Potsdamer Neueste Nachrichten | 22.09.2020
Von Fliesen, Frauen und Fragmenten Michael Fetter Nathansky ist mit „Sag du es mir“ beim diesjährigen Filmfestival „Sehsüchte“ vertreten
Von Lena Schneider In dem Film, den Michael Fetter Nathansky über seinen Großvater gemacht hat, kommt sein Großvater nicht vor. „Un cuento sin ti“ (A story without you) heißt der Dokumentarfilm von 2019. Er wolle keinen Film über einen reichen Österreicher in Mexiko machen, in dessen Leben Mexikaner nur als Haushaltshilfen vorkommen, sagt Fetter Nathansky zu Beginn. Stattdessen zeigt er: Menschen, die er auf der Straße vor dem Haus seiner verstorbenen Großeltern trifft. Am blank polierten großelterlichen Esstisch reden sie über ihr Leben. Junge Mädchen, alte Damen, mittelalte Geschäftsmänner. Und die Bauerarbeiter im Haus gegenüber.
ist, hat er soeben den Achtung Berlin Award bekommen. Regie, das ist an der Filmuniversität Babelsberg erlerntes Handwerk, sagt er. „Aber Schreiben ist eigentlich meine Muttersprache.“ Er schreibt, seitdem er denken kann. Als er dreizehn, vierzehn war Gedichte. Später dann Dialoge. Jetzt Drehbücher. Und Schreiben, sagt er, ist ja eigentlich nichts anderes, als eben das: sich in andere hineinversetzen. Rollenspiel.
den Nathansky bereits 2017 den Deutschen Kurzfilmpreis erhielt. Was beide Filme gemeinsam haben: die großartige Schauspielerin Gisa Flake. Und mit ihr Frauenfiguren, die vielschichtig, ungeschönt und unangestrengt zeitgemäß sind. In „Gabi“ spielt sie eine Fliesenlegerin, zwischen betrügerischem Mann, bedürftigem Vater und einem Lehrling, der beides zugleich ist.
Nathanskys Drehbücher sind erstaunlich vielschichtige Gebilde. Klug gewoben und verwoben, ohne pompös oder gar geschwätzig daherzukommen. Seine Figuren haben, selbst wo sie nicht schweigen, Luft. Haben Geheimnis. Und Der Regisseur Michael Fetter Na- natürlich: Sie schweigen auch gerthansky, geboren 1993 in Köln, ne. Die Kamera sieht ihnen dabei zu, könnte sich als halbmexikanisch be- wie sie Dinge nicht sagen. zeichnen: Sein Vater, Sohn des in die Fragt man Nathansky nach VorbilEmigration gezwungenen Österrei- dern, nennt er erstaunlicherweise chers, wuchs dort auf. Tut er aber einen der geschwätzigsten übernur, wenn er angeben will, sagt Mi- haupt: Woody Allen. „Von Woody chael Fetter Nathansky in dem Film. Allen kann man enorm viel über Eigentlich wisse er so gut wie nichts das Dialogschreiben lernen“, sagt er. von dem Land. Später in „Un cuento Auch wenn er ihn heute als Filmesin ti“ schlüpft er in die Rolle eines macher kritisch sieht. Und ein anSchuhputzers, lässt sich akribisch er- derer Name fällt: Alejandro Gonzáklären, wie man das macht: im knien lez Iñárritu, der mexikanische Regisnämlich, dem zu Putzenden zu Fü- seur von „21 Gramm“ und „Babel“. ßen. Beides Filme mit kompliziert ge-
Ob Fliesen, Einkäufe, Müllbeutel: Gabi buckelt alles weg, ohne viele Worte. Bis sie beginnt, den verstört dreinblickenden Menschen in ihrem Leben alternative Reaktionsmöglichkeiten vorzuspielen: „Warte, ich kann auch wütend“, sagt sie zu dem Mann, der ihr eben ein Blümchen hinhielt und dafür eine freudige Reaktion einforderte. Oder, zur Schwester, die sich mit billigem Parfum aus der Verantwortung für den Vater befreien will: „Ich kann auch nur mit den Augen.“ Kann sie. Ist das nun zum Lachen oder zum Weinen komisch?
Michael Fetter Nathansky schlüpft gerne in andere Rollen, hinterfragt damit die eigene. “Das ist vielleicht überhaupt der Grund, warum ich zum Film gekommen bin“, sagt er, der auch seine Drehbücher selbst schreibt. Für das Buch seines Spielfilmdebüts „Sag du es mir“ von 2019, mit dem er am 26. September beim diesjährigen Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ zu Gast © 2020 PMG Presse-Monitor GmbH
strickter Handlung, in „Babel“ umspannt sie Mexiko, Japan, Marokko. Nicht chronologisch, gut sortiert, sondern in Fragmenten, die am Ende ein nur ahnbares Ganzes ergeben.
Auch in „Sag du es mir“ ist es beides. Gisa Flake ist hier Silke, die jüngere von zwei Schwestern. Eine, die anpackt: die Arbeit, den kranken Vater. Silke lebt in Potsdam Am Stern, Moni (ebenfalls großartig: Christina Große) eigentlich in Mallorca. Silke arbeitet im Schiffshebewerk, Moni gar nicht. Und nun das: Silke wurde von einer Brücke gestoßen. Moni will den Täter stellen. Silke ist jetzt körperlich versehrt und hilfsbedürftig, Moni stets frisch hergerichtet und hilfsbereit.
Fragmente, Perspektivwechsel, Szenen, die nie alles auserzählen: Nach diesen Prinzipi- Oder ist doch alles ganz anders? en funktionieren auch „Sag du es In drei Kapiteln entblättert “Sag du mir“ und der Kurzfilm „Gabi“, für es mir“ immer neue Facetten der
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