TOPOGRAPHIEN DES VERLORENEN
Zur Praxis des Verlierens und Findens in Kleinanzeigen, 1730–1850
Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft
Begründet von E. Bonjour, W. Kaegi, F. Staehelin
Weitergeführtvon
S. Burghartz, F. Graus, K. v. Greyerz, H. R. Guggisberg, H. Haumann, G. Kreis, H. Lüthy, M. Mattmüller, W. Meyer, J. Mooser, A. v. Müller, C. Opitz-Belakhal, M. Schaffner und R. Wecker
Herausgegeben von N. Amsler, C. Arni, L. Burkart, M. Lengwiler, J-F. Missfelder, O. Palko, L. Rischbieter, J. Rüdiger, F. B. Schenk und J. Tischler
Band 191
Lars Dickmann
Topographien desVerlorenen
Zur Praxis des Verlierens und Findens in Kleinanzeigen, 1730 – 1850
Schwabe Verlag
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ISBN Printausgabe 978-3-7965-5226-7
ISBN eBook (PDF)978-3-7965-5227-4
DOI 10.24894/978-3-7965-5227-4
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V. Räume des Verlorenen
1. Durch die Tore, über den Markt ins Gedränge – städtische Alltagsmobilität
2. Dem Verlorenen auf der Spur – eine methodische Annäherung
3. «Hin und wieder durch die Statt» –Raumnutzungen
4. Flanieren, kegeln, zechen – die Erweiterung der städtischen Öffentlichkeit
I. Einleitung
Am zweiten August 1742 fiel in Basel die Mütze eines Kindes aus einem Fenster auf die Strasse. Ein üblicherweise kaum beachtenswertes Ereignis. In diesem Falle aber erschien in der darauffolgenden Woche eine Anzeige im lokalen Intelligenzblatt – nachfolgend Avisblatt genannt – worin der Inserent oder die Inserentin um die Rückgabe der Kindermütze bat:
Abbildung 1: Anzeige im Basler Avisblatt, 08. 08. 1742.
Verwichenen Donnerstag Abends ist ein Kind am Rüdengässlein, als es zum Fenster hinaus sahe, sein schwartz-sammeter mit silbernen Spitzen und Band besetzter Kindenbolli ab dem Köpflis an die Gasse hinunter gefallen;Wer dehne aufgehebt und an seine Behörde gibet, solle auf Verlangen einen halben Gulden Trinckgeld haben.
Eine knappe Verlustanzeige mit einer – auf den ersten Blick – in sich geschlossenen Erzählung und rein funktionalem Zweck:möglichst kurz genügend Informationen zu vermitteln, um den- oder diejenige, der oder die die Mütze gefunden und mitgenommen hat, zur Rückgabe zu motivieren. Auf den zweiten Blick offenbart die Annonce jedoch eine Reihe von Anknüpfungspunkten für historische Fragestellungen. Die buchstäbliche verlorene Materialität und deren Beschreibung ermöglicht Zugriff auf allfällige Nutzungen oder subjektive Bedeutungszuschreibungen des Objekts.1 Das Anbieten eines «Trinckgeldt[s]»lässt erahnen, dass ein versprochener Finderlohn
1 Dazu auch Droste:Die Materialität des Verlusts, S. 146.
ein entscheidender Faktor für die Erfolgswahrscheinlichkeit eines Inserats sein konnte und nicht zuletzt eröffnet die Verlustanzeige mit der Erwähnung des Fensters einen Blick auf eine spezifische Schnittstelle zwischen öffentlichen und privaten Räumlichkeiten.2
Diese Anzeige aus dem bereits genannten Basler Avisblatt ist eine von etwa 86’000 Verlustanzeigen, die zwischen 1729 und 1844 in der Rubrik «Verloren und gefundene Sachen»inseriert wurden, und die im Nachfolgenden Grundlage für quantitative und qualitative Untersuchungen sein sollen. Der gewählte, verhältnismässig lange Untersuchungszeitraum bietet den Vorteil, dass bestimmte Muster hinsichtlich der Materialität der verlorenen Objekte, wie auch der Verlustanzeigen selbst über die ‹Sattelzeit›3 in der Longue durée sichtbar werden. BisherigeForschungen zu Anzeigen- und Intelligenzblätternnahmen in erster Linie eine vergleichende, mediengeschichtliche Perspektive ein oder beschränkten sich auf einzelne Rubriken der Anzeigenblätter, zumeist Verkaufsanzeigenund Werbeinserate.4 Untersuchungen zu Verlustinseraten fehlen dagegen bislang weitgehend, auch wenn in jüngster Zeit das Interesse für Inserate zu verlorenen, gefundenen oder gestohlenen Objekten und Tieren zunahm. Eine systematische Erschliessung solcher Anzeigen über eine längere Zeitspanne ist angesichts einer kaum überschaubaren Menge von Einzelinseraten nur vereinzelt erfolgt. In der vorliegenden Arbeit wird dies zum ersten Mal anhand von Verlustanzeigen im Basler Avisblatt vorgelegt.5
2 Dazu etwa Jütte:Das Fenster als Ort sozialer Interaktion, S. 471.
3 Zum Begriff Brunner/Conze/Koselleck:Geschichtliche Grundbegriffe, S. XV.
4 Die Untersuchung ist Teil des Forschungsprojektes Printed Markets. The Basel Avisblatt, 1729 – 1845. Als Überblickswerke über das Intelligenzwesen und Berichthäuser bieten sich an:Tantner:Die ersten Suchmaschinen;Blome:Vom Adressbüro zum Intelligenzblatt. Zu Anzeigenblättern als Verkaufsplattformen am Beispiel von Leipzig, Homburg:Warenanzeigen;ineinem konsumgeschichtlichen Kontext am Beispiel der französischen affiches auch Jones:The Great Chain;zum Avisblatt in Basel bisher Mangold:Das Basler «Avis-Blatt».
5 Erwähnenswert ist dennoch der jüngst erschienene Beitrag über die berlinischen Kleinanzeigen von Droste:Die Materialität des Verlusts. Zu niederländischen Intelligenzblättern Weduwen/Pettegree:The Dutch Republic and the Birth of Modern Advertising, S. 174–184. Mit spezifischem Fokus auf Diebstahlsanzeigen Styles:Print and Policing; mit Fokus auf Annoncen vermisster Hunde in den Frankfurter Nachrichten Steinbrecher:
Beim Basler Avisblatt handelte es sich um die erste Intelligenzzeitung, die 1729 auf dem Gebiet der Alten Eidgenossenschaft gegründet wurde und anschliessend im wöchentlichen Rhythmus über mehr als hundert Jahre ununterbrochen erschienen und vollständig überliefert ist.6 Das Avisblatt entstand in der Anfangszeiteiner Gründungswelle, die um 1720 in den deutschsprachigen Regionen Europas einsetzte. Intelligenzblätter – wobei es sich zumeist um reine Anzeigenblätter handelte – richteten sich an ein breites städtisches Publikum und zeugen von einer sozialen Ausweitung der Pressekommunikation in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts über die städtischen Eliten hinaus.7 Dabei kam der Intensivierung eines Informationsaustausches von alltagspraktischen Anliegen wie Verkaufs- und Ankaufsangebote, Arbeitsvermittlung, Immobilienanzeigen wie eben auch dem Inserieren von verlorenen und gefundenen Gegenständen eine zentrale Rolle zu.8
Die vorliegende Studie versteht sich aber nicht – jedenfalls nicht in erster Linie – als eine medien- oder kommunikationstheoretische Studie. Vielmehr sollen im Sinne einer praxistheoretischen Prämisse eingeübte Umgangsweisenund regelmässige Praktiken zum Gegenstand der Analysen gemacht werden.9 Mit Blick auf Verlustanzeigen im Avisblatt stellen sich somit etwa die Fragen, vor welchem Hintergrundeine Annonce eingerückt wurde, welche Akteur:innen inserierten und welche dagegen nicht. Weshalb wurden bestimmte verlorene Objekte in der Fundsachenrubrik des Avisblatts gedruckt, während andere Gegenstände nicht oder unter anderen Umständen zurück zu ihren Besitzer:innen fanden?Und welche Transformationen lassen sich in Verlustanzeigen im Verlaufe der Sattelzeit feststellen, die über sich wandelnde Vorstellungen von Eigentum Auskunft geben können?
Dem praxeologischen Programmfolgend, bringen Inserate zu verlorenen Objekten Verlustinterpretationen und Verlusterfahrungen hervor, die zugleich Ausdruck bestimmter Verlustpraktiken sind. Es scheint daher sinn-
Vermisstenanzeigen für Hunde in den Wöchentlichen Frankfurter Nachrichten;sowie der literaturwissenschaftliche Beitrag, Lamb:The Crying of Lost Things.
6 Vgl. Tantner:Die ersten Suchmaschinen, S. 118.
7 Vgl. Würgler:Medien, S. 53.
8 Vgl. Blome:Offices of Intelligence and Expanding Social Spaces, S. 209.
9 Vgl. Hörning/Reuter:Doing Culture, S. 10.
voll, den von Reckwitz vorgeschlagenen Begriff des doing loss zu übernehmen:10 «doing loss ist nicht auf ein individualpsychologisches Problem zu reduzieren, sondern findet in sozial-kulturellen Formen und Arenen statt.»11 Die mit der Gründung des Basler Berichthauses1729 geschaffene Anlaufstelle zur Meldung vermisster oder gefundener Objekte oder Tiere kann in diesem Sinne in erster Linie als Versuch einer Institutionalisierung von Verlustpraktiken begriffen werden, die in Reaktion auf individuelleoder kollektive Verlusterfahrungen erfolgte. Weil Gegenständenicht nur verloren, sondern auch tatsächlich gefunden wurden, wird hier der Gegenbegriff des doing finding – zur Umschreibung von Praktiken des Auffindens, Zurückbringens oder Vorenthaltens – vorgeschlagen. Verlust- und Fundinserate als spezifische Form von doing loss und doing finding – so gleichförmigdie Annoncen auf den ersten Blick scheinen mögen – müssen immer als Ausdruck von Aushandlungen begriffen werden, die im Rahmen vorhandener Machtstrukturen stattfanden.12 Auch wenn eine beträchtliche Reichweite des Avisblatts innerhalb der städtischen Gesellschaft angenommen werden kann, nutzte nicht jede:r gleichermassen die Möglichkeit eines Verlustinserats, und Angehörige verschiedener sozialer Gruppen traten auf unterschiedliche Weise in Erscheinung. Ebenso stand der Erfolg eines Inserats in Abhängigkeit zur sozialen Position der Inserent:innen und den Umständen.Sospielten die Erwartungshaltungen der Inserent:innen eine ebenso wichtige Rolle wie diejenigen der Finder:innen (oder im Falle von Diebstahlsanzeigen auch der Dieb:innen)und auch die wechselnden Verleger:innen und die Leser:innenschaft des Avisblatts konnten entscheidenden Einfluss auf die Wirkung eines Inserats nehmen.
Verlusterfahrungen – wie sie in den Anzeigen des Avisblatts zum Ausdruck kommen – sind insbesondere deshalb von historischem Interesse, weil sie letztlich auf die soziale Identität des Einzelnen zielten. Mit dem Verlust eines, mit Mead gesprochen, signifikanten Anderen wird die soziale Konstruktion des Individuums offenkundig.Dieser Verlust kann sich nicht nur auf nahestehende Menschen beziehen,sondern auch auf (Haus‐)Tiere oder
10 Reckwitz:Auf dem Weg zu einer Soziologie des Verlusts.
11 Ebd.
12 Vgl. dazu auch die Ausführungen von Habermas:Diebe vor Gericht, S. 20.
bestimmte Gegenstände.13 Es ist nicht nur der Verlust eines Tieres oder eines Objekts, sondern ein Stück weit auch ein Verlust des ‹Selbst›,das durch die Beziehung zum ‹Anderen› verloren geht.14 Dies mag angesichts von zumeist nur allzu knappen Verlustbeschreibungen in den Anzeigen des Basler Avisblatts auf den ersten Blick irritieren. Ziehen wir aber in Betracht, dass in der Frühen Neuzeit etwa die Anschaffung von Kleidern für Angehörige unterer sozialer Schichten eine reale und symbolische Investition bedeutete15 und eine wichtige identitätsstiftende Funktion hatte sowie ein soziales Positionierungssystem bot,16 ist es durchaus plausibel,dass der Verlust eines Gegenstandes als Verlust von ‹Selbst› begriffen werden kann.
Nach einer Annäherung an die Quellengattungder Intelligenzblätter, einer Einführung in die verwendete Methodik sowie einer ersten, mehrheitlich quantitativen Exploration des Quellenbestandes der Basler Verlustanzeigen, erfolgt die Analyse in einem Dreischritt, der sich grob unter den Stichwörtern «Materialität», «Devianz»und «Raum»subsumierenlässt. Dabei stehen zunächst die inserierten Objekte als «verlorene Materialität»imVordergrund:Welche Erkenntnisse bieten Verlustanzeigen für konsumhistorische Fragestellungen, speziell mit Blick auf milieuspezifische Aneignungs- und Verwendungspraktiken?Lassen sich überdies individuelleoder sentimentalisierte Bedeutungszuschreibungen von verlorenen Objekten identifizieren?
Zur Beantwortung dieser Fragen eignen sich Anzeigen verlorener Accessoires besonders:Als kleine und häufig getragene Objekte gingen sie oft verloren und erscheinen deshalb in den Fundanzeigen des Avisblatts überaus prominent.
Unter Hinzuziehung von Archivbeständen aus den Basler CriminaliaArchiven stehen in einem zweiten Schritt Diskurse und Praktiken von Devianz im Fokus der Analysen. An der Schnittstellevon Kriminalitätsgeschichte und der Geschichte materieller Kulturen wird deutlich, dass die Rubrik der
13 Auch als Elemente des «generalisierten Anderen»kommen nach Mead Gegenstände infrage:«is [it] possible for inanimate objects, no less than for other human organisms, to form parts of the generalized and organized – the completely socialized – other for any given human individual, in so far as he responds to such objects socially or in asocial fashion […]» Mead:Mind, Self and Society, S. 154.
14 Vgl. Jakoby:The Self and Significant Others, S. 120.
15 Simon-Muscheid:Die Dinge im Schnittpunkt sozialer Beziehungsnetze, S. 165.
16 Vgl. Trentmann:Empire of Things, S. 94.
Fundsachen eine Plattform für informelle Konfliktlösungen innerhalb der städtischen Gesellschaft bot, dabei aber selbst von der städtischen Bevölkerung und insbesondereder Obrigkeit argwöhnischbeobachtet wurde. Tatsächlich lassen sich nicht nur Verlustanzeigen im herkömmlichen Sinn, sondern – teilweise ohne semantische Unterscheidung – auch Meldungen von Einbrüchenund Taschendiebstählen in der Fundsachenrubrik des Avisblatts finden. Diese Annoncen konnten der öffentlichen Fahndung gestohlener Gegenstände dienen, boten gleichzeitig aber auch die Möglichkeit auf anonyme Weise direkt mit dem Dieb oder der Diebin in Kontaktzutreten. Diese letztere Kommunikationsform findet sich im Avisblatt vor allem während des 18. Jahrhunderts;sie verlor im Verlauf der Sattelzeit aber an Bedeutung. Dabei zeigt sich, dass unterschiedliche Gruppen der städtischen Gesellschaft –hauptsächlichMägde und Dienstboten, die zu den aktivsten Inserent:innen gehörten – das Avisblatt auf verschiedene Weisen nutzten.
Mägde stehen auch im Fokus der abschliessenden Analyse, die räumliche Hinweise, die in Verlustanzeigen zur Angabe der Örtlichkeit eines Verlustes genanntwurden, zu einer Untersuchung städtischer Alltagsmobilität spezifischer sozialer Gruppen verdichtet. Wie kaum eine andere Quelle bieten Verlustanzeigen Einblicke in akteurszentrierte Stadtwahrnehmungen und ermöglichen die Perspektivierung alltäglicherRaumpraktiken. Anhand der Rekonstruktion beschriebenerWege durch die Stadt und durch das nahe Umland wird deutlich,dass Angehörige unterschiedlicher Gruppen, nicht nur andere Dinge verloren, sondern sich auch anders durch die Stadt bewegten und andere Strassenzüge und Plätze nutzten und sich dabei milieuspezifische Räume aneigneten.
II. Im Berichthaus abzugeben – eine
1. «Recouvrer qui est égaré» – Intelligenzblätter und Fundsachen
Das Fundbüro entstand in den meisten Städten des deutschsprachigen Raums als eine zumeist der Polizei angegliederte, staatliche Behörde erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Heutige Nutzer:innen digitaler Plattformen, wie des in der Schweiz etabliertendigitalen Fundbüros easyfind17 sehen sich grundsätzlich mit derselben Herausforderung konfrontiert, vor der auch all jene Bewohner:innen Basels in der Sattelzeit standen, die einen Gegenstand verloren oder gefunden hatten:Wie erreichen Informationen zu verlorenen Objekten und Tieren möglichst zeitnah ein möglichst breites Publikum und wie können diese Informationen dokumentiert, abgelegtund nach einiger Zeit wieder abgerufen werden?Eine Geschichte von Verlust- und Fundinseraten muss indes weit vor dem 18. Jahrhundert beginnen, lassen sich doch historische Kontinuitäten seit der italienischen Renaissance beobachten.
Verlautbarungen zu verlorenem oder gestohlenem Eigentum sind bereits aus dem Florenz des 15. und 16. Jahrhunderts bekannt und dokumentiert. Städtische Ausrufer verbreiteten an zentralen Orten der Stadt Informationen zu verlorenen Objekten und Tieren, die von Bürger:innen wie auch von obrigkeitlichenInstitutionen aufgegeben worden waren. So wurden etwa vermisste Gegenstände eines ungenannten Bürgers ausgerufen, der im Juni 1504 hundert Goldmünzen «inein Taschentuchgewickelt»inder Stadt verloren hatte. Ein anderer Ausruf informierte die Florentinerdarüber, dass im Dezember 1501 vier schwarze Schweine in einem Quartier von Florenz verschwunden waren.18 Ausgerufen wurden auch Listen von Diebesgutaus Ein-
17 Siehe Easyfind. Das Online-Fundbüro für die Schweiz. 18 Vgl. Milner:«Fanno bandire, notificare, et expressamente comandare», S. 126.
brüchen und Raubüberfällen, wobei stets um Informationen über den Verbleib des vermissten Objekts ersucht wurde.19
Das Ausrufen von Informationen über den Verbleib von vermissten Gegenständen sollte lange eine zentrale – wenn nicht die einzige – Möglichkeit bleiben, verlorenes Eigentum zurückzuerhalten. Entsprechend war diese Praxis auch nördlich der Alpen üblich. Sie zog allerdings auch eine Reihe von Problemennach sich. Zum einen waren die ausgerufenen Informationen nicht mehrmals abrufbar, sie besassen daher nur einen eingeschränkten Zeitrahmen und erreichten jeweils nur ein begrenztes Publikum.Zum anderen war eine erfolgreicheRückerlangung des Vermissten in erhöhtem Masse von der sozialen Position der Verlierer:innen abhängig;insbesondere Verluste von Gegenständen durch Dienstboten und -mägde wurden durch Ausrufer öffentlich getadelt, was die Wahrscheinlichkeit einer Rückgabe des Objekts vermutlich kaum verbesserte.20 Die genannten Einschränkungen waren sicherlich einer der Gründe dafür, dass bereits seit den Anfängen des IntelligenzwesensinFrankreichund Grossbritannien Anzeigen vermisster Gegenstände eine Rolle spielten. Dies löste allerdings die mündliche Form der Ausrufung von Gegenständen nicht gänzlich ab. Noch im 19. Jahrhundert empfahl sich der Stadt-Tambour Jakob Beck im Jahr 1839 im Basler Avisblatt in einem Inserat «zur Bekanntmachung von Verkaufs-Artikeln und verlorenen Effekten durch den Trommelschlag».21
Michel de Montaigne formulierte bereits im Jahr 1595 in einem seiner Essais das Bedürfnis nach einer professionelleren Vermittlung von Angebot und Nachfrage, die über die mündliche Ausrufung von Informationen hinausreichte. Er plädierte für eine Schaffungvon öffentlichen Kommunikati-
19 Vgl. ebd., S. 127.
20 So wurden Fundgegenstände in Frankfurt – sehr zum Verdruss der Geistlichen –von der Kanzel ausgerufen. Aus dem Jahr 1705 ist die Anekdote überliefert, dass ein Prediger beim Verlesen von «verlohrnen und gefundenen Sachen»inder Kirche eine unachtsame Magd, die in der Stadt ein Tuch verloren hatte, pejorativ herabgewürdigte und den Nachsatz anfügte:«Wer es wieder findet, der behalt es». Siehe Schwarzkopf:Ueber politische und gelehrte Zeitungen, S. 16.
21 Vgl. Anzeige im Basler Avisblatt,08. 06. 1839.
onsstrukturen,22 die potenziell allen Interessent:innen zur Verfügung stehen sollten und artikuliertesomit einen für das spätere Intelligenzwesen zentralen Gedanken.23 Es überrascht daher nicht, dass die ersten Versuche zur Errichtung eines Adressbüros ebenfalls in Frankreichunternommen wurden.
Der Sohn einer protestantischen Familie und Generalkommissar für das Armenwesen in Paris, Théophraste Renaudot erhielt 1612 das Privileg zur Errichtung von Adressbüros.24 Um der grassierenden Armut der Stadt zu begegnen, sah Renaudot eine Hauptaufgabe des «Bureau d’adresse»inder Vermittlung von Arbeitssuchenden, doch möglicheweitere Tätigkeitsbereiche des Büros wurden deutlich breiter gefasst. Neben Immobilienvermittlung und Bildungsangeboten schlug Renaudot vor, dass das Büro auch als Meldestelle für verlorene oder gefundene Gegenstände dienen könne.25 So notierte Renaudot in seinem 1630 veröffentlichten Traktat Table des choses dont on peut donner et recevoir avis au Bureau d’ adresse eine alphabetisch geordnete Liste verschiedener Aufgabenbereiche, die gemäss seinen Vorstellungen von Adressbüros übernommen werden könnten;hier liess sich auch die Anmerkung «Recouvrer qui est égaré» finden.26 Neben dem Adressbüroals Anlaufstelle publizierte Renaudot ab 1633 zudem die Feuilles du Bureau d’ Adresse, ein Annoncenblatt bestehendaus Verkaufsanzeigenvon Immobilien, Büchern, aber auch Tieren. Anliegen konnten mündlich im Büro vorgetragen und registriert werden.27 Ganz vom Engagement Renaudots abhängig, wurde das Bureau d’adresse nach dem Tod seines Gründers eingestellt und in unregelmässigen Abständen von seinen Erben wieder zu errichten versucht.Diese
Projekte waren allerdings nie von langer Dauer. Die presse- und kommunikationshistorische Bedeutungdes Bureau d’adresse bleibt davon jedoch unberührt.28
22 Wobei – und hier folge ich Blome – Kommunikation im engeren Sinn als «mitteilen»und «teilnehmen lassen»aufgefasst wird. Blome:Vom Adressbüro zum Intelligenzblatt, S. 4.
23 Vgl. Tantner:Die ersten Suchmaschinen, S. 17–20;vgl. Blome:Vom Adressbüro zum Intelligenzblatt, S. 4–5.
24 Vgl. Blome:Vom Adressbüro zum Intelligenzblatt, S. 6.
25 Vgl. Tantner:Die ersten Suchmaschinen, S. 23–25.
26 Zitiert nach Jubert:Théophraste Renaudot, S. 106.
27 Vgl. Tantner:Die ersten Suchmaschinen, S. 29–34.
28 Blome:Vom Adressbüro zum Intelligenzblatt, S. 8.
Neben Renaudot in Paris diente der Vorschlag Montaignes in den 1630er-Jahren auch als Inspiration zur Einrichtung von Adressbüros in London. 1637 erlangte der Schotte Robert Innes ein Patent für ein «Office of Intelligence». Neben der Arbeitsvermittlung kündigte Innes auch das Wiederauffinden verlorenen Eigentums als Dienstleistungan. Aber auch in London gelang es nicht, das Office als langfristige Anlaufstelle zu etablieren. So bleibt es unklar, ob Innes’ Einrichtung jemals ihre Tätigkeitaufnahm.29 Unbestritten ist jedoch, dass seine Initiative zu einer ganzen Reihe von zumeist kurzlebigen Neugründungen von Londoner Adressbüros im Lauf des 17. Jahrhunderts führte.30 Die ursprünglichen, häufig sozialreformatorischen Bestrebungen durch Intensivierung von Kommunikation und Vermittlungsangeboten gerieten gegen Ende des 17. Jahrhunderts allerdings zunehmend in Verruf. Den Herausgebern wurde vorgeworfen,Arbeitssuchende um ihr Geld zu betrügen oder gegen ihren Willen in die Kolonien zu schicken.31 Neben dem Verdacht, Arbeitsvermittlungen für Frauen könnten der Prostitution Vorschub leisten,32 geriet auch das Angebot des Wiederauffindens von verlorenem Eigentum unter argwöhnische Beobachtung.Der wohl prominenteste Fall ist derjenigevon Jonathan Wild, der später vor allem als literarische Figur grössere Bekanntheit errang. Er betrieb in London in den 1720er-Jahren eine – dem Office of Intelligence ähnliche – Anlaufstelle, um verlorene oder vielmehr gestohlene Gegenstände ihren Besitzer:innen wieder zuzustellen,während er zugleich den Dieb:innen einen Finderlohn auszahlte.33
Für die Entwicklungdes deutschsprachigen Intelligenzwesens waren indes die Werke des Gelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz aus dem Jahr 1678 grundlegend. Waren die Neugründungen in England und Frankreich zuvor in erster Linie auf private Initiativen zurückzuführen, so betrachtete Leibniz das Adresswesen als festen Bestandteil einer kameralistischen Wirtschaftspolitik. In Anlehnung an Renaudot sollten dem Adresshaus als Staatsinstitut zentrale Aufgaben in der Tradition einer frühneuzeitlichen Policey zukom-
29 Vgl. Tantner:Die ersten Suchmaschinen, S. 53.
30 Ebd., S. 54–59.
31 Ebd., S. 59.
32 Ebd., S. 35.
33 Vgl. Lamb:The Crying of Lost Things, S. 950.
1. «Recouvrer qui est égaré» – Intelligenzblätter und
men.34 Eine Idee, die vom Kameralisten Wilhelm von Schröder 1686 weiterentwickelt wurde, der ähnlich wie bereits Montaigne ein Informationsdefizit als «allgemeiner mangel, woraus aller ander mangel herkommt» beschrieb.35 Nach seinen Reisen nach London und einem Besuch des dortigen Office of Intelligence entwarf er die Idee eines interregionalen Intelligenzwerkes für die Herrschaftsgebiete der Habsburgermonarchie. Nach dem Vorbild der Post sollten die Intelligenzhäuser verschiedener Städte untereinander im Austausch stehen und auf diese Weise eine breite Vermittlungstätigkeit ausüben. Im Fokus stand dabei die Koordination von Angebot und Nachfrage, die den Handel erleichtern und der Armut abhelfen sollte, eine Idee, die allerdings nie umgesetzt wurde.36
Den ersten Versuch, ein Adressbüroals Bestandteil kameralistischer Politik zu etablieren, wurde 1707 mit der Gründung des Wiener «Fragamtes» unternommen.37 Damit stand Stadtbewohner:innen eine Institution zur Verfügung, die Informationen für den täglichen Bedarf zur Verfügung stellte und die Möglichkeit bot, über das eigene Netzwerk hinaus einen grösseren Personenkreis zu erreichen.38 Das Wiener Fragamt markierte den Beginn einer Gründungswelle von Intelligenzblättern in mehreren deutschsprachigen Städten, wobei die 1722 durch Anton Heinscheidt gegründeten Wochentlichen Franckfurter Frag- und Anzeigungsnachrichten sicherlich eine der wichtigsten und dauerhaftesten Einrichtungen waren. In der Folge gelang es auch in weiteren deutschsprachigen Städten über die Einnahmenaus dem Anzeigenmarkt,langlebige Unternehmen zu gründen,die oft in Familienhand blieben.39
Verlustinserate können unbestreitbar als Teil des Diskurses der «guten Policey»betrachtetwerden, zielten sie doch auf die Wiederherstellung von Ordnung,40 in diesem Falle zur Wiedererlangung eines vermissten Gegenstandes oder Tieres. Doch nicht alle lokalen Intelligenzblätter im 18. und frü-
34 Vgl. Blome:Vom Adressbüro zum Intelligenzblatt, S. 13–14.
35 Schroeder/Pescherino:Fürstliche Schatz- und Rentkammer, S. 335.
36 Vgl. Tantner:Die ersten Suchmaschinen, S. 70–72.
37 Vgl. Blome:Vom Adressbüro zum Intelligenzblatt, S. 16.
38 Vgl. Blome:Offices of Intelligence and Expanding Social Spaces, S. 212.
39 Vgl. Würgler:Medien, S. 53–54.
40 Vgl. Härter:Polizei.
hen 19. Jahrhundertimdeutschsprachigen Raum vermittelten auch verlorene oder gefundene Gegenstände. In den Blättern von Salzburg41 und Leipzig42 etwa wurden keine Verlustanzeigen eingerückt, während in den Frag und Anzeigungs-Nachrichten von Stettin43 zwar keine verlorenen Gegenstände inseriert, wohl aber Diebstähle und Fälle betrügerischer Mägde kundgetan wurden. Der Struktur des Basler Avisblatts ähnlicherwaren die Frankfurter Frag- und Anzeigenachrichten, 44 wobei in Frankfurtdie Rubriken nach verlorenen oder gefundenen Dingen unterschieden wurden. Gleiches gilt auch für die Donnstags-Nachrichten45 in Zürich. Darin wurden Verlustinserate –wenn auch in deutlich geringerer Anzahl als in Basel – in der Rubrik der verlorenen und gefundenen Sachen eingerückt. Das Inserieren verlorener Gegenständewar somit nie die eigentliche Hauptfunktion eines Intelligenzwerkes, sondern stets ein Angebot, das neben anderen Dienstleistungen stand und eher eine sekundäre Rolle spielte. Gerade Angehörige städtischer Gesellschaften nutzten dieses Angebot aber rege.
2. «Allweeg höchst nützlich » – das Berichthaus
Auch in Basel ist die Einrichtung eines Intelligenzblatts auf eine private Initiative zurückzuführen. Im Dezember 1728 bat der Bürger Johannes Burckhardt die Basler Obrigkeit um ein Privileg zur Gründung eines bureau d’ adresse zusammen mit der wöchentlichen Herausgabeeines Intelligenzblatts. In einem Brief an den Kleinen Rat beschrieb er das ihm vorschwebende Projekt:«Selbiges [das Avisblatt]bestehet in Aufrichtung eines Adresse Contors oder Bureau d’adresse welches sowohl reysenden Persohnen als meinen lieben Mitbürgern in allweeg höchst nützlich und vortheilhaft».46
Der Rat erteilte Burckhardt das Privileg und zum Jahresbeginn 1729 wurde die erste Ausgabe des Basler Avisblatts veröffentlicht, das fortan wöchentlich
41 Salzburger Intelligenzblatt.
42 Allergnädigst privilegirtes Leipziger Intelligenz-Blatt.
43 Stettiner Intelligenz-Blatt.
44 Franckfurter Frag- und Anzeigungs-Nachrichten.
45 Donnstags-Nachrichten von Zürich.
46 StABS Handel und Gewerbe JJJ 7, 04. 12. 1728.
erschien.47 Im deutschsprachigen Vergleich steht die Einrichtung des Berichthauses in Basel eher am Beginn einer breiteren Gründungswelle von Intelligenzblättern. Die Gründung erfolgte einige Jahre nach den Frankfurter Nachrichtenvon 1722, und war das erste Intelligenzblatt auf dem Gebiet der Alten Eidgenossenschaft. Die Donnstags-Nachrichten von Zürich, dessen Herausgeber von Beginn an in engem Austausch mit Verlegern in Basel stand, wurde erst im folgenden Jahr, im Frühling 1730, errichtet.48
Typisch für das Basler Intelligenzwerk sind die engen Beziehungen zwischen der gedruckten Ausgabe und dem Berichthaus. Ähnlich wie die Pariser Vorgänger entwickelte sich das Büro zu einem Verkaufslokal, in dem nicht nur Inserate entgegengenommen, sondern auch Waren ausgelegt und kommissionsweise verkauft wurden.49 VonBeginn an präsentierte sich das Avisblatt als eine fast vollständig von Inseraten dominierte Intelligenzzeitung, während aufklärerische Inhalte oder amtliche Verlautbarungen nur Randerscheinungen blieben.50 Die gedruckte Ausgabe, die bis 1741 im Folio- und danach im Quartformat erschien, war in einzelne Rubriken unterteilt,die sich im Laufe des Untersuchungszeitraums nur geringfügig änderten. Neben den dominierenden Verkaufsangeboten finden sich auch Kaufgesuche, Leihangebote von Immobilien und Kreditgesuche, wöchentlicheLebensmittelpreise, Arbeitsgesuche und -angebote, Anzeigen verlorener und gefundener Gegenstände, Werbungen und Ankündigungen von Versteigerungen und Veranstaltungen, allgemeine Erlasse sowie Todesfälle, Eheschliessungen und Ämterwechsel. Über den ganzen Untersuchungszeitraumhinweg ist eine generelle Zunahme des Anzeigenvolumens zu beobachten. Während in den 1730er-Jahren zwischen 3’000 und 4’000 Annoncen pro Jahr gedruckt wurden, waren es ab 1764 bereits über 5’000 und nach 1804 nie weniger als 10’000. Über die Reichweite des Basler Avisblatts können nur begrenzte Aussagen getroffen werden. Während Mangold eine Auflage von etwa 300 bis 400 Exemplaren schätzt,51 sprach der Verleger Raillard 1805 in einem Verhör
47 Vgl. Mangold:Das Basler «Avis-Blatt», S. 195.
48 Vgl. Tantner:Die ersten Suchmaschinen, S. 119.
49 Vgl. ebd., S. 118.
50 Vgl. Struck:Das Basler Avis-Blatt in der Helvetik, S. 47.
51 Mangold:Das Basler «Avis-Blatt», S. 200. 2. «Allweeg höchst nützlich» – das
durch den Zensurbeauftragten von «[u]ngefähr 800»Exemplaren.52 Einige Gesuchsanzeigen von Mithalter:innenschaften im Avisblatt weisen jedoch darauf hin, dass einzelne Ausgaben jeweils durch mehrere Haushalte gingen und die Exemplare an zentralen Orten der Stadt ausgelegt oder verlesen wurden. Durch den Einbezugdieser Multiplikatoreneffekte kann bei einer ungefähren Zahl von 15’000 Einwohner:innen in Basel um 1800 von einer beachtlich hohen Durchdringung der städtischen Gesellschaft ausgegangen werden. Über den Untersuchungszeitraum von 1729 bis 1844 hinweg blieb das Basler Avisblatt ein Familienunternehmen. Johannes Burckhardt übergab seinem Schwiegersohn Peter Raillard 1752 die Rolle des Verlegers.53 Von1779 bis 1824 leitete Peter Raillard d. J. das Berichthaus und nach dessen Ableben wurde es von dessen Witwe Anna Katharina Meyenrock übernommen.Ab 1838 bis zum Verkauf des Avisblatts an die Basler Nachrichten1844 wurde das Berichthaus vom Neffen Meyenrocks, Theodor Raillard, geleitet. Nach jedem Verleger:innenwechsel wurde das ursprünglichePrivileg erneuert und bis auf einen kurzen und erfolglosenVersuch einer konkurrierenden Zeitung durch den lokalen Buchdrucker Samuel Flick im Jahr 1804 blieb das Avisblatt das einzige Intelligenzblatt der Stadt.54 Sowohl Johannes Burckhardt, der zuvor erfolglos als Strumpfwarenfabrikant tätig war, als auch Peter Raillard waren Angehörige der städtischen Elite.55 Die Raillards, die das Avisblatt später als Familienunternehmen weiterführten,waren als lothringische Refugiantenfamilienach Basel gekommen.56 Trotz der Tatsache, dass das Avisblatt in erster Linie auf ein städtisches Publikum zielte, waren sie kosmopolitisch ausserordentlich gut vernetzt. Davon zeugt, dass sie Angehörige der Herrnhuter Brüdergemeine waren und auch über weitreichende familiäre Netzwerkeverfügten;soliess sich ein anderer Zweig der Familie Raillard, der ebenfalls verlegerisch tätig war, in Neapel nieder.57 Die Bedeutungdieser Netzwerkefür das Avisblatt bleiben jedoch spekulativ. Für die Struktur des
52 StABS Handel und Gewerbe JJJ 7, 27. 06. 1805.
53 Vgl. Mangold:Das Basler «Avis-Blatt», S. 196.
54 Vgl. ebd.
55 Vgl. dazu den Beitrag von Susanna Burghartz im Projektband von Printed Markets (erscheint 2025).
56 Raith:Art. Raillard, in:Historisches Lexikon der Schweiz.
57 Siehe Pironti:Bulifon, Raillard, Gravier. Editori Francesi in Napoli.