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Zur Überlieferung

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Einleitung

Einleitung

Der Gesamtbestand von 16 Handschriften und zwei Drucken6 untergliedert sich in Teilgruppen, von denen im vorliegenden Zusammenhang die Überlieferung außerhalb von Beheims Umkreis interessieren :

Autorhandschriften (Autographe und in Beheims Umkreis entstanden) 10 Handschriften : Heidelberg, Cpg 312 (A); München, Cgm 291 (B); Heidelberg, Cpg 334 (C); Heidelberg, Cpg 382 (D); Heidelberg, Cpg 351 (E); Heidelberg, Cpg 375 (G); Schweinfurt, ohne Signatur (H, nach 1463; verschollen); Dresden, M 180 ( a); Heidelberg, Cpg 335; Heidelberg, Cpg 386

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Vorreformatorische Handschriften 2 Handschriften: Berlin, Mgq 1402 (F),7 Nürnberg, 1495; Gotha, Cod. Chart. B 50,8 Ende 15. Jahrhundert

Vorreformatorische Streuüberlieferung 2 Belege: Heidelberg, Cpg 392, Augsburg, um 1500,9 Berlin, Mgq 414, Nürnberg, 1517/1810

6 Vgl. dazu RSM 1, S. 59–508 (Überlieferung in Handschriften und Drucken). 7 Teilabschrift der Handschrift B mit Liedern in Beheims Osterweise und Hofweise für den Nürnberger Papierhändler Hans Koch; vgl. RSM 1, S. 90. Aus der Handschrift B wurden im 15. oder im 18./19. Jahrhundert auch Lieder in Beheims Zugweise abgeschrieben in der heute verschollenen Handschrift München UB, 28 Cod. ms. 737. 8 Aus dem Besitz Augustins von Hammerstetten. Inhalt: Beheims ‹Buch von den Wienern›. Abschrift dieses Kodex aus dem 18. Jahrhundert in Dresden, M 170. Zu Augustin von Hammerstetten vgl. 2VL 1 (1978), Sp. 543–545 (Walter Blank). 9 Die Meisterliedersammlung überliefert in Beheims Verkehrter Weise zwei anonyme Erzähllieder mit didaktischer (1Beh/500 ) bzw. satirischer (1Beh/501a ) Ausrichtung. Die Tonnamen stammen von jüngerer Hand (16. Jahrhundert), doch ist in 1Beh/500 der Tonautor ( mit falscher Nennung des Tons) vom Schreiber der Handschrift genannt: michel bechen kurcze ton. 10 Die autographe Meisterliedersammlung des Hans Sachs überliefert mit 1Beh/284d (Gleichnis von der Auferstehung Jesu) ein einziges Lied Michel Beheims in seiner Gekrönten Weise ( hier Paratreihen genannt) mit Nennung des Ton- und Textautors.

Vorreformatorische Drucke 3 Drucke: Augsburg, Hans Schobser, um 1507 (1Beh/501b )11 mit einem weiteren Druck12 durch Albrecht Kunne, Memmingen, um 1507 (1Beh/501c ); Augsburg, Hans Froschauer, um 1510 (1Beh/502 )13

Nachreformatorische Überlieferung 1 Handschrift : Wien, Niederösterreichisches Landesarchiv, Hs. 72,14 um 1600 2 Drucke: Nürnberg, Jobst Gutknecht, um 1530 (1Beh/501d );15 Wien, Johann Singriener, um 1540 (1Beh/501e )16

Überblickt man diese auf den ersten Blick stattliche Überlieferung, dann ist ihre Konzentration auf den Autor selbst und sein unmittelbares Umfeld ( zehn Handschriften) eindeutig. Immerhin bezeugt aber die Teilabschrift (1495) aus der Autorhandschrift B für den Nürnberger Papierhändler Hans Koch durch den Schreiber Michel Hefelin (Handschrift F ), dass dieser enge Zirkel durchaus durchbrochen wurde:17 Über diese Abschrift hätte man in Nürnberg Kenntnis von Beheims Liedern in der Osterweise und in der Hofweise erlangen können. 18 Die Augsburger Meisterliedersammlung (Heidelberg, Cpg 392) kennt um 1500 in zwei anonymen Liedern Beheims Verkehrte Weise19 ( auch wenn der Tonname

11 Druck des satirischen Erzählliedes 1Beh/501a ( vgl. Anm. 9 ) ohne Nennung des Textautors und mit der richtigen Tonangabe: Jnns behams verkerten don. 12 Ohne Nennung des Textautors und des Tons. 13 Schwanklied ohne Nennung des Textautors und mit der erfundenen Tonangabe: Vnd ist in Nachtigals sussem Ton. Fraglich ist, ob mit Nachtigal der Nürnberger Meistersinger Konrad Nachtigall ( gest. 1484/1485) gemeint ist. Zu Konrad Nachtigall vgl. 2VL 6 (1987), Sp. 845–848 (Horst Brunner). 14 Inhalt: Beheims ‹Buch von den Wienern›. Abschrift dieses Kodex aus dem 19. Jahrhundert in Wien, Cod. 12566. 15 VD 16 ZV 15908. Druck des satirischen Erzählliedes 1Beh/501a ( vgl. Anm. 9 ) ohne Nennung des Textautors und Tons. 16 Druck des satirischen Erzählliedes 1Beh/501a ( vgl. Anm. 9 ) ohne Nennung des Textautors und des Tons. 17 Vgl. dazu Gille/Spriewald: Gedichte I, S. XLV. – Im vorliegenden Zusammenhang lasse ich die strophische Chronik ‹Buch von den Wienern› (1Beh/454b : Gotha, Cod. Chart. B 50 und 1Beh/454c : Wien, Niederösterreichisches Landesarchiv, Hs. 72) beiseite. 18 Unbekannt ist die Provenienz der verschollenen Handschrift München UB, 28 Cod. ms. 737, die Lieder Beheims in seiner Zugweise offenkundig gleichfalls aus der Handschrift B geschöpft hat ( falls das im 15. Jahrhundert geschehen ist). Immerhin lässt sich nicht ausschließen, dass neben Beheims Oster- und der Hofweise auch seine Zugweise außerhalb des Autorumkreises zumindest schriftlich zugänglich war. 19 Die beiden Lieder stehen an zwei verschiedenen Stellen der Handschrift: Bl. 60r–61r (1Beh/500 ) und Bl. 122r–124v (1Beh/501a ); sie sind also nicht wegen ihrer Tonidentität nebeneinander aufgezeichnet worden.

erst im 16. Jahrhundert hinzugefügt wurde) und in einem der beiden Lieder (1Beh/500 ) – unbesehen des falschen Tonnamens – auch den Tonautor (michel bechen). Für das andere Lied (1Beh/501a ) der Augsburger Meisterliedersammlung nennt der Augsburger Schobser-Druck – abweichend von der Augsburger Handschrift – den Tonautor und den Tonnamen (Jnns behams verkerten don). Diese Angaben gehen bei den drei anderen Drucken des Liedes ( um 1507, um 1530 und um 1540) allerdings wieder verloren.20 Darüber hinaus taucht Beheims Verkehrte Weise nochmals in einem anderen anonymen Lied (1Beh/502 ) auf, das der Augsburger Froschauer-Druck ( um 1510) gleichfalls ohne Tonautor und Tonnamen überliefert. Schließlich dokumentiert die Aufzeichnung eines Beheim-Liedes (1Beh/284d ) im Autograph des Hans Sachs (Berlin, Mgq 414) noch vor der Reformation (1517/1518 ), dass neben den genannten Tönen auch Beheims Gekrönte Weise samt dem Namen des Tonautors außerhalb von Beheims unmittelbarem Umfeld bekannt war.

Zusammengefasst verteilt sich diese Überlieferung auf Nürnberg und Augsburg, also auf zwei Städte, in denen der Meistergesang nicht nur bekannt, sondern auch gepflegt wurde. In Augsburg hatte man – wenn auch eher lückenhaft – Kenntnis von einem Tonautor Beheim und von seiner Verkehrten Weise, die offenkundig als ein Meisterton angesehen wurde. Deswegen fand sie auch Eingang in die Augsburger Meisterliedersammlung, wo ihn ein sachkundiger Benutzer noch im 16. Jahrhundert – ebenso wie der Augsburger SchobserDruck – richtig identifizierte.21 In Drucken ist die Verkehrte Weise außerhalb von Augsburg zwar de facto auch präsent, aber dabei interessierte (ebenso beim Augsburger Froschauer-Druck) der Typ des Erzählliedes,22 nicht der Ton oder gar der Tonautor. Neben der Verkehrten Weise kannte man mit der Hofweise einen weiteren Ton Michel Beheims in Augsburg: Der Augsburger Meistersinger Johann Spreng (1524–1601) verwendete ihn für zwei Lieder, ein weiterer Augsburger Beleg für die Hofweise findet sich bei Georg Holzbock, der ebenfalls in Beheims Verkehrter Weise dichtete.23 Vielleicht gelangte der Ton später nach

20 Diese drei Drucke scheinen vom Schobser-Druck abzuhängen, da auch bei ihnen die Strophen 15 und 18 fehlen, die in der Augsburger Meisterliedersammlung überliefert sind. Vgl. den Hinweis in RSM 3, S. 205. Ob der Schobser-Druck auf diese Handschrift zurückgeht, wäre durch eine sprachliche Analyse noch zu klären. 21 Als Ton benutzte Beheims Verkehrte Weise für eigene Lieder auch die Augsburger Meistersinger Martin Dürr ( gest. 1596), Georg Holzbock ( belegt bis 1627) und Hans Weidner ( belegt bis 1622). Außerhalb von Augsburg fand dieser Ton Verwendung bei den Breslauer Meistersingern Kaspar Klippisch ( datierte Lieder bis 1629) und Adam Puschman (1532–1600); vgl. die Nachweise im RSM 2/1, S. 18. Insgesamt wird Michel Beheim als Tonautor in den wenigsten Quellen genannt. 22 Darauf wies bereits Schanze: Meisterliche Liedkunst I, S. 246 Anm. 243 hin. 23 Vgl. die Nachweise ( auch zur Melodieüberlieferung) im RSM 2/1, S. 15 f.

Ulm24 und vor allem nach Nürnberg, wobei die Belege dort etwas jüngeren Datums sind.25 Insgesamt zeigen die Augsburger Quellen, dass Beheims Nachwirkung als Tonautor26 zwar punktuell ist, aber bei genauerem Hinsehen doch etwas breiter ausfällt als gewöhnlich angemerkt. Diesen Eindruck bestätigt die Beheim-Überlieferung in Nürnberg.

In Nürnberg beginnt sie nach unserer Kenntnis mit der Handschrift F, für die man aus der Vorlage (Handschrift B ) gezielt die Osterweise und die Hofweise zur Abschrift auswählte. Diese Auswahl wurde dadurch erleichtert, dass in B beide Töne aufeinander folgen und sie zudem mit je eigenen Überschriften versehen sind. Dennoch handelt es sich dabei um eine gezielte Wahl,27 weil die Osterweise keineswegs am Anfang der Handschrift steht, sondern in B erst auf Bl. 208r beginnt.28 Offenbleiben muss die Frage, warum Michel Hefelin zwar alle 17 Lieder der Osterweise kopiert hat, aber von der 48 Liedern der Hofweise nur 17, obwohl in der Handschrift F auf den leeren Blättern 149–187 noch genug Platz für weitere Aufzeichnungen gewesen wäre. Aus einer anderen Quelle muss Hans Sachs die Vorlage für die Aufzeichnung von 1Beh/284d in seinem Berliner Autograph bezogen haben, da dieses Beheim-Lied in der Gekrönten Weise gedichtet ist. Später bekam Sachs auch Kenntnis von Beheims Verkehrter Weise, in der er ( von ihm 1551 aufgezeichnet) sein Lied 2S/3570a mit Nennung des Tonautors (Peham) verfasste.29 Darüber hinaus war Hans Sachs der Einzige, der über den Nachnamen des Tonautors hinaus wenigstens ansatzweise eine Vorstellung von Beheim hatte: Er kennt wie die Augsburger Sammlung (Heidelberg, Cpg 392: 1Beh/500 ) in der Überschrift zu seiner Aufzeichnung des Beheim-Liedes

24 Zwei Belege (2Bau/39 und 83 ) für die Hofweise finden sich beim Ulmer Meistersinger Johann Baur ( belegt 1650/1665). 25 Hans Deisinger (1572–1617), Hans Steinlein (gest. 1684 ), Benedict von Watt (1596–1616), Jobst Zoller (1583–1633), dazu noch zwei textlose Melodiequellen aus Nürnberg; vgl. die Nachweise im RSM 2/1, S. 15 f. 26 Edition der Melodien bei Brunner/Hartmann: Spruchsang, S. 6–17 (Edition), S. 458 f. (Kritischer Bericht). 27 Darin unterscheidet sich die Wahl der Zugweise für die Kopie in der Handschrift München UB, 28 Cod. ms. 737, da die Lieder dieses Tons am Beginn (Bl. 2r–25v) der Handschrift B stehen. 28 Vgl. RSM 3, S. 43 und zu den Überlieferungsschichten in dieser Handschrift Schanze: Meisterliche Liedkunst I, S. 197 f. 29 Mit Abschriften Benedict von Watts (2S/3570b-d ). Hans Sachs verwendete den Ton allerdings schon 1548 mehrfach. Vgl. dazu die Nachweise im RSM 2/1, S. 18; dort auch die Hinweise zur Nürnberger Melodieüberlieferung aus der 1. Hälfte (Weimar, Q 576/I, Bl. 72v) und aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts (Nürnberg, Will III 792, Bl. 43r–v ). Weiterhin verwendeten Beheims Verkehrte Weise als Ton eigener Lieder die Nürnberger Meistersinger Hans Deisinger (1572–1617), Georg Hager (1552–1634), Ambrosius Metzger (1573–1632), Benedict von Watt (1596–1616) und Hans Winter (1591–1627); vgl. die Nachweise im RSM 2/1, S. 18.

1Beh/284d (jn des michel behams von Vlm parat reyhen sein dicht 3 lieder) auch den Vornamen (michel), er weiß, dass Beheim ein Tonautor ist (jn des […] parat reyhen) und dass auch der Text von ihm stammt (sein dicht). Aber der nur hier überlieferte Tonnamen (parat reyhen) für Beheims Gekrönte Weise nimmt sich eher wie ein Hinweis auf die artifizielle Form des Tons30 als eine Tonbezeichnung aus, die Lokalisierung von Vlm zeugt schlicht von Unkenntnis31 und ist wohl von der Absicht geleitet, Beheim in einer Meistersingergesellschaft zu verorten. Diese Informationen wie auch die Übermittlung der Verkehrten Weise konnte Sachs nicht aus der Handschrift F beziehen, die sich der Nürnberger Hans Koch anlegen ließ ( falls Hans Sachs diese Quelle überhaupt zugänglich war), weil dort die Überschriften zur Oster- wie zur Hofweise Michel Beheim jeweils nur als Tonautor nennen und weil in F weder die Gekrönte noch die Verkehrte Weise überliefert werden.

Für die Kenntnis von Beheims Bibelversifikationen hätte ein Einblick in das jeweilige Liedkorpus ohnehin nichts genützt, weil Beheim in keinem dieser beiden Töne (Gekrönte Weise: 1Beh/283–287 ; Verkehrte Weise: 1Beh/148–249 ) solche Versifikationen vorlegte. Auch die anonymen Erzähllieder (1Beh/500–501) liegen fernab von Bibelversifikationen.32 In der Handschrift F hätte Hans Sachs lediglich die Versifikation der Perikope von der Begegnung Jesu mit der Samariterin am Brunnen (Joh 4,5–42) in Beheims Hofweise (1Beh/305d ) lesen können, doch scheint ihm die Hofweise unbekannt geblieben zu sein, da er in ihr nicht dichtete.33

Das Ergebnis dieser Recherche ist im Blick auf die Bibelversifikationen des Hans Sachs ernüchternd : Michel Beheims Versifikationen, die sich – vergleichbar mit Sachs – durch ihre Textnähe zum Wortlaut der Bibel auszeichnen, blieben dem Nürnberger Meistersinger verborgen. Andererseits lässt dieser Befund die Leistung von Hans Sachs als Begründer der textnahen Bibelversifikation in der Reformationszeit und seine Erneuerung des Meistergesangs durch die Etablierung der Bibelversifikation aus dem Geist der Reformation in umso

30 Vgl. zur Terminologie Brunner: Leich, Hort, Parat. 31 Ulm wird von Beheim nur einmal ( neben Schwäbisch Hall) in einem Lied erwähnt, das die Verbindung der Fürsten mit Reichsstädten kritisiert (1Beh/54 ). Ein Anhaltspunkt für die Lokalisierung bei Hans Sachs ergibt sich daraus nicht. 32 Auch Hans Sachs verwendet die Verkehrte Weise ohne Nennung des Tonautors nur für

weltliche ( oft schwankhafte) Lieder; vgl. 2S/2759–2762, 2919, 2950, 2984, 3080, 3288, 3570, 3775, 3848, 4111, 4176, 4333, 4536, 4571. Da Sachs erst seit der Mitte des 16. Jahrhunderts (2S/2759b : 01. 06. 1548) in diesem Ton dichtete, konnte er ihn – allerdings nicht die Melodie – durchaus aus einem der gedruckten Erzähllieder (1Beh/501b-e und 502 ) kennengelernt haben, etwa im Druck von Jobst Gutknecht, Nürnberg um 1530 (1Beh/501d ). 33 Vgl. RSM 2/1, S. 15 f. Die beiden Versifikationen dieser Bibelstelle verfasste Sachs 1527 in Fritz Zorns Verhohlenem Ton (2S/184 ) und 1556 im Gekrönten Hort (2S/4894a ).

hellerem Licht erscheinen. Für diese Pioniertat konnte er sich nach unserer Kenntnis lediglich von den zehn vorreformatorischen Versifikationen anregen lassen, die er in seinem Autograph Berlin, Mgq 414 gesammelt hatte.34 Mit der betonten Textnähe seiner Bibelversifikationen zeigt Michel Beheim andererseits in nahezu 70 Liedern, dass der Respekt vor dem Bibeltext beim Umgießen in eine liedhafte Form auch in den Jahrzehnten vor der Reformation eine verbindliche Leitlinie sein konnte. Die weitere Untersuchung soll verdeutlichen, wie Beheim diesem Anspruch nachgekommen ist.

34 Von den zehn Bibelversifikationen sind lediglich vier mehr oder minder textnahe. Vgl. dazu Janota: Kanonische Texte.

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