Christian Mensch Enteignete Zeitung?
Christian Mensch
Enteignete Zeitung? Die Geschichte der «Basler Zeitung» Ein Lehrstück über den Medienwandel Mit einem Nachwort von Kurt Imhof
Schwabe Verlag Basel
Publiziert mit freundlicher Unterstützung von Stiftung für Gesellschaft, Kultur, Presse, Schweiz Stiftung für Medienvielfalt, Basel
© 2012 Schwabe AG, Verlag, Basel Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder elektronisch verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Lektorat: Marianne Wackernagel, Schwabe Gestaltung: Claudiabasel Satz: Schwabe AG, Druckerei, Muttenz/Basel Gesamtherstellung: Schwabe AG, Druckerei, Muttenz/Basel Printed in Switzerland ISBN 978-3-7965-2840-8 www.schwabeverlag.ch
Inhaltsverzeichnis
Vorwort Wem gehört eine Zeitung? 9 Die enteignete Zeitung 11 Zäsuren 1977 und 2010 12 Das Buch 13 Der Autor und die Arbeitsweise 15
Die «Basler Zeitung» und ihre Geschichten Die erste «Basler Zeitung» 18 Die konservativen «Basler Nachrichten» 19 Die ersten Verleger der «National-Zeitung» 20 Wie Fritz Hagemann zur «National-Zeitung» kam 23 Die Ära des Max Hagemann 27 Im Vorfeld der Fusion 29 Jean Frey und Ringier im Basler Machtkampf 29 Die Intrige des Basler Bürgertums 32 Die «Fusion» 33 Die Opfer der Zeitungsfusion 37 Basel – eine gespaltene Stadt 39 Die «Neue Zeitung» 41 Die «Hunter»-Strategie des Peter Sigrist 42 Der Verleger Beat Curti 44 Der Raider Werner K. Rey 46 Die Basler auf dem Sprung über den Jura 48 Generationenwechsel und Schwierigkeiten 50 Die «Weltwoche», ein Fass ohne Boden 52 Die Jean Frey steht wieder zum Verkauf 55 Ringier vor dem Zugriff 57 Es brannte lichterloh 59 Swissfirst: Wirklich die Rettung über Nacht? 61 Thomas Matter und die Hintermänner 64 Die Machtnetze der Hintermänner 66 Roger Köppel und die «Weltwoche» 70 Kleiner Machtkampf in der Jean Frey 73 Köppels Rückkehr zur «Weltwoche» 76 Axel Springer und die Schweiz 77 Überlebenskünstler Martin Wagner 79 Wie die Basler genötigt wurden, bei «Radio Raurach» zu investieren 81 «Telebasel» – verbotene Zone 82 «Radio Basilisk» und die Familie Hagemann 84 Tamedia kauft «Radio Basilisk» 85 Das Radio-Verwirrspiel 87 Ein Neustart für die «Basler Zeitung» 89 Der Verrat aus Liestal 92 Publigroupe – eine verflochtene Geschichte 93 Fritz Schuhma-
cher ist der Mann mit zu vielen Hüten 95 Rückendeckung durch die Tamedia 97 Das Verhängnis mit «20 Minuten» und «News» 98 Im Würgegriff der Tamedia 101 Die Scheidung von der Publigroupe 102 Die Basler Handelskammer pocht auf ihr Recht 103 Hagemann & Co. macht eine Standortbestimmung 105 Wer kauft die «Basler Zeitung»? 108 Die NZZGruppe ist die vermeintliche Siegerin 111 Tag der Entscheidung – der Überraschungscoup 113 Bernhard Burgener, Wagners Vorbild 116 Die Handelskammer interveniert erneut 119 Tito Tettamanti in der Pole-Position 121 Bilanz der Ära Hagemann & Co. 122 Tettamanti, doch nur ein Strohmann? 123 Wagners Flucht nach vorn 126 Markus Somm, der Stellvertreter 128 Die Redaktion im Blindflug 130 Die BaZ Holding rückt in SVP-Nähe 132 Ein Beratervertrag für die Robinvest 133 Geplatzte Träume von der grossen Fusion 135 Die «NZZ am Sonntag» enthüllt 137 Markus Somm ist «Einer gegen alle» 139 «Rettet Basel» 140 Beatrice Oeri spricht einen Projektkredit 142 Absage an Tettamanti oder Tettamantis Absage? 144 Moritz Suters Take-off 146 Suter kämpft um einen Platz in der Geschichte 149 Wer bezahlte die «Basler Zeitung»? 152 Die Ernüchterung des Moritz Suter 155 Die Konkurrenz formiert sich 158 Der Anfang vom Ende des Verlegers Suter 159 Der verzweifelte Versuch 161 Die hohe Schule der Intrige 163 Die Rache des Moritz Suter 166 Tito Tettamantis Rückkehr 169 Die MedienVielfalt Holding 173 Die Entwurzelung 176 Basel reagiert nicht mehr 178 Was bleibt 179
Die Medienambitionen der Rechtsbürgerlichen Zufallstreffer «Basler Zeitung» 182 Der SVP fehlt eine Tageszeitung 184 Blochers «Bündner Tagblatt» 186 Eine Tageszeitung: der unerfüllte Traum 187 Einsames Flaggschiff «Weltwoche» 188 Blocher – Frey – Tettamanti – Hummler 190 Die Fernsehträume 194 «Teleblocher» und die «Arena» 196 Exkurs: Wie links sind die Mainstream-Medien? 198
Die Repolitisierung des Journalismus Mit Filippo Leutenegger zurück in die Zukunft 204 Die These: Die Repolitisierung des Journalismus 206 Medien in der Online-Revolution 208 Medien in der Gratis-Falle 210 Medien in der Sinnkrise 212 Die Repolitisierung des Journalismus 214 Exkurs: Ist stiftungsfinanzierter Journalismus ein Ausweg? 215
Kurt Imhof Bröckelnde Bürgerlichkeit. Nachwort Was ist eine entfremdete Zeitung? 220 Bürgerliche Welten 222 Von der Partei- zur Hoch-Zeit der Forumszeitung 225 Zeitung und Rendite 227
Anhang Abkürzungsverzeichnis 234 Abbildungsverzeichnis 234 Personenregister 235
Vorwort
Wem gehört eine Zeitung?
Wem gehört eine Zeitung? Die eigentumsrechtliche Antwort ist einfach: Den Kapitaleignern des herausgebenden Verlags. Dies können im Fall eines börsenkotierten Unternehmens Aktionäre ohne eigentlichen Bezug zur Zeitung sein. Es können in den immer seltener werdenden Fällen von familiengeführten Medienunternehmen die Verleger selbst sein. Es können auch Finanz- und/oder Politinvestoren sein, die offen auftreten oder sich hinter Strohmännern verstecken. Ihnen allen steht es grundsätzlich frei, unternehmerisch so zu handeln, wie sie es für richtig halten. Eine Zeitung, gerade eine Regionalzeitung, ist aber auch ein öffentliches Gut. Sie hat eine öffentliche Aufgabe, einen Service public, zu erfüllen. Sie ist mit ihrer Informationsleistung ein konstituierendes Element für den öffent lichen Diskurs, für die freie Meinungsbildung, für eine funktionierende Demokratie. Die in der Schweizer Verfassung festgeschriebene Medienfreiheit1 wurde ursprünglich konzipiert, um die Presse vor staatlichen Eingriffen zu schützen. Daraus haben sich Freiheitsrechte entwickelt, zu deren Sicherung sich Privi legien von Medien und Medienschaffenden gesellten. Mit den Rechten sind für die Medien auch Service-public- Pflichten entstanden, die wiederum etwa fiskalische Vorteile legitimieren. Medienschaffende haben aus der Verfassung ihre Standesregeln, eigene Rechte und Pflichten, abgeleitet. Der Schweizer Presserat formuliert etwa in seiner Präambel zur
1 Art. 17 Medienfreiheit: Abs. 1: Die Freiheit von Presse, Radio und Fernsehen sowie anderer Formen der öffentlichen fernmeldetechnischen Verbreitung von Darbietungen und Informationen ist gewährleistet. Abs. 2: Zensur ist verboten. Abs. 3: Das Redaktionsgeheimnis ist gewährleistet.
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Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten: «Die Verantwortlichkeit der Journalistinnen und Journalisten gegenüber der Öffentlichkeit hat den Vorrang vor jeder anderen, insbesondere vor ihrer Verantwortlichkeit gegenüber ihren Arbeitgebern und gegenüber staatlichen Organen.»2 Die eigentumsrechtliche Antwort auf die Frage, wem eine Zeitung gehöre, gibt folglich nur die halbe Wahrheit wieder: Die Rechte der Kapitaleigner sind beschränkt. Wie die Medienschaffenden, so sind auch die Eigner innerhalb ihrer unternehmerischen Freiheit und im Rahmen des wirtschaftlich Verantwortbaren dieser Öffentlichkeit verpflichtet. Treuhänderisch, im Interesse der Öffentlichkeit, haben sie ihr Medienunternehmen zu führen. Darauf zielt der Titel dieses Buches «Enteigenete Zeitung?»: Es erzählt die wechselvolle Geschichte der «Basler Zeitung» seit ihrem doppelten Anfang als «National-Zeitung» und als «Basler Nachrichten» im 19. Jahrhundert. Es erzählt die Geschichte von ihrem Ende her, denn was sich seit dem Frühjahr 2010 beim Basler Medienunternehmen abspielt, lässt sich schwerlich mit der gängigen Vorstellung vereinbaren, dass hier im öffentlichen Interesse gehandelt werde. Zur Erinnerung: Im Februar 2010 verkaufte die Ver legerfamilie Hagemann ihr Medienunternehmen dem Tessiner Financier Tito Tettamanti. Wie sich stückweise offenbarte, war es jedoch der milliardenschwere Unternehmer und SVP-Politiker Christoph Blocher, der nicht nur das Kapital, sondern auch die strategischen Weichen im Unter nehmen stellte.
2 Diese «Erklärung» wurde an der konstituierenden Sitzung des Stiftungsrats der Stiftung Schweizer Presserat vom 21. Dezember 1999 verabschiedet und an der Stiftungsratssitzung vom 5. Juni 2008 revidiert.
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Die enteignete Zeitung
Mit Blocher haben sich die Grundvoraussetzungen verkehrt: Die Zeitung steht nicht mehr primär im Dienst der Öffentlichkeit, sondern im Dienst der ideologischen Mission des Kapitalgebers. Dies nicht etwa in plumper Manier, indem der Chefredaktor von Blochers Gnaden, Markus Somm, abweichende Meinungen zensieren würde. «Linke» Kommentare sind weiter ausdrücklich erwünscht – als Beleg für einen postulierten Meinungspluralismus und als Legitimation für eigene, einseitige Parteinahme. Doch die Stimmen, die nicht in die neue Harmonie passen, verstummen auf der Redaktion: Kein Journalist mag über längere Zeit die Rückseiten einer Zeitung mit seinen Recherchen, Berichten und Kommentaren beschreiben, wenn auf der Vorderseite sein Vorgesetzter rhetorisch auf alles eindrischt, was ihm selbst wichtig und richtig erscheint. Christoph Blocher, der sich bedeckt hielt, wie auch Tito Tettamanti, der bisher immerhin einmal auftrat, waren sich ihres Tuns durchaus bewusst. Anders ist nicht zu erklären, weshalb sie nicht von Anfang an offen zu ihrem Engagement und zu ihren Absichten bei der «Basler Zeitung» standen. Sie beschädigten und beschädigen weiter damit, was in gängiger Betrachtung als höchstes Gut einer Zeitung erachtet wird: die Glaubwürdigkeit. Die Gegenargumente sind bekannt: Mit der heimlichen Übernahme hätten Blocher/Tettamanti verhindert, dass die «Basler Zeitung» an einen Zürcher Grossverlag verkauft worden sei. Sie hätten zum Erhalt der Medienvielfalt bei getragen. Mit der Umpositionierung der «Basler Zeitung» von einer Forumszeitung zu einem explizit bürgerlichen Blatt stellten sie überdies nur ein Gegengewicht her zum einem monierten Linksdrall der «Mainstream»-Medien. Zudem, so das dritte Argument, bestehe keine Pflicht, die «Basler Zeitung» zu lesen. So habe die pointierte Parteinahme der «Basler Zeitung» unter Somms Führung gerade für eine neue Medienvielfalt in der Region gesorgt. 11
Dem ersten Argument ist vorbehaltlos zuzustimmen. Es war zu begrüssen, dass die Familie Hagemann mit dem Verkauf ihres Medienhauses nicht einer weiteren Schweizer Medienkonzentration Vorschub leistete. Schon heute ist die Ballung der vorherrschenden Medienunternehmen auf dem Platz Zürich aus föderaler Sicht problematisch. Doch ist mit einer guten Tat nicht zu rechtfertigen, wie seither mit der «Basler Zeitung» umgesprungen wird. Das zweite Argument vermischt verschiedene Ebenen. Denn die umstrittene Linksdrall-Behauptung wird vor allem als Wahrheit dargestellt, um eigenen Rechtsdrall zu rechtfertigen. Mit dieser Argumentation werden die Medien allerdings darauf beschränkt, bloss ein Teil des politischen Systems des Landes zu sein. Die Errungenschaft der vergangenen dreissig Jahre, die Medien als eigenes gesellschaftliches System mit eigenen Funktionsweisen zu begreifen, wird damit über Bord geworfen. Medien werden degradiert zum Mittel im politischen Kampf. Es ist dies ein Rückfall in die 1970er Jahre. Das dritte Argument schliesslich lässt sich derzeit empirisch untermauern. Seit den Wirren der «Basler Zeitung» ist die «Tageswoche» entstanden, und der Aargauer Verleger Peter Wanner investiert mit der «Basellandschaftlichen Zeitung» und dem «Sonntag» publizistisch ebenfalls in der Agglomeration Basel. Ob diese Entwicklung nachhaltig sein wird, muss sich erst weisen. Denn mit der Ausweitung des Angebots ist weder eine Ausweitung der Nachfrage sicher gestellt noch dessen Refinanzierung.
Zäsuren 1977 und 2010
Heute, im Frühjahr 2012, lässt sich feststellen: Die kalte Übernahme der National-Zeitung und Basler Nachrichten AG (NZBN), so heisst der Verlag der «Basler Zeitung» noch immer, hat Basel erneut zu einem Experimentierfeld gemacht.
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Bereits die grosse Fusion 1977 ging als einschneidendes Ereignis in die Schweizer Pressegeschichte ein. Basel wurde die erste grössere Schweizer Stadt mit nur noch einer be deutenden Zeitung. Das Fusionsprodukt «Basler Zeitung» positionierte sich als Forumszeitung mit allen Stärken und Schwächen, die mit diesem Konzept verbunden sind. Die Entwicklung der «Zeitung für alle» stand in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Ökonomisierung der Medien, die damals ihren Siegeslauf begann. Heute stehen wir am Ende dieses Zyklus. Die tradierten Geschäftsmodelle halten der digitalen Medienrevolution nicht stand. Was nun in Basel passiert, zeigt eine mögliche Fortsetzung der Entwicklung: Ein Kapitalgeber sichert sich kraft seiner Finanzen sein Medium. Die Motive mögen völlig unterschiedlich sein: Doch sowohl die «Basler Zeitung» wie auch die stiftungs finanzierte «Tageswoche» sind derzeit Produkte ihrer Ab sender und nicht ihrer Empfänger. Dies wirft Fragen auf. Die Geschichte der NZBN kann nicht als Erfolgs geschichte erzählt werden. Persönliche Unzulänglichkeiten und eine verfehlte Personalpolitik trugen ebenso zur Krisenhaftigkeit bei wie unbereinigte Konflikte, zum einen mit der gesellschaftlichen Elite, dem Basler Bürgertum, das sich nie zum regional dominierenden Medienhaus bekannte, zum anderen mit dem Werbekonzern Publigroupe, mit dem die Basler Verleger seit den 1920er Jahren verflochten waren. Zum dritten schliesslich blieb stets ungeklärt, welche Rolle das Basler Verlagshaus national spielen will und welchen Einfluss die grossen Schweizer Medienhäuser umgekehrt in Basel haben. Gerade das unstet Getriebene, das die NZBN begleitet, macht ihre Geschichte aber auch zu einem Lehrstück über den Medienwandel.
Das Buch
Das vorliegende Buch enthält die erste, journalistisch auf bereitete Darstellung der Geschichte der «Basler Zeitung». 13
Dabei geht es nicht um eine inhaltsanalytische Betrachtung, wie die Zeitung worüber berichtet hat. Es handelt sich vielmehr um eine Darstellung der Unternehmensgeschichte, die erst verständlich macht, weshalb die Zeitung berichtet, wie sie berichtet. Die Geschichte beginnt bei ihren beiden Wurzeln, der «National-Zeitung» und den «Basler Nachrichten». So lassen sich die historischen Zusammenhänge deutlich machen, die für die jüngeren Ereignisse von Bedeutung sind. Werden die ersten Jahrzehnte knapp abgehandelt, nehmen die Entwicklungen des letzten Jahrzehnts mehr Raum ein. Als besonders interessant erweist sich ein Vergleich der jüngeren Ereignisse seit 2010, als Tito Tettamanti erstmals die NZBN kaufte, mit denjenigen im Jahr 2002, als derselbe Financier den Jean-Frey-Verlag, damals ein NZBN-Tochterunternehmen, übernahm. Deutliche Parallelen, aber auch Unterschiede treten dabei zutage. Auch wenn sich die Handlungsstränge verschiedentlich überschneiden, versucht die Darstellung die Chronologie der Ereignisse einzuhalten. Dies bedeutet auch, dass die Schilderung weitgehend aus der Perspektive des damaligen Wissens erfolgt. Da gerade die neuere Geschichte auf Lügen und Täuschungen basierte, ergeben sich daraus neue Ver sionen dessen, was sich eigentlich abgespielt hat. Ergänzt wird das Buch durch zwei Kapitel, die das Ex emplarische der Geschichte der NZBN verdeutlichen, indem sie es in einen grösseren Zusammenhang stellen. Im Abschnitt «Die Medienambitionen der Rechtsbürgerlichen» sind die Anstrengungen zusammengetragen, wie finanzkräftige Kreise seit rund zwanzig Jahren versuchen, ihren Einfluss auf die Schweizer Medien auszubauen. Es macht bewusst, dass die «Basler Zeitung» vor allem das Pech hatte, zum falschen Zeitpunkt auf den Markt gekommen zu sein. Das abschliessende Kapitel «Die Repolitisierung des Journalismus» fasst noch einmal den Medienwandel dieser Epoche zusammen. Dies verbunden mit der These, dass die Basler
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Entwicklung Schule machen könnte. Konkret: dass die Re politisierung des Journalismus ein möglicher Weg aus der Umbruchsituation der Medien darstellt.
Der Autor und die Arbeitsweise
Seit 21 Jahren arbeite ich für verschiedene Zeitungen als Medienjournalist. Unzählige Male habe ich über die Akteure geschrieben, die in diesem Buch vorkommen. Die Recherchedokumente, die zu den jeweiligen Beiträgen entstanden sind, sammelten sich in meinem Archiv. Daraus schöpfte ich in erster Linie beim Schreiben. Die zahlreichen Verweise auf eigene Beiträge sollen deshalb vor allem dokumentieren, wann und in welchen Zusammenhängen ich einzelne Vorgänge erstmals recherchiert habe. Bei der Vorbereitung dieses Buches musste ich mir zudem Rechenschaft darüber ablegen, ob ich nicht befangen sei, über die Geschichte der «Basler Zeitung» in Buchform zu publizieren. Schliesslich war ich sowohl Redaktor der «Weltwoche», als diese unter Roger Köppel ihren Weg nach rechts einschlug, als auch Redaktor der «Basler Zeitung», als diese unter Markus Somm den «Weltwoche»-Kurs nachahmte. Köppel hat mich 2003 im Rahmen einer Sparrunde ent lassen3, bei der «Basler Zeitung» habe ich im Mai 2011 selbst die Kündigung eingereicht. Zwei Argumente könnten gegen mich als Autoren vorgebracht werden: Der Vorwurf etwa, ich wäre befangen, da ich weder die «Weltwoche» noch die «Basler Zeitung» in Eintracht verlassen habe. Dazu ist zu sagen, dass ich sowohl Roger Köppel als auch Markus Somm als Berufsleute schätze, wenn ich auch ihre Auffassung, welche Aufgabe dem Journalismus zukommt, nicht teilen kann. Zudem enthalte ich
3 Dazu Christian Rentsch, Interne Denkverbote bei der «Weltwoche», in: Tages-Anzeiger, 6. 2. 2003.
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mich weitgehend einer Kommentierung der beiden Jour nalisten. Ein zweiter Vorwurf könnte sein, dass ich bei der «Basler Zeitung» in der Position des Leiters Recherche und zuletzt als Leiter Bundeshaus Kenntnis von internen Vorgänge hätte, die als Geschäftsgeheimnis zu taxieren seien. Dazu ist zu sagen, dass ein Grossteil der hier geschilderten Zusammenhänge in der einen oder anderen Form bereits in publizierter Form vorliegt. Zusatzwissen musste ich meist recherchieren, als wäre ich Medienjournalist eines anderen Mediums. Einzelne, wenn auch nicht zentrale Informationen spare ich in diesem Buch jedoch aus, weil sie tatsächlich und ausschliesslich auf internem Wissen beruhen. Entscheidend ist jedoch, dass ich die jeweils amtierenden Verleger Matthias Hagemann und Moritz Suter frühzeitig auf das Buchprojekt und mögliche Interessenskonflikte aufmerksam gemacht habe. Einvernehmlich, aber doch von ihnen unbeeinflusst habe ich daraufhin die Arbeit an die Hand genommen.
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Die «Basler Zeitung» und ihre Geschichten
Die erste «Basler Zeitung»
Die erste Ausgabe der «Basler Zeitung» erschien 1831. Nach Jahren einer im schweizerischen Vergleich ausserordentlich restriktiven Zensur der Basler Kantonsbehörde hatte das Ende der Restauration die Befreiung der Presse gebracht. Als die Obrigkeit zudem die ruinöse Stempelsteuer für Zeitungen abschaffte, war der Bann gebrochen. Die «Basler Zeitung» war das erste Blatt, das diese Freiheit nutzte. Persönlichkeiten wie der Naturwissenschafter Christoph Bernoulli oder der berühmte Historiker Jacob Burckhardt in seinen jungen Jahren zählten zu den Mitarbeitern. 18451, im 14. Erscheinungsjahr, erhielt die «Basler Zeitung» Konkurrenz aus dem eigenen, konservativen Lager. Das «Allgemeine Intelligenzblatt der Stadt Basel», so der Name des neuen Titels, entwickelte sich bestens. Nach weiteren 14 Jahren Wettbewerb war der Kampf entschieden. Die «Basler Zeitung» hatte verloren und musste 1859 ihr Er scheinen einstellen. Sie hatte nur gerade 28 Jahre überlebt.2 Es sollte 118 Jahre dauern, bis es zur Auferstehung der «Basler Zeitung» kam: 1977 fusionierten die «Basler Nachrichten» und die «National-Zeitung» zur neuen «Basler Zeitung». Sie war das Resultat eines pressepolitisch für die ganze Schweiz bedeutsamen Zusammenschlusses. Sie war die Forumszeitung, wie wir sie bis zum Frühjahr 2010 kannten.
1 Im Historischen Lexikon findet sich als Gründungsjahr 1844 und 1845: Ernst Bollinger, Basler Zeitung, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D24762.php, ders., Basler Nachrichten, ebd., http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D31242.php. Die National-Zeitung und Basler Nachrichten AG (NZBN) nennt in ihrer Firmenchronik das Jahr 1842. 2 Eine «Baseler Zeitung» erschien zwischen 1739 und 1790 als nicht politisches Anzeigenblatt. Eine «Neue Basler Zeitung» erschien überdies zwischen 1865 und 1871.
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Die konservativen «Basler Nachrichten»
Die Wurzeln der «Basler Nachrichten» reichen zurück in das Jahr 1729, als sie in ursprünglicher Form als Gratis-Anzeiger, dem «Avis-Blatt», in der Basler Berichthaus AG erschienen.3 Konservative Kreise der Stadt Basel formten daraus 1845 das «Allgemeine Intelligenzblatt der Stadt Basel», das dann eben die erste «Basler Zeitung» aus dem Markt drängte. 1856 er hoben die Herausgeber einen nationalen Anspruch und nannten ihr Blatt neu «Basler Nachrichten aus der Schweiz und für die Schweiz».4 Die Aufbruchstimmung war von kurzer Dauer. Bereits im darauffolgenden Jahr übernahm eine Gruppe radikaler, das heisst freisinniger Politiker die Aktienmehrheit und verdrängte die Konservativen. Diese erinnerten sich nicht ihrer «Basler Zeitung», die damals in den letzten Zügen lag, sondern gründeten mit der «Allgemeinen Schweizer Zeitung» ein neues Sprachrohr für ihre Sache. Die Herrschaft der Radikalen über die «Basler Nachrichten» dauerte nur gerade 45 Jahre. 1902 hatte sie sich erschöpft. Die «Nachrichten» standen vor dem Konkurs und kamen auf die Gant. Das höchste Angebot machten einige Herren aus liberal-konservativen Kreisen. Sie übernahmen die Zeitung und machten sie nun endgültig zum geistigen Hort des Basler Bürgertums. Die «Allgemeine Schweizer Zeitung», die Ersatzheimat der Konservativen, hatte ihre Schuldigkeit getan und wurde eingestellt.
3 Dazu Arnold Brüderlin, Das Basler Zeitungswesen, [o.O.] 1920 (Diss. Universität Heidelberg). Eine umfassende Monographie zur Basler Pressegeschichte liegt nicht vor. Eine solche wäre wünschenswert, da es gerade zu den frühen Zeitungsgründungen widersprüchliche Darstellungen gibt. 4 Die Presse war Ende des 19. Jahrhunderts viel weniger auf die Region fokussiert als heute. 1895 wurden gemäss einer Statistik von Arnold Brüderlin (s.o.) 3,3 Millionen auswärtige Zeitungen nach Basel importiert und 5,4 Millionen Exemplare von Basler Blättern in die übrige Schweiz und ins Ausland exportiert.
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Die «Basler Nachrichten» kamen nun zu nationalem Ansehen. Persönlichkeiten wie Albert Oeri5, Peter Dürrenmatt6 und als letzter Oskar Reck7 prägten die Zeitung. Doch wirtschaftlich kam das Blatt auf keinen grünen Zweig. Es darbte, zuletzt mit einer Auflage von 34 000 Exemplaren, und blieb ein politisch begründetes Zuschussgeschäft.
Die ersten Verleger der «National-Zeitung»
Das Gegenstück zu den «Basler Nachrichten» in der Fusion von 1977 war die «National-Zeitung», eine Gründung von Jakob Christian Schabelitz.8 Der radikale Zeitungsmacher lancierte das Blatt 1842 als «Schweizerische National- Zeitung». Der Sohn Jakob Lukas Schabelitz9 führte die Arbeit des Vaters zunächst weiter. Jakob Lukas war mit Persönlich-
5 Albert Oeri (1875–1950) war Redaktor der «Allg. Schweizer Zeitung», nach deren Aufgehen in den «Basler Nachrichten» dort Leiter der Inlandredaktion (1902–1911), Chef des Auslandressorts (1911–1925) und Chefredaktor (1925–1949). Dazu liberaler Basler Grossrat und Nationalrat. Thomas Schibler, Albert Oeri, in: Historisches Lexikon der Schweiz, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D6459.php. 6 Peter Dürrenmatt (1904–1989) war Zentralsekretär des rechtskonservativen Bunds für Volk und Heimat. Er war Redaktor der Schweizer Mittelpresse, dann 1943–1977 bei den «Basler Nachrichten» (1949–1969 Chefredaktor), liberaler Basler Grossrat sowie Nationalrat, ab 1969 Honorarprofessor für Zeitungskunde an der Universität Bern. Paul Fink, Peter Dürrenmatt, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D6272.php. 7 Oskar Reck (1920–1996) war Redaktor der «Weltwoche», Chefredaktor des «Neuen Winterthurer Tagblatts» und der «Thurgauer Zeitung», Korrespondent beim Schweizer Fernsehen, Chefredaktor der «Basler Nachrichten» (1971–1977) sowie nach der Fusion mit der «National-Zeitung» ein Jahr CoChefredaktor der neuen «Basler Zeitung». Matthias Wipf, Oskar Reck, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D41616.php. 8 Ruedi Brassel-Moser, National-Zeitung, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D30547.php. 9 Jakob Lukas Schabelitz (1827–1899) war Volontär beim Verlag Sauerländer in Aarau, Journalist in London und Paris. 1848–1852 Verleger und ab 1849 auch verantwortlicher Redaktor der «National-Zeitung». Jan Pagotto-Uebelhart, Jakob Lukas Schabelitz, in: Historisches Lexikon der Schweiz, http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D14810.php.
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