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Friedrich Amstutz

Ein Innerschweizer Leben in den Fängen von Psychiatrie und Justiz

BibliografischeInformation der Deutschen Nationalbibliothek

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Die Deutsche Nationalbibliothekverzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2023 Schwabe Verlag, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel, Schweiz

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Das Werk einschliesslich seiner Teile darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in keiner Form reproduziert oder elektronisch verarbeitet, vervielfältigt, zugänglich gemacht oder verbreitet werden.

Abbildung Umschlag:Friedrich Amstutz in jungen Jahren (ohne Datum).

Korrektorat:Simone Buckreus, Regensburg

Cover:icona basel gmbh, Basel

Layout:icona basel gmbh, Basel

Satz:3w+p, Rimpar

Druck:Hubert &Co., Göttingen

Printed in Germany

ISBN Printausgabe 978-3-7965-4853-6

ISBN eBook (PDF)978-3-7965-4856-7

DOI 10.24894/978-3-7965-4856-7 rights@schwabe.ch www.schwabe.ch

Das eBook ist seitenidentisch mit der gedruckten Ausgabe und erlaubt Volltextsuche.

Zudem sind Inhaltsverzeichnis und Überschriften verlinkt.

«… ich schätze den in die Irrenanstalt abgedrängten Eigenbrötler mit dem innerschweizerischen Charakterkopfsehr und möchte alles vorgekehrt wissen, um Unrecht gut zu machen.»

(ProfessorJakob Klaesi, Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Waldau am 21. August 1953 an den Bürgergemeinderat von Engelberg)

Es war zu Beginn der 1980er Jahre – ich war damals Präsident des Obergerichtes des Kantons Obwalden –,als eine betagte Frau aus Engelberg hartnäckig versuchte, ein Verfahren um Rückgabe von Liegenschaften auszulösen, um die sie geprellt worden sei. Es ging um den Nachlass ihres längst verstorbenen Bruders Friedrich. So viel war ihren Eingaben zu entnehmen.Esgab aber nichts mehr zu holen, lag doch die fragliche Erbteilung Jahre zurück.

Dennoch versuchteich herauszufinden, was hinter den Umtrieben der alten Dame stecken könnte, denn die Erfahrung hatte mich gelehrt, dass Menschen meist nicht grundlos querulieren. Ich beauftragte einen Mitarbeiter, sich bei der Gemeindekanzlei von Engelberg kundig zu machen. Dabei brachte er in Erfahrung,dass es sich bei Friedrich Amstutz um einen vermögenden Landwirt und Betreiber einer Sennerei handelte. In den Dreissigerjahren sei dieser im Zusammenhangmit einer Auseinandersetzung mit dem Gemeinderat wegen Immissionen seines im Dorf betriebenen Schweinestalles verhaftet, bevormundet und in Irrenanstalten versorgt worden. In den Fünfzigerjahren sei er entlassen worden, nachdem ein Psychiater der Klinik Waldau die Anstaltsunterbringung als ungerechtfertigt bezeichnet hatte. Friedrich Amstutz soll sich geweigert haben, nach Engelberg zurückzukehren, zumal die Bürgergemeindevon ihm geltend gemachte Entschädigungsforderungennicht anerkannt habe. Er sei in Münsingen geblieben und habe eine Stelle als Bauernknechtangenommen. Die Geschichteliess mich nicht los. Doch fehlte mir damals die Zeit, ihr nachzugehen.

Noch zu Lebzeiten von Friedrich Amstutz überschütteten seine Geschwister die Behörden von Engelberg, aber auch den Regierungsrat des Kantons Obwalden mit Vorwürfen. Hierauf regte der Regierungsrat den Bürgergemeinderat an, den Fall aufzuarbeiten. Dazu protokollierte der Rat am 28. August 1962:

«Bisherige Bemühungen, den Fall einer rechtlich genügend ausgebildeten Person zur Bearbeitung zu übergeben, sind leider ebenfalls gescheitert, weil sich keiner der Angefragten bereitfinden wollte, diese äusserst zeitraubende Aufgabe zu übernehmen.»

Die Kindes- und Erwachsenschutzbehörde (KESB)des Kantons Obwalden hat mir Akteneinsicht gewährt. Zum einen, weil die Schutzfristen für besonders schützenswerte Personendaten abgelaufen sind;1 zum andern, weil die Konsultation der Akten der Aufarbeitungdes Falles des Friedrich Amstutz und insoweit auch wissenschaftlichen Zwecken dient.2 Die «Universitären psychiatrischen Dienste Bern»und die «Luzerner Psychiatrie» stellten die Friedrich Amstutz betreffenden Akten zur Verfügung, die Gemeindekanzlei von Engelberg die einschlägigen Gemeinderatsprotokolle. Vormir stehen fünf Ordner Vormundschaftsakten der Gemeinde Engelbergund ein Konvolut des Staatsarchivs des Kantons Obwalden. Ich schicke mich an, den Fall des Friedrich Amstutz zu rekonstruieren, und hoffe, damit dem bislang unerfüllt gebliebenen Anliegen des Bürgergemeinderates Engelbergnachzukommen.

Die Darstellung beruht im Wesentlichen auf schriftlichenDokumenten wie Korrespondenzen, psychiatrischen Gutachten, behördlichen Verfügungen und Gerichtsentscheidungen. Werden Dokumente wie namentlich Briefe des Friedrich Amstutz wörtlich wiedergegeben,wird die originale Schreibweise trotz teilweise fehlerhafter Orthographie und Syntax beibehalten. Werden Dokumente in indirekter Weise wiedergegeben,erfolgt das möglichst in Anlehnung an die Originale. Es wird darauf verzichtet, die jeweiligen Quellen in Hunderten von Fussnoten namhaft zu machen, zumal die entsprechenden Akten nicht offentlich zuganglich sind.

1 Art. 10 der Verordnung über das Staatsarchiv Obwalden vom 18. Oktober 1996 (Stand 01. 07. 2005): «Archivgut, das nach Personennamen erschlossen ist und besonders schützenswerte Personendaten oder Persönlichkeitsprofile enthält, unterliegt einer Schutzfrist von 50 Jahren, ausser wenn die betroffene Person einer Einsichtnahme zugestimmt hat.»

2 Art. 11 Abs. 2des Bundesgesetzes über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 (AFZFG;SR211.223.13): «Soweit dies für wissenschaftliche Zwecke erforderlich ist, haben weitere Personen das Recht auf Zugang zu den Akten.»

Das bis Ende 2012 gültige, die Artikel 360–456 umfassende Vormundschaftsrecht des Zivilgesetzbuches («Die allgemeine Ordnung der Vormundschaft») wurde durch den am 1. Januar 2013 in Kraft getretenen «Erwachsenenschutz»völlig neu geordnet, nicht nur was Nummerierung der Artikel und Begriffsbildung anbelangt, sondern auch hinsichtlich des Inhalts. Soweit Artikel des früher geltenden Rechts zitiert werden, werden sie, wie das in der juristischen Literatur üblich ist, mit «alt ZGB»bzw. «aZGB»bezeichnet.

Das Schicksal des Friedrich Amstutz könnte in der Form einer faktengestützten Erzählung wiedergegeben werden. Ich entscheide mich gegen einen narrativen Text und ziehe die Form der Dokumentation vor. Die Fakten sprechen für sich, in diesem Fall eine überdeutliche Sprache. Das erlaubt es, auf persönliche Wertungen des Geschehens weitgehend zu verzichten. Lediglich zum besseren Verständnis werde ich da und dort Erläuterungen hinzufügen.

Einen besonderen Dank schulde ich Herrn Ernst Gfeller, der mir über die letzten Lebensjahre des Friedrich Amstutz liebenswürdigerweise Auskunft erteilt und auch die wenigen existierenden fotografischenAbbildungen des Friedrich Amstutz zur Verfügung gestellt hat.

Sarnen, Mai 2023

Niccolò Raselli

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