00 UG_GUW 11_UG_GUW 6 10.01.12 09:51 Seite 1
VERÖFFENTLI CHUNGEN DER GESELLSCHAFT FÜR UNIVERSITÄTS- UND WISSENSCHAFT SGESCHICHT E ( GUW)
Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitätsund Wissenschaftsgeschichte (GUW) in Verbindung mit Rüdiger vom Bruch, Notker Hammerstein, Walter Höflechner, Martin Kintzinger und Wolfgang Proß herausgegeben von Rainer Christoph Schwinges
11
I S B N 978-3-7965-2737-1
Schwabe Verlag Basel www.schwabe.ch
9
783796 527371
Universität, Religion und Kirchen
Universität, Religion und Kirchen
R. C. Schwinges (Hrsg.)
Universität, Religionen, Kirchen stehen ungebrochen und immer wieder aktuell im Dialog. Dessen Inhalte verändern sich, doch bleibt als historische Leistung bewusst, dass ohne ihn die Universität, die in Europa auf eine mehr als 800-jährige Geschichte zurückblickt, nicht entstanden, ja nicht einmal möglich gewesen wäre. Religion und Kirche gewährten jahrhundertelang den kulturellen und materiellen Rahmen, in dem Gelehrten Musse und Lohn zuteil wurden, Universität und Wissenschaft sich entfalten konnten. Man denke nur daran, dass Doktor Luther und seine Reformation zunächst nur ein Ereignis der Universitätsgeschichte waren, bevor sie kirchen- und welthistorisch bedeutsam wurden. Das Buch versucht verschiedene, mitunter kritische Beziehungs- und Dialogfelder von den Anfängen der Universität um 1200 über alle Epochengrenzen hinweg bis heute aufzudecken und dem stets akuten Spannungsfeld zwischen Glauben und Wissen eine historische Dimension zu geben. Dies geschieht exemplarisch in dreifacher Perspektive: Die erste ist der «alten» Dichotomie von Papsttum und Universität gewidmet, gefolgt sodann von Studien zu institutionellen und personellen Verflechtungen zwischen den Kirchen und den Universitäten, um schliesslich zum dritten die Universitäten mit Einflüssen aus Religion und Theologien zu konfrontierten. Im Zentrum steht zwar die Mehrheitsreligion der christlichen Konfessionen; grundsätzlich sind jedoch auch andere Religionen beteiligt, wie dies im Buch durch einen Blick auf jüdisches Gelehrten- und Studententum unterstrichen wird.
Herausgegeben von Rainer Christoph Schwinges
VERÖFFENTLICHUNGEN DER GESELLSCHAFT FÜR UNIVERSITÄTSUND WISSENSCHAFTSGESCHICHTE
In Verbindung mit Rüdiger vom Bruch, Notker Hammerstein, Walter Höflechner, Martin Kintzinger, Wolfgang Proß herausgegeben von Rainer Christoph Schwinges Band 11
Universität, Religion und Kirchen
Herausgegeben von Rainer Christoph Schwinges
Redaktion: Melanie KellermĂźller
Schwabe Verlag Basel
Publiziert mit Unterstützung der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW), der Burgergemeinde Bern und des Friedrich-Emil-Welti-Fonds (Bern)
Abbildung auf dem Umschlag: Die Verleihung von Privilegien an die Universität Bologna, Miniatur 15. Jahrhundert, Codex mit den Verfassungen und Privilegien sowie den Matrikeln für Richter und Advokaten, Bologna, Archivio di Stato, cod. miniato 40.
© 2011 Schwabe AG, Verlag, Basel Satz: Melanie Kellermüller, Bern Gesamtherstellung: Schwabe AG, Druckerei, Muttenz/Basel Printed in Switzerland ISBN 978-3-7965-2737-1 www.schwabe.ch
Inhaltsverzeichnis Vorwort .................................................................................................... IX Rainer Christoph Schwinges Universität, Religion und Kirchen – eine Einführung ..................... 1 Teil I: Päpste und Universität Jürgen Miethke Papsttum und Universitäten. Förderung, Lenkungsversuche und Indienstnahme (mit besonderer Rücksicht auf Paris) ............... 9 Rainald Becker Päpstliche Kaderschmiede? Die römische Jesuitenuniversität ‹Gregoriana› – Entstehung, Bedeutung und Wirkung . .................. 29 Urs Altermatt Die Gründung der ‹katholischen Staatsuniversität› Freiburg in der Schweiz 1889 ........................................................... 51 Kerstin Hitzbleck Scientia litterarum. Gelehrte Kleriker auf dem kurialen Pfründenmarkt zu Beginn des 14. Jahrhunderts ............................. 69 Teil II: Kirche und Universität Heribert Müller Universitäten und Gelehrte auf den Konzilien von Pisa (1409), Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449) ......... 109 Daniel Gotzen «Item zu erlangen eyn collegiatur ist swere». Der Konflikt zwischen magistri regentes und freien Magistern am Beispiel der Kölner und Leipziger Universitätsreformen des frühen 16. Jahrhunderts ............................................................................... 145 Beat Immenhauser Klerikale Bildungstraditionen im Wandel? Zum Universitätsbesuch der Pfarrgeistlichkeit im 16. Jahrhundert am Beispiel Berns ................................................. 157
Vorsatz.indd 5
11/21/2011 4:39:12 PM
VI
Inhalt
Simone Haeberli Vom Judenpriester zum Judendoktor. Zur veränderten Wahrnehmung des ‹Rabbi› durch die Entwicklung der Universitäten . ............................................................................ 175 Daniel Dossenbach Heilzauber in der voruniversitären Klostermedizin . ................... 205 Meta Niederkorn-Bruck Prudentia/Discretio und Norm – Sind Studium und Ordensleben vereinbar? (Eine Diskussion zur Melker Reform) . ........................................................................................... 231 Peter Hersche Die Marginalisierung der Universität im katholischen Europa des Barockzeitalters. Das Beispiel Italien . ....................... 267 Ulrich von Hehl Universität und Konfession im 19./20. Jahrhundert .................... 277 Teil III: Theologie und Universität Klaus Schreiner Konfessionsgebundene Wissenschaft. Konfessionseide an Hohen Schulen der Frühen Neuzeit ......................................... 305 Ulman Weiß Katholische und evangelische Theologie an der älteren Erfurter Universität zwischen Reformation und Aufklärung ..... 343 Joseph S. Freedman Religious Confession and Philosophy as Taught at Central European Academic Institutions During the Late 16th and Early 17th Centuries ............................................... 375 Notker Hammerstein Theologie, Universitäten und Aufklärung in europäischer Perspektive ....................................................................................... 431
Vorsatz.indd 6
11/21/2011 4:39:12 PM
Inhalt
VII
Marian Füssel Zwischen Beten und Fluchen. Zur Religiosität der Studenten in der Frühen Neuzeit ..................................................................... 455 Harald Lönnecker «Demut und Stolz ... Glaube und Kampfessinn». Die konfessionell gebundenen Studentenverbindungen – protestantische, katholische, jüdische ............................................ 479 Hans-Martin Kirn Von der Theologie zu den Religious Studies? Überlegungen zu Glaube und Religion im Wandel universitärer Bildung . ........ 541 Walter Höflechner Universität, Religion und Kirchen. Zusammenfassung . .............. 561 Anschriften der Autorinnen und Autoren ........................................... 569 Orts- und Personenregister . .................................................................. 571
Vorsatz.indd 7
11/21/2011 4:39:12 PM
Vorsatz.indd 8
11/21/2011 4:39:12 PM
Vorwort
Dieses Buch, Band 11 der Reihe der «Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte», geht auf die gleichnamige Tagung «Universität, Religion und Kirchen» zurück, welche die Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte (GUW) vom 19. bis 23. September 2007 im Kloster Weltenburg (Bayern) durchgeführt hat. Die GUW betrachtet Universität, Bildung und Wissenschaft als ein historisch gewachsenes, vielfach vernetztes soziales und kulturelles System. Sie fördert eine Forschungsrichtung, die sich in der jüngeren und jüngsten Vergangenheit als eine verfassungs-, sozial- und kulturgeschichtlich zentrierte Universitätsgeschichte zwischen den institutionell etablierten Arbeitsfeldern ‹Bildungsgeschichte› und ‹Wissenschaftsgeschichte› erfolgreich angesiedelt hat. Sie bemüht sich um die Einheit der Geschichte und möchte vor allem die langfristigen Veränderungen verständlich machen, die Universität, Bildung und Wissenschaft in vormodernen und modernen Gesellschaften hervorgerufen haben. Dies hoffen wir, auch wieder mit dem gegenwärtigen Thema, das Aktualität seit der Gründungsphase der europäischen Universitäten besitzt, unterstreichen zu können. Zusätzlich aufgenommen in das Buch wurden die Beiträge von Kerstin Hitzbleck im ersten Teil «Päpste und Universität» und von Daniel Dossenbach im zweiten Teil «Kirche und Universität». Zum Gelingen von Tagung und Buch haben Viele beigetragen, denen im Namen der GUW herzlich gedankt sei: der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung (Köln) für die Unterstützung der Tagung, der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW), der Burgergemeinde Bern und dem Friedrich-Emil-WeltiFonds (Bern) für die Unterstützung der Drucklegung. Das Programm ist diesmal mit Zustimmung des Vorstands weitgehend in Bern und von Bern aus gestaltet worden, so dass als nächstes den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Abteilung für Mittelalterliche Geschichte am Histori schen Institut der Universität Bern herzlich zu danken ist, insbesondere Herrn Professor Christian Hesse, der bis Ende 2009 im Vorstand der GUW hochverdienstlich das Amt eines Wissenschaftlichen Sekretärs ausgeübt hat, und nicht minder zu danken ist Frau Irène Neiger in Bern, in deren bewährten Händen die Tagungsorganisation auch dieses Mal
Vorwort.indd 9
11/21/2011 3:01:17 PM
X
Vorwort
wieder gelegen hat. Auch hat sie sich an der Redaktion des Buches beteiligt, die anfänglich dankenswerterweise von Frau Janine Frey, Herrn Daniel Dossenbach, Frau Katrin Lozano sowie Herrn Thomas Schwitter betreut worden ist. Zu danken ist ferner den bewährten Mitarbeitern des Schwabe Verlags Basel und ganz besonders den Autorinnen und Autoren, namentlich dem abschliessenden Berichterstatter, Herrn Professor Walter Höflechner (Graz)1, für die Bereitschaft, sich auf ein mitunter spannungsgeladenes Thema einzulassen. Ihnen allen gebührt herzlicher Dank. Leider sind bei der Drucklegung Verzögerungen eingetreten, für die ich die Autorinnen und Autoren um Nachsicht bitte, zumal sie keine Nachträge anbringen konnten. Frau Melanie Kellermüller hat mit gros sem Einsatz die Redaktionsarbeiten zum Abschluss gebracht, wofür ich ihr ganz besonders herzlich danke.
Bern, im Juli 2011
1
Vorwort.indd 10
Rainer Christoph Schwinges
Eine Version seines zusammenfassenden Berichts ist als Tagungsbericht im Jahrbuch für Universitätsgeschichte 11 (2008), S. 264–268, erschienen.
11/21/2011 3:01:17 PM
Universität, Religion und Kirchen – eine Einführung
Rainer Christoph Schwinges Das Thema «Universität, Religion und Kirchen» berührt eine der Kernfragen der europäischen Universitätsgeschichte. Es ist nicht einmal überspitzt formuliert, wenn man sagt, ohne Religion und Kirchen – anfangs die römische Kirche – sei Universität nicht möglich gewesen, jedenfalls nicht die Universität, die auf eine mehr als 800-jährige Geschichte zurückblicken kann. Nach wie vor ist dieser Zusammenhang offenbar von grosser Wichtigkeit und Aktualität, wovon schon ein Blick ins Internet zeugt. Für die Trias der Begriffe «Universität, Religion und Kirchen» werden mehrere Millionen Treffer angezeigt. Allerdings weisen die meisten Angaben auf kulturelle, pastorale oder diakonische Veranstaltungen und Schriften der verschiedenen konfessionellen Hochschulgemeinden hin oder auf die theologischen Fakultäten und die Institute für Religionswissenschaften oder Religionspädagogik mit ihren Studienangeboten und ihren Vortragsreihen. «Universität und Kirche im Dialog» oder «Religion in der Universität» ist in vielen Fällen das übergreifende Motto. Interessanterweise werden solche Veranstaltungen nicht selten historisch begründet, etwa das grosse Symposium «Universität und Kirche in Europa» im Juli 2003, das Tausende in der Universitätspastoral engagierte Personen nach Rom reisen liess. Es ging um die Wiederbelebung des Dialogs, denn die (römische) Kirche fühle sich seit jeher der Bildung und der Universität, dem Ort der Weisheit und der Wahrheitssuche schlechthin, verbunden1. Ich sehe von Ausgewogenheit ab und unterlasse das Anführen von Beispielen und Parallelen aus Veranstaltungen anderer Kirchen, Konfessionen und Religionsgemeinschaften. Der Tenor ist gleich, und überall wird mehr oder weniger deutlich zum Dialog aufgerufen. Nun ist Dialog eine Grundstruktur der Kirchen und sicher auch geeignet, sich im Sinne unseres Themas historisieren zu lassen. Dass dies international schon vielfach geschehen ist, merkt man nicht zuletzt mit Blick in Walter Rüeggs ‹Geschichte der Universität in Europa›2. Da 1 2
http://www.fides.org/deu/news/2003/0307/18_393.htm [20.8.2010]. Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, 4 Bde. München 1993–2010.
Schwinges - Einführung.indd 1
11/21/2011 3:02:55 PM
2
Rainer Christoph Schwinges
werden die geistlichen Träger der Universitäten ebenso behandelt wie die weltlichen und deren Erwartungen an die Universitäten ausgelotet; die Geschichte der theologischen Fakultäten und ihres Personals werden verfolgt, der Anteil der verschiedenen Orden vor und nach der Reformation herausgestellt, insbesondere der Bettelorden und der Jesuiten, das Reformationsereignis selbst prominent zum Auftakt des zweiten Bandes behandelt; sehr zu Recht, denn Doktor Luther und seine Reformation waren zunächst einmal ein Ereignis der Universitätsgeschichte, bevor sie kirchengeschichtlich und allgemein historisch bedeutsam wurden. Aufgezeigt wird ferner die ohnehin schon bunte, nun zusätzlich konfessionalisierte Universitätslandschaft Europas; die Theologie – vornehmlich die protestantische – wird als Leitwissenschaft des 16. Jahrhunderts behandelt, bevor sie sich in der Folgezeit unter den anderen Wissenschaften einzuordnen und zu behaupten hatte. Ultramontanismus und Modernismus sind noch ein Kapitel wert. Doch dann, so hat man den Eindruck, hat der Staat gesiegt und das Thema ist kein Thema mehr – unbeschadet der Auskünfte des 4. Bandes, der die Zeitgeschichte nach 1945 behandelt. Die kaum noch überschaubare Einzelforschung in jeder Epoche zum Verhältnis der Universitäten zum Papsttum und zu den Landeskirchen, zu einzelnen Kirchen, Dom- und Kollegiatstiften, zum Welt- und Ordensklerus, zur akademischen Theologie, zu Pfarrhäusern, zu Schulen und konfessionellen Bildungssystemen überhaupt, kann hier nur angedeutet sein. Dass noch viel, auch im Einzelnen zu tun bleibt, wissen wir nur zu gut. Was aber fehlt, sind die langfristig angelegten Studien, die über die Epochengrenzen hinweg unser generelles Thema unter bestimmten Gesichtspunkten bearbeiten, so wie es die Mitgliederversammlung der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 2005 im österreichischen Ottenstein erkannt und beschlossen hat, und wie es seit Gründungszeiten überdies Brauch in dieser Gesellschaft ist. So starten wir also den Versuch, den besonderen, mitunter spannungs geladenen Beziehungen und vielfältigen Interaktionen der Trias Universität, Religion und Kirchen im historischen Prozess mit all seinem Wandel nachzugehen, im vollen Bewusstsein, dass jedes der drei Phänomene allein schon für sich genommen hoch komplex ist, erst recht in der Interaktion, und dass auch wir selbstverständlich nicht umhin können zu gestehen, schon in diesem Programm lückenhaft zu sein. Wenn wir auch auf diesem Felde anregend sein könnten, wäre der Gesellschaftszweck freilich wiederum erfüllt. Das Thema «Universität, Religion und Kirchen» berührt in der Tat eine der Kernfragen der Universitäts-, Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte. Angelegt ist sie schon in der Gründungsphase des 12./13. Jahrhunderts, virulent geworden jedoch erst sehr viel später. Je nach
Schwinges - Einführung.indd 2
11/21/2011 3:02:56 PM
Einführung
3
wissenschaftsideologischem Standpunkt, vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, aber mit langer Nachwirkung bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, hielt man Universitäten entweder für staatliche oder für kirchliche Institutionen. Ein erbitterter Gelehrtenstreit vor dem Hintergrund des Kulturkampfes tobte vor allem im deutschsprachigen Raum um das Entweder-Oder. Anderswo, wie etwa in Frankreich, hatte man seinen Kampf schon hinter sich oder sah es gelassener. Alle grossen Namen der Universitäts- und Bildungsgeschichte waren so oder so beteiligt, wobei die jeweilige Konfessionszugehörigkeit begreiflicherweise eine Rolle spielte. Den kirchlichen Charakter, die Universität als collegium ecclesiasticum, betonten vehement etwa der Benediktiner Heinrich Denifle in seiner Ent stehungsgeschichte3 sowie Hermann Mayer oder Johannes Haller, beide hoch verdient um die Freiburg-Breisgauer bzw. Tübinger Universitäts geschichte4. Andere mehr wären zu nennen: Heinrich Hermelink für Tübingen, Karl von Prantl für Ingolstadt-München, Hermann Keussen für Köln5. Für sie war der kirchliche Charakter klar erwiesen, allein schon durch das Tragen klerikaler Tracht, durch die Inkorporation von Pfarreien und Stiftskirchen und durch die offizielle Teilnahme der Universitäten bzw. ihrer gelehrten Vertreter an den grossen Kirchenversammlungen. Merkwürdigerweise hatte man oft den Papst selbst in der Argumentationsschlacht vergessen. Es galt nämlich institutionell, anstaltlich zu argumentieren, da der wissenschaftliche Gegner ebenso anstaltlich, von der Staatsseite her dachte. Diesen Gegner hatte man im deutschsprachigen Raum vor allem in Georg Kaufmann geortet, der im zweiten Band seiner Geschichte der deutschen Universitäten nachzuweisen suchte, dass die Universitäten zwar den kirchlichen Anstalten vielfach ähnlich und verwandt, aber keine solchen im Rechtssinne seien, sondern vielmehr staatliche Errungenschaften6. Ein Aufbrechen dieser beiden Sichtweisen war lange 3 4
5
6
Heinrich Denifle, Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400, Berlin 1885 (Ndr. Graz 1956). Hermann Mayer, Die Frage nach dem klerikalen Charakter der mittelalterlichen Universitäten, unter besonderer Berücksichtigung von Freiburg i. Br., in: Freiburger Diözesan-Archiv 63 (1935), S. 152–183. Johannes Haller, Zur Geschichte der deutschen Universitäten, in: HZ 159 (1939), S. 88–102. Heinrich Hermelink (Hg.), Die Matrikeln der Universität Tübingen 1477–1600, Bd. 1, Stuttgart 1906. Karl von Prantl, Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität in Ingolstadt, Landshut, Bd. 1, München 1872 (Ndr. Aalen 1968). Hermann Keussen, Die alte Universität Köln. Grundzüge ihrer Verfassung und Geschichte, Köln 1934. Georg Kaufmann, Die Geschichte der deutschen Universitäten, Bd. 2, Stuttgart 1896.
Schwinges - Einführung.indd 3
11/21/2011 3:02:56 PM
4
Rainer Christoph Schwinges
nicht möglich; Vermittlungsversuche, etwa von Friedrich Paulsen, blieben lange ungehört7. Sich anders zu orientieren, gelang in der Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte auch erst mit den verschiedenen Paradigmenwechseln in den Geschichtswissenschaften selbst. Heute kann man unbefangen davon sprechen, dass die europäische Universität, gleichviel welchen Typs, ob Paris oder Bologna oder «deutschen» Typs, ohne den Beitrag der Kirche auf allen Ebenen nicht zu denken wäre. Sich damals im Interessenkonflikt mit den lokalen geistlichen und weltlichen Gewalten an den Papst gewendet zu haben, war der einzig konsequente und erfolgversprechende Schachzug der Magister und Scholaren im politischen Gefüge der Zeit. Heute wissen wir, dass die Universität aus einer Anzahl von Gegensätzen geformt worden ist. Sie entstand als universitas, als Korporation unter anderen und war doch nicht eine Korporation wie andere auch. Sie war zwar ein städtischer Verband, ein Derivat urbanen Milieus; ihre For derungen nach Selbstrekrutierung, Selbstregulation oder Selbstreprä sentation entsprachen den Forderungen anderer universitates und den Interessen des städtischen Berufsfeldes. Aber sie war zugleich eine Korporation unter dem Dach der Papstkirche, eine klerikale Gemeinschaft, ohne deshalb eine Institution der Kirche zu sein. In der Universität sind städtische und kirchliche Sozialformen eine Symbiose eingegangen, so dass etwas Neues entstehen konnte. Aber ohne den «Schulterschluss» mit der Papstkirche, d.h. auch ohne Einbezug in ihre Privilegienwelt und ganz besonders in ihren Pfründenmarkt, hätte die Universität keine Überlebenschance über ihre noch völlig desorganisierte Gründungsphase hinaus gehabt8. Dies gilt so nicht nur für die vormodern-mittelalterliche Universität, bei deren Gründung und Weiterentwicklung «staatliche» Stellen, Könige, Fürsten und städtische Obrigkeiten, sich nur sehr zögerlich beteiligten, sondern auch für die neuen Universitäten im Zuge der Reformation und der Konfessionalisierung in Europa, die nach wie vor in erster Linie von Kirchengut, wenn auch in umgewidmeter Form, profitierten. Erst in den 7
8
Friedrich Paulsen, Organisation und Lebensordnung der deutschen Universitäten im Mittelalter, in: HZ 45 (1881), S. 385–440. Ders., Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart, Bd. 1, Leipzig 31919. Dazu Otto Gerhard Oexle, Alteuropäische Voraussetzungen des Bildungsbürgertums – Universitäten, Gelehrte und Studierte, in: Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, hg. von Werner Conze und Jürgen Kocka, Teil I, Bildungssystem und Professionalisierung in internationalen Vergleichen, Stuttgart 1985, S. 29–78, 41f. Jacques Verger, Grundlagen, in: Rüegg (Anm. 2), Bd. 1, 1993, S. 49–80.
Schwinges - Einführung.indd 4
11/21/2011 3:02:56 PM
Einführung
5
beiden letzten Jahrhunderten, beginnend im späten 18. Jahrhundert, kann man beobachten, dass der «Staat» fast überall in Europa sich für seine Universitäten stärker engagierte und sie als seine mehr oder weniger ausschliessliche Domäne betrachtete. «Staat» und Kirche oder dann Kirchen scheinen nie die Gegensätze bzw. Kräfte gewesen zu sein, die sich gegenseitig in Aufsicht und Unterhalt der Universitäten behindert hätten, wie man das eben im politischen Geschäft der Neuzeit konstruiert hatte. Die Bemühungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte um das Thema «Finanzierung von Universität und Wissenschaft» haben die Situation vor und nach 1800 quer durch Europa sehr deutlich aufzeigen können9. Bei dieser Konstellation über die Jahrhunderte hinweg blieb es nicht aus, dass neben der kirchlich organisierten Religion auch die Religion selbst bzw. ihr Glaubens- und Lehrgebäude im Ordnungsrahmen der Theologie auf die Gestaltung der Universitäten und die Entwicklung der Wissenschaften Einfluss nahm. Dieser Einfluss hat im Spannungsfeld von Glauben und Wissen sowohl positive wie negative Züge besessen und manchmal beides zugleich10. Rationale Verfahren verbanden sich mit Behinderungen «akademischer Lehr- und Lernfreiheit», so dass schon Friedrich Paulsen zwei Grossepochen der europäischen Universitäts-, Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte unterschied, nämlich zum einen das «Zeitalter der Gebundenheit der Lehre» bis ins 17. Jahrhundert, und zum anderen das «Zeitalter der Freiheit» vom 18. bis in seine Gegenwart, das frühe 20. Jahrhundert11. Gleichwohl entwickelten religiöse Energien auch enorme wissenschaftliche Potentiale bis hin zu Innovationen, die dem akademischen Bildungswesen insgesamt zugute gekommen sind. Man braucht nur schon an die Entfaltung des Jesuitenordens zu denken12. Im Zentrum unserer Bemühungen steht zwar die Mehrheitsreligion der christlichen Konfessionen; grundsätzlich ist jedoch die Beteiligung anderer 9
Rainer Christoph Schwinges (Hg.), Finanzierung von Universität und Wissenschaft in Vergangenheit und Gegenwart (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 6), Basel 2005. 10 Siehe Kurt Koch, Universität und Kirche. Zu einer notwendigen Beziehung mit Spannungen (Vorträge der Aeneas-Silvius-Stiftung an der Universität Basel, XXXV), Basel 1999. 11 Friedrich Paulsen, Die deutschen Universitäten und das Universitätsstudium, Berlin 1902 (Ndr. Hildesheim 1966). Siehe dazu auch den Band Wissenschaftsfreiheit in Vergangenheit und Gegenwart, hg. von Rainer Albert Müller und Rainer Christoph Schwinges (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 9), Basel 2008. 12 Siehe z.B. Rainer A. Müller, Zur Finanzierung der Kollegien und Hochschulen der oberdeutschen Ordensprovinz der Societas Jesu in der Frühen Neuzeit, in: Schwinges, Finanzierung (Anm. 9), S. 143–173.
Schwinges - Einführung.indd 5
11/21/2011 3:02:56 PM
6
Rainer Christoph Schwinges
Religionen mitzubeachten, wie dies in diesem Band durch den Blick auf die Welt jüdischen Gelehrten- und Studententums, sowohl im Mittelalter als auch in der Neuzeit, geschieht. Von weiterem Interesse dürften auch – jenseits der engeren Theologiegeschichte – die Beziehungen zwischen der akademischen Theologie und den Universitäten sein. Was ist und beinhaltet eigentlich theologische Bildung und deren Wirkungsgeschichte in diesem Rahmen. Was ist und was macht ein Theologe in der Universität? Erst kürzlich sind hierzu Arbeiten vorgelegt worden, deren Verfasser ebenfalls Forschungsdefizite feststellten, noch dazu für die Reformationszeit, deren Zeitgenossen gerade solche Fragen für wichtig hielten: Was muss ein Theologe wissen, um verantwortlich von Gott zu reden? Darüber wurde – ausgehend von Wittenberg – intensiv diskutiert, wie man aus dem Buch von Marcel Nieden erfahren kann, in dem es um die Konzepte eines Fachstudiums, um die Akademisierung der Theologie und der theologischen Professionen sowie um der Entstehung einer evangelischen Geistlichkeit geht13. Es war das Anliegen der Tagung und nun des Buches, das Zusammenspiel der Kräfte aus Universität, Kirchen, Theologien und Religion in der langfristigen Perspektive zu studieren. Wir haben deswegen das Programm in drei jeweils epochenübergreifende Sektionen eingeteilt. Die erste ist zunächst der «alten» Dichotomie von Papsttum und Universität gewidmet, gefolgt sodann in der zweiten Sektion von Analysen der institutionellen und personellen Verflechtungen zwischen den Kirchen und den Universitäten, um schliesslich zum dritten die Universitäten mit Einflüssen aus Religion und Theologien zu konfrontierten. Wir sind sicher, dass dieses Verfahren sich auch diesmal wieder bewährt hat, und wir dem stets akuten Spannungsfeld zwischen Glauben und Wissen seine historische Dimension haben geben können.
13
Siehe Marcel Nieden, Die Erfindung des Theologen (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 28), Tübingen 2006. Ferner im Vergleich mehrerer Universitäten und Länder Markus Wriedt und Herman J. Selderhuis (Hgg.), Bildung und Konfession. Theologenausbildung im Zeitalter der Konfessionalisierung (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 27), Tübingen 2006.
Schwinges - Einführung.indd 6
11/21/2011 3:02:56 PM
Teil I Päpste und Universität
Miethke - Papsttum .indd 7
11/21/2011 3:03:40 PM
Miethke - Papsttum .indd 8
11/21/2011 3:03:40 PM
Papsttum und Universitäten Förderung, Lenkungsversuche und Indienstnahme (mit besonderer Rücksicht auf Paris)
Jürgen Miethke Euntes ergo docete omnes gentes [Gehet hin und lehret alle Völker] – der ‹Missionsbefehl› Jesu an seine Jünger (Mt. 28, 19) enthält den Auftrag zur Lehre. Die Buchreligion der Christen hat dieser Aufforderung stets zu entsprechen versucht. Der Apostel Paulus, doctor gentium, wurde zum Vorbild für jeden Bischof als Lehrer seiner Diözese. Zumindest als für die Lehre in seinem Bistum verantwortlicher Amtsträger hat ein Bischof die Funktion eines doctor ecclesiae. Erst die Scholastik1, mit besonderer Klarheit etwa Thomas von Aquin, wird unterscheiden zwischen einem magis terium cathedrae pastoralis (bzw. pontificalis2), d.h. dem officium prae lationis (das mit der auctoritas eines Richters ausgestattet ist) einerseits und dem magisterium cathedrae magistralis bzw. dem officium magisterii andererseits (das sich in Erkenntnis und Argumentation ausdrückt und als persönliche Kompetenz öffentliche Anerkennung geniesst). Damit schuf die Scholastik der ‹Lehre›, wie wir sie heute verstehen, und damit sich selbst einen theoretischen Ort in Kirche und Gesellschaft. Der Aquinate hatte die neue Institution der europäischen Universität im Rücken. Die Universität ist, wie wir heute wissen, eine mittelalterliche ‹Erfindung›. Höherer Unterricht ist hier einzigartig verbunden mit einer genossenschaftlichen Organisation der Lehrer und Schüler. Das machte die ‹Hohen Schulen› des Mittelalters zu eigenständigen Einrichtungen, die sich allen 1
2
Dazu etwa Yves Marie Joseph Congar, Saint Thomas Aquinas and the Infallibility of the Papal magisterium (Summa Theol. 2-II q.1 a.10), in: The Thomist 38 (1974), S. 81–105/Ndr. in: ders., Thomas d’Aquin, sa vision de théologie et de l’Église (Collected Studies Series. CS 190), London 1983, nr. VIII. Congar hat sich auch sonst mit der Entwicklung der Vorstellungen über das kirchliche Lehramt häufig grundlegend beschäftigt, zusammenfassend etwa in: ders., L’Église, De Saint Augustin à l’époque moderne (Histoire des dogmes III/3), Paris 1970, S. 241–244. Contra impugnantes, cap. 2 u. 3; Quodl. III.9 ad 3; vgl. auch IV Sent. d.6 q.2a.2 sol.2; ibidem, d.19 q.2 a. qa.2 ad 4.
Miethke - Papsttum .indd 9
11/21/2011 3:03:40 PM
10
Jürgen Miethke
Einrichtungen höherer Bildung in anderen Kulturen entgegen und allen Wandlungen im Einzelnen zum Trotz als Überreste der mittelalterlichen Welt bis heute erkennbar erhalten haben. Entstanden ist diese besondere Form einer Bildungsinstitution auf der Höhe des Mittelalters, an der Wende zum 13. Jahrhundert, ungefähr gleichzeitig in Italien, Frankreich und England, als in Bologna, Paris, Oxford und anderwärts die an den Schulen tätigen jungen Männer begannen, sich genossenschaftlich zusammenzuschliessen. Wenngleich die definitive Ausbildung des Modells noch Jahrzehnte, bis in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts hinein in Anspruch nahm3, war doch das Grundmuster überall damit festgelegt. Die Universitäten ent wickelten sich an ziemlich weit entfernt voneinander liegenden Orten in sehr ähnlicher Weise – der mittelalterlichen Kleinräumigkeit zum Trotz, die oft von einer Talschaft zur anderen erhebliche Differenzen der Sozialstrukturen ermöglichte oder erzwang. Am Ende der Prozesse steht der Typus der mittelalterlichen Universität. Kaum zeichnete sich dieser Typus ‹Universität› in Umrissen ab, schon wurde er exportiert, nachgeahmt, in einigen Punkten leicht abgewandelt. Doch in den Grundzügen des Organisationsmodells blieb die europäische Universität in erstaunlichem Masse einheitlich. Die neueste Gesamtdarstellung heisst denn auch – zumindest in der deutschen Fassung – prononciert ‹Geschichte der Universität [!] in Europa›4, behandelt die Universität also als einheitlich und benennt sie im Singular. Wie ist diese typologisch-konstitutionelle Einheit der europäischen Uni versität zu erklären, die nur geringe chronologische Verzögerungen, jedoch keine grundverschiedene Strukturen5 kennt? Sollen wir darin eine Art 3
4
5
Dazu nur Jürgen Miethke, Universitas und studium. Zu den Verfassungsstrukturen mittelalterlicher Universitäten, in: Aevum, Rassegna di scienze storiche, linguistiche e filologiche 73 (1999), S. 493–511/Ndr. in: ders., Studieren an mittelalterlichen Universitäten: Chancen und Risiken. Gesammelte Aufsätze (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 19), Leiden/Boston 2004, S. 13–38. Jetzt auch Roberto Lambertini, Macerata, La questione delle origini dell’Università, in: Annali di storia delle università italiane 13 (2009) 29–33; Jacques Verger, «Rector non est caput universitatis». Pouvoir et hiérarchie à l’université de Paris, in: Vaticana et Medievalia, Études en l’honneur de Louis Duval-Arnould, hg. von Jean-Marie Martin et al. (Millennio Medievale 71. Strumenti e Studi 16), Firenze 2008, S. 457–472. Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1, München 1993. Dagegen hatten am Ende des 19. Jahrhunderts Denifle und Rashdall für ihre weit ausgreifenden Darstellungen noch den Plural gebraucht: Heinrich Denifle, Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400, Berlin 1885/Ndr. Graz 1956; Hastings Rashdall, The Universities of Europe in the Middle Ages, Oxford 1895/ Neue Edition hg. von Frederick Maurice Powicke und Alfred Brotherstone Emden, Bd. 1–3, Oxford 1936 u.ö. Die oft berufene Unterscheidung der Pariser ‹Professorenuniversität› von der ‹Stu dentenuniversität› in Bologna übersieht die sozialgeschichtlich durchaus vergleichbare Situation eines Pariser Magisters und eines Bologneser Rechtsstudenten. Vgl. Miethke,
Miethke - Papsttum .indd 10
11/21/2011 3:03:40 PM