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1.1 Kinder- und Jugendliteratur als Kommunikationsmedium
zieren, bildet die Grundvoraussetzung und den Ausganspunkt aller Kinderund Jugendliteratur. Aus ihr ergibt sich die Festlegung all der Botschaften, die hierfür als geeignet erscheinen. Im Folgenden geht es um die literarische Kommunikation als eine Sonderform menschlicher Kommunikation, sodann um die kinder- und jugendliterarische Kommunikation als Sonderform der literarischen Kommunikation.
1.1 Kinder- und Jugendliteratur als
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Kommunikationsmedium
Spezielle mediale Kommunikationen und deren Kommunikationsmedien
Wer einen vorgestellten oder gedachten Sachverhalt, einen Problemgehalt oder eine persönliche Erfahrung anderen gegenüber äußern möchte, macht aus diesen – kommunikationstheoretisch gesprochen – eine Botschaft bzw. eine Mitteilung. Der Begriff der Mitteilung ist im Deutschen doppeldeutig: Er kann das Was einer Mitteilung, deren Inhalt also, wie auch den Prozess der Mitteilung bezeichnen. Beides lässt sich klar trennen, wenn von Botschaft auf der einen, von Kommunikation auf der anderen Seite gesprochen wird. Anstelle von Botschaft kann auch von einem Kommunikat die Rede sein.2
Um eine Botschaft zu äußern bzw. eine Mitteilung zu tätigen, bedarf es der Inanspruchnahme eines Mediums. Insofern dieses der Äußerung einer Botschaft dient, sei hier von einem Kommunikationsmedium gesprochen. Man könnte auch von einem Darstellungs- oder Mitteilungsmedium sprechen. Die Gesellschaft bietet jedem Mitglied verschiedene, individuell ( aus) wählbare Kommunikationsmedien an. Die Beherrschung der in einer Kultur als elementar angesehenen Kommunikationsmedien ( wie bspw. Sprache und Schrift) ist Teil der allgemeinen Sozialisation; die der spezielleren Kommunikationsmedien obliegt teils der weiterführenden Bildung, teils einer speziellen
2 Die Botschaft wird « auch als Kommunikat, Aussage, Signal oder Information bezeichnet», vgl. Anke Vogel: Der Buchmarkt als Kommunikationsraum. Eine kritische Analyse aus medienwissenschaftlicher Perspektive. Wiesbaden: VS Verlag fur Sozialwissenschaften 2011, S. 20.
Ausbildung.3 Zu den spezielleren, im weiten Sinne künstlerischen Kommunikationsmedien gehören traditionellerweise das Zeichnen, das Malen, das Materialformen, das Singen, das Musizieren, das Tanzen, das Dichten bzw. das literarische Schreiben, wenn der Tätigkeitsaspekt anvisiert werden soll. Soll das Ergebnis der Äußerung bzw. Mitteilung fokussiert werden, dann haben wir es mit Zeichnungen, Gemälden, Plastiken, Gesängen, Musikstücken, Tanzdarbietungen, Dichtungen und literarischen Werken zu tun. Soll es um eine allgemeine Klassifikation der traditionellen künstlerischen Kommunikationsmedien gehen, dann wäre von bildender Kunst (Malerei und Plastik), von Gesang, von (Instrumental‐)Musik, von Tanz und Ballett, schließlich von ( lyrischer, epischer und dramatischer) Dichtung und (Sach- und belletristischer) Literatur zu reden. Zu den weiteren, teils jüngeren künstlerischen Kommunikationsmedien wären die Oper, der Film, die Bildgeschichte und der Comic, die Videoinstallation etc. zu zählen.
Die Aufzählung lässt deutlich werden, dass es neben künstlerischen Kommunikationsmedien, die sich nur eines Ausdrucksmediums bedienen, solche gibt, die gleichzeitig zwei oder mehrere Darstellungsmedien in Anspruch nehmen und diese gemeinschaftlich für die Äußerung einer Botschaft nutzen. Für diesen Fall hat sich der Begriff der plurimedialen künstlerischen Kommunikationsmedien eingebürgert.4 Hierzu zählen etwa die Oper und der Film. Die wichtigsten Formen auf dem Feld der Kinder- und Jugendliteratur sind die Bildgeschichte, das Bilderbuch und der Comic bzw. die Graphic Novel.5
3 Die Unterscheidung zwischen elementaren Ausdrucks- bzw. Kommunikationsmedien, gelegentlich auch als « die Primär- oder Menschmedien» bezeichnet ( das sind verbale und tonale Sprache, Gestik, Mimik), und spezielleren Kommunikationsmedien, gelegentlich auch als «Sekundärmedien» bezeichnet, fällt in den Zuständigkeitsbereich von Linguistik, Rhetorik, Textwissenschaft und Kunst- und Literaturwissenschaft, vgl. Vogel (Anm. 2 ), S. 24. 4 Vgl. Werner Wolf: Intermedialität: Konzept, literaturwissenschaftliche Relevanz, Typologie, intermediale Formen. In: Intertextualität – Intermedialität – Transmedialität. Hrsg. v. Volker C. Dörr und Tobias Kurwinkel. Würzburg: Königshausen & Neumann 2014, S. 11–45. 5 Die Kategorien ‹Bilderbuch› und ‹Comic› sind doppeldeutig, insofern sie sowohl ein Kommunikationsmedium als auch eine Buchgattung ( ein Distributionsmedium – sie-
Jeder speziellen medialen Kommunikation ist ein bestimmter gesellschaftlicher Wissensbestand zugeordnet, ohne dessen Inanspruchnahme diese nicht zustande kommen kann. Es hat sich eingebürgert, hier von einem Symbolsystem zu sprechen.6 Damit ist zunächst gemeint, dass es sich nicht um eine willkürliche Ansammlung von Wissen, sondern um einen geordneten und strukturierten Wissensbestand handelt. Den wesentlichen Inhalt dieser Symbolsysteme bilden die Regeln und Vorgaben, die bei der jeweiligen medialen Kodierung und der Dekodierung einer Botschaft in Anspruch genommen werden müssen und deren Kenntnis auf Sender- wie Empfängerseite unabdingbar vorausgesetzt ist. Das jedem medialen Kommunikationsmedium zugehörige Symbolsystem besteht jedoch nicht nur aus Kodierungsund Dekodierungsregeln. Es enthält darüber hinaus auch eine Vielzahl von Vorgaben und Mustern, die das Verhalten aller am Kommunikationsprozess beteiligten Akteure betreffen.7 Das jeweilige mediale Symbolsystem wird bei allen – im Folgenden schrittweise zu entwickelnden – kommunikativen Teilhandlungen in Anspruch genommen. Bei den Symbolsystemen der hier zur Rede stehenden künstlerischen bzw. literarischen Kommunikationen handelt es sich nicht um einen Bestand unabänderlicher Normen, auch wenn sie vielfach als solche ausgegeben werden; wir haben es vielmehr mit gesellschaftlichen Konventionen zu tun, die einem steten Wandel unterworfen sind.8
Es stellt sich nun die Frage, ob die Kinder- und Jugendliteratur als ein weiteres separates künstlerisches Kommunikationsmedium angesehen werden kann, dem auch ein eigenes Symbolsystem entsprechen würde.9 So sehr
he weiter unten) bezeichnen können. An dieser Stelle sind beide nur in der ersten Bedeutung angesprochen, wobei die Rede vom Bilderbuch nichtsdestotrotz irritierend ist. 6 Die Erforschung von derlei Symbol- bzw. Zeichensystemen und ihrer grundlegenden Gemeinsamkeiten obliegt der Semiotik. 7 Diese ( die jeweiligen Handlungsroutinen betreffenden) Regulationen bleiben dort oft unberücksichtigt, wo die linguistische Kategorie der ‹Langue› als Leitvorstellung dient. 8 Seit geraumer Zeit ist «Handlungs- und Symbolsystem Kinder- und Jugendliteratur» zu einer stehenden Redewendung geworden. Wörtlich genommen ergibt sie keinen Sinn: Bei der Kinder- und Jugendliteratur handelt es sich nicht um ein Handlungssystem, sondern um ein Textkorpus, und ebenso wenig um ein Symbolsystem, sondern lediglich um die Anwendung eines solchen in einer Gruppe von Werken. 9 Dieser Frage wird nachgegangen in Ewers 2012 (Anm. 1), S. 138 f.
dies auch immer wieder angenommen worden ist, so wird hier davon ausgegangen, dass es sich lediglich um ein Teilgebiet bzw. eine Sonderausprägung der literarischen Kommunikation im Allgemeinen handelt. Damit stellt sich die Frage, wodurch sich die kinder- und jugendliterarische Kommunikation von anderen Ausprägungen der literarischen Kommunikation unterscheidet. Die Antwort ist bereits gegeben worden: Verantwortlich ist der gewählte Adressat. Kinder- und jugendliterarische Botschaften sind durch ihre besondere Adressierung bzw. ihr Adressiertsein an die Zielgruppe der Kinder und/oder Jugendlichen gekennzeichnet. So scheint an dieser Stelle eine genauere Betrachtung der kommunikativen Teilhandlung des Adressierens einer literarischen Botschaft angebracht zu sein, wobei die Gründe und Motive für einen solchen Schritt vorerst außer Acht bleiben sollen.10
Adressierung als kommunikative Teilhandlung
Jede Botschaft hat einen Urheber bzw. einen Sender ( engl. transmitter).11 Dieser wählt nicht nur ein Kommunikationsmedium für seine Botschaft aus; er kann auch bestimmen, wer der Empfänger seiner Botschaft sein soll. Den vom Sender vorgesehenen Empfänger bezeichnet man als den Adressaten. Alle Sender, die einen Adressaten festlegen und eine Adressierung ihrer Botschaft vornehmen, agieren hierin als Adressanten. Die Adressierung kann der Botschaft als ein besonderes Signal beigegeben werden; es kann dann von einer adressierten Botschaft gesprochen werden.12 Bei der Kinder- und Jugendliteratur haben wir es mit solchen adressierten literarischen Botschaften zu tun. Der Adressat kann in Einzelfällen aus einem konkreten Individuum bestehen; in der Regel haben wir es jedoch mit einer Gruppenadressierung zu tun; dies kommt in der gebräuchlichen Rede von der Zielgruppe bzw. dem Zielpublikum zum Ausdruck. Es kann dabei um eine bestimmte Ziel-
10 Dass Kinder und Jugendliche überhaupt als Adressaten literarischer Botschaften vorgesehen werden, kann eine Reaktion auf eine spürbare Nachfrage im Namen dieser Zielgruppe darstellen, aber auch aus bestimmten Vorstellungen über Kindheit, Jugend und Erziehung abgeleitet sein, wodurch eine Nachfrage zuallererst erzeugt würde. 11 An der Bezeichnung ‹Sender› wird hier festgehalten, auch wenn sie vielfach als problematisch eingestuft und durch ‹Kommunikator› ersetzt wird, vgl. Vogel (Anm. 2 ), S. 20. 12 Die konkrete Platzierung der Adressierung kommt im Kapitel über die Signalbereiche der kinder- und jugendliterarischen Kommunikation zur Sprache.