Karl Leonhard Reinhold. Gesammelte Schriften. Kommentierte Ausgabe

K A R L L E ON H A R D R E I N HOL D

GE SA M M E LT E S C H R I F T E N KOM M E N T I E RT E AUS G A BE

H E R AUS G E G E BE N VON M A RT I N B ON DE L I

BA N D 6/1

W I S S E N S C H A F T L IC H E R BE I R AT K A R L A M E R I K S , N O T R E DA M E , I N DI A NA M A N F R E D BAU M , W U PPE RTA L M A R ION H E I N Z , S I E G E N BR IG I T T E H I L M E R , BA S E L S A BI N E ROE H R , N E W J E R S E Y C I T Y, N E W J E R S E Y WOL F G A N G RO T H E R , BA S E L / Z Ü R IC H PI E R LU IG I VA L E N Z A , ROM

S C H WA BE V E R L AG

K A R L L E ON H A R D R E I N HOL D

V E R H A N DLU NGE N Ü BE R DI E GRU N DBE GR I F F E U N D GRU N D SÄT Z E DE R MOR A L I TÄT AUS DE M GE SIC H T SPU N K T E DE S GE M E I N E N U N D GE SU N DE N V E R S TA N DE S

H E R AUS G E G E BE N VON SA BI N E RÖH R U N T E R M I T W I R K U NG VON SI LVA N I M HOF

S C H WA BE V E R L AG

Publiziert mit Unterstützung der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften.

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Satz: Schwabe Verlag, Berlin Druck: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISBN 978-3-7965-4286-2 ISBN eBook (PDF) 978-3-7965-4294-7 DOI 10.24894/978-3-7965-4294-7 Das eBook ist seitenidentisch mit der gedruckten Ausgabe und erlaubt Volltextsuche.

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In ha lt Einleitung

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1. Die Entstehung der Verhandlungen

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2. Der freimaurerische Hintergrund der Verhandlungen Freimaurerei und Illuminatentum XIX.

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IX X XIX

Reinhold als Freimaurer und Illuminat XXIII. Das Projekt eines «moralischen Bundes der Einverstandenen» und seine Aufnahme XXXVII.

3. Der aufklärerische Hintergrund der Verhandlungen . . . . . . . . . . .

XLV

Stationen des Aufklärungsdenkens auf dem Weg zu den Verhandlungen XLV. Zur Charakteristik des Aufklärungsdenkens in den Verhandlungen LIV. Die religiöse Aufklärung in den Verhandlungen LVIII.

4. Der philosophische Hintergrund der Verhandlungen

........

LXII

Kurzer Abriss der Phasen der Elementarphilosophie LXIII. Gesunder Verstand LXIX. Von der praktischen Elementarphilosophie zu den Verhandlungen LXXVII.

5. Diskurs unter Gebildeten statt Popularphilosophie

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XCIV

Hinweise zur Edition

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CV

Siglen und Kurztitel

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CVII

Bibliographische Angaben

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CXI

Verhandlungen über die Grundbegriffe und Grundsätze der Moralität Vorrede.

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5

Inhalt.

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8

Versuch einer Darstellung der Denkart des gemeinen und gesunden Verstandes über einige Hauptpuncte der moralischen Angelegenheiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

No. I.

Erster Abschnitt. Absicht dieses Versuches.

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VI

Inhalt

Zweyter Abschnitt. Grundbegriffe von Sittlichkeit und Rechtlichkeit überhaupt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dritter Abschnitt. Von dem Gewissen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vierter Abschnitt. Freyheit des Willens.

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Fünfter Abschnitt. Natur und Bestimmung des Menschen.

...

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.........

34

Siebenter Abschnitt. Unterschied und Zusammenhang zwischen dem natürlichen und dem philosophirenden Vernunftgebrauch.

38

Achter Abschnitt. Bildung des Herzens.

...................

44

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51

Zehnter Abschnitt. Von der Aufklärung über die moralischen Angelegenheiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

Eilfter Abschnitt. Von der ächten und unächten Aufklärung über die moralischen Angelegenheiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

Zwölfter Abschnitt. Einige Grundsätze und Maximen der politischen Aufklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

Dreyzehnter Abschnitt. Einige Grundsätze und Maximen der religiösen Aufklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

Sechster Abschnitt. Gesunder natürlicher Verstand.

Neunter Abschnitt. Aufklärung überhaupt.

No. II.

Entwurf zu einem Einverständnisse unter Wohlgesinnten über die Hauptmomente der moralischen Angelegenheiten als Versuch eines Beytrages zur Läuterung und Befestigung der öffentlichen Ueberzeugung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

No. III. Auszüge aus dem Briefwechsel über den Entwurf etc.

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No. 1.

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Antwort.

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No. 2.

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Antwort.

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No. 3.

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Antwort.

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152

No. 4.

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Antwort.

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VII

Inhalt

No. 5.

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162

Antwort.

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163

No. 6.

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166

Antwort.

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170

No. 7.

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176

Antwort auf die Bemerkungen.

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182

No. 8.

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189

Antwort.

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192

No. 9.

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Antwort über die Frage: Ob das Rechtwollen an und für sich gewisse und unschwärmerische Aussichten auf ein zukünftiges Leben eröfne? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anhang

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Entwurf eines Wahrheits- und Freundschaftsbundes

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210

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221

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Entwurf zu einem moralischen Bunde Kommentar Namenregister

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Ein leitu ng

Mit den von Karl Leonhard Reinhold herausgegebenen Verhandlungen über die Grundbegriffe und Grundsätze der Moralität aus dem Gesichtspunkte des gemeinen und gesunden Verstandes, zum Behuf der Beurtheilung der sittlichen, rechtlichen, politischen und religiösen Angelegenheiten, erschienen 1798 bei Friedrich Bohn in Lübeck und Leipzig, wird ein drei Beiträge enthaltendes Werk wiederveröffentlicht, welches nicht nur für das philosophische, sondern auch für das aufklärerische und freimaurerische Schaffen dieses Denkers charakteristisch ist. Zudem wird hiermit ein Werk erneut präsentiert, in dem sich in einer sehr unmittelbaren Weise Reinholds stetes Bemühen spiegelt, den Prozess der Aufklärung in Kooperation und Auseinandersetzung mit anderen Selbstdenkern voranzutreiben.

Weitgehend im Zeichen des Versuchs, auf eine solche aufklärerische und philosophische Zusammenarbeit hinzuwirken, stehen der zweite und der dritte Beitrag. Der zweite, auf das Jahr 1795 zurückgehende Beitrag («No. II. Entwurf zu einem Einverständnisse unter Wohlgesinnten über die Hauptmomente der moralischen Angelegenheiten als Versuch eines Beytrages zur Läuterung und Befestigung der öffentlichen Ueberzeugung») ist das Produkt von Diskussionen, die Reinhold mit freimaurerischen Freunden geführt hat. Es geht im Kern um die Frage, wie sich dem aufgeklärten Denken kantischer Prägung die nötige soziale Wirkung und organisatorische Kraft verschaffen lässt. Der dritte Beitrag («No. III. Auszüge aus dem Briefwechsel über den Entwurf») versammelt in der Form ausgewählter Briefe Reaktionen von Zeitgenossen, an die der «Entwurf» verschickt wurde, sowie Repliken Reinholds. Im Vergleich dazu überwiegt beim ersten Beitrag («No. I. Versuch einer Darstellung der Denkart des gemeinen und gesunden Verstandes über einige Hauptpunkte der moralischen Angelegenheiten») ein philosophisches Interesse. Er präsentiert Reinholds eigenes Denken im Bereich der praktischen Vernunft in einer systematischen Gestalt, wobei aufgrund der Tatsache, dass die Inhalte aus der Perspektive des gemeinen und gesunden Verstandes entwickelt werden, durchaus gleichzeitig einem Aufklärungs- und Vermittlungsbedürfnis Rechnung getragen wird. In nahezu dreihundert Paragraphen werden definitorische und erläuternde Grundlagen zu einem System der allgemeinphilosophischen, mo-

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Einleitung

ralischen, politischen und religiösen Aufklärung unterbreitet. Reinhold bringt damit sein in den frühesten Briefen über die Kantische Philosophie1 begonnenes praktisches Philosophieren im Geiste Kants zu einem denkwürdigen Abschluss.

In der Systematik besteht eine klare Kontinuität zu dem im zweiten Band der Briefe über die Kantische Philosophie vorgelegten «Versuch einer neuen Darstellung der Grundbegriffe und Grundsätze der Moral und des Naturrechts»,2 einem Text aus dem Jahre 1792, den Reinhold zum praktischen Teil der Elementarphilosophie gezählt und den er im Zusammenhang seiner seit 1794 gehaltenen Vorlesung über Moral und Naturrecht weiter ausgearbeitet hat. Wie der Titel von «No. I. Versuch» erkennen lässt, schließt der Beitrag ebenfalls an methodologische und systematische Überlegungen an, die Reinhold in dem Aufsatz «Ueber den Unterschied zwischen dem gesunden Verstande und der philosophierenden Vernunft in Rücksicht auf die Fundamente des durch beyde möglichen Wissens» dargelegt hatte, der 1794 im zweiten Band der Beyträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen erschienen war.

Der auf dem Titelblatt des Werks stehenden Bezeichnung «Erster Band» zufolge hatte Reinhold vor, zu dem einen oder anderen der Beiträge eine Fortsetzung zu liefern. Eine Weiterführung in dieser Sache kam für Reinhold, der Anfang 1797 zu Fichtes Wissenschaftslehre übergetreten war und sich um 1800 einem System des Logischen oder Rationalen Realismus zuwandte, dann aber offenbar nicht mehr in Frage.

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1. Die Entstehung der Verhandlungen 25

Reinhold war zeitlebens Aufklärer und Illuminat und nur vor diesem Hintergrund kann die Publikation der Verhandlungen zureichend verstanden werden.

Reinhold verfolgte damit primär ein organisatorisch-aufklärerisches Ziel, nämlich die Herstellung des «Einverständnisses mehrerer Wohlgesinnten über die Hauptmomente der moralischen Denkart».3 Es sollte, mit anderen Worten, ein moralischer Bund gegründet werden, der als Alternative zur freimaurerischen Organisationsform gedacht werden konnte.

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Briefe über die Kantische Philosophie, erschienen in Der Teutsche Merkur, August 1786 bis September 1787. Für genauere Angaben siehe die Bibliographie.

Siehe Briefe II, 174–220.

Verhandlungen, 163 (§ 1).

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Bereits in jungen Jahren war Reinhold ein sehr regsamer Freimaurer. In Wien, wo er im Orden der Barnabiten die Ausbildung zum Priester und Philosophielehrer durchlief, war er gleichzeitig sowohl der Freimaurerloge «Zur wahren Eintracht» unter dem Meister vom Stuhl Ignaz von Born (1742–1791) als auch dem von Adam Weishaupt (1748–1830) gegründeten Illuminatenorden beigetreten.4 Die Doppelexistenz als Priester und Freimaurer führte ihn nach einiger Zeit in eine religiöse Krise und trieb ihn zur Flucht in den protestantischen Norden. Die hiermit erfolgte Entscheidung, sich künftig ganz der Freimaurerei zu widmen, hielt ihn aber nicht davon ab, ebenfalls grundsätzliche Zweifel an der Organisationsform und an den führenden Kräften dieser Bewegung zu äußern.

Seit Mitte der 1780er-Jahre standen Freimaurerei und Illuminatenorden unter starkem Druck von staatlicher Seite. Im Juni des Jahres 1784 verbot die bayerische Regierung den Bund der Illuminaten; das kurfürstliche Verbot des Ordens und der ganzen Freimaurerei folgte im März 1785. Die Veröffentlichung von internen Dokumenten des Ordens brachte diesem einen schlechten Ruf ein und führte in der Öffentlichkeit zu verstärktem Misstrauen gegen geheime Gesellschaften. Wahrscheinlich um einem Verbot der österreichischen Freimaurerei, die personell eng mit den Illuminaten verbunden war, zuvorzukommen, ersuchte Ignaz von Born in seiner Funktion als Großsekretär der Großen Landesloge von Österreich den Kaiser um Schutz der freimaurerischen Logen. Joseph II. erließ daraufhin im Dezember 1785 das sogenannte Freimaurerpatent, in dem er die Logen staatlicher Kontrolle unterstellte, eine Maßnahme, die den Ruf der Freimaurerei nachhaltig schädigte.

Auch im Inneren befand sich die Freimaurerei in einer schwierigen Situation. Wachsende Kritik an den komplexen und stark hierarchischen Organisationsstrukturen mit komplizierten Ritualen, diversen Graden und Hochgraden, vor allem in den zum System der «Strikten Observanz» gehörigen Logen, führte zu dem Bestreben nach Reform. Im Anschluss an den Wilhelmsbader Konvent von 1782 kam es zunächst zur Gründung des «Eklektischen Bundes» durch illuminatisch engagierte Freimaurer in Wetzlar und Frankfurt, die das Ziel verfolgten, freimaurerische Vereinigungen von ihren esoterischen Inhal-

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Zu Reinholds Wiener Jahren siehe neben den einschlägigen Reinhold-Darstellungen jetzt auch Philipp Schaller: Wiener Ouvertüren zur Kantisch-Reinholdischen Philosophie.

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Einleitung

ten zu reinigen sowie Hochgrade und «unsichtbare Obere» abzuschaffen.5 Die illuminatische Verflechtung des Bundes beeinträchtigte dieses Projekt jedoch, und dies insbesondere nach dem offiziellen Verbot des Ordens. Als Reaktion auf diese Krise rief die Gothaer Loge «Ernst zum Kompass» 1790 zur Gründung des «Bundes der deutschen Freimaurer» auf. In einem Rundschreiben forderte sie die Rückbesinnung auf «Ursprung und Zweck der Freimaurerei».6 Hauptsächlicher Verfasser dieses Entwurfes war Johann Joachim Christoph Bode (1730–1793) in Weimar, mit dem Reinhold in freundschaftlicher Beziehung stand7 und an dessen maurerischen Reformbestrebungen er selbst auch beteiligt war.8 Laut Hermann Schüttler ließ Bode, der nach dem offiziellen Verbot des Illuminatenordens in Bayern und der Flucht seines Gründers Adam Weishaupt de facto Leiter der mitteldeutschen Abteilung des Ordens geworden war, diesen nach 1787 langsam einschlafen.9 Während aber Bode bis zu seinem Tod im Jahre 1793 am Plan der Reform der deutschen Freimaurerei festhielt, begann Reinhold, über eine Alternative zu dieser bestehenden Organisationsform nachzudenken. Schon in seinem Brief an seinen Freund Jens Baggesen (1764–1826) im August 1791 gab er seinen Zweifeln Ausdruck und schlug eine andere, öffentliche Form des Bündnisses vor, die rein auf Geistesverwandtschaft beruhen und weder des Geheimnisses noch der Rituale und Symbole bedürfen sollte: «Übereinstimung in der Denkart über das Eine was Noth ist – macht die Kinder Eines Geistes ohne alle Verabredung und Schwur zu einer für den grossen Haufen unbegreiflichen öffentlichen geheimen Gesellschaft.»10

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Vgl. R. Vierhaus: Aufklärung und Freimaurerei in Deutschland, 117.

H. Schüttler: Der Bund der deutschen Freimaurer, 139.

Reinhold schrieb in einem Brief vom 13. Juli 1786 an Johann Baptist von Alxinger in Wien, dass er beabsichtige, Bode zum Paten seines ersten Kindes zu machen (RKA 1, 110).

Obwohl er in einem Brief an Jens Baggesen (15. August 1791) behauptete, nicht mehr freimaurerisch tätig zu sein.

Vgl. H. Schüttler: Der Bund der deutschen Freimaurer, 142.

Brief an Baggesen vom 15. August 1791, in: RKA 3, 237. Die Idee der Geistesverwandtschaft erinnert an Gotthold Ephraim Lessings Formulierung in seinem Ernst und Falk. Gespräche für Freimäurer, wo er die Freimaurerei auf dem «gemeinschaftlichen Gefühl sympathisierender Geister» bestehen lässt (481 [Fünftes Gespräch]).

Ebenso sprach Christoph Martin Wieland von «einer gewissen natürlichen Ver-

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XIII

Im April 1794, wenige Monate nach Bodes Tod, plante Reinhold zusammen mit drei illuminatischen Freunden in Gotha einen «Wahrheits- und Freundschaftsbund», «ohne Symbole und Embleme, ohne specielle GesellschaftsEinrichtungen und Subordination», um «nunmehr zu versuchen, was das Wesen ohne bestimmte Form vermag», nämlich ohne die äußere Form der Freimaurerei.11 Die Ziele des Bundes beinhalteten gegenseitige Hilfe bei der moralischen Pflichterfüllung, Förderung von Wahrheit und Tugend, Reform bestehender freimaurerischer Logen durch Herstellung einer Verbindung zwischen ihnen12 und «Bekämpfung der schädlichen geheimen Gesellschaften und ihrer unbekannten

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wandtschaft und Sympathie, die sich im ganzen Universum zwischen sehr ähnlichen Wesen äußert» (Das Geheimnis des Kosmopolitenordens, 560).

Anonym: Der «moralische Bund» Reinhold’s und der «Einverstandenen», 3. Der «Entwurf eines Wahrheits- und Freundschaftsbundes» ist im Anhang des vorliegenden Bandes abgedruckt. – Bei den dabei beteiligten drei Freunden, die sich ausdrücklich als die «verbundenen Freunde Bode’s» bezeichneten, handelt es sich, laut diesem Aufsatz, um «R. Z. Becker, Geisler und Wehmeyer» (ebd. 1). – Rudolph Zacharias Becker (1752–1822), der Autor des Entwurfs für den Bund, war der Gründer und Herausgeber zweier wichtiger Publikationen der Aufklärung, dem 1791 gegründeten Anzeiger der Deutschen (seit 1793 Reichsanzeiger) und der Deutschen Zeitung für die Jugend und ihre Freunde (seit 1796 Nationalzeitung der Deutschen). Er war außerdem der Verfasser zahlreicher Schriften zur Aufklärung, insbesondere zur Volksaufklärung, unter anderem von: Beantwortung der Frage: Kann irgendeine Art von Täuschung dem Volke zuträglich sein, sie bestehe nun darinn, daß man es zu neuen Irrthümern verleitet, oder die alten eingewurzelten fortdauern läßt (1781), Grundsätze, Verfassung und Schicksale des Illuminatenordens (1786), Vorlesungen über die Pflichten und Rechte des Menschen (1791f.) und, vielleicht am bekanntesten, Versuch über die Aufklärung des Landmannes (1785). Becker war seit 1784 Illuminat. Bei dem oben erwähnten «Geisler» handelt es sich um Johann Georg Geißler (1760–1830), Geheimsekretär, Gerichtsadvokat und schließlich Regierungsrat in Gotha, seit 1785 Mitglied des Illuminatenordens. Der dritte Gothaer im Bunde war Christian Heinrich Wehmeyer (1729–1813), herzoglicher Oberhofgärtner, in dessen Gartenhäuschen die Gothaer Illuminaten ihre Logensitzungen abhielten (siehe M. Niedermeier: «Vorhöfe, Tempel und Heiligstes», 189). Für weitere Informationen zu den maurerischen Tätigkeiten dieser drei und anderer Illuminaten siehe die Datenbank: ‹https://database.factgrid. de/wiki/FactGrid:The_Gotha_Illuminati_Research_Base› (02.08.2020). Die Liste der dort erfassten Illuminaten nimmt den Platz von H. Schüttlers Die Mitglieder des Illuminatenordens: 1776–1787/93 (München 1991) ein.

Ein klarer Bezug auf Bodes Plan eines «Bundes der deutschen Freimaurer».

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Oberen».13 Laut der anonymen Abhandlung Der «moralische Bund» Reinhold’s und der «Einverstandenen» war Rudolph Zacharias Becker der Autor des Programms des Bundes. Er und seine Gothaer illuminatischen Brüder hatten also zu diesem Zeitpunkt die Hoffnung auf eine Reform der Freimaurerei noch nicht aufgegeben. Inwieweit Reinhold darin mit ihnen übereinstimmte, lässt sich angesichts seiner gegenüber Baggesen erwähnten Zweifel schwer bestimmen.14 Die Pläne für diesen Bund scheiterten. Viele der Freunde, die angesprochen wurden, meldeten politische Bedenken an, unter ihnen der Professor der Rechte in Jena Gottlieb Hufeland.15 Reinhold gab jedoch nicht auf. Nach seinem Umzug nach Kiel im April/Mai 1794 verfasste er – wieder zusammen mit freimaurerischen Freunden16 – einen «Entwurf zu einem moralischen Bunde».

Während dieser Entwurf sich immer noch ausdrücklich auf die Reform der Freimaurerei bezieht, stehen andererseits im weitesten Sinne moralische Be13

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Anonym: Der «moralische Bund» Reinhold’s und der «Einverstandenen», 3f. Laut dieser Abhandlung schickte Becker das Programm umgehend an Karl August Böttiger (1760–1835), «Direktor des Gymnasiums und Oberconsistorialrath für Schulangelegenheiten» in Weimar, der ihn an den Regierungsrat Christian Gottlob Voigt (1743–1819) und an den Professor der Rechte in Jena Gottlieb Hufeland (1760– 1817) weitergab.

Siehe auch unten Reinholds Brief an Baggesen aus dem Jahre 1794, in dem er betont, dass es « Gehülfen Bode’s » waren, von denen die Initiative der Gründung des Bundes ausging (Aus Jens Baggesen’s Briefwechsel I, 348; vgl. unten S. XXXIII).

Hufeland fungierte auch als Mitherausgeber der Allgemeinen Literatur-Zeitung. Der anonyme Autor des Aufsatzes Der «moralische Bund» Reinhold’s und der «Einverstandenen» beschreibt Hufelands Reaktion ohne weitere Quellenangabe (siehe 5).

Der Aufsatz erwähnt weitere Namen von freimaurerischen bzw. illuminatischen Brüdern, an die das Programm geschickt wurde, so zum Beispiel die der Philosophieprofessoren Johann Georg Heinrich Feder (1740–1821), Ludwig Timotheus Spittler (1752–1810) und Christoph Martin Meiners (1747–1810) in Göttingen, die Reinhold auf seiner Reise von Jena über Gotha nach Kiel, wo er 1794 die Stelle eines ordentlichen Professors antrat, auch persönlich aufsuchte.

Die Biographie Reinholds von seinem Sohn Ernst identifiziert diese mit «zwei Freunden in Kiel, dem ehemaligen Obersten und Generalquartiermeister von Binzer und dem Professor der Rechtswissenschaft Jensen» (E. Reinhold: K. L. Reinhold’s Leben, 84).

Bei dem ersteren handelt es sich um Johann Ludwig Jacob von Binzer (1746–?1811), bei dem zweiten um den Professor der Rechte in Kiel Friedrich Christoph Jensen (1754–1827). Siehe Chronik der Universität zu Kiel. Kiel 1861, 40. In deren Artikel über Jensen wird die Gründung des moralischen Bundes mit ausdrücklicher Berufung auf Reinhold erwähnt.

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griffe im Vordergrund, die das zugrundeliegende ethische Denken Reinholds verraten.

Nachdem jedoch auch dieser zweite Entwurf eines moralischen Bundes auf Bedenken stieß – wahrscheinlich waren hierfür wiederum Befürchtungen in Bezug auf seinen politischen und freimaurerischen Gehalt ausschlaggebend17 –, tilgte Reinhold in der nachfolgenden Bearbeitung, deren Resultat dann als No. II der Verhandlungen veröffentlicht wurde, nahezu alle Bezugnahmen auf die Freimaurerei.18 Nur in § 5 erlaubt er sich einen negativen Bezug auf dieselbe. Dort heißt es, die Menschen fänden die moralische Freiheit «in der Unabhängigkeit von allen Symbolen, Hieroglyphen, Cäremonien und Gebräuchen, nicht durch Eigendünkel und Verläugnen und Verachten des Unbekannten und Verkannten, sondern durch die Mündigkeit des Geistes, die in der Erkenntniß und Ausübung des Einen, was der Zweck aller Zwecke ist, besteht».19 Das nunmehr sehr vorsichtig formulierte Ziel des Bundes war es, die «Annäherung einiger Gutgesinnten in ihrer Denkart» über die «moralischen, politischen und religiösen Grundwahrheiten» zu fördern.20 Dieser Text mit dem langen Titel «Entwurf zu einem Einverständnisse unter Wohlgesinnten über die Hauptmomente der moralischen Angelegenheiten als Versuch eines Beytrages zur Läuterung und Befestigung der öffentlichen Ueberzeugung» – worauf sich der Name «Bund der Einverstandenen» bezieht – wurde höchstwahrscheinlich 179521 gedruckt und verschickt, wobei die Angeschriebenen aufgefordert wur17

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Der anonyme Autor des schon zitierten Artikels Der «moralische Bund» Reinhold’s und der «Einverstandenen» vermutet, dass «die Urtheile über den von Reinhold ausgegangenen Entwurf […] natürlich sehr verschieden sein [mussten], je nachdem sie mit oder ohne Beziehung auf die Freimaurerei gefällt wurden» (132), jedoch ohne diese Einschätzung zu belegen. Erst nach der Bearbeitung der Reinhold’schen Korrespondenz der Jahre 1794 bis 1796 wird es möglich sein, diese Annahme zu überprüfen.

Aus der ersten Durchsicht der noch unveröffentlichten Korrespondenz des Jahres 1796 ergibt sich, dass Reinhold den Bezug auf die Freimaurerei erst auf Drängen von Elise Reimarus getilgt hat (siehe Reinholds Brief an Baggesen von Mitte Mai 1796).

Zu Elise Reimarus siehe unten Anm. 25.

Verhandlungen, 171 (§ 5).

Ebd. 207f. (§§ 42f.)

In der Ausgabe der Verhandlungen von 1798 heißt es «Als Manuscript gedruckt 1796» (Verhandlungen, 161). Von Schönborn hat aber mit Recht darauf hingewiesen, dass der erste der unter No. III veröffentlichten Briefe das Datum des 6. Dezembers 1795 trägt. Außerdem sollte der «Entwurf», laut §§ 49 und 50, alle drei Jahre in überarbeiteter Fassung «durch öffentlichen Druck bekannt gemacht» werden (vgl. ebd. 209).

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Einleitung

den, ihn an andere, gleichgesinnte Freunde und Bekannte weiterzuleiten.22 Im Folgenden, so der Plan, sollte er einmal pro Jahr überarbeitet und aufs Neue versandt werden, um die Vorschläge und Kritikpunkte der «Einverstandenen»

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Die Verhandlungen wurden 1798 veröffentlicht, was auf das Jahr 1795 für den «Entwurf» hindeutet (siehe A. von Schönborn: Karl Leonhard Reinhold, 88). Hinzu kommt, dass der Verfasser des ersten Briefes sich ausdrücklich auf die «Schrift» bezieht, die eine «Sensation […] auf den hiesigen kleinen Kreis» gemacht habe (ebd. 214).

Verhandlungen, 209 (§ 47). Eine erste Liste von Personen, an die der Entwurf nachgewiesenermaßen verschickt wurde, findet sich bei S. Bernecker: Reinhold’s Road to Fichte, 236f. Genannt werden: Jens Baggesen, Ludwig Jacob Binzer, Karl August Böttiger, Johann Benjamin Erhard, Johann Gottlieb Fichte, Johann Jakob Griesbach, August Adolf Friedrich von Hennings, Gottlieb Hufeland, Christoph Wilhelm Hufeland, Friedrich Heinrich Jacobi, Friedrich Christoph Jensen, Wilhelm Josef Kalmann, Friedrich Christian Karl Heinrich Münter, Friedrich Immanuel Niethammer, Heinrich Eberhard Gottlob Paulus, Gottfried Wenzel Graf von Purgstall, Elise Reimarus, Anton Friedrich Justus Thibaut, Benedict Christian Vogel (bei diesem handelt es sich vermutlich um Paul Joachim Sigmund Vogel, den die Illuminaten-Datenbank sowohl als Mitarbeiter am «Bund der deutschen Freimaurer» als auch am «Bund der Einverstandenen» führt [<https://database.factgrid.de/wiki/Item_talk:Q1268>; 02.08.2020]; dies wird auch bestätigt in I. Radrizzani: Reinhold et l’héritage de Bode, 570) und Christoph Martin Wieland. Wahrscheinlich haben auch Salomon Maimon und Johann Gottfried Herder den Entwurf erthalten. Im Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek steht auf der Titelseite «Herrn Vicepresident Herder». Nach Auskunft von Ives Radrizzani kann, auf der Grundlage seiner Bearbeitung der für das Projekt der Verhandlungen einschlägigen Jahrgänge der Korrespondenz, belegt werden, dass der Entwurf auch an folgende Personen geschickt wurde: Rudolph Zacharias Becker, Carl Theodor von Dalberg, Carl Friedrich Ernst Frommann, Karl Friedrich Reinhard, an Reinholds ehemaligen Studenten Karl Johann Salemann in Reval, an Friedrich Heinrich Adolph Schlichtegroll, Christian Gottlob Voigt, an Kronprinz Friedrich von Dänemark und an Friedrich Gottlob von Wiedebach. Zusätzlich ergibt sich aus zwei Briefen des Erbprinzen Friedrich Christian von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg an Baggesen von Dezember 1795, dass der Entwurf auf dem Schreibtisch von Ernst Heinrich Graf von Schimmelmann und seiner Frau Charlotte lag. In diesen Briefen wird ebenfalls erwähnt, dass Reinhold den Entwurf um diese Zeit in Tremsbüttel vorgelesen hatte.

Man kann annehmen, dass diese Lesung im Haus des Grafen Christian von StolbergStolberg stattgefunden hat (vgl. H. Schulz [Hg.]: Timoleon und Immanuel. Dokumente einer Freundschaft. Briefwechsel zwischen Friedrich Christian von Schleswig-Holstein und Jens Baggesen. Leipzig 1910, 314, 320f.). Einigen der Adressaten, wie Baggesen und Salemann, schickte Reinhold gleich mehrere Exemplare mit der Bitte, diese nach eigenem Gutdünken an gleichgesinnte Freunde zu verteilen.

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zu berücksichtigen. Nach drei Jahren würde er «durch öffentlichen Druck bekannt gemacht»23 werden, was denn auch 1798, mit der Veröffentlichung der Verhandlungen, geschah. Die Tatsache, dass die Verhandlungen unter Reinholds eigenem Namen veröffentlicht wurden, ist ein Indiz dafür, dass nicht nur der Beitrag No. I der Verhandlungen aus seiner Feder stammte, sondern auch – wie identische Formulierungen zeigen – No. II.24 Die «Auszüge aus dem Briefwechsel über den Entwurf», veröffentlicht als No. III der Verhandlungen, zeigen, dass auch diese erklärtermaßen weder freimaurerische noch politische Art der Vereinigung für viele der Angeschriebenen immer noch problematisch war. So betont die Verfasserin gleich des ersten Briefes, bei der es sich um Elise Reimarus handelt,25 dass «wir» – sie und die anderen Mitglieder ihres aufklärerischen Zirkels – zwar die Absicht des Bundes billigten, aber das Mittel «durch ein öffentliches Einverständniß auf die öffentliche Ueberzeugung wirken zu wollen», «zweckwidrig» fänden, da die «uneingeschränkte Denkfreyheit jedes Einzelnen» sich durch ein solches Einverständnis «gekränkt» fühle und somit «mehr Trennung als Eintracht bewirkt werden dürfte». Ebenso bemängelt sie den zu philosophischen Charakter des Textes, der Nichtphilosophen von dem beabsichtigten Einverständnis ausschließen werde.26 Noch etwas anderes ist an diesem Brief sehr interessant: Zum einen bezieht sich die Verfasserin auf den mündlichen Vortrag des Entwurfs – «bey Ihrer Vorlesung des Manuscriptes» –, wobei sich die Anrede höchstwahrscheinlich auf Reinhold selbst bezieht, wie der Inhalt des übrigen Briefes nahelegt. Das hieße also, dass Reinhold und womöglich auch die anderen Teilnehmer an diesem Projekt den Entwurf potentiellen «Einverstandenen» persönlich vortrugen und anschließend mit ihnen diskutierten. Zum anderen erwähnt der Brief «die Sensation, die ihre Schrift auf den hiesigen kleinen Kreis, Ihnen wehrt gewordener Männer von Kopf, N. – N. – N. gemacht hat».27 Empfänger des Entwurfes trugen also zu seiner weiteren Verbreitung und Diskussion bei, indem sie 23 24

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Verhandlungen, 209 (§ 49).

Ein noch unveröffentlichter Brief Reinholds an Salemann vom 4. Dezember 1799 deutet jedoch darauf hin, dass Reinhold zu diesem Zeitpunkt noch an eine Fortsetzung des Projekts der Verhandlungen dachte.

Elise Reimarus (1735–1805) war die Tochter des Bibelkritikers Hermann Samuel Reimarus. Sie trat als Schriftstellerin und Übersetzerin hervor und führte in Hamburg einen bedeutenden literarischen Salon.

Verhandlungen, 213f.

Ebd. 214.

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den Entwurf in ihren – während der Periode der Aufklärung so populären – Lese- und Konversationszirkeln behandelten. Und noch ein dritter Umstand wird deutlich: Die Verfasserin hatte den Entwurf in eigener Initiative einem weiteren Freund und Mitglied ihres Zirkels, Friedrich Heinrich Jacobi, geschickt, aus dessen brieflicher Reaktion sie ausführlich zitiert.28 Die Absicht Reinholds und seines Bundes, eine Diskussion über «Grundbegriffe und Grundsätze der Moralität» zu initiieren, erfüllte sich also. Entgegen Reinholds Absicht blieb sie aber mehr oder weniger privat, da die Mehrheit der Kontaktierten sowohl die Idee eines öffentlichen Einverständnisses als auch deren öffentliche Diskussion ablehnte.29 Also war es selbstverständlich, dass Reinhold alle Referenzen, die auf die Namen oder auch nur die Wohnorte der Briefschreiber hingewiesen hätten, aus den Briefen, die er in Auszügen in No. III der Verhandlungen abdruckte, entfernte. Alle Namen sind getilgt und durch ein anonymisierendes «N.» ersetzt und für alle Ortsnamen wurden «***»

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Die Illuminaten-Datenbank der Universität Erfurt (<https://database.factgrid.de/ wiki/FactGrid:The_Gotha_Illuminati_Research_Base >; 02.08.2020) bestätigt die Mehrheit der in Der «moralische Bund» Reinhold’s und der «Einverstandenen» erwähnten illuminatischen Brüder, an die der ursprüngliche Entwurf des «Wahrheits- und Freundschaftsbundes» geschickt worden war, als Mitglieder des späteren «Bundes der Einverstandenen».

So schrieb Johann Benjamin Erhard, mit dem Reinhold in seiner Jenaer Zeit eng zusammenarbeitete: «Daß Sie Ihren Entwurf öffentlich bekannt machten, hat, um aufrichtig zu seyn, nicht meinen ganzen Beifall, die Sache ist dadurch im Grunde aufgehoben.» (Brief an Reinhold vom 9. Januar 1797. Denkwürdigkeiten des Philosophen und Arztes Johann Benjamin Erhard, 432) Siehe auch S. Bernecker: Reinhold’s Road to Fichte, 236–238, für weitere Reaktionen, unter anderem auch Johann Gottlieb Fichtes. Fichte schrieb in einem Brief an Reinhold vom 4. Juli 1797, dass er «über die Idee überhaupt sehr erfreut [war], nicht aber über die nähere Bestimmung derselben […].

Ich meine, Lieber, daß man sich nicht zum Glauben vereinigen müsse, sondern zum Handeln, und zwar zu einem genau bestimmten Handeln. Nur der äussere Zweck bindet. Eine Gesellschaft ohne ihn ist eigentlich keine.” (GA III/3, 73) In einem Brief an Karl August Böttiger vom 8. Januar 1796 äußerte er sich allerdings weit kritischer, indem er den «Entwurf» als «Popularphilosophie» und die Idee des Bundes als «lächerlich, und gemeinschädlich» bezeichnete (ebd. 6). – In den vor Kurzem entdeckten Briefen Reinholds an Karl Johann Salemann (siehe Anm. 22) erwähnt Reinhold am 9. September 1798 die «Bemerkungen, Einwürfe, Berichtigungen und Vorschläge von mehr als dreyssig unter den Eingeladenen» (vorläufiges Transkript).

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substituiert. Die Verfasser der Briefe bleiben deshalb mit zwei Ausnahmen30 bis auf weiteres unbekannt.

2. Der freimaurerische Hintergrund der Verhandlungen

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Die Institution der Freimaurerei ist in der Forschung vorwiegend im Zusammenhang mit der Aufklärungsbewegung des achtzehnten Jahrhunderts verstanden worden. Ohne Zweifel spielten freimaurerische Vereinigungen eine wichtige Rolle in dem Bestreben nach Toleranz, Denkfreiheit, Auflösung der Standesgrenzen und Volkserziehung, um nur einige Aufklärungsziele zu nennen. In diesem Sinne ist auch Gotthold Ephraim Lessings Identifikation der Freimaurerei mit der bürgerlichen Gesellschaft gedeutet worden. In seinem Ernst und Falk. Gespräche für Freimäurer schrieb Lessing 1778: «Ihrem Wesen nach ist die Freimäurerei eben so alt, als die bürgerliche Gesellschaft. Beide konnten nicht anders als miteinander entstehen – Wenn nicht gar die bürgerliche Gesellschaft nur ein Sprößling der Freimäurerei ist.»31 Diese Interpretation betont die Ähnlichkeit freimaurerischer Vereinigungen mit anderen typischen Organisationsformen der Aufklärung wie Lesegesellschaften, Akademien, Klubs, Kaffeehäusern und patriotischen Verbindungen, die zur Schaffung von neuartigen gesellschaftlichen Institutionen beitrugen, mit deren Hilfe Mitglieder des sich entwickelnden Bürgertums Gesellschaft und Staat im Geiste der Aufklärung zu verändern suchten.

Kommentare über die Beziehung von Aufklärung und Freimaurerei haben sich in der Vergangenheit vor allem mit folgenden Aspekten beschäftigt: den aufklärerischen Idealen der Freimaurerei, der Rolle des Geheimnisses in seinem dialektischen Verhältnis zur bürgerlichen Öffentlichkeit und dem augenscheinlichen Widerspruch zwischen rationalen, aufklärerischen freimaurerischen Ver-

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Es handelt sich um Elise Reimarus, die den Brief vom 6.12.1795 verfasst hat, und Christoph Martin Wieland, der mit großer Wahrscheinlichkeit der Autor des Briefes vom 28.2.1796 ist. Siehe S. Bernecker: Reinhold’s Road to Fichte, 237 Anm. 39.

Weitere Aufschlüsse über die Identität der Briefschreiber wird möglicherweise die Aufarbeitung von Reinholds Korrespondenz der Jahre 1794–1798 im Rahmen der RKA ergeben.

G. E. Lessing: Ernst und Falk, 481.

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einigungen und irrationalen, mystifizierenden.32 Die neuere Forschung stellt diesen Widerspruch allerdings in Frage. So verweist Monika Neugebauer-Wölk auf die esoterischen Wurzeln freimaurerischer Ideale, die sich ihr zufolge aus der Antikenrezeption in der Renaissance herleiten. Sie erwähnt unter anderem den Gedanken einer Stufenfolge der Erkenntnis, die in einer «höheren Erkenntnis» oder «höheren Vernunft» endet und sich im Gradsystem der Logen spiegelt; die Anerkennung der Autonomie des Individuums in Verbindung mit der Idee der Perfektibilität und Gottähnlichkeit des Menschen; die Gründung von gelehrten Akademien und «Weisheitsschulen» nach dem Modell der platonischen Akademie mit dem Ziel der Erziehung des Menschengeschlechts; das Streben nach Beherrschung der Natur, unter anderem auch mit Mitteln der Magie und Alchemie, die noch nicht scharf von der Naturwissenschaft abgegrenzt sind; und die Forderung nach einer «pax philosophica», einer «universalen Menschheitsphilosophie». Laut Neugebauer-Wölk liegt in der Opposition zum kirchlichen Dogma einer der Gründe für die Rolle des Geheimnisses in der Freimaurerei, ein weiterer in der Anknüpfung an antike Mysterienkulte mit ihrer Trennung von esoterischen und exoterischen Inhalten.33 Alle diese Ideen finden sich im Orden der Illuminaten, dem Reinhold seit seiner Wiener Zeit angehörte. Entgegen älteren Beschreibungen des Ordens als «rational-aufgeklärte[s] System mit ideologisch-politischer Zielsetzung» (H. Reinalter) oder als die freimaurerische Esoterik sprengende Vereinigung (J. Rogalla von Bieberstein)34 repräsentierte er viele, wenn nicht alle, Aspekte von aufklärerischen Geheimgesellschaften, sowohl rationale als auch angeblich irrationale. Das Ziel seines Gründers, des Professors der Rechte in Ingolstadt Adam Weishaupt (1748–1830), war es zunächst, einer «alchemistisch arbeitenden Loge», die von den Gold- und Rosenkreuzern beeinflusst war, entgegenzuarbeiten und gegen den immer noch bestehenden Einfluss von Ex-Jesuiten die «unkontrollierte Lektüre vor allem der Aufklärungsliteratur zu ermöglichen».35 32

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Einflussreiche Untersuchungen zu diesen Themen stammen unter anderem von R. Vierhaus: Aufklärung und Freimaurerei in Deutschland und R. Koselleck: Kritik und Krise. Siehe auch die umfangreichen Veröffentlichungen von Helmut Reinalter.

M. Neugebauer-Wölk: «Höhere Vernunft» und «höheres Wissen», 174–201. Weitere wichtige Arbeiten stammen von Martin Mulsow und Hermann Schüttler. Letzterer hat sich intensiv mit dem Illuminatenorden sowie Bodes und Reinholds Rolle im Orden beschäftigt.

M. Neugebauer-Wölk: Esoterische Bünde und Bürgerliche Gesellschaft, 25.

Ebd. 26f.

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Neugebauer-Wölk zufolge hatte Weishaupt selbst keine Erfahrung als Freimaurer und wurde erst ein Jahr nach der Gründung des Bundes, 1777, in eine Münchner Loge aufgenommen. Im selben Jahr kam er durch seine Lektüre von Christoph Meiners’ Ueber die Mysterien der Alten, besonders über die Eleusinischen Geheimnisse mit esoterischem Gedankengut in Kontakt.36 In den folgenden Jahren bauten Weishaupt und die führenden Mitglieder des Ordens, besonders auch mit der Hilfe des 1780 eingetretenen Adolph Freiherrn von Knigge, eines Mitglieds der Strikten Observanz, eine komplizierte Geheimgesellschaft mit zahlreichen Einweihungsstufen auf.37 Eines der vorrangigen Ziele des Ordens war die Bildung des Menschen zum Zwecke der Beförderung der allgemeinen menschlichen Glückseligkeit und der Verbesserung der bürgerlichen Gesellschaft. Der Orden arbeitete auf mehreren Ebenen: Die ersten zwei bestanden in der moralischen Veredlung des Individuums und der aus dieser folgenden allmählichen Umwandlung bestehender politischer Herrschaftsverhältnisse.

Letztere sollte durch die Unterwanderung hoher öffentlicher Ämter durch Mitglieder des Ordens erreicht werden, ein Ziel, das nach Verbot und Veröffentlichung vieler seiner Dokumente zum Ruf des politisch subversiven Charakters des Ordens beitrug. Das folgende berühmte Zitat von Weishaupt demonstriert die Verquickung von moralischen und politischen Zielen des Ordens, die de facto in der Ersetzung von Politik durch Moralität besteht: «Man muß denen Beförderern des Unwesens unmerklich die Hände binden, sie regieren, ohne sie zu beherrschen. Mit einem Wort, man muß ein allgemeines Sittenregiment einführen, ohne die bürgerliche Bande aufzulösen, in welcher alle übrigen Regierungen ihren Gang fortgehen, und alles thun können, nur nicht den großen Zweck vereiteln, das Gute wieder über das Böse siegend zu machen.»38

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Ebd. 27f.

Diese reichten von der Vorbereitungsklasse mit den drei Einweihungsstufen von Novize, Minerval und Kleinem Illuminaten über die Freimaurerei mit den drei traditionellen Graden von Lehrling, Geselle und Meister, zuzüglich der Abstufung von Großem Illuminaten und Dirigierendem Illuminaten, bis zu den Kleinen und Großen Mysterien mit den Stufen von Priester, Regent, Magus und Docet (vgl. ebd.

34). Neugebauer-Wölk zufolge übernahm Weishaupt von Meiners die vier Grade der Kleinen und Großen Mysterien (vgl. ebd. 41).

[A. Weishaupt]: Allgemeine Uebersicht des ganzen Ordenssystems, 212. M. Neugebauer-Wölk betont den Bezug der Vorstellung des Sieges des Guten über das Böse zum gnostisch-esoterischen Gedankengut (vgl. Esoterische Bünde und Bürgerliche