Wirtschaft
Donnerstag, 30. Dezember 2010 | az
9
Wie viel sollen Unqualifizierte verdienen?
Gisler
Mindestlöhne SP und Gewerkschaften wollen Arbeitgeber eine Lohnuntergrenze vorschreiben VON MARCEL SPEISER
Mindestlöhne im Vergleich
SP-Präsident Christian Levrat redet Klartext: «Alle sollten von ihrer Arbeit leben können. Deswegen lancieren wir eine Volksinitiative für Mindestlöhne.» Mit im Boot sind die auch die Gewerkschaften. Nach einer jahrelangen Vorbereitungsphase soll es jetzt im Januar losgehen. Konkret schwebt den Initianten vor, einen Stundenlohn von 22 Franken als absolute Untergrenze in die Verfassung zu schreiben. Auf ein Monatssalär umgerechnet, entspricht das bei einer 40-Stunden-Woche einem Mindestgehalt von rund 3800 Franken, bei einer 42-Stunden-Woche einem Salär von rund 4000 Franken. Die Untergrenze soll jeweils der Lohn- und Teuerungsentwicklung angepasst, sprich nach oben korrigiert werden. In erster Linie wollen SP und Gewerkschaften Mindestlöhne in Gesamtarbeitsverträgen festschreiben. Einen national gültigen, gesetzlichen Mindestlohn wollen sie erst in zweiter Priorität. Ausnahmen von der Lohnuntergrenze sehen die Initianten für Lehrlinge, Praktikanten, Freiwilligenarbeit oder für Anstellungen in Familienbetrieben vor.
Gesetzliche Mindestlöhne pro Stunde, in Euro, Stand Januar 2010
400 000 Personen betroffen Für die grosse Mehrheit der in der Schweiz Beschäftigten hätte ein Mindestlohn nach dem Vorbild der Initiative keine praktische Bedeutung. Denn neun von zehn Angestellten und Arbeitern verdienen heute mehr als den geforderten Mindestlohn. Für die anderen 10 Prozent der Schweizer Beschäftigten – immerhin fast 400 000 Personen – hätte eine all-
Je dunkler, desto schlechter: Den satten Lippenstift kann frau sich auch in schlechten Zeiten leisten.
Neue Unterhosen kauft der Mann in guten Zeiten: Das sagt selbst Ex-US-Notenbankchef Greenspan.
Schweiz* Luxemburg Frankreich Irland Niederlande Belgien Australien Grossbritannien USA Griechenland Spanien Türkei Bulgarien 0
2
* Vorschlag Initiative 22 Fr., Kurs 1.30 16.79
9.73 8.86 8.65 8.64 8.41 8.07 6.51 5.20 4.28 3.84 1.73 0.71 4
6
8
Quelle: WIS/SGB
fällige Annahme der Initiative allerdings zum Teil grosse Wirkung. Dies vor allem im Gastgewerbe und in der Reinigungsbranche, wo fast ein Drittel der Tieflöhnerinnen und Tieflöhner arbeiten. Unqualifiziertes, unerfahrenes Servicepersonal etwa könnte mit einem Lohnplus von fast 13 Prozent rechnen. Reinigungsangestellte sogar mit gut 20 Prozent mehr Lohn. Im Reinigungs-GAV liegt der Mindestlohn bei Fr. 18.20 pro Stunde, im Gastgewerbe bei Fr. 19.50. Beide Untergrenzen liegen deutlich unter den geforderten 22 Franken. Auch in der Landwirtschaft wären die Auswirkungen gross. Der Bauernverband empfiehlt aktuell einen Mindestlohn von unter 16 Franken. Die entscheidende Frage ist jedoch: Würden die Tieflöhner tatsächlich von den höheren Salären profitieren? Oder würden sie ihre Jobs verlieren, weil sich die Firmen die Mindestlöhne nicht leisten können?
Je kürzer, desto besser: Miniröcke und – im Sommer 2011 – Shorts deuten auf einen Boom hin.
Hübsche Bardamen sind bei guter Konjunktur seltener – wegen des ausgetrockneten Arbeitsmarkts.
10
12
14
16
18
Grafik: az/wvb
Für die meisten Ökonomen ist die Sache klar: Mindestlöhne vernichten Arbeitsplätze. Ein staatliches Lohndiktat würde die Beschäftigung redu-
Für die grosse Mehrheit der Beschäftigten hätte ein Mindestlohn keine praktische Bedeutung. Dem Rest winkt dafür ein sattes Lohnplus. zieren. Und zwar genau bei jenen Personen, die durch Mindestlöhne geschützt werden sollen. Der Zusammenhang gilt in der vorherrschenden Meinung der Wirtschaftswissenschaft quasi als Naturgesetz. Auch der Schweizer Arbeitgeberverband kann mit Mindestlöhnen nichts anfangen. Direktor Thomas
Die Krawatte sagts: Breit und behäbig in sparsamen, schmal und leicht in unbeschwerten Zeiten.
Aufschwung im Kinderzimmer: Zurzeit zeigen Wirtschaftszahlen und Geburtenraten nach oben.
Daum sagte kürzlich im «SonntagsBlick»: «Wir lehnen gesetzliche Mindestlöhne als ungerechtfertigte und kontraproduktive Eingriffe in den Arbeitsmarkt ab.» Werde das Lohnniveau gesetzlich angehoben, würde «ein grosser Teil der betroffenen Stellen verloren» gehen, so Daum. Hinzu komme, dass «die Sozialhilfe die Lücken deckt, wenn das Einkommen für die Existenzsicherung nicht reicht». Mindestlöhne wirken Ende der Diskussion? Nein. Daum und die Mainstream-Ökonomen machen es sich einfach. Das haben Forscher des Arbeitsmarkt-Zentrums der US-Eliteuniversität Berkeley in der bisher umfassendsten Langzeitstudie über die Wirkung von Mindestlöhnen gezeigt. Für das kürzlich publizierte Papier haben die Ökonomen die Beschäftigungsentwicklung in zahllosen benachbarten amerikanischen Landkreisen (Counties) zwischen 1990 und 2006 verglichen. In den untersuchten Counties klafften die Lohnuntergrenzen bis zu 20 Prozent auseinander. Das Resultat der Untersuchung ist eindeutig. Erhöhte ein County den Mindestlohn, stiegen die Löhne entsprechend an. Aber die Unternehmen reagierten auf die höheren Lohnkosten nicht mit Entlassungen. Im Klartext: Mindestlöhne haben die erwünschten Wirkungen. Für den führenden deutschen Arbeitsmarkt-Experten Joachim Möller lautet das Fazit der Berkeley-Studie: «Wenn bei der Höhe des Mindestlohns nicht überzogen wird, sehe ich nur Vorteile.» Die Diskussion ist lanciert.
Die Farbe Weiss: Häuser, Flugzeuge, Kunstgalerien – alles will in Boomzeiten weiss gestrichen sein.
Lange Mähnen für unbeschwerte Zeiten: Der Bubikopf muss warten, bis die nächste Krise kommt.
Was neue Unterhosen und kurze Röcke aussagen Konjunkturaussichten Nicht nur nackte Zahlen weisen auf den Gang der Wirtschaft hin. VON SABINA STURZENEGGER
Die Wirtschaftsaussichten für 2011 sind positiv, darin sind sich die Prognostiker einig. Doch in welchem Ausmass es vorwärtsgeht, ist umstritten. Die Prognosen fürs das Schweizer Bruttoinlandprodukt liegen zwischen 1,2 (Credit Suisse) und 2,2 Prozent (UBS). Und das gestern veröffentlichte Konjunkturbarometer der ETH-Forschungsstelle KOF ist im Dezember von 2,13 auf 2,10 Punkte gefallen – ein Hinweis, dass sich das Wachstumstempo verlangsamt. Zahlen sind also auch nicht immer eindeutig. Deshalb gibt es eine Reihe
anderer Indikatoren, die auf die wirtschaftliche Entwicklung hinweisen. Der wohl bekannteste ist die Rocklänge. Die Formel «Steigt die Zuversicht, steigen auch die Rocksäume» wurde schon 1926 vom US-Ökonomen George Taylor postuliert. Ein Blick in diverse Magazine zeigt: Die Röcke enden nächsten Sommer mehrheitlich ob den Knien, laut der «Vogue» liegen sogar Shorts besonders im Trend. Ein gutes Zeichen! Umgekehrt ist es mit den Frisuren: Längere Haare weisen auf einen Aufschwung hin, sie strahlen Lebenslust und Leichtigkeit aus. Tatsächlich sehen Friseure und Designer für das nächste Jahr Mähnen, wie sie Supermodel Kate Moss oder Rocksängerin Taylor Momsen tragen, stark im Kommen. Im Übrigen gilt auch der Lippenstift als Hinweis auf den Zustand der
Wirtschaft. Hier gilt: Je stärker die Farbe, desto schlechter die Konjunktur. Bei Starstylistin Lisa Eldridge heisst das für 2011: Lippenstift ja, aber in hellen Tönen und mit viel Glanz – auch hier überwiegt die Zuversicht. Doch nicht nur die Frauenwelt hat ihre Wirtschafts-Indikatoren. Auch bei den Männern färbt die Stimmung ab. Der langjährige US-Notenbankchef Alan Greenspan vertrat die Theorie, wonach Männer in guten Zeiten mehr Geld in neue Unterhosen investieren. Diesen Trend gilt es in den nächsten Monaten zu beobachten, während es bei den Krawatten bereits jetzt nach einer Kehrtwende aussieht. Das Deutsche Mode-Institut sagt, es gehe vom klassisch-breiten zurück zum leichten, schmalen Schlips. Im zwischenmenschlichen Bereich gibt es ebenfalls Faktoren, wel-
che die konjunkturelle Lage spiegeln. Wenn die Barfrau auch schon hübscher war, heisst das Gutes: Der Arbeitsmarkt ist ausgetrocknet, die Personalauswahl kleiner. Weniger klar ist es beim Babyboom. Gibt es mehr oder weniger Babys in guten Zeiten? Sicher ist: Seit 2003 steigen die Geburtenraten in der Schweiz kontinuierlich an – vielleicht war die letzte Rezession einfach zu wenig einschneidend? In Deutschland kamen 2010, parallel zum Aufschwung, wieder mehr Babys zur Welt. Schliesslich kann auch die Farbe Weiss als Konjunktur-Barometer dienen: Ziehen ihre Verkäufe an, ist der Aufschwung nicht weit. Man braucht sie für neue Häuser, Autos, Flugzeuge. Und nicht zuletzt lautet ein Modetrend im Sommer: Weisse Kleider – wenn das nicht ein gutes Omen ist!
Bei der UBS steigt das Fieber ■ 2011 dürfte das Fieberthermometer der UBS nach der relativen Ruhe im 2010 wieder steigen. Denn erstens muss CEO Oswald Grübel mit Zahlen beweisen, dass er seiner Prognose, wonach die UBS «in ein paar Jahren» 15 Milliarden Franken Gewinn machen wird, einen deutlichen Schritt näher gekommen ist. Dabei sieht es derzeit gerade umgekehrt aus. Die anhaltende Krise im Kapitalmarkt hat die Investoren verunsichert. Sie bunkern Cash, entsprechend herrscht im Investmentbanking Flaute. Auch das Kerngeschäft, die Vermögensverwaltung, entwickelt sich langsamer, als sich das Grübel erhofft hatte. Zweitens dreht das Personenkarussell auf höchster Ebene. Bis Ende 2011 wird die UBS den Ersatz von Oswald Grübel und von VR-Präsident Kaspar Villiger auf Frühling 2012 bekannt geben müssen. Mit grossem Wohlwollen ist deshalb vor Monatsfrist die Berufung des Tessiners Sergio Ermotti zum Konzernleitungsmitglied gewürdigt worden. Analysten und Bankenkenner hievten den 50-Jährigen sofort in die Poleposition um Grübels Nachfolge.
Sergio Ermotti oder Carsten Kengeter – das ist die Frage. Ermotti ist ein Investmentbanker, war 18 Jahre bei Merrill Lynch, zuletzt als Chef des Kapitalmarkts. Von 2005 bis vor wenigen Wochen war er stellvertretender Chef von UniCredit, der massgeblichen Bank Italiens. Im Oktober trat er nach verlorenem Machtkampf um den CEO-Posten zurück. Weil Grübel das Investmentbanking weiter vorantreiben will, ist er auf einen gestandenen Investmentbanker angewiesen. Konkurrenz hat Ermotti im 14köpfigen Executive Board nur noch in Person des Deutschen Carsten Kengeter, der das Investmentbanking leitet. Doch als Schweizer und mit seinem Erfahrungsschatz hat Ermotti das Plus auf seiner Seite. Sonst aber ist in der Konzernleitung niemand in Sicht, der sich in guten Treuen zum Kandidatenfeld zählen kann. Deshalb ist es nicht auszuschliessen, dass die Suche auch noch auf externe Kandidaten ausgedehnt wird, damit überhaupt eine valable Auswahl zustande kommt. Ähnlich spannend wird die Nachfolge Kaspar Villigers. Die entscheidende Frage wird sein, ob der VR gewillt ist, Grübel noch für zwei Jahre mit präsidialen Ehren zu schmücken, bis er die Altersgrenze erreicht hat. Derlei hatte ihm die Credit Suisse bekanntlich verweigert. Wenn nicht, dürfte der wahrscheinlichste Kandidat für das Präsidium VR-Mitglied Bruno Gehrig heissen, der eben zum Präsidenten der Swiss ernannt wurde und dessen Karriere in der UBS begann. Markus Gisler ist Wirtschaftspublizist und Kommunikationsberater.
wirtschaft@azmedien.ch