9 minute read

Klischeefrei

Next Article
Pflichtangaben

Pflichtangaben

Alles im Lot? Bei der Gleichstellung von Männern und Frauen gibt es auch im Handwerk noch einige Aufgaben zu bewältigen.

Welche Rollen spielen Frauen im Handwerk? Wir schauen genauer hin, räumen mit Vorurteilen auf und zeigen, welche Aufgaben noch vor uns liegen.

YANNIK HERBST

Dienstag, 08. März 2021. Mit vielen virtuellen Veranstaltungen und Aktionen wird unter dem Eindruck der Corona-Pandemie der Internationale Frauentag gefeiert. Im Bundestag spricht die Bundesfrauenministerin über die Sichtbarkeit von Frauen, den Gender Pay Gap und über die vielen Herausforderungen, die es noch zu bewältigen gibt. Auch das Handwerk beteiligt sich mit der bundesweiten Imagekampagne an vielen Aktionen. Und die anderen 364 Tage des Jahres? Im Handwerk ist jeder Tag ein Frauentag. Auszubildende, Gesellin, Meistsern, Gründerin, Unternehmerfrau - Frauen sind im Handwerk schon immer eine feste und wichtige Größe, viele Berufe, die lange

90,7

PROZENT aller weiblichen Auszubildenden im Kammerbezirk haben ihre Gesell*innenprüfungen bestanden. Die Quote ist dabei höher, als bei ihren männlichen Kollegen (84,1%). zu den klassischen Männerberufen gehört haben, werden auch für Frauen immer beliebter.

Doch wie sehen die Zahlen genau aus? Wie ist es um die Frauen im Handwerk bestellt und welche Herausforderungen ergeben sich daraus für die Handwerksorganisation? Wir räumen auf mit den Vorurteilen und zeigen: Klischeefrei = Alles ist möglich. Ein genauer Blick auf mutige Vorbilder, spannende Entwicklungen und die Aufgaben für die Zukunft.

Status Quo - Wie ist die Lage?

Zunächst ein Blick auf die Zahlen: Rein statistisch ist beim Frauenanteil in den Hand-

werksberufen noch orddentlich Luft nach oben. So beträgt der Anteil weiblicher Auszubildender im Jahr 2020 für den Kammerbezirk Hildesheim-Südniedersachsen etwa 17%. Vor allem die fallenden Zahlen in den frauendominierten Gewerken (Friseur*in, Verkäufer*in im Lebensmittelhandwerk) sorgen dafür, dass der Frauenanteil insgesamt nicht steigt. In anderen Gewerken, wie den Gesundheitsberufen (Augenoptiker*in, Zahntechniker*in, etc.), ist wiederum ein starker Zuwachs von weiblichen Lehrlingen zu erkennen.

Der geringe Gesamtanteil an Frauen im Handwerk kann vor allem damit begründet werden, dass viele junge Frauen im Zuge der Berufsorientierung noch keine konkreten Berufswünsche haben, aktuell können dies nur circa 10% (60% bei den Männern). Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Volkswirtschaftlichen Instituts für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen (IFH).

Und bei Gesell*innen? Auch wenn sich knapp 60% der Frauen im Handwerk auf die frauendominierten Gewerke konzentrieren, gehören auch vier männerdominierte Handwerke (u.a. KFZ-Mechatroniker*in und Tischler*in) zu den zehn beliebtesten Handwerksberufen bei Frauen. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass der Frauenanteil in den männerdominierten Handwerken steigt.

Wie sieht das Gründungsverhalten von Frauen aus? Der Anteil derer, die sich „in Teilzeit“ selbstständig machen, ist wesentlich höher als bei Männern, was vor allem auf eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine geringere Risikobereitschaft hindeutet. Insgesamt steigt der Frauenanteil bei Gründungen, inzwischen liegt er bei knapp einem Viertel. Es ist außerdem festzuhalten, dass hierbei nicht nur das Friseurhandwerk vertreten ist, sondern eine Vielzahl anderer Berufe (v.a. Gesundheitshandwerke, Konditorei, Fotografie, etc.).

Die Bedeutung von Frauen im Handwerk spiegelt sich also nur unzureichend in den Zahlen wieder. Und Vorurteile und Klischees über Frauen im Handwerk verzerren ihren großen Wert für das Handwerk deutlich. Handwerk lassen sich manchmal auch gemeinsam betrachten. „Das ist doch alles harte, schmutzige, undankbare Arbeit. Ihr geht eh studieren, nicht ins Handwerk“, hören Schüler*innen nicht selten in dem einen oder anderen Gymnasium. Doch das stimmt schon lange nicht mehr. Selbstverständlich gibt es auch körperlich anspruchsvolle Berufe, bei denen Frau und Mann sich die Hände „schmutzig“ machen. Doch die über 130 Berufe des Handwerks bieten eine Vielfalt, die man in vielen anderen Wirtschaftszweigen eher vergeblich sucht: Die Arbeit auf der Baustelle (Maurer*in), im Labor (Zahntechniker*in), in Werkstätten mit komplexen Maschinen (Feinwerkmechaniker*in) oder auch im eigenen Geschäft mit Menschen (Goldschmied*in).

Auch das Argument, Frauen hätten eine andere physische Konstitution und seien deshalb unter Umständen weniger belastbar, lässt sich mühelos entkräften. In vielen Berufsbereichen haben sich Technisierung und dank eines stärkeren Fokus auf die Gesundheit auch das tägliche Arbeiten weiter verändert. Oftmals trägt niemand mehr schwere Materialien und Bauteile selbst. Das machen inzwischen hochtechnische Maschinen, Kräne oder andere Geräte. Und diese wiederum machen die physisch-anatomischen Unterschiede zwischen Mann und Frau völlig unerheblich, zumal es auch unter Männern viele Leichtgewichte gibt (einer von ihnen schreibt z.B. diesen Artikel), die trotzdem im Handwerk gelandet sind.

Das Vorurteil, dass Männer die besseren Handwerker sind, entbehrt dabei sogar jeder Grundlage. In den vielen Daten, die Forschungseinrichtungen wie das IFH erheben, gibt es keine signifikanten Erkenntnisse, dass Männer handwerklich fähiger sind. Im Gegenteil: Bei den Gesell*innenprüfungen schneiden Frauen sogar besser ab als Männer. Und das nicht nur in den Berufen, in denen ohnehin viele Frauen vertreten sind, sondern auch in den männerdominierten Ausbildungsberufen.

Auch bei der Familiengründung sind die Vorbehalte gegenüber Frauen schon lange nicht mehr berechtigt. Inzwischen gibt es vielseitige Möglichkeiten, die Männern und Frauen gleichermaßen Elternzeit und Ruhezeiten ermöglichen. Auch Väter bestehen zunehmend auf eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und schöpfen die ihnen zustehende Elternzeit vollends aus.

Es wird also deutlich, ohne Klischees und Vorurteile ist das alles doch recht einfach. Oder um es anders zu formulieren: Alles ist möglich!

Was ist möglich und wo liegt noch Arbeit vor uns?

Medial und politisch entsteht der Eindruck, dass es die größte Aufgabe des Handwerks sei, Parität zwischen den Geschlechtern in verschiedenen Berufsfeldern herzustellen. Letztendlich geht es aber um etwas ganz Anderes. Die zentrale Aufgabe ist es eben nicht, auf Biegen und Brechen eine .

Vorurteile Handwerk = Vorurteile Frauen?

Die Klischees und Vorurteile zum Hand- Foto: AMH werk insgesamt, als auch zu Frauen im Stolz auf Ihr Handwerk: Egal ob als Zimmerin... ... Oder als Konditorin.

Foto: AMH

gleiche Verteilung von Männern und Frauen in allen Berufsfeldern herbeizuführen. Viel wichtiger ist es, Chancengleichheit für Männer und Frauen zu erreichen. Und da liegen in der Tat noch einige Aufgaben vor uns. Das Handwerk hat in vielen Gewerken unbesetzte Stellen und sucht nach Auszubildenden, Fachkräften und Betriebsnachfolgern. Vor allem die Gewinnung von Frauen hat dabei besonderes Potential, vielleicht sogar das Potential der Zukunft. Dazu bedarf es allerdings eines umfassenden Maßnahmenkatalogs, der auch das Handwerk insgesamt noch attraktiver machen kann.

Zunächst sollte auch die Berufsorientierung umfassender gedacht werden (Weitere Informationen hierzu auf S. 9). Wie bereits seit langem von Kreishandwerkerschaften und den Handwerkskammern gefordert, müssen Bildungseinrichtungen aller Schulformen eine umfassende Berufsorientierung anbieten, die das Handwerk explizit miteinschließt. Gerade aufgrund des vom IFH festgestellten Rückgangs der (ausbildungsinteressierten) Absolventinnen in den Haupt- und Realschulen in den nächsten Jahren ist es wichtig, den schulisch höherqualifizierten Frauen attraktive Ausbildungsberufe im Handwerk anbieten und präsentieren zu können.

Mutige Vorbilder im Fokus

„Das Handwerk ist tatsächlich oft hinten runtergefallen in der Berufsorientierung“, sagt auch Lucie Mentzendorff, die sich nach dem Abitur für eine Ausbildung zur Elektronikerin entschieden hat (Mehr über Lucie lesen Sie auf S. 10). Auch in der medialen Bildsprache, zum Beispiel in Anzeigen oder auf Internetseiten, muss besser darauf geachtet werden, dass sich nicht immer nur die Kundin von einem Handwerker etwas erklären lässt, sondern genauso auch umgekehrt.

Starke Vorbilder, an denen junge Schülerinnen und Auszubildende sich orientierten können, müssen noch stärker in den Fokus gerückt werden. Die Werbemaßnahmen der Imagekampagne DAS HANDWERK gehen dabei schon genau in die richtige Richtung. Und auch regional gibt es viele Beispiele, die es hervorzuheben gilt (Unsere mutigen Vorbilder finden Sie auf S. 10 – 13). Während der Ausbildung und im Erwerbsleben ist eine bessere Vernetzung von Handwerkerinnen hilfreich, um sich auszutauschen und von den Erfahrungen der anderen zu profitieren. Einige Initiativen und Vereine gibt es bereits, diese sollte noch stärker ausgebaut werden (Informationen

„Das Handwerk ist tatsächlich oft hinten runtergefallen in der Berufsorientierung “

Lucie Mentzendorff,

Abiturientin und Auszubildende im Elektrotechnikerhandwerk zu den Unternehmerfrauen im Handwerk und weiteren Netzwerken finden Sie auf S. 13). Die Ausbildungsberater der Handwerkskammern müssen auch in Zukunft daran mitwirken, Frauen im Ausbildungsprozess zu unterstützen und eine Vernetzung untereinander zu ermöglich, damit vorzeitige Vertragslösungen verhindert werden können. Das Handwerk insgesamt sollte sich an einzelnen Stellen, wie z.B. Arbeitszeitregelungen und Familienvereinbarkeit noch flexibler aufstellen, um zu verhindern, dass Frauen frühzeitig (und auch häufiger als Männer) das Handwerk verlassen und eine Tätigkeit ausüben, die mit ihrem eigentlichen Ausbildungsberuf nicht mehr viel gemein hat. Auch in den möglichen Weiterbildungsangeboten sollten flexible Modelle (z.B. Meistervorbereitungskurse in Teilzeit) angeboten werden, um Frauen stärker als bisher für eine Weiterbildung im Handwerk zu begeistern. Auch die Gründungsberatung

Berufsorientierung, wie sie sein soll: Eine Schülerin beim Zukunftstag lernt mithilfe eines Schweiß-Simulators das Metallbauer-Handwerk von seiner praktischen Seite kennen.

für Frauen sollte zielgruppengerecht (viele Frauen gründen im Nebenerwerb) ausgebaut werden.

Auch die Politik ist gefragt

Doch nicht nur das Handwerk selbst ist gefragt. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks hat zu den diesjährigen Wahlen zentrale Forderungen an die Politik gestellt, die die Gleichstellung von Frauen und Männern verbessern soll: Bezahlbarer Wohnraum im ländlichen und urbanen Raum, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch Schaffung von Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten in Teilzeit, eine Ausweitung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten – die Liste ist lang (Handwerk im Dialog mit der Politik: Machen Sie mit! Weitere Informationen unter www.hwk-hildesheim.de/hid). „Das Beste, was du werden kannst: du selbst.“, heißt es auf den Motiven der

Foto: HWK

Imagekampagne des Handwerks. Um dieses Ziel für Frauen wie Männer zu ermöglichen, müssen noch einige Steine versetzt und Brücken gebaut werden.

Doch letztendlich ist vor allem auch noch eine andere Botschaft wichtig: Klischeefreie Berufswahl darf nicht bedeuten, dass jede Frau sich aus Prinzip für einen der MINT-Berufe oder eine „Männerdomäne“ im Handwerk entscheiden muss. Berufswahl und Geschlecht müssen grundsätzlich voneinander abgekoppelt werden. Das Geschlecht spielt letztlich keine Rolle, es darf keine Rolle spielen. Und wenn eine 16-Jährige Schülerin den Traum hat, einen Friseursalon zu eröffnen und sich deshalb für eine Ausbildung zur Friseurin entscheidet, dann ist das kein Klischee, sondern eine tolle Entscheidung für einen abwechslungsreichen Handwerksberuf. Wie schon erwähnt: Klischeefrei = alles ist möglich! W

Tobias Dunkel

Berufsorientierung ganzheitlich denken!

Die Zahlen zeigen es eindrucksvoll. Das Handwerk hat für alle Bildungsabschlüsse etwas im Angebot. Und nicht nur das: Vor allem von den Abiturienten entscheiden sich immer mehr für eine Ausbildung im Handwerk. Männer und Frauen. Doch leider gibt es da noch einen Haken. Nach wie vor tun sich viele Schulen schwer, allen voran die Gymnasien, dem Handwerk eine Möglichkeit der Berufsorientierung auf Augenhöhe mit den anderen Wirtschaftszweigen zu ermöglichen. Wenn wir in dieser Ausgabe nun davon sprechen, dass ohne Klischees alles möglich sei, mein Aufruf an die Schulen: Macht mit! Baut Klischees und Vorurteile mit uns gemeinsam ab. Lasst das Handwerk in die Schulen, auch in die Gymnasien! Denn eine klischeefreie Berufswahl fängt mit den Orientierungsangeboten in den Schulen an. Gerade in Zeiten der Pandemie brauchen Schülerinnen und Schüler ein gutes und umfassendes Beratungsangebot. Das schließt auch das Handwerk mit ein. Unsere Berater stehen den Schulen in puncto Berufsorientierung gerne zur Verfügung. Das Handwerk hat goldenen Boden, das hat auch diese Krise wieder einmal eindrucksvoll gezeigt. Wir sind gemeinsam gut beraten, dies den Schülerinnen und Schülern von allen Schulformen auch zeigen zu können.

Tobias Dunkel, Abteilungsleiter Berufliche Bildung

Foto: HWK

This article is from: