der neuen Musik. Zwei Spieler bauen aus zahlreichen Instrumenten und Klangerzeugern eine Spielmaschinerie und entwickeln nach Kagels Konzeptpartitur selbst die zugehĂśrige Musik. So entsteht ein Doppelgebilde aus skulptural-kinetischem Klangobjekt und visuell gestaltetem MusikstĂźck. In einer Kooperation von Paul Sacher Stiftung, Hochschule fĂźr Musik der Musik-Akademie der Stadt Basel und Museum Tinguely wurde nun die erst dritte Fassung des Werks realisiert. Der Band versammelt Essays zu den musikalischen und kĂźnstlerischen HintergrĂźnden und bietet anhand von Originalquellen eine umfangreiche Dokumentation des Zwei-
Mauricio Kagel
2
(1971–73) ist eines der originellsten und zugleich merkwßrdigsten Stßcke
MANN ORCHESTER
Mauricio Kagels Zwei-Mann-Orchester fĂźr zwei Ein-Mann-Orchester
MAURICIO KAGEL – ZWEI-MANN-ORCHESTER
hrsg. von Matthias Kassel
Mann-Orchesters und seiner bisherigen AuffĂźhrungen.
ESSAYS UND DOKUMENTE , 6 % 1
Mauricio Kagel – Zwei-Mann-Orchester
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Mauricio Kagel
MANN ORCHESTER
MAURICIO KAGEL ZWEI-MANN-ORCHESTER ESSAYS UND DOKUMENTE Herausgegeben von Matthias Kassel
Eine Publikation der Paul Sacher Stiftung Schwabe Verlag Basel 2011
Diese Publikation erscheint anlässlich der Aufführungen der Neufassung von Mauricio Kagels Zwei-Mann-Orchester im Museum Tinguely, Basel, 6. April –15. Mai 2011. Die 3. Fassung des Zwei-Mann-Orchesters ist eine Kooperation von Paul Sacher Stiftung, Hochschule für Musik der Musik-Akademie der Stadt Basel und Museum Tinguely.
© 2011 Paul Sacher Stiftung, Basel, und Schwabe AG, Verlag, Basel Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder elektronisch verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Foto Umschlag vorne: Theodor Ross im Zwei-Mann-Orchester, 1. Fassung, Aufführung Donaueschingen, 20./21. Oktober 1973 (Foto: Zoltan Nagy) Foto Umschlag hinten: Die «Maracas-Maschine» für die 3. Fassung des Zwei-Mann-Orchesters (Foto: Ute Schendel)
Umschlag, Layout und Satz: Freework Media GmbH, Oberwil Herstellung: Schwabe AG, Druckerei, Muttenz/Basel Gedruckt auf: Luxo Art Samt 115gm2 Schriften: Futura und Apollo MT Bindung: Buchbinderei Grollimund AG, Reinach Printed in Switzerland ISBN 978-3-7965-2751-7 www.schwabe.ch www.paul-sacher-stiftung.ch
INHALT
Vorwort
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DOKUMENTE
ESSAYS
Matthias Kassel Mauricio Kagel, das Zwei-Mann-Orchester und das Umfeld des Instrumententheaters
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Michael Kunkel À la recherche des joueurs perdus Wo sind die Spieler in Kagels Zwei-Mann-Orchester? Ein Rettungsversuch
31
Martin Kirnbauer Kagel im Museum
Voraussetzungen und Umfeld Instrumentales Theater Instrumententheater Das visuell-akustische Labor
71 74 78 83 93
Zwei-Mann-Orchester – 1. Fassung Donaueschingen Mauricio Kagel: Einleitung zur Partitur Mauricio Kagel: Werkeinführung
103
41
Zwei-Mann-Orchester – 2. Fassung Kassel
115 121
Onno Mensink Das Zwei-Mann-Orchester als Museumsstück
51
Zwei-Mann-Orchester – 3. Fassung Basel Produktionsteam
59
Auswahlbibliographie Abbildungsverzeichnis
130
Andres Pardey Ton – Kunst Tinguely, Schöffer, Vostell
107
128
132
Abb. 1 Mauricio Kagel zieht die Fäden für das Zwei-Mann-Orchester, 1. Fassung, Atelier Genter Straße 23, Köln, September 1973 (Foto: Zoltan Nagy).
6
VORWORT
« U nd vor allem :
Z wei - M ann - O rchester
fü r z w ei
‹ E in - M ann - O rchester› nicht vergessen!»
Diese Mahnung äußerte Mauricio Kagel in einem Interview am 9. Februar 2007, am Vortag der Basler Wiederaufführung seines zu Unrecht lange vergessenen Stücks Der Schall (1968). Nach den eindrücklichen Erfahrungen und der lebhaften Aufnahme dieses experimentellen Kammermusikwerks bestand die Gefahr des Vergessens auch für das ungleich aufwendigere Stück nicht mehr, im Gegenteil: Mit dem spektakulären Zwei-Mann-Orchester an die Aufführung von Der Schall anzuschließen schien eine reizvolle Herausforderung. Der Wunsch Wilhelm Brucks, für diese – seine dritte! – Ausarbeitung des Zwei-Mann-Orchesters mit Matthias Würsch einen neuen, um eine Generation jüngeren Mitspieler anzufragen, erschien nicht nur aus Gründen der Abwechslung, sondern auch als Versuch der generationenübergreifenden Weitergabe von Interpretenerfahrung besonders reizvoll. Ob der Entstehungskontext des rätselhaften Stücks im gesellschaftlichen Kolorit der späten 1960er Jahre verblasst, noch spürbar, oder gar als historischer Panzer an ihm haften geblieben ist, kann nur in einer erneuten Realisierung erkundet werden. Zugegeben: Auch hier half das Erlebnis der ästhetisch äußerst befriedigenden Wiederbelebung von Der Schall, etwaige Bedenken im Vorfeld zu zerstreuen. Neben Wilhelm Bruck und Edward Tarr, beide bereits 1968 Interpreten der Uraufführung
von Der Schall, hatten 2007 mit Michael Büttler, Markus Hochuli und Matthias Würsch drei Vertreter einer späteren Musikergeneration mitgewirkt und den Verdacht eines Tradierungsbruchs in der Praxis klar widerlegt. Hinzu kam, dass praktisch alle, die im Verlauf der Vorbereitungen auf das neue Zwei-MannOrchester angesprochen wurden und entweder die Uraufführung in Donaueschingen 1973 oder eine Aufführung der zweiten Fassung im Staatstheater Kassel 1992/93 erlebt hatten, ohne Zögern und mit großem Enthusiasmus von ihren offenbar präsent gebliebenen Eindrücken berichten konnten. Nun gibt es für alle anderen Gelegenheit, Verpasstes nachzuholen. Die konzeptionellen Eigenheiten des Zwei-MannOrchesters machten eine genaue Ausrichtung der verschiedenen Projektkomplexe erforderlich. Im Unterschied zu Der Schall und anderen Stücken des Kagel’schen Instrumententheaters war für die Ausarbeitung der neuen Fassung keine Recherche in der Instrumentensammlung oder in den Manuskriptquellen erforderlich, da das Spielinstrument und die daraus abzuleitende musikalische Umsetzung laut der Kagel’schen Vorgaben ohnehin neu zu erfinden sind. Ein rekonstruierender Nachbau wäre sinnlos. So bot es sich bei der neuen Version an, historische Hintergrundforschung und praxisbegleitende Interpretationsforschung in unabhängigen Bahnen zu führen.Während die wissenschaftliche Dokumentation der neuen Fassung an der Abteilung Forschung und Entwicklung der Hochschule für Musik angesiedelt ist, bildet der vorliegende Band einen ersten
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Beitrag der Paul Sacher Stiftung zur historischen und systematischen Aufarbeitung des Zwei-Mann-Orchesters und seines Umfelds im Schaffen Kagels. In beiden Bereichen ist die wissenschaftliche Forschung mit den Aufführungen der neuen Fassung nicht abgeschlossen und wird künftig sicher weitere Ergebnisse zeitigen. Dieses Buch möchte Einblicke in den breiten Kontext dieses ungewöhnlichen Stücks eröffnen. Dazu sind, nach einem einleitenden Essay des Herausgebers (zugleich Kurator der Sammlung Mauricio Kagel der Paul Sacher Stiftung, Basel), Beiträge von Gastautoren zu einzelnen thematischen Aspekten des Werks zu finden. Michael Kunkel, Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung der Hochschule für Musik Basel, erkundet die ambivalente, zwischen Herrschern und Beherrschten schwankende Positionierung der Spieler in der von ihnen selbst gebauten Instrumentenmaschinerie. Martin Kirnbauer, Direktor des Basler Musikmuseums und damit verantwortlich für das dort gehütete Depositum von Kagels Klangerzeugern, macht sich Gedanken über das Sammeln, Bewahren und Zeigen von Instrumenten allgemein und bei Kagel im Speziellen. Onno Mensink, Leitender Kurator der Musiksammlung des Gemeentemuseums Den Haag, beschreibt den Kontext und die bisherigen Erfahrungen mit der dort aufbewahrten ersten Apparatur des Zwei-Mann-Orchesters und erörtert den damit assoziierten Begriff «Maschine». Hier knüpft Andres Pardey an, VizeDirektor des Museum Tinguely und Gastgeber der Aufführungen des neuen Zwei-Mann-Orchesters, indem er den Kategorien der Bewegung und des Zufalls eine bestimmende Funktion in der Klangwelt der kinetischen Kunstwerke von Jean Tinguely und Nicolas Schöffer sowie der Happenings von Wolf Vostell beimisst. Er zeigt dabei auch, wie durch solche Werke die Grenzen zwischen den Künsten durchbrochen werden und wie folgerichtig sich das Zwei-Mann-Orchester von musikalischer Seite in die kaum stillzustellende Kunst des Museum Tinguely fügt. Im Anschluss an diese Essays findet sich ein umfangeicher Dokumentationsteil, der Text- und Bildquellen zu Mauricio Kagel versammelt und die drei Fassungen des Zwei-Mann-Orchesters vorstellt.
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Diese Dokumente sind zum Teil in einer die neue Fassung des Zwei-Mann-Orchesters begleitenden Ausstellung im Museum Tinguely zu sehen. Technisch bedingt kann die aktuelle Fassung in diesem Band lediglich in Ansätzen gezeigt werden, da deren Ausarbeitung bei Drucklegung noch in vollem Gange war. Ebenso kommt dieses Buch für die Ergebnisse eines weiteren Begleitprojekts zu früh: Eine Gruppe von Studierenden des Instituts Kunst der Basler Hochschule für Gestaltung, Fachhochschule Nordwestschweiz, begleitete die Entstehung der neuen Spielapparatur über mehrere Monate und erarbeitet eine audiovisuelle Dokumentation von den Anfängen bis zur Aufführung. Die Ergebnisse dieser künstlerischen Auseinandersetzung mit dem kreativen Arbeitsprozess der Musiker werden im Museum Tinguely zu sehen sein.
DANK
Die Realisierung eines derart umfangreichen Vorhabens, wie es die Aufführung von Kagels Zwei-Mann-Orchester darstellt, bedarf der Mitwirkung vieler, in unserem Fall verteilt auf drei kooperierende Institutionen, weitere assoziierte Einrichtungen und Einzelpersonen. Sie sind im hinteren Teil des Bandes im Einzelnen aufgelistet (S. 129). Dennoch möchte ich mich an dieser Stelle namentlich bei einigen der wichtigsten Beteiligten bedanken. Der erste Dank geht an Wilhelm Bruck und Matthias Würsch, die sich als Musiker dieses arbeitsintensive, spannungsund erlebnisreiche, hoffentlich auch spaßbringende Werk vorgenommen haben und sich dabei zudem von vielen Seiten befragen, fotografieren, filmen oder sonst wie bespitzeln ließen. Pamela und Deborah Kagel haben mir in unkomplizierter Weise unbekannte Dokumente aus dem Nachlass ihrer Mutter Ursula Burghardt zugänglich gemacht. Zusätzlich möchte ich Pamela Kagel für die kontinuierliche und freundschaftliche Zusammenarbeit im Umgang mit der Sammlung ihres Vaters danken. Onno Mensink hat mir vertrauensvoll Zugang zu den Beständen des Gemeentemuseums Den Haag gewährt und bereitwillig meine Anfragen nach Reproduktionen für dieses Buch beantwortet. Mit den Musikern Theodor Ross und Christoph Caskel aus dem Kölner Ensemble für Neue Musik habe ich lange Gespräche über ihre gemeinsame Arbeit mit Mauricio Kagel geführt; ich bedanke mich sehr für ihre wertvollen Berichte. Aus den beteiligten Partnerinstitutionen sind besonders hervorzuheben: Michael Kunkel und Torsten Möller (Abteilung Forschung und Entwicklung der Hochschule für Musik), Roland Wetzel, Andres Pardey und Isabelle Beilfuss (Museum Tinguely), Abril Padilla, Reinhard Manz, Sandra Anzi, Marc Hartmann, Naïma Jundt und Lysann König (Institut Kunst, HGK/FHNW). Gedankt sei nicht zuletzt meinen Kolleginnen und Kollegen der Paul Sacher Stiftung, die das Projekt engagiert mitgetragen haben, insbesondere Felix Meyer, Hermann Danuser, Florian Hohnhorst und Michèle Noirjean-Linder. Martina Papiro hat die erste Sichtung der Instrumentensammlung Kagels durchgeführt und die Aufführungen von Der Schall initiiert und or-
ganisiert, wodurch einiges ins Rollen kam; besonderer Dank dafür. Zahlreiche Institutionen und Personen haben mir bei Recherchen geholfen und Genehmigungen für die Verwendung von Dokumenten erteilt, wofür ich danken möchte: Astrid Koblanck und Aygün Lausch (Universal Edition, Wien), Stefan Conradi (Edition Peters, Frankfurt am Main), Hannelore Gehlen, Zoltan Nagy und Ute Schendel (Fotos), Nicole Froidevaux (Atlantis Musikbuch-Verlag, Zürich), Fritz Emslander (Museum Morsbroich, Leverkusen), Barbara Engelbach (Museum Ludwig, Köln), Istek Peker und Susan Schaarschmidt (Rheinisches Bildarchiv, Köln). Das Buch selbst wäre ohne die geduldige und zugleich zupackende Mitarbeit von Manuela Frey (Layout und Satz), Nana Badenberg (Schwabe Verlag) und Otto Moser (Schwabe Druckerei) nicht realisiert worden. Ihnen gilt ein besonderer Dank ebenso wie David M. Hoffmann (Schwabe Verlag) für die Aufnahme dieses Buchs in das Verlagsprogramm.
Matthias Kassel, März 2011
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ESSAYS
Abb. 2 Mauricio Kagel, Zwei-Mann-Orchester, Skizzenblatt «Erste Aufzeichnungen!» (Sammlung Mauricio Kagel, Paul Sacher Stiftung).
Die Zeichnung zeigt nicht die Karikatur einer traurigen Bandmaschine, sondern eine erste freihändige Skizze der Bühnenaufstellung, mit Spieler 1, Spieler 2 und Assistent am Bühnenrand.
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Matthias Kassel
MAURICIO KAGEL, DAS ZWEI-MANN-ORCHESTER UND DAS UMFELD DES INSTRUMENTENTHEATERS
Mauricio Kagels Zwei-Mann-Orchester ist sicher eines der ungewöhnlichsten, skurrilsten und aufwendigsten Stücke der neuen Musik. Da müssen sich zwei Spieler zunächst einem langwierigen, dornenreichen und von Zufällen gesteuerten Sammelvorgang unterwerfen, bevor sie das hoffentlich in großer Zahl greifbar gewordene Instrumentarium mit Stangen, Hebeln und Schnüren zu einem wahrlich komplexen Musiziergebilde zusammenschrauben können. Und damit ist nichts erreicht, denn was sollen sie nun darauf spielen? Eine Partitur mit ausgearbeiteten Stimmen gibt es nicht. Die beim Verlag erhältliche Druckausgabe des Werks bietet allenfalls musikalische Bausteine aus rhythmischen, melodischen und harmonischen «Modellen» nebst einer neunseitigen «Einleitung». Dieser Text wiederum ist nicht als Bauanleitung zu verwenden, sondern er beschreibt eher den Ideenhintergrund des Stückes und die auf den darauffolgenden Seiten aneinandergereihten musikalischen Elemente, ohne in irgendeiner Weise Festlegungen über deren Platzierung zu treffen. Das ist nicht einmal ein Baukasten, es ist im besten Fall das Konzept eines Baukastens. Die Spieler, die sich der Herausforderung dieses Stückes stellen, beginnen ohne Instrumente, ohne Musik, mit leeren Händen und vor einem weißen Blatt Papier. Hinter dem Konzept Zwei-Mann-Orchester verbirgt sich allerdings ein großer Komplex an Themen und künstlerischen Problemstellungen. Kagels Vorwort zur Partiturausgabe
und seinem einführenden Text zur Uraufführung 1973 werden im Folgenden einige Orientierungspunkte entnommen, um die strukturellen Bedingungen und die angelagerten Themen dieses in der selten ironischen oder humorvollen Neue-MusikLandschaft ganz besonders hervorstechenden Stückes näher kennenzulernen. 2
Ein Orchester für zwei
1
1 Mauricio Kagel, Zwei-Mann-Orchester (1971–73), London: Universal Edition
1973 (Universal Edition Nr. UE 15f848 LW), «Einleitung», S. I–IX; wiederabgedruckt in diesem Band, S. 103– 04. 2 Mauricio Kagel, «Zwei-Mann-Orchester» [Werkeinführung], in: Programmheft Donaueschinger Musiktage 1973, S. 11–14, wiederabgedruckt in diesem Band, S. 107–08.
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Im Titel, in der Widmung und im Hinweis auf den Auftraggeber trägt das Zwei-Mann-Orchester sein Thema vor sich her: das Orchester. Diese Großbesetzung spielte seit der Neuausrichtung der Donaueschinger Musiktage ab 1950, als das Sinfonieorchester des damaligen Südwestfunks unter Hans Rosbaud an zentraler Position in das Programm integriert wurde, eine Hauptrolle in den Programmen und bei der Vergabe der Kompositionsaufträge. Bis heute ist das Orchester ein Stützpfeiler dieses maßstabsetzenden Festivals, und dort fanden sich auch immer wieder Foren, diese hehre Institution neu zu definieren, zu diskutieren oder in Frage zu stellen. Dem Auftraggeber – dem renommierten Festival, vertreten durch den künstlerischen Leiter Otto Tomek – muss klar gewesen sein, dass von Kagel kein «normales» Orchesterstück zu erwarten war. Tomeks Ankündigung einer Diskussion zum Thema «Sinfonieorchester in verwandelter Welt» für die Festivalausgabe 1971 hatte Kagels Fantasie entfacht: 3
4
5
«Ei n
S tüc k
jener
fü r z w e i
O rc h este r- M än n e r,
S tr aSSe n mus i kante n
und
d i e nac h dem
M usi k- C low ns
m it
M odell
F üSSe n,
K n i e n, E lle n boge n, U nte r ar me n, H an dgele n ke n, H än de n, N ac ke n, K o pf, M u n d
u n d womö gli c h au c h dem
e i n e e ntspr ec h e n de
A nz ah l
U nte r le i b
vo n I nstrume nte n au f
e i n mal zu bed i e n e n ve r mö ge n .»
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Dabei griff Kagel offenbar eine bereits länger schwelende Idee auf. Der Arbeitstitel «Orchestrion», den Tomek erwähnt und der auch Kagels «Erste Aufzeichnungen!» überschreibt (Abb. 2, S. 12), stellte noch die Automatisierung als Menetekel für den Untergang des Orchesters heraus. Diese Assoziation wurde bald nicht mehr explizit benannt, doch blieb sie dem Zwei-MannOrchester eingeschrieben, zum Wohle der thematischen Vielschichtigkeit. Kagel spezifizierte allerdings zu einem späteren Zeitpunkt, dass angesichts der inzwischen zur Normalität gewordenen Elektrifizierung der Musik in Tonstudios und mittels LiveElektronik «radikale Maßnahmen» an der Zeit wären: 7
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8
«Die
K o nstruk ti o n
e i n e r r egelr ec hte n
al s u nselbstän d i ges
O rc h este r ma sc h i n e
A utomato ph o n
sc h i e n e n dli c h
an ge br ac ht: stat t et wa 80 wär e n n u r z w e i n ot w e n d i g.
W elc h
uto pisc h e r
n euge wo n n e n e n
M it tel
Z ustan d! ( U n d
kö n nte da s
ge br auc h e n! ) »
M usi ke r
w i e vi ele de r
F e r nse h e n
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In der Klammer wird die provokante Stoßrichtung dieser Aussage vor dem Donaueschinger Musikpublikum deutlich. Die hehre Institution des groß besetzten klassischen Orchesters sollte nun von zwei einzelnen Figuren, die ihre Herkunft aus der Gauklerund Straßenmusikersphäre nicht verleugnen können, bloß- und in Frage gestellt werden. Und deren Griff nach abgelegten, verstaubten, defekten oder unvollständigen Instrumenten gab der allgemeinen Vorstellung vom hohen Stellenwert des Instrumentariums den Rest. Kagels zweijährige Beschäftigung mit der Thematik schlug sich am Ende auch in einer genaueren Formulierung nieder: Das Zwei-Mann-Orchester konnte nicht mehr als Orchestrion oder Automatophon gelten, allenfalls als ein «unselbständiges». Und dieses Oxymoron ist durchaus programmatisch zu verstehen, denn dass hier zwei Spieler eingebaut werden, bedeutet auch von der Sache her zweierlei: einerseits einen Angriff auf den hierarchisch angelegten, gesellschaftlich und ökonomisch zur Diskussion gestellten Orchester-Großapparat, und andererseits eine Fortsetzung von Kagels unaufhörlicher kompositorischer Erforschung des «musikalischen Machens», des Instrumentalspiels und seiner psychophysischen Bedingungen. «Im Verlauf der Proben wurde erst in erschreckender Weise deutlich, wie abnorm und zugleich vertraut ein Mensch wirken kann, der musikalische Fließband-Aktionen darzustellen hat.» Diese Aussage Kagels korreliert mit Karlheinz Stockhausens konkret arbeitsbezogenem Verdikt über die Orchestermusiker in seinem Redebeitrag zur Donaueschinger Diskussion über das «Sinfonieorchester in verwandelter Welt»:
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«De r
O rc h este r mus i ke r,
ist n i c ht me h r au f dem
de n i c h ke n n e n gele r nt habe,
L au fe n de n
wa s se i n e
F ac h ke n ntn isse
betr i ff t; e r ist au c h psyc h isc h u n d seelisc h n i c ht me h r vo r be r e itet fü r da s
M us i ke r da se i n . E r
F abr i kar be ite r . G anz Uh r
ar be itet, u n d w e i l e r im de r
K ü nstle r
ist im w ese ntli c h e n e i n
e i n fac h, w e i l e r nac h de r
R outi n ed i e nst
abge n ütz t ist –
i n j edem e i nzeln e n ist se h r frü h
frustr i e rt wo r de n .»
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Solcherlei Themen besaßen natürlich in jener Zeit, die zweifellos noch mit dem Label «1968 und die Folgen» gekennzeichnet werden kann, höchste Aktualität. Und das Zwei-Mann-Orchester bot handgreifliches Anschauungsmaterial mit der zweischneidigen Situation der beiden Spieler: bewundernswert ob ihrer Mannigfaltigkeit, zugleich bedauernswert ob ihrer quasi gefesselten, unentrinnbaren Position. Die im Zwei-Mann-Orchester Skulptur gewordene Orchester- und Instrumentenfrage erweitert sich mit den Spielern ins Menschliche, auf die nach Funktion und Rolle der Instrumentalisten in einem solchen Klangapparat. Dieses Thema interessierte Kagel nicht erst angesichts der damals unumgänglichen Fragen nach latent repressiven, antidemokratischen, gar faschistoiden gesellschaftlichen Strukturen und ihren Abbildern in vermeintlich unpolitischen Institutionen. Es war ihm seit längerem ein Antrieb zur kompositorischen Forschung und hatte ihn bereits zu einigen experimentellen musikalischen Szenarien geführt, die heute allgemein unter dem Begriff des Instrumentalen Theaters subsumiert werden.
Gleich zu Beginn des Partiturvorworts setzt Kagel mit diesem Satz einen klaren thematischen Schwerpunkt: Die Komposition hat nicht die Spieler zum Thema, sondern ungewöhnlich zu bedienende Klangerzeuger. Die Verwendung des Begriffs «Klangerzeuger» ordnet das Zwei-Mann-Orchester jener zwischen 1968 und 1973 entstandenen Gruppe von Werken zu, in der sich Kagel intensiv mit dem Klang und dem Instrumentarium auseinandersetzte. Acustica für experimentelle Klangerzeuger und Lautsprecher (1968–70), ein Hauptwerk dieser Gruppe, trägt den erweiterten Instrumentenbegriff, der konventionelle und ungewöhnliche Instrumente gleichermaßen umfasst, erstmals explizit im Untertitel. Natürlich ist die Beschäftigung mit dem Instrumentarium auf den ersten Blick nichts Besonderes, besteht doch das Metier des Komponisten sachbedingt aus der Organisation von Klängen in musikalischen Kunstwerken. Daher gehört das Handwerk der Instrumentation zu den Grundlagen der kompositorischen Arbeit, so wie
12
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Instrument, Maschine und Klangskulptur
« D i ese
K om p ositi o n
fe r n gele n k te n
hat zum
T h ema
K lan ge r zeuge r n
die
D arstellu n g
alle r
A rt,
vo n
w elc h e
hau p tsäc h li c h man uell ode r halbmec han isc h, selte n elek tr isc h an getr i e be n w e r de n .»
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3 Abbildung von Widmung und Hinweis S. 13 nach der Partiturreinschrift
(Gemeentemuseum Den Haag); abgedruckt in der Druckausgabe (siehe Anm. 1) nach der Titelseite. 4 Vgl. Josef Häusler, Spiegel der Neuen Musik: Donaueschingen. Chronik – Tendenzen – Werkbesprechungen, Kassel: Bärenreiter und Stuttgart/Weimar: Metzler 1996, Kapitel «Neubeginn 1950», S. 131– 41. 5 Einen Rückblick auf dieses Thema in Donaueschingen bietet Armin Köhler, «Frischmilch oder H-Milch? Das Orchester. Bestandsaufnahme einer Mutation aus der Perspektive eines Festivalmachers», in: Programmbuch Donaueschinger Musiktage 16.–18.10.2009, Saarbrücken: Pfau 2009, S. 6–31. 6 Brief von Mauricio Kagel an Otto Tomek, 18. Februar 1971, zitiert nach: Otto Tomek, «Ein Brief», in: Kagel ..../1991, hrsg. von Werner Klüppelholz, Köln: DuMont 1991, S. 84–90, hier S. 87. 7 Laut Theodor Ross hatte Kagel das Thema des Ein-Mann-Orchesters bereits länger mit sich herumgetragen (Gespräch mit Matthias Kassel, 29. Januar 2010, Köln). 8 Otto Tomek, «Ein Brief» (siehe Anm. 6), S. 88. 9 Mauricio Kagel, «Zwei-Mann-Orchester» [Werkeinführung] (siehe Anm. 2), S. 12; in diesem Band S. 107. 10 Ebd., S. 13; in diesem Band S. 108. 11 Karlheinz Stockhausen in der Diskussionsrunde «Sinfonieorchester in verwan delter Welt», Donaueschinger Musiktage, 17. Oktober 1971, zitiert nach Armin Köhler, «Frischmilch oder H-Milch?» (siehe Anm. 5), S. 23. 12 Vgl. hierzu auch den Beitrag von Michael Kunkel, «À la recherche des joueurs perdus», in diesem Band S. 31– 40. 13 Vgl. den Abschnitt zum Instrumentalen Theater, in diesem Band S. 74 –78. 14 Mauricio Kagel, Zwei-Mann-Orchester, «Einleitung» (siehe Anm. 1), S. I; in diesem Band S. 103.
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im Fall des bildenden Künstlers der Umgang mit Pinsel und Palette. Dennoch bilden Kagels Stücke aus dieser Phase weit mehr ab als nur die Selbstvergewisserung von Instrumentationstechnik. Sie durchdringen deren Voraussetzungen, sezieren den gewohnten Rahmen der bekannten Instrumentenkultur und führen über eine künstlerische Reorganisation ihrer Bestandteile in neue Musikwelten. Die Vorgehensweise und die erzielten Ergebnisse sind im besten Sinne unkonventionell. Sie verlangen den ausübenden Spielern wie auch dem Publikum einiges an Bereitschaft ab, die gewohnten eingespielten Bahnen der Musik- und Konzertwelt zu verlassen. Im Vorwort zur Partitur von Acustica schrieb Kagel: « D i e klar e n
G r e nze n
de r I nstrume nte n ku n de dü r f te n h i e r
alle r d i n gs e i n w e n i g ve rw isc ht se i n . ‹e xpe r ime ntelle d i e nt al s
K lan ge r zeuge r›
H i n w e is,
unorthodoxer
daSS d i e
M usiker
i h r es
im
D i e B eze i c h n u n g
U nte rtitel
B esetzu n g
des
des
S tüc kes
bedarf, die bereit sind, die
H an dw e r ks
zu e rw e ite r n .»
W e r kes
G renzen
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Dieser Hinweis ist auch dem Publikum ans Herz zu legen, das bereit sein muss, die traditionell geschulte Hör- und Seherwartung abzulegen und sich auf Unbekanntes einzulassen. Zum engeren Kern dieser auf das Instrumentarium ausgerichteten Werkgruppe zählen, neben den bereits erwähnten Acustica und Zwei-Mann-Orchester, Der Schall für fünf Spieler (1968), Unter Strom für drei Spieler (1969), die Teile Repertoire und Spielplan aus Staatstheater (1967–70) sowie Exotica für außereuropäische Instrumente mit sechs Ausführenden (1971–72). Bei allen Unterschieden, die diese Stücke zweifellos ausprägen, sind ihnen zwei Dinge grundsätzlich gemeinsam: Erstens basieren sie alle auf einer individuellen Sammlung von Klangerzeugern, die für Aufführungen jeweils neu zusammengestellt werden muss, und zweitens werden die ausführenden Spieler verschiedenen Graden der Neutralisierung unterworfen, in gewisser Weise in den Hintergrund geschoben. Letzteres geschieht, indem ihre Funktion als Musikmachende zwar thematisiert, 16
16
aber theatralisch nicht entwickelt, sondern im Gegenteil entpsychologisiert und auf ebendieses rein funktionale Machen beschränkt wird. So hebt sich diese Werkgruppe deutlich vom bekannten Instrumentalen Theater Kagels ab, in dem die Gesten und Verhaltensweisen der Spieler im Allgemeinen mitgestaltet werden. Hier werden sie dagegen funktionalisiert und, wie es scheint, zugunsten der Instrumente und Klangerzeuger marginalisiert, so dass sich das Instrumentale Theater, eines wesentlichen theatralischen Faktors beraubt, zu einem Instrumententheater wandelt. Die von Kagel geforderten «Buster-KeatonGesichter aller Mitwirkenden» werden zur Voraussetzung eines solchen Instrumententheaters, denn Ziel des Komponisten ist jenes «Fluidum», das entsteht, «wenn fünf Leute im Abstand von zwei oder drei Metern wie Salzsäulen Musik machen […]. Jedes Lächeln oder eine sonst sichtbare Reaktion im Gesicht schwächt die Aufführung der Musik.» So ist die Haltung der Musiker «zugleich eine eminent musikalische und eine immanent theatralische – ästhetisch für mich die ideale Balance». Als Gegenbewegung zur De-Theatralisierung der Spieler entfaltet sich die visuelle Wirkung der Klangerzeuger: Ihre Bühnenpräsenz breitet sich in das entstandene theatralische Vakuum hinein aus. Dies wird durch die zuweilen skurrile, irritierende oder gar bedauernswerte Erscheinung des Instrumentariums sehr gefördert. Die erforderlichen reichhaltigen Sammlungen von Instrumenten, seien es fremdländische in Exotica, selbstge17
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15 Mauricio Kagel, Acustica für experimentelle Klangerzeuger und Lautsprecher,
London: Universal Edition [1989], «Einführung», S. I (UE 18429).
16 Informationen zu diesen Stücken finden sich bei Dieter Schnebel, Mauricio
Kagel. Musik, Theater, Film, Köln: DuMont Schauberg 1970, S. 242–55, und bei Werner Klüppelholz, Mauricio Kagel 1970–1980, Köln: DuMont 1981, S. 21–24, 30–42, 69–72 und 105–07. 17 Vgl. Matthias Kassel, «Sammler-Stücke, Klang-Objekte. Zu Mauricio Kagels Werken mit experimentellen Klangerzeugern», in: Aufgehobene Erschöpfung – Der Komponist Mauricio Kagel, hrsg. von Hans-Klaus Jungheinrich, Mainz: Schott Music 2009, S. 158–71; Matthias Rebstock, Komposition zwischen Musik und Theater. Das instrumentale Theater von Mauricio Kagel zwischen 1959 und 1965, Hofheim: Wolke 2007, insbesondere S. 195–98. 18 Dieses und die folgenden Zitate aus Mauricio Kagel, Dialoge, Monologe, hrsg. von Werner Klüppelholz, Köln: DuMont 2001, S. 210–11; vgl. hierzu auch den Beitrag von Michael Kunkel, «À la recherche des joueurs perdus», in diesem Band S. 31–40.
Abb. 3 Mauricio Kagel, Acustica (1968–70), «Nomenklatur» mit Handzeichnungen der Instrumente, S. 1–2 (Sammlung Mauricio Kagel, Paul Sacher Stiftung).
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Abb. 4 Das Zwei-Mann-Orchester in Donaueschingen vor der Uraufführung, 20. Oktober 1973 (Foto: Zoltan Nagy).
bastelte in Acustica, elektrifizierte in Unter Strom oder eben in ein monumentales Maschinengebilde integrierte wie im ZweiMann-Orchester, formen Kontexte, in denen selbst die Existenz einer Trompete oder einer Gitarre prekär wird und einer neuen Vergewisserung bedarf. Diese Kontexte folgen zwar je unterschiedlichen Regeln, doch beruhen sie stets auf der Ausbreitung einer stattlichen Menge von Klangerzeugern, deren Zusammenstellung in jedem Stück andere Probleme aufwirft. Der Schall erfordert ein genau vorgeschriebenes Gemisch aus herkömmlichen und exotischen Instrumenten sowie experimentellen Eigenbauten, das große Herausforderungen bereithält. Für Acustica (Abb. 3, S. 17) sowie die beiden Staatstheater-Teile Repertoire und Spielplan sind aufwendige Materialbeschaffungen und Bastelarbeiten nötig, die auch nichtklingende Requisiten umfassen. Dies ist bei Unter Strom ähnlich, doch zusätzlich verschärft durch die weitgehende Elektrifizierung der Instrumente. Eine gewisse Erleichterung bietet Exotica, da nicht exakt festgelegt ist, welche Instrumente jeder Spieler zu spielen hat, wenn es nur für jeden mindestens zehn «exotische», d. h. im Fall mittel19
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europäischer Aufführungen zumeist sogenannte außereuropäische Instrumente sind (vgl. Abb. 17, S. 42). Außer Schlagzeugern, die auf diesem Gebiet normalerweise eine gute Basisausstattung besitzen, dürften wenige Musiker über solche Arsenale verfügen. Und sie müssten sie zudem anderen zur Verfügung stellen, denn jeder soll in dem Stück Instrumente spielen, die er gerade nicht beherrscht. Das Zwei-Mann-Orchester schließlich ist an erforderlichem Vorbereitungsaufwand kaum mehr zu überbieten: Nicht nur sollen es so viele Instrumente wie irgend möglich sein, sie müssen auch zu einem funktionsfähigen mechanischen Gebilde zusammengebaut werden, das die Größe eines Tiefladers annimmt (Abb. 4, oben). 19 Zu den notwendigen Instrumentenrecherchen bei der Vorbereitung der Wiederaufführung von Der Schall 2007 in Basel vgl. Martina Papiros Bericht «Zwischen Notruf und Wissenschaft. Das Instrumentarium aus Der Schall», in: Der Schall. Mauricio Kagels Instrumentarium, hrsg. von Michael Kunkel und Martina Papiro, Saarbrücken: Pfau 2009, S. 63–88, sowie ihr anschlie ßendes «Inventar des Instrumentariums zu Der Schall in der Sammlung Mauricio Kagel, Historisches Museum Basel, Depositum der Paul Sacher Stiftung, Basel», in: ebd., S. 89–100.
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Eine große Herausforderung des Zwei-Mann-Orchesters ist die Idee einer möglichst umfangreichen Sammlung von Instrumenten, die hier ihren Höhepunkt erreicht, jedoch auch die anderen Werke des Instrumententheaters prägt. Sicherlich ist die Quantität in diesem Fall dem Thema Orchester geschuldet, das unter einer gewissen Größenordnung nicht zu haben ist. Die Orchestergröße wird zum Maßstab genommen und zwei Schulterpaaren aufgebürdet – eine ungleichmäßige Verteilung, deren Widersprüchlichkeit einen wesentlichen Teil des ästhetischen Eindrucks des Werkes ausmacht. Doch die Sammlungsgröße bedingt noch mehr. Zum einen scheint sie in ganz pragmatischer Weise die Spieler-Werk-Identifikation zu fördern, indem sich der vorbereitende Aufwand, die Klangerzeuger zu beschaffen, zum Akt der «Selbsterforschung» der Spieler auswächst. Zum anderen steigert gerade die Anhäufung einer enormen Menge von unterschiedlichen Elementen die Faszinationskraft der Schau. Dieses Quantitätserlebnis kommt beispielsweise im Begriff der Wunderkammer noch direkt zum Ausdruck – eine Einrichtung, die auf Kagel einen gewissen Reiz ausgeübt hat, wie die in Anspielung auf übliche Kammerabteilungen gebildeten Werktitel Acustica und Exotica belegen. In Musik gesetzt, d. h. kompositorisch gestaltet, übersteigt die Wirkungskraft der dargebotenen Sammlung jede starre Präsentation noch um einiges. Denn der zeitliche Ablauf macht es möglich, die Verweildauer bei den einzelnen Objekten zu gliedern und zu steuern, so dass jedem Element nicht nur klanglich, sondern auch visuell ein genau austarierter Entfaltungsraum verschafft wird. Die offene Auslegeordnung bei Der Schall oder Acustica, insbesondere aber der von Kagel geforderte dichte und zugleich durchsichtige Aufbau des Zwei-Mann-Orchesters erweist sich, so gesehen, als funktional: In der einen Situation ist es das Aufnehmen des Objekts, die Vorbereitung der Spielaktion, ihre Durchführung und klangliche Realisierung sowie das Wiederablegen, das einen abgeschlossenen Vorgang formt und das visuelle Erlebnis im Vergleich zur zentralen akustischen Einheit um einiges ausdehnt; in der anderen Situation ist es die Transparenz, die den optischen Nachvollzug eines möglicherweise über mehrere Meter gezogenen Spielvorgangs erst ermöglicht. 21
Die Verwendung gebrauchter und abgelegter Instrumente zielt antithetisch auf das elitäre, hochpreisige und damit nur ausgewählten gesellschaftlichen Schichten zugängliche Instrumentarium. Aber desolate Instrumente zu verwenden hält nicht nur dem oberflächenorientierten Markenglauben den Spiegel vor, sondern stellt die Frage nach dem musikalischen Instrument als solchem: Nicht das angebrachte Etikett, sondern Kontext und Handhabung bestimmen nun wesentlich die Kriterien seines Erscheinens. Dies gilt auch für die anderen Werke des Instrumententheaters. Je nach Kontext erfahren selbst die rätselhaftesten Klangerzeuger, sofern sie nicht veralbert, sondern gleichberechtigt neben anerkannten Instrumenten eingesetzt werden, eine neu bestimmte Wertschätzung, die jede vermeintlich unabdingbare Güteklasse relativiert.
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20 Mauricio Kagel, Zwei-Mann-Orchester, «Einleitung» (siehe Anm. 1), S. III;
in diesem Band S. 103.
21 Vgl. Martina Papiro, «Zwischen Notruf und Wissenschaft. Das Instrumentarium
aus Der Schall» (siehe Anm. 19), S. 88. 22 Vgl. Matthias Kassel, «Theatrum compositorum. Mauricio Kagels Materialsamm-
lungen», in: Der Schall. Mauricio Kagels Instrumentarium (siehe Anm. 19), S. 29–39. 23 Mauricio Kagel, Zwei-Mann-Orchester, «Einleitung» (siehe Anm. 1), S. I; in diesem Band S. 103.
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Abb. 5 Ursula Burghardt, Zeichnung zum Zwei-Mann-Orchester (1971), ÂŤMetallseiteÂť, Bleistift (radiert) und schwarzer Filzstift auf Papier, mit Signatur in schwarzer Tinte, ca. 29,8 x 40 cm (Gemeentemuseum Den Haag).
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