BBG189: Philippe Wanner. Wirksame Zeichen oder wirkungslose Dinge?

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Zur Debatte über medizinische Wirkungsund Zeichenkonzepte im Umfeld der Universität Basel um 1580

BASLER BEITRÄGE ZUR GESCHICHTSWISSENSCHAFT PHILIPPE WANNER 189
WIRKSAME ZEICHEN ODER WIRKUNGSLOSE DINGE?

Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft

Begründet von E. Bonjour, W. Kaegi, F. Staehelin

Weitergeführtvon

F. Graus, K. v. Greyerz, H. R. Guggisberg, H. Haumann, G. Kreis, H. Lüthy, M. Mattmüller, W. Meyer, J. Mooser, A. v. Müller, M. Schaffner und R. Wecker

Herausgegeben von C. Arni, S. Burghartz, L. Burkart, M. Lengwiler, C. Opitz-Belakhal, O. Palko, J. Rüdiger, F. B. Schenk und J. Tischler

Band 189

Zur Debatte über medizinische Wirkungs- und Zeichenkonzepte im Umfeld der Universität Basel um 1580 Schwabe Verlag
Philippe Wanner Wirksame Zeichen oder wirkungsloseDinge?

Erschienen 2023 im Schwabe Verlag, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel, Schweiz

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Abbildung Umschlag: Vera urbis Basiliensis effigies A.1. Sebastian Henric Petri, Basel 1577. Universitätsbibliothek Basel, UBH Kartenslg Schw Ml 2. Aus: Wurstisen, Christian:Epitome historiae Basiliensis: praeter totius Rauricae descriptionem, urbis primordia, antiquitates, res memorandas, clarorum civium monumenta, caeteraque; his similia complectens: una cum Episcoporum Basiliensium catalogo: Accessit his, Aeneae Sylvii, qui postea Pius II. Pontifex fuit, Basilea, nuspiam antehac edita, Basel 1577.

Korrektorat: Susanne Schneider, München

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ISBN Printausgabe 978-3-7965-4807-9

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GedrucktmitfreundlicherUnterstützungderChristineBonjour-Stiftung,der FreiwilligenAkademischenGesellschaftBaselunddesMaxGeldner-Fonds.
Inhalt 1Wirksame Zeichen und ihreKritik .. .. ... .... ... .... ... .... ... 9 1.1 Das tolerante Basel ... ... ... .. ... ... .. .. ... .. .. .... ... ... 18 1.2 Konfessionalisierung und Zensur ... ... .... ... .... .... ... ... 21 1.3 1578 – Zensur im Zenit .. .... .... ... .... ... .... .... ... ... 33 2Wirksame Zeichen:Abendmahl, Signatur und Symptom .... ... 41 2.1 Geschichte der Zeichen ... ... .. ... ... .. .. ... .. .. .... ... ... 42 2.1.1 Zum Verhältnis von Zeichen, Begriffen und Dingen ... ... 43 2.1.2 Versprachlichung von Begriffen und Zeichen .. ... ... .. . 46 2.1.3 Zeichen als Repräsentation von Begriffen. ... .. .. .. .. ... 50 2.1.4 Natürlicheund konventionelle Zeichen .. ... .. .. .. .. ... 53 2.2 Abendmahl als konfessionelles Zeichen .... ... .... .... ... ... 56 2.3 Signatur und Signaturenlehre .. .... ... .... ... .... .... ... ... 66 2.3.1 NatürlicheZeichen lesen .... ... .... ... .... .... ... ... 79 2.3.2 Weltimmanenz der Signaturen .. .... ... .... .... ... ... 83 2.3.3 Wahre Erkenntnis .. .. .. .... ... .... ... .... .... ... ... 88 2.3.4 Prägung der Welt .. .... .... ... .... ... .... .... ... ... 91 2.4 Symptom als «modernes»medizinisches Zeichen ... .... ... ... 95 3Thomas Erastus’ Kampf gegen die paracelsische Medizin ... ... 105 3.1 Erastus’ Bedeutung als Laientheologe. .. ... ... .... .... ... ... 111 3.1.1 Der Heidelberger Katechismus ... .... ... .... .... ... ... 113 3.1.2 Erastus’ Einfluss schwindet .. ... .... ... .... .... ... ... 114 3.1.3 Erastus und Johann Jakob Grynaeus .. ... .... .... ... ... 119
3.2 Erastus’ Schaffen vor Paracelsus ... ... .... ... .... .... ... ... 124 3.2.1 Astrologie und die Kometen .. .. .... ... .... .... ... ... 130 3.2.2 Warnung vor der Astrologie .. .. .... ... .... .... ... ... 144 3.3 Disputationumdemedicina nova Philippi Paracelsi .. ... .. .. .. 148 3.3.1 Kritik aus kirchenpolitischer Not .... ... .... .... ... ... 155 3.3.2 Häretische Schöpfungstheorie ... .... ... .... .... ... ... 157 3.3.3 Personifizierung der Häresie .. .. .... ... .... .... ... ... 172 3.3.4 Warnung vor Dr. Johann Faust .. .... ... .... .... ... ... 176 3.4 Erastus’ Kritik wirksamerZeichen .. ... .... ... .... .... ... ... 180 3.4.1 Kraftlose Worte, Zeichen und Gestirne .. .... ... .. .. ... 182 Substanz und Akzidenz .. .... ... .... ... .... .... ... ... 193 3.4.2 Ursache und Wirkung der Zeichen ... ... .... ... .. .. ... 200 Wirkung der Worte als Zeichen .. ... ... .... .... ... ... 203 Konventionelle oder natürliche Worte ... .... ... .. .. ... 204 Wirkungslose Verneinung ... ... .... ... .... .... ... ... 210 3.4.3 Gott als «himmlische»Ursache .. .... ... .... .... ... ... 212 Freiheit des Willens .. .. .. ... .. .. ... .. .. ... .. .. ... ... 213 Magie als Täuschung ... .. ... .. .. ... .. .. ... .. .. ... ... 218 Idolatrie ... .... ... .... .... ... .... ... .... .... ... ... 225 4Zensur von ThomasMuffets Disputation 231 4.1 Politische Zensur .. ... ... .... .... ... .... ... .... ... .. .. ... 233 4.1.1 Formalia und Stellenwert der Disputationen .. ... .. .. ... 239 4.1.2 Muffet, Felix Platter und Theodor Zwinger ... ... .. .. ... 243 4.1.3 Thomas Erastus’ Einfluss auf Muffet .. .. .... .... ... ... 249 4.2 Medizinische Zensur .. ... ... .. ... ... ... .. .. ... .. ... .. .. .. 253 4.2.1 Ursache der Schmerzmittelwirkung .. ... .... .... ... ... 259 Himmlische Ursache?. .. .. .. ... ... .. .. ... .. ... ... .. . 265 4.2.2 Musik als Medizin .. ... .. ... ... ... .. .. ... .. ... .. .. .. 273 Pico della Mirandola, Marsilio Ficino und John Case .. ... 280 4.3 TheologischeZensur .. ... ... .. ... ... ... .. .. ... .. ... .. .. .. 287 4.3.1 Amulette als zeichenhafte Heilmittel .. ... .... .... ... ... 288 Die magnetischeHeilwirkungdes Rhabarbers .. ... ... ... 299 6 Inhalt
4.4 Muffet – ein Zensuropfer der Konfessionalisierung?. ... .. .. .. 305 5Heinrich Khunraths Disputation über die Signaturen .. .. .... ... 309 5.1 Rein medizinisches Wissen?. .. .... ... .... ... .... .... ... ... 318 6Schluss 321 7Quellen 327 7.1 Ungedruckte Quellen .. .. ... .. ... ... ... .. .. ... .. ... ... .. . 327 7.1.1 Briefe .. .... .... ... .... .... ... .... ... .... .... ... ... 327 7.1.2 Handschriften .. ... ... .. ... ... ... .. .. ... .. ... ... .. . 328 7.2 Gedruckte Quellen .... ... .... .... ... .... ... .... ... .. .. ... 328 8Literatur ... .... .. .. ... .. .. .. .. .. .... .. .. ... .. .. .. .. .. .. .. ... 337 Dank .. .... ... .... ... .... .. .. .. .. .. .... ... .... .. .. .. .. .. .... .. . 345 Personenregister .. .. .... ... .... ... .... .. .. .. .. .. .... ... .... .. . 347 Orts– und Sachregister .. ... .... .. .. .. .. .. .... ... .... ... ... .. .. 351 Inhalt 7

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts beschäftigtensich Basler Studenten und Professoren intensiv mit der Medizin des Paracelsus,1 die zu grossen Kontroversen und Zensurfällen führte. Anders als die traditionell-scholastische Medizin, sahen Paracelsus und seine Nachfolger den Menschen und die Welt in der Tradition des hermetischen und neuplatonischen Denkens unter ständigem Einfluss der Gestirne. Dieses Denken zeigt sich bei Paracelsus und seinen Nachfolgernunter anderem in einer metaphorischen und analogischen Sprache, die kosmische Verbindungen offenbart. Solche Verbindungen, zwischenSteinen und Gestirnen oder zwischen Menschen und Pflanzen beispielsweise, lagen für die Anhänger dieser Weltsicht wirklich und natürlich vor. Sie waren überzeugt,dass sich diese in realen Zeichen niederschlügen. Die Zeichen besässen Kraft und gäben einen wahren Einblick in das Buch der Natur. Pflanzen, Tiere oder Steine verrieten über ihre Farbe, Form oder sogar ihren Namen ihre Wirkung. Diese wirklichen, natürlichen und realen Zeichen wurden auch als Signaturen bezeichnet, die auf den Dingen, Menschen,Gestirnen etc. eingeprägt vorliegen sollten. Die sogenannte Signaturenlehre beschäftigt sich mit der Interpretation dieser Signaturen, wie weiter unten noch genauer besprochen wird. Regenwürmer sollten gut gegen Bauchweh wirken, weil sie die gleiche Form wie die Gedärme aufweisen. Die Blütenform der Pflanze Augentrost2 zeigte an, dass sie bei Problemen mit den Augen helfen könne. Frühe Beispielefür die Vorstellung, dass mittels natürlicher Zeichen verborgene Zusammenhänge und Kräfte offengelegt, Wirkungen vorausgesagt oder provoziert werden könnten, finden sich seit der Antike in grosser Zahl. Für den himmlischen Deutungshorizont war die

2 Lat. euphrasia

1Wirksame Zeichen und ihre Kritik
1 Aureolus Theophrastus Bombast von Hohenheim (1493/94 Egg bei Einsiedeln‒1541 in Salzburg), genannt Paracelsus.

Astrologie und später die Astronomie zuständig,für die weltlichen Zeichen

andere Lehren wie die Chiromantie3 oder die antike Physiognomie4,die Kabbala («cabalistischesignata»)5,die Geomantia,Pyromantia, Hydromantia, Chaomantia, Necromantia und andere, die neben der ars signata Verborge-

3 Chiromantie meint die Kunst, Handlinien als Zeichen lesen zu können. Nach Paracelsus’ Weltauffassung muss die Welt dem Gebildeten offensichtlich vorliegen. Der geschulte Blick ermöglicht es, die Geheimnisse der Welt zu lüften (Paracelsus:Die 9Bücher de Natura rerum, an Johansen Winkelsteiner zu Freiburg im Üchtland, Villach 1537 (?), 1928, S. 384 f.).

4 Für das Verständnis der physiognomischen Zeichen ist das neunte Buch «deSignatura rerum naturalium»(Ebd., S. 373)zentral. Laut Paracelsus gibt es, wie bei den Gestirnen, zweierlei physiognomische Zeichen. Sie bedingen sich. Jene, die von den oberen Gestirnen des Himmels herrühren, und jene vom unteren Mikrokosmos. Die oberen Gestirne signieren den Menschen nach der Generation bis in das mittlere Alter mit Zeichen der Natur und Eigenschaften. Die Zeichen des unteren Gestirns stammen von Vater und Mutter. «Soetwan die muter mit irer imagination aus gelust, forcht oder schrecken durch iren angriff das kint in irem leib signiert mit ubernatürlichen zeichen, wie man dan mutermeler nennet.» Ebd., S. 381. Paracelsus behandelt folglich die physiognomischen Zeichen der oberen Gestirne. Was bedeutet diese und jene Haarqualität, was diese oder jene Augenfarbe?«Rote augen zeigen einen künen starken menschen an.» Es sei nötig, die Zeichen nach der physiognomischen Kunst zu erkennen, und dass der Mensch (vor allem der Arzt)nach der «kunst signata»gebildet sei und somit von den äusseren Zeichen auf den inneren Menschen schliessen könne (Ebd., S. 381 f.).

Ian Maclean findet, dass die Signatur wegen dieses essentialistischen Anspruchs gegen die Tradition verstösst. Es seien aber nicht alle Aspekte der Signaturen «mystical and unscientific:the fact that illnesses are said by Paracelsus to have aphysiognomy prepares the way for seeing them as ontological entities;the fact that urine has asignature predisposes later doctors to look at its composition analytically […].» (Maclean, Ian:Logic, Signs and Nature in the Renaissance:The Case of Learned Medicine, Cambridge 2002, S. 324).

5 Im Buch Paragranum tritt die Kabbala als «scientia»oder «ars»auf. Die Kunst der Kabbala mache Verborgenes zugänglich (Paracelsus:Das Buch Paragranum, Nürnberg [?] 1530, in:Peuckert, Will-Erich [Hg.]: Werke. Studienausgabe in fünf Bänden, Basel 2010, Bd. I, S. 499 ff.). Paracelsus schrieb auch an anderer Stelle über die Kunst der Kabbala (Paracelsus:Gabalia. Liber Azoth sive de ligno et linea vitae, [1591 (?)] in:Peuckert, Will-Erich [Hg.]: Werke, Basel 2010, Bd. V, S. 335–389).

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nes manifestieren zu können meinten.6 Die Signaturenlehre ist ein Phänomen davon. Die Bedeutung, Funktion und Wirksamkeit von Zeichen wurden im 16. Jahrhundertinder Medizin und in den Bereichen Astrologie, Alchemie und Magie intensiv diskutiert. Es wäre nun falsch zu meinen, dass diese Debatte allein von den Signaturen handelte. Es ging vielmehr um die Zeichen an sich. Allgemein war ein Unmut über die aristotelische, scholastische Wissenschaft sowie das Auftauchen von antiken Texten und Strömungen ausschlaggebend für die Renaissance der Naturphilosophie und ihrer Zeichenkonzepte.7

In Anbetracht der grossen Präsenz der natürlichen Zeichen im Werk Paracelsus’ und in seiner Rezeption soll der Blick auf diese Zeichen gerichtet und gefragt werden, ob diese Zeichen ein Grund dafür waren, dass die daraus resultierendennaturmagischen Konzepte Paracelsus’ umstritten waren. Diese These wird historiografisch gesehen vor allem durch die moderne Behauptung geprägt, dass Paracelsus die Signaturenlehre erfunden habe. Vorallem die Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts entdeckte Paracelsusals Erfinder der sogenannten Signaturenlehre, einer Zeichenerkennungslehre, neu und sah in ihm einen frühen empirisch-naturwissenschaftlich arbeitenden Gelehrten.Die Signaturenlehre war fortan für das Verständnis der Kon-

6 Paracelsus zählt viele weitere Beispiele in De natura rerum auf, die er als Zeichen erkennen will. Die Knoten im Bauchnabel, die verfärbte Leber bei geschlachteten Tieren oder die Wolken und der Mond galten ihm als Signatur (Paracelsus:Die 9Bücher de Natura rerum, an Johansen Winkelsteiner zu Freiburg im Üchtland, Villach 1537 [?], 1928, S. 399). Nach der Abhandlung zu den natürlichen Zeichen räumt Paracelsus bezüglich der übernatürlichen ein, dass ihre Deutung grosse Erfahrung und besondere Künste wie die Astrologie, Magie und dergleichen voraussetzt. Diese bergen in sich wiederum andere Künste:Geomantia, Pyromantia, Hydromantia, Chaomantia, Necromantia etc. Die Geomantia beispielsweise signiert das ganze Erdreich durch ihre Täler, Hügel und wunderbar seltsame Bildnisse. Sie empfängt ihre Kräfte von den sieben Planeten wie eine Scheibe den Pfeil oder die Kugel eines Schützen (Ebd., S. 400 f.).

7 Copenhaver;Schmitt:Renaissance philosophy, 1992;Kusukawa:The natural philosophy of Melanchthon and his followers, 1999;Debus:The chemical philosophy:Paracelsian science and medicine in the sixteenth and seventeenth centuries [1977], 2002;Ohly: Zur Signaturenlehre der frühen Neuzeit:Bemerkungen zur mittelalterlichen Vorgeschichte und zur Eigenart einer epochalen Denkform in Wissenschaft, Literatur und Kunst, 1999.

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zepte Paracelsus’ von zentraler Bedeutung und sollte Paracelsus folglich als Marke anhaften.

In der Tat kann festgestellt werden, dass nicht nur das Werk Paracelsus’ von Zeichen und ihrer Bedeutunghandelte, sondern das Thema der Zeichen die ganze zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts beschäftigte. Die Menschen sahen eine auffällige Zeichenfülle und interpretierten sie. Man stritt sich darüber, was ein Zeichen sei, was nicht und was das alles zu bedeuten habe. Sowohl Befürworter als auch Kritiker von Paracelsuswaren sehr empfänglich für dessen Zeichenkonzepte. Zeichen generell und Paracelsus’ Werke waren beliebte Themen im damaligen christlichen Europa, so auch in Basel.8 Peter Perna beispielsweise druckte eine Schrift von Paracelsus über magische Zeichen, die offenbar in Nürnberg aufgefundenworden waren.9 Verschiedenste Berichte über Kometen als Zeichen fanden regen Absatz an Buchmessen.10 Dem gegenüber stand die Tatsache, dass widernatürlicheHandlungen,die sich Zeichen bedienten, unter Androhung von Strafe verboten waren. Das Gleiche galt für das Anbeten von Zeichen.

Für die Fragen nach der Wirksamkeit von Astrologie und Magie, konkret der Signatur oder dem Symptom, sowie für die Abendmahlsdiskussion der Reformation wurden Zeichentheorien in zentralen Punkten zur Argumentation herangezogen, womit sich unter anderem die Präsenz der als Zei-

8 Erastus, Thomas:Disputationum de medicina nova Philippi Paracelsi Pars Prima: In qua, quae de remediis superstitiosis et Magicis curationibus ille prodidit, praecipue examinantur, Basel 1572;Zwinger, Theodor:Theodori Zvingeri Philos. et Med. Basil. physiologia medica:eleganti ordine conscripta, rebusque scitu dignissimis, Theophrasti item Paracelsi totius fere Medicinae dogmatibus illustrata, Basel 1610, verdeutlichen nebst vielen in Basel gedruckten Paracelsus-Ausgaben die Präsenz des Themas.

9 Paracelsus:Auszlegung der Figuren, so zu Nürenberg gefunden seind worden, gefört in grundt der magischen Weisssagung durch Doctorem Theophrastum von Hohenheim, Basel 1572.

10 Laut Erastus sind Kometen keine Zeichen für den Tod von Königen, für Krieg oder Pest, sondern eher ein Zeichen von Dürre und Winden (Erastus, Thomas:Decometarum significationibus sententia Thomae Erasti, veris ac certis ex ipsa rei natura petitis argumentis probata, Basel 1578). Paracelsus berichtete von Kometen als Zeichen für Pest, Dürre und Krieg:«Es kommend Commeten und zeychen am himmel.» Paracelsus:Usslegung des Commeten erschynen im Hochbirg, zuo mitlem Augsten, anno 1531, Zürich 1531, S. 7, vgl. Kapitel:«3.2 Erastus’ Schaffen vor Paracelsus».

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chen interpretierten Phänomene in der Gesellschaft erklärt. Die Frage, in welchem Verhältnis Zeichen, Symbole und Bilder zu ihrem Vorbild stehen, war dabei von zentraler Bedeutung. Stehen Zeichen und Abzubildendes lediglich in einem konventionellenVerhältnis, wie es Aristoteles für die meisten Zeichen vorschlägt, so können Zeichen keine Wirkung haben. Jegliche Magie und Astrologie ergeben erst Sinn, wenn man von einer natürlichen und realen Verbindung zwischenZeichen, Symbolen und Bildern einerseits und Gott, Kosmos, Mensch, Natur und Ding andererseits ausgeht. Das natürliche oder konventionelle Zeichenkonzept hat erhebliche Folgen für das Verständnis der Welt und der Beziehung zu Gott. Besondere theologische und politische Brisanz erhielt diese Frage in der Reformationszeit. Die Konfessionen konnten sich nicht darüber einigen, ob Christus im Zeichen des heiligen Sakraments am Abendmahl wahrhaftig anwesend sei oder nur symbolisch, als Erinnerung. Die reformierten Protestanten erinnerten den Opfertod nur symbolisch. Die vermeintliche Wiederholungdes Todes Christi im täglichen Abendmahl, wie es die Anhänger des Papstes auffassten, würde der Einmaligkeit des Kreuztodes nicht gerecht. Protestanten warfen den römisch Gläubigen auch vor, sie würden den Leib Christi in der Hostie anbeten und sich somit sogar der Idolatrie schuldig machen.11 Die Artisten und Theologen an den Universitätenstritten sich darüber, ob Begriffe und Wörter natürliche Einheiten seien und deshalb im Zeichen auch das Abgebildete selbst in irgendeiner Form enthalten sei. An diesem Punkt wurden sich auch die Protestanten nicht einig. Unter anderem diese Uneinigkeit führte zum Bruch zwischen Lutheranern und Zwinglianern. Dass Brot und Wein mehr sein sollten als ein Symbol, lehnte Huldrych Zwingli in der Tradition der aristotelischen Zeichentheorie aus ähnlichen Gründen ab wie dass magischen Zeichen eine besondereKraft innewohnen sollte. Der reine Verweis, das Symbolisieren, sei der einzige Sinn der Zeichen.

Diese genannten Punkte lassen Zeichen als analytisch wertvoll erscheinen, um zu prüfen, weshalb gewisse Wirkungskonzepte im 16. Jahrhundert

11 Im Heidelberger Katechismus von 1563, dem am weitesten verbreiteten Katechismus der reformierten Kirche, wird der päpstlichen Messe vorgeworfen, dass sie Brot und Wein in einem abgöttischen Akt anbeteten, vgl. 80. Frage und Antwort des Heidelberger Katechismus (Friedrich von der Pfalz:Catechismus oder Christlicher Underricht, wie der in Kirchen und Schulen der Churfürstlichen Pfaltz getrieben wirdt, Heidelberg 1563).

1Wirksame
Kritik 13
Zeichenund ihre

in Basel zensiert wurden. Die Hauptthese soll lauten:Paracelsusund seine Anhänger stellten für die akademischen Eliten ein Problem dar, weil Letztere in Paracelsus’ Aussagen eine unwissenschaftliche und sogar häretische Konzeption von Ursache und Wirkung erkannten, die sich in einer hermetischneuplatonischen Zeichenlehre manifestiert. Konkret würde das heissen, dass mit der hermetisch-neuplatonischen Zeichenlehre direkte astrologische Einflüsse auf die Welt geltend gemacht würden, was beispielsweise die menschliche Freiheit oder die AllmachtGottes infrage stellt.

Die Geschichte der Zensur von hermetisch-neuplatonischen Zeichenund Wirkungskonzepten kann nicht allein entlang der universitären Wissenschaft, also des akademischen Wissens, der Universität und ihrer Protagonisten erzählt werden. Die Beschreibung des paracelsischen Wissens verlangt nach einer Betrachtungder äusseren Umstände wie Politik, Konfession und Universitätspolitik, die dieses Wissen in manchen Fällen tolerierten und in anderen zensierten und die Urheber der häretischen Wirkungskonzepte zurechtwiesen.Dabei ist es fundamental, das hermetische Wissen nicht als reinen okkultenGegenentwurf zum scholastischen Weltverständnis zu verstehen, welcher von einer verschworenen Gemeinschaft etabliert wurde. Gelehrte wie Agrippa von Nettesheim,Paracelsus oder Heinrich Khunrath mit ihren Theorien über die natürlichen Zeichen sowie Symbole und zu den unmittelbaren Beziehungenvon Makro- und Mikrokosmos beriefen sich auf etablierte und komplexe Wissenstraditionen, die der scholastischen Logik aber teilweise diametral entgegenstanden.

Paracelsus wurde im Verlauf des 16. Jahrhunderts sehr bekannt.Seine unorthodoxen Theorien galten in gewissen Kreisen, wie jenen um Thomas Erastus, als mit häretischem Potenzial behaftet. Die Vorstellung von direktanalogischen Zeichen, die in einem neuplatonischen System, das auf Sympathien und Entsprechungen beruhte, funktionieren sollten, spielte eine zentrale Rolle im unorthodoxen Denken, wie es Erastus seinem Gegner Paracelsus vorwarf. Dies zeigt sich in einem Brief, den Erastus’ Bekannter Gessner an Crato von Krafftheim schrieb. Er kritisiert Paracelsusdarin als simplifizierenden Arzt, weil er auf allen Simplicia (Rezeptzutaten)durch Himmelseinfluss eingeprägte Zeichen vermutete.12 Handkehrum nahmen gewisse An-

12 Croll, Oswald:Designaturis internis rerum:Die lateinische Editio princeps (1609) und die deutsche Erstübersetzung (1623), Stuttgart 1996, S. 13 f.

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hänger Paracelsus’,etwa Michael Toxites und Oswald Croll, direkten Bezug auf seine Zeichenlehre und bemängelten, dass zu wenige die alte Signaturarerum-Kunst beherrschen würden und sie in Vergessenheitgerate.13

Diese Studie wird zeigen, dass die Ideen Paracelsus’ nie eine solch prominente Stellung in der Geschichte erlangt hätten, hätte dieser bei seinen zeitgenössischen Rezipienten und deren Nachfolgern nur als alchemistisch arbeitender Arzt Missfallen und Widerspruch erregt. Das Problem war wesentlich tiefgehender.Eskann vermutet werden, dass sich die Sprengkraft und die potenzielle Häresie des Paracelsismus aus seinem unkonventionellen Zeichen- und dem daraus hervorgehenden Wirkungskonzept ableiten lässt und die fundamentale Zeichendebatte der Zeit sich in der Figur Paracelsus’ , wie sie von seinen Kritikern entwickelt wird, verdichtet.14

Im Folgenden sollen zuerst die UniversitätsstadtBasel und ihre Haltung gegenüber dem Druck von Schriften über unorthodoxes Wissen betrachtet werden. Hier fand die Wissensproduktion statt, das heisst, hier wurde verhandelt, was gedruckt werden konnte – ohne Vor- oder Nachzensur. Denn trotz Zensur konnte in Basel zu den umstrittenen Themendieser Zeit – den Konfessionsdebatten respektive dem Abendmahlsstreit sowie über Astrologie und Magie respektive den Paracelsismus – sehr rege diskutiert und gedruckt werden. Die Stadt Basel betrieb als Ort zwischen den politischen und konfessionellen Reichen eine tolerante Politik. Das heisst, die Stadt liess viele verschiedene konfessionelle Inhalte sowie unorthodoxes Wissen zu, um bei niemandem anzuecken. Gleichzeitig wurde versucht, extremes Wissen zu zensieren, damit niemand Basel als Druckort kritisieren konnte. Diese liberal-opportune Haltung führte dazu, dass Paracelsus, der Täuferführer David Jorris, der Calvin-Kritiker Sebastian Castellio und andere unorthodoxe Gelehrte recht lange in der Stadt geduldet waren und ihre Werke im 16. Jahrhundert gedruckt werden konnten. Die Situation verschlechtertesich nach dem Amtsantritt von Antistes Johann Jakob Grynaeus gegen Ende des 16. Jahrhunderts, der unter konfessionellem Druck die Zensur in Bezug auf unorthodoxes Wissen verschärfte.

13 Ebd., S. 14.

14 Daraus lässt sich die Berühmtheit Paracelsus’ und des sogenannten «Paracelsismus» ableiten.

1Wirksame Zeichenund ihre Kritik 15

Nach dem Blick auf die Zensur und deren Begleitumstände in Basel folgt ein kurzer Abriss zur Geschichte der Zeichen respektive der umstrittenen Parameter des Zeichenbegriffs, ausgehend von Aristoteles’ Peri hermeneias. Ein Blick in die Geschichte der Zeichen zeigt, dass sich vor allem sprachliche Zeichen semiotisiert haben. Das heisst, sie gehorchten mehr und mehr den Regeln der Semiotik. Dies bedeutet, dass sie zu reinen Verweisen wurden, die keine eigentliche Verbindungzuihrem Bezeichneten brauchten, um jene zu bezeichnen. Die so losgelösten Zeichen wurden dann aber über andere Strömungen mit Kraft und Wirkung aufgeladen, denn Zeichen bieten sich als Vehikel für magische und medizinische Wirkung an, weil sie eine unsichtbare Wirkung wie astrale Kräfte beispielsweise über Amulette fassbar machen können. Damit konnten Zeichen eine freie Verbindung eingehen, die nicht von jedermann gleich interpretiert wurde und den Interpretationsbedarf nie versiegen liess. Die Geschichte der Zeichen kann an den Diskussionen über den Wert des Abendmahlsund über den medizinischen Stellenwert von Signaturen und Symptomen konkretisiert werden.

Anschliessend soll der Heidelberger Arzt und Laientheologe Thomas

Erastus (1524–1583)und seine Schrift Disputationum de medicina nova Philippi Paracelsi,die von 1572 bis 1573 in Basel bei Peter Perna gedruckt wurde, untersucht werden. Erastus gilt als grösster Kritiker des paracelsischen Wissens im 16. Jahrhundert. Die auf über tausend Seiten in vier Bänden angelegte Kritik an Paracelsus’ Neuer Medizin zeigt eindrücklich, wie breit und kontrovers Paracelsus diskutiert wurde und welche Rolle Zeichenund Wirkungskonzepte in der Kritik spielten. Erastus geht es darin um nichts weniger als eine Warnungvor dem grossen Häretiker Paracelsus, der die Christenheit durch seine falsche Weltansicht bedrohe.

Die Zensur von Thomas Muffets medizinischer Disputation verdeutlicht, wie umstritten die hermetischen und neuplatonischen Zeichenkonzepte auch an der Universität Basel waren. Muffets Disputation hielt im Jahr 1578 der Zensur nicht stand und zeigt so die universitätspolitischen Auswirkungen angesichts unorthodoxer Weltvorstellungen in Basel. Die Wirkungskonzepte, die Muffet in seiner Disputationvertrat und die sich vor allem in seinen Ideen niederschlugen, etwa dass Musik und Amulette medizinisch wirksam seien, mussten korrigiert werden. Offenbar war es für die Universität problematisch, dass Muffet betonte, wie das Weltliche durch die Gestirne ermächtigt würde – nicht zuletzt, weil diese These von Thomas Erastus strikt

16 1Wirksame Zeichen und ihre Kritik

abgelehnt wurde. Die reale Verbindungzwischen den Gestirnenund der Welt, welche Lehren wie jene von Paracelsusdermassen häretisch und unwissenschaftlich erscheinen liessen, konnten laut vorherrschender Meinung nicht im Einklang mit der aristotelisch-scholastischen Orthodoxie stehen.

Den letzten hier zu betrachtenden Fall, welcher von natürlichen Zeichen handelt, stellt die Basler Disputation De signaturarerum naturalium aus dem Jahr 1588 dar. Der berühmte Arzt Heinrich Khunrath betont in dieser Arbeit die Wichtigkeit der natürlichen Zeichen und verhandelt deren Bedeutung, Natur, Funktion und Kraft. Bei der Drucklegung und der Verteidigung der Disputationsschrift kam es offenbar zu keinerlei Schwierigkeiten. Ob es inhaltliche, politische oder konfessionelle Umstände waren, welche es ermöglichten, dass Khunraths Arbeit unzensiert gedruckt wurde, soll zum Schluss untersucht werden. Der Wandel der Weltvorstellungen und der Idee von orthodoxem Wissen sowie Wissenschafthängen jedenfallsstark mit sich wandelnden Zeichenkonzepten zusammen und führten in Basel immer wieder zuZensur.15

Die zentrale und brisante Stellung von Zeichen im 16. Jahrhundertsoll in der vorliegenden Arbeit anhand medizinischer Schriften im Umfeld der UniversitätenBasel und Heidelberg diskutiert werden.16 Nun aber zuerst zu der allgemeinenSituation in der Stadt Basel und ihrem schwierigen Weg zwischen Toleranz und Zensur von Wissen in Zeiten der Konfessionalisierung. 15 Zeichen und ihre Theorie waren in der Naturphilosophie, der Metaphysik, der Theologie und der Erkenntnistheorie von grosser Bedeutung. Auf der Ebene des Zeichenkonzeptwandels passiert der komplexe Prozess der Ablösung der jungen Naturwissenschaft von der Naturphilosophie und der magia naturalis,vgl. Meier-Oeser, Stephan:Die Spur des Zeichens. Das Zeichen und seine Funktion in der Philosophie des Mittelalters und der fruhen Neuzeit, New York 1997, S. 346. Ebenso bei:Fuss, Peter:Von den Zeichen der Welt zur Welt der Zeichen. Semiologische Konzepte bei Paracelsus und Fischart, in:Wirkendes Wort 52, 2002, S. 333–360.

16 Die Autoren sind ausgebildete Mediziner oder Mediziner in Ausbildung. Die Medizinische Fakultät der Universität Basel genoss im 16. Jahrhundert internationales Ansehen. Eine Vielzahl wichtiger Wissenschaftler wie Andreas Vesal, Felix Platter, Theodor Zwinger, Thomas Erastus, Heinrich Khunrath, Andreas Libavius oder Thomas Muffet studierten und lehrten in Basel.

1Wirksame Zeichenund ihre Kritik 17

1.1 Das tolerante Basel

DiegeografischeLageamFussder oberrheinischenTiefebene zwischenden badischen, elsässischenund schweizerischen Gebietenbrachte der StadtBasel seitJahrhunderten handelswirtschaftliche Vorteile und auch politischeFreiheiten. Da Baselnicht im geografischen Zentrum der eidgenössischen Herrschaftstand undals Handelsplatz auf gute Beziehungen angewiesen war, lag es nicht im Interesse derStadt,politische Konflikte oder gar kriegerische Auseinandersetzungen zu riskieren.Dieswurde vonZuwandernden geschätzt, weshalb im 16.Jahrhundert bereits rund10000 Einwohnerinnen und Einwohner in Basel lebten. Damitwar Baseletwagleichgross wieGenf. DieStädte Bern, Luzernund Zürich warenbedeutend kleiner und Basel wardamit seit demBeitrittzur EidgenossenschaftimJahr1501die grössteStadt der damaligenSchweiz.Trotz derteilweise verheerenden Pestepidemienund grossem situativemBevölkerungsschwundblieb dieBevölkerungszahl mehroderwenigerkonstant und erreichte1609sogar 12 000Einwohner. Biszur Mitte des 17.Jahrhundertswohnten abermehroderweniger rund10000 Personenin Basel. NebenvielenHandwerkern,die nach Baselzogen,fanden im Zuge der Reformation in den1520er-Jahrenprotestantische Exilanten ausFrankreich, Italien undden nördlichenNiederladeninder Stadt Zuflucht. Unterden Exilanten waren auch Kaufleute oder Gelehrte, diebei denBuchdruckern oder an derUniversität Anstellungfanden. Im Laufeder zweiten Hälfte des 16.Jahrhundertsgewannendie in der Stadt ansässigen Gewerbe wie das Seidengewerbe, die Papiermühlen oder der Buchdruckzunehmend an Bedeutung,wozudie Exilanten viel beigetragen hattenund weiterhin beitrugen.17

Mit dem Erlass einer neuen Kirchenordnung am 1. April 1529 hatte Basel definitiv ins reformierte Lager gewechselt. Der Bischof verliess daraufhin die Stadt Richtung Jura. In der Ordnung wurden bereits im 15. Jahrhundert geforderte Vorschriftenwie Kleiderordnung, Bestimmungen gegen Eidbruch, Feiertagentheiligung oder Ehebruch aktualisiert und erstmals auch Bestimmungen zur Kirchenordnung und Strafbestimmungen einbezogen, die vorwiegend von Sitte und Moral handelten, wie Fragen des Ritus oder des Ehe-

17 Guggisberg, Hans Rudolf:Reformierter Stadtstaat und Zentrum der Spätrenaissance:Basel in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in:Buck, August (Hg.): Renaissance – Reformation. Gegensätze und Gemeinsamkeiten, Wiesbaden 1984, S. 200.

18 1Wirksame Zeichen und ihre Kritik

rechts. Damit sollten die Laster und Missbräuche durch Gottesdienst ersetzt und jegliches Zuwiderhandeln sollte bestraft werden. Ebenfalls sollten zwei ordentlicheProfessoren das Alte und das Neue Testament lehren. Rechtshistorisch gesehen führte damit Basel nicht nur eine normative Grundordnung, sondern auch eine Verfassung ein, die das Verhältnis von Kirche und Staat neu aushandelte.18

Theologisch gesehen entfremdete sich die Basler Kirche ab den 1550erJahren von den Städten Bern, Schaffhausen und Zürich. Antistes Simon Sulzer wehrte sich 1566 dagegen, die confessio helvetica posterior anzunehmen. Noch 1570 war es unmöglich, eine Neuedition des Basler Bekenntnisses von 1534 mit zwinglianischen Randglossen zu drucken.19 Die konfessionelle Unabhängigkeit der Stadt und ihre kirchlichen und universitären Exponenten unter Sulzer standen lange an oberster Stelle und ermöglichten es der Stadt, geschäftlich sowohl mit dem altgläubigen Umland als auch mit den lutheranischen Städten im Reich und den eidgenössisch-reformierten Städten gute Beziehungenzupflegen. Sulzer verfolgte mit seiner konfessionellen Ausrichtung der Kirche auch sicherheitspolitische Ziele. Durch die Annäherung an lutheranische Reiche wollte Sulzer seine Position als Vermittler zwischen schweizerischem und deutschem Protestantismus stärken und gegen den Fürstbischof von Basel votieren. So war es ihm vor allem wichtig, dass unorthodoxe Ansichten nicht direkt mit Basel in Verbindung gebracht werden konnten.

Die undefinierte Stellung Basels mit einer Mehrheit eidgenössischer Lutheraner sollte sich Ende der 1570er-Jahre verkomplizieren. Die theologische Elite der Stadt konnte sich bezüglichder wichtigsten Fragen der lutherischen Konkordienformel von 1577 nicht einigen. Zudem kursierten um das Jahr 1580 mehrere Ausgaben des «Konkordienbuchs», was eine Einigung der protestantischen Kräfte in der Eidgenossenschaft und im ganzen Reich erschwerte.20 Das Luthertum setze sich in Basel schliesslich auch nicht durch.

Mit dem Tod von Sulzer und dem Antritt von Antistes Johann Jakob Gry-

18 Burghartz, Susanna:Die «durchgehende»Reformation – Basler Mandate von 1529 bis 1780, in:Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 116, 2016, S. 92 ff.

19 Lüber, Alban Norbert:Die Basler Zensurpolitik in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in:Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 97, 1997, S. 123.

20 Ebd., S. 121.

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