Nr. 103 - März 2011
Insight
SEKEMs Journal für Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft in Ägypten
Editorial Liebe Leserinnen, liebe Leser, am 29. März ist Helmy Abouleish, der Geschäftsführer der SEKEM-Firmengruppe, von der ägyptischen Staatsanwaltschaft überraschend in Untersuchungshaft genommen worden. Der Inhaftierung liegt eine Anzeige von unbekannter Seite zu Grunde, die sich auf sein politisches Engagement in der Vergangenheit bezieht. Obwohl die Anschuldigungen von einer umgehend einberufenen Expertenkommission der Staatsanwaltschaft nicht erhärtet werden konnten, wurde nun eine 15-tägige Untersuchungshaft angeordnet.
Mikrokredite
Textilproduktion
Partner
Erfolgreiche Fortsetzung des Projekts
Neue Produkte für Bio-Supermärkte
Wirtschaft soll dem Leben dienen
SEKEMs Mikrofinanzprojekt erneut ausgebaut Mikrokredite erschließen Kleinunternehmen in der Umgebung SEKEMs seit 2004 neue Entwicklungsmöglichkeiten. Das bewährte Projekt wird jetzt ausgebaut.
SEKEM Insight publiziert auf Seite 3 in dieser Ausgabe eine Stellungnahme von Helmy Abouleish zu seiner derzeitigen Situation. In diesen bewegten Zeiten, in denen an vielen Orten der Welt vermeintlich Stabiles zusammenbricht und neu begonnen werden muss, mag es wohltuend sein, das manch ausgebrachte Saat auch nach Jahren noch Früchte trägt. Wir berichten in dieser Ausgabe außerdem über den Ausbau von SEKEMs erfolgreichem Mikrokreditprojekts, das jetzt dank einer Zustiftung durch die deutsche Zukunftsstiftung Entwicklungshilfe weiterentwickelt werden kann.
Ihr Redaktionsteam
Ein Empfänger eines Mikrokredits verkauft und repariert Schuhe in seinem Geschäft in einem kleinen Dorf in der Nähe der SEKEM-Mutterfarm.
S
eit bald 30 Jahren unterstützen die SEKEM-Freunde aus Deutschland durch den Verein zur Förderung kultureller Entwicklung in Ägypten e.V. die sozialen und kulturellen Einrichtungen SEKEMs sowohl finanziell als auch durch die Vermittlung von Kontakten, Mitarbeitern und Helfern. Von 2006 bis 2008 wurde zusammen mit der SEKEM Development Foundation (SDF) und durch Förderung aus EU-Mitteln ein großes Entwicklungsprojekt in den 13 Dörfern in der Umgebung der
SEKEM-Farm durchgeführt. Durch den ganzheitlichen Ansatz des Projektes konnten verschiedenste Aktivitäten in den Dörfern angestoßen werden. So wurden schwangere Frauen und Mütter betreut und Sozialarbeiter dafür ausgebildet, eine systematische Müllsammlung eingeführt und Ausbildungsmöglichkeiten für Jugendliche ausgebaut. Es wurde bei allen Aktivitäten großer Wert darauf gelegt, die Bewohner der Dörfer in die Entwicklung einzubeziehen und SEKEM Insight | März 2011 | Seite 1
Wirtschaft
Anträge mit den Unternehmern sorgfältig bearbeiten und ihnen auch während der Durchführungsphase beratend zur Seite stehen oder externe Beratungen vermitteln. So gehören Kursangebote in Projektmanagement, Buchführung und Unternehmenspraxis, die auf die Lebensumstände der Dorfbewohner und ihre Projekte zugeschnitten sind, zu den angebotenen Diensten. Mikrokreditempfänger investieren ihren Kredit oft in den Ausbau eines existierenden Gewerbes.
so ein neues Bewusstsein zu schaffen, wie sie selbst für die Entwicklung ihrer Dorfgemeinschaften aktiv werden können. Vieles läuft auch nach Ablauf der offiziellen dreijährigen Projektdauer weiter. Besonders erfolgreich zeigt sich dabei das Angebot von Mikrokrediten für Kleinunternehmer und solche, die es werden wollen. Mehr als 400 Kredite vergeben Das Büro der Mikrokredite wird durch Ashraf Yehia und Sara Ayman, eine ehemalige Schülerin der SEKEM-Schule, geführt. In den letzten vier Jahren konnten mehr als 400 Kreditanträge bewilligt werden in der Höhe von durchschnittlich 2000,- bis 5000,- ägyptischen Pfund (LE), die teilweise bereits zurückgezahlt wurden, oder sich noch in der Rückzahlungsphase befinden. Einige Kreditnehmer erhielten sogar Folgekredite, um ihre Unternehmen weiter auszubauen. Es gab bisher praktisch keine Kreditausfälle und die Anfragen nach neuen Krediten nehmen nicht ab. Die erfolgreichen Beispiele von Kleinunternehmern in den Dörfern sprechen für sich und regen weitere Menschen dazu an, eigene Projektideen mit Hilfe eines Kleinkredits zu realisieren. Intensive Betreuung Schlüssel zum Erfolg Wichtig für diese erfolgreiche Bilanz ist, dass die Kreditbetreuer alle
Inhaltlich beschäftigen sich die Unternehmer und Unternehmerinnen mit der Aufzucht von Tieren, dem Handel mit Landwirtschaftsbedarf und Haushaltswaren, mit der Produktion und Wartung von Dieselmotoren und diverse Handwerker wie Schreiner, Anstreicher und Elektriker konnten ihre Werkstätten und damit ihr Angebot auf- oder ausbauen. Obwohl die Mehrzahl der Kreditnehmer Männer sind (ca. 60%), finden sich auch Frauen unter ihnen. Sie werden durch die Mitarbeiter des Kreditbüros gezielt ermutigt und jede Unternehmerin steht als Beispiel dafür, was Frauen in der ägyptischen Gesellschaft leisten können. Sie ermutigen andere, ihrem Beispiel zu folgen. Zu Beginn diesen Jahres konnte der Kapitalstock der Mikrokredite aufgestockt durch eine großzügige Spende der Zukunftsstiftung Entwicklungshilfe aufgestockt werden. Damit wurde die Vergabe von weiteren Krediten beschleunigt und noch mehr Menschen konnten ihre Projekte realisieren. Drei stellt SEKEM Insight ihnen heute vor. Kälberzucht Fathia Mustafa Mohamed fiel schon lange auf, dass auf dem Familiengrundstück genug Grünfutter wuchs, um ein Kälbchen aufzuziehen, sogar einen kleinen Stall besaß ihre Familie. 2006 nahm die 56-jährige einen Kredit auf, den sie für den Ankauf einen Kalbs und des notwendigen Kraftfutters nutzte. Die Pflege und das Einbringen des Grünfutters bewältigt sie mühelos neben ihrer üblichen Haus- und Feldarbeit. Nach dem Verkauf des schlachtreifen Tiers nahm sie einen weiteren Kredit auf
und mästete zwei weitere Kälber. Mit dem Verkauf erzielt sie schöne Gewinne und kann nun bald selbst die Anfangskosten für die nächsten Kälber aufbringen. Möbeltischlerei Hussein Darweesh Hussein, ein Familienvater von heute 34 Jahren, besaß bereits eine kleine Werkstatt für Möbelreparaturen bevor er seinen Kredit aufnahm. Er konnte aber seit 10 Jahren nur begrenzte Dienstleistungen anbieten. Durch den Kredit war er in der Lage, Material zu kaufen und eigene Möbel für Küche und Wohnzimmer, Schlafzimmer und Büros herzustellen. Sein Geschäft florierte und es gab keine Schwierigkeiten für ihn, den Kredit innerhalb von zwei Jahren zurückzuzahlen. Inzwischen bekam Hussein einen weiteren Kredit, so dass er einen Ausstellungsraum bauen konnte und seine Möbel noch besser präsentieren kann. Das hat ihm neue Aufträge beschert. Viehzucht Hamada el Sayed Mohamed plante, für die Bauern in seiner Nachbarschaft Trockenfutter und Futtergetreide für die Viehzucht anzubieten. Vor vier Jahren nutzte er einen Kredit, um erste Futtermittel in größeren Mengen günstig einzukaufen und auf den Dörfern den Bauern anzubieten. Nachdem Hamada seinen Kredit ohne Schwierigkeiten zurückzahlen konnte und sich eine treue Stammkundschaft aufgebaut hatte, erhielt er vor zwei Jahren einen weiteren Kredit, der ihm ermöglichte, ein Auto zu kaufen und seine Futtermittel damit in weiteren Dörfern direkt zu den Kunden zu bringen. Ein großer Vorteil im Vergleich zu anderen Händlern, bei denen die Bauern, meist selbst ohne eigenes Fahrzeug, die Futtermittel mühsam abholen müssen. Christina Boecker
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Mehr Informationen: http://www.entwicklungshilfe3.de/
SEKEM Insight | März 2011 | Seite 2
Liebe Freunde SEKEMs! Ich hoffe, es geht Euch allen gut. Leider muss ich Euch über dramatische Entwicklungen informieren, die mich selbst und die Ganze SEKEM Gemeinschaft betreffen. Wie Ihr wisst, habe ich in den letzten Jahren viel Zeit und Energie auf die politische Arbeit für eine erfolgreiche und nachhaltige Entwicklung Ägyptens verwendet – auf Kosten meiner Aufgaben in SEKEM. Ich habe die strategische Ausrichtung wichtiger staatlicher Institutionen und Programme mitgestaltet und engen Kontakt zu hochrangigen Beamten und Ministern gepflegt, und trotz der starren etablierten Strukturen auch einiges zur Setzung der richtigen Prioritäten für eine nachhaltige Zukunft bewirken können. Die für meine Nachhaltigkeits- und Entwicklungsarbeit eingenommene öffentliche Rolle und politischen Kontakte fallen nun jedoch stark negativ auf mich zurück. Das öffentliche Misstrauen gegenüber jeder Person, die mit dem bisherigen Regime in Verbindung gebracht wird, sitzt tief. Pauschale Anschuldigungen gegen prominente Geschäftsleute und ehemalige Beamte bestimmen die Medienberichterstattung. Auch über mich kursieren Falschmeldungen und Verleumdungen, und es wurde sogar von unbekannter Seite Anzeige erstattet im Bezug auf meine Arbeit im Industrial Modernization Center, dem größten Entwicklungsfonds des Landes. Die Anschuldigungen beziehen sich auf bestimmte Entscheidungen, die in meiner Amtszeit als Executive Director des IMC getroffen wurden, sowie Inanspruchnahme der IMC Leistungen durch SEKEM Firmen nach Ende dieser Zeit. Der Fall wurde in den letzten Wochen gründlich durch eine vom Staatsanwalt berufene Expertenkommission geprüft, mit dem Ergebnis dass im abschließenden Bericht alle Vorwürfe als ausgeräumt angesehen wurden. Aber trotz des positiven Abschlussberichtes wurde mein Fall an die Staatsanwaltschaft überstellt – und ich befinde mich seit dem Abend des Dienstag, 29. März in Untersuchungshaft! Derzeit wurde eine Untersuchungshaft von 15 Tagen verfügt, die unter dem Notstandsgesetz beliebig verlängert werden kann, wie in vielen Fällen bereits geschehen. Diese Entwicklung wird erneut begleitet von falschen Vorwürfen und Berichten in den Medien. Für SEKEM bedeutet meine Abwesenheit kurzfristige interne Umstrukturierungen. Dr. Abouleish wird meine Funktion als Geschäftsführer übernehmen, und ich danke der ganzen Familie und allen Kollegen ganz herzlich, die in dieser Zeit zusätzliche Verantwortung übernehmen und sicher großartige Arbeit leisten werden. Wir stellen uns dieser Herausforderung gestärkt durch all die Unterstützung und Solidarität die uns in dieser schweren Zeit von unseren Freunden in Ägypten und aller Welt erreicht. Ich danke Euch allen herzlich und wünsche Euch alles Gute,
Helmy Abouleish
SEKEM Insight | März 2011 | Seite 3
Impressionen
Impressionen aus SEKEM
I
n der Firma Naturetex wurde im Februar und März besonders fleißig gearbeitet, um die neuen Modelle für das Frühjahr 2011 fertig zu stellen. Ab Ende März wird die neue Basic-Linie von BioBaby, feinster Wäsche für Babies, in den Alnatura-Supermärkten erhältlich sein.
Bereits im letzten Jahr wurden dazu die Modelle entwickelt, Muster angefertigt und dann die notwendigen Stoffe und Garne gefärbt und gestrickt. In den letzten Monaten und Wochen haben dann die Näher die Babybodies und Jäckchen, Mützen und Hosen hergestellt. Zur Zeit arbeiten 11 Produktionslinien an den Produkten. Durchschnittlich 107.000 Teile werden monatlich fertig gestellt. Die Produktion wird dazu in einzelne Schritte aufgeteilt, die klare Zeitvorgaben erhalten. So wird für ein Teil aus der Babykollektion etwa 12 Minuten gerechnet. Die Firma produziert davon ca. 1,5 Millionen in jedem Monat.
SEKEM Insight | März 2011 | Seite 4
Kurznachrichten
Petition „VielfaltErleben“ bereit zur Zeichnung
Wirtschaft soll dem Leben dienen
Ab sofort kann die öffentliche Petition vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), die von der Initiative Vielfalterleben unterstützt wird (SEKEM Insight berichtete), gezeichnet werden.
Die GLS Bank und die evangelische Bank für Kirche und Diakonie feiern ein erfolgreiches erstes Jahr des FairWorldFonds, den sie 2010 gemeinsam mit namhaften Partnern auf den Markt gebracht haben. Der Fonds berücksichtigt neben klassischen nachhaltigen und ökonomischen Aspekten erstmals auch entwicklungspolitische Kriterien von „Brot für die Welt“. Der FairWorldFonds wurde von Union Investment Privatfonds GmbH aufgelegt.
Jetzt geht es den Organisatoren darum, in den nächsten drei Wochen mindestens 50.000 Mitzeichner zu gewinnen. Stichtag ist der 19. April jede Stimme zählt. Die Petition kann direkt auf der Website des Deutschen Bundestages unterschrieben werden (siehe unten). Sie ist unter der Pet-ID 16941 und dem Titel “Zulassungsbegrenzung/ regionales Anbauverbot für gentechnisch veränderte Pflanzen” zu finden. Für eine Zeichnung ist eine persönliche Registrierung erforderlich. Eine Anleitung dafür ist auf der Website von Vielfalterleben zu finden. Die Petition fordert: „Der Deutsche Bundestag möge die Bundesregierung damit beauftragen, dafür einzutreten, dass die Europäische Union die Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen zum Anbau aussetzt (Anbau-Moratorium), und er möge in Deutschland die gesetzliche Grundlage für den regionalen Ausschluss gentechnisch veränderter Pflanzen aus der Agrarkultur schaffen.“ Die sechswöchige Zeichnungsfrist für die Vielfalterleben-Petition beginnt am 28. März und geht bis zum 10. Mai. Besonders sind die ersten drei Wochen der Zeichnungsfrist. Werden bis zum 19. April mindestens 50.000 Unterschriften gesammelt, kann der Petent die Forderungen bei einer öffentlichen Anhörung vor dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages vortragen und diskutieren. Quelle: BÖLW
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Mehr Informationen: http://epetitionen.bundestag.de
Nach dem ersten Jahr hat der Fonds bereits ein Volumen von über 60 Millionen Euro erreicht. Thomas Jorberg, Vorstandssprecher der GLS Bank, und Dr. Ekkehard Thiesler, Vorstandsvorsitzender der Bank für Kirche und Diakonie, resümieren: „Unsere Kunden setzen sich bei ihrer Geldanlage bewusst mit ihren persönlichen Werten und der gesellschaftlichen Wirkung ihrer Anlageentscheidung auseinander. Viele von ihnen beschäftigen sich dabei auch mit entwicklungspolitischen Fragen, die sie im FairWorldFonds berücksichtigt finden. Die Nachfrage hat unsere Erwartungen übertroffen.“ Der Faire Handel hat nicht nur Tausenden von Familien in Afrika, Asien und Lateinamerika zu einem Leben in Würde verholfen, er hat sich auch zu einem wirtschaftlichen Erfolgsmodell entwickelt. Ethische Grundsätze sollten aber auch für die Kapitalmärkte gelten, denn Krisen treffen gerade die Ärmsten der Armen besonders hart. Anleger haben mit dem FairWorldFonds die Möglichkeit, mit einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Investition die Welt zu „fair-ändern“. Das Interesse an einer fairen Geldanlage ist groß: Auch viele Drittbanken bieten den FairWorldFonds ihren Kunden an. „Das bestätigt uns darin, dass es möglich
ist, die Idee des fairen Handels auf die Kapitalmärkte zu übertragen“, freuen sich Jorberg und Thiesler über den gemeinsamen Erfolg. Auf Wunsch können Anleger die Erträge des Fonds spenden, „Brot für die Welt“ hat dazu das Spendenkonto 500 500 500 bei der Bank für Kirche und Diakonie, Bankleitzahl 1006 1006 eingerichtet. Der FairWorldFonds investiert unter vorgenannten Kriterien ca. 70 Prozent des Fondsvolumens in Staats- und Unternehmensanleihen sowie Pfandbriefe, ca. 20 Prozent in Aktien und bis zu 10 Prozent in Mikrofinanzfonds. Dabei kann das Fondsmanagement je nach Marktsituation eine der Anlageklassen übergewichten. Um das Devisenkursrisiko zu reduzieren, wird das Fremdwährungsrisiko bis zu ca. 70 Prozent abgesichert. Das Fondsmanagement übernimmt die genossenschaftliche Fondsgesellschaft Union Investment. Quelle: GLS-Bank
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Mehr Informationen: http://www. fairworldfonds.de
Herausgeber v.i.S.d.P.: SEKEM, Egypt Die Redaktion von SEKEM Insight dankt allen Korrespondenten, die an dieser Ausgabe mitgewirkt haben. Redakteure: Christina Boecker Bijan Kafi Kontakt: SEKEM-Insight c/o SEKEM Holding P.O.Box 2834, El Horreya, Heliopolis, Cairo, Egypt insight@SEKEM.com Bildnachweis: Seiten 1, 2: SEKEM; 4: Bijan Kafi Keine Vervielfältigung ohne schriftliche Einwilligung des Herausgebers. Markenzeichen sind Eigentum der jeweiligen Markeninhaber.
SEKEM Insight | März 2011 | Seite 5