Glückselig und unsterblich

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SCHWABE EPICUREA

Seit der Antike sind die Epikureer mit Angriffen auf ihre Götterlehre konfrontiert worden. Die Vorwürfe reichen von Atheismus bis Absurdität. Hauptargument ist die Unmöglichkeit der Existenz der Götter im atomistischen Weltbild: Die epikureische Vorstellung von Gott als einem unvergänglichen und glückseligen Lebewesen scheint unvereinbar mit den Gesetzen der epikureischen Physik, denen zufolge alles aus Atomen besteht und alle Atomverbindungen auflösbar sind. Eine eindeutige Antwort der Epikureer ist nicht erhalten. Zur Auflösung dieses Widerspruchs kann man auf beiden Seiten ansetzen. Entweder nimmt man für die Götter eine besondere, unvergängliche Körperlichkeit als Ausnahme in der epikureischen Physik an oder erklärt sie zum bloßen Begriff, zur Gedankenprojektion, die als solche nicht unter physikalische Gesetze fiele. Eine zentrale Rolle kommt dabei der Götterprolepse zu, d.h. dem Begriff, den man sich von den Göttern macht. Er wird aus allen Richtungen beleuchtet: Cicero und Diogenes Laertius beschreiben die Funktion der Prolepse, Lukrez und Hermarch die Begriffsbildung. Philodem gibt dafür die theoretische Grundlage und erklärt, wie falsche Götterbegriffe entstehen. Zusammengenommen weisen die Quellen auf einen externen Ursprung des Begriffs, auf Götter aus speziellen Atomen. Die Zeugnisse über die epikureische Lehre von Prolepse und Göttern sprechen alle gegen die Annahme von Gedankenkonstrukten.

Glückselig und unsterblich

Holger Essler

Holger Essler, geb. 1977, studierte in Potsdam, Würzburg, Pisa, Oxford und Neapel griechische und lateinische Philologie, Geschichte und Informatik. Er wurde im Jahr 2009 promoviert und ist seit 2010 Akademischer Rat am Lehrstuhl für Gräzistik der Universität Würzburg.

Essler

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SCHWABE EPICUREA Texte, Kommentare und Studien zu Epikur und zur epikureischen Tradition Herausgegeben von Michael Erler und Wolfgang Rother

I S B N 978-3-7965-2600-8

Schwabe Verlag Basel www.schwabe.ch

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783796 526008

Glückselig und unsterblich Epikureische Theologie bei Cicero und Philodem

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S C H WA B E E P I C U R E A II

H E R AU S G E G E B E N VO N M I C H A E L E R L E R U N D WO L F G A N G RO T H E R

W I S S E N S C H A F T L I C H E R B E I R AT GRAZIANO ARRIGHETTI, PISA J Ü RG E N H A M M E R S TA E D T, KÖ L N C A R L O S L É V Y, PA R I S A N T H O N Y A . L O N G, B E R K E L E Y F R A N C E S C A L O N G O AU R I C C H I O, N A P O L I A N T O N Y M C K E N N A , S A I N T- É T I E N N E G Ü N T H E R M E N S C H I N G, H A N N OV E R M A R T I N M U L S OW, G O T H A D I R K O B B I N K , OX F O R D G I A N N I PAG A N I N I , V E RC E L L I DAV I D S E D L E Y, C A M B R I D G E E D OA R D O T O RTA RO L O, V E RC E L L I

S C H WA B E V E R L AG BA S E L


HOLGER ESSLER

G LÜ CK S E L I G U N D U N S T E R B L I C H EPIKUREISCHE THEOLOGIE B E I C I C E RO U N D P H I L O D E M MIT EINER EDITION VON PHERC. 152/ 157, KOL. 8-10

S C H WA B E V E R L AG BA S E L


Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT

Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät I der Julius-Maximilians-Universität Würzburg im Wintersemester 2007/08 auf Antrag von Prof. Dr. Michael Erler und Prof. Dr. Ludwig Braun als Dissertation angenommen.

© 2011 by Schwabe AG, Verlag, Basel Gesamtherstellung: Schwabe AG, Druckerei, Muttenz/Basel Printed in Switzerland ISBN 978-3-7965-2600-8 www.schwabe.ch


Inhalt Vorwort ...............................................................................................

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Abkürzungen ..........................................................................................

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Einleitung................................................................................................ 1. Quellenlage und Problemstellung ...................................................... 2. Forschungsüberblick ......................................................................... 3. Ansatz und Methode der Untersuchung ............................................

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Erstes Kapitel: Grundlage der Kenntnis von den Göttern ....................... 33 1. Angeborene Vorstellungen (Cic., Nat. deor. I 43-46) ........................... 34 2. Wahrnehmung .................................................................................. 57 3. Götter aus Bildern? Darstellung des Velleius (Cic., Nat. deor. I 49-50) 67 4. Schattengötter: Die Widerlegung Cottas (Cic., Nat. deor. I 105-114) ... 109 5. Wahrnehmung und Erkenntnis: Scholion zu KD 1 (D.L. X 139)........ 131 Zweites Kapitel: Prolepsislehre................................................................ 1. Form und Funktion .......................................................................... 2. Inhalt der Prolepse............................................................................ 3. Prolepsenbildung ..............................................................................

148 148 165 171

Drittes Kapitel: Erweiterung der Götterlehre........................................... 1. Analogieschluss und Epilogismos...................................................... 2. Gestalt und Körperlichkeit ................................................................ 3. Götterwohnsitze ...............................................................................

188 188 212 235


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Inhalt

Viertes Kapitel: Philodems Sternengötter (Di III, Kol. 8, 5 – Kol. 10, 6) ......... 246

1. Astralreligion und Epikureer .............................................................. 246 2. Text und Übersetzung........................................................................ 253 3. Kommentar ....................................................................................... 264

Schluss ..................................................................................................... 1. Zwei oder mehrere Klassen von Göttern ........................................... 2. Das Verhältnis von ὑπέρβαϲιϲ, μετάβαϲιϲ, transitio .............................. 3. Götter als Gedankenkonstrukte ......................................................... 4. Götteratome ......................................................................................

331 332 335 344 354

Literaturverzeichnis.................................................................................. 359 1. Textausgaben..................................................................................... 359 2. Gesamtbibliographie.......................................................................... 361 Personenregister ............................................................................................ 383 Sachregister .................................................................................................... 384 Verzeichnis griechischer Begriffe.............................................................. 389 Verzeichnis lateinischer Begriffe ............................................................... 389 Stellenregister.................................................................................................. 390


Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2007/08 von der Philosophischen Fakultät I der Julius-Maximilians-Universität Würzburg als Dissertation angenommen. In der Überarbeitung für den Druck wurde die bis 2009 erschienene Literatur soweit als möglich berücksichtigt. Die finanzielle Voraussetzung für das Entstehen schuf ein Stipendium nach dem bayerischen Gesetz zur Förderung des wissenschaftlichen und künstlerischen Nachwuchses, eine Borsa di Studio des Centro Internazionale per lo Studio dei Papiri Ercolanesi und ein Aufstockungsstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Dadurch konnten in längeren Studienaufenthalten die Originalpapyri in Neapel und die frühesten Abzeichnungen in Oxford eingesehen werden. Gleichzeitig ergab sich jeweils Gelegenheit zum Austausch mit führenden Wissenschaftlern sowohl auf dem Gebiet der herkulanischen Papyrologie als auch der epikureischen Theologie. Das Christ Church College, Oxford ermöglichte durch zwei Reisestipendien wichtige Zwischenkontrollen der Originalpapyri während der Arbeit am Kommentar. Allen Institutionen sei herzlich gedankt. Für die freundliche Aufnahme und die langjährige Unterstützung vor Ort und aus der Ferne danke ich den Lehrern, Kollegen und Freunden in Neapel: Gianluca Del Mastro, Laura Giuliano, Giovanni Indelli, Giuliana Leone, Francesca Longo Auricchio. Die Leiterin der Officina dei Papiri Ercolanesi in der Biblioteca Nazionale di Napoli, Agnese Travaglione, und ihre Mitarbeiter haben über die Jahre diesen Ort zu einem Referenzpunkt für mich gemacht, an den ich stets mit Freude und gespannter Erwartung zurückkehre. Hilfreiche Hinweise erhielt ich von David Armstrong, Beate Beer, David Blank, Daniel Delattre, Joëlle Delattre, Jeffrey Fish, Jan Heßler, W. Benjamin Henry, Richard Janko, George Karamanolis, Jacob Mackey, Graziano Ranocchia, Kirk Sanders, David Sedley, Michael Wigodsky. Mieke Koenen danke ich


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Vorwort

für die freundliche Übersendung ihrer materialreichen Untersuchungen. Rat, Förderung und Ermutigung von Jürgen Hammerstaedt und Dirk Obbink trugen maßgeblich zum Abschluss der Arbeit bei. Ludwig Braun danke ich für die Übernahme der Zweitkorrektur des sperrigen Textes und für zahlreiche Hinweise. Bei der Mühe des Korrekturlesens halfen mir maßgeblich Sophie Kleinecke und Jochen Schultheiß. Die Hauptlast bei der Erstellung der Indizes trug Katrin Köhler. Seit den Anfängen meines Studiums ermöglichte und förderte Michael Erler mein Interesse auf dem Gebiet der Textkritik und Papyrologie. Als Doktorvater ließ seine Unterstützung auch während der langen Auslandsaufenthalte niemals nach. Auf seine Anregung geht die Beschäftigung mit den herkulanischen Papyri und der epikureischen Philosophie zurück. Er wies mich damit nicht nur auf ein Gebiet, dessen Faszination mich seither ständig begleitet, sondern gab mir auch die Möglichkeit und Freiheit, ganz meinen Interessen nach- und in ihnen aufzugehen. Ihm gebührt für sein Verständnis, seine Unterstützung und Betreuung der größte Dank. Gewidmet ist das Buch dem Andenken meines Vaters. Würzburg, im Juni 2010


Abkürzungen Zu den Abkürzungen der antiken Autoren siehe S. 359-361. AC L'Antiquité classique (Louvain-la-Neuve). AGPh Archiv für Geschichte der Philosophie (Berlin). AJPh American Journal of Philology (Baltimore). APAW Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch- Historische Klasse (Berlin). ArchPhilos Archives de philosophie (Paris). ASNP Annali della Scuola Normale Superiore di Pisa, Classe di Lettere e Filosofia (Pisa). BFC Bollettino di filologia classica (Torino). BICS Bulletin of the Institute of Classical Studies (London). CErc Cronache Ercolanesi (Napoli). CQ Classical Quarterly (Oxford). GCFI Giornale critico della filosofia italiana (Firenze). GRBS Greek, Roman and Byzantine Studies (Durham, N.C.). JCP Jahrbücher für Classische Philologie (Leipzig). MH Museum Helveticum (Basel). NAWG Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, PhilologischHistorische Klasse (Göttingen). OSAPh Oxford Studies in Ancient Philosophy (Oxford). PP La Parola del passato (Napoli). RAC Reallexikon für Antike und Christentum, begründet von Theodor Klauser u.a. (Stuttgart). RFIC Rivista di filologia e di istruzione classica (Torino). RhM Rheinisches Museum für Philologie (Frankfurt a. M.). SCO Studi classici e orientali (Pisa). SIFC Studi italiani di filologia classica (Firenze). SO Symbolae Osloenses (Oslo). STCPF Studi e Testi per il Corpus dei Papiri Filosofici greci e latini (Firenze). TAPhA Transactions and Proceedings of the American Philological Association (Baltimore). WS Wiener Studien (Wien). ZPE Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik (Bonn).


Einleitung 1. Quellenlage und Problemstellung Tradition und Gesellschaft in der Antike garantierten der Theologie einen festen Platz in der philosophischen Diskussion. Die Auffassungen zu den Göttern und die praktizierte Religion galten oft als Prüfstein der Richtigkeit und Glaubwürdigkeit einer Lehre. Sextus Empiricus erklärt daher die Theologie (ὁ περὶ θεῶν λόγοϲ) für dogmatische Philosophen als unabdingbar (M. IX 13). Wie erhaltene Werktitel zeigen, nahmen die Epikureer von Anfang an zu diesen Problemen Stellung. Epikur selbst schrieb jeweils eigene Bücher Περὶ ὁϲιότητοϲ und Περὶ θεῶν; für seinen Zeitgenossen Metrodor ist ebenfalls ein Περὶ θεῶν bezeugt.1 Die anderen Epikureer der ersten Generation gehen in verschiedenem Zusammenhang auf theologische Fragen ein.2 Erhalten sind davon nur Titel und wenige Zitate. Das früheste Werk, von dem umfangreichere Fragmente auf uns gekommen sind, ist eine speziellere Abhandlung des Demetrios Lakon (ungefähr 150-70 v. Chr.), die unter anderem über die Gestalt der Götter handelt.3 Vom damaligen epikureischen Schuloberhaupt in Athen, Zenon aus Sidon, ist ein Werk Περὶ εὐϲεβείαϲ bezeugt. Sein Schüler, Philodem aus Gadara, schrieb sicher ein mehrbändiges Werk Περὶ θεῶν, und nach wahrscheinlicher Rekonstruktion der auf Papyrus erhaltenen Titel auch Περὶ εὐϲεβείαϲ und Περὶ ὁϲιότητοϲ. Umfangreiche Fragmente seiner Werke haben sich in den herkulanischen Papyri erhalten und bezeugen mit ihren Zitaten ein Interesse an theologischen Fragen weiterer früher Epikureer, darunter Hermarch, der Nachfolger Epikurs, und Apollodor aus Athen, Schuloberhaupt des Gartens in der Mitte des zweiten Jahrhundert v. Chr. Die Zeugnisse zeichnen 1 2 3

Phld., Piet. I, Kol. 7, 11-12 (Metrod., Frg. 9). Für die fassbaren theologischen Äußerungen vgl. A. Tepedino Guerra: Polieno, 50. PHerc. 1055, ediert von M. Santoro: Forma; zur Datierung a. a. O., 30.


Quellenlage und Problemstellung

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das Bild einer kontinuierlichen Beschäftigung mit theologischen Fragen innerhalb der epikureischen Schule und einer fortwährenden literarischen Produktion auf diesem Gebiet vom Anfang der epikureischen Schule bis in die Zeit Philodems. Bereits auf den ersten Blick auffällig an den theologischen Diskussionen in der Antike ist der große Unterschied zwischen der Lehre, wie sie die Epikureer selbst verkünden, und der Darstellung, die ihre Gegner davon geben: Die Fundamente der Theologie verkündet Epikur im exoterischen Menoikeusbrief. Er behauptet Existenz der Götter sowie ihre Glückseligkeit und Unsterblichkeit. Die Gottheit ist ein ζῷον ἄφθαρτον καὶ μακάριον (Ep., Men. 123). Dazu kommt ihre Anteilslosigkeit an der Lenkung des Kosmos (Ep., Hdt. 76-78) und dem Leben der Menschen.4 Das Hauptaugenmerk liegt auf der Befreiung der Menschen von der Furcht vor den Göttern, in denen sie aufgrund falscher Vorstellungen über ihre Natur befangen sind. Es ist also vorwiegend ein ethisches Anliegen, die Götter von Einfluss auf die Welt zu befreien, auch wenn die Begründungen dafür dann Teil der Physik, im speziellen der Kosmologie sind.5 Trotz dieser klaren Aussagen gibt es die eingangs genannten geteilten Auffassungen und schwankenden Urteile über die Theologie Epikurs und seiner Anhänger. Überhaupt scheint man bereits in der Antike nicht zu wissen, wie die Theologie der Epikureer einzuordnen sei. Trotz der zitierten eindeutigen Aussage Epikurs gilt er vor allem späteren Autoren als Atheist.6 Cicero zeigt sich zwiespältig und behauptet, er kenne niemanden, der mehr Furcht vor den Göttern hatte als Epikur. Im selben Werk wirft er andererseits Epikur vor, nicht an die Existenz der Götter zu glauben.7 Sextus Empiricus zählt Epikur einmal zu den Atheisten, kurz darauf zu denen, die an Götter glauben, und berichtet schließlich von der epikureischen Theorie, wie die Menschen die ers-

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Vgl. G. Arrighetti: Opera, 48-49, D. N. Sedley: Lucretius, 107-109. So ist die Bemerkung bei R. McKirahan: Doxography, 869 Anm. 24, zu erklären, dass auch bei den Epikureern die Theologie weitgehend Teil der Physik ist. Eine Liste mit Beispielen bei M. Winiarczyk: Atheist 1984, 168-170, weitere Stellen M. Winiarczyk: Atheist 1992, 302; Terminologisches M. Winiarczyk: Bezeichnungen, 218. Cic., Nat. deor. I 86 und I 123, vgl. dazu D. Obbink: Atheism, 208.


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Einleitung

ten Vorstellungen von den Göttern bekommen haben sollen.8 Der Verdacht, dass hier einiges in polemischer Absicht verzerrt oder überspitzt dargestellt ist, liegt nahe, doch wird man sich auch fragen müssen, wie eine Lehre aussehen kann, die zu solch widersprüchlichen Aussagen Anlass gibt. Wie bereits das Beispiel des Sextus zeigt, der die Epikureer bald zu den Atheisten (S.E., M. IX 58), bald zu denen zählt, die an Götter glauben (IX 64), kann man für die antiken Auffassungen meist keine strenge Dichotomie fordern. In der Regel liegt der Fall komplizierter; es werden mehrere Kategorien unterschieden. Das häufigste Argument gegen die Epikureer aber legt Cicero in De natura deorum dem Vertreter der Stoa in den Mund: Demnach bejahen die Epikureer die Existenz der Götter zwar dem Wort nach – dies hat wohl niemand ernsthaft bestritten – de facto aber, indem sie ihnen jeden Einfluss auf das Geschehen in der Welt absprechen, stellen sie für die Menschen einen Zustand her, der einer Welt ohne Götter völlig gleich wäre.9 Daraus ergibt sich der Vorwurf eines gottlosen Lebens und der Hypokrisie. In diesem Sinne erklären sich auch die vorher zitierten Aussagen bei Cicero und Sextus.10 Bestand also nach den Lehrsätzen der Epikureer selbst kein Zweifel daran, dass sie an Götter glaubten, so lag der Vorwurf auch nicht im Atheismus an sich, sondern darin, dass sie nicht an die Götter des Staates glaubten,11 beziehungsweise, dass sie den Einfluss der Götter aufhoben.12 Man erkennt aus solchen Rückschlüssen auf den vermeintlichen Atheismus der Epikureer und der überall anzutreffenden Empörung über ihr Leugnen einer göttlichen Vorsehung, wie wichtig dieser im Grunde rein ethische Aspekt einer philosophi8

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S.E., M. IX 58. Der Katalog geht direkt auf Kleitomachos und über diesen auf Karneades zurück, vgl. M. Winiarczyk, Kleitomachos, 35-36. D. Obbink: Atheism, 218, vermutet daher in diesem die älteste Quelle der Atheismusvorwürfe gegen Epikur. Nat. deor. II 44: nec sane multum interest utrum id neget an eos omni procuratione atque actione privet; mihi enim qui nihil agit esse omnino non videtur. esse igitur deos ita perspicuum est, ut id qui neget vix eum sanae mentis existimem. Ähnlich ist die Haltung der Juden und Christen, vgl. G. Ranocchia: Moses, 80-83. Cic., Nat. deor. I 123: quae enim potest esse sanctitas si dii humana non curant? … Epicurus re tollit, oratione relinquit deos. Dass dieser Abschnitt im Gegensatz zum Vorherigen aus Poseidonios schöpft, hat keinen Einfluss auf die obige Darstellung. S.E., M. IX 58: καὶ ᾿Επίκουροϲ δὲ κατ᾿ ἐνίουϲ ὡϲ μὲν πρὸϲ τοὺϲ πολλοὺϲ ἀπολείπει θεόν, ὡϲ δὲ πρὸϲ τὴν φύϲιν τῶν πραγμάτων οὐδαμῶϲ. So B. Farrington: Faith, 64. E. Zeller: Philosophie der Griechen 1923, 445.


Quellenlage und Problemstellung

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schen Lehre von außen genommen wurde.13 Mit demselben Blick auf das ethische Ergebnis stellt Atticus die Teilnahmslosigkeit der epikureischen Götter auf die gleiche Stufe wie die der Sternengötter des Aristoteles (Frg. 3). Auch wenn dieser Grundsatz dazu beitrug, die Epikureer zu den Parias unter den philosophischen Schulen zu machen, so waren sie nicht die Erfinder einer solchen Gesinnung. Bereits Platon erzählt von Leuten, die zwar an die Existenz der Götter glauben, ihnen aber jede Sorge für die Menschen absprechen (Lg. X 885b). Zum Bild der Gottesleugner trug wohl auch eine weithin zu beobachtende Praxis der Epikureer bei, die sich damit begnügt, den Göttern Eigenschaften abzusprechen, die ihnen zu Unrecht beigelegt werden, ohne darzustellen, welche Eigenschaften ihnen abgesehen von Ewigkeit und Glückseligkeit noch zukommen. So wird sogar der Terminus ὁ θεόϲ oft in positivem Kontext gemieden und durch andere Ausdrücke wie τὸ ϲέμνωμα oder πανάριϲτον ἐν τοῖϲ οὖϲι ersetzt.14 Freilich findet sich derselbe negative Zug bereits bei der Theorie über die Kulturentstehung, deren Hauptaugenmerk darauf liegt, zu zeigen, dass keiner der Schritte mit übernatürlichem Eingreifen erklärt werden muss.15 In ähnlicher Weise verläuft auch die Erklärung der Himmelserscheinungen. Epikur begnügt sich damit, aufzuweisen, dass eine atomistische Deutung nach dem Prinzip der Mehrfacherklärung stets möglich ist, ohne eine zusammenhängende Lehre auf diesem Feld vorzulegen. So mag man selbst Epikurs weiter unten genauer behandelte Aussage, dass die Sonne etwa so groß sei, wie sie erscheine, in dem Sinne als negativ interpretieren, als damit keine Angabe über ihre wirkliche Größe gemacht, aber die Annahme der Astronomen einer unvorstellbar großen Sonne abgewiesen wird. Epikur bedient sich dabei seiner üblichen paradoxen Ausdrucksweise, indem er die geläufige Aussage, den Gegensatz zwischen scheinbarer und wirklicher Größe, ins Gegenteil verkehrt.16 13

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Stellen bei H. Usener: Epicurea, 245-248, J. M. Rist: Epicurus, 148. Den Epikureern galt ἀπρονοηϲία als eine der kanonischen Göttereigenschaften (C. Bailey: Atomists, 475). POxy 215, Kol. 1, 19-20, 30; Ep., KD 1, vgl. D. Obbink: Sulla religiosità, 181. Zu diesem negativen Weg der Beschreibung siehe bereits F. Martinazzoli: Epicuro Teologo, 295. πανάριϲτοϲ findet sich auch in unklarem Zusammenhang in Phld., Ep. II, Kol. 23, 6. Vgl. D. J. Furley: Lucretius, 10, J. Bollack: Plaisir, 215-216. Vgl. D. P. Conroy: Epicurean Cosmology, 176-178 und 198; M. Capasso: Carneisco, 80-81. Zu Recht bemerkt C. Chandler: On rhetoric, 174 Anm. 8: «Epicurus᾿ epitomised tracts amost seem to take delight in provocative statements».


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Einleitung

Trotz alledem wiesen die Epikureer ihrerseits diesen Vorwurf der Gottlosigkeit scharf zurück. Das zeigen ihre Auflistungen von Atheisten und Angriffe auf dieselben.17 Philodem unterscheidet Gruppen verschiedener Niveaustufen von Gottesleugnung (Piet. II, PHerc. 1428, Kol. 15, 1-8): a) diejenigen, die sagen, es sei nicht auszumachen, ob es Götter gebe oder welcher Art sie seien;18 b) diejenigen, die offen ihre Nichtexistenz behaupten; c) diejenigen, die diese klar implizieren.19 Da sie selbst nach eigener Aussage an Götter glauben, dürfen die Epikureer in keine dieser Gruppen fallen, und es ist klar, dass sie sich selbst niemals unter c) gruppieren würden, obwohl dies, wie oben erwähnt der häufigste Vorwurf gegen sie war. Wichtiger aber ist, dass sie insbesondere im Hinblick auf a) nicht nur die Existenz der Götter behaupten, sondern in der Lage sein müssen, genauere Aussagen über ihr Wesen zu treffen. Hier hakt die zweite Angriffslinie der Gegner ein. Wenn den Epikureern ein Glaube an Götter zugestanden wird, geschieht dies ineins mit dem Vorwurf eines Widerspruchs zwischen ihrer Theologie und ihrer Physik. Cicero bringt das Argument auf den Punkt: Die epikureische Annahme von unvergänglichen Göttern ist unvereinbar mit der gleichzeitig behaupteten Vergänglichkeit aller Atomverbindungen. Denn auch die Götter müssen aus Atomen bestehen.20 Aus diesen augenscheinlichen Widersprüchen in den epikureischen Lehrsätzen ergibt sich die Forderung nach einer Erklärung, wie wir uns die Unsterblichkeit der Götter physikalisch vorzustellen haben. Denn abgesehen von den Atomen und dem Leeren, gibt es in der epikureischen Physik nichts Unvergängliches. In einer solchen Welt wäre für die Götter kein Platz. Bis heute besteht über die Antwort der Epikureer auf das von Cicero aufgeworfene Problem keine Einigkeit in der Forschung. Ausgangspunkte des 17 18

19 20

Für Epikur als Urheber eines solchen Kataloges M. Winiarczyk: Kleitomachos, 36-38. Für Diog. Oen., Frg. 16, Kol. 2, 8-12, ist die Behauptung, es sei unklar, ob die Götter existierten, gleichbedeutend mit der Leugnung ihrer Existenz. D. Obbink: Atheism, 194 Anm. 20, führt diese Aussage auf Ep., Nat. XII zurück. D. Obbink: Atheism, 189-190, mit der Identifizierung der jeweiligen Vertreter. Cic., Nat. deor. I 68: (erg. dei) sint sane ex atomis; non igitur aeterni. quicquid (Müller: quod recc.: quia AHVB) enim ex atomis, id natum aliquandost; si natum, nulli dei ante quam nati; et si ortus est deorum, interitus sit necesse est, ut tu paulo ante de Platonis mundo disputabas.


Quellenlage und Problemstellung

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von Cicero formulierten Dilemmas sind jeweils die Worte des Schulgründers selbst. Als Fundament seiner Theologie legt er die Existenz der Götter und ihre konstituierenden Eigenschaften Glückseligkeit und Unsterblichkeit fest (Ep., Men. 123). Andererseits stellt er als Prinzip seiner Physik auf, dass alle Gegenstände unserer Erfahrung aus Atomen zusammengesetzt und damit vergänglich seien (Ep., Hdt. 73). Wie kann es damit im epikureischen Kosmos unvergängliche Götter geben? Diese Frage berührt die Kohärenz der epikureischen Lehre, ihre innere Widerspruchsfreiheit. Aus der Antike ist bisher kein eindeutiges Zeugnis bekannt, wie die Epikureer dieses Dilemma gelöst und die Existenzweise der Götter beschrieben haben. Dass sie eine Antwort gaben, ist sehr wahrscheinlich. Zwar geht man bisweilen davon aus, Epikur selbst habe seine Theologie nicht vollständig ausgearbeitet und in dieser für ihn unbedeutenden Frage eine Lücke gelassen.21 Jedoch muss man sich vor der täuschenden Verteilung der Überlieferung in Acht nehmen: Es ist zuzugeben, dass die epikureische Theologie überwiegend negativ formuliert ist. Soweit wir sie kennen, besteht sie vor allem darin, den Göttern Eigenschaften abzusprechen, die ihnen zu Unrecht beigelegt werden, ohne darzustellen, welche Eigenschaften ihnen abgesehen von Ewigkeit und Glückseligkeit noch zukommen.22 Ein solch negativer Charakter ist allerdings weder auf die Epikureer noch auf ihre Theologie beschränkt.23 Anzustrebende Zustände werden häufig als Verneinung unerwünschter Beeinträchtigungen beschrieben. Bei den Epikureern kann auf Begriffe wie ἀ-ταραξία oder auch ἀ-φθαρϲία verwiesen werden.24 All diese Formen finden sich aber in ethischem Zusammenhang. Auch die theologischen Aussagen Epikurs stammen aus dem ethischen Bereich. Sie sind Mittel im Kampf gegen Aberglauben zur Befreiung der Menschen von Furcht vor Göttern, Leid und Tod.25 Wegen der Betonung dieser Funktion der Theologie innerhalb der ethischen und protreptischen Schriften tritt der physikalische Aspekt in den Hintergrund.

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Etwa J. D. Mikalson: Religion, 122-123. Vgl. A. A. Long, D. N. Sedley: Philosophers I, 63-64, Positives a. a. O., 147-148. Vgl. auch J. I. Porter: Attachments, 215-219. Nach seiner Definition wäre der negative Charakter noch größer. Epikur beschreibt die katastematische Lust mit negativen (ἀταραξία, ἀπονία), die kinetische mit positiven Begriffen (χαρά, εὐφροϲύνη; J. M. Rist: Epicurus, 103). So bezeichnet Epikur in Nat. XIV [29, 3] seine Lehre als Heilmittel gegen die Furcht.


16

Einleitung

Betrachtet man die spärlichen, allein in den herkulanischen Rollen erhaltenen Zeugnisse von Epikurs Schrift De dis und De sanctitate, so ändert sich das Bild: Der Inhalt ist physikalisch. Es geht um Atomverbindungen, Beschaffenheit der Götterkörper, Abwehr von schädlichen Einflüssen. Sind die Überreste repräsentativ für die Werke, hatte bereits der Schulgründer die Frage abgehandelt. Spätestens aber in der Auseinandersetzung mit den Skeptikern, die in der Theologie der dogmatischen Schulen einen natürlichen Ansatzpunkt für Prüfung, Zweifel und Kritik fanden, wären die Epikureer dazu gezwungen worden, eine vollständige und in sich widerspruchsfreie positive Theorie auf theologischem Gebiet zu entwickeln.26 Entsprechend der Bedeutung des Problems wurde in der Forschung eine Fülle von Untersuchungen der epikureischen Theologie gewidmet. Der Hauptgrund dafür, dass bisher keine Einigung erzielt werden konnte, liegt in der augenscheinlich widersprüchlichen Aussage der beiden entscheidenden antiken Zeugnisse. Auf der einen Seite steht die Darlegung der epikureischen Theologie im ersten Drittel von Ciceros Schrift De natura deorum. Dort wird (I 49) nach der gängigen Deutung von den epikureischen Göttern behauptet, dass sie nicht visuell, sondern nur geistig erkannt werden können, und außerdem keine individuelle Existenz wie die Gegenstände unserer Wahrnehmung haben. Auf der anderen Seite steht das zweite Zeugnis, ein Scholion, das Diogenes Laertius (X 139) zum ersten Lehrsatz Epikurs überliefert. Dort werden die Götter zwar wieder als lediglich geistig erkennbar bezeichnet, doch wird diesmal eine individuelle Existenz einem Teil von ihnen ausdrücklich beigelegt. Der andere Teil bestehe dann nur aus ähnlichen Wahrnehmungsbildern. Eine Kontrolle der beiden Aussagen anhand unabhängiger Zeugnisse ist nur zu einem kleinen Teil möglich, weil die meisten der genannten theologischen Werke vollständig oder weitgehend verloren sind. Über die Inhalte der Theologie des Schulgründers und der Frühzeit des Gartens wissen wir außer den Grundsätzen Epikurs sehr wenig. Die übrigen Zeugnisse für diese Zeit beruhen auf den in Herkulaneum gefundenen Papyri. Wichtigster Gewährsmann ist Philodem, der sich in seinen theologischen Werken auf die Autorität der Gründerväter beruft. Am besten dokumentiert ist das erste vorchristliche Jahrhundert. Hier wird Philodem selbst zum Zeugen. Seine Bedeutung für unsere Fragestellung wird 26

Ep., Frg. 17 und 19 Arrighetti. D. Obbink: Atheism, 190.


Quellenlage und Problemstellung

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auch dadurch deutlich, dass Walter Scott, der Herausgeber der ersten Gesamtedition seiner Schrift De dis, zu dieser Arbeit von der Beschäftigung mit der epikureischen Theologie kam.27 Dazu kommt mit Lukrez ein weiterer umfangreicher epikureischer Autor, während Ciceros gleichzeitige Schriften den Blick von außen auf die epikureische Schule zeigen. Ergänzend treten daneben einzelne Angaben späterer Autoren, wie Diogenes aus Oinoanda, Diogenes Laertius, Plutarch und Sextus Empiricus.

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W. Scott: Constitution, W. Scott: Fragmenta Herculanensia.


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Einleitung

2. Forschungsüberblick Der folgende Überblick soll die wichtigsten Ansätze mit ihren Hauptvertretern aufführen und auf Schwierigkeiten hinweisen, denen sie jeweils gegenüberstehen. Eine vollständige Doxographie ist nicht beabsichtigt. Für die ältere Forschung liegen ausführliche und verlässliche Darstellungen vor;1 die neuere Forschung wird im Verlauf dieser Arbeit im Einzelnen besprochen. Die Diskussion zur epikureischen Theologie ist bestimmt vom Schwanken zwischen den beiden Hauptzeugnissen, Cic., Nat. deor. I 49 und dem Scholion zum ersten Hauptlehrsatz (D.L. X 139). Beide sind im Laufe dieser Arbeit zitiert und untersucht (S. 67-108, S. 131-147). Sowohl Cicero als auch das Scholion lassen eine Aufteilung in jeweils zwei Bereiche erkennen, wobei Cicero den einen Bereich ablehnt, während im Scholion beide nebeneinander stehen. Zu fragen ist also, inwieweit sich die Bereiche entsprechen und wie sich Ciceros Kontraposition zur Iuxtaposition des Scholions verhält. Ziel ist dabei der Ausgleich zwischen Ciceros Aussage, nach der anscheinend die Götter nicht als Einzelwesen existieren (Nat. deor. I 49: nec ad numerum), mit der des Scholions, welches genau das in seinem ersten Teil behauptet (D.L. X 139: οὓϲ μὲν κατ᾿ ἀριθμὸν ὑφεϲτῶταϲ). Sie scheinen im Ausdruck κατ᾿ ἀριθμόν beziehungsweise ad numerum übereinzustimmen. Traditionell stützt man sich für das Verständnis auf den Gebrauch bei Aristoteles und übersetzt mit «individuell».2 Dass man im Laufe der Zeit jedem der überlieferten Hauptzeugnisse die Authentizität absprechen konnte, zeigt die Gefahr der Willkür.3 Die dritte Stimme ist Philodem. Je nachdem, ob seine Aussagen zur jeweiligen rekonstruierten Auffassung stimmten, galt er als getreuer Nachfolger seines Meisters oder als verständnisloser Epigone. Meist wurde er dazu verwendet, die durch die Ungunst der Überlieferung gerissenen Lücken zu stopfen, und nur selten als eigener Zeuge herangezogen.4 Die verstreuten Bemerkungen ver1

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C. Vicol: Dottrina Teologica, G. Freymuth: Lehre, C. Moreschini: Fonti, P. Frassinetti: Recenti contributi, A. Angeli: Pensiero teologico. Ausführlich D. Lemke: Theologie: 57-76, danach H. J. Krämer: Platonismus, 134-146. Zuletzt M. Erler: Epikur, 149-153. Seit J. Lachelier: Dieux, 264. C. Moreschini: Fonti. Zur falschen Zuschreibung an Epikur R. F. Glei: Epikurfragment. J. Bollack: Plaisir, 217, interpretiert Cicero nach dem Rahmen des Scholion. C. Moreschini: Fonti, 372, für Philodem.


Forschungsüberblick

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schiedener Gewährsmänner hatten in unterschiedlicher Kombination mit den Hauptzeugnissen vor allem unterstützende Funktion. Je nachdem, auf welchem der Hauptzeugnisse der Schwerpunkt liegt, sind zwei große Gruppen zu unterscheiden. In Anlehnung an die mittlerweile übliche englische Terminologie bezeichne ich sie als Realisten und Idealisten. Eine dritte Gruppe versucht, zwischen beiden Positionen zu vermitteln. 1. Die Realisten nehmen mit dem Scholion eine reale Existenz der Götter als dreidimensionale Lebewesen an. Ausgehend von der Zweiteilung des Scholions nahm ein Teil ihrer Vertreter eine Aufteilung der Götter in zwei oder mehrere unterschiedliche Götterklassen an (1.1). Eine andere Möglichkeit ist der Bezug des Scholions nicht auf die Existenzweise, sondern auf die Wahrnehmung, als Beschreibung von zwei Arten von Götterbildern (1.2). Schließlich kann man den Ausdruck nicht als Gegenüberstellung, sondern als Angabe zweier sich ergänzender Aspekte verstehen (1.3). 1.1 Wer die im Scholion gegebene Zweiteilung auf die Existenzweise der Götter bezieht, gelangt zu einer Aufteilung der Götter in mehrere Klassen. Bereits Hirzel unterscheidet, gefolgt von Körte, zwischen den «wahren» Göttern und denen des Volksglaubens.5 Die wahren Götter lebten dabei in den Intermundien, während die zweite Götterklasse aus den Bildern bestünde, die von ihnen in unserer Vorstellung entstehen. Man kann dagegen aber auf die klare Unterscheidung hinweisen, die Epikur zwischen den Bildern und dem Objekt trifft, von dem diese stammen.6 Hauptvertreter der Unterscheidung zweier Klassen von Göttern ist Diels.7 Er erklärt zwar das Scholion mit unterschiedlichen Aspekten der Wahrnehmung, folgt aber im Ergebnis durch die Annahme von zwei Götterklassen Hirzel, der das Scholion als ontologisch zweigeteilt ansah. Nach seiner Auffassung entspricht die eine Klasse als verunstaltet wahrgenommene Bilder den Sternengöttern des Volksglaubens,8 denen die Individualgötter in den Intermundien gegenüberstehen. Merlan nimmt, gefolgt von Rist, die individuellen Götter der Volksreligion (wie Zeus) und 5

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R. Hirzel: Untersuchungen, 72-74, A. Körte: Metrodorus, 544. Ähnlich J. B. Mayor: Nat. deor. I, 147 Anm. 2, 647, jedoch mit umgekehrter Zuordnung der Teile des Scholions. R. Hirzel: Untersuchungen, 46-84, E. Zeller: Philosophie der Griechen 1923, 446-447 Anm. 1). Vgl. W. Scott: Constitution, 227-228, und E. Asmis: Method, 318 Anm. 86. H. Diels: Götter III Erl., 29-37, dagegen G. Freymuth: Lehre, 20-21, G. Arrighetti: Tipi divini, 412, C. Moreschini: Fonti, 356-357. H. Diels: Götter III Erl., 25-34.


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Einleitung

Typen von Göttern (wie die Musen) an.9 Kany-Turpin nimmt die erste Gruppe als individuelle Bilder bzw. Projektionen, die zweite als deren Fluss.10 Gigon unterscheidet zwischen einer Götterklasse «in bestimmter Zahl», den olympischen Göttern, und einer weiteren, unbestimmten Klasse mit «einer grenzenlosen Fülle von Gottheiten».11 Während die meisten Interpreten von mehreren nebeneinander bestehenden Klassen ausgehen, betont De Witt die Hierarchie. Er überträgt die graduelle Steigerung in der Ordnung der Lebewesen auf die epikureischen Götter.12 Philippson und Freymuth erwogen ausgehend von De dis III drei verschiedene Klassen,13 Lemke gelangte ausgehend von einer Vermutung Merlans zu zwölf Klassen, entsprechend den zwölf traditionellen olympischen Gottheiten.14 Allerdings gehen die letztgenannten nicht mehr von einer materiellen Aufteilung des Scholions aus. Krämer sieht nach der Bedeutung von κατ᾿ ἀριθμόν bei Aristoteles keinen kontradiktorischen Gegensatz der beiden Teile des Scholions und verneint eine geeignete Grundlage zur Unterscheidung von selbständigen Klassen.15 1.2 Meist vermeidet man die Annahme mehrerer Götterklassen durch Übertragung des Unterschieds von der Existenzweise der Götter auf die Wahrnehmung der Götterbilder: Hirzel trifft, gefolgt von Zeller, eine Unterscheidung zwischen innerweltlichen Götterbildern im Sinne Demokrits (die Götter κατὰ ὁμοείδειαν) und individuellen Göttern (den Göttern κατ᾿ ἀριθμόν), die sich außerhalb der Welt befinden. Erstere wären ein gattungsgetreues Abbild der eigentlichen Götter, da sie durch Verbindung «ähnlicher Bilder», die von den jeweiligen extramundanen Göttern abgegeben werden, zustande kommen. Cicero hätte dann in seinem Bericht, dem genannten anderen Hauptzeugnis, diese Götterbilder mit den eigentlichen Göttern verwechselt.16 Für die Gleichsetzung von Götterbildern und Göttern selbst, für die Unter9 10 11

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P. Merlan: Studies, 38-72, P. Merlan: Theologie, 196-204, J. M. Rist: Epicurus, 172-175. J. Kany-Turpin: Images divines, 54. O. Gigon: Epikur, 53, 133. Dagegen H. J. Krämer: Platonismus, 140; nach einer neuen Lesung scheint jedoch der für ihn entscheidende Passus ἓν καὶ ταὐτόν (Phld., Di III, Kol. 10, 22) nicht mehr gesichert. N. W. De Witt: Epicurus, 261-265. Dagegen zu Recht G. Freymuth: Methodisches, 238. R. Philippson: Götterlehre 1934, 173, G. Freymuth: Methodisches, 235 Anm. 2. D. Lemke: Theologie, 88, P. Merlan: Studies, 51. H. J. Krämer: Platonismus, 141-142, mit weiteren Einwänden. R. Hirzel: Untersuchungen, E. Zeller: Philosophie der Griechen 1923, 446 Anm. 1.


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