HimmelstĂźr
Das Hauptportal des Basler MĂźnsters
Das Basler Mßnster ist einer der bedeutendsten mittelalterlichen Sakralbauten am Oberrhein und in der heutigen Schweiz. Seine Doppelturmfassade mit dem markanten Portalvorbau gehÜrt zu den Wahrzeichen der Stadt. Darßber geht beinahe vergessen, dass das Hauptportal nicht immer die heutige Gestalt besass. Als es 1270/85 errichtet wurde, stand es im Inneren einer grossen Vorhalle, aus der erst der Zutritt in die eigentliche Kirche erfolgte. Und es erstrahlte mit seinen zahlreichen Skulpturen in bunter Farbigkeit. Nach dem grossen Erdbeben von 1356 wurde es im Zuge des Wiederaufbaus des Mßnsters um 1410/20 an den heutigen Standort versetzt. Eine weitere Zäsur in seiner Geschichte stellt der Glaubenswechsel Basels von 1529 dar, mit dem das Portal nochmals ein neues Erscheinungsbild erhielt.
Elf Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz stellen im vorliegenden
Buch die komplexe Geschichte des Mßnster-Hauptportals in vielfältigen Aspekten dar. Auf sein Bildprogramm seine Bewertung in der Forschung und das historische Umfeld, in dem es entstand. Auch die mittelalterliche Symbolik und Nutzung des repräsentativsten Mßnsterzugangs kommen zur Sprache, und es wird gezeigt, welche Einflßsse darin aufgegriffen wurden und wie umgekehrt das Portal und seine Skulpturen in andere Bauten nachwirkten. In diesem Zusammenhang wird auch der sogenannte Erminoldmeister, der von der franzÜsischen Skulptur beeinflusste Bildhauer des Hauptportals, mit seinen weiteren Werken in Konstanz und Regensburg vorgestellt. Eines wird aufgrund dieser Publikation deutlich: Dem Hauptportal des Basler Mßnsters, das auch im Rahmen der Parler-Architektur zu verstehen ist, kommt ßberregionale Bedeutung zu.
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Schwabe Verlag Basel www.schwabe.ch
das hauptportal des basler mĂźnsters
wird ebenso eingegangen wie auf die bauliche Entwicklung, die Farbgebung, die kommende Restaurierung,
Schwabe
Himmelstür Das Hauptportal des Basler Münsters
Herausgeber Hans-Rudolf Meier Dorothea Schwinn Schürmann Im Auftrag der Basler Münsterbaukommission
Himmelstür Das Hauptportal des Basler Münsters Beiträge Regine Abegg Marco Bernasconi Bruno Boerner Lucas Burkart Bianca Burkhardt Andreas Hindemann Achim Hubel Lukas Kundert Hans-Rudolf Meier Marc Carel Schurr Dorothea Schwinn Schürmann
Schwabe Verlag Basel
Impressum Diese Publikation wurde durch eine Zuwendung des Vereins Freunde der Basler Münsterbauhütte und durch einen Beitrag aus dem Legat Andreas Theodor Beck ermöglicht. Gedruckt mit Unterstützung der Berta Hess-Cohn Stiftung, Basel. Erschienen zur gleichnamigen Ausstellung im Museum Kleines Klingental, Basel, 22. Oktober 2011 – 22. April 2012. Die Ausstellung wurde finanziert mit Beiträgen aus dem Swisslos-Fonds Basel-Stadt, der Willy A. und Hedwig Bachofen-Henn Stiftung Basel, der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft Basel, der GGG Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige Basel, der L. & Th. La Roche-Stiftung Basel, der Claire SturzeneggerJeanfavre Stiftung Basel und der Jacqueline Spengler Stiftung Basel.
© 2011 Schwabe AG, Verlag, Basel Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder elektronisch verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Redaktion, Lektorat, Korrektorat Dorothea Schwinn Schürmann, Hans-Rudolf Meier Lektorat, Korrektorat Marianne Wackernagel, Schwabe Gestaltung und Satz Focus Grafik, Karin Rütsche, Basel Schriften Stone Sans, Univers Papier Profibulk, 150 gm2, Popset, 170 gm2 Gesamtherstellung Schwabe AG, Druckerei, Muttenz/Basel Printed in Switzerland ISBN 978-3-7965-2762-3 www.schwabe.ch
Bild Cover Drei Engel aus den Archivolten des Münster-Hauptportals (um 1270/85), umgeben von Heckenrosen, Pfingstrosen und Weinreben. Bild Umschlag Rückseite Rekonstruktion der ursprünglichen gotischen Münster-Vorhalle mit dem Hauptportal und dem Statuenzyklus (Zustand um 1270/85). Grafik: Marco Bernasconi und Serafin Pazdera, Basel.
Inhaltsverzeichnis Zum Geleit Lukas Kundert 8 Vorwort Andreas Hindemann
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Einführung: Ein Portal, zwei oder drei Portale 14 Einleitung Hans-Rudolf Meier, Dorothea Schwinn Schürmann 16 Befund und historischer Kontext 26 Beschreibung des heutigen Portals und seiner Vorgänger Dorothea Schwinn Schürmann 28 Restaurierungs-, Forschungs- und Bildgeschichte des Hauptportals Dorothea Schwinn Schürmann 34
Die bevorstehende Restaurierung des Hauptportals Andreas Hindemann 46 Die Farbgebung des Hauptportals Bianca Burkhardt 52 Blick auf die Grabungen im Bereich des Hauptportals Marco Bernasconi 62 Das Basler Münster im Spätmittelalter. Sakrales Zentrum zwischen europäischer Politik, bischöflicher Herrschaft und politischer Symbolik Lucas Burkart 70
Baugeschichte und Bauform 82 Die ehemalige Portalvorhalle und das heutige Portal. Bauliche Veränderungen Hans-Rudolf Meier 84 Das Hauptportal des Basler Münsters – ein Meisterwerk der gotischen Architektur? Marc Carel Schurr 96
Bildprogramm und Stil 106
Ikonografie und Deutung des Portalprogramms Bruno Boerner 108 Das Hauptportal – zwei Meister, zwei Stile und die Frage nach den Werkstätten Achim Hubel 120
Symbolik und Funktion 152 Symbolik und Nutzung des Hauptportals im Mittelalter und in der Neuzeit Regine Abegg 154
Anhang 166
Literaturverzeichnis 168 Abbildungsnachweis 174 Register 175 Die Autorinnen und Autoren 179 Falttafeln 1–3
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Zum Geleit Lukas Kundert
Die alten Baumeister haben den Grundriss des Münsters als Kreuz gestaltet und damit der Stadt Basel ein kräftiges Zeichen eingeprägt; sie setzten der Stadt an ihrem höchsten Punkt ein Mal in Kreuzform auf und sagten damit nicht nur, dass diese Stadt eine christliche Stadt sei, sondern auch, dass, wer diese Kirche betritt, hineingenommen werde in die Erlösung, die vom Kreuz Christi ausgeht, und somit Anteil habe an einer Welt, die Freude verspricht gegen alle Mühe und Not des Diesseits (Abb. 19, S. 33). Die heutige Basler Stadtkirche ist ursprünglich als Sitz eines Bischofs und des Domkapitels erbaut worden und strahlt die damit verbundene Würde bis in unsere Zeit hinein aus (Abb. 2, S. 10). Dennoch hat sich die Zweckbestimmung des Münsters über die Jahrhunderte hinweg mehrmals verändert. Nach altem Kirchenverständnis galt sein Innenraum als «heiliger Ort»; wer ihn betrat, betrat ein Abbild des Himmels. Bis 1455 war das Münster ein Ort des Gebets mit Dutzenden von Altären, in dem wohl nur vereinzelt auch gepredigt wurde. Dann wurde es offizieller Basler Predigtort und bot so fünf Jahre später, im Jahr 1460, als Stadtkirche den würdigen Rahmen für die Gründung der Alma Mater Basiliensis durch die obersten Repräsentanten von Klerus und Politik. Erst die Neugestaltung des Innenraums in den Jahren 1852 bis 1857 – der 1381 eingefügte Lettner wurde zurückgebaut und fand eine neue Verwendung als Orgelempore – machte die gesamte ehemalige Bischofskirche zur Kirche für das Volk (Abb. 24, S. 41). Im 20. Jahrhundert wurde das Münster zudem zu einer gefragten Konzertkirche und einem Magnet für eine wachsende Zahl touristisch und baugeschichtlich interessierter Besucherinnen und Besucher. Wie die vorliegende Publikation aufzeigt, präsentiert sich das Hauptportal dieser Kirche nicht mehr in seinem ursprünglichen Zustand (Abb. 1, S. 9). Verschiedene Bauphasen vor und nach dem Erdbeben von 1356 haben Veränderungen am Bau und an seiner bildhauerischen Substanz zur Folge gehabt. Hat der Eingangsbereich damit auch seine Botschaft verändert? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns zuerst diejenige nach der ursprünglichen Bedeutung stellen. Das Portal einer mittelalterlichen Kathedrale war nichts anderes als der Eingang zum «Himmlischen Jerusalem», in eine sich vom Himmel auf die Erde niederlassende Stadt, in der es keinen Tempel gibt, weil Gott direkt bei den Menschen wohnt. Diese endzeitliche Friedensstadt findet ihr Bild bereits auf der Erde, im Kirchenraum. Im Lichte dieser Botschaft hat auch die Vorhalle, die um 1270/85 mit dem ersten gotischen Hauptportal geschaffen und im Mittelalter als «Paradies» bezeichnet wurde, eine klar definierte Funktion: In ihr sammeln sich die Gläubigen, die mit dem Schritt über die erste Schwelle zwischen
9 Münsterplatz und Kirchenraum den Kräften den Rücken zukehren, die sie an die Vergänglichkeiten des Irdischen zu binden versuchen. Sie treten ein in das Haus des Gebets, in dem sie sich mit Gott vereinen können und Lösung von den Mächten erfahren dürfen, die fordern und drücken. Da stellt sich nun die Frage: Hat diese Vorhalle, als sie um 1410/20 in den Kirchenraum – also in den Himmel – eingegliedert worden ist, mit der Form auch ihre Funktion oder ihre Aussage geändert? Aus theologischer Sicht gibt es keine gewissen Antworten darauf: Die Zeit um 1420 war eine Reformzeit. Diese Zeit verbindet sich mit den Namen von John Wyclif, Jan Hus und Hieronymus von Prag und mit der böhmischen Reformbewegung, und sie bereitete das (Reform-)Konzil von Basel (1431–1449) vor. Wyclif und Hus vertraten ekklesiologische Überzeugungen, wie sie damals im Schwange waren und gerne aufgenommen wurden: Ihre Vorstellung von der Kirche als der Gemeinschaft der Prädestinierten wertete die Rolle der Hierarchie ab und die des Kirchenvolks auf. Im Raum nördlich der Alpen kam ein Selbstbewusstsein und Überlegenheitsgefühl der frommen Bürger der Geistlichkeit gegenüber zum Ausdruck. Ist es in diesem Zusammenhang zu verstehen, dass der «Basler Himmel» ab 1410/20 keines gesonderten «kirchlichen» Vorhofs mehr bedurfte, sondern Paradies überall dort möglich war, wo sich
die Prädestinierten aufhielten, also auch der gesamte Platz vor dem Münster quasi zum Paradies werden konnte? Damit einhergehend musste freilich die Praxis der Bestrafungen und Bussen aus diesem Vorhof auf den Münsterplatz verlegt werden und damit tendenziell aus der Macht der Kirche in die Kontrolle der Stadt übergehen. Das entspricht in dieser Zeit dem Interesse der Stadt, Kontrolle über die kirchlichen Einrichtungen zu erlangen. Nur wenige Jahre darauf ist schliesslich mit dem Fortleben des Konzils in Basel der Gedanke einer Christenheit ohne menschlich-hierarchisches Haupt politisch eingeübt worden. Denn die einflussreichen Vertretungen von Aragón-Sizilien und von den deutschen Kurfürsten blieben in Basel versammelt und wählten hier den letzten Gegenpapst der Geschichte, Felix V. Ich freue mich, in diesem Band mehr über die offenen und verborgenen Botschaften und Geheimnisse des alten und kunstvoll gestalteten Eingangstores zum Münster zu erfahren. Auch in meiner Eigenschaft als Kirchenratspräsident der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Basel-Stadt danke ich Initianten, Herausgeber/in, Autorinnen und Autoren für die grosse und sorgfältige Arbeit, die sie in diese Publikation investiert haben. Wir alle – die Münstergemeinde, die Evangelisch-reformierte Kirche und der Kanton Basel-Stadt – sind ihnen zu grossem Dank verpflichtet.
Abb. 1 Das Hauptportal des Basler Münsters, um 1270/85 und um 1410/20.
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vorwort Andreas Hindemann
11 Eine Publikation zum Hauptportal des Basler Münsters: Die Idee zu diesem Buch kam auf, nachdem ich Ende 2008 zum Münsterbaumeister gewählt worden war und damit begonnen hatte, mich in die Geschichte des Basler Münsters einzulesen. Die bauliche Entwicklung der Situation am Hauptportal erregte sogleich mein Interesse: ich war fasziniert vom Wandel, der in diesem Bereich erfolgt ist. Die letzte umfassende Publikation der Baugeschichte des Basler Münsters stammt noch aus dem Jahr 1895.1 Deshalb schien es mir lohnenswert, die Portalzone wissenschaftlich neu aufarbeiten zu lassen. Es sollte ein Dokument über das Hauptportal des Basler Münsters entstehen, welches die in der Zwischenzeit erschienenen Publikationen über Teilaspekte des Münsters ergänzt sowie die Reihe der im Schwabe Verlag erschienen Bücher «Schwelle zum Paradies. Die Galluspforte des Basler Münsters» (2002) und den allgemeinen Bildband «Das Basler Münster» (2006) weiterführt.2 Bereits bei einem forschenden Blick auf die heutige Westfassade des Basler Münsters (Abb. 2, S. 10) begegnet uns der Variantenreichtum unterschiedlicher Architektur, Ornamentik und skulptura ler Ausstattung. Es sind beispielsweise nicht nur die Turmhelme von verschiedener Gestalt, auch die Oktogone könnten unterschiedlicher nicht sein. So schuf der Baumeister Ulrich von Ensingen mit der Fertigstellung des Georgsturmes 1428 oberhalb der Turmwächterstube einen eingeschossigen Übergang zum Turmhelm, den er in den Ecken mit vermutlich für Figuren vorgesehenen säulengestützten Baldachinen umgab. Meister Hans Nussdorf hingegen, der in den Jahren 1488 bis 1500 den Martinsturm vollendete, rückte nicht nur den Treppenturm in die Hauptansicht, er entwickelte sein Oktogon auch über zwei Geschosse. Damit gelang es ihm, einen harmonischen und majestätisch wirkenden Übergang vom Turmschaft bis hin in die Turmspitze zu realisieren. Zudem verschob Nussdorf zur Optimierung seines Entwurfs die Turmachse über der Turmgalerie 15 Zentimeter nach Süden. Er verzichtete hingegen, bis auf einige Wasserspeier beim Ansatz des Turmhelmes, auf figürlichen Schmuck an den Turmfassaden und überliess diese Akzente dem rund siebzig Jahre älteren Nordturm. Dort sind nicht nur die drei Weisen aus dem Morgenland, sondern auch die vier alttestamentlichen Könige Salomo, David, Hiskia und Josua zu finden. All diese Statuen sind somit auf der linken Seite des Hauptportals, über den Stiftern des frühromanischen Vorgängerbaus von 1019, dem Kaiserpaar Heinrich II. und Kunigunde, angebracht, während rechts allein der Verführer und die Törichte Jungfrau dargestellt sind. Nähern wir uns bei der Betrachtung dem Hauptportal (Abb. 1, S. 9 und Abb. 4, S. 13), dem Ort mit der höchsten Dichte an skulpturalem Schmuck
am Basler Münster: Der Eingang ist bewacht durch die dämonisch wirkenden Wasserspeier an Türmen und Galerien, welche mit ihrem Ausdruck das Böse vom Haus und dessen Zugang fernhalten und den Menschen im Innenraum einen geschützten, reinen Ort bieten sollen. Portale von Sakralbauten sind nicht lediglich Öffnungen in einem Gebäude, welche Zirkulation, Lichteinfall und Durchlüftung ermöglichen. Es sind Pforten mit einer transzendenten Bedeutung, denn sie stellen den Übergang vom irdischen zum himmlischen Leben dar. Daher werden sie auch «Türen des Paradieses» oder «Tore zum Himmlischen Jerusalem» genannt und von Menschen durchschritten, die in 2000 Jahre alter Tradition in den Kirchen ihre Gottesbeziehung leben. Während wir den Innenraum betreten, blicken Figuren aus den Archivolten dieses gotischen Portals, umgeben von Pflanzenornamenten, freudvoll und trostspendend auf uns herab: die Engel, Propheten, Sibyllen, Könige und Abraham mit den Seligen im Schoss (Abb. 3, S. 12). Gefertigt in hervorragender bildhauerischer Handwerkskunst, wirken sie ausdrucksstark, als ob hier der Stein lebendig wäre, und dies von der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts bis heute. Die Forschungsliteratur erläutert uns einerseits die Entstehungsgeschichte des Basler Münsters mit seinen karolingischen und ottonischen Vorgängerbauten bis hin zum staufischen Münster, welches als spätromanische Kathedrale die christliche Baukultur durch fünf Türme in einer sehr imposanten äusseren Erscheinung dargestellt haben muss, und erklärt uns diesen Bau, wie wir ihn heute als Wahrzeichen Basels kennen: als eine noch im Mittelalter gotisch vollendete Kathedrale. Andererseits begegnen wir beim Lesen auch dem Schicksal, welches dieser zum Teil bis zu 1200-jährigen Bausubstanz durch äussere Einwirkungen wie die der Brände von 1185 und 1258, des Erdbebens von 1356 sowie durch den Bildersturm der Reformation von 1529 widerfahren ist. Immer wieder haben Beschädigungen durch Menschenhand oder Naturgewalten Neukonzeptionen hervorgerufen. So wurde durch den nach dem Erdbeben vom 18. Oktober 1356 sofort begonnenen Wiederaufbau nicht nur das Chorpolygon neu geprägt, sondern auch die ehemals im Westen vorhandene Vorhalle aufgehoben. Das Hauptportal wurde am Anfang des 15. Jahrhunderts am damaligen Standort, das heisst in der Ostachse der Turmsockel (wo sich heute die Orgelempore befindet), demontiert und am neuen Bestimmungsort, gut sechs Meter entfernt, als Bestandteil der Westfassade wieder aufgebaut. Später, im Bildersturm der Reformation vom 9. Februar 1529, wurde den Bildhauerarbeiten am Hauptportal erneut irreversibler Schaden zugefügt. Die am Mittelpfeiler stehende Marienfigur – Patronin
n 1 Stehlin/Wackernagel 1895. n 2 Ebenfalls im Schwabe Verlag erschien 2003 eine dem Münsterbaumeister Hans Nussdorf gewidmete Publikation: Doris Huggel/Daniel Grütter, «mit gantzem fliss». Der Werkmeister Hans Nussdorf in Basel, Basel 2003. Abb. 2 Die Westfassade des Basler Münsters mit dem Martinsturm (rechts) und dem Georgsturm (links). In der Mitte unten der vorspringende Portalvorbau mit dem Hauptportal und den beiden schmalen seitlichen Blendportalen. Darüber das grosse Westfenster (um 1280) in beinahe derselben Grösse wie das Hauptportal.
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n 3 Stehlin/Wackernagel 1895, Vorwort (o.S.). n 4 Siehe den Beitrag «Restaurierungs-, Forschungs- und Bildgeschichte» von Dorothea Schwinn Schürmann in diesem Band. n 5 Vgl. dazu meinen Beitrag «Die bevorstehende Restaurierung des Hauptportals» in diesem Band. n 6 Auch der Restaurierung des Fürstenportals des Bamberger Doms in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ging die Publikation von Manfred Schuller, Das Fürstenportal des Bamberger Domes, Bamberg 1993, vorbereitend voraus. Abb. 3 Abraham mit den Seligen im Schoss, Detail aus dem Zenit der Portalarchivolten, um 1270 /85. Abraham ist der Stammvater Israels und tritt in dieser Darstellung als der Vater der im Leben Benachteiligten auf. Unter den vier dargestellten Seligen erscheint der arme, kranke, verachtete Lazarus (aus dem Lukas-Evangelium 16, 19–31), der nach seinem Tod von den Engeln in Abrahams Schoss getragen wurde und nun – als ewige Tröstung für sein schweres Lebensschicksal und zusammen mit weiteren Seligen – die Glückseligkeit des Paradieses geniessen darf. Abb. 4 Blick von Südwesten auf das Hauptportal, in einer sehr frühen Illustration (1828, aquarellierte Federzeichnung) von Johann Jakob Neustück. Die Schrägansicht hebt die Tiefenstaffelung des Haupteingangs hervor und zeigt den Zustand vor dessen Restaurierung 1883, das heisst die barocken Türflügel, die zusätzliche Trumeausäule, den Blendbalken über dem Türsturz sowie – ausser halb des Portals, am Georgsturm – eine der Münsteruhren mit Vordach. Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett, Inv. Bi 262.9.
des Münsters – und vermutlich auch weite Teile des Tympanons wurden zerstört. So sucht der heutige Betrachter nach Erklärungen für die fehlenden Teile am Hauptportal, sei es für die einstige Figur am Türpfeiler oder den Inhalt des Tympanons. Dazu schreibt Carl Burckhardt-Burckhardt als Präsident der Münsterbaukommission im Jahr 1895: «Über das Hauptportal, speziell über das Thympanum desselben hat die Commission wiederholt berathen und auch auswärtige Sachverständige angefragt. Es ist ihr bisher nicht gelungen, eine befriedigende Lösung zu finden, und sie glaubt auch nicht, dass dieses in der nächsten Zeit geschehen werde.»3 Offensichtlich erwog man damals, die Spuren der Zerstörung am Basler Münster eventuell sogar durch eine Rekonstruktion zu kompensieren.4 Um hier gleich Klarheit zu schaffen: Wir sind nicht in Versuchung, das zerstörte Tympanon oder die Marienfigur tatsächlich zu rekonstruieren. Solche Massnahmen wurden im 19. Jahrhundert gemäss der damaligen Auffassung von Renovierung ergriffen und sind beispielsweise von Eugène Viollet-le-Duc mit der Rekonstruktion des Bogenfeldes an der Vorkirche der Sainte-Madeleine in Vézelay 1856 umgesetzt worden. Heute werden solche Rekonstruktionen nur in Ausnahmefällen realisiert, in grösstem Umfang etwa beim Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg 1945 zerstörten Frauenkirche in Dresden. Für solche Rekonstruktionen sind verlässliche Quellen und Dokumente unabdingbar. Unser Auftrag am Basler Münster ist es, die hervorragende historische Substanz christlicher Baukultur zu pflegen und zu bewahren. Die anlässlich der Reformation zerstörten Bereiche am Hauptportal gehören zur Geschichte dieses Sa-
kralbaus und dieser Stadt, weshalb sie auch als Zeugnis der Ereignisse zu erhalten sind. Im Übrigen kann Fehlendes durchaus auch seinen Reiz haben, denn es regt den Betrachter an, eigene Bilder abzurufen, und führt ihn vielleicht gar dazu, Nachforschungen anzustellen und nach analogen Beispielen zu suchen. Mit Hans-Rudolf Meier und Dorothea Schwinn Schürmann sowie weiteren international anerkannten Autoren konnten für dieses Projekt Spezialisten gewonnen werden, die den Bereich des Hauptportals am Basler Münster wissenschaftlich untersuchen und dem interessierten Publikum darlegen, wie sich dieser Bereich baugeschichtlich verändert hat, in welchem internationalen Kontext er steht und wie er ursprünglich aussah. Die Autorinnen und Autoren haben sich im Sommer 2010 mehrmals getroffen und dabei etliche Ansätze sowie erste Forschungsergebnisse diskutiert. Zusätzlich zur Publikation werden die Resultate dieser wissenschaftlichen Arbeit für eine Sonderausstellung im Museum Kleines Klingental in Basel aufbereitet und dort vom 22. Oktober 2011 bis zum 22. April 2012 der Öffentlichkeit präsentiert. Der Zeitpunkt der Herausgabe dieses Buches ist auf das Jubiläum «25 Jahre Basler Münsterbauhütte 2011» hin gewählt und fällt bewusst vor die Restaurierung des Hauptportals, die erst im Jahr 2012 erfolgen wird.5 Mit einem solchen Vorgehen kann eine differenzierte Analyse der bevorstehenden Aufgabe erfolgen, und dank der beteiligten Fachkräfte lassen sich neue Erkenntnisse gewinnen, beispielsweise in Bezug auf die ehemals vorhandene Farbigkeit, so dass der Massnahmenkatalog darauf abgestimmt werden kann und die effektive Restaurierung davon profitiert.6 Im Jahre 1986 hat die neu gegründete Basler Münsterbauhütte unter meinem Vorgänger Peter Burckhardt die Restaurierungsarbeiten am Basler Münster aufgenommen und mit Restaurierungen am nördlichen Querhausgiebel, am Glücksrad und an der Galluspforte begonnen. Es kam die damals noch neue Methode der konservierenden Restaurierung zum Einsatz, die – wenn immer möglich – auf den totalen Steinersatz verzichtet und unter Anwendung von Steinfestiger und Steinergänzungsmörtel die bestmögliche Erhaltung von originaler Bausubstanz gewährt. Mit dem Abschluss der Arbeiten am Hauptportal wird ein erster nach diesem Prinzip ausgeführter Restaurierungszyklus der gesamten Aussenhülle vollzogen sein. Diese Massnahmen gilt es fortzuführen, und so wird unser zweiter Restaurierungszyklus erneut an der Nordseite des Basler Münsters einsetzen.
13 Es bleibt der Dank an Hans-Rudolf Meier und Dorothea Schwinn Schürmann als Herausgeber/in dieser Publikation, an alle an diesem Projekt mitarbeitenden Fachspezialisten für die ergiebigen Forschungsbeiträge, an die Basler Münsterbauhütte unter ihrem Hüttenmeister Marcial Lopez sowie an alle
hier nicht namentlich genannten Mitwirkenden in dieser Sache. Auch den Geldgebern sei ausdrücklich gedankt, denn ohne deren Unterstützung wäre das Geleistete nicht in Form dieser schönen Publikation greifbar.
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EINfÜhrung EIN PORTAL, ZWEI ODER DREI PORTALE
Abb. 5
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EINLEITUNG Hans-Rudolf Meier Dorothea Schwinn Schürmann
Portale sind Zonen des Übergangs, Orte, die zwischen innen und aussen verbinden, das Hinein und Heraus ermöglichen. Das spiegelt sich in unserer Alltagssprache, in welcher der Portal-Begriff heute hauptsächlich metaphorisch verwendet wird und die Schnittstelle zwischen der körperlich-realen und der virtuellen Welt des Internets bezeichnet. Für Übergangsphänomene verwendet man allerdings schon sehr viel länger Sprachbilder aus dem Bereich architektonischer Durchgänge: Schwellen, Passagen, Tore sind vergleichbare Begriffe für transitive Prozesse, die mit der Veränderung des durchschreitenden Subjekts verbunden sind.1 Einen Übergang zwischen zwei Welten markieren auch die Portale christlicher Kirchen. Die atmosphärische Differenz zwischen dem Trubel der Alltagswelt und der besinnlichen Stimmung im Kircheninnern ist für jedermann evident und stets von neuem erlebbar. In der vorreformatorischen Vorstellung – und in der katholischen Kirche bis heute – ist die Kirche als sakraler Raum darüber hinaus auch tatsächlich eine andere Welt, die ganz konkret jenseits unserer
17 Ort-Zeit-Koordinaten auf eine andere, himmlische Existenz hinweist. Aufgrund dieser fundamentalen Bedeutung als Verbindung zwischen zwei Welten erfuhren insbesondere die Hauptzugänge zu Kirchen schon früh eine spezielle Auszeichnung: aus Pforten, Durchgängen und Türen wurden Portale. Spätestens seit dem Hochmittelalter werden diese architektonisch überhöht und oftmals durch Bildwerke geschmückt. Die Funktion als Zugang zu einer anderen, sakralen Welt, in der das Böse keinen Platz hat, wird auch bildlich veranschaulicht. Sugerius, der bau- und schreibfreudige Abt von Saint-Denis, erklärte und begründete im Jahre 1140 diesen Mehraufwand am Portal des neuen Westeingangs seiner Abteikirche in einer Versinschrift. Dort heisst es, durch die Herrlichkeit der Türen, durch das (Kunst-)Werk, sollen die Herzen der Passanten erhellt werden, «[…] so dass sie durch wahre Lichter zu dem wahren Licht gelangen, wo Christus die wahre Tür ist. [...] Der schwerfällige Geist erhebt sich mit Hilfe des Materiellen zum Wahren.»2 Die Gläubigen, die von der äusseren Welt den heiligen Kirchenraum betreten, sollen beim Passieren des Portals durch dessen kunst- und wertvolle Gestaltung eine Himmelsschau erfahren. Das Portal wird, wie der Titel des vorliegenden Buches besagt, zur Himmelstür. Die kunstvolle Gestaltung der Portale bekräftigt diese als Orte erhöhter Aufmerksamkeit. Didaktische Ansprüche, Repräsentations- und Schmuckbedürfnisse kommen hier zusammen. Aufgrund ihrer besonderen, anspruchsvollen Gestaltung sind Portale zugleich Orte erhöhter Aufmerksamkeit der kunstgeschichtlichen Forschung. Das gilt auch für das Basler Münster, wo das Westportal allerdings lange im Schatten des nördlichen Querhausportals, der Galluspforte, stand. Die Gründe dafür sind vielschichtig: der Superlativ der Galluspforte als – wahrscheinlich – ältestes Figurenportal im deutschsprachigen Raum, ihr klar erkennbares didaktisches Programm, ihre weitgehende Unversehrtheit, die lang anhaltende Vorliebe der Mittelalterforschung für die romanische Kunst und andere mehr.3 Dagegen hat das Hauptportal des Basler Münsters wegen seiner nicht leicht durchschaubaren Bau- und Objektgeschichte sowie des nicht sogleich zu erschliessenden Programms bisher der Forschung – so sie sich überhaupt mit ihm beschäftigte – einiges an Kopfzerbrechen bereitet. Vielleicht deshalb fand es vor allem im 20. Jahrhundert nur selten die angemessene Beachtung und Würdigung. Wie das Basler Münster als bedeutendste der Kirchen Basels als einziger mittelalterlicher Sakralbau bisher denkmalkundlich nicht aufgearbeitet ist und keine moderne wissenschaftliche Monografie erhalten hat 4, so fehlte bisher auch für den wichtigsten Zugang zur ehemaligen Basler Bischofskirche eine Darstellung, die heutigen Ansprüchen genügt und zeitgemässe Fragen diskutiert. Zwar wurden schon
im vorletzten Jahrhundert durch Emanuel LaRoche und Karl Stehlin Grundlagen für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Portal gelegt5, es dauerte dann aber länger als ein Menschenleben, bis sich 1974 mit Achim Hubel, im Rahmen seiner Dissertation zum Erminoldmeister, wieder ein Forscher intensiv mit dem Portal beschäftigte.6 Wieder sind seither fast vierzig Jahre vergangen, bevor nun mit der vorliegenden Publikation das Hauptportal aus der Reihe der vernachlässigten Münsterthemen gestrichen werden kann und damit in der wissenschaftlichen Erschliessung neben die Galluspforte rückt, zu der über die Darstellungen des Weltgerichts und der Parabel der Klugen und Törichten Jungfrauen auch bildinhaltliche Bezüge bestehen.7 Dabei erweist sich das Westportal als unerwartet vielschichtig und qualitätvoll (Abb. 6, S. 16 und Abb. 12, S. 25). Erst die intensivere Beschäftigung mit dem Objekt öffnet die Augen für dessen Komplexität und Rang. So handelt dieses Buch von mehreren Portalen oder genauer: mehreren Gestaltungszuständen des westlichen Haupteingangs ins Basler Münster. Aus dem jetzt sichtbaren Bestand, der im Wesentlichen das Produkt einer umfassenden Restaurierung des späten 19. Jahrhunderts ist, lassen sich drei vormoderne Phasen erschliessen: Als erstes ist das (hochgotische Portal zu nennen, für das neben architektonischen Elementen auch die noch erhaltenen Portalfiguren als Teil eines einst umfangreicheren Zyklus geschaffen worden sind. Diese waren damals allerdings überwiegend nicht an der Fassadenfront aufgestellt, sondern zierten eine sich dahinter erstreckende Vorhalle, an deren östlicher Rückwand sich das Portal öffnete (Abb. 60, S. 92 und Abb. 61, S. 93, Falttafeln 2, 3). Der Typus der Portalvorhalle mit Skulpturenzyklus findet sich im mittleren 13. Jahrhundert auch andernorts, beispielsweise im Paradies des Doms zu Münster in Westfalen, doch scheint die Basler Vorhalle schon einem romanischen Vorgänger zu folgen. Im Zuge der Renovationen nach dem grossen Basler Erdbeben 1356 wurde das Portal im Spätmittelalter nach der Aufgabe der Vorhalle an der Fassade neu inszeniert, bevor es dann nach der Reformation im Gefolge der reformierten Bildkritik eine nochmalige, figurenreduzierende Umgestaltung erfuhr (Abb. 1, S. 9). Neigte man bisher dazu, diesen Veränderungsprozess nur als Verlustgeschichte zu betrauern, so plädieren die hier publizierten Untersuchungen für eine Revision, die nicht nur im gotischen Erstportal ein bedeutendes Kunstwerk rekonstruiert, sondern auch die Folgeportale als bemerkenswerte künstlerische Leistungen des Weiterbauens erkennt.
n 1 Noch immer grundlegend dazu: van Gennep 1909; Benjamin 1982. n 2 De administratione, 174ff., zitiert nach: Speer/ Binding 2000, S. 325, dazu ebd., S. 120ff. n 3 Zur Galluspforte Meier/Schwinn Schürmann 2002. n 4 Während die übrigen Innenstadtkirchen in der Reihe «Die Kunstdenkmäler der Schweiz» längst erfasst sind (KDM Basel-Stadt 1941; KDM Basel-Stadt 1961; KDM Basel-Stadt 1966), fehlt bisher der entsprechende Band für das Münster. n 5 LaRoche 1882; Stehlin/Wackernagel 1895. n 6 Hubel 1974. n 7 Die Monografien zu den beiden Basler Portalen stehen in einer Reihe von jüngeren Publikationen zu mittelalterlichen Kirchenportalen, etwa zum Hauptportal des Berner Münsters (Grob 1985), des Regensburger Doms (Fuchs 1990; Hubel/ Schuller 2000), des Bamberger Fürstenportals (Schuller 1993), des Westportals des Freiburger Münsters (Morsch 2001), des portail peint in Lausanne (Kurmann/ Rohde 2004) u.a. Abb. 5 Engel links D 1 und Prophet links D 2 in den Archivolten (Bogenläufen) des Hauptportals. Abb. 6 Blick auf das Hauptportal, vor der Restaurierung von 1883. Es sind noch die barocken Türflügel des 18. Jahrhunderts und die Türsturz- und Trumeauverkleidung des 16. Jahrhunderts sichtbar. Am Georgsturm, links im Bild, erscheint die Uhr mit der Bemalung vom Ende des 16. Jahrhunderts.
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n 8 Annales Colmarienses, S. 191. n 9 Reinhardt 1939, S. 26; Spicher 1999, S. 38; Schwinn Schürmann 2000, S. 9. n 10 Stehlin / Wackernagel 1895, S. 6f.; dazu und zum Folgenden Meier 2002, S. 42. n 11 So schon die Übersetzung von Pabst 1867, S. IX: «[…] verbrannte das Kloster zu Basel und ein grosser Theil der Stadt.» n 12 Die erste Dominikanerkirche wurde gegen die Mitte des 13. Jahrhunderts vollendet, danach erfolgten umfangreiche Baumassnahmen zur dann 1269 geweihten Anlage II (Moosbrugger-Leu/Eggenberger/Stöckli 1985, S. 120 ff.); die Daten würden folglich zu einem Schadenfall im Jahre 1258 passen. Abb. 7 Die Bogenläufe (Archivolten) und das Bogenfeld (Tympanon) des Westportals. Die Aufnahme stammt von 1918 und zeigt am Türsturz die 1883 freigelegten Skulpturenreste. Abb. 8 Ausschnitt aus der nördlichen Archivoltenhälfte des Portals. Die Bogenläufe zieren im Wechsel pflanzliche und figürliche Motive. Die Figuren der inneren Reihe sind auf Pflanzenkonsolen postiert, während die Büsten der äusseren Reihe Turmbaldachinen entwachsen. Die ganzfigurigen Engel trugen alle Spruchbänder, die heute teilweise abgebrochen sind.
Datierungsfragen Für die beiden mittelalterlichen Phasen war auch die Datierung zu klären; insbesondere für das hochgotische Portal hängen daran interessante Fragen zur Stellung der Skulpturen und Formfindungen im oberrheinischen Münsterdreieck mit Strassburg und Freiburg i. Br. Zur Datierung der gotischen Basler Westfassade, die ja nur wenige Jahrzehnte nach dem zu vermutenden Abschluss des spätromanischen Münsterneubaus in Angriff genommen wurde, zieht man immer wieder ein Ereignis bei, das in den Colmarer Annalen, einer wohl kurz vor 1300 von einem Colmarer Dominikanermönch verfassten Chronik, berichtet wird. Zum Jahre 1258 heisst es dort: «Combustum est monasterium Basiliense et magna pars civitatis in vigilia sancti Martini.»8 In der Regel hat man dies so interpretiert, dass das Basler Münster und grosse Teile der Stadt am 10. November einem Brand zum Opfer gefallen seien, was der Auslöser für den Neubau eines in damals aktuellen gotischen Formen ausgeführten Westportals gewesen sei.9 Analoge Schlüsse wurden auch aus einem anderen, für 1185 chronikalisch überlieferten Brand gezogen, der für die Datierung des
spätromanischen Münsters verwendet wird. Bereits Stehlin hat allerdings die beiden Katastrophenmeldungen hinsichtlich ihrer Verwertbarkeit für das Baugeschehen skeptisch beurteilt: «[…] wenngleich beide Nachrichten von durchgreifenden Zerstörungen zu reden scheinen, so haben wir doch keinen irgendwie sichern Massstab dafür, was und wie viel bei jenen Brandfällen zu Grunde ging, und es scheint uns deshalb nicht statthaft, von einer der beiden Feuersbrünste den Neubau der Kirche zu datieren.»10 Neuere Forschungen zu solchen Brandmeldungen stützen seine Skepsis. Hinzu kommt im konkreten Fall, dass mit «monasterium Basiliense» nicht zwingend das Basler Münster gemeint sein muss, sondern sich diese Formulierung genauso gut auf ein Basler Kloster beziehen kann.11 Aus der Sicht des dominikanischen Chronisten wäre dies am ehesten das Basler Predigerkloster, das tatsächlich bald nach der Jahrhundertmitte einen Um- und Neubau erfuhr.12
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n 13 Reinhardt Urkunden 1928, S. 129 f. n 14 BUB 1890–1910, Bd. 2, S. 285f.; dazu auch den Beitrag von Lucas Burkart in diesem Band. n 15 Vgl. den Beitrag von Achim Hubel in diesem Band. n 16 Siehe dazu die Beiträge von Hans-Rudolf Meier, Dorothea Schwinn Schürmann und Bianca Burkhardt in diesem Band. n 17 Vgl. dazu die Beiträge von Dorothea Schwinn Schürmann in diesem Band.
Für die Datierung des Portals bleiben mithin folgende relevanten Eckdaten: 1285 wird eine Michaelskaplanei erwähnt, die Michaelskapelle im Obergeschoss über der Vorhalle muss folglich bestanden haben.13 Im selben Jahr verspricht ein Indulgenzbrief Ablässe für Spenden zugunsten des Münsterbaus.14 Ausserdem ist der sogenannte Erminoldmeister, der die Archivoltenfiguren schuf, ab spätestens 1283 als Bildhauer und Münsterbaumeister in Regensburg bezeugt, die Basler Skulpturen dürften also vorher gefertigt worden sein.15 Das Basler Portal wird folglich in den Jahren davor, also etwa zwischen 1270 und 1285, entstanden sein.
Der spätgotische Umbau scheint, wie sich aufgrund von Steinmetzzeichen zeigen lässt, um 1410/20 und damit ganz am Ende der vom ParlerArchitekten Johannes von Gmünd initiierten Reparatur- und Erneuerungsphase nach dem Erdbeben von 1356 vorgenommen worden zu sein.16 Das «dritte Portal» schliesslich, die mit der Entfernung mariologischer und narrativer Szenerien verbundene postreformatorische Umgestaltung, erfolgte nach dem Bildersturm von 1529 und vor oder während der durch Querelen aktenkundig gewordenen Renovation von 1597.17