SPRICHTNARRENWORTEDERNARR Sprichwörter in Erasmus’ „Lob der Torheit“ ADAGIA – AUSWAHL

Aus Erasmus’ Adagiaausgewählt und übersetzt von Claude-Eric Descœudres
Sprichwörter in Erasmus’ LobderTorheit
Narrenworte sprichtder Narr
Mit einem Vorwort von Alain Claude Sulzer
Schwabe Verlag
Abbildung Umschlag:Hans Holbein d. J., Die Torheit steigt von der Kanzel, in:Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett, Amerbach-Kabinett 1662, Inv. 1662.166.82;Sammlung Online, http://sammlungonline.kunst museumbasel.ch/eMuseumPlus?service=ExternalInterface&module=collection&objectId=41866&viewType=detailView, Zugriff vom 13.07.2022
© 2022 Schwabe Verlag, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel, Schweiz
ISBN eBook (PDF)978-3-7965-4687-7
Satz:3w+p, Rimpar
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DOI 10.24894/978-3-7965-4687-7
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ISBN Printausgabe 978-3-7965-4684-6

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Das Lob der Torheit in den Adagia
Literaturverzeichnis
Weitere Sprichwörter rund um die Torheit in den Adagia
Sprichwörterim Lob der Torheit
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INHALT
Ein Werk in sieben Tagen
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Ein Werk in sieben Tagen
Dass das vergleichsweise schmale Werk eine unvorstellbare Masse anderer Schriften desselben Autors buchstäblich zum Verschwinden gebracht hat, ist eine Tatsache, für die Erasmus von heute aus betrachtet gewiss Verständnis hätte. Antworten auf theologische und kirchliche Fragen, die Erasmus umtrieben, haben nur eine beschränkte Haltbarkeitsdauer, weil das Interesse daran mit deren Lösung oder Überwindung notwendig schwindet;das wusste wohl keiner besser als er. Ihm, der sich in den klassischen Texten mindestens so gut auskannte wie in den biblischen, war bewusst, um wieviel dauerhafter Bücher sind, in denen Scherz und Ironie,Form und Stil den Inhalt bestimmen. Literarische Werke von Rang sind unmittelbar verständlich. Die wissen-
In sieben Tagen schuf Gott die Welt, in ebenso vielen Tagen schrieb Erasmus von Rotterdam sein Lob der Torheit.Die Nierenkoliken, unter denen er gerade wieder einmal litt, behinderten in keiner Weise den Schaffensschub, der ihn im Haus seines Freundes Thomas Morus in London überkam. Im Gegenteil. Offenbar lenkte ihn die Arbeit, die für ihn stets lustvoll war, von den unerträglichen Schmerzen ab. Die Idee zu dieser satirischen Lobrede war ihm nach eigenem Bekunden während seines Ritts von Italien über die Schweizer Alpen nach Straßburg gekommen. Er reiste ohne Gepäck, zumindest ohne Bücher. Nicht auf seine Bibliothek, einzig auf sein Gedächtnis konnte er zurückgreifen, es war angefüllt mit all jenen Sprichwörtern, die er gerade sammelte und die seine These untermauerten, dass nichts so sehr die Welt bewegt wie Täuschung, Selbstüberschätzung, Schmeichelei und Lüge. Nur selten zum Guten und nicht immer zum Schlechten.
Das Lob menschlicher Narretei, Narrheit,Tollheit oder Torheit es gibt ein halbes Dutzend Möglichkeiten, das Wort moria zu übersetzen, das auch auf den Widmungsträger Thomas Morus verweist sollte ihm insbesondere in der deutsch- und englischsprachigen Welt dauerhaften Ruhm bescheren, weit über den Zeitpunkt hinaus, an dem die ungleich umfangreichere lateinischsprachige Welt, für die er schrieb und publizierte, endgültig untergegangen war. Welcher Autor, der 1509 ein Buch schrieb, kann schon von sich sagen, dass diesesWerk fünfhundert Jahre später noch immer gedruckt und gelesen wird?Bücher wie diese sind selten. Die rund zwei Jahrhunderte früher entstandene Göttliche Komödie von Dante (um1321) gehört ebenso dazu wie Rabelais’ Gargantua und Pantagruel (1532/1535),Cervantes’ Don Quichotte (1605), Grimmelshausens Simplicissimus (1668)und eben Erasmus von Rotterdams Lob der Torheit,das 1534 erstmals auch in deutscher Übersetzung vorlag.
Alain Claude Sulzer
8 Ein Werk in sieben Tagen
Gott schuf die Welt in sieben Tagen. Noch einmal sieben Tage brauchte Erasmus, um ihr den Spiegel vorzuhalten, in der sie sich, mit einer Narrenkappe angetan, erkennen sollte. Die Sprichwörter dienten ihm dabei als unaufhörlich sprudelnder Wissensquell, der die Sätze der eitlen Torheit leichtfüssig umspielte. Lassen Sie sich darin treiben zurück zu Erasmus, der 1536 in Basel starb.
Über viertausend Sprichwörter hat Erasmus im Lauf seines Lebens gesammelt und in seinen Adagia-Bänden kommentiert. Jene, die ins Lob der Torheit eingegangensind, wurden für den vorliegenden Band zusammengetragen. Sie erzählen wie alle Sprichwörter, aphoristisch verkürzt, von den Alltagserfahrungender Menschenmit ihren Mitmenschen, und bringen mehr oder weniger konsensual auf den Punkt, was die Gesellschaft umtreibt, was deren Mitglieder verletzt und ängstigt, aber auch das, wovor sie sich hüten sollte, wenn sie Schlimmeres vermeiden will. VomEinzelnen wird stets aufs Ganze geschlossen, die kleine und die große Welt wird in allgemeingültige Sentenzen gefasst. Ein kurzer Satz tritt an die Stelle der epischen Erzählung oder des komödiantischen Dialogs. Ein starkes Bild ist der bessere Ratschlag, die treffendere Mahnung zur Vorsicht als lange Erklärungen. VonMenschen gemachte Erfahrungenlassen sich vergleichen, weil sie nur selten einzigartig sind. Was den Vergleich scheut, kann nicht zum Sprichwort werden.
schaftliche Auslegung ist entbehrlich und kann warten, das Werk überlebt auch ohne sie.
In der Auflage der Adagia von 1515 versieht Erasmus das Sprichwort „Kochtöpfe darstellen“ mit einem Einschub, der von seinem Lob der Torheit handelt.
Auch ich habe vor etlichenJahren Das Lob der Torheit zum Zeitvertreib geschrieben. Ich habe dafür nicht mehr als sieben Tage aufgewendet, und das ohne irgendein Buch zu Hilfe zu ziehen, denn mein Gepäck war damals noch nicht angekommen. Was immer an diesem Büchlein ist, so sehe ich, dass es von einfachen Gemütern und von den Sprachkundigen sehr geschätzt wird;diese behaupten, ausser dem Vergnügen am Humoristischen enthalte es nicht wenig, das zur Verbesserung des menschlichen Charakters mehr beitrage als die moralischen oder politischen Dogmen eines Aristoteles, der als Heide über diese Dinge mehr als heidnische Vorschriften erlassen hat. Und doch höre ich sagen, dass gewisse Leute beleidigt sind, dochsind es nur wenige, und sie gehören zu denen, die nur Barbarisches, Geistlosesund den Musen völlig Fremdes schätzen. Obwohl sie erbitterte Feinde der Dichter sind, lesen sie Juvenal, mit dessen Hilfe sie in ihren Reden die Laster der Fürsten, der Priester, der Händler und vor allem der Frauen verhöhnen. Häufig beschreiben sie diese Fehler in einer Art, die einer Lektion in Unzucht gleichkommt. Obwohl sich der von mir aufgegriffene Stoff dazu eignet und nach allen Seiten ein weites Feld offen steht, greife ich niemanden persönlich an, ausser vielleicht mich selbst, und ohne dieses hässliche Camarina von Verbrechen und Lastern irgendwohin zu bewegen,1 treffe ich mit wenigenWorten mehr das Lächerliche als das Hässliche. „Doch du tadelst“ ,sagen meine Kritiker, „die Bischöfe, du tadelst die Theologen, du tadelst die Fürsten.“ Erstens merken sie nicht, mit wie viel Mässigung und wie wenig Hass ich das tue. Dann vergessen sie die Regel, die uns der heilige Hieronymus so häufig eintrichtert:Dort, wo man Laster im allgemeinen erörtert, verletzt man niemanden persönlich, und niemand wird wegenseiner Bosheit angeschwärzt;vielmehr ermahnt man alle, nicht schlecht zu sein. Es sei denn, sie bestehen darauf, dass alle Fürsten weise seien, alle Theologen vollkommen, alle Bischöfe und Päpste so, wie Paulus und Martin es gewesen sind, und alle Mönche und Priester gleich wie Antonius und Hieronymus. Schliesslich erwägen sie nicht, dass bei einem Dialog das Wichtigstedie Stimmigkeit der Person ist, und sie stellen sich vor, Erasmus spreche, nicht die Torheit.
Ollasostentare
Das LobderTorheitin den Adagia
1140 KOCHTÖPFE DARSTELLEN
10 Das LobderTorheit in den Adagia
1 Adag. 64.
Es ist, wie wenn jemand einen Heiden ein Gespräch mit einem Christen führen liesse und es dem Heiden verboten wäre, irgendetwaszusagen, was mit dem christlichen Dogma im Widerspruch steht. Schliesslich, da auch die Tyrannen über alles, was sie von ihren Hofnarren hören, lachen und es für unanständig halten, wenn sich jemand von ihren Sarkasmen verletzt fühlt, wundere ich mich, dass weiss ich was für Leute von dem, was die Torheit sagt, gar nichts hören können, wie wenn alles, was wie auch immer über das Laster gesagt werde, sie direkt betreffe.
Sprichwörter im LobderTorheit
Stult. laus,Dedicatio (ASD l. 16 19): Wenngleich du dich durch die seltene Klarheit deines Geistes von dem einfachen Volk unendlich unterscheidest, besitzt du doch zugleich eine unvorstellbare Gefälligkeit und Leichtigkeit des Umgangs, wodurch es dir möglich ist und auch noch Vergnügen macht, dich zu jeder Stunde mit jedem Menschen (omnium horarum hominem)über jede Angelegenheit zu verständigen.
Die vorliegende Schrift bietet dem Leser des Lobs der Torheit die Sprichwörter, auf die Erasmus Bezug nimmt, in deutscher Übersetzung, und zwar in der Reihenfolge, wie sie im Lob der Torheit vorkommen. Die Unterteilung des Lobs der Torheit in Kapitel stammt nicht von Erasmus;wir haben sie der besseren Übersichtlichkeit wegen aus der Ausgabe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft übernommen. Ausserdem steht in Klammern die Referenz zur massgeblichen lateinischen Amsterdamer Ausgabe (ASD).
Jemand, der sich gleichermassen für Ernstes wie für Scherzhaftes eignet und in dessen Gesellschaft man gerne ununterbrochen leben möchte, den nannten die Alten einen Mann für alle Stunden. Und so hat man gemäss Quintilian Asinius Pollio genannt.1 Bei Sueton pflegt Tiberius zwei seiner Zechkumpanen die angenehmsten Menschen und Freunde in allen Stunden zu nennen, selbst in ihren Ernennungsurkunden.2 Einen solchen Freund hat Ennius in der Person von Geminus Servilius gewählt und anschaulich beschrieben. Zwar steht das Gedicht bei Aulus Gellius im zwölften Buch, Kapitel vier, der ‚Attischen Nächte‘,doch will ich es gerne hinschreiben:
Zur Zeit, als Erasmus das Lob der Torheit schrieb, war er mit dem Sammeln von Sprichwörtern beschäftigt für sein Werk, das schliesslich über 4000 Sprichwörterumfassen sollte. Es erstauntdeshalb nicht, dass das Lob der Torheit mit Sprichwörtern vollgespickt ist. Wer heute die zahlreichen Anspielungen verstehen will, muss immer wieder die Adagia zur Hand nehmen, um den Text zu begreifen.
Also sprach er und liess zu sich kommen, mit welchem er gern und oftmals Tisch und Gespräch und seiner Geschäfte Erört’ rung, teilte, wenn heim er kam ermüdet von wichtigen Dingen, drob er geratschlagt hatte die grössere Hälfte des Tages durch
286 EIN MANN FÜR ALLE STUNDEN
Omniumhorarumhomo
12 Sprichwörter im Lob derTorheit
1 Quint. Inst. VI, 3, 110. 2 Suet. Tib. 42. 3 Gell. XII, 4, 4. 4 Diog. Laert. II, 78. 5 Hor. Epist. I, 17, 23. 6 Ter. Eun. 408 409. 7 Hor. Serm. I, 3, 66.
Nach der Überlieferung sei unter den Philosophen Aristipp ein solcher gewesen;erhat sich nicht geweigert, auf Befehldes Dionys zusammenmit den anderen in einem purpurnen Frauenkleid zu tanzen, währenddem sich Platon weigerte und hinzufügte, auch in den Bacchanalen müsse man Zucht bewahren.4 Daher sagt Horaz: Aristipp zierte jede Farbe.5 Diejenigen hingegen, die ihre eigene Lebensweise haben und sich nicht leicht der Gesellschaft eines anderen Menschen anpassen, nennt man ‚Menschen für sehr wenige Menschen‘,wie bei Terenz.6 Bei Horaz aber heisst es: „Er entbehrt jeglicher Lebensart!“ rufen wir gleich.7
auf dem Markte sowohl wie im höchst ehrwürdigen Stadtrat; welchem er Grosses und Kleines, so wie auch Scherze mitteilen durfte und alles, was gut und was übel man sonst noch wohl redet, schütten ihm aus, wenn er mocht’,und anvertrauen ihm sorglos; welcher geteilt mit ihm viel Freud im Hause und draussen; den nie schädlicher Rat aus Leichtsinn oder aus Bosheit übel zu handeln verlockt;ein Mann, unterrichtet, ergeben, angenehm, redegewandt und genügsamen, fröhlichen Herzens, redend zur richtigen Zeit und das Passende, klüglich und kürzlich, im Verkehre bequem und bewandert verschollener Dinge, denn ihn lehrten die Jahre die Sitten der Zeit und der Vorzeit, von vielfältigen Sachen der Götter und Menschen Gesetz’ auch, und ein Gespräch zu berichten verstand er so wie zu schweigen.3
253 UM ZIEGENWOLLE
Delanacaprina
Stult. laus,Dedicatio (ASD l. 41 42): Einer prophezeit die Zukunft, ein weiterer stellt neue Thesen zum Streit um Ziegenwolle1 (de lana caprina)auf.
1 Heute streitet man „um des Kaisers Bart“ statt „um Ziegenwolle“ .
Dem vorangehenden sehr ähnlich ist das lateinische Sprichwort Um Ziegenwolle,weil es bei einem ähnlichen Ereignis entstanden zu sein scheint, als zwei Männer leidenschaftlich darüber stritten, ob der Ziegenbock Wolle oder Haare habe,oder sich ausserdem noch über das zottige Haar der Ziegen herumschlugen, einer offensichtlichnutzlosen Sache ohne jede Bedeutung, in der Art des Scherzes,den man auch um Eselswolle1 erzählt. Horaz schreibt in seinem Brief an Lollius:
Allzu tief beugt der eine ergeben den Rücken, treibt Spass vom Platz auf der untersten Bank, blickt mit Angst nach den Winken des Reichen,
Der Fehler, dass jeder das Eigene mehr schätzt als das Fremde, ist tief verwurzelt;er scheint bei den Afrikanern ausnehmend stark ausgeprägt gewesen zu sein. Nirgends aber ist diese Seuche unheilbarer als bei den Dogmen, sobald wir einmal vom Glauben daran erfüllt sind. Das kritisiert Galen treffend im ersten Buch ‚Vonden natürlichen Kräften‘ : Derart ist die Eifersucht um die Sekten herum ein unausrottbares und in den meisten Fällen unaustilgbares Übel und schwieriger zu heilen als jede Krätze.5
Stult. laus,Dedicatio (ASD l. 44 45): Doch wenn nicht Selbstgefälligkeit mich narrt (nisi plane me fallit φιλαυτία), darf ich wohl sagen:der Torheit galt mein Loblied, aber ganz töricht ist es nicht.
1 Hor. Carm. I, 18, 14. 2 Plat. Leg. V, 731e. 3 Aristot. Eth. Nic. IX, 1168a 28 30. 4 Martial. IV, 20, 4. 5 Gal. De nat. facult. I, 13.
Das gleiche Sprichwort wird auch in den Kapiteln 9(ASD l. 126 127)und 42 (ASD l. 1037 1038)erwähnt.
1 Adag. 379. 2 Hor. Epist. I, 18, 10 11 und 13 16;vgl. Adag. 773.
292 SELBSTGEFÄLLIG 13
Das gleiche Sprichwort wird auch in Kapitel 51 (ASD l. 1357)erwähnt.
so, wie vorm strengen Magister ein Schüler wohl seine Lektionen hersagt oder ein Mime den Nachäffer spielt auf der Bühne; wieder der andere streitet um Wolle von Ziegen, in voller Rüstung zieht er zum Kampf für Lappalien.2
292 SELBSTGEFÄLLIG
Wer sich selbst gegenüber überaus gefällig und übermässig um seine eigenen Vorteile bemüht ist, während er die Sachen anderer Leute entweder ausser acht lässt oder sogar beschädigt, den nennen die Griechen richtig φίλαυτος (sich selbst liebend). Das Laster selbst nennt man φιλαυτία (Selbstliebe). Das hat Horaz zutreffend umschrieben und gesagt: Die eigne Verblendung.1 Platon sieht in diesem Laster die Quelle aller Übel.2 Aristoteles gibt im neunten Buch der ‚Ethik‘ klar zu verstehen, dass diese vorwurfsvolle Bezeichnung ‚selbstgefällig‘ wie ein Sprichwort allgemein verbreitet war, wenn er sagt, dass Menschen, die übermässig in sich selbst verliebt seien, in der Allgemeinheit in üblem Ruf ständen und mit dem schimpflichen und entehrendenBeinamen ‚sich selbst liebend‘ versehen würden.3 Diejenigen hingegen, die sich selbst missfallen, nennt man abstossend. Martial:
Die eine ist ekelhaft, abstossend die andere.4
Φίλαυτοι
Stult. laus 1(ASD l. 13): Welch ein Gegensatz zu euren bedrückten und sorgenvollen Mienen von vorhin, gleichsam als wäret ihr soeben der Höhle des Trophonios (eTrophonii specu)entronnen.
748 DIE STIRNE GLÄTTEN, DIE STIRNE RUNZELN
Die besorgte Stirne entfalteten sie.3
Stult. laus 1(ASD l. 10): … denn sowie ich vor eure grosse Gemeinde trat, um zu sprechen, ging augenblicklich über jedes Gesicht ein ganz ungewöhnlicher, überraschender Schein, plötzlich strichet ihr die Falten von eurer Stirn (sic subito frontem exporrexistis), …
Derselbe anderswo: Scheuch’ von derBraue die Wolke! 3 ‚Mit geglätteter Stirn‘,heiter: Du musst mit glätterer Stirn mit mir reden, 4 heisst es bei Plautus. ‚Mit düsterer Stirn‘ , 5 ‚mitgerunzelter Stirn‘ , 6 ‚die Stirne in Falten gezogen ‘ , 7 ‚mit gerunzelter Stirn‘.Plautus: Er zieht vor Ernsthaftigkeit seine Stirn in Runzeln.8 Gewisse Leute behaupten, das Wort caperare sei von den Hörnern des Ziegenbocks (caper)abgeleitet. Man sagt auch ‚eine bewölkte Stirn‘9 , ‚eine heitere Stirn‘10 , ‚eine entfaltete Stirn‘ .
Denn mir bangt, als wenn ich in Trophonios’ Höhle stiege.2
1 Plin. Nat. XI, 138. 2 Ter. Ad.839. 3 Hor. Carm. III, 29, 16. 3 Id. Epist. I, 18, 94. 4 Plaut. Cas.281. 5 Hor. Epod. 13, 5; Iuv. 9, 2. 6 Symm. Epist. 6, 2; Amm. Marc. XXX, 4, 19. 7 Hor. Serm. II, 2, 125. 8 Plaut. Epid. 609. 9 Martial. II, 11, 1. 10 Cic. Tusc. III, 31.
In der Höhle des Trophonios hat er sich weissagen lassen.1 Voneinem sehr traurigen und finsteren Menschen, weil man früher glaubte, wer in die Höhle des Trophonios hinuntersteige, werde nachher nie mehr lachen. Aristophanes in den ‚Wolken‘ :
Man sagt:die Stirne glätten, wenn man heiter wird, und die Stirne runzeln, wenn man sich ärgert, das heisst, wenn einem etwas lästig fällt. Plinius im elften Buch: Auch andere haben eine Stirne, aber nur beim Menschen ist sie ein Ausdruck der Traurigkeit,Fröhlichkeit, Milde und Strenge.1 Terenz: Streich die Falten von deiner Stirn! 2 Horaz in den ‚Oden‘ :
Im übrigen erzählen die Griechen die Geschichte von Trophonios auf verschiedene Weise. Die einen sagen, dieser Trophonios sei ein hochbegabter Steinhauer gewesen und habe bei Lebadeia, einer Stadt in Boiotien, einen unterirdischen Tempel erbaut,
InantroTrophoniivaticinatusest
677 IN DER HÖHLE DES TROPHONIOS HATERSICH WEISSAGEN LASSEN
14 Sprichwörter im Lob derTorheit
Frontemexporrigere,frontemcontrahere
677 IN DER HÖHLE DES TROPHONIOS HATERSICH WEISSAGEN LASSEN 15
Gewisse Autoren sagen, Agamedes und Trophonios hätten Werke des Daidalos gestohlen und seien geflohen;vor dem fliehenden Trophonios habe sich die Erde geöffnet und habe ihn in der Nähe von Lebadeia lebendig verschlungen. Als nach einigen Jahren die Boiotier an einer Seuche erkrankten, befragten sie ein Orakel, welches ihnen anwortete, sie sollten den Manen des Trophonios opfern. Sie wussten aber nicht, wo auf der Welt sein Grabmal war, doch fanden sie es dank des Hinweises von Bienen. Denn als sie diese aus einem Loch herausfliegen sahen, schlossen sie daraus, das sei der Ort. Daher beschlossen sie, jemandenindiese Höhle hinunterzuschicken, um sie zu erforschen. Jemand stieg also hinein und fand zwei Schlangen vor sich. Er warf ihnen zwei mit Honig versüsste Plätzchen vor und kam ungeschoren davon. Daraus entstand die Gewohnheit, dass diejenigen, die die Höhle des Trophonios betreten wollen, einige Plätzchen mitnehmen. Bevor sie aber hinunterstiegen, reinigten sie sich an bestimmten Tagen nach festgelegten Riten und führten sich während dieser Zeit fehlerfrei auf;dann stiegen sie hinunter, mit einem geweihten Kleid ausstaffiert und mit einem Stab in der Hand, wie einige berichten, um einen Angriff der Schlangen abzuwehren.
Andere erzählen Folgendes:Esgab einmal in Stymphalos (das ist ein Teil Arkadiens)einen König namens Agamedes. Dieser heiratete Epikaste;ihr Sohn hiess Trophonios. Agamedes und Trophonios übertrafen zu dieser Zeit alle übrigen Menschen in ihrer Fertigkeit (als Baumeister); sie hatten es unternommen, den Tempel von Delphi zu errichten und in Elishatten sie dem Augeias eine Art von Schatzkammer erbaut, wo er sein Gold aufbewahren konnte. Später lösten sie dort einen bestimmten Stein aus seinen Fugen, den sie zu diesem Zweck so gelassen hatten, drangen regelmässig nachts in diese Kammerund stahlen Geld, dies mit der Beihilfe von Gerkyon, dem Bruder des Agamedes,und dem Sohn der Epikaste. Als dies den Augeias sehr stutzig machte, geschah es zufällig, dass Daidalos auf der Flucht vor Minos zu ihm kam. Augeias bat ihn, er möchte mitirgendeinem Mittel den Dieben auf die Spur kommen. Daidalos schuf mit höchster Kunstfertigkeit bestimmte Schlingen, mit welchen Agamedes gefangen wurde. Als Trophonios wahrnahm, dass es kein Entrinnen gab, schnitt er dem Agamedes den Kopf ab, damit man nicht erkennen könne, wer er sei, und floh zusammen mitGerkyon nach Orchomenos. Doch als sie Augeias auf Anraten des Daidalos verfolgte, flohen sie von dort weiter:der eine, nämlich Gerkyon, aus Arkadien nach Athen, wie Kallimachos bezeugt,3 der andere aber nach Lebadeia, einer Gegend in Boiotien. Dort baute er sich einen unterirdischen Wohnsitz, wo er sein ganzes Leben lang verblieb. Als er gestorben war, glaubte man allgemein,eswürden dort unfehlbare Orakelsprüche abgegeben, und man begann, dem Trophonios wie einem Gott zu opfern.
dem man im Volk den Namen Trophonios gegeben hat, zweifellos nach dem Erbauer. Diejenigen, die um Orakelsprüche ersuchten, pflegten nacktamEingang der Höhle zu sitzen, von wo sie durch einen Windhauchunter die Erde gezogen wurden. Sie hätten Kuchen mitgenommen, um sie den Lemuren und den Schlangen zuzuwerfen, denen sie begegneten. Dann seien sie, wenn sie den Orakelspruch erfahren hatten, durch eine andere Öffnung auf die Erdoberfläche zurückgebracht worden.
Was ich von der Höhle des Trophonios berichtet habe, habe ich teils beim Scholiasten des Aristophanes, teils bei Zenobios entlehnt.
16 Sprichwörter im Lob derTorheit
Welch einen Spruch hast du von Trophonios erhalten? 13
1 Zenob. 3, 61;Suda ΕἰςΤροφωνίου 323;Apost. 6, 82. 2 Aristoph. Nub.507 508. 3 Callim. fr. 226, 9 10 Asper. 4 Cic. Tusc. I, 114. 5 Plut. De gen. Socr. 590a 592e. 6 Beda Venerabilis Hist. Eccl. V, 12. 7 Diesen Nebensatz hat der Expurgator in der Auflage von 1523 getilgt. Die Visionen der Christen durften offenbar nicht in Zusammenhang mit denen des Heidentums gebracht werden. 8 Cic. Nat. III, 49. 9 Hdt. I, 46. 10 Philostr. Vita Apollon. VIII, 19. 11 Adag. 643. 12 Lucian. Dial. mort. 3; Deor. conc. 12; Menippus 12. 13 Eur. Ion 405. 14 Ibid. 300.
Im 1. Buch der ‚Gespräche in Tusculum‘ berichtet Cicero, Trophonios und Agamedes hätten nach der Erbauung des Apollontempels in Delphi den Gott angebetet und für ihre Mühe einen Lohn verlangt, freilich nicht Bestimmtes, sondern was für den Menschen das Beste sei. Apollon verkündete ihnen, er würde ihnen dies nach dreiTagen geben. Und als der dritte Tag anbrach, wurden sie tot aufgefunden.4 Jüngere Autoren berichten, Trophonios sei ein übermässig ruhmsüchtiger Mann gewesen, ganz ähnlich wie Empedokles;erhabe sich einen unterirdischen Wohnsitz errichtet und Weissagungen abgegeben. Als er dann hungers gestorben sei, sei ein Genius dort eingezogen und habe das Verkünden von Orakelsprüchen fortgesetzt;später seien aus menschlichem Aberglauben viele in diese Höhle hinuntergestiegen und hätten sich mehrere Tage dort aufgehalten. Diese Legende von Trophonios scheint mir dermassen ähnlich wie die, welche man sich von der Höhle von St. Patrick in Irland erzählt, dass man glauben könnte, die eine sei aus der anderen entstanden. Dennoch gibt es auch heutzutage viele, die hinuntersteigen, doch nach einem vorausgehenden dreitägigen Fasten, sodass sie nicht mit klarem Kopf hineingehen. Die Leute, die hinuntergestiegen sind, sagen, ihnen sei die Lust zum Lachenfür das ganze Leben vergangen. In seiner Abhandlung ‚Über die göttliche Stimme des Sokrates‘ erzählt Plutarch, ein gewisser Timarchoshabe die Höhle des Trophonios betreten, und als er von dort zurückgekehrt sei, habe er erzählt, er habe wunderliche Dinge gesehen,5 die sich nicht von denen unterscheiden, welche Beda6 und einige andere christliche Autoren von der Unterwelt überliefert haben.7 Auch Cicero erwähnt diesen Trophonios im dritten Buch ‚Über das Wesen der Götter‘ , 8 und Herodot im ersten Buch.9 Doch am meisten schwatzt über diesesunnütze Zeug Apollonios bei Philostratos,10 ein Mann, der nach meinem Urteil wert ist, über nichts anderes philosophieren zu müssen. An mehreren Stellen macht sich Lukian, dieser stahlharte11 Verfolger jeglichen Aberglaubens, über diesen Trophonios lustig,12 durch dessen Höhle auch Menippos aus der Unterwelt zurückgekehrt sein soll, wie er zum Spass sagt. Diese Höhle erwähnt Euripides im ‚Ion‘ :
Du weilst in Trophonios’ Heiligtum.14
Ebenso, im gleichen Stück:
An dieser Stelle macht der Scholiast auf das Sprichwort von den Eselsohrenaufmerksam und führt verschiedene Quellen dieser Dichtung an. Einige verträten die Meinung, dieser Midas sei in einen Esel verwandelt worden, weil er einst das Geheiss des Bacchus missachtet und kritisiert habe. Andere erzählen, dass Midas einst die Esel dieses Gottes überholt und sie beleidigt habe, sodass ihn Bacchus erzürnt mit Eselsohren versehen habe. Andere sagen, Midas habe von Natur aus sehr lange Ohren gehabt, die wie die der Esel hervorragten, und daraus sei die spasshafte Sage entstanden. Allerdings neigen die meisten dazu, die Allegorie so zu deuten, dass Midas als Tyrann die Gewohnheit hatte, Korykäer6 und Horcher auszuschicken, die er wie Ohren verwendete und mit deren Hilfe er alles vernahm, was im ganzen Land getan und gesagt wurde. Als sich deshalb das Volk wunderte, dass er auch Sachen in Erfahrung brachte, die im Geheimen und in ferner Distanz geschahen, gaben sie den Anlass zur Sage, indem sie erzählten, Midas habe Ohren wie ein Esel, weil kein anderes Tier mit Ausnahme der Maus schärfer höre als der Esel, oder weil er von allen Tieren die längsten Ohren habe. Persius: Wer hat schon keine Eselsohren? 7 Einige8 berichten, der Dichter habe zuerst geschrieben: König Midas hat Eselsohren;dann habe er aus Furcht vor dem Kaiser das Schriftstück geändert: Wer hat schon nicht.
Midasauriculasasini
Stult. laus 2(ASD l. 23): … falls ihr geruht, der Sprecherin euer Ohr zu leihen, aber bitte nicht das, womit ihr einen frommen Prediger anhört, sondern das andere, das ihr so munter spitzt, sobald ein Marktschreier, ein Hanswurst oder ein Narr seine Witze reisst und das vor Zeiten unser bekannter Midas dem Pan vorwies (quasque olim Midas ille noster exhibuit Pani). Midas ‹hat› Eselsohren.1 Das überliefert Diogenian. Es geht aus der wohlbekannten Sage vom Phrygerkönig Midas hervor, den Phoibos mit Eselsohren versah, weil er auf törichte Weise seinem Spiel das des Pan vorgezogen hatte. Nachdem er sie lange Zeit unter einer Mütze versteckt hatte, bemerkte es endlich sein Barbier und verkündete es allen. Das Sprichwort wird also richtig verwendet werden entweder für dumme Leute2 und Menschen mitgroben Ohren und plumpem Verstand, oder für Tyrannen, die, da sie wie Esel lange Ohren haben, auch aus grosser Distanz hören, wie zum Beispiel wenn sie Kundschafterausgeschickt haben, die ihnen das Gehörte überliefern. Plutarch nennt sie im Buch ‚Über Vielgeschäftigkeit‘ Horcher und Kundschafter.3 Lukian malt im Büchlein mit dem Titel ‚Dass man den Verleumdern nicht zu leicht glauben müsse‘ ein Bild der Verleumdung und setzt ihr Midasohren auf wegen ihres Eifers, heimlich zu horchen und zu belauschen, was andere Leute tun: Rechter Hand sitzt ein Mann, der so ansehnliche Ohren hat, dass ihnen wenig zu Midasohren fehlt.4 Aristophanesim ‚Plutos‘ :
267 MIDAS ‹HAT› ESELSOHREN 17
267 MIDAS ‹HAT› ESELSOHREN
Jeder ein Midas, wenn ihr euch Eselsohren wachsen lasst.5
Stult. laus 3(ASD l. 41): wenn er ihn preist als vollendetes Muster einer jeden Tugend mehr als zwei Oktaven (δὶςδιὰ πασῶν)weit weiss sich jener selbst davon entfernt.
1 Diogen. 6, 73;Apost. 11, 65. 2 Adag. 201. 3 Plut. De curios. 522f 523a; Adag. 102. Erasmus hat (aus Versehen?) die weibliche Form προσαγωγίδες statt προσαγωγεῖς gewählt. 4 Lucian. Calumn. 5. 5 Aristoph. Plut. 287. 6 Adag. 144. 7 Pers. 1, 121. 8 Schol. zu Pers. loc. cit.
Das Sprichwort ist, wie er es auch angegeben hat, der Musiksprache entlehnt. Macrobius zählt denn auch im zweiten Buch des ‚Kommentars zu Scipios Traum‘ fünf Akkorde auf:Quart, Quint, Oktav, Oktav plus Quint und doppelte Oktav.3 Aus der Addition einer Quart und einer Quint entsteht eine Oktav, der man den Namen Diapason gegeben hat, weil sie den vollkommenen Einklang wiedergibt, sodass dieses Sprichwort auch das berücksichtigt, was ich an anderer Stelle erwähnen werde: Alle acht.4 So setzen Plutarch und alle antiken Schriftsteller, sei es bei den Griechen oder bei den Lateinern, die über Musikwissenschaft geschrieben haben, die Grenze der Intervalle bei jenem, das man doppelte Oktav nennt. Auch Boethius schreibt im ersten Buch ‚Über die Musik‘,dass in der Antike das System der Akkordeeinzig auf dem Heptachord beruht habe, das heisst auf sieben Saiten, deren tiefste Hypate hiess, die höchste Nete.5 Mit der Zeit wurden andere Saiten hinzugefügt und so stieg die Anzahl Töne, bis man zum doppelten Heptachord kam. Und hier schien es, dass die Zunahme ein Ende finden werde, ausser dass das System der Akkorde jene Mese (mittlere Saite), die im
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Zweimal eine ganze Oktave. Mit diesem Sprichwort bezeichnete man einen riesigen Unterschied und einen sehr grossen Abstand. Daher sagte man von Sachen, die sich anscheinendvöllig widersprachen und in keiner Art und Weise übereinstimmten, sie lägen um zwei ganze Oktaven auseinander. Lukian im Buch ‚Wie man Geschichte schreiben soll‘ : Und dass sie, um mich eines musikalischen Kunstworts zu bedienen, um zwei ganze Oktaven voneinander stehen.1 Der Gleiche in der ‚Apologie‘ : Bedenke also nur fürs erste,was für ein grosser Unterschied es ist, ob sich einer an irgendeinen vornehmen und reichen Privatmann zum Hausgenossen verdingt, um knechtische Dienste zu tun und das alles zu erdulden, was in meiner Schrift ausführlich beschrieben ist;oder ob er vom Kaiser selbst dafürbesoldet wird, dass er an der Verwaltung deröffentlichen Geschäfte teilhat und nach Vermögen zur Regierung des gemeinen Wesens beiträgt. Du brauchst nur die Lage des einen und andern im Detail gegeneinander zu halten, um zu sehen, dass sie, wie die Musiker sagen, um zwei ganze Oktaven voneinander sind und dass nicht mehr Ähnlichkeit zwischen diesen zwei Lebensarten ist als zwischen Blei und Silber, Kupfer und Gold, der Anemone und der Rose, dem Affen und dem Menschen Freilich dientman in beiden Fällen um Sold und steht unter denBefehlen eines andern; aber die Sache selbst ist himmelweit verschieden.2 So weit Lukian.
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Heptachord den ihrem Namen zukommenden Platz gefunden hatte und auf beiden Seiten im Verhältnis zu den beiden äussersten Saiten eine Quart erzeugte, zu vermissen schien. Nachdem diese also hinzugefügt und an ihren Platz gesetzt worden war, kam man auf fünfzehn Saiten;die eine der beiden äussersten nannte man προσλαμβανόμε νος (hinzugefügt), die andere νήτη ὑπερβολαίων (übermässige oberste Saite). So kam es, dass die mese auf beiden Seiten mit der äussersten zusammen eine Oktav erzeugt, und von den äusseren jede der beiden Saiten zusammen mit der mese den gleichen Akkord ergibt. Darüberhinaus ergibt die oberste zusammen mit der untersten Saite den Akkord, den man doppelte Oktav nennt.Daaber mit diesem Abschluss das harmonische System feststand und es nicht erlaubt war, weiter fortzuschreiten, eignete sich die Volkssprache an, das, was mit der grösstenEntfernung voneinander entfernt war, zwei ganze Oktaven weit auseinander gelegen zu nennen, fast wie wenn man sagen wollte, so weit entfernt, dass man es nicht weiter trennen könne. Damitganz nahe verwandt ist der Begriff: diametral verschieden.6
Doch da ich mich unvorsichtigerweise, wenn ich so sagen darf, vergessen und etwas tiefer in die Musik hineinbegeben habe als das Mass des begonnenen Werks es verlangte, sei es mirgestattet, beiläufig auch etwas anzuknüpfen, was meiner Meinung im allgemeinen nicht sehr bekannt ist und den Leser durchaus interessierenwird. Als ich nämlich dieses Papier mit meinen Notizen besudelte, tauchte zufällig Ambrosius Leo Nolanus7 auf, der hervorragendste Philosoph unserer Zeit, der miteinem unglaublichem Fleiss und Geschick begabt ist, um die Geheimnisse der Wissenschaften zu erkunden, und eine ebenso überdurchschnittliche Übung hat, die Schriftsteller lateinischer und griechischer Sprache zu studieren und genau zu untersuchen. Als dieser also dazugekommen war, während ich schrieb, las ich ihm vor, was ich bereits geschrieben hatte, und sagte: „Ich fürchte, Ambrosius, dass dass Volk der Musiker aus meinem Sprichwort Um zwei Oktaven eine Staatsaffäre macht und dagegen protestiert und geradezu um zwei Oktaven von meiner Meinung abweicht, da sie nicht gezögert haben, die Grenze der Akkorde sogar bis zur zwanzigsten Tonstufe auszudehnen. Ich möchte deshalb, dass du mir als Autor der ‚Probleme‘ und als Kenner,jasogar Experte in der Musik in wenigen Worten erklärst, wenn es dir nicht lästig fällt, aus welchem Grund man in der Antike so sehr Bedenken hatte, auch nur ein bisschen über die fünfzehnte Saite hinauszugehen, sodass es sogar Anlass zu einem Sprichwort gegeben hat;oder warum es geschehen konnte, dass diese Modernen sich nicht scheuen, den Bereich der Akkorde so sehr auszudehnen, die Grenzen der Alten zu überschreiten8 und, wie man zu sagen pflegt, nicht zögern, über das Ziel hinauszuspringen9 und sogar bis zur zwanzigsten Saite vorzurücken“.Auf das hin antwortete er mit einem freundlichen Lächeln: „Du bist wirklich ein überaus gewissenhafter Mensch, dass dich sogar beunruhigt, was die Tischrunden der Sänger von deinenSprichwörtern halten könnten. Allerdings wäre, um die Klagen der Musiker abzuwehren,ein einziger Schild genug, nämlich dass du das alte Sprichwort erwähnst. Es traf durchaus zu, dass es zur Methode der alten Musiker, von denen es stammt, passte. Doch damit ich mehr dir als jenen Genüge tue, vernimm in wenigenWorten, was ich darüber beobachtet habe oder denke.
Zunächst:Was die heutigen Musiker dazu bewegt hat, die Schranken der Antike zu überschreiten, ist ihre Sache. Ich selbst sehe zwei Gründe, warum die Antike der Ansicht war, an der doppelten Oktave festzuhalten. Erstens weil die Natur selbst scheinbar den Akkorden wie eine Grenze gesetzt hat, indem sie die menschliche Stimme so weit eingeschränkt hat, dass sie sich nur über fünfzehn Tonstufen erstreckt;wenn jemand darüber hinauszugehen versucht, ist es nicht mehr die bekannte natürliche Stimme, sondern eine erzwungene, künstliche, und scheint mehr ein Gewinsel als eine Stimme. Wenn man aber versucht, sie tiefer zu senken, entartet sie sofort von der regelrechten Stimme zu einer Art von Räuspern. Da man sich generell einig ist, dass die Kunst so weit wie möglich der Natur entsprechen soll, scheint es mir deshalb, die Alten hätten nicht unrecht gehabt, die Regeln der Kunst mit dem gleichen Zaun einzuschränken,10 mit welchem die Natur die menschliche Stimme eingeschränkt hatte. Dieser Grund wäre überzeugend genug, denke ich, doch der zweite ist zwingender. Und das ist folgender:Duweisst, dass im 4. Buch von Boethius ‚Über die Musik‘ steht, man müsse ein Intervall in der Musik nicht nur mit der Vernunft, sondern auch mit dem Gefühl abschätzen. Deswegen verwirft Ptolemaios im genannten Buch die Meinung gewisser Pythagoräer, welche bei der Beurteilung der Akkorde das meisteder Vernunft und das wenigste der Wahrnehmung zuteilen, indem sie behaupten, der Sinn liefere nur einige Samenkörner zur Erkenntnis, doch das vollkommene Wissen bestehe aus der Vernunft. Umgekehrt weist er die Meinung des Aristoxenos zurück, welcher den Gefühlenmehr als genug, der Vernunft hingegen nur sehr wenig zugeteilt hat, wo doch der Klang der Musik so ausgewogen sein muss, dass weder die Vernunft der Empfindung widerstrebe noch die Empfindung der Vernunft widerspreche.11 Aristoteles ist im zweiten Buch der ‚Physik‘ der gleichen Meinung wie Ptolemaios;erschreibt, die Musik sei nicht reine Berechnung, sondern beruhe teils auf der Vernunft, teils auf den Empfindungen.12 Das ist niemals möglich, wenn man einmal über die fünfzehnte Stimmung, das heisst die doppelte Oktave, hinausgelangt sei. Die Vernunft allein verbietet es nicht, sogar zur tausendsten Tonstufe zu gelangen, indem sich natürlich die gleichen Intervalle wiederholen, die in der Oktaventhalten sind. Dabei dürfe man nicht anders vorgehen als bei arithmetischen Zahlen, wo man das anderthalbfache Verhältnis (ἡμιόλιον)zwischen zwölftausend und achttausend nicht anders anerkennt als zwischen sechs und vier. Im übrigen schwindet die Wahrnehmung gewissermassen für ein Intervall jenseits von fünfzehn Tonstufen, und es ist dann nicht mehr sehr wichtig, was das Mass eines Intervalls ist, das die Wahrnehmung nicht bestätigt und die Wahrnehmung bestätigt es nicht, weil sie es nicht klar erfasst. Und wenn sie es nicht erfasst, liegt der Grund darin, dass das Intervall grösser ist als recht und billig. Die Kraft der Vernunft erstreckt sich ins Unermessliche, doch im Gegensatz dazu ist die Wahrnehmungsfähigkeit in den sehr engen Grenzen des Körpers gehalten. Dasselbe trifft beim Gesichtssinn zu:wenn die Gegenstände, auf welche sich die Sehkraft richtet, unangemessen weit entfernt sind, schwächt sich das Sehen ab und versagt schliesslich, und es versagt desto mehr, je weiter die Gegenstände entfernt sind. Noch viel mehr kommt es beim Gehör vor, ist es doch weniger beweglich als das Sehen. Was sich bei den Sinnesorganen anlässlichder
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Wenn man zwei Farben eng nebeneinander und, wie die Griechen sagen, Purpur neben Purpur13 hält, merkt da nicht unsere Wahrnehmung sofort aus dem Vergleich, wie sehr die eine von der anderenabweicht oder die eine zur anderen passt?Wenn man ebenso zwei benachbarte Töne den Ohren darbietet, unterscheiden diese ohne Zögern, welche zusammen einen Wohlklang oder eine Disharmonie bilden;dochwenn sie weiter auseinanderliegen als recht ist, beginnt die Beurteilung bald unsicher zu werden. Und so wie das Gehör sich rascher abstumpft als das Sehen, so schwächt sich auch das Beurteilung des Gehörten rascher ab als das des Gesehenen, weil sie von der Wahrnehmung abhängt. Es ist nicht nötig, dass ich mit mehr Beweisen bestätige, dass es sich so verhält, da die Erfahrung selbst jeden überzeugt. Schlage bei einem Instrument irgendeine Saite an und lasse gleichzeitig die Oktavdazu erklingen:sofort wird die Wahrnehmung der Vernunft beipflichten, den Einklang voll erfassen und auch nach ihrer Berechnung bestätigen, dass er vollkommen ist. Schlage wiederum irgendeine Saite an und setze eine andere in Bewegung, die von ihr fünfzehn Tonschritte entfernt ist:sofort wird das Gehör den Akkord wahrnehmen und erfassen und ihn als den erkennen, den es kurz vorher in der Oktav gehört hatte. Doch wenn du die unterste Saite anschlägst und von da aus die neunzehnteinBewegung setzst, hat die Vernunft nichts dagegen einzuwenden,dass es sich um einen Akkord handelt, der in einer Oktav plus eine Quint lag, doch wenn das Ohr die Töne vernimmt, empfindet sie die Art des Akkords nicht gleichermassen. Wenn also die Wahrnehmung nicht bestimmte feste Grenzen hätte, innerhalb welcher ihr Urteil sicher und zuverlässig eingeschlossen ist, hinderte dich nichts daran, nach Belieben bis zu einem Intervall von tausend Oktaven fortzuschreiten. Die Vernunft stösst sich nämlich keineswegs an der Zahl, wenn sie nur das gleiche Verhältnis erkennt. Doch die Natur hat den Sinnesorganen des Körpers ihre eigenen Grenzen gesetzt;wenn sie sie überschreiten, beginnen sie allmählich schwach und wirr zu werden und nicht mehr klar, wie gewohnt, sondern sozusagen wie im Nebel und im Traum zu urteilen.14 Es gehörte sich aber nicht, etwas zur Regel der Kunst heranzuziehen, das ein unsicheres Urteil hat. Und weil die Alten erkannten, dass jenseits der fünfzehnten Tonhöhe das Urteil der Ohren schwindet, befanden sie, man müsse dort die Grenze der Intervalle festsetzen, damit nicht jemand einem mit Recht dein Sprichwort vor Augen stellen könne: Musik, von der man nichts hört, taugt nichts.15 Deshalb hätten die Modernen, welche entgegen der Meinung der Alten der obersten Saite vier weitere Saiten und der untersten eine Saite hinzugefügt haben, keinen so grossen Fehler begangen, wenn sie die Ausdehnung der Intervalle mit der neunzehntenSaite beendet hätten, weil damit das Verhältnis zwischen der untersten und der obersten Saite wenn nicht für die Ohren, so doch sicher für die Vernunft einen vollkommenenAkkord darstellt. Bei der zwanzigsten hingegen empfindet man weder Wohlklang noch besteht eine vollkommene Harmonie. Daher besteht kein Grund, mein lieber Erasmus, mitdeinem Sprichwort irgendwelche Kritik zu befürchten“ .
Wahrnehmung dessen, was sich ihnen darbietet, abspielt,ereignet sich ebenso beim Geist, der je nach der Wahrnehmung entscheidet.
1 Diogen. 1, 45;Zenob. 1, 46;Suda Αἰθίοπα 125. 2 Lucian. Adv. indoct. 28. 3 Plin. Nat. VI, 70. 4 Adag. 340. 5 Aesop. 274 Hausrath.
1 Lucian. Hist. conscr. 7. 2 Id. Apol. 11. 3 Macr. Somn. II, 1, 24. 4 Adag. 626. 5 Boeth. De inst. mus. I, 20:Die ὑπάτη (ima bei Erasmus), die Saite, die den tiefsten Ton gibt, wurde oben auf das Instrument aufgezogen, die νήτη (summa bei Erasmus), die Saite mit dem höchsten Ton, unten. 6 Adag. 945. 7 Ambrogio Leoni di Nola (1457 1525), der Arzt von Aldo Manuzio, Autor eines Werks über naturwissenschaftliche Fragen. 8 Adag. 2546. 9 Plat. Crat. 413a. 10 Adag. 2546. 11 Boeth. De inst. mus. V, 2 3. 12 Aristot. Phys. II, 2, 194a 8. 13 Adag. 1074. 14 Adag. 263. 15 Adag. 684.
Stult. laus 3(ASD l. 42): … wenn er den Mohren weisswäscht
Da diese Worte meines Freundes Ambrosius mir scharfsinnig und überaus wahrscheinlich schienen und auch nicht sehr weit entfernt von der Meinung des Sprichworts, habe ich mir erlaubt, sie meinen Ausführungen hinzuzufügen, in der Annahme, dass diese Zugabe einem nicht ganz heiklen Leser keineswegs unwillkommen sein werde.
350 DU REIBST EINEN MOHREN AB. DU WÄSCHST EINEN MOHREN WEISS
(τὸνΑἰθίοπα λευκαίνει), …
ίνεις
Aethiopemdealbas; τὸνΑἰθίοπαλευκα
Die gleiche Bedeutung haben: Du reibst einen Mohren ab1 und Du wäschst einen Mohren weiss. Lukian in seinem Büchlein ‚Gegen einen Ungebildeten‘ : Und gemäss dem Sprichwort versuche ich, einen Mohren zu waschen.2 Denn diese den Afrikanern angeborene schwarze Hautfarbe, die Plinius den Ausdünstungendes nahen Sonnengestirns zuschreibt,3 lässt sich mit keinem Wasser abwaschen noch auf irgendwelche Weise bleichen. Dieses Sprichwort wird ebenso ganz besonders dann passen, wenn etwas Unanständiges mit dem Aufputz schöner Worte verziert wird oder wenn ein Ruhmloser gerühmt oder ein Unbelehrbarerbelehrt wird.4 Es scheint aus einer äsopischen Fabel zu stammen.5 Jemand hatte einen schwarzen Sklaven gekauft und wendete in der Meinung, seine Hautfarbe sei nicht natürlich, vielmehrdurch die Sorglosigkeit des früheren Meisters bedingt, alle Mittel an, mit welchen man Kleider bleicht, und plagte den Armen mit unablässigen Waschungenderart, dass dieser krank wurde, ohne etwas von seiner bisherigen Farbe einzubüssen.
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