahl Deutschlands kontinuierlich von 81,8 auf 82,4 Millionen gestiegen. Dies entspricht einer Zunahme von 0,8 Prozent. Anders als im Bundesgebiet insgesamt verlief die Entwicklung in den 15 Kernstädten nicht kontinuierlich. Im Konjunkturhoch zwischen 1995 bis 2000 war ein Rückgang um 234 391 Einwohner zu verzeichnen, insbesondere das Umland der Städte war zu dieser Zeit deutlich attraktiver. Im Konjunkturtief zwischen 2000 bis 2005 zeigten die Kernstädte dagegen eine deutliche Sogwirkung und

Stadtforschung und Statistik 2/ 08


ÜBER DIE GRENZEN HINAUS GESEHEN

Stadtforschung und Statistik 2/ 08

57


ÜBER DIE GRENZEN HINAUS GESEHEN konnten 152 206 Einwohner zurückgewinnen. Mit einem Plus von 1,1 Prozent übertraf der relative Zuwachs sogar den des Umlands. Insgesamt gesehen verlief die Einwohnerentwicklung in den Kernstädten deutlich antizyklisch.

58

Das Umland bis 50 km um die 15 Kernstädte ist im gesamten Zeitraum von 1995 bis 2005 um 2,9 Prozent gewachsen. In beiden 5-Jahres-Zeiträumen lag die Einwohnerzunahme deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Das Wachstum

im konjunkturell günstigeren Zeitraum von 1995 bis 2000 fiel mit 2,1 Prozent klar höher aus als während des Tiefs zwischen 2000 und 2005 mit 0,8 Prozent. Anders als in den Kernstädten war damit eine prozyklische Entwicklung zu beobachten. Betrachtet man den Gesamtzeitraum von 1995 bis 2005, konnte das Umland um die 15 Großstädte sein Gewicht im Vergleich zu den Kernstädten als auch zu den Räumen außerhalb des Umlands spürbar steigern (vgl. Tabelle 4). Betrachtet man die 15 Räume im Einzelnen, gab es in den zehn Jahren von 1995 bis 2005 sowohl Gewinner als auch Verlierer. Die Räume München, Hamburg und Stuttgart waren dabei am attraktivsten und konnten um 160 000 bis knapp 185 000 Einwohner zulegen. Auch das relative Wachstum war in den drei Räumen mit + 4,1 bis + 6,7 Prozent am höchsten (siehe Tabelle 5 und Karte 2). Die Kernstadt Hamburg war die einzige, die in beiden 5Jahres-Zeiträumen Einwohner hinzugewinnen konnte. Der Zuwachs war mit 35 726 Personen bzw. 2,1 Prozent gleichzeitig der höchste unter den Kernstädten. Auch das Umland von Hamburg ist in beiden Perioden gewachsen, mit einem Plus von 125 782 Köpfen jedoch nicht so stark wie das Umland von Berlin, München oder Stuttgart. Die Räume München, Köln, Frankfurt und Stuttgart konnten von der Entwicklung der letzten zehn Jahre deutlich profitieren und stellten starke Wachstumspole dar. Die vier Kernstädte haben zwar im Zeitraum von 1995 bis 2000 Einwohner verloren, dies aber in den folgenden fünf Jahren mehr als kompensiert. Im ZehnStadtforschung und Statistik 2/ 08


ÜBER DIE GRENZEN HINAUS GESEHEN

Jahres-Zeitraum war damit jeweils ein Plus zu verbuchen. Insbesondere München konnte den deutlichen Verlust von 26 147 Einwohnern in der ersten Phase durch einen Zugewinn von 49 454 Personen in der zweiten Phase mehr als ausgleichen. Die Entwicklung im Umland der vier Großstädte ist deutlich dynamischer verlaufen: Am stärksten gewachsen sind die Verflechtungsbereiche von München und Stuttgart (jeweils knapp + 160 000), gefolgt von Frankfurt sowie Köln

Stadtforschung und Statistik 2/ 08

(jeweils etwa + 125 000). Zählt man die Zuwächse in der Kernstadt und dem Umland zusammen, war München mit einem Plus von 183 985 Personen der wachstumsstärkste Raum zwischen 1995 und 2005. Der Nürnberger Raum hat sich ähnlich entwickelt wie die Räume München, Köln, Frankfurt und Stuttgart. Das Wachstum der Kernstadt entsprach in der Höhe etwa dem von Stuttgart. Das Nürnberger Umland ist mit + 52 268 jedoch deutlich geringer gewachsen.

Die Einwohnerentwicklung in Berlin verlief ambivalent: Während die Kernstadt mehr als 76 000 Einwohner verloren hat, konnte das Umland um mehr als 191 000 Personen zulegen. Binnen zehn Jahren ist das Berliner Umland somit um fast ein Fünftel gewachsen. Der größte Teil dieses Wachstums wurde in der Periode zwischen 1995 und 2000 realisiert, in der Zeit von 2000 bis 2005 war die Zunahme deutlich schwächer. Die Kernstädte Hannover und Bremen haben im

59


ÜBER DIE GRENZEN HINAUS GESEHEN

60

Stadtforschung und Statistik 2/ 08


WEISS ODER MARX? Zehn-Jahres-Zeitraum Einwohner verloren. Der Zuwachs der Einwohnerzahl im Umland übertraf diese Verluste, sodass insgesamt ein positiver Saldo zu verzeichnen war. Die Kernstadt Düsseldorf konnte Einwohner hinzugewinnen. Anders als im benachbarten Köln waren im Umland jedoch deutliche Verluste zu verzeichnen. Ein Blick auf Karte 2 zeigt, dass das Umland von Düsseldorf mit seiner Lage zwischen den sehr unterschiedlichen Räumen Köln/ Bonn sowie dem Ruhrgebiet sowohl Gewinne als auch Verluste verzeichnete. Letztendlich überwogen zahlenmäßig die deutlichen Rückgänge im nahen Ruhrgebiet. Die drei Ruhrgebiets-Großstädte Dortmund, Essen und Duisburg hatten nicht nur in

den Kernstädten größere Einwohnerverluste zu verschmerzen. Nach teilweise deutlichen Rückgängen im Zeitraum 1995 bis 2000 waren diese Städte im Folgezeitraum die einzigen, die weiter geschrumpft sind. Inzwischen wurden sowohl Dortmund als auch Essen in Bezug auf die amtliche Einwohnerzahl von Stuttgart überholt. Auch das Umland der Ruhrgebiets-Städte hat im gesamten Zeitraum deutliche Verluste hinnehmen müssen. Leipzig und Dresden konnten ihre Einwohnerzahl zwar aufgrund von Eingemeindungen steigern, bezogen auf den Gebietsstand von 2005 hat die Bevölkerung allerdings abgenommen. Der nähere Umlandbereich bis 30 km ist im Zeitraum von 1995 bis 2000 leicht gewachsen. Die Entwick-

lung in den weiter entfernten Umlandgemeinden entsprach dagegen durchgängig dem deutlich rückläufigen Trend in weiten Teilen Ostdeutschlands, sodass beide Räume letztendlich spürbare Verluste erlitten haben. Es bleibt abzuwarten, ob sich die aufgezeigten Entwicklungen in der derzeitigen wirtschaftlichen Aufschwungphase wiederholen; das würde heißen: Ein genereller Einwohnerrückgang in den Kernstädten gepaart mit einem relativ hohen Zuwachs im Umland der 15 Großstädte.

Fußnote 1

Schlömer, Claus: Binnenwanderungen seit der deutschen Einigung, in: Raumforschung und Raumordnung, 62. Jg. (2004), Heft 2, S. 96 ff.

Über Statistik :

„Zahlen sind fu rchtbar.“ „Die Steigeru ng heißt: Zahlen ist furc htbar.“

Weiß oder Marx? Martin Schlegel, Hagen Ich weiß nicht, wann das Fernsehen den Film noch einmal zeigt. Die Zeit dafür ist reif, ist 2008 doch ein Jahr der Erinnerung. Vor 75 Jahren kam der Streifen in die Kinos und fiel beim Publikum durch; vor 10 Jahren nahm das „American Film Institute“ ihn in die Liste der 100 größten amerikanischen Filme auf. Die Rede ist von „Duck Soup“, dieser Stadtforschung und Statistik 2/ 08

Komödie über den Krieg und die Gefahren der Diktatur, in der Groucho als Rufus T. Firefly sein Land ins Chaos stürzt. Bei uns läuft der Film als „Die Marx Brothers im Krieg“. Sie suchen einen Bezug zur Statistik? Muss der sein? Hier war noch eine freie Fläche und so hatte ich zu entscheiden: Weiß lassen oder Marx nehmen? Und

es ist immer erholsam, neben all den Zahlen und Analysen einen Blick auf die Marx Brothers zu werfen.

Für Sie zum Schluss doch noch ein paar Zahlen: Harpo, der als Adolph Marx zur Welt kam, wäre am 23. 11. 2008 – also in ein paar Wochen – 120 Jahre alt geworden. 61


Die „SWOT-Analyse“ als Instrument der kleinräumigen Wohnungsmarktbeobachtung

Ein Weg zu starken Daten Julia Meininghaus, Mirjam Brondies, Dortmund

Wohnungswirtschaft, Wissenschaft, Statistik

Kommunale Wohnungsmarktbeobachtung hat in Dortmund eine vergleichsweise lange Tradition. Seit der Einrichtung des Wohnungsmarktbeobachtungssystems im Jahr 1991 – damals noch unter der Bedingung eines angespannten Wohnungsmarktes – haben neben der jährlichen Wohnungsmarktberichtserstattung eine Vielzahl von Kooperationsprojekten zwischen Stadt, Wohnungswirtschaft und Wissenschaft stattgefunden. Mittlerweile ist der für die Gesamtstadt ermittelte Wohnungsbedarf rein quantitativ gedeckt und es hat eine Entwicklung vom Anbieterzum Nachfragermarkt stattgefunden.

Probleme treten kleinräumig auf

Probleme auf Quartiersebene

62

Mit der veränderten Wohnungsmarktsituation musste auch eine Weiterentwicklung des methodischen Instrumentariums erfolgen. Ausgangspunkt war dabei die Erkenntnis, dass bei einem entspannten Wohnungsmarkt Probleme nicht mehr gesamtstädtisch in Form von Versorgungsengpässen auftreten, sondern vielmehr Handlungserfordernisse auf der Quartiersebene bestehen. Hier zeigen sich teils in gebündelter Form Leerstände, städtebauliche Missstände und sozialstrukturelle Segregation. Die auf Kooperation abstellende Arbeitsweise fortführend,

hat das Amt für Wohnungswesen seine „Arbeitspartner“ in die Entwicklung eines kleinräumigen Analysekonzeptes einbezogen. In gemeinsamen Veranstaltungen im Rahmen des Masterplans Wohnen wurden mit Vertreterinnen und Vertretern der Wohnungswirtschaft, der Wissenschaft und dem städtischen Fachbereich Statistik zunächst Anforderungen an eine kleinräumige Wohnungsmarktbeobachtung formuliert: Der steigende Informationsbedarf der Wohnungsmarktakteure sollte gedeckt werden und der Aufwand von der Verwaltung zu leisten sein – vor allem aber sollte das Ergebnis keine reine „Problemanalyse“ darstellen, sondern zugleich Entwicklungspotentiale aufzeigen. Zu oft hatte eine unsystematische Informationsbeschaffung „vom Schreibtisch aus“ zu einem rein defizitären Blick auf Stadtteile oder Quartiere geführt. Gemeint ist hier ein „konzeptloses“ Zusammenstellen quantitativ-statistischer Indikatoren auf kleinräumiger Ebene. Fiel dann z. B. die Leerstandsquote, die Fluktuationsrate, der Migrantenanteil und die Arbeitslosenquote gemessen am Dortmunder Gesamtwert auffallend hoch aus, wurde das Quartier „pauschal“ zum Krisengebiet erklärt, ohne dass die mit ihm befassten Mitarbeiter es überhaupt je in Augenschein genommen hatten.

Wechsel der Perspektive Dieser Vorgehensweise wirkt die sogenannte „SWOT-Analyse“ entgegen. In einem mehrsemestrigen Projekt des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialgeographie der Ruhr-Universität Bochum haben Prof. Dr. Uta Hohn und Dipl.-Geogr. Sonja Piniek mit ihren Studierenden das aus der Betriebswirtschaft stammende Modell für die Quartiersanalyse modifiziert und gemeinsam mit dem Amt für Wohnungswesen in ausgewählten Quartieren getestet. Der aus den Anfangsbuchstaben der Begriffe „Strengths – Weaknesses – Oppertunities – Threats“ gebildete Name des Verfahrens verdeutlicht bereits, dass hier neben Schwächen und Risiken immer auch Stärken und Chancen in den Blick genommen werden. Unterschieden wird dabei zwischen internen, beeinflussbaren Stärken und Schwächen sowie externen, kaum veränderbaren Rahmenbedingungen, die Chancen und Risiken bergen (Abb. 1). Die SWOT-Analyse ist eine kleinräumige Untersuchungsmethodik, die aufgrund des hohen Arbeitsaufwandes nicht flächendeckend durchführbar ist. Somit gilt es Quartiere auszuwählen, die mit diesem integrierten Analyseansatz untersucht werden sollen. Als Hauptindikator für eine Vorauswahl dient in Dortmund die Leerstandsquote (hier insbesondere die Höhe des Stadtforschung und Statistik 2/ 08


EIN WEG ZU STARKEN DATEN strukturellen Leerstands). Darüber hinaus fließt auch eine gewisse tagespolitische Aktualität und die Rolle des Quartiers in der Stadtentwicklung in das Auswahlverfahren ein. Die Eigentümerstruktur und mögliche Kooperationsbeziehungen werden ebenfalls bei der Auswahl berücksichtigt. Signalisieren beispielsweise Wohnungsunternehmen mit im Quartier liegenden Beständen Kooperationsbereitschaft und Interesse an der Durchführung einer SWOT-Analyse, ist dies hilfreich und förderlich, denn oftmals können aus dem Portfoliomanagement der Unternehmen weitere wertvolle Informationen in die Analyse einfließen.

Die Lebenswirklichkeit erfordert eine Modellanpassung Im Wesentlichen geht es bei der für die Wohnungsmarktbeobachtung modifizierten SWOT-Analyse darum, ein breit angelegtes Spektrum aus im Quartier erhobenen quantitativen und qualitativen Informationen nach quartiersinternen Stärken/Schwächen und quartiersexternen Chancen/Risiken zu unterscheiden und daraus Handlungsoptionen für Stadt, Wohnungswirtschaft und weitere relevante Akteure abzuleiten. Da sich die Lebenswirklichkeit eines Quartiers höchst komplex darstellt und sich oftmals veränderbare interne und starre externe Stellgrößen nicht eindeutig voneinander unterscheiden lassen, gilt es das SWOT-Modell modifiziert und weniger rigide als in der Betriebswirtschaft anzuwenden. Auch können sich Stärken und Schwächen aus Sicht unterschiedlicher Akteure (z. B. Mieter und Eigentümer) wiStadtforschung und Statistik 2/ 08

dersprechen. Empfehlenswert ist daher, die Analyse prozessorientiert und kommunikativ zu gestalten und bei der Einordnung in das SWOT-Schema die unterschiedlichen Sichtweisen der beteiligten Akteure zu berücksichtigen. Zu Beginn der Analyse werden zunächst übergeordnete Themenfelder benannt, die – auch wenn nicht immer eindeutig möglich – nach „intern“ und „extern“ unterschieden werden (Abb. 2). Jedes Themenfeld wird weiter in Kategorien aufgefächert, für jede Kategorie werden dann mit quantitativen und qualitativen Methoden „erhebbare“ Indikatoren zusammengestellt, deren Ergebnisse schließlich Eingang in das SWOT-Schema finden (Abb. 3).

Ein Ausschnitt aus der praktischen Arbeit Ein kleines Beispiel mag die Vorgehensweise verdeutlichen: Zum Themenfeld „Demographischer Wandel“ gehört die Kategorie „Bevölkerungsstruktur“. Diese wird durch Indikatoren wie z. B. Bevölkerungsentwicklung, Altersstruktur, Haushaltsstruktur, Ausländeranteil, Anteil Deutsche mit Migrationshintergrund usw. analysiert. „Vom Schreibtisch aus“ können aus der kommunalen Statistikstelle problemlos der Ausländeranteil und auch der Anteil der Deutschen mit Migrationshintergrund an der Hauptwohnungsbevölkerung zur Verfügung gestellt werden. Für das untersuchte „Beispiel-Quartier“ ergibt sich ein weit unter dem Dortmunder Gesamtwert liegender Ausländeranteil bei einer vergleichsweise hohen Präsenz Deutscher mit Migrationshintergrund. Ein Blick auf das Merkmal der zweiten

Abb. 1: Grundschema SWOT-Analyse

Abb. 2: Themenfelder für eine SWOT-Analyse im Quartier (Beispiele)

Abb. 3: Ablaufschema SWOT-Analyse je Themenfeld

Staatsangehörigkeit zeigt, dass die zugewanderten Migrantinnen und Migranten aus Polen und dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion stammen. Die bei einer Quartiersbegehung gewonnen Eindrücke und die Ergebnisse einer Bewohnerbefragung liefern für diese quantitativen Indikatoren wichtige Zusatzinformationen: So leben „alteingesessene“ Dortmunder und zugewanderte Spätaussiedler 63


EIN WEG ZU STARKEN DATEN

Betroffene müssen sich einbringen

von einander weitgehend separiert in den Beständen von zwei unterschiedlichen Wohnungsunternehmen. In der Befragung häufen sich unter den lang ansässigen Bewohnern Aussagen wie: „Wir wohnen ja schon lange hier im guten Teil des Quartiers, in den guten Wohnungen des Wohnungsunternehmens X. Die anderen kamen dann dazu, in die schlechten Wohnungen des Unternehmens Y.“ Zwar äußern beide Gruppen Zufriedenheit mit den (gruppen-)internen Netzwerken und nachbarschaftlichen Beziehungen, zwischen den Gruppen bestehen offensichtlich jedoch (kulturelle) Barrieren.

Erkenntnisgewinn durch Verknüpfung

Weitere SWOT-Analysen

Methodenmix

64

Das kleine Beispiel verdeutlicht, dass erst durch die Verknüpfung quantitativer und qualitativer Informationen ein Erkenntnisgewinn entstanden ist. Stärken (hier: bestehende gruppeninterne Netzwerke) und Schwächen (hier: Differenzen zischen den beiden Gruppen) treten nun deutlicher zu Tage und es können Handlungsempfehlungen abgeleitet werden (z. B. gemeinsame Projekte der Wohnumfeldgestaltung). Auch bei der Operationalisierung der übrigen Themenfelder und der späteren Messung/ Erhebung der Indikatoren kommt in der Regel ein „Methodenmix“ zum Einsatz. Neben der Analyse sekundärstatistischer Materialien und der Durchführung von standardisierten Bewohnerbefragungen zählen z. B. auch Kartierungen, Expertengespräche und protokollierte Begehungen zum Instrumentarium.

Machbarkeit und Nutzen der Analyse

...zu guter letzt: die Rolle der Statistik...

Die bisherigen Erfahrungen belegen, dass Nutzen und Erfolg einer SWOT-Analyse neben der Qualität der methodischen Arbeit von der Kooperationsbereitschaft der Schlüsselakteure im Quartier abhängen. Sind Eigentümer, Bewohner oder auch Vertreter des ansässigen Einzelhandels, kultureller oder sozialer Einrichtungen bereit, sich in den Prozess einzubringen, gelingt auch die abschließende gemeinsame Identifikation quartiersinterner Stärken und Schwächen besser. Und natürlich sind die ausgesprochenen Handlungsoptionen auch nur dann erfolgsversprechend und realisierbar, wenn sie von einer breiten Basis getragen und gemeinsam umgesetzt werden.

Die Funktion der kommunalen Statistik geht im beschriebenen Verfahren über die eines reinen Datenlieferanten weit hinaus. Neben der Bereitstellung von Kennzahlen auf kleinräumiger Ebene – im Idealfall aus einem bestehenden Monitoringsystem – und der Durchführung von Umfragen sind beratende Tätigkeiten zum Verständnis und zur Eignung von Methoden und Indikatoren unabdingbar. Insbesondere da die SWOT-Analyse prozessorientiert angelegt ist, ergeben sich aus dem laufenden Projekt und der „Arbeit im Feld“ häufig auch Anregungen für eine Weiterentwicklung kommunalstatistischer Arbeitsschwerpunkte – und was hier für den Bereich „Wohnen“ gilt, trifft oftmals auf die Fragestellungen anderer städtischer Fachbereiche, die von der kommunalen Statistik beraten und mit Informationen versorgt werden möchten, gleichermaßen zu. Nicht umsonst wird in der englischen Sprache zwischen „wohnen“ und „leben“ nicht unterschieden. Und das althochdeutsche „wônen“ bedeutet auch „zufrieden sein“, „sein“, „bleiben“.

Das Dortmunder Amt für Wohnungswesen hat mittlerweile in weiteren Quartieren SWOT-Analysen durchgeführt bzw. in Arbeit. Nach der ersten intensiven Erprobung der Methode in Zusammenarbeit mit der Ruhr-Universität Bochumer ist es gelungen, das Verfahren weitgehend ohne Unterstützung aus der Wissenschaft mit „Bordmitteln“ durchzuführen. Wie aufwändig das Verfahren gestaltet werden kann, hängt natürlich mit den zur Verfügung stehenden personellen und zeitlichen Ressourcen zusammen. Aber auch bei der Entscheidung für ein kleineres Spektrum an Themenfeldern und Indikatoren, mit ggf. weniger aufwändigen Zusatzerhebungen, mindert die SWOT-Analyse die Gefahr der Fehl- oder Vorurteilsbildung über ein Quartier und dessen Bewohner.

Materialien zum Einsatz der SWOT-Analyse in der Wohnungsmarktbeobachtung zum Downloaden finden sich auf der Seite www.wohnungswesen. dortmund.de.

Stadtforschung und Statistik 2/ 08


Familienberichterstattung mit dem Familienatlas

Genauer hinschauen lohnt sich Annett Schultz, Holger Wunderlich, Bochum

In der öffentlichen Berichterstattung und Diskussion der letzten Jahrzehnte wurden Familien nicht selten ausschließlich als Hilfeempfänger wahrgenommen. Dabei wurde in der Regel vergessen, dass Familien auch Leistungen erbringen, und zwar nicht nur für sich selbst bzw. ihre Mitglieder, sondern auch für die Kommune und die Gesellschaft. Erst sinkende Geburtenzahlen und schrumpfende Städte und Gemeinden haben dafür gesorgt, dass die Leistungen der Familien auch auf örtlicher Ebene eine größere Aufmerksamkeit erhalten. Erst jetzt entsteht bei kommunalen Akteuren (langsam zwar, aber unaufhaltsam) ein Bild von Familien als Leistungserbringer und unersetzliche Ressource kommunaler Entwicklungen. Daher hat Familienfreundlichkeit und Familienpolitik auch auf lokaler Ebene mittlerweile einen hohen Stellenwert.

Familienfreundlichkeit vor Ort Die Akteure vor Ort in den Kreisen und Städten wissen oftmals wenig über ihre „Zielgruppe“: Welche Familien leben vor Ort? Welche Veränderungen bezüglich der Lebenslage und der Familienstrukturen lassen sich in den letzten Jahren beobachten? Welche Alltagsprobleme und Alltagsbedürfnisse haben die Familien(-mitglieder)? Wo sehen Familien(-mitglieder) Defizite? Wie kann die Alltagsorganisation durch familienpoStadtforschung und Statistik 2/ 08

litische Angebote unterstützt werden? Zwischen dem, was Familien für eine bessere Organisierbarkeit des Alltags brauchen bzw. suchen, und dem, was ihnen durch kommunale Familienpolitik angeboten bzw. zugebilligt wird, gibt es bisher nur wenig Abstimmung. Familienfreundlichkeit und Familienpolitik muss sich aber an den Familien orientieren, die sie vor Ort erreichen will. Die Tatsache, dass es nirgends so wie im Durchschnitt ist und es die Familie nicht (mehr) gibt, muss konsequenterweise zu der Schlussfolgerung führen, dass Familienfreundlichkeit viele Ausprägungen hat und es auch die Familienfreundlichkeit nicht geben kann. Entsprechend muss lokale Familienpolitik im Umland und in den Kernstädten, im Süden oder im Norden der großen Städte unterschiedliche Ziele verfolgen und unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Vor diesem Hintergrund erweist sich die konkrete Ausgestaltung kommunaler Familienpolitik häufig als problematisch. Eine zusätzliche Schwierigkeit besteht darin, kommunale Familienpolitik nachhaltig auszurichten. Kommunale Familienberichterstattung kann in diesem Prozess ein Instrument sein, um Informationsdefizite aufzuarbeiten und Entscheidungen vorzubereiten. Wissen über die Lebenslage von Familien, ihre Alltagprobleme und Unterstützungsbedarfe, aber auch über die

subjektive Bewertung der Lebensbedingungen durch die Familien selbst ist demnach unerlässliche Voraussetzung für eine fundierte, flexible und familienfreundliche Kommunalpolitik in jeder Stadt oder Gemeinde.

Der Familienatlas als Handlungsbasis? Die familienpolitische Diskussion auf kommunaler Ebene wird stark durch die Veröffentlichung des „Familienatlas 2007 – Standortbestimmung, Potenziale, Handlungsfelder“ bestimmt, der durch die Prognos AG im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erarbeitet wurde (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2007). Der Familienatlas stellt sich das recht anspruchsvolle Ziel, sowohl die Attraktivität für Familien als auch die Stärken und Schwächen für alle kreisfreien Städte und Kreise in der Bundesrepublik abzubilden. Er stellt damit ebenfalls eine Form der Familienberichterstattung dar. Dies ist bereits die zweite Veröffentlichung dieser Art durch das Bundesfamilienministerium, der erste Familienatlas erschien im Jahr 2005 (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2005). Die Ziele beider Veröffentlichungen und das dahinter stehende Idealbild von Familienfreundlichkeit in Kommunen sind fast deckungsgleich. Die

Bislang zu wenig Abstimmung

Atlas mit hohem Anspruch

65


GENAUER HINSCHAUEN LOHNT SICH

Ziel: Familienfreundlichkeit vergleichbar darstellen

Analysen sollen Ansatzpunkte für kommunalpolitisches Handeln aufzeigen, um Regionen für Familien attraktiver zu machen. Attraktivität von Regionen für Familien bzw. Familienfreundlichkeit wird als Standortfaktor begriffen, den es „im Wettbewerb der Regionen“ zu nutzen gilt. Mittels einheitlicher, übergreifend gültiger Indikatoren soll deshalb Familienfreundlichkeit vergleichend dargestellt und gemessen werden.

Datengrundlage

Eingeschränkte Datenbasis

Erfolge im Osten?

Basis der Vergleichsanalysen im Familienatlas 2007 sind zusammengefasste hoch aggregierte statistische Indikatoren für Kreise bzw. kreisfreie Städte, die vier Indikatorenbereiche bzw. Handlungsfelder kommunaler Familienpolitik abbilden: • Vereinbarkeit von Familie und Beruf • Wohnsituation und Wohnungsumfeld, • Bildung und Ausbildung sowie • Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche. Dabei handelt es sich unbestreitbar um vier sehr wichtige Handlungsfelder kommunalpolitischer Aktivitäten für mehr Familienfreundlichkeit vor Ort. Problematisch sind aus unserer Sicht aber zum einen die auf vergleichsweise dünner empirischer Basis getroffenen weit reichenden Bewertungen der Qualität kommunaler Familienpolitik und zum anderen die im Hinblick auf die sozialstrukturelle und kulturelle Vielfalt familialen Lebens in Deutschland recht enge Definition von Familienfreundlichkeit.

Kritikpunkte Im Familienatlas 2007 wird explizit darauf verwiesen, dass 66

die Ergebnisse der Jahre 2005 und 2007 nicht vergleichbar sind. Da es in beiden Publikationen um die Darstellung und den Vergleich der Familienfreundlichkeit in kreisfreien Städten und Kreisen geht, sollte aber zumindest tendenziell eine Reproduzierbarkeit der Ergebnisse möglich sein. Dem ist aber nicht so! Vielmehr zeigen sich sehr unterschiedliche, zum Teil widersprüchliche Einordnungen von Regionen, was insbesondere auf die Begrenztheit der familienrelevanten statistischen Daten auf kommunaler Ebene zurückzuführen ist. Die begrenzte Datenverf gDatenverfü barkeit ffür alle Kreise und kreisfreien Städte setzen dem Vergleich sehr enge Grenzen, so dass alle vier Handlungsfelder nur unvollkommen operationalisiert werden können. Trotz der sehr eingeschränkten Datenbasis werden stark bewertende Ergebnisse über die Familienfreundlichkeit vor Ort abgeleitet. Schaut man sich die Ergebnisse des Ranking des Jahres 2007 an, so sind insbesondere Regionen im Osten, denen nur zwei Jahre zuvor noch „fehlende Perspektiven für Familien“ (bspw. Kreis Wernigerode oder Potsdam) zugeschrieben wurden, zum Teil sogar „Top-Regionen“ für Familien. Die Kreise und kreisfreien Städte im Ruhrgebiet hingegen stehen deutlich schlechter als zwei Jahre zuvor als „passive“ (bspw. Oberhausen, Mülheim) oder „zurückfallende Regionen“ da. Dies suggeriert, dass im Osten der Bundesrepublik in Sachen Familienfreundlichkeit sehr viel passiert ist und im Ruhrgebiet Familienfreundlichkeit bis heute keine große Rolle spielt. Das familienpolitische Engagement der Kommunen kann mit den vorliegenden Daten aber weder im Osten noch im Ruhrgebiet tatsächlich be-

wertet werden, denn es werden weder faktische Aktivitäten der Kommunen in den Handlungsfeldern (bspw. Verbesserung der Kinderbetreuungsquote,Ausbau der Freizeitangebote für Kinder, Erhöhung der Kinderarztdichte) noch Prozessqualitäten kommunaler Familienpolitik (bspw. Lokale Bündnisse, Familienkonferenzen, Beteiligungsverfahren) erhoben. Dennoch wird über die Bezeichnungen der Regionen-Gruppen, die Ergebnis der Gesamtanalyse sind, eine Prozessbewertung suggeriert. Das dadurch erzeugte Ranking von Kreisen und kreisfreien Städten unterliegt vor dem Hintergrund der dünnen Indikatorenbasis damit einer gewissen „Beliebigkeit“. Als weiterer Kritikpunkt ist anzuführen, dass im Familienatlas 2007 zwar die Unterschiedlichkeit der Familienstrukturen und familialen Bedürfnisse einleitend betont wird, diese Unterschiedlichkeit in den Analysen aber nur wenig Berücksichtigung findet. Vielmehr ist als Ziel kommunalpolitischer Aktivitäten „im Wettbewerb der Regionen“ stets die Ansiedlung oder Gewinnung von erwerbstätigen Eltern mit möglichst hohem Bildungsstatus und gutem Einkommen präsent, auch wenn dies nicht explizit benannt oder gar inhaltlich diskutiert wird. Die definierten Kriterien bilden primär Familienfreundlichkeit für (mobile) Mittelschichtfamilien ab und orientieren sich an den Bedarfen dieser Familien (bspw. Baulandpreise, Ganztagsbetreuungsquote im Kindergartenalter, Grad der Nutzung von Musikschulen oder Vereinsmitgliedschaften). Familienfreundlichkeit ist damit ausgesprochen eng definiert und kann der Vielfalt der Lebenslage der Familien in vielen Städten und Kreisen nicht gerecht werden. Zudem sollte sich aus Stadtforschung und Statistik 2/ 08


THAT‘S ALL RIGHT unserer Sicht Familienpolitik in erster Linie an die Familien wenden, die bereits in der Stadt bzw. im Kreis wohnen und erst in zweiter Linie auch danach schauen, welche Familien man gerne zusätzlich ansiedeln und gewinnen möchte. Denn die erstgenannte Gruppe wird in jeder Stadt und in jedem Kreis – schon mit Blick auf die Größe – immer die bedeutsamere Zielgruppe kommunaler Familienpolitik sein. Sozialstrukturelle Unterschiede zwischen den Städten und Kreisen, die unterschiedliche Bedarfslagen und unterschiedliche Angebotsprofile bedingen, werden im Familienatlas 2007 nicht berücksichtigt. Das ist insbesondere deshalb so problematisch, weil diese von den lokalen Akteuren nur bedingt oder gar nicht beeinflusst werden können, sie aber erhebliche Auswirkungen auf die lokale Politik und die kommunale Infrastruktur haben. So wurde zu Gunsten

der Vergleichbarkeit der ostund westdeutschen Regionen auf das Merkmal „Anteil der nichtdeutschen Bevölkerung“ bzw. „Familien mit Migrationshintergrund“ verzichtet. Nicht nur mit Blick auf das Ruhrgebiet stellen Familien mit Migrationshintergrund aber eine ausgesprochen wichtige Herausforderung der örtlichen Familienpolitik dar.

Fazit: Genauer hinschauen! Zusammenfassend kann man sagen, dass der Familienatlas 2007 bundesweit einheitliche Daten zur Lebenssituation von Familien zur Verfügung stellt, die auf einer sehr allgemeinen Ebene Vergleiche zwischen Regionen ermöglichen und somit Diskussionen und Aktivitäten der örtlichen Familienpolitik befördern können. Zwar wird mit dem umfangreichen Datenmaterial nachdrücklich verdeutlicht, dass sich die fa-

milialen Lebensbedingungen erheblich zwischen den einzelnen Regionen in Deutschland unterscheiden – nirgendwo ist es so wie im (Bundes-)Durchschnitt! –, dennoch bleiben die Ergebnisse zu unspezifisch, um tatsächlich Ansatzpunkte für kommunales Handeln zu begründen. Unser Credo, das wir im Folgenden empirisch anhand der im Familienatlas 2007 als „passiv“ eingeordneten Städte Oberhausen und Mülheim an der Ruhr sowie dem Kreis Siegen-Wittgenstein belegen möchten, lautet daher: Genauer hinschauen lohnt sich!

Unspezifische Ergebnisse

Viele Daten zur Familiensituation

Literatur: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2007): Familienatlas 2007. Standortbestimmung, Potenziale, Handlungsfelder. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2005): Potenziale erschlie-

US 53310761

That‘s All Right Martin Schlegel, Hagen

„That‘s All Right“, das hört doch jeder gerne. Seit über 50 Jahren können wir es hören, denn 1954 nahm Elvis Presley seine erste Platte auf: „That‘s All Right“. Damit begann eine beispiellose Karriere. Er bewegte leicht die Hüften und viele fielen in Ohnmacht. Die Älteren vor Entsetzen über die obszöne Bewegung, die Jüngeren vor Begeisterung ob der Provokation. Elvis brach Tabus und sorgte so auf allen Ebenen für Aufmerksamkeit. Stadtforschung und Statistik 2/ 08

Eines seiner großen Lieder ist zweifellos „Hound Dog“ und hier zeigte sich der nach außen provokante Rabauke pedantisch: Als von dem Song 15 Aufnahmen im Kasten waren, sagte die Aufnahmeleitung: Schluss! Doch Elvis war nicht zufrieden, er ließ weiterarbeiten. Insgesamt 30 Aufnahmen entstanden, Nr. 28 wurde genommen. Elvis besaß eben nicht nur Können, sondern war auch ein

harter Arbeiter. Nur wenn beides zusammentrifft, ist Erfolg möglich. Für Elvis bedeutete das viel Umsatz – 1 Mrd. verkaufte Platten – und viel Lob, erklärte doch John Lennon: „Vor Elvis gab es nichts!“ Vor 50 Jahren, am 1. Oktober 1958, kam Elvis Presley als Soldat Nummer US 53310761 per Schiff in Bremerhaven an, um dann in Friedberg (Hessen) einen großen Teil seines Wehrdienstes abzuleisten. 67


Lebensbedingungen von Familien – Beispiele Oberhausen, Mülheim, Siegen-Wittgenstein

Zur konkreten Kritik am Familienatlas Annett Schultz, Holger Wunderlich, Bochum

Kreisfreie Städte sind zu grobmaschig

Einheitliches System mit kleinräumigen Daten

Umfrage zur Armutsbetroffenheit

68

Dieser Beitrag ist die Fortsetzung von „Genauer hinschauen lohnt sich!“, mit dem wir unsere Kritik an dem Familienatlas 2007 untermauern wollen. Die folgenden Ergebnisse basieren auf einem Familienberichtssystem, das in einem vom Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen geförderten Modellprojekt „Kommunales Management für Familien“ entwickelt wurde. An dem Modellprojekt waren die Städte Herten, Gelsenkirchen und Oberhausen sowie der Kreis Unna beteiligt. Das entstandene einheitliche Berichtssystem erfasst kleinräumig mittels Verwaltungsdaten und einer zusätzlichen schriftlichen Familienbefragung von Haushalten mit mindestens einem Kind im Alter unter 18 Jahren handlungsrelevante Informationen zu den Lebensbedingungen und der Lebenslage von Familien in Kommunen. Darüber hinaus ermöglicht das Berichtssystem durch die integrierte Familienbefragung auch die Darstellung der subjektiven Bewertung der Lebensbedingungen durch die Familien selbst. Die Vereinheitlichung der Indikatoren und der standardisierte einheitliche Fragebogen ermöglichen den Vergleich zwischen den Städten und Kreisen der Projektfamilie, in der sich mittlerweile bereits zwölf Städte sowie drei Kreise engagieren.

Vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen im Rahmen des dargestellten Projektzusammenhangs kritisieren wir seit längerem, dass die Ebene der Kreise und kreisfreien Städte zu „grob“ ist, um Handlungs- und Praxisrelevanz für kommunalpolitische Akteure entfalten zu können. Innerhalb jedes Kreises bzw. jeder kreisfreien Stadt finden wir die gleichen und teilweise sogar noch größeren Variationen als im Vergleich der Kommunen. Daher bieten solche Durchschnittsbetrachtungen nur sehr wenige Ansatzpunkte für eine Konkretisierung oder Verbesserung der Familienpolitik vor Ort. Dies soll im Folgenden beispielhaft mit Ergebnissen der Familienberichterstattung in den kreisfreien Städten Oberhausen und Mülheim sowie im Kreis SiegenWittgenstein belegt werden. Alle werden im Familienatlas 2007 als passive Regionen etikettiert (vgl. ebenda, S. 22). Thematisch konzentrieren wir uns auf ausgewählte Ergebnisse zu Umfang und Struktur der Armutsbetroffenheit unter besonderer Berücksichtigung von Familien mit Migrationshintergrund, zur innerstädtischen Segregation (in Oberhausen und Mülheim) sowie zu Erwerbskonstellationen in den Familien. Der Fokus liegt immer auf der Darstellung der ausgesprochen hohen kleinräumigen Variation der Lebenswirklichkeiten von Familien.

Sozialstrukturelle Unterschiede Zwei Merkmale, die im Familienatlas 2007 (ebenso wie im Familienatlas 2005) unberücksichtigt bleiben, sind die Armutsbetroffenheit von Familien sowie die Lebensbedingungen von Familien mit Migrationshintergrund – beides sind unsers Erachtens große Herausforderungen für die konkrete Ausgestaltung kommunaler Familienpolitik, auch wenn die Interventionsmöglichkeiten im monetären Bereich vor allem Bundes- und (mit deutlichen Abstrichen) Landesangelegenheit sind. Trotzdem ist die wirtschaftliche Lage von Familien für Kommunalpolitik und -verwaltung von größter Bedeutung, da sich der Lebensalltag von Familien in den Kommunen abspielt und hier die Folgen von Einkommensarmut sichtbar werden. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familien in den drei Kommunen unterscheiden sich erheblich. Ermittelt haben wir die Armutsbetroffenheit der Familien im Rahmen einer Familienbefragung. Als arm oder armutsnah gelten Familien, die weniger als 60 Prozent des bedarfsgewichteten Nettoeinkommens aller Haushalte in NRW haben (gerundet 750 Euro Äquivalenzeinkommen). Nach dieser Definition gelten in Oberhausen 35 Prozent der Familien als arm oder armutsStadtforschung und Statistik 2/ 08


ZUR KONKRETEN KRITIK AM FAMILIENATLAS nah, in Mülheim an der Ruhr 22 Prozent und im Kreis Siegen-Wittgenstein 28 Prozent. Das Ausmaß der durch Einkommensarmut begründeten Benachteiligungen von Familien und Kindern, mit denen in den Kommunen „umgegangen“ werden muss, ist damit recht unterschiedlich. Es zeigt sich – wie in zahlreichen anderen Studien auch –, dass das Armutsrisiko von Migrantenfamilien deutlich höher ist als das von Familien ohne Migrationsgeschichte. Allerdings lassen sich die Unterschiede zwischen den Kommunen nur begrenzt durch das höhere Armutsrisiko von Familien mit Migrationshintergrund und einen (höheren) Anteil von Familien mit Migrationshintergrund erklären, denn in den beiden Städten liegt der Anteil von Migrantenfamilien bei ca. 20 Prozent. Betrachten wir die (nebeneinander liegenden) Städte Oberhausen und Mülheim: In beiden Städten ist der Anteil der armen und armutsnahen Familien unter den Familien mit Migrationshintergrund deutlich höher als unter den Familien ohne Migrationshintergrund. Tabelle 1 zeigt zudem die höhere Armutsbetroffenheit von Familien mit Migrationshintergrund in Oberhausen im Vergleich zu Mülheim auf. Sehr viel deutlicher aber ist die höhere Armutsbetroffenheit der Oberhausener Familien ohne Migrationshintergrund im Vergleich zu Mülheim. Die Unterschiede zwischen den Städten lassen sich eher durch die unterschiedliche Armutsbetroffenheit der Familien ohne Migrationshintergrund erklären, als durch den Anteil der (häufiger von Armut beStadtforschung und Statistik 2/ 08

Tabelle 1: Armutsbetroffenheit von Familien

Datenbasis: Familienbefragungen Oberhausen 2005, Mühleim an der Ruhr 2006 und Kreis Siegen-Wittgenstein

troffenen) Familien mit Migrationshintergrund. Das gilt tendenziell auch für Familien im Kreis Siegen-Wittgenstein (vgl. ZEFIR/Kreis Siegen-Wittgenstein 2006: 79). Neben den Unterschieden zwischen den Städten finden wir sowohl in Oberhausen als auch in Mülheim an der Ruhr erhebliche innerstädtische Variationen. In beiden Städten gibt es Stadtteile bzw. Sozialräume mit deutlich über- und deutlich unterdurchschnittlichen Armutsquoten, also eine Konzentration von armen und armutsnahen Familien in bestimmten Stadtteilen bzw. Sozialräumen. In Oberhausen liegt der Anteil armer und armutsnaher Familien zwischen 25 Prozent im Sozialraum Sterkrade-Nord und 52 Prozent im Sozialraum Osterfeld, in Mülheim zwischen 33 Prozent im Stadtteil Menden-Holthausen und 70 Prozent im Stadtteil Styrum (in Saarn, vgl. Abschnitt zur Erwerbsbeteiligung weiter unten, beträgt der Anteil 36 Prozent). Auch zwischen den Städten und Gemeinden des Kreises Siegen-Wittgenstein gibt es erhebliche Unterschiede in der Armutsbetroffenheit. So leben in der Stadt Bad Berleburg 28 Prozent und in der Gemeinde Burbach 36 Prozent der Familien in armen oder armutsnahen Einkommensverhältnissen.

Diese Ergebnisse zeigen bereits deutlich, dass wir innerhalb unserer Beispielkommunen deutliche kleinräumige Unterschiede der Familienund Sozialstrukturen beobachten können, wobei davon auszugehen ist, dass sich diese kleinräumigen Unterschiede in Zukunft eher verstärken als abschwächen werden.

Erhebliche innerstädtische Variation

Soziodemographische Segregation Ein Anwachsen der sozialen Segregation der Bevölkerung ist für viele große Städte charakteristisch, d.h. ein räumliches Auseinanderrücken von Jung und Alt sowie von Familien und kinderlosen Lebensformen (demographische Segregation), von unterschiedlichen Ethnien (ethnische Segregation) und von Arm und Reich (soziale Segregation) innerhalb der Städte. Segregationsprozesse sind dabei nicht grundsätzlich negativ zu bewerten. Sie werden nur dann problematisch, wenn es zur Verfestigung und Verstärkung soziodemographischer Ungleichheit und Benachteiligung kommt. Dabei handelt es sich in der Regel um unfreiwillige Segregation, d.h. das Zurückbleiben sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen in bestimmten Stadtgebieten mit in der Regel schlechteren Wohnbedingun-

Wachsende Segregation

69


ZUR KONKRETEN KRITIK AM FAMILIENATLAS Familienhaushalten erkennen. Die Anteile der nichtdeutschen Familien an allen Familien im jeweiligen statistischen Bezirk bewegen sich in Mülheim an der Ruhr zwischen Werten von minimal sechs Prozentpunkten und maximal 55 Prozentpunkten (vgl. ZEFIR/Stadt Mülheim an der Ruhr 2006). Dabei zeigt sich eine starke Konzentration in drei benachbarten statistischen Bezirken im Norden der Stadt, während es im Süden der Stadt eine große Anzahl von statistischen Bezirken mit nur geringen Anteilen nichtdeutscher Familien gibt. Statistische Bezirke mit mittleren Anteilen an nichtdeutschen Familien gibt es eher wenige.

Karte 1: Anteile der nichtdeutschen Familienhaushalte mit Kindern in Mülheim 2005 nach statistischen Bezirken

70

gen, die dann eine Kumulation sozialer Benachteiligungen häufig zu Lasten von Familien und besonders zu Lasten von Migrantenfamilien bewirkt. Diese wachsenden Konzentrationen und Kumulationen sozialer und demographischer Belastungen in bestimmten Stadtgebieten sind für Ansätze kommunalpolitischen Handelns für Familien von besonderem Interesse (vgl. Bertelsmann Stiftung 2008). Eine effektive kommunale Familienpolitik ist deshalb auch auf kleinräu-

mig aufbereitetes Wissen über diese spezifischen Problemkonzentrationen angewiesen. Für die Städte Mülheim und Oberhausen soll dies anhand zweier Karten zur Verteilung der nichtdeutschen Familien innerhalb der Stadt exemplarisch noch einmal belegt werden (vgl. Karte 1 und 2). Schon die unterschiedlichen Farbmuster der beiden Karten lassen die unterschiedlichen Muster der kleinräumigen Verteilung von nichtdeutschen

In Oberhausen hingegen sind Disparitäten hinsichtlich der Anteile nichtdeutscher Familien zwischen den statistischen Bezirken nicht ganz so deutlich ausgeprägt. Es werden Anteile von minimalen fünf Prozentpunkten bis maximalen 38 Prozentpunkten erreicht. Zudem sind im Unterschied zu Mülheim an der Ruhr in Oberhausen auch statistische Bezirke mit mittleren Anteilswerten häufiger zu finden. Die statistischen Bezirke mit einer ausgesprochen hohen Konzentration an nichtdeutschen Familien liegen darüber hinaus in unterschiedlichen Stadtgebieten und nicht in direkter Nachbarschaft. Im Vergleich zu Mülheim an der Ruhr ist Oberhausen zudem dadurch gekennzeichnet, dass wir keinen so deutlichen Zusammenhang zwischen Prägung durch Migrantenfamilien und Familienarmut finden. Im Gegensatz zu den meisten anderen Städten, auch im Vergleich zu Mülheim, konzentriert sich Familienarmut in Oberhausen nicht hauptsächlich auf statistische Bezirke mit einem hohen MiStadtforschung und Statistik 2/ 08


ZUR KONKRETEN KRITIK AM FAMILIENATLAS grantenanteil und nicht alle Bezirke, die durch viele Migrantenfamilien gekennzeichnet sind, sind als arm zu bezeichnen (vgl. ZEFIR/Stadt Oberhausen 2006: 79).

Erwerbsbeteiligung Als drittes Beispiel stellen wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine Frage, die derzeit im Mittelpunkt der aktuellen kommunalpolitischen Diskussionen und Bestrebungen für mehr Familienfreundlichkeit steht, in den Mittelpunkt. Mit Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit für Eltern und besonders für Mütter erleichtern sollen, ist auf der kommunalen Ebene die Hoffnung verbunden, die Geburtenrate (wieder) zu steigern, junge Familien in den Kommunen zu halten oder neue Familien anzusiedeln. Im Familienatlas 2007 wird daher auch die Relation der Erwerbstätigenquoten von Frauen und Männern als Indikator der Chancengleichheit am Arbeitsmarkt betrachtet. Zwar kann dieser Indikator Veränderungen der Erwerbsbeteiligung von Frauen im Zeitverlauf aufzeigen, aber er informiert nicht darüber, in welchem Umfang Mütter und Väter tatsächlich erwerbstätig sind. Gerade der Erwerbsumfang ist aber eine der wesentlichsten Informationen, um das Kinderbetreuungsangebot in den Kommunen an der tatsächlichen Nachfrage zu orientieren. Mit Ergebnissen der Familienbefragung kann für die Beispielkommunen detaillierter analysiert werden, in welchem Unfang Eltern erwerbstätig sind. Tabelle 2 zeigt hierzu nicht nur die Erwerbskonstellationen von Paaren in den KomStadtforschung und Statistik 2/ 08

munen insgesamt auf, sondern dokumentiert zusätzlich beispielhaft die Unterschiede innerhalb der Städte und des Kreises. Schon die erste Betrachtung verweist – entgegen der Ergebnisse des Familienatlas – auf einen deutlichen Unterschied der Erwerbskonstellationen zwischen den Familien in Oberhausen und Mülheim und eine recht hohe Ähnlichkeit zwischen den Kreisergebnissen und

den Ergebnissen für die Stadt Oberhausen. Zudem zeigen sich beispielsweise für die Stadt Bad Berleburg im Kreis Siegen-Wittgenstein vergleichbare Erwerbskonstellationen von Paaren wie in der Stadt Mülheim an der Ruhr, insbesondere hinsichtlich des Anteils der Paare, die beide voll erwerbstätig sind. Betrachtet man die einzelnen Erwerbskonstellationen genauer, so fallen die unterschiedlichen Anteile der Familien mit Eltern, die

Karte 2: Anteile der nichtdeutschen Familienhaushalte mit Kindern in Oberhausen 2004 nach statistischen Bezirken

71


ZUR KONKRETEN KRITIK AM FAMILIENATLAS Tabelle 2: Erwerbskonstellationen von Paaren mit Kindern unter 18 Jahren im Kommunenvergleich

beide erwerbstätig sind, und der Paare mit alleine erwerbstätigen Vätern auf. Innerhalb der Stadt Oberhausen weichen besonders im Sozialraum Osterfeld die Erwerbskonstellationen deutlich vom Stadtdurchschnitt ab. Hier sind es eher die Familien, in denen beide Eltern nicht erwerbstätig sind bzw. der ausgesprochen hohe Anteil von Familien mit einem alleine erwerbstätigen Vater, die im Zusammenhang mit der bereits angeführten hohen Armutsbetroffenheit der Familien in diesem Sozialraum Ansatzpunkte für familienpolitisches Handeln aufzeigen (siehe oben).

k: Über Statisti

Übergreifend wird deutlich, dass nicht die grundsätzliche Erwerbsbeteiligung von Frauen bzw. Müttern der wesentlichste Unterschied zwischen den Kommunen ist. Wichtiger sind die Unterschiede im Umfang der Erwerbseinbindung von Paaren zwischen den Kommunen und die sehr deutlichen Unterschiede innerhalb der Kommunen selbst. Die Durchschnittswerte zu den Erwerbskonstellationen von Familien in den Städten und Kreisen sind

zudem nicht nur durch Arbeitsmarktchancen und das Kinderbetreuungsangebot in den Kommunen beeinflusst, sondern werden besonders durch die Sozialstruktur der in den jeweiligen Kommunen ansässigen Familien und ihre recht unterschiedliche Erwerbsbeteiligung und -orientierung bestimmt.

messener örtlicher Politik- und Handlungsansätze für mehr Familienfreundlichkeit ist mit den Ergebnissen des Familienatlas’ damit ebenso wenig möglich wie ein belastbarer Vergleich der Kommunen (mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Problemlagen) untereinander.

Literatur: Fazit Anhand der drei skizzierten Beispiele (Armut, Segregation und Erwerbsbeteiligung) wird deutlich, dass es in Oberhausen, Mülheim und SiegenWittgenstein unterschiedliche Familienstrukturen, unterschiedliche Problemlagen und unterschiedliche Bedarfe von Familien gibt. Trotzdem werden die drei hier betrachteten Kommunen im Familienatlas 2007 mit derselben „Messlatte“ für Familienfreundlichkeit bewertet und trotz dieser unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Problemlagen als „passive Region“ eingeordnet – wobei Prozessindikatoren gänzlich unberücksichtigt bleiben. Eine Ableitung ange-

Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2008): Demographie konkret – Soziale Segregation in deutschen Großstädten. Daten und Handlungskonzepte für eine integrierte Stadtentwicklung. Verlag BertelsmannStiftung. Gütersloh. ZEFIR/Stadt Oberhausen (2006): Familienbericht Oberhausen. Lebenslagen und Zufriedenheit von Familien. Oberhausen. ZEFIR/Kreis Siegen-Wittgenstein (2006): Familienbericht Kreis Siegen-Wittgenstein. Lebenslagen und Zufriedenheit von Familien. Siegen. ZEFIR/Stadt Mülheim an der Ruhr (2007): Familienbericht Mülheim an der Ruhr. Lebenslagen und Zufriedenheit von Familien. Mülheim an der Ruhr.

Lieber Zahlen als zahlen.

72

Stadtforschung und Statistik 2/ 08


Günter Bamberger: Ideenreicher Anreger, gewissenhafter Analytiker, vielseitiger Statistiker

Ein Leben in der deutschen Städtestatistik Ulrich Naumann, Köln

Günter Bamberger gehörte zu jenen, die sofort nach dem Zweiten Weltkrieg darangingen, den Grundstein für einen Wiederaufbau der Kommunalstatistik zu legen. Denn nur auf dem Fundament von verläßlichen Daten war es möglich, das Ausmaß der Katastrophe zu quantifizieren und geeignete Maßnahmen zu einer Abhilfe zu konzipieren, zu organisieren – und letztendlich, was schwer genug war, Schritt für Schritt zu realisieren. Jene, die diese fundamentale Aufgabe übernahmen, waren in der Anfang 1933 gescheiterten ersten deutschen Republik und in der NS-Diktatur herangewachsen. Sie erhielten in der Zeit ihre Ausbildung und machten die erste Berufserfahrung. Sie hatten Krieg und Gefangenschaft, Dienstverpflichtungen, oft Evakuierung und Flucht, später manchmal Vertreibung, überlebt: Eine dezimierte Generation, durch historische Brüche und eine globale Katastrophe nachhaltig geprägt. Gleichwohl war sie von dem Willen beseelt, das Gemeinwesen wieder aufzubauen: materiell und, was gleichermaßen bitter notwendig war, geistig. Günter Bamberger hat zu eben dieser Generation gezählt.

Stadtforschung und Statistik 2/ 08

Kindheit und Jugend Er wird am 7. März 1916 in Barmen geboren. Das Kriegskind wächst in einem politisch engagierten Elternhaus heran. Der Vater ist Lehrer und lange Jahre Angehöriger der SPDFraktion im Barmer Stadtrat. Das Vorbild des Vaters prägt früh den Heranwachsenden und wird dessen politische Überzeugung und spätere Positionsnahmen mitbestimmen. Nach vier Volksschuljahren wird Günter Bamberger Gymnasiast. Der Junge erlebt den Beginn der Weltwirtschaftskrise und als herausragendes kommunalpolitisches Ereignis dieser Zeit, in das sein Vater als Stadtverordneter eingebunden ist, den Verlauf einer kommunalen Gebietsreform in Preußen. Sie ist 1929 abgeschlossen. Aus der Aneinanderreihung selbständiger Städte und Gemeinden im Tal der Wupper, im Siedlungsbild zusammengewachsen und vielfach funktional miteinander verflochten, wird eine neue Großstadt. Sie erhält nach Abschluß der Reform (1. August 1929) zunächst den Namen Barmen-Elberfeld. Aufgrund einer Bürgerbefragung (!) wird sie 1930 in Wuppertal umbenannt.

1975 wird Günter Bamberger dann selbst als Leiter einer Arbeitsgruppe den erfolgreichen Abschluß einer Gebietsreform mitbewirkt haben. Aus der wird die viertgrößte deutsche Stadt, das Großzentrum Köln, unter Einbeziehung weiter Teile seines funktionalen Verflechtungsraumes, neu geordnet hervorgehen... In seinen letzten Gymnasialjahren erlebt er die politischen, sozialen und mentalen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise. Er wird Zeuge der politischen Radikalisierung, der Agonie und des Endes der ersten deutschen Republik und – nach der Machterschleichung der Nationalsozialisten auf allen politischen Handlungsebenen – der Entlassung des Vaters aus dem Schuldienst und dessen zeitweilige Inhaftierung.

Diplom-Mathematiker Nach dem Abitur immatrikuliert sich der eben Achtzehnjährige aufgrund ausgeprägter mathematischer Interessen und Begabungen 1934 an der Universität Göttingen für die Fächer Mathematik und Nationalökonomie. Zu dieser Zeit ist die Position der Georgia Augusta als „mathematisch-physikalisches Zen-

73


EIN LEBEN IN DER DEUTSCHEN STÄDTESTATISTIK

Der Kommunalstatistiker Am 1. November 1945 beginnt er seine Laufbahn als Kommunalstatistiker. Die Einstellung beim Statistischen Amt der Stadt Köln erfolgt als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter.1 Neben seiner fachlichen Qualifikation bringt er ein ganz wichtiges Hilfsmittel ein: Seine private Erika Königin, eine robuste Reiseschreibmaschine von bester Vorkriegsqualität. Ohne diese wäre es nicht möglich gewesen, allgemeinen Schriftwechsel, erste statistische Untersuchungen für verwaltungsinterne Zwecke und Veröffentlichungen professionell zu erstellen.

Baumann, Josef und Günter Bamberger, Eike Johannis, Ulrich Naumann, Arndt Schulz, Eberhard Sirp, Antonius Weber: „Das Großzentrum Köln und seine Verflechtungen – Dokumentation zur Kommunalen Gebietsreform“ – Köln 1972

74

trum der Welt“ bereits schwer erschüttert. Die weltumspannende wissenschaftliche Ausstrahlung geht Zug um Zug verloren. Die neuen Machthaber, schulterriemenbewehrte, uniformierte Schaftstiefelträger, haben ab Januar 1933 aus ideologischen, politischen und rassischen Gründen einen Exodus von Wissenschaftlern aller Fakultäten – und dabei besonders im Bereich der Naturwissenschaften – erzwungen: Ein Aderlaß, vom dem es nie eine Erholung geben wird .... 1938 schließt Günter Bamberger sein Studium als DiplomMathematiker ab und geht als Versicherungsmathematiker zur Allgemeinen Krankenversicherung nach Köln. Diesem Unternehmen bleibt er beruflich bis 1945 verbunden. Unterbrochen wird die Berufstätigkeit ab 1940 durch den Einzug zur Wehrmacht und eine kurze Kriegsgefangenschaft.

1946 ist er an der Vorbereitung, Durchführung und Dokumentation der Kommunalwahl (13. Oktober), insbesondere aber an der ersten Volks- und Berufszählung nach dem Zweiten Weltkrieg (29. Oktober) maßgeblich beteiligt. Letztere ergibt für das schwer zerstörte Köln rund 491 000 Einwohner, darunter sind etwa 198 000 Erwerbspersonen.2 In diesem Jahr übernimmt Günter Bamberger die Leitung der Abteilung Wirtschaftsstatistik. In der ersten Publikation aus seiner Feder – „Die Minderung des Wohnungsvolumens durch Kriegsschäden und eine Näherungslösung für die rechnerische Erfassung“3 – behandelt er erstmalig einen zeitbezogenen Aspekt des Themas, das in seinen dokumentarischen, deskriptiven und analytischen statistischen Arbeiten fortlaufend eine zentrale Stellung aufweisen wird: Quantitative und qualitative Fragen zu Struktur und Entwicklung von Wohnungsbestand und Bautätigkeit einschließlich Wohnungsbedarfs-Prognostik.

Seine nächsten Veröffentlichungen bis zum Jahre 1949 sind analytische Arbeiten auf der Grundlage des Zensus von 1946, nämlich zur Gliederung der Kölner Bevölkerung nach Gruppen4, nach Wirtschaftsabteilungen, Wirtschaftsgruppen und sozialer Stellung5. Erstmalig arbeitet er auf der Basis der Kölner Ortsteile im Wege der vergleichenden Analyse Unterschiede der Bevölkerungs-, der Wirtschafts- und der sozialen Struktur heraus6 und befaßt sich mit einem Fehler der Berufszählung von 1946.7 Eine problemorientierte analytische Auswertung der Ergebnisse von Großzählungen, vor allem komparativ-statischer Art, zwecks Unterstützung von Verwaltungshandeln auf verschiedenen Feldern der kommunalen Daseinsvorsorge bleibt Schwergewicht seiner eigenen und der später von ihm bei den Mitarbeitern angestoßenen oder mit ihnen gemeinsam vorgelegten Arbeiten. Das Statistische Amt der Stadt Köln hat unmittelbar nach dem Krieg Basisinformationen für die von den Professoren Rudolf Schwarz und Ludwig Neundörfer geleiteten Wiederaufbauplanungen durch die Wiederaufbau GmbH geliefert und am 1954 vom Rat der Stadt Köln beschlossenen Leitplan mitgearbeitet. Maßgeblich ist Günter Bamberger dann erneut an Vorbereitung und Durchführung einer weiteren Großzählung beteiligt: Der Volks-, Berufs-, Arbeitsstätten- und Wohnungszählung von 1950 (13. September).

Heinrich Böll Nicht unerwähnt bleiben soll hier, dass im Kreis der vielen Mitarbeiter des eigens dazu eingerichteten Zählungsbüros Stadtforschung und Statistik 2/ 08


EIN LEBEN IN DER DEUTSCHEN STÄDTESTATISTIK zwischen Anfang Juni 1950 und Ende April 1951 als „vorübergehend Beschäftigter“ ein junger Schriftsteller arbeitete. Dessen erste Buchveröffentlichung, die Erzählung „Der Zug war pünktlich“, war im Leverkusener Middelhauve-Verlag Ende 1949 erschienen. Da die Honorare, die er aus dieser Veröffentlichung erhielt, nicht ausreichten, seine junge Familie zu ernähren, vermittelte ihm sein Verleger die Aushilfstätigkeit beim Kölner Statistischen Amt. Dieser Aushilfsstatistiker hieß Heinrich Böll, wird sich ab 1950 als Schriftsteller durchsetzen und ist dann (1972) der erste deutsche Nobelpreisträger für Literatur nach 1945 geworden.8

Bewältigung steigender Anforderungen Früh hat Günter Bamberger Fragen und Probleme der Bildung städtischer Agglomerationen in den Blick genommen, insbesondere Fragen der Verflechtung der rheinischen Metropole mit ihren Umlandgemeinden. 1955 wird dem Gutachten eines Kieler Regionalwissenschaftlers dazu unter seiner maßgeblichen Mitwirkung zugearbeitet.9 1957 legt das Statistische Amt selbst ein dreibändiges Gutachten über die Verflechtungen mit den Nachbargemeinden vor.10 Und 1968 wurde das Stadtplanungsamt bei der Bearbeitung einer Studie zu den Verflechtungen Kölns unterstützt.11, ebenso für seine Publikation „Köln: Leitplan – Grundlagen“ (1972)12 Von der Verwaltung gingen steigende Anforderungen an die kommunalstatistische Arbeit aus: zeitnahe Erhebung, sachlich und räumlich tiefere Dokumentation, methodisch Stadtforschung und Statistik 2/ 08

anspruchsvollere, problemnahe Analysen und Darstellungen als Informationshintergründe für Entscheidungsebenen unterschiedlicher Fachbezogenheit. Dies veranlasste Günter Bamberger – 1958 stellvertretender Leiter und ab 1962 dann Direktor des Statistischen Amtes – und seine Mitarbeiter zu weit gefächerter Aktivität. Das geschah immer in dem Bewußtsein, dass jede Kommunalstatistik so stark ist, wie sie die Entscheider in die Lage versetzt, durch Präsentation von entscheidungsrelevanten Daten den Entscheidungen mehr Rationalität zu verleihen. Statistik ist nach seiner Auffassung eben kein l‘art pour l’art, kein Glasperlenspiel und am wenigsten darf sie zur Anlage bloßer Datenfriedhöfe führen. Er bringt eine langjährige Erfahrung für das Erkennen des Notwendigen, Machbaren und Durchsetzbaren ein und gibt sie an die Mitarbeiter weiter. Das ist gepaart mit souveräner Beherrschung des statistischen Analysewerkzeuges, äußerster Sorgfalt im Umgang mit Daten – und einer ganz selbstverständlichen Aufgeschlossenheit für neue Methoden und Werkzeuge. Letztere stellt eine ständig weiterentwickelte, vor allem immer stärker, zunächst großcomputerbasierte Speicher-, Rechen- und Analysetechnik zur Verfügung. Alles das führt unter anderem zur – erfolgreichen – Prüfung der Einsetzbarkeit von Stichprobenerhebungen; zur Erstellung von Bevölkerungsprognosen, Modellrechnungen und Bedarfsprognosen auf dem Wohnungsmarkt; der Analyse von Wahlergebnissen und der Erschließung neuer Datenquellen, insbesondere in der vollziehenden Verwaltung. 75


EIN LEBEN IN DER DEUTSCHEN STÄDTESTATISTIK

Stadtforschung 1965 kann Günter Bamberger in „seinem“ Amt das Sachgebiet Stadtforschung einrichten. Im Anschluss an die kommunalen Vorbilder Bonn (1946), Augsburg (1949) und Berlin (1949/50)13 beginnt unter seiner Leitung die Einteilung des Stadtgebietes in Baublöcke, zuerst im linksrheinischen Stadtteil Klettenberg. Als diese fundamentale und zukunftsrelevante Arbeit abgeschlossen ist, entsteht – noch ist die Lochkarte externes Speichermedium für Daten und Programme! – auf der Basis von Haussummen-(Loch-)karten mit Einwohnerdaten nach Altersgruppen eine nach einzelnen Baublöcken, Stadtteilen, Stadtbezirken und der Gesamtstadt zusammengefaßte Dokumentation der Altersstruktur aufgrund der Meldebevölkerung eines Stichtages. Diese ständig zu pflegende kleinräumliche Einteilung wird wenige Jahre später das Fundament für eine räumlich ausdifferenzierte Erfassung und Auswertung der Einzeldaten aus der Gebäude- und Wohnungszählung 1968 und der 1970 folgenden Volks-, Berufsund Arbeitsstättenzählung. Dieser Datenfundus eröffnet neue Wege für die Unterstützung von Vorhaben der planenden und entwickelnden Verwaltung. 1968 beginnt in Köln das Forschungsprojekt Kommunale Planung. Sein Ursprung liegt im Bundesministerium für Städtebau und Wohnungswesen. Dort beschäftigt man sich schon seit einigen Jahren mit der Frage eines Einsatzes der (Groß-)Datenverarbeitung für Zwecke der Raum- und Stadtplanung. Zugleich bemüht sich der Bundesminister für wissenschaftliche Forschung um eine Förderung der Datenverarbeitung in gezielter Form. 76

Das angestoßene Forschungsprojekt verbindet in partnerschaftlicher Zusammenarbeit die Stadt Köln als Anwender, die Firma Siemens als Hardwareund Betriebssystem-Hersteller und als fachwissenschaftliche Institution das Dokumentationsund Ausbildungszentrum für Theorie und Methode der Regionalforschung e.V. (DATUM) in (Bonn-) Bad Godesberg.14 Unter Günter Bambergers Leitung wirkte das Statistische Amt mit an der Erstellung diverser Dateien: aus dem Einwohnerwesen, anderen Bereichen der vollziehenden Verwaltung und aus der Gebäude- und Wohnungszählung 1968 als Muster für einen Zensus. Dafür lagen die Daten erstmalig maschinenlesbar, zunächst auf der Basis von Zählerlisten (in Köln waren das Teile von oder ganze Baublockseiten), später sogar als Einzeldatensätze vor. Bei der Ausformulierung von Vorgaben für eine Erstellung der Speicher, Verarbeitungs-, Analyse- und Darstellungsprogramme wirkte die Kölner Kommunalstatistik in enger Zusammenarbeit mit den Entwicklern und zukünftigen Nutzern (Bedarfsträgern in der planenden und entwickelnden Verwaltung) mit und war beteiligt an den Arbeiten für die Erstellung eines Benutzerhandbuches. Im Rahmen alles dessen wurde selbstverständlich auch der für eine problembezogene Arbeit von Kommunalstatistik und Stadtforschung damals erkennbare Bedarf eingebracht. Im Ergebnis ist dieses anspruchsvolle und breit angelegte Projekt allerdings ein Torso geblieben.

GATAV und DABANK Günter Bamberger ist darüber hinaus mit Erfolg bemüht gewesen, moderne, großrechner-

gestützte Analyse-Werkzeuge nutzbar zu machen. Darunter waren mit GATAV ein einfach zu handhabendes, zunächst nur für Großdatenbestände gedachtes Standardinstrument für statistische Tabellen und zur Datenaufbereitung. Dieses Instrument erfuhr eine Weiterentwicklung zu DABANK mit der überaus wichtigen, anwenderfreundlichen Möglichkeit, auch von Mitarbeitern ohne Programmierausbildung eingesetzt werden zu können. Nach Einbeziehung des Kölner Statistischen Amtes in ein neu gebildetes Dezernat für Stadtentwicklung (1976) wurden die vom dort auch angesiedelten Amt für Stadtentwicklungsplanung erarbeiteten Entwicklungsprogramme für die (inzwischen vergrößerte) Gesamtstadt und die Innenstadt durch Textbeiträge und Datendokumentationen erfolgreich unterstützt.

Kommunale Gebietsreform Während der Jahre 1971 bis 1974 leitete Günter Bamberger eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe im Dezernat des Kölner Stadtdirektors. Sie sollte die umfangreichen und sehr komplexen Arbeiten im Rahmen der anstehenden Kommunalen Gebietsreform im Neuordnungsraum 8 des Landes NordrheinWestfalen übernehmen.15 Der umfaßte Köln als Zentrum, die kreisfreie Stadt Leverkusen, die Kreise Köln, Bergheim, den Rheinisch-Bergischen Kreis, den Rhein-Wupper-Kreis und den Oberbergischen Kreis. Er ging diese Aufgabe – die zentrale Aufgabe seiner letzten Berufsjahre schlechthin – mit Kraft, Umsicht und Schwung an. In beeindruckenden Weise hat er seine langjährigen methodischen und analytischen ErfahStadtforschung und Statistik 2/ 08


EIN LEBEN IN DER DEUTSCHEN STÄDTESTATISTIK rungen eingebracht, wie auch fundierte Organisationserfahrung und sein Leitungswissen. Es gelang ihm, alle – von heute aus betrachtet wahrlich noch bescheidenen – technisch-organisatorischen Möglichkeiten zu mobilisieren und auszuschöpfen. Durch sein Geschick hat Günter Bamberger die fachlich heterogene Arbeitsgruppe zu einem leistungsfähigen Team zusammengefügt. Nach beinahe vierjähriger Arbeit unter seiner Leitung erschienen die vom Düsseldorfer Innenministerium eingeforderten Strukturdaten in vier Basisveröffentlichungen16 – und außerdem viele Redeentwürfe, schriftliche Argumentationshilfen für den politischen Raum, Pressebeiträge, ausgearbeitete Routen für die Bereisungskommissionen, inhaltliche Vorbereitung der Anhörungs-Hearings usw. Alles das war in der Summe ein umfassender und eindrucksvoller Leistungsbeweis auch der deskriptiven und analytischen Statistik – ein Paradestück angewandter, zielorientierter und deshalb überzeugender Stadtforschung und Kommunalstatistik. Mit Recht hat Horst-Jürgen Wienen dies als Günter Bambergers „opus magnum“17 bezeichnet, konkretisiert gleichsam in – bildhaft ausgedrückt – einer veränderten Einpflockung der rot-weißen Kölner Grenzsteine, die nunmehr einen funktional und siedlungsstrukturell hoch verflochtenen Teil des einheitlichen Lebens-, Siedlungs- und Wirtschaftsraumes Köln unter einer politisch-administrativen Leitung einfassten.

Bamberger und der VDSt Von Beginn seiner kommunalen Tätigkeit an ist Günter Stadtforschung und Statistik 2/ 08

Bamberger aktives Mitglied des Verbandes Deutscher Städtestatistiker und mit verschiedensten Thematiken der so notwendigen interkommunalen Zusammenarbeit, wie die Lösung grundsätzlicher methodischer Fragen, Ergebnisdokumentation und –analyse, Erfahrungsaustausch befaßt. Gelegentlich der Statistischen Woche in Stuttgart hat er 1951 Vorschläge für ein einheitliches Minimalprogramm der periodischen städtestatistischen Veröffentlichungen über die Bau- und Wohnungs-Statistik vorgetragen und zur Diskussion gestellt.18 Vorschläge zur Aufstellung eines einheitlichen Minimalprogramms für das Gebiet der Bau- und Wohnungsstatistik trug er anläßlich der Statistischen Woche 1953 in Heidelberg vor.19 In diesem Jahr stellt er auch Überlegungen zur Diskussion, die sich auf ein weiteres seiner herausragenden Arbeitsfelder bezogen: den Fragen von städtischen, vielfältig verflochtenen Verdichtungsgebieten.20 Zwischen 1965 und 1974 ist Günter Bamberger Vorsitzender des Ausschusses Bau- und Wohnungsstatistik im Verband Deutscher Städtestatistiker. Als Abschnittsbearbeiter war er über einen Zeitraum von 13 Jahren am Statistischen Jahrbuch Deutscher Gemeinden beteiligt. In der Zeit von 1971 bis 1978 ist er Vorsitzender des Verbandes und brachte stadtübergreifende Aktivitäten voran, nahm neue, interkommunal wichtige Themen auf und beförderte deren sachgerechte und präzise Bearbeitung mit dem Ziel fragen- und problembezogener Bereitstellung von Informationen als Fundament für zielführende Entscheidungen.

Auf seine Anregung hin nahm des aktuellen Bedarfs wegen ein neuer Ausschuß für Kommunalstatistik und Verwaltungsautomation im Jahre 1972 die Arbeit auf. Die 1975 herausgekommene Schrift „Die Städtestatistik im Wandel der Zeit – Berichte über die 1. bis 75. Tagung 1879 – 1975 des Verbandes Deutscher Städtestatistiker geht auf seine Initiative zurück und ist im Statistischen Amt der Stadt Köln erarbeitet worden. Kurz vor seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst hat er eine weitere Veröffentlichung initiiert. Zur 100. Wiederkehr der Gründung des Verbandes Deutscher Städtestatistiker erschien 1979 die in der Fachwelt sehr positiv aufgenommene Jubiläumsschrift „Städtestatistik und Stadtforschung – Leistungen, Aufgaben, Ziele“. Er war unter anderem langjähriges Mitglied der Deutschen Statistischen Gesellschaft (1972 zum Vorstandsmitglied gewählt). Dem Statistischen Ausschuß des Deutschen Städtetages gehörte er ab 1969 an, zuletzt als stellvertretender Vorsitzender. ebenso dem Statistischen Beirat beim Statistischen Bundesamt. In der Internationalen Vereinigung der Stadt- und Regionalstatistiker (IAMS) hat er bis 1973 als Schatzmeister gewirkt. Einen Niederschlag fand dieses Engagement auf nationaler und internationaler Ebene in vielen seiner Veröffentlichungen, mehr noch manifestierte es sich in fundierten, immer ausgewogenen Beiträgen in vielen Fachsitzungen. Dabei ging es ihm um die nicht immer leicht durchzusetzende und zu bewahrende Sicherstellung von berechtigten Positionen und Ansprüchen von Kommunalstatistik und Stadtforschung im Gefüge unter77


EIN LEBEN IN DER DEUTSCHEN STÄDTESTATISTIK schiedlicher Ebenen der Verwaltung und im Zusammenspiel von Wissenschaft und Praxis.

2

Ruhestand Am 31. März 1978 ließ sich Günter Bamberger 62jährig in den wohlverdienten Ruhestand versetzen. Der Verband Deutscher Städtestatistiker, dessen Arbeit er unverändert interessiert und weiterhin um manchen Ratschlag angegangen, verbunden geblieben ist, hat ihn wegen seiner vielfältigen Verdienste 1978 die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Anläßlich seines 80. Geburtstages im Jahre 1996 widmeten ihm der Verband und der KOSIS-Verbund eine Festschrift. Sie beinhaltet eine „Leistungsschau“, die der 1982 „...zwecks Verbesserung der Planungs- und Entscheidungsfähigkeit der Kommunen durch kooperative Verfahrensentwicklung, Pflege und Nutzerunterstützung bei Aufbau und Betrieb des Statistischen Informationssystems“ gegründete Verbund (so das Vorwort) bei einer Vortragsreihe im Rahmen von workshops gelegentlich der Statistischen Woche 1995 in Leipzig veranstaltet hat. Zusätzlich ehrte ihn der Verband mit einem Zusatzheft seiner Zeitschrift „Städtestatistik und Stadtforschung“. Günter Bamberger starb, wenig mehr als 81 Jahre alt, am 27. April 1997 in Köln.

Anmerkungen: 1

78

Persönliche Daten nach: Amt für Statistik und Einwohnerwesen der Stadt Köln (Hrsg.), Zeittafel des Amtes für Statistik und Einwohnerwesen der Stadt Köln 1876 bis 1995, S. 24 und Hruschka, ‚Erhard, Günter Bamberger 70 Jahre, in: Allgemeines Statistisches Archiv 70 (1986), S. 129 f.

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

Angaben nach: Statistisches Amt der Stadt Köln (Hrsg.), Zeittafel über den Wiederaufbau in Köln 1945 bis 1965, Sonderdruck aus den Statistischen Mitteilungen der Stadt Köln, 21. Jg. (1966), Heft 1-2, S. 82 Statistische Mitteilungen der Stadt Köln, 2. Jg. (1947), Heft 2, S. 25 ff. Bamberger, Günter, Die Gliederung der Kölner Bevölkerung nach Bevölkerungsgruppen, in: Statistische Mitteilungen der Stadt Köln, 3. Jg. (1948), Heft 2, S. 24 ff. Bamberger, Günter, Die Bevölkerung Kölns nach Wirtschaftsabteilungen, Wirtschaftsgruppen und sozialer Stellung, in: Statistische Mitteilungen der Stadt Köln, 4. Jg. (1949), Heft 1, S. 3 ff. Bamberger, Günter, Bevölkerungsstruktur, Wirtschaftsstruktur und soziale Struktur der Kölner Ortsteile 1946, in: Statistische Mitteilungen der Stadt Köln, 4. Jg. (1949), Heft 2-3, S. 22 ff. Bamberger, Günter, Zu einem Fehler der Berufszählung 1946, in: Statistische Mitteilungen der Stadt Köln, 4. Jg. (1949), Heft 1, S. 36 ff. vgl. dazu Schröter, Klaus, Heinrich Böll in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, rowohlts monographien Bd. 310, Reinbek bei Hamburg 1982, S. 56 und Böll, Viktor (Hrsg.). Heinrich Böll und Köln, Köln 1994, S. 24 Voigt, H(?), Die räumlichen, wirtschaftlichen, soziographischen Verflechtungen der Stadt Köln mit ihren Nachbargemeinden, Kiel 1955 (unveröffentliches Gutachten) Statistisches Amt der Stadt Köln (Bearb.), Gutachten über die Verflechtungen zwischen der Stadt Köln und ihren Nachbargemeinden, Bände 1 bis 3, Köln 1957 Stadtplanungsamt Köln (Bearb.), Köln, Regionalstruktur, Teil: Verflechtungen, Köln 1968 Stadtplanungsamt Köln (Bearb.), Köln, Leitplan – Grundlagen, Köln 1972 Fehre, Horst, Vom Zweistufensystem zum kleinräumigen Zuordnungssystem – Der Weg von der Grobgliederung zur Feingliederung des Stadtgebietes, in: Verband Deutscher Städtestatistiker (Hrsg.) Städtestatistik und Stadtforschung – Leistungen, Aufgaben, Ziele, Hamburg 1979, S. 148 vgl. dazu Lehmann-Grube, Hinrich, Das Projekt Kommunale Planung, in: Informationsverarbeitung in Planung und Verwaltung – Urban Data Management. Ergebnisbericht P.T.R.C. und Datum-Symposium vom 30. März bis 2. April 1972 in Bonn, Bonn (1972), S. 57 und Naumann, Ulrich, Die Stellung der Städtestatistik im Kommunalen Informationssystem, dargestellt

15

16

17

18

19

20

am Beispiel des Forschungsprojektes Kommunale Planung in Köln, in: Verband Deutscher Städtestatistiker (Hrsg.), Bericht über die 72. Tagung in Mainz 1972, S. 48 ff. vgl. dazu ausführlich bei Naumann, Ulrich, Günter Bamberger und die Kommunale Neugliederung des Raumes Köln Mitte der 70er Jahre – ein Musterbeispiel angewandter Stadtforschung und Kommunalstatistik, in: Stadtforschung und Statistik, 1996, Heft 1-2, S. 43 ff. Baumann, Josef und Günter Bamberger, Eike Johannis, Ulrich Naumann, Arndt Schulz, Eberhard Sirp, Antonius Weber, Das Großzentrum Köln und seine Verflechtungen – Dokumentation zur Kommunalen Gebietsreform – , Köln 1972 Baumann, Josef und Günter Bamberger, Leonid Ischenin, Eike Johannis, Ulrich Naumann, Arndt Schulz, Eberhard Sirp, Das Großzentrum Köln und seine Verflechtungen – Gemeindebeschreibungen –, Köln 1972 Stadt Köln. Der Oberstadtdirektor (Hrsg.), Das Großzentrum Köln – Neuordnungsvorschlag der Stadt Köln zur kommunalen Gebietsreform, Köln 1972 Stadt Köln. Der Oberstadtdirektor (Hrsg.), Das Großzentrum Köln – Planung und Gliederung – Köln 1973 Die Redaktion, Bochum (Wienen, Horst-Jürgen), Die Wirkungsgeschichte von Günter Bamberger im Spiegel seiner Veröffentlichungen, in: Stadtforschung und Statistik, 1996, Heft 1-2, S.7 Bamberger, Günter, Vorschläge für ein einheitliches Minimalprogramm der periodischen städtestatistischen Veröffentlichungen über die Bau- und Wohnungsstatistik, in: Verband Deutscher Städtestatistiker (Hrsg.), Bericht über die 51. Tagung 1951 in Stuttgart, S. 129 ff Bamberger, Günter, Vorschläge zur Aufstellung eines einheitlichen Minimalprogramms für das Gebiet der Bau- und WohnungsStatistik, in: Verband Deutscher Städtestatistiker (Hrsg.), Bericht über die 53. Tagung 1953 in Heidelberg, S 152 ff. Bamberger, Günter, Abgrenzung der städtischen Agglomerationen (Stadtregionen), in: Verband Deutscher Städtestatistiker (Hrsg.), Bericht über die 53. Tagung 1953 in Heidelberg, S. 126 ff.

Stadtforschung und Statistik 2/ 08


Die AG Methodik des VDSt stellt sich vor

Zum Start die Clusteranalyse Uta Thien-Seitz, München

Auf der Frühjahrstagung 2007 in Gera wurde die Idee zu einer AG Methodik des VDSt vorgestellt und bereits im Juli trafen sich fünf Mitglieder zur konstituierenden Sitzung in München. Bei diesem ersten Treffen legten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Rahmenbedingungen der geplanten Zusammenarbeit fest, erarbeiteten gemeinsam eine Themenliste und beschlossen, in welcher Form die Umsetzung der priorisierten Themen erfolgen sollte. Um den Arbeitsaufwand der AG möglichst gering, die Außenwirkung und den Nutzen möglichst groß zu gestalten, ist vorgesehen, die Treffen und Workshops der AG Methoden im Umfeld von VDSt-Veranstaltungen durchzuführen. Ziele der AG Methodik sind vor allem anhand vielfältiger Anwendungsbeispiele aus dem Umfeld der Städtestatistik • Methoden, die für die Arbeit der Städtestatistik relevant sind, transparent zu machen und einen pragmatischen Zugang zu erarbeiten, • die Ergebnisse in aufbereiteten Handlungsschritten (von den Voraussetzungen bis zu Ergebnissen und Präsentation) in Form von Leitfäden in den vom VDSt bereitgestellten Foren zu veröffentlichen und • einen intensiveren Erfahrungsaustausch zwischen den Städtestatistikern im Bereich des praxisnahen Methodeneinsatzes zu forcieren sowie

Stadtforschung und Statistik 2/ 08

• Kooperationen und Vernetzung mit anderen Verbänden, Universitäten, etc. anzuregen. Für die gezielte Auswahl der ersten methodischen Themenliste wurden folgende Kriterien in Betracht gezogen: • Aufwand beim Einsatz der Methode • Informationsgewinngewinn durch die Methode • Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse • Komplexität der Methode • Interpretation der Ergebnisse • Darstellbarkeit der Ergebnisse für die jeweiligen Zielgruppen Auf diese Weise ergab sich für die Themen, die die AG als erstes in Angriff nehmen sollte folgende Reihenfolge: • Was ist eine Cluster-Analyse? Wie führe ich sie durch? • Welche Anforderungen sollten Karten erfüllen? Was ist bei grafischer Aufbereitung von Statistik zu beachten? • Wissenswertes zum Thema Stichproben und Stichprobentheorie

zung der Serviceleistungen statistischer Ämter im operativen Geschäft eingebunden werden können, • welche Software – von R über SPSS bis zu Excel – wie eingesetzt werden können und • wie die Ergebnisse zu interpretieren und in welcher Form welcher Zielgruppe zu präsentieren sind. Die lebhafte und interessierte Diskussion im Anschluss an den Workshop und das durchweg positive Feedback ist für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der AG Methodik eine große Motivation, den nächsten Workshop – diesmal mit dem Thema „Visualisierung und Präsentation statistischer Informationen“ – mit gleichem Engagement und Spaß anzugehen. Bei Nachfragen bzw. Interesse an der Mitarbeit in der AG Methodik wenden Sie sich bitte an mich.

Start in Gera

Nächstes Thema: Präsentation

Das erste Thema ist inzwischen, d.h. auf der VDSt-Frühjahrstagung 2008 in Saarbrücken auf den Weg gebracht und als Workshop zum Thema „Clusteranalyse“ umgesetzt worden. Anhand vieler Anwendungsbeispiele wurde in einem insgesamt 3-stündigen Workshop aufgezeigt, • wie derart komplexe statistische Methoden zur Ergän-

79


Ilsebill salzte nach. Und auch in „Stadtforschung und Statistik“ könnte noch kräftig nachgesalzen werden Andreas Kunze, Hagen

Schwacher Start

Der „schönste erste Satz“ der deutschsprachigen Literatur ist „Ilsebill salzte nach“. So befand im November 2007 eine Jury der Initiative Deutsche Sprache und der Stiftung Lesen. Der ausgezeichnete Erstsatz findet sich im Roman „Der Butt“ von Günter Grass. Jede Menge erste Sätze gibt es natürlich auch in dieser Zeitschrift. Ob sie alle schön sind, darf bezweifelt werden. Überhaupt könnte – in sprachlicher Hinsicht – manches im VDStBlatt verschönert werden. Nicht nur die Erstsätze, sondern auch der Satzbau allgemein, der Ausdruck, die Grammatik, die Zeichensetzung, die Anmerkungen ... Hier ein paar unmaßgebliche Anregungen zur Verschönerung. Alle Beispiele sind „Stadtforschung und Statistik“, 1/ 08, entnommen.

Der Ilsebilleffekt Kurzer Startsatz

80

Der erste Satz muss stimmen. Er muss kurz sein. Er muss ein Signal (nicht mehrere Signale) geben. Er muss abheben – wie ein Flieger abhebt. Und der Flieger muss die Leserin, den Leser mitnehmen. Das ist der Ilsebilleffekt. Der sollte auch in profanen Texten gelten. In „Stadtforschung und Statistik“ 1/08 habe ich mindestens einen Abhebesatz, oder Ilsebilleffekt, entdeckt: „Nirgendwo in der Welt gibt es so viele Opernhäuser wie in Deutschland.“ Das ist ein kurzer Satz. Er hebt ab. Er nimmt die Leserin und den Leser mit. Das eine

Signalwort ist Opernhäuser. Sofortige Assoziation: Glitter, Glanz und Glamour. Ein „einvernehmlicher“ Satz. Ein Fliegersatz. Man liest weiter. Nicht so fliegerhaft fand ich folgenden Einstieg. „Die Modernisierung der europäischen Gesellschaften im 19. Jahrhundert führte über die Industrialisierung zu einem Wachstum der Städte und dort zum (bürgerlichen) Ideal der Kleinfamilie, das von allen Gesellschaftsschichten übernommen wurde.“ Ich meine, der Satz schafft’s nicht. Er hoppelt ein paar Meter, hebt einen Flügel, plumpst wieder runter. Was muss man da alles auf einen Schlag registrieren! Die Modernisierung, die europäischen Gesellschaften, das 19. Jahrhundert, die Industrialisierung, das Wachstum der Städte, das Ideal der Kleinfamilie (bürgerlich), die Gesellschaftsschichten. Zu viele Signale. Verwirrt, durchgerüttelt, betäubt verlässt man den überladenen Frachtensegler noch auf der Startbahn… Und worum geht’s? Offensichtlich um die Kleinfamilie. Das ist das Zentralsignal. Das muss erst einmal ohne die vielen Hilfssignale wirken. Vielleicht so: „Lange Zeit galt die Kleinfamilie als Kerngruppe der bürgerlichen Gesellschaft.“ Danach erst sollten, in mehreren Sätzen, die erläuternden Angaben (Modernisierung, Europa, 19. Jahrhundert, Industrialisierung, Städtewachstum, Gesellschaftsschichten) folgen.

Überhaupt immer kurze Sätze Was für den ersten Satz gilt, das gilt auch – bis auf das „Abheben“ – für alle weiteren Sätze im Text. Das Gedankenpaket, das wir beim Schreiben im Kopf haben, sollte immer erst einmal auseinandergenommen werden. Dann werden die Teile der Reihe nach, schön ordentlich, zu Papier gebracht. Überfrachtete Sätze (Abstraktionen, Substantivierungen, zahlreiche Nebensätze) sind eine deutsche Untugend. Im Englischen jedenfalls gibt’s das nicht. Hier ein deutscher Un-Satz – prompt mit eingebauter Verhaspelung: „Die Idee dahinter ist, mit diesen ‚Leitlinien’ den Städten ein Instrument zur Selbsteinschätzung, zur Ziel- und Strategieentwicklung und zur Dokumentation von Fortschritten zur Verfügung zu stellen, mit dem formelle wie informelle Gruppen arbeiten können, denen es um die Verbesserung der Lebensbedingungen für alte Menschen (aber keineswegs nur ihnen) in ihrer Stadt geht.“ Nehmen wir diesen einen Satz doch einmal auseinander. 1. Es geht um eine Idee. 2. Die Idee ist: Leitlinien für die Städte. 3. Die Leitlinien sind ein Instrument. 4. Das Instrument dient a) der Selbsteinschätzung, b) der Ziel- und Strategieentwicklung und c) der Dokumentation von Fortschritten. 5. Mit dem Instrument können a) formelle und b) informelle Gruppen arbeiten. 6. Den Gruppen geht es um die Stadtforschung und Statistik 2/ 08


ILSEBILL SALZTE NACH. Verbesserung der Lebensbedingungen für alte Menschen. 7. Den G. geht es aber auch um die V. der L. anderer M. (Verhaspelung: “aber keineswegs nur ihnen“, richtig: „aber keineswegs nur für sie“). Spätestens ab Punkt 5 müsste neu angesetzt werden. Also zwei Sätze: erst das LeitideePaket, dann das Gruppen-Paket. Besser noch: Leitidee-Paket in zwei Sätze zerlegen. Etwa so: „Als Idee steht dahinter, mit den ‚Leitlinien’ den Städten ein Instrument an die Hand zu geben. Dieses Instrument soll der Selbsteinschätzung, der Ziel- und Strategieentwicklung und der Dokumentation von Fortschritten dienen. Es kann von formellen und informellen Gruppen genutzt werden – von Gruppen, denen es um die Verbesserung der Lebensbedingungen für alte Menschen (aber keineswegs nur für sie) in ihrer Stadt geht.“

Übung! Nun noch einige weitere wunderbare Un-Sätze. Alle, wie gesagt, aus „Stadtforschung und Statistik“ 1/ 08. Sie sind, einer wie der andere, so treffend, dass ich mich nicht für einen entscheiden konnte. Man möge doch bitte einmal, zur Übung, das Verfahren des Auseinandernehmens anwenden. Nur Mut. • „Beide Sachverhalte schufen einen Bedarf an strategischen Informations- und Controllingansätzen und führten insofern zu einem Bedeutungszuwachs von Monitoring, als neben der reinen Informationsbereitstellung, die auf eine längerfristige Beobachtung ausgerichtet ist, die Steuerungsintention hinzu kam.“ (Bedarf, strategisch, Ansätze, Zuwachs, Bereitstellung, ausgerichtet, Intention – in Stadtforschung und Statistik 2/ 08

einem Satz ist das etwas viel Managersprache.) • „So können eine unterschiedliche Bevölkerungsstruktur, die erworbenen Bildungsabschlüsse, die ungleiche Erwerbsbeteiligung und die Arbeitslosenquote sowie die räumliche Nähe der betrachteten Region bzw. deren Fehlen zu wirtschaftlichen Kernregionen mit hoher Arbeitsplatzdichte ebenso zu den Einkommensdiskrepanzen in den Gemeinden beitragen.“ (Erst eine Menge „und“, dann das „sowie“, dann das „bzw.“ und dann noch das etwas unklare „ebenso“ – außer Atem fängt man wieder von vorne an.) • „Die Etablierung einer neuen Raumhierarchie trägt dem rapiden Wandel der Stadt Rechnung und ermöglicht zum einen die zeitliche Fortschreibung grundlegender kleinräumiger Indikatoren (Einwohnerdaten für statistische Gebiete gibt es seit 1950) und die größere Vergleichbarkeit zwischen den verschiedenen Berichten und Berichtssystemen auf der Basis der legensweltlich orientierten Räume.“ (Wieder eine Verhaspelung: was erfordert das „zum einen“?) • „Das Monitoring zur Bildungsbeteiligung hat nicht nur die weitere Entwicklung der Bildungsbeteiligung im Zeitverlauf zu verfolgen, in dem es den jeweils aktuellen Stand der Bildungsteilhabe von Kindern und Jugendlichen dokumentiert und die Fort- wie auch Rückschritte in der Bildungsbeteiligung belegt, sondern auch das Bildungsverhalten der verschiedenen Bevölkerungsgruppen (Kriterien: Geschlecht, Deutsche, Ausländer und Migranten,

zukünftig: Schichtzugehörigkeit) auf Annäherung zu überprüfen.“ (Äh, worum geht’s hier? Bildungsbeteiligung (3x), Bildungsteilhabe, Bildungsverhalten …Man übersetze diesen Satz einmal ins Englische oder Französische.) • „Was lag näher, als in dem vor wenigen Jahren neu installierten VDSt-Ausschuss ‚Kommunalstatistik und Verwaltungsautomation’ nun die Sache selbst in die Hand zu nehmen und zu versuchen, die städtestatistischen Ämter zu befähigen, die notwendigen Leistungen selbst zu erbringen.“ (Vier Infinitivgruppen in nur einem Satz: zu nehmen, zu versuchen, zu befähigen, zu erbringen. Nicht gut.)

Keine Infinitiv-Orgien

Noch ein paar Ärgernisse • „Wer sich nur vergegenwärtigt, welche Entwicklung die Datenverarbeitung in den letzten 25 Jahren allein mit dem Siegeszug des PCs genommen hat und welche Investitionssummen inzwischen in der DV-Infrastruktur der Städte stecken oder auch bei neuen Aufgaben aufgewendet werden müssen, kann einschätzen, als wie sinnvoll die Gründung des KOSIS-Verbunds sich erwiesen hat, und sich erklären, warum diese Selbsthilfeorganisation der Städtestatistik heute noch eher wächst als schrumpft.“ Der Satz ist ein Un-Satz. Jemand soll, angesichts massiver Wortlawinengefahr, a) sich vergegenwärtigen, b) einschätzen und c) sich erklären. Hinzu kommt aber noch, dass die Konstruktion „als wie“ falsch ist. Das „wie“ genügt.

„Wunderbare“ Un-Sätze

Wortlawinen

81


STARS IN „STADTFORSCHUNG UND STATISTIK“

Sätze auseinandernehmen

Weniger Substantivierungen

• „Viele junge Spanier werden so lange lieber bei ihren Familien wohnen bleiben, bis dass sie ausreichend Eigenkapital … erspart haben.“ Na, was ist das Ärgernis? • „Ab hier wurde – entlang der im strahlenden Sonnenschein liegenden Förde – auf deren Westufer zum Bülker Leuchtturm gewandert und nach dessen Besteigung sowie restaurativer Stärkung ein längerer Fußweg in idyllischer Küstenlandschaft angeboten und (mit einiger Anstrengung) gemeistert.“ Der Satz müsste auch ohne Einschub („entlang…Förde“) zu verstehen sein. Außerdem: zu viele Substantivierungen und Aktivitäten. Liebe Statistiker, wenn ihr nächstens wieder euer Treffen habt, dann bitte ungefähr so: „Wir wanderten entlang dem Westufer der Förde, das im strahlenden Sonnenschein lag. Unser Ziel war der Bülker Leuchtturm. Wir kletterten hinauf und stärkten uns dann in einem Restaurant. Zum Schluss meisterten wir noch – mit einiger Anstrengung

– einen längeren Fußweg in idyllischer Küstenlandschaft.“ • „Vor dem offiziellen Beginn der statistischen Woche, hatte die Ex-AG noch zu einem frühen Vortrag über den globalen Klimawandel, dargeboten von Professor Dommenget vom Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften, eingeladen.“ Das Komma nach „Woche“ hat dort ganz und gar nichts verloren! Und gebt dem Professor doch einen eigenen Satz! Merke: Auseinandernehmen!

Zum Schluss: die Anmerkungen Ein Beitrag in der Ausgabe 1/08 hat nicht weniger als 14 Anmerkungen. Sie sind 1. unmäßig lang und 2. vollgestopft mit Details, die entweder in den Haupttext gehören oder (besser) weggelassen werden sollten. Ein (relativ kurzes) Beispiel: „Es werden gewissermaßen sukzessiv die Gemeinsamkeiten entlang einer relevanten Dimension – wie Häufigkeit des Opernbesuchs oder

Bewertung von Opernmusik – maximiert, um die Faktoren herauszuarbeiten, die über den nächsten Schritt zur Steigerung der Besuchshäufigkeit bzw. des Besuchs entscheiden. Dies entspricht einer analytischen Strategie, die …“ (usw.) Wer will solche Delikatessen in einer kleingedruckten Anmerkung serviert kriegen? Anmerkungen müssen kurz und knapp sein. Sie dürfen nicht mehr als Quellenangaben und/ oder weiterführende Hinweise enthalten. Es kann nicht ihre Aufgabe sein, die Diskussion vom Haupttext sozusagen durch die Hintertür wieder aufzugreifen und der Leserin Gedankenbrocken vor die Füße zu knallen, die vorne, bei der eigentlichen Sache, irgendwie beiseite gekullert sind.

Ein Trost: der inkriminierte Beitrag mit den 14 Horroranmerkungen ist eben jener, der sich durch den schönen ersten Satz „Nirgendwo in der Welt gibt es so viele Opernhäuser wie in Deutschland“ auszeichnet. Statistiker, salzt nach!

Stars in „Stadtforschung und Statistik“ Martin Schlegel, Hagen Tina Turner trat in dieser Zeitschrift auf, Elvis und die Beatles natürlich auch. Mick Jagger schaute vorbei, Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann dachten an Casablanca zurück. Marx war gleich im Doppelpack vertreten, einmal der ganz alte Karl, dann die später geborenen Marx Brothers. „Warum immer nur die alten Stars?“ fragte mich ein Kolle82

ge. „Wie wär’s mit aktuellen?“ Der Kollege hat völlig Recht. Wenn ich merke, dass einer der heute aktiven Künstler an Tina Turner, die Beatles, die Stones, Bogart und Bergmann heranreichen, werde ich die Person gerne in eine Randbetrachtung über Statistik einbauen. Ich werde da nicht zur 99-Luftballon-Nena greifen; geriete ich doch in den Verdacht, Reklame

für Hagen machen zu wollen – Nenas Heimatstadt. Doch unabhängig davon: Star dieser Zeitschrift bleibt nach wie vor die Zahl, die Information. Also der Austausch und die Möglichkeit, von anderen zu lernen. Arbeiten Sie daran mit. Nehmen Sie nicht nur, geben Sie auch. Berichten Sie über Ihre Arbeit. Stadtforschung und Statistik 2/ 08


Die Ex-AG auf der Frühjahrstagung 2008

Grenzenlos in Saarbrücken Ferdinand Böltken, Hürth

Freitag, 28. März: Fuchs und Gemmel Am Anreisetag bezogen die meisten Teilnehmer/innen der Ex-AG Quartier im Hotel Fuchs, in dem der umsichtige Ex-AG Initiator Dr. Ludwig von Hamm Zimmer belegt hatte. Ein kleines, feines Haus mit zentraler Lage in einem Altstadtviertel mit zweifelhafter Vergangenheit, aber vorzüglichen Restaurants. In einem davon, dem „Gemmel“, traf man sich zum Wiedersehen oder zum Kennenlernen. Mit dabei Dr. Dietmar Talkenberg, langjähriger Vorsitzender des Ausschusses Stadtforschung, der sich als kunsthistorisch umfangreich gebildeter Exkursionsleiter für die Ex-AG zur Verfügung gestellt hatte, zunächst für einen Ausflug ins lothringische Metz.

Samstag, 29. März: Metz Mit dem Zug ging es durch die sonnige, offene Landschaft nach Metz, der über 2000jährigen Stadt, deren wechselvolle deutsch/französische Geschichte sich überall im Stadtbild zeigt. Nach 1870/71 bauten die Deutschen Metz zur weltgrößten Festung aus und versuchten, die Stadt „deutsch“ zu gestalten. Davon zeugt im Bahnhof das für Wilhelm II gebaute „Kaiserpalais“. Vor dem Bahnhof entstand um 1900 das „Quartier imperial“, das Deutsche Viertel, mit dessen Monumentalbauten man beeindrucken wollte. Aber man Stadtforschung und Statistik 2/ 08

investierte auch in Infrastruktur, wofür bis heute der im Jugendstil errichtete Wasserturm steht. Mit der städtebaulichen Konzeption, die sich durch Überschaubarkeit, gewinkelte Straßenzüge mit kurzen Straßenabschnitten und viele Plätze auszeichnete, wollte man die mittelalterliche deutsche Stadt zitieren. Wie auch immer: Das durch aufwändige Restaurierung erhaltene Bild scheint bis heute stimmig. Aber die Bevölkerung konnte man damals wegen politischer Fehler kaum gewinnen. So hatte das Elsass bis 1911 keine Stimme im deutschen Parlament und wurde von Preußen verwaltet. Nun, nach der kurzen Spanne der erneuten Eingliederung ins deutsche Reich von 1940-45, scheint dieses Wechselspiel endgültig ausgestanden und im Europa offener Grenzen überflüssig. Nach einem schönen Spaziergang entlang der sonnigen Mosel wurde im Restaurant „Pont Saint Marcel“ zu Mittag gegessen. Von dort war schon die Kathedrale „Saint-Etienne“ (1220-1522) zu sehen. Auch hier waren die imperialen Deutschen tätig, so bei der Rekonstruktion des gotischen Portals. Bis heute lugt Kaiser Wilhelm II unter der Kutte eines Mönchs hervor (Bild 1: Statue ganz rechts). Beeindru-

ckender das Innere der Kathedrale, das mächtige, „steile“ Mittelschiff von 41,41m Höhe (Kölner Dom: 43.35) bei ca. 15m Breite, die außerordentlich transparenten, filigran gegliederten gotischen Wandflächen mit ihren vielfältigen, wunderbar farbigen, mit fast 6500m² zu den größten der Welt zählenden Fensterflächen aus dem 14. bis 20. Jahrhundert, darunter die von Marc Chagall. Baukunst aus Römerzeiten bis zur Gegenwart, militärische Anlagen und deren heutige

Bild 1: Kathedrale „Saint-Etienne“ in Metz (Foto: F. Böltken)

83


GRENZENLOS IN SAARBRÜCKEN Nutzung und der Gang durch quirlige Einkaufsstraßen rundeten das Bild einer höchst lebendigen (von den Weltkriegen verschonten) Stadt ab, die von ihrer militärhistorischen Bedeutung keineswegs erdrückt erscheint, sie vielmehr eher heiter und souverän zitiert und die baulichen Reste städtebaulich geschickt nutzt.

So, 30. März: Spicherer Höhe

Bild 2: Gefallenendenkmal der deutsch-französischen Kriege auf der Spicherer Höhe (Foto: F. Böltken)

Auch am Sonntag spielte die militärische Vergangenheit im deutsch-französischen Grenzland eine Rolle. Wiederum angeführt vom kenntnisreichen Kollegen Talkenberg wanderte die Gruppe über die vor allem 1870 heftig umkämpfte „Spicherer Höhe“. Per Bus erreichte man als Ausgangspunkt die geriatrischen Abteilungen der „Sonnenberg“ – Klinik, wobei man nur den Namen als Omen nahm. Bald schon begegnete man den ersten Denkmälern für die vielen Gefallenen auf deutscher und französischer Seite

(Bild 2). Je mehr man sich dem Zentrum des Kampfgeschehens näherte, desto bedrückender zeigte sich das ungeheure Ausmaß des Blutvergießens. Der kleine Abschnitt der Spicherer Höhe und des steilen Anstiegs ist förmlich gespickt mit Grabmälern der deutschen und französischen Opfer, die am 6. August 1870 ihr – meist erst 20 oder 21 Jahre altes – Leben verloren. Und als sei das noch nicht genug, weisen zahlreiche Gräber darauf hin, dass auch im ersten und zweiten Weltkrieg (noch 1945) auf den Spicherer Höhen die nächsten Generationen der jeweils 20-oder 21jährigen ihr Leben ließen. Die französischen und deutschen Gedenkstätten sind meist getrennt, wirken aber durch ihre unmittelbare Nachbarschaft als Ausdruck gemeinsamer Trauer. Auf einer Tafel wird Albert Schweitzer zitiert: „Soldatengräber sind die großen Prediger des Friedens“. Und sie geben Anlass für eine dankbare Würdigung der friedlichen Entwicklungen in Europa.

Im munteren deutsch-französischen Menschen- und Sprachgemisch des prall gefüllten Gasthauses Wolf direkt auf der Spicherer Höhe jedenfalls ließ sich dann beim Mittagstisch erleben, dass die Predigt der Opfer eine nachhaltige Wirkung hatte. Wieder in der Bundesrepublik Deutschland dann ein Bild, dessen Deutung als unbedarft fröhlich oder subversiv rechts unklar blieb: Auf einem mit zwei Holzbänken zum „Mannschaftswagen“ umgebauten VW–Pritschen-Golf hatten zwei junge Männer in Bundeswehrjacken die deutsche Flagge gehisst, genossen die Sonne und tranken Flaschenbier, das sie sich mit zwei Freundinnen teilten. Auf Nachfrage nach dem Sinn der Übung wurden wir aufgeklärt: Man wolle Jugendliche von der Strasse holen und sie vor Drogen und Gewalt abhalten. Na denn Prost. Diejenigen der EX- Gruppe, die ihrem unermüdlichen Reiseführer noch zu folgen imstande waren, wanderten weiter zur evangelischen Stiftskirche St. Arnual, die z. T. auf gallorömischen Fundamenten ruht. Besonders bedeutsam ist hier die „Grabtumba“ Elisabeths von Lothringen, Regentin von Nassau-Saarbrücken (1429 bis 1442), die als Übersetzerin französischer Romane in die deutsche Sprache ein frühes Beispiel kulturellen Austauschs gab.

Mo, 31. März: Völklinger Hütte Der Montagmorgen war dem Weltkulturerbe „Völklinger Hütte“ gewidmet, die man per Bundesbahn erreichte. Geführt wurde die Gruppe diesmal von Herrn Hille, dem letzten Chef der Hütte vor der Stilllegung 1986. Stillgelegt 84

Stadtforschung und Statistik 2/ 08


GRENZENLOS IN SAARBRÜCKEN wurde damals nur die Hütte, nicht jedoch das daran angegliederte Stahlwerk. Es wird als modernes Werk weiter betrieben, bezieht nun aber sein Rohmaterial aus der 16 km entfernten Dillinger Hütte, die täglich 6 mal 1000 Tonnen flüssig-glühendes Eisen per Zug anliefert. Die Hütte präsentiert sich heute als Gewirr von rostigen Kesseln, Rohrleitungen, Transportbändern und –wagen, Schornsteinen und Maschinen, wobei sich erst von Nahem die gewaltigen Ausmaße offenbaren. Beeindruckend ist der logistische und technische Aufwand, der mit Stahl- „Kochen“ bei dieser Größenordnung verbunden ist. Zunächst müssen Kohle und Erze aus aller Welt bei nur relativ geringer Lagerhaltung (in den dennoch riesigen Abfüllhallen der „Möllerei“) zusammengeführt werden. In der „Sinteranlage“ werden Erz und Kohle zu einem „Kuchen“ verbacken, mit dem die Öfen gefüttert werden. In den

Stadtforschung und Statistik 2/ 08

massigen Türmen der „Winderhitzer“ werden mit den heißen Abgasen der Hochöfen Schamottröhren auf ca. 1200 Grad erhitzt, durch die dann frische Luft geleitet wird. Sie wird als „warmer Wind“ mittels gewaltiger Windmaschinen in die Hochöfen geblasen, um sie energiesparend mit Sauerstoff zu versorgen. Zum (Nach-) Füllen der Öfen wird der Eisen-Kohle-Sinter auf eine Bühne in 27m Höhe transportiert. Sie wird, nach der obersten Schicht im Hochofen, “Gicht“-Bühne genannt. Die Herkunft dieses Begriffs war bislang unklar. Die EX-AG konnte hier zur endgültigen Klärung beitragen, und zwar auf der Basis des Spruchs, mit dem die Hochöfner den sensiblen Prozess des Stahlkochens charakterisieren: „So ein Hochofen ist eben auch nur ein Mensch“. Darauf spontan aus der Gruppe: „Deshalb hat er auch Gicht“.

Und an dieser Deutung ist was dran, wenn man einmal erlebt hat, wie zugig und kalt es auf den oberen Bühnen der Hochöfen trotz aller Hitze im Inneren und beim Abstich zugeht.

Nach dem Mittagessen im Restaurant der Hütte Rückfahrt nach Saarbrücken und damit Ende des Programms der EXAG. Das Fazit war eindeutig: Man hatte anregende Tage in herzlicher, freundschaftlicher Runde erlebt, man hatte von der Stadt und der Region Saarbrücken einen ganz neuen, lebhaften und liebenswerten Eindruck gewonnen und viel über deren Vergangenheit und Gegenwart gelernt. So war man gut gerüstet für die sich anschließende Frühjahrstagung des VDSt.

Bild 3: Außenansicht der „Völkinger Hütte“ (Foto: L. von Hamm)

85


Saarbrücker Nachlese

Von sparsam bis opulent Martin Schlegel, Hagen

Der tut der Stadt weh, der sagt: „Bei Saarbrücken denke ich sofort an Oskar Lafontaine.“ Schließlich hat diese Stadt doch etliche schöne Seiten: Das Schloss, die Ludwigskirche, den Bürgerpark, die vielen Gasthäuser und natürlich die grüne Umgebung. Andererseits gibt es hier einen Bormannspfad, der in die Viktoriastraße mündet. Eine – im wahrsten Sinne des Wortes – wechselvolle Geschichte kennzeichnet das Saarland und seine Hauptstadt Saarbrücken. 1935 und 1955 entschieden sie sich per Volksabstimmung für die Zugehörigkeit zu Deutschland. Als Dank für die zweite und sicher endgültige Entscheidung bekam Saarbrücken die Congresshalle geschenkt, Ort unserer diesjährigen Frühjahrstagung.

Eine Tagung, die mit einem tollen Einstieg eröffnete: Statistik à la Carte. Keine Referate, gefolgt von Wortbeiträgen der üblichen Verdächtigen. Sondern: Einige Städte hatten einen Stand und präsentierten dort sich und Ausschnitte ihrer Arbeit. Angebote zum Abkupfern. Oder lieber: Gedankenaustausch unter Kollegen. Wie dem auch sei, viele fanden’s gut. Auch die beiden Folgetage lohnten sich: Qualitätsmanagement, Clusteranalyse und Monitoring. Ein Referent sagte: „Manche von uns sehen in einer ordentlichen, einer sauberen Tabelle das Ende ihrer Arbeit. Falsch, die Information ist das Ziel.“ Ein anderer meinte: „Die kleine Information ist besser als keine. So sollte man auf Adhoc-Anfragen reagieren, dann

bleibt man als Ansprechpartner im Boot.“ Dem kann ich nur zustimmen, aber das wissen Sie längst. Powerpoint ist mittlerweile Standard, die an die Wand geworfenen Schaubilder sind aber recht unterschiedlich. Hier opulente Grafiken, vollgepackt mit Informationen, inhaltsschwer und ebenso schwer verständlich. Dort sparsam ausgestattete Bilder, pro Schaubild 1 bis 2 Informationen und somit für den Zuschauer unmittelbar verstehbar, gut verdauliche Kost. Geht doch.

��������� Herausgeber:

Verband Deutscher Städtestatistiker Vorsitzender: Rudolf Schulmeyer, Bürgeramt, Statistik und Wahlen, Zeil 3, 60313 Frankfurt am Main Telefon 069-212 33 667, E-Mail: rudolf.schulmeyer@stadt-frankfurt.de Stellvertretender Vorsitzender: Hermann Breuer, Abteilungsleiter im Amt für Stadtentwicklung und Statistik Willi-Brandt-Platz 2, 50679 Köln Telefon 0221-221 21 871, Email: hermann.breuer@stadt-koeln.de

Redaktion:

Herstellung Bezug:

Martin Schlegel, Redaktionsleiter Franzstr. 21, 58091 Hagen, Telefon 02331-79101, E-Mail: me.schlegel@t-online.de Schibri-Verlag, Milow 60, 17337 Uckerland, Telefon 039753-22757, Telefax 039753-22583 E-Mail: schibri-verlag@t-online.de Stadtforschung und Statistik erscheint zweimal jährlich und ist beim Schibri-Verlag oder über den Buchhandel zu beziehen. Abonnementpreis jährlich 15 EUR

�����������������������������������

86

�������������������������������

Stadtforschung und Statistik 2/ 08


Volkszählung, Todesursachen und Wahlmaschinen

Statistische Themen 1908, 1933 und 1958 Martin Schlegel, Hagen

Schon seit 1879 treffen sich Städtestatistiker zum informativen Austausch. Was auf den Treffen behandelt wurde und wer worüber geredet hat, das ist in „Die Städtestatistik im Wandel der Zeit“ festgehalten, einem Werk, das der VDSt 1975 unter Kölner Leitung erstellte. Der 50-, 75- und 100-jährige Rückblick vermittelt interessante Einblicke in die damalige Themenwelt.

XXII. Konferenz der Vorstände Statistischer Ämter Deutscher Städte Diese Tagung fand in Aachen statt, und zwar vom 19. bis 22. September 1908 mit Ausnahme vom 20. September, einem Sonntag. Eine Auswahl: • Gesetzliche Regelung der Volkszählung • Bericht über Ausführung der letzten Berufs- und Betriebszählung • Todesursachenschema • Statistik der Baumaterialienpreise • Statistik der Fleischpreise • Erhebung und Bearbeitung von Haushaltsrechnungen • Statistik über die Erziehung verwahrloster Kinder

40. Verbandsversammlung Dieses Treffen war am 8. und 9. Mai 1933 in Berlin. Nur drei Themen wurden behandelt: • Volks-, Berufs- und Betriebszählung • Wohnungszählung • Todesursachenstatistik

58. Tagung des Verbandes Deutscher Städtestatistiker Köln war am 14. und 15. Oktober 1958 Gastgeber. Trotz der nur zweitägigen Versammlung stand eine Fülle von Themen auf der Tagesordnung: 36 Referate, darunter 10 zum Thema „Wahl“. Eine kleine Auswahl: • Einheitliche Straßenverkehrszählungen • Ermittlung des Bildungsstandes • Geldwertänderungen und kommunaler Haushalt • Social Costs und Industriefolgelasten • Indikatoren für die kurzfristige Wirtschaftsentwicklung • Schulfinanzstatistik • Standardisierung von Erziehungsstatistiken • Neuordnung der Statistik der Volkshochschulen • Statistik der Volksbüchereien • Gewerbesteuerstatistik • Einführung von Wahlmaschinen

Stadtforschung und Statistik 2/ 08

87


Autorenverzeichnis Böltken, Dr. Ferdinand, Diplom-Volkswirt, Wissenschaftlicher Direktor a.D., Hürth, ferdinand.boeltken@t-online.de Brondies, Mirjam, Dipl.-Soz., Fachbereich Statistik, Stadt Dortmund, mirjam.brondies@stadtdo.de Brückner, Dr. Gunter, Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Referat VIA-6, Migrationsstatistiken, gunter.brueckner@destatis.de Diefenbach, Dr. habil. Heike, Privatdozentin für Soziologie, Chapel Cottage, Groß-Britannien Haußmann Michael, Diplom-Geograf, Statistisches Amt Stuttgart, Abteilungsleiter 12-3, michael.haussmann@stuttgart.de Horch, Claudia, Diplom-Geografin, Raumplanerin ETH NDS, Leiterin des Teams „Strukturanalyse und –entwicklung“ beim Regionalverband Ruhr, Essen, horch@rvr-online.de Hündorf, Geertje, Research Specialist, Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit, US-Botschaft Berlin, huendorfg@state.gov Kunze, Dr. Andreas, Redakteur, Hagen, andreas_kunze@gmx.net Lindemann, Utz, Diplom-Geograf, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Statistischen Amt Stuttgart utz.lindemann@stuttgart.de Meininghaus, Julia, Dipl.-Ing. Raumplanung, Amt für Wohnungswesen, Stadt Dortmund, jmeininghaus@stadtdo.de Menge, Hans, Diplom-Ingenieur, Bonn, hdmenge@yahoo.de Naumann, Ulrich, Diplom-Volkswirt, Köln, ulrich_naumann@yahoo.de Reeh, Dr. Tobias, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Forstpolitik, Forstgeschichte und Naturschutz der Georg-August-Universität Göttingen, treeh@gwdg.de Richter, Roland, Diplom-Sozialwissenschafter, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Amt für Statistik, Stadtforschung, Duisburg, r.richter@stadt-duisburg.de Riegert, Christoph, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Forstpolitik, Forstgeschichte und Naturschutz der Georg-August-Universität Göttingen, Göttingen, christoph.riegert@forst.uni-goettingen.de Schlegel, Martin, Diplom-Kaufmann, Amtsleiter a.D., Hagen, me.schlegel@t-online.de Schubert, Uwe, Diplom-Statistiker, Leiter des Ressort Statistik und Stadtforschung, Hagen, uwe. schubert@stadt-hagen.de Schultz, Andrea, Diplom-Geographin, Amt für Statistik und Wahlen, Leipzig, andrea.schultz@leipzig.de Schultz, Annett, Diplomsoziologin, Geschäftsführung Faktor Familie GmbH, Bochum, annett.schultz@faktor-familie.de Sommerer, Ernst-Otto, Diplom-Sozialwissenschaftler, Leiter des Amtes für Statistik und Wahlen, sommerer@stadtdo.de Thien-Seitz, Uta, Diplom-Statistikerin, Amtsleiterin, Statistisches Amt der Landeshauptstadt München, uta.thien@muenchen.de Trutzel, Klaus, Diplom-Kaufmann, Stadtdirektor a.D., Nürnberg, kum.trutzel@t-online.de Weiß, Prof. Dr. Anja, Juniorprofessorin für Soziologie an der Universität Duisburg-Essen, Institut für Soziologie, anja.weiss@soziologie.uni-muenchen.de Wunderlich, Holger, Diplom-Sozialwissenschaftler, Geschäftsführung Faktor Familie GmbH, Bochum, holger.wunderlich@faktor-familie.de

88

Stadtforschung und Statistik 2/ 08


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.