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2.2 Phasen im Peripatos und das Ende der Institution

2 Kurze Geschichte des Peripatos 25

Während der peripatetische Garten also die Haupteinrichtung war und nomine proprio « Peripatos» genannt werden kann, gab es weitere Schulgründungen im peripatetischen Geist. Aus mehreren solcher Gründungen und weiteren ausserathenischen Tätigkeiten einzelner Peripatetiker als Privatlehrer24 ist hervorzuheben, dass Eudemos eine peripatetische Schule auf Rhodos etabliert hat. Es bestand offenbar eine enge Verbindung dieser Institution mit dem Peripatos in Athen, wenn Pasikles, Hieronymos und Andronikos ( alle von Rhodos) in Zusammenhang mit der Schule auf der Insel gebracht werden können und aufgrund ihrer Ausbildung dort den Peripatos in Athen aufsuchten.25

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2.2 Phasen im Peripatos und das Ende der Institution

Die Zeit des frühen Peripatos, die vom Tod des Aristoteles bis zur Edition des Corpus Aristotelicum et Theophrasteum durch Andronikos von Rhodos reicht, wird gemeinhin als eine Phase des Niedergangs charakterisiert, da in den verbliebenen Fragmenten wenig Bezug auf die Werke des Schulgründers genommen wird und deren philosophischer Gehalt in Frage steht. Diese Zeit kann erneut in einen Abschnitt von Aristoteles bis Theophrasts Nachfolger Straton sowie einen nach Straton bis zu Sullas Belagerung Athens eingeteilt werden.26 Denn bis Straton lässt sich sowohl in der Breite als auch in der Problemorientierung eine Orientierung am Schulgründer feststellen.27 Die zumeist doxographischen Berichte über die Peripatetiker nach Straton hingegen legen eine hauptsächliche Beschäftigung mit ethischen Maximen und rhetorischen Fragestellungen nahe, die einen Bezug zu Aristoteles haben könnten, deren philosophische Reflexion jedoch nach der Überlieferung oberflächlich bleibt.28 Daher muss es nach Straton zu einem « doxo-

24 Vgl. Lynch (1972) 150 f. und Scholz (2004) 315–353. 25 Vgl. Schorn (2003) 41 f. 26 So auch Sharples (2010) ix und Wehrli/Wöhrle/Zhmud (2004) 498 f. 27 Vgl. Wehrli Rückblick 96 f. 28 Steinmetz (1969b) 126 sieht dies vor allem durch eine erkenntnistheoretische ἐποχή seitens Lykon und Hieronymos von Rhodos begründet. In deren verbleibenden ethischen Fragmenten sieht White (2002) 69–93 zwar einen Rückbezug auf Aristoteles, doch überzeugen dagegen die Einwände Inwoods (2002) 95–101. Kritolaos mag eine Ausnahme gebildet haben, da für ihn neben der Ethik auch eine Beschäftigung mit kosmologischen, ontologischen sowie rhetorischen Fragen bezeugt ist. Doch ob er Aristoteles’ esoterische Werke rezipierte, bleibt zweifelhaft, da er augenscheinlich keinen Bezug darauf nimmt. Mit Ausnahme der Rhetorik sind für ihn nur Interpretationen der doxographisch-aristotelischen Lehre überliefert und es ist nicht zu bestimmen, ob die übrigen Fragmente unter Kritolaosʼ Namen über doxographische Informationen zu Aristoteles hinausgingen. Eine Untersuchung, die diesem Problem bei Kritolaos nachgeht, steht aus. Die Schwierigkeit liegt darin zu bestimmen, ob die Doxographien, die Kritolaosʼ Lehre wiedergeben und eine Abhängigkeit allein von einem « Aristoteles doxographicus» nahelegen, Kritolaosʼ Gedanken im Sinne einer doxographischen Kontinuität so angepasst haben, dass Kritolaos nur von früheren Doxographien abhängig scheint, oder ob Kritolaos tatsächlich keinen Zugang zu anderen als doxographischen Werken hatte und Aristotelesʼ Lehre allein aus Doxographien und vereinzelten exoterischen Schriften kannte.

26 I Historische Grundlagen – Forschungsstand – Ziel der Arbeit

graphical turn» gekommen sein, durch den entweder die Lehren der Peripatetiker nur noch doxographisch überliefert wurden oder den Peripatetikern die Lehren des Aristoteles, Theophrast und Straton nur noch aus Doxographien bekannt waren.29

Der Bruch nach den ersten zwei Generationen im Peripatos bis zu einer Neuedition der Werke des Aristoteles und Theophrasts war bereits in der Antike aufgefallen und wurde zu einem gängigen Topos, der auch heute auf eine «Desintegration»30 zurückgeführt wird. Die Untergangszeit, für die die Überlieferung grossteilig verschwindet, wird von Cicero Stratons naturwissenschaftlichem Spezialinteresse und von Strabon und Plutarch dem Verlust der aristotelischen Bibliothek zugeschrieben.31 Dabei dürfte es sich aber um « unzulängliche Kausalerklärungen» handeln,32 weil das Verschwinden der Überlieferung nicht mit einer Bedeutungslosigkeit der Schule gleichgesetzt werden kann. In der Zeit nach Straton wurde nämlich der Schulunterricht nicht unterbrochen und gerade Lykon stand in hohem Ansehen. 33 Diese Zweiteilung der frühen Peripatosgeschichte orientiert sich daher nur an der Überlieferungslage und nicht an dogmatischen Aspekten. Dennoch muss es auch philosophische Gründe für den Unterbruch in der Überlieferung gegeben haben, die aber nicht mit Sicherheit zu bestimmen sind. 34

Das Ende des frühen Peripatos ist mit der Belagerung Athens durch Sulla anzusetzen. Als der römische Feldherr Athen belagerte, holzte er die Bäume aus den Hainen der Akademie und des Apollon Lykeios ab, um eine Flotte zu bauen, sodass Cicero, als er 78 v.Chr. Athen besuchte, die Akademie als verlassene Stätte vorfand.35 Wahrscheinlich ist dies auf das Lykeion zu übertragen und anzunehmen, dass der Peripatos während Sullas Belagerung ebenfalls so stark zerstört wurde, dass der Schulbetrieb dort ein Ende fand.36

Während die Institution und die die Philosophen umfassende Gemeinschaft in den ersten Jahrhunderten als « Peripatos» bezeichnet werden kann, hat Moraux für die folgende Zeit, d. h. ca. ab der wahrscheinlichen Zerstörung des Lykeion bis zu Alexander von Aphrodisias, den Begriff « Aristotelismus» geprägt. Sie lässt sich

29 Hatzimichali (2016) 83 f. zeigt Übereinstimmungen und Unterschiede der doxographisch-aristotelischen Lehren aus Diogenes Laertios mit den von Aristotelesʼ heute bekannten Lehren auf. Vgl. dagegen Hahm (2007) 49–101. Hahm verortet Kritolaos in der aristotelischen Tradition, doch zeigt der doxographische Bericht über Aristotelesʼ Lehre bei Diog. Laer. 5,28–34, der auf eine Quelle vor Kritolaos zurückgeht, auffällige Gemeinsamkeiten mit Kritolaosʼ ethischer Position, wie Sharples (2010) 33 anmerkt. 30 Wehrli Rückblick 95. 31 Vgl. Cic. Fin. 5,13, Strab. 13,1,54 und Plut. Sulla 26. Ciceros Urteil baut auf Antiochos von Askalon auf. 32 Vgl. zu unzulänglichen Kausalerklärungen mithilfe biographischer Notizen Moraux (1973) 25. 33 Vgl. Wehrli Rückblick 97 und Haake (2007) 82–89. 34 Lefebvre (2016) 13 f. argumentiert, dass eine Form des Niedergangs sicherlich stattgefunden haben müsse, da der fragmentarische Status allein nicht ausreiche, um zu erklären, warum sich so wenig von den Peripatetikern erhalten hat. 35 Vgl. Plut. Sulla 12 und Cic. Fin. 5,1 f. 36 Vgl. Brink (1940) 905 und Lynch (1972) 198.

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