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Potsdamer Neueste Nachrichten | 22.09.2020| 818 Wörter| Print
Potsdamer Neueste Nachrichten | 22.09.2020
Von Fliesen, Frauen und Fragmenten
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Michael Fetter Nathansky ist mit „Sag du es mir“ beim diesjährigen Filmfestival „Sehsüchte“ vertreten
Von Lena Schneider
In dem Film, den Michael Fetter Nathansky über seinen Großvater gemacht hat, kommt sein Großvater nicht vor. „Un cuento sin ti“ (A story without you) heißt der Dokumentarfilm von 2019. Er wolle keinen Film über einen reichen Österreicher in Mexiko machen, in dessen Leben Mexikaner nur als Haushaltshilfen vorkommen, sagt Fetter Nathansky zu Beginn. Stattdessen zeigt er: Menschen, die er auf der Straße vor dem Haus seiner verstorbenen Großeltern trifft. Am blank polierten großelterlichen Esstisch reden sie über ihr Leben. Junge Mädchen, alte Damen, mittelalte Geschäftsmänner. Und die Bauerarbeiter im Haus gegenüber.
Der Regisseur Michael Fetter Nathansky, geboren 1993 in Köln, könnte sich als halbmexikanisch bezeichnen: Sein Vater, Sohn des in die Emigration gezwungenen Österreichers, wuchs dort auf. Tut er aber nur, wenn er angeben will, sagt Michael Fetter Nathansky in dem Film. Eigentlich wisse er so gut wie nichts von dem Land. Später in „Un cuento sin ti“ schlüpft er in die Rolle eines Schuhputzers, lässt sich akribisch erklären, wie man das macht: im knien nämlich, dem zu Putzenden zu Füßen.
Michael Fetter Nathansky schlüpft gerne in andere Rollen, hinterfragt damit die eigene. “Das ist vielleicht überhaupt der Grund, warum ich zum Film gekommen bin“, sagt er, der auch seine Drehbücher selbst schreibt. Für das Buch seines Spielfilmdebüts „Sag du es mir“ von 2019, mit dem er am 26. September beim diesjährigen Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ zu Gast ist, hat er soeben den Achtung Berlin Award bekommen. Regie, das ist an der Filmuniversität Babelsberg erlerntes Handwerk, sagt er. „Aber Schreiben ist eigentlich meine Muttersprache.“ Er schreibt, seitdem er denken kann. Als er dreizehn, vierzehn war Gedichte. Später dann Dialoge. Jetzt Drehbücher. Und Schreiben, sagt er, ist ja eigentlich nichts anderes, als eben das: sich in andere hineinversetzen. Rollenspiel. Nathanskys Drehbücher sind erstaunlich vielschichtige Gebilde. Klug gewoben und verwoben, ohne pompös oder gar geschwätzig daherzukommen. Seine Figuren haben, selbst wo sie nicht schweigen, Luft. Haben Geheimnis. Und natürlich: Sie schweigen auch gerne. Die Kamera sieht ihnen dabei zu, wie sie Dinge nicht sagen. Fragt man Nathansky nach Vorbildern, nennt er erstaunlicherweise einen der geschwätzigsten überhaupt: Woody Allen. „Von Woody Allen kann man enorm viel über das Dialogschreiben lernen“, sagt er. Auch wenn er ihn heute als Filmemacher kritisch sieht. Und ein anderer Name fällt: Alejandro González Iñárritu, der mexikanische Regisseur von „21 Gramm“ und „Babel“. Beides Filme mit kompliziert gestrickter Handlung, in „Babel“ umspannt sie Mexiko, Japan, Marokko. Nicht chronologisch, gut sortiert, sondern in Fragmenten, die am Ende ein nur ahnbares Ganzes ergeben.
Fragmente, Perspektivwechsel, Szenen, die nie alles auserzählen: Nach diesen Prinzipien funktionieren auch „Sag du es mir“ und der Kurzfilm „Gabi“, für den Nathansky bereits 2017 den Deutschen Kurzfilmpreis erhielt. Was beide Filme gemeinsam haben: die großartige Schauspielerin Gisa Flake. Und mit ihr Frauenfiguren, die vielschichtig, ungeschönt und unangestrengt zeitgemäß sind. In „Gabi“ spielt sie eine Fliesenlegerin, zwischen betrügerischem Mann, bedürftigem Vater und einem Lehrling, der beides zugleich ist.
Ob Fliesen, Einkäufe, Müllbeutel: Gabi buckelt alles weg, ohne viele Worte. Bis sie beginnt, den verstört dreinblickenden Menschen in ihrem Leben alternative Reaktionsmöglichkeiten vorzuspielen: „Warte, ich kann auch wütend“, sagt sie zu dem Mann, der ihr eben ein Blümchen hinhielt und dafür eine freudige Reaktion einforderte. Oder, zur Schwester, die sich mit billigem Parfum aus der Verantwortung für den Vater befreien will: „Ich kann auch nur mit den Augen.“ Kann sie. Ist das nun zum Lachen oder zum Weinen komisch?
Auch in „Sag du es mir“ ist es beides. Gisa Flake ist hier Silke, die jüngere von zwei Schwestern. Eine, die anpackt: die Arbeit, den kranken Vater. Silke lebt in Potsdam Am Stern, Moni (ebenfalls großartig: Christina Große) eigentlich in Mallorca. Silke arbeitet im Schiffshebewerk, Moni gar nicht. Und nun das: Silke wurde von einer Brücke gestoßen. Moni will den Täter stellen. Silke ist jetzt körperlich versehrt und hilfsbedürftig, Moni stets frisch hergerichtet und hilfsbereit.
Oder ist doch alles ganz anders? In drei Kapiteln entblättert “Sag du es mir“ immer neue Facetten der