DLAJ 1: Leseträume – Traumlektüren / Lire en rêve – lire des rêves

Page 1

Leseträume – Traumlektüren Lire en rêve – lire des rêves

Lesen und Traum in historischer Perspektive Lire et rêver dans une perspective historique

Das lange 18. Jahrhundert Le long XVIIIe siècle

The Long Eighteenth Century

Herausgegeben von /dirigé par /edited by Nathalie Ferrand, Marian Füssel, ClaireGantet, Helmut Zedelmaier

Volume1

Leseträume –Traumlektüren Lire en rêve –liredes rêves

Lesen und Traum in historischer Perspektive Lireetrêver dans une perspective historique

ClaireGantet, Helmut Zedelmaier (Hg./dir.)
Schwabe Verlag

Die Druckvorstufe dieser Publikation wurde vom SchweizerischenNationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung sowie der Universität Fribourg/Freiburgunterstützt.

Die Deutsche Nationalbibliothekverzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2023 Schwabe Verlag, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel, Schweiz

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Das Werk einschließlich seiner Teiledarf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in keiner Form reproduziert oder elektronisch verarbeitet, vervielfältigt, zugänglich gemacht oder verbreitet werden.

Abbildung Umschlag:Francisco de Goya:Elsueño de la razón produce monstruos, Capriccio N8 43, 1799, Aquatinto, 306 ×201 mm, Madrid, Museo del Prado, Katalognummer:G002131

Umschlaggestaltung:icona basel gmbh, Basel

Layout:icona basel gmbh, Basel

Satz:3w+p, Rimpar

Druck:CPI books GmbH,Leck

Printed in Germany

ISBN Printausgabe 978-3-7965-4671-6

ISBN eBook (PDF)978-3-7965-4672-3

DOI 10.24894/978-3-7965-4672-3

Das eBook ist seitenidentisch mit der gedruckten Ausgabe und erlaubt Volltextsuche. Zudem sind Inhaltsverzeichnis und Überschriften verlinkt.

rights@schwabe.ch www.schwabe.ch

Claire Gantet,Helmut Zedelmaier: Zur Einführung:Lesen und Träumen – einehistorische Skizze |Adliminem. Lire et rêver, une esquisse historique ... ... .. .. .. .. ... ... .. .. .. .. ... .... ... .... ... . 7

Lektüreträume j Lireenrêve

Florence Dumora: Peut-on lire en rêve ?. .. ... .... .. .. ... ... .... ... . 29

Karine Crousaz: Les récits de rêves dans le journal autobiographique (1693–1715)dunotaire et perruquier Jacques Sandoz .. ... ... .... ... . 47

Sylvie Moret Petrini: Rêver, lire et écrire :les relations sentimentales dans les journaux des demoiselles (1740–1820). ... ... .... ... .... ... . 69

Timothée Léchot: Un rêve ludique :lalecture et la résolution d’énigmes en vers 87

François-Joseph Favey: Jouer et rêver :loteries et clés des songes au tournantduXIXe siècle .. .. ... .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. ... .... ... . 101

Traum und Fiktion j Rêve et fiction

François Rosset: Rêver dans les romans au XVIIIe siècle .. .. .. .. .... ... . 123 Adrien Paschoud: Le rêve àl’épreuvedurationalisme critique dans la littérature clandestine :Nicolas Fréret, Lettre de Thrasybule àLeucippe (1722–1725). 139

Emmanuel Alloa: Songes d’ une nuit transparente. D’Alembert, Rousseau, Diderot .... ... .... .. .. ... ... .... ... .... ... . 149

Sabine Haupt: «Die besten Weiber lesen träumend».Jean Pauls Utopie von der Unmittelbarkeit des Verstehens 165

Érik Leborgne: Le rêve d’enfance de Giacomo Casanova: la sorcière et la fée .. .. .. .. .. ... .. .. .... .. .. ... ... .... ... .... ... . 181

Dimiter Daphinoff: «Past thewit of man»: Spielarten des Traums in der englischen Literatur des langen 18. Jahrhunderts 199

Inhalt

Text, Bild,Traum j Textes, images,rêves

Ulrich Johannes Schneider: Aufblicken vom Buch. Eine Bildergalerie ... . 225 Magdalena Becker: Aufschreiben und Nachzeichnen. Traumdarstellungen zwischen Bild und Text im 19. Jahrhundert 243

Michel Viegnes:A dream within adream. Le paradoxe du rêve au cinéma 261

ExperimentelleLeseträume j Lire, rêver, expérimenter

Carsten Zelle: TraumlektüreninJohann Gottlob Krügers Träume-Sammlung (1754/1785). .. .. .... ... .... .. .. .. .. .. ... .. .. . 283

Arnd Beise: «Ich empfehle Träume nochmals». Lesende und gelesene Träume bei Georg Christoph Lichtenberg ... ... .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. 307

Juan Rigoli: Nodier et les sciences du cauchemar. ... ... ... .. .. .. .. .. .. 323

Jacqueline Carroy: Rêver, lire, écrire, publier :l’atelier de Victor Egger (1872–1908). .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. ... ... .. .. ... .. .. .... ... . 347

Claire Gantet,Helmut Zedelmaier: Epilog |Épilogue ... .. .. ... .. .. .. .. 367

English Summaries ... ... .... .... .. .. ... ... ... .. .. .. .. ... .. .. ... . 374

Namensregister j Index des noms de personnes .. .. ... ... .. .. ... .. .. . 382

Abbildungsverzeichnis j Liste des illustrations .. .... .. .. .. .. .. ... .. .. . 388

Die Autorinnen und Autoren j Les autrices et auteurs .. .. .. .. .. .. .. .. 391

6 Inhalt

Zur Einführung:Lesen und Träumen –eine historische Skizze

«Là, je feuillette àcette heure un livre, àcette heure un autre, sans ordre et sans dessein, àpièces décousues;tantôt je rêve, tantôt j’enregistre et dicte, en me promenant, mes songes que voici.» Montaigne, Essais,III, 3, «Detrois commerces»

Was verbindet Lesen und Träumen?Auf den ersten Blick wenig. Lesen müssen wir lernen. Es ist eine Kulturtechnik, die Menschen unterschiedlich beherrschen und praktizieren, einige gar nicht. Und Lesen ist intentionale Handlung. Ob und was wir lesen,ist an Entscheidungen geknüpft. Träumen hingegenmüssen wir nicht lernen. Träume ereignen sich unwillkürlich. Und wir alle träumen, ob wir wollen oder nicht. Träume sind der Kontrolle des Bewusstseins weitgehend entzogen;sie sind nicht wie das Lesen ein Kulturprodukt, sondern gewissermaßen ein «Naturprodukt»1 .

Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten. Beides,Träumen und Lesen, ist irgendwie selbstverständlich. Doch was geschieht eigentlich,wenn wir träumen und lesen?«Wir haben den Himmel vermessen und die Desoxyribonukleinsäure entschlüsselt,abernoch immer nicht die Träume in unseren Köpfen. Was passiert da mit uns?Und was soll das überhaupt sein, ein Traum?», hieß es jüngst in der Tagespresse über das Träumen.2 Ähnliche Statements findet man über das Lesen. «Manche Dinge entwischen beim Nachdenken;das Lesen gehört dazu. Wir tun es vielfältig und sammeln einschlägige Erfahrungen, und doch fällt es schwer, das Lesen zu reflektieren», konstatiert der Kulturhistoriker Ulrich Johannes Schneider.3 Es lässt sich eben nur vermittelt, etwa mithilfeneurophysiologischer Vermessungen, denen das Träumen und Lesen heute gerne unterzogen werden, nicht unmittelbar beobachten, was sich ereignet, wenn wir träumen oder lesen.

Die Verwandtschaft von Lesen und Träumen hat einelange Geschichte. Weil Träumen eine unkontrollierbare Aktivität ist, wurde es lange Zeit als göttli-

1 Vgl. Jung 1987, 630:«Nun ist der Traum jedoch ein Naturprodukt,erhat keine ethischen Absichten. […]Man kann daraus ein ethisches, ein philosophisches oder sonst ein Problem machen, aber es liegt nicht im eigentlichen Traum.»

2 Vgl. Ratzesberger 2022, 12.

3 Schneider 2020, 7.

che Eingebung betrachtet und spielte eine zentrale Rolle in der Mythologie. Ovids Metamorphosen mit ihren vielen Träumen inspirierten seit der Renaissance bis weit ins 18. Jahrhunderthinein zahlreiche Leseträume. Sie schmücken noch das Frontispiz der Träume (1754)des ‹vernünftigen Arztes› Johann Gottlob Krüger.4 Und seit der Renaissance träumen Dichter von ihren Werken, so schon Petrarca von seinen Trionfi. In seiner Platonischen Theologie stellt Marsilio Ficino den Schlaf als ein Seelenvakuum vor, das die Inspiration fördert.5 Philosophen wurden daher gerne im Schlaf dargestellt, wie beispielsweise auf Dürers Stich Der Schlaf des Doktors. Gerolamo Cardano erzählt, wie er in einem wiederkehrenden Traum ein schönes Buch mit Titel, Inhalt und Druckschrift sah und die Aufforderung empfing, dieses Buch zu schreiben, er sich aber jedes Mal fragte, ob es wirklich sein oder das Werk eines anderen Gelehrten sei. Er brachte die ersten Seiten zu Papierund je mehr er geschrieben hatte,desto seltener wurde der Traum.6 Bei dem Buch, von dem er träumte und das er im Traum Zeile für Zeile las, handelte es sich um sein Werk De Subtilitate (1550), das ihn berühmt machen sollte. Im Traum war es ihm in seiner ganzen Materialität erschienen, er hatte großes Vergnügen empfunden, während er es im Traum las, aber nicht weiter zu verstehen versucht, was da mit ihm geschah. Selbstreflexiv zögernd fragte er sich in diesem ‹Spiegeltraum› allerdings, welchem lesenden Ich er da im Traum eigentlich jedes Mal begegnete:Das Buch musste einen anderenUrheber übernatürlichen Ursprungs (seinen Schutzgeist)haben, es sei denn, der Traum selbst habe ihm das Werk eingegeben. Ähnlich befremdende Träume hätten ihn, berichtet Cardano, zur Niederschriftvon 22 Büchern gebracht. Voller Enthusiasmus hingegen war der junge René Descartes, als er in der Nacht vom 10. auf den 11. November 1619 u. a. von einem Lexikon («Dictionnaire») träumt, das ihn auf den methodischen Zusammenhang aller Wissenschaften hinweist und damit das Fundament seinerPhilosophie präfiguriert.7 Solche Leseträume begegnen auch in späteren Epochen.

«Weare such stuff/ as dreams are made on, and our little life/ Is rounded with asleep», sagt Prospero in Shakespeares The Tempest (1603, IV, 1, 156–158). Aus welchem «stuff»aber sind Träume gemacht?MicheldeMontaigne, der seine Essais mit Träumereien verglich, bemühtesich vergeblich, seine Träume genauer zu erinnern. Er könne lediglich, berichtet er, die – fröhliche, traurige

4 Zu Krüger vgl. Zelle (Hg.) 2001 und dessen Beitrag in vorliegendem Band.

5 Vgl. Leroux/Palmieri/Pigné 2015.

6 Hier nach der französischen Übersetzung der lateinischen Werkausgabe Cardanos (1554) von Richard Leblanc (1556): Les livres de Hiérome Cardanus 1556, livre XVIII, 371 a–b. Vgl. Bokdam 2012, 438.

7 «X. Novembris 1619, cum plenus forem enthusiasmo, &mirabilis scientiae fundamenta reperirem», Descartes 1908/1619;Baillet 1691;vgl. dazu Dumora 2005, 327–331, und Zittel 2009, 38–40.

8 ClaireGantet,Helmut Zedelmaier

oder merkwürdige – «Farbe»seiner Träume nachempfinden, doch versprachlichen könne er die Träume nicht (Essais III, 5, B, 876). Nur selten träume er, heißt es weiter, und dann meistens von merkwürdigen und lächerlichen Dingen. Träume seien zwar «treue Interpreten unserer Neigungen»; sie recht einzuordnen und zu deuten, sei jedoch eine heikle Kunst (Essais III, 13, B, 1098–1099). Träume setzen sich aus bizarren, aberwitzigen, oft sittenwidrigenBildern zusammen, und scheinen doch Botschaften zu vermitteln. Wie aber können sie entschlüsselt werden?Zahlreiche Schriften haben sich daran versucht, sie loteten die Semantik der Träume aus, schlugen eine Hermeneutik vor und entfalteten eine Rhetorik.Bereits die antiken Götter der Mythologie wie die Figur des Gottes Somnus handelten gleichzeitig aktiv als Schlaferreger und passiv als Schlafallegorie. Noch im 18. Jahrhundert diente die Allegorie als beliebte Methode der Traumauslegung, wie eine illustriertedeutschsprachige Neuauflage von Cesare Ripas zuerst 1593 in Italienisch erschienener Iconologia aus dem Jahr 1760 belegt.8 Doch kann die typisierendeAllegorie das individuelle Wirrwarr der Traumbilder entziffern?Inwelcher Sprache sind Träume geschrieben?

In der Renaissance, als ursprünglich aus dem antiken Ägypten stammende Säulen in Rom ausgegraben und wiederentdeckt wurden, entstand die Vorstellung, dass Traumbilderhieroglyphischer Natur seien.9 So verbildlichte Giorgio Vasari den Traum allegorischmit einem schlafend an einer Sphinx lehnenden jungen Mann, dem ein Daimon allerlei Hieroglypheninseine Seele eingeschrieben hatte,welche in einer Sprechblase zu sehen sind.10 Ähnlich schlendert Poliphilo im erfolgreichenWerk Hypnerotomachia Poliphili (1499)ineinem Traum im Traum durch einen Wald voller mit Hieroglyphen geschmückter Denkmäler.11 Die kryptische Botschaft des Traums wurde anhand von Rebussen, Rätseln, Hieroglyphenund magischen Formeln wiedergegeben. Mit den Arbeiten Athanasius Kirchers im 17. Jahrhundertund William Warburtons im 18. Jahrhundert wurden Hieroglyphen als Überreste einer Ursprache verstanden, die – halb Bild, halb Schrift – eine magischeoder gar metaphysische Komponente besaß.12 Auch in künstlerischen Darstellungen wurdenBuch,Lesen und Traum zusammengeführt. Ansichten von schlafenden biblischen Figuren oder von Maria im Traum in einer Art Ekstase, ein Buch in der Hand haltend, sind seit dem Mittelalter nachgewiesen.13 MittelalterlicheTraumdarstellungen verbildlichen

8 Des berühmten italiänischen Ritters Caesaris Ripae allerley Künsten und Wissenschafften 1760. Vgl. Maser 1971.

9 Vgl. Assmann 1997;Gantet 2021, 99–101, 232–235, 254–258.

10 Vasari ca. 1541–1545. Vgl. Zagoury 2018, 57–74.

11 Colonna 1998.

12 Zu Kircher vgl. Stolzenberg 2013. Warburton 1738–1741 wurde vor allem in seiner französischen Teilübersetzung intensiv rezipiert: Essais sur les hiéroglyphes des Egyptiens,1744. Vgl. Gantet 2021, 255–256.

13 Vgl. beispielsweise Zurbarán ca. 1655. Vgl. Schneider 2020, 79–80.

Zur Einführung: Lesen und Träumen – eine historische Skizze 9

Träumendeund ihre Träume voneinandergetrennt in einem ikonischen und einem symbolischen Register, seit dem 16. Jahrhundert agieren beide zunehmend im gemeinsamen Raum. Die Helldunkelmalerei mit ihren plastischen Effekten des Kerzenlichts intensiviertedie ikonologische Interaktion. So steht beispielsweise in der Darstellung Der Traum des heiligen Joseph von Georges de La Tour ein Engel im Kerzenlicht unmittelbar dem heiligen Joseph gegenüber, der ein offenes (religiöses)Buch in der Hand hält.14 Solche ‹göttlichen› Träume, waren sich allerdings sämtliche Theologen,obkatholischer, lutherischer oder calvinistischer Konfession, einig, seien äußerstselten.15 Das Buch konnte auch zum Attribut von Schlaf und Traum in Vanitas-Kompositionen werden:das Buch – ergo das menschliche Wissen – so vergänglich wie ein Traum.16 Einen berühmten ikonischenStatus erlangten zwei ‹Albträume› aus dem Ende des 18. Jahrhunderts, die von Zeitgenossen aber selten als solche begriffen wurden:17 Francisco de Goyas Aquatinta El sueño de la razónproduce monstruos (Capricho 43, 1797/ 1799, siehe Buchcover)und Heinrich Füsslis lustvoll-schauriges Gemälde The Nightmare (1781, Fig. 10, S. 206).18 Beide Kunstwerke führen auf Schrift und Lesen bezogene Traumphantasmen vor Augen. Bei Goyaschläft die Figur (ein Selbstporträt)auf einem Heft und eineEule reicht ihm einen Stift, bei Füssli liegt ein Buch auf dem Nachttisch im dunklen Vordergrund.

Lesen wie Träumen beruht auf visuellen Eindrücken. Aber sind diese Eindrücke zuverlässig, führen sie nicht nur eine Welt von Trugbildern vor Augen? Im Kontext etwa der Debatte um die Hexerei – gingen die Hexen tatsächlich zum Sabbat oder träumten sie nur davon und hielten diese Träume für die Wahrheit? – wurde zunehmend hinterfragt, dass Träume sich auf die Realität beziehen. Bücher wie Träume wurden jetzt als Fiktionen adressiert. Der Dämo-

14

La Tour 1640.

15 Nach protestantischen Theologen hatten Wunder und Visionen mit der Etablierung der Urkirche im 4. bis 6. Jahrhundert aufgehört. Vgl. Walker 1988.

16 So z. B. in:Luigi Miradori, Cupido dormiente,ca. 1652.

17 Mit «Albtraum»oder «cauchemar»wurden körperlich verursachte, Erstickung bewirkende Träume bezeichnet, die von Ärzten behandelt werden sollten;vgl. beispielsweise das Lemma «Träume, unruhige», in: Großes vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste,Bd. 45, 1745, Sp. 208–209. Was im Deutschen unter dem Terminus «Traum» subsumiert wurde, hieß damals im Französischen «songe»oder «rêve». Bis ins 17. Jahrhundert hinein bezeichnete «songe»das, was wir heute «Traum»nennen würden, «rêve»hingegen eher eine Überspannung, eine Art Delirium. Erst in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde «rêve»zunehmend zum Synonym für Traum, während «songe»weitgehend nur mehr in der Literatur zur Anwendung kam.

18 Goya ca. 1797–1799;Füssli 1781. Auf Füsslis Gemälde liegt das Buch derart in der Dunkelheit, dass man es auch für eine Schachtel halten könnte.

10 ClaireGantet,Helmut Zedelmaier

nologe Pierre Le Loyer bezeichnete um 1606/1608 Träume als «Nachtbücher».19 Zugleich mehrten sich mit der Problematisierung der Zuverlässigkeit der Sinne die Klagen über ‹schlechte› Lektüren und ihre negativenEffekte. Der Gelehrte Joachim Camerarius d. Ä. schrieb eine von Albträumen beherrschte Nacht seiner Lektüre von Pico della Mirandolas Werk über die Hexerei zu. Montaigne und später auch Descartes kritisierten die Mode der mittelalterlichen Ritternovellen.20 Für Nicolas Malebranche, der in seinem Werk De la recherche de la vérité (1675)Descartes’ strenge Unterscheidung von Seele und Körper mit der christlich-augustinischen Metaphysik in Einklangzubringen suchte, besaß die Imagination eine körperliche Grundlage, da die Sinnesstimuli über die Bewegung von spiritus animales in Fasern («fibres») zum Hirn und zur Seele gelangten. Die von körperlichen Prozessen abhängige Imagination verfüge über sämtliche im Hirn gespeicherten «Spuren»der Gedächtniskraft. Dadurch könne sie sich über jede Kontrolle des Willens hinwegsetzen und instabile Bilder – nicht zuletzt im Traum – hervorrufen. Auch Leseeindrücke von ‹schlechten Büchern› könnten sich im Hirn verfestigen und durch die willkürliche Bewegung der Lebensgeisterobsessiv werden, ja sogar zum Wahnführen.21

Ab dem Ende des 17. Jahrhunderts trug ein neu entdecktes ‹Gesetz der Einbildungskraft› noch stärker zur Eingrenzungder Macht der Seele über sich selbst bei. Der Traum lieferte jetzt den Beweis für die Existenz von graduellen Bewusstseinszuständen. Im Wachzustand bändigen Wille und Vernunft die Einbildungskraft. Im Schlaf aber hat sie freien Lauf und kann laszive Träume bewirken. Das 18. Jahrhundertwar geradezu durchdrungen von einer panischen Angstvor der Onanie, die mit dem Akt des Lesens in Verbindung gebracht wurde,wie zahlreiche Bilder dokumentieren.22 Man warnte u. a. vor der Lektüre von Liebesromanen, die bei Männern im Schlaf zu unkontrolliertem Samenverlust führen könne. Die erfolgreiche Abhandlung des Lausanner Arztes Samuel Auguste Tissot L’Onanisme (französisch und deutsch 1760, zahlreiche Neuauflagen folgten) wurde den von der Onanie besessenen Patienten als Gegenmittel empfohlen. Darauf setztebeispielsweise der 23 Jahre alte J.-F. Reichert aus Neapel seine ganze Hoffnung. Am 5. März 1793 schreibt er einen Brief an Tissot, die wiederholte

19 «Livres de la nuit», Le Loyer:Discours et histoires des spectres, 1606/1608, zitiert nach: Certeau 1990, 203.

20 Montaigne 2007, I, 26, 175 A. Descartes 1637, 6–7.

21 Malebranche 1772, 310–312, 333–334. Bezeichnenderweise enthält das knappe Lemma «Traum»inWalchs Lexikon 1726 keine Angabe zu Leseträumen. Vgl. Walch 1726, Bd. 2, Sp. 2586–2588. In Zedlers Lexikon wurden dagegen sowohl die Gefahren der Träume «per associationem idearum»imLemma «Traum»(Bd. 45, 1745, Sp. 173–208, hier Sp. 179–180) als auch Leseträume im Lemma «Einbildung»(Bd. 8, 1734, Sp. 533)behandelt. Vgl. Großes vollständiges Universal-Lexicon 1731–1750.

22 Vgl. Laqueur 2003.

Zur Einführung:
Träumen – eine historische Skizze 11
Lesen und

Lektüre von dessen Werk möge ihn vor seinen lüsternen Träumen bewahren.23 Bei Frauen wiederum konnte die im 18. Jahrhundertvielfach beklagte weibliche «Lesewut»zur «Nymphomanie»führen, die mit einer übermäßigen sexuellen Aufladung der Imagination als Folge der Lektüre von Romanen in Verbindung gebracht wurde.24 Auch Kunstwerke vermittelten solche Ansichten. Der Kupferstich The Novel von James Parker nach JamesNorthcote (1787)beispielsweise zeigt ein Dienstmädchen im Schlafzimmer einer betrübten jungen Frau, das am Morgen mit Bestürzung ein Buch unter dem Kopfkissen entdeckt. Während der FranzösischenRevolution vermehrten sich in England die Warnhinweise auf die aus Frankreich eindringendenschädlichen Romane.25 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Adjektiv «romanesque»inFrankreich eng mit Frauenlektürenverbunden. Die Lektüre von Romanen könne, lautete das Argument, Fiktionen, ein geträumtes Leben, hervorrufen, das die jungen Frauen im besten Fall unglücklich, im schlimmsten Fall aber zu Verbrecherinnen mache.26 Als beunruhigend wurdendabei weniger die Affekte selbst als vielmehr die durch Lektüre erotisierte Leserin wahrgenommen.27 Doch nicht alle Leser ließen sich durch Träume beunruhigen. In einer Abhandlung von 1766 über Träume erzählte der Domherr aus VézelayJérôme Richard, ein typischerVertreter der Aufklärung in der Provinz, von einem Traum («rêve»), den er nach seiner Abendlektüre und der Einnahme des schlaffördernden Weißmohns gehabt hatte:Die Bilder des gelesenen Reiseberichts über Louisiana hätten sich in intensiver Deutlichkeit fortgesetzt.28 Aber auch ohne Schlafmittel habe sich seine Abendlektüre von Romanen frei in gefälligen Träumen («songes») entfaltet.29 Der Abt Richard genoss die Träume nach der Lektüre profaner Bücher, die ihn in Abstand zu den Wechselfällen des Lebens brachten, ja ihn glücklich über die Traumzeit hinaus machten.30 Leseträume halfen ihm, berichtet er, die fremde und widersprüchlicheBeständigkeit seines Ichszuspüren, das sich im Alltag stets zerstreuteund erschöpfte. Und Leseträumekonnten auch eine emanzipatorische Rolle spielen:Einige Frauen verwiesen auf die von strikter Pflichtlektüre bewirkten krankhaftenLeseträume, um die traditionelle religiöse Mädchenbildung infrage zu stellen.31

23 Zitiert nach Gantet 2021, 154.

24 Dazu Behrens/Steigerwald 2016, 26–28.

25 Vgl. dazu Détis 2010, 20 und 22.

26 Vgl. u. a. Matamaros 2017, insbesondere 80–84:Nach Leseträumen brachte etwa Jeanne Desroches ihre Mutter um.

27 Vgl. Nies 1985.

28 Richard 1766, 51–52.

29 Richard 1766, 106–107.

30 Vgl. die differenzierte Analyse von Dumora 2015.

31 So schrieb Suzanne Voilquin über ihre religiöse Emanzipation:«La nuit dans mes rêves, ou le jour àl’église, je revoyais en extase les personnages mystiques de mes livres. Cet état de

12 ClaireGantet,Helmut Zedelmaier

Offen blieb die Frage der Lesbarkeit der Träume. Wieließen sich Träume entziffern?Ein in Utrecht geborener Philologe namens Rijklof Michaëlvan Goens berichtete 1791 im Magazinzur Erfahrungsseelenkunde,wie er oft mit Vergnügen Bücher oder Briefe im Traum gelesen hatte, von denen er beim Aufwachen lediglich einzelne Töne oder Wörter, aber keine richtigen Gedanken zurückbehalten hatte.32 Einige Jahre später wies der französischePhilosoph Pierre Maine de Biran darauf hin, dass das Individuum im Schlaf glaube, dass es liest oder erhabene Dinge hört. Doch was einem Fremden zugewiesen wird, sei von der eigenen Imagination erzeugt.33 Der Mathematiker und Psychologe Joseph Delbœuf nannte diesen Vorgang später «Altruisation». Der Traum sei eine Art Dramatisierung des Denkens. Eigene Zweifel würden im inneren Dialog einem anderen Ich zugeschrieben. Delbœuf stützte sich dabei auf den von van Goens geschilderten und einen eigenen Lesetraum 34 *

Um Träume zu deuten, müssen sie gelesen werden. Doch Lesen ist, wie eingangs gesagt, ein raffiniertes Kulturprodukt, das historisch unterschiedlichgelernt und praktiziert wird.35 Wer liest, der entziffert nicht einfach bloß Zeichen, um Bedeutungen zu erschließen. Im Akt des Lesens, insbesondere dann, wenn es als stummes Für-sich-Lesen betrieben wird, verbindet sich das Entziffern von Zeichen mit eigenen Ideen, Emotionen, Imaginationen der Lesenden, setzen sich wie beim Träumen Vorstellungen und Bilder in Bewegung, die das überschreiten, was Texte, die gelesen werden, vorgeben mögen. Im Don Quijote,imProlog an den Leser, steht der wunderbare Satz, der sich genau darauf bezieht. Der Lebéatitude, ou plutôt d’hébétude systématique, dans lequel je végétai toute une année […], porta ses fruits:[ ]jecontractai cette maladie nerveuse connue sous le nom de danse de SaintGuy […]. Je dois àce philosophe pratique un premier degré d’émancipation intellectuelle.» Zitiert nach:Matamaros 2017, 393.

32 VanGoens 1791, 80–81.

33 In einer posthumen Publikation (Maine de Biran starb bereits 1824): Maine de Biran 1841, Bd. 2, 234–258, hier 240.

34 Delbœuf:«Le Sommeil et les rêves», 1879, 349 zu van Goens und die «Spaltung»des Ichs im Traum («dédoublement du moi»), 345 (Lesetraum): «Jesuis ici devant ma table couverte de papiers et j’écris ces lignes que le lecteur asous les yeux. Je ne pense pas être le sujet d’ un rêve mais, comme le dit Descartes, j’ai parfois rêvé semblable chose, tout en me disant en outre dans mon rêve que je ne rêvais pas. Tout récemment je fais un rêve extrêmement compliqué, assez bien enchaîné, et très intéressant. Puis je m ’ assure tout d’ un coup qu ’il mérite d’être noté, et, toujours rêvant, je le consigne soigneusement sur une feuille de papier brouillard. Ne rêvé-je pas encore en ce moment que je l’écris sur papier ordinaire?». Zur «Altruisation»vgl. Delbœuf:«Sur le dédoublement du moi», 1879, 618. Vgl. dazu Carroy 2012, 183–202.

35 Einen ausgezeichneten historischen Überblick ermöglicht:Chartier/Cavallo 1999.

Zur Einführung: Lesen und Träumen – eine historische Skizze 13

ser sei mit dem Autor «weder verwandt noch befreundet»: «duhast», wendet sich der Autor an den Leser, «deinen eigenenKopf und deinen freien Willen, so gut wie nur irgendeiner in der Welt, du bist Herr in deinem Hause,wie ein Fürst in seinem Erbe, und kannst, wie das Sprichwort sagt, dem König unter deinem Mantel ein Schnippchen schlagen.»36 Und beim Lesen wie Träumen begegnet dem Individuum eine andere, oft fremde Welt jenseits von Vernunft und Zivilisation. Ebendies ließ Lektüren wie Träume als potenziell gefährlich erscheinen, denn sie konnten Religion, Moral, Herrschaft und Politik infrage stellen und untergraben. Die Pathologisierung und Moralisierung des Lesens und Träumens mit den damit verbundenen Kontroll- und Disziplinierungsmaßnahmen sind Reaktionenauf ebendiese seit Beginnder Neuzeit vielfach beschworenen Gefahren.37

Lesen ist eine ‹konkrete Modalität›,hat keine universelle Geltung. «Lesen hat eine Geschichte», lautet ein oft zitierter Ausspruch Robert Darntons,es «fand nicht immer und überall auf dieselbe Weise statt».38 Dasselbe gilt für das Träumen. Auch geträumt wird offensichtlich historisch immer anders, auch Träume, tatsächliche wie fiktive, werden wie Lektüren auf historisch unterschiedliche Weise entziffert, kontrolliert, diszipliniert und erforscht. Der vorliegende Band interessiert sich vor allem für die noch kaum untersuchte Verwandtschaftsgeschichte von Lesen und Träumen, für deren Parallelen und Verbindungen im Lauf der Geschichte,für die Plastizität von ‹Träumen› und ‹Lesen›.Kann man im Traum wirklich lesen?Was und wie wird im Traum gelesen?Und kann das mit Imagination und Gedächtnis verbundene Lesen nicht auch als eine Art Wachtraum verstanden werden?Welchen Glauben können Träume und Lektüren beanspruchen?Verwandelt sich das Ich im Traum und beim Lesen?Die folgendenBeiträge, die auf eine Tagung im Oktober2021 an der Universität Fribourg zurückgehen, beanspruchen nicht, darauf definitive Antworten zu geben. Sie können nur vorläufige Einsichten anbieten, einige Schlaglichter setzen und Perspektivierungen im Blick auf das ‹lange› 18. Jahrhundert vorschlagen, als über Träumen und Lesen intensiv nachgedacht wurde und Leseträume zu einer Art experimentellen Werkstatt für die Erforschung der menschlichen Seele und ihrer ästhetischen Produktivität avancierten.

36 Cervantes Saavedra 1975, Prolog. 37 Zu frühneuzeitlichen Lektüreregularien vgl. Zedelmaier 2015.

38 Darnton 1990, 133.

14 ClaireGantet,Helmut Zedelmaier

Ad liminem. Lireetrêver

une esquisse historique

«Là, je feuillette àcette heure un livre, àcette heure un autre, sans ordre et sans dessein, àpièces décousues ;tantôt je rêve, tantôt j’enregistre et dicte, en me promenant, mes songes que voici», Montaigne, Essais,III, III, «Detrois commerces».

L’activité de lire et celle de rêver sont-elles comparables ?À première vue, pas vraiment.Lalecture implique un apprentissage. C’est une technique culturelle que les individus maîtrisent et pratiquent diversement, et certains même pas du tout. Elle relève d’ une action intentionnelle :semettre àlire, et se mettre àlire ceci plutôt que cela, est le résultat de décisions. Le rêve, en revanche, ne s ’apprend pas mais survient de façon involontaire – et nous rêvons tous, que nous le voulions ou non. Les rêves sont largement soustraits au contrôle de la conscience ;ils ne sont pas un produit culturel comme la lecture, mais jusqu’à un certain point un produit «naturel»1 Pourtant, il existe des points communs. Rêver, comme lire, va en quelque sorte de soi. Que se passe-t-il au juste lorsque nous rêvons et lorsque nous lisons ?«Nous avons arpenté le ciel et décodé l’acide désoxyribonucléique mais toujours pas les rêves qui peuplent nos têtes. Que s ’ypasse-t-il en nous ?Et qu ’est-ce que c ’est au juste qu ’ un rêve ?», pouvait-on lire récemment sur le rêve dans un journal quotidien.2 Des affirmations similaires caractérisent la lecture.

1 Voir Jung 1987, 630 :«Nun ist der Traum jedoch ein Naturprodukt,erhat keine ethischen Absichten. [ ]Man kann daraus ein ethisches, ein philosophisches oder sonst ein Problem machen, aber es liegt nicht im eigentlichen Traum.»[«Or, le rêve est un produit naturel ; il n ’ apas d’intentions éthiques. […]On peut en faire un problème éthique, philosophique ou autre, mais celui-ci ne repose pas dans le rêve proprement dit. »]

Le terme allemand «Traum»correspond en français aussi bien au «songe»qu ’ au «rêve». Jusqu’ au XVIIe siècle, le «songe»désignait ce que nous appellerions aujourd’hui «rêve», alors que le «rêve»serapportait àuntransport de l’âme, àune sorte de délire. Dans la seconde moitié du XVIIe siècle, le «rêve»prend peu àpeu son sens moderne, tandis que le «songe» devient un terme avant tout littéraire. Par commodité, les termes «rêve»et«songe»sont employés de façon indifférenciée dans cette introduction. Les contributions les différencieront.

2 Voir Ratzesberger 2022, 12.

«Certaineschoses se dérobent àlaréflexion ;lalecture en fait partie. Nous la pratiquons de façon variée et accumulons des expériences idoines, et pourtant nous avonsbien du mal àconcevoir l’acte de la lecture», constate l’historien de la culture Ulrich JohannesSchneider.3 Ce qui se passe lorsque nous rêvons ou lorsque nous lisons ne peut pas être observé directement, mais seulement de façon médiate, en particulier au moyendemesures neurophysiologiques, auxquelles on se plaît de nos jours àsoumettre l’activité de la lecture aussi bien que celle du rêve.

Les relations entre la lecture et le rêve ont toutefois une longue histoire. Le rêve étant une activité incontrôlée, il alongtemps été considéré comme relevant d’ une inspiration divine et ajoué un rôle central dans la mythologie. Les Métamorphoses d’Ovide, avec leurs nombreux songes, inspirent, de la Renaissance jusqu’ en plein XVIIIe siècle,des rêves de lectures. Elles ornent ainsi le frontispice des Rêves (1754)du ‹médecin raisonnable› Johann Gottlob Krüger.4 Àpartir de la Renaissance, des poètes rêvent d’écrire leurs œuvres ou se voient l’écrire en rêve, ainsi Pétrarque de ses Triomphes. Dans sa Théologie platonicienne,Marsile Ficin présente le sommeil comme une vacance de l’âme propre à favoriser l’inspiration.5 Des philosophes sont fréquemment représentés en train de dormir, comme sur la gravure de Dürer Le songe du docteur. Jérôme Cardan raconte comment, dans un rêve récurrent, il avuunbeau livre – son titre, son contenu et ses caractères d’impression – et reçu l’injonction d’écrire ce livre tout en ne cessant de se demander s ’il s ’agissait véritablement de son œuvre ou de celle d’ un autre. Il aalors commencéà rédigerquelquespages, et au fil de l’écriture, le rêve s ’est fait de moins en moins insistant.6 Ce livre dont il a maintes fois rêvé et qu ’il aluligne àligne en rêve n ’est autre que son ouvrage De subtilitate (1550)qui l’arendu célèbre. Il le voit en rêve dans sa matérialité, y prend un grand plaisir, et tandis qu ’il le lit en rêve, il ne tente pas de comprendre ce qui se passe en lui. Faisant retour sur lui-même dans ce ‹rêve spéculaire›,ilse demande, hésitant, quel moi lisant il rencontre dans le rêve :son ouvrage devait avoir un auteur d’origine surnaturelle (son génie familier), àmoins que le rêve lui-même n ’ait inspiré son œuvre. Des rêves tout autant déconcertants l’auraient mené, àencroire Cardan, àlarédaction de 22 livres. Le jeune René Descartes, quant àlui, empli d’enthousiasme, rêve dans la nuit du 10 au 11 novembre 1619 d’ un dictionnaire qui lui suggère le lien méthodique de toutes les scienceset

3 Schneider 2020, 7.

4 Sur Krüger voir Zelle (Hg.) 2001 et sa contribution dans le volume présent.

5 Voir Leroux/Palmieri/Pigné 2015.

6 Ici d’après la traduction en français par Richard Leblanc (1556)del’édition latine de 1554 de l’ ouvrage de Cardan :Les livres de Hiérome Cardanus 1556, livre XVIII, 371a-b. Voir Bokdam 2012, 438.

16 ClaireGantet,Helmut Zedelmaier

préfigure ainsilefondementdesaphilosophie.7 De tels rêves de lecture surviennentégalement dans des périodes ultérieures.

«Weare such stuff/ as dreams are made on, and our little life/ Is rounded with asleep», dit Prospero dans La Tempête de Shakespeare (1603, IV, 1, 156–158). Mais de quelle «étoffe»sont faits les rêves ?Michel de Montaigne, qui compare ses Essais àdes rêveries, s ’efforce également de se souvenir de ses rêves. Or il ne parvient qu ’àressentir aposteriori la «couleur» – gaie, triste ou étrange – de ses rêves, mais non àmettre en mots ses rêves (Essais III, 5, B, 876). Il songe peu souvent, ajoute-t-il, et lors de choses fantastiques et de chimères «ridicules». Les songes sont certes les «interprètes fidèles de nos penchants»; mais leur évaluation et interprétation correctes sont un art délicat (Essais III, 13, B, 1098–1099).

Formés d’images bizarres,absurdesetsouvent immorales, lesrêves semblent pourtant délivrer desmessages – mais commentles décoder? Nombre d’ ouvrages onttenté de sonder la sémantique desrêves,deproposerune herméneutiqueetde déployer unerhétorique. Lesdieux antiques de la mythologie,telle la figure du dieu Somnus,sontcensés agir àlafoisactivemententantqu’agentdusommeil et passivement commeallégorie du sommeil. Au XVIIIe siècle encore,l’allégorieest uneméthode familièred’interprétation desrêves,comme uneédition allemande illustréede1760del’Iconologia de Cesare Ripa le montre (l’éditionoriginale étant de 1593).8 Procédant partypes,l’allégoriepeut-elle être àmêmededéchiffrer l’enchevêtrementindividueldes images oniriques? Dans quelle langue lessonges sont-ils écrits ?

ÀlaRenaissance, tandis que l’ on exhume àRome des colonnes originaires de l’Égypte antique, se répand la croyance que les images oniriques sont de nature hiéroglyphique.9 Giorgio Vasari évoque le rêve de façon allégorique, en représentantunjeune homme endormi appuyé sur un sphinx et un démonqui lui insuffle toute sorte de hiéroglyphes dans l’âme,visibles dans une bulle de texte.10 Poliphile, dans l’ ouvrage très apprécié Hypnerotomachia Poliphili (1499), évolue dans un rêve dans le rêve, àtravers une forêt emplie de monuments ornés de hiéroglyphes.11 Le message crypté du rêve est rendu par des rébus, des énigmes, des hiéroglyphes et des formules magiques. Avec les travaux d’Athanasius Kircher au XVIIe et de William Warburton au XVIIIe siècles, les hiéro-

7 «X. Novembris 1619, cum plenus forem enthusiasmo, &mirabilis scientiae fundamenta reperirem», Descartes 1908/1619;Baillet 1691;voir Dumora 2005, 327–331, et Zittel 2009, 38–40.

8 Des berühmten italiänischen Ritters Caesaris Ripae allerley Künsten und Wissenschafften 1760. Voir Maser 1971.

9 Voir Assmann 1997 ;Gantet 2021, 99–101, 232–235, 254–258.

10 Vasari ca. 1541–1545. Voir Zagoury 2018, 57–74.

11 Colonna 1998.

Ad liminem. Lireetrêver – une esquisse historique 17

glyphes sont perçus comme des reliquats d’ une langue primordiale, mi-image, mi-écriture,pénétrée d’éléments magiquessinon métaphysiques.12

Des œuvres picturales associent également le livre, la lecture et le rêve. Des représentations de figures bibliques endormies ou de Marie rêvant dans une sorte d’extase, un livre àlamain, sont attestées depuis le Moyen Âge.13 Les représentations médiévales de songes recourent àundouble registre séparant le rêveur (niveau iconique)etlerêve (niveau symbolique). La séparation de ces deux ordres s ’estompe àpartir du XVIe siècle.Lapeinture en clair-obscur, avec les effets plastiques de la lumière de la bougie, élargit encore l’ espace iconologique. Dans le tableau de Georges de La Tour Le Songe de saint Joseph,par exemple, un ange baigné de la lumière de la bougie se dresse immédiatement devant Joseph, qui tient dans sa main un livre (religieux) ouvert.14 De tels rêves ‹divins› sont rares, prétendent néanmoins àl’unanimité les théologiens, qu ’ils soient d’obédience catholique, luthérienne ou calviniste.15 Le livre peut aussi devenir un attribut du sommeil et du rêve dans des compositions relevantdela thématique de la vanité: le livre – c ’est-à-dire le savoir humain – est éphémère tel un rêve.16 Deux ‹cauchemars› de la fin du XVIIIe siècle, même si les contemporains les ont rarementqualifié ainsi, ont acquis un statut iconique célèbre.17 Il s ’agit de l’aquatinte de Francisco de Goya El sueño de la razón produce monstruos (Capricho 43, 1797/1799, en couverture de ce recueil)18 et du tableau voluptueux et effrayant d’HeinrichFüssli Nightmare (1781, Fig. 10, p. 206). Ces deux œuvres rapportent les phantasmes oniriques àl’écriture et àla lecture :l’aquatinte de Goya montre un personnage (unautoportrait)dormant sur un cahiertandis qu ’ une chouette lui tend un stylet, et dans la peinture de Füssli, un livre gît sur la table de nuit dans l’obscur premier plan.

Lire, comme rêver, repose sur des impressions visuelles. Mais celles-ci sontelles fiables ou n ’instillent-elles pas qu ’ un monde d’illusions ?Dans le contexte du débat sur la sorcellerie – les sorcières vont-elles réellement au sabbat ou ne

12 Sur Kircher, voir Stolzenberg 2013. Warburton 1738–1741, qui aété intensément reçu par sa traduction française partielle :Essais sur les hiéroglyphes des Egyptiens, 1744. Voir Gantet 2021, 255–256.

13 Voir par exemple Zurbarán ca. 1655. Voir Schneider 2020, 79–80.

14 La Tour 1640.

15 Selon les théologiens protestants, les miracles et visions ont cessé lors de l’établissement de l’Église primitive aux IVe –VIe siècles. Voir Walker 1988.

16 Ainsi par exemple chez Miradori ca. 1652.

17 Le «cauchemar»oul’«Alptraum»désigne des songes corporels provoquant la suffocation et qui doivent être traités par des médecins. Voir par exemple la notice «Träume, unruhige», Großes vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, Bd. 45, 1745, p. 208–209.

18 Goya ca. 1797–1799 ;Füssli 1781. Dans le tableau de Füssli, le livre se trouve dans l’obscurité et l’ on pourrait le prendre pour une boîte.

18 ClaireGantet,Helmut Zedelmaier

Das Signet des Schwabe Verlags ist die Druckermarke der 1488 in Basel gegründeten Offizin Petri, des Ursprungs des heutigen Verlagshauses. Das Signet verweist auf die Anfänge des Buchdrucks und stammt aus dem Umkreis von Hans Holbein. Es illustriert die Bibelstelle Jeremia 23,29: «Ist mein Wort nicht wie Feuer, spricht der Herr, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeisst?»

DAS LANGE 18. JAHRHUNDERT / LE LONG XVIII E SIÈCLE /

THE LONG EIGHTEENTH CENTURY

Herausgegeben von / dirigé par Nathalie Ferrand, Marian Füssel, Claire Gantet, Helmut Zedelmaier Lesen und Träumen verbindet auf den ersten Blick wenig. Lesen ist Kulturprodukt, Träumen hingegen, um es mit den Worten von C. G. Jung zu sagen, «Naturprodukt». Dennoch haben Lesen und Träumen Gemeinsamkeiten. Der weitgehend unerforschten Verwandtschaftsgeschichte, den Parallelen und Verbindungen von Lesen und Träumen widmen sich die Beiträge dieses Bandes in unterschiedlichen Hinsichten und historischen Perspektivierungen: Was und wie wird im Traum gelesen? Verwandelt sich das Ich im Traum und beim Lesen? Definitive Antworten auf diese Fragen sind nicht möglich. Das Buch wirft aber erhellende Schlaglichter im Blick auf das lange 18. Jahrhundert, als Leseträume zu einer Art experimenteller Werkstatt für die Erforschung der menschlichen Seele und ihrer ästhetischen Produktivität avancierten.

À première vue, peu de choses lient l’activité de la lecture à celle du rêve. Lire est un produit culturel tandis que rêver, pour reprendre les mots de C. G. Jung, est un « produit naturel ». Cependant, la lecture et le rêve partagent aussi des points communs. Les contributions de ce recueil explorent, sous différents angles, l’histoire de la parenté entre lecture et rêve, ainsi que les similitudes et les affinités qui les relient, autant de questions jusqu’ici rarement étudiées. Que lit-on en rêve et comment se déroule cette lecture onirique ? Le moi se transforme-t-il dans le rêve ou pendant la lecture ? Ce livre ne prétend pas donner des réponses définitives à ces questions. Il jette cependant quelques coups de projecteur sur le « long » XVIII e siècle, période où la lecture en rêve est promue au rang d’atelier expérimental permettant de sonder l’âme humaine et d’étudier sa productivité esthétique.

Claire Gantet ist Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Fribourg / Freiburg. Claire Gantet est professeure d’histoire moderne à l’Université de Fribourg ( Suisse ).

Helmut Zedelmaier ist freier Publizist und lehrt am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München. Helmut Zedelmaier est publiciste indépendant et enseigne au département d’histoire de la Ludwig-Maximilians-Universität de Munich.

www.schwabe.ch DLAJ 1

Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.