SEKEM Insight 07.11 DE

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Nr. 107 - Juli 2011

Insight

SEKEMs Journal für Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft in Ägypten

Editorial Liebe Leserinnen, liebe Leser, Als Helmy Abouleish am 29. März in Untersuchungshaft genommen und in dem bekannten Kairoer Gefängnis, in dem auch die Söhne Hosni Mubaraks untergebracht sind, inhaftiert wurde, konnte niemand wissen, wie lange seine Abwesenheit von SEKEM dauern würde. Am Ende sollten es rund 100 Tage gewesen sein.

Interview

Fall und Urteil

Nachhaltigkeit

Helmy Abouleish im Gespräch

Worum es wirklich ging

Nachhaltigkeitsbericht 2010 im August

“SEKEM muss weiterhin ein lebendiges Beispiel bleiben” Helmy Abouleish wurde am 6. Juli aus der Untersuchungshaft entlassen. Im Interview berichtet er von seiner Haftzeit und seinen Plänen für die Zukunft.

Das Urteil, das am 5. Juli verkündet worden war, traf bei der Familie und allen SEKEM-Freunden in Ägypten und der ganzen Welt auf große Erleichterung. Denn Helmy Abouleish kam wieder frei. Doch der Richterspruch gab auch zu Bestürzung Anlass, denn es war kein Freispruch. Helmy wurde zu einem Jahr auf Bewährung und einer Strafzahlung verurteilt. Diese Ausgabe von SEKEM Insight erläutert die Hintergründe der Anklage, die dann zur Untersuchungshaft führte, wie Helmy Abouleish seine Zeit im Gefängnis erlebte und nutzte und wie er sich jetzt die Zukunft vorstellt. Außerdem erklären wir in einem eigenen Beitrag das Urteil und die Besonderheiten des Falls.

Ihr Redaktionsteam SEKEM finden sie im Internet auch auf:

In diesem und den folgenden Bildern spricht Helmy Abouleish nach seiner Rückkehr zu Mitarbeitern der SEKEM-Firmen in der Heliopolis-Akademie.

A

m 6. Juli 2011 kam Helmy Abouleish nach fast 100 Tagen aus der Untersuchungshaft im ToraGefängnis in Kairo frei. Er ist in der Zwischenzeit auf die SEKEM-Farm und an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt. In unserem Gespräch berichtet er ausführlich über seine Haftzeit, die Gründe seiner Inhaftierung und seine Pläne für die Zukunft. SEKEM Insight ergänzt das Gespräch durch eine Schilderung der Hintergründe des Falls und des Urteils auf Seite 4.

Deine Verhaftung kam für alle SEKEMFreunde und auch Dich überraschend... Ja, vor allem, wenn man die Umstände meiner Inhaftierung bedenkt. Die Anzeige, die am Anfang meiner Verhaftung stand, wurde ja zu einem extrem frühen Zeitpunkt gestellt, nämlich am 8. Februar. Am 11. Februar dankte Hosni Mubarak ab. Zu dieser Zeit herrschte im ganzen Land noch das Chaos. Und obwohl die Ägypter in SEKEM Insight | Juli 2011 | Seite 1


Wirtschaft

diesen Tagen noch auf den Straßen Kairos demonstrierten, soll jemand Zeit gefunden haben, eine Anzeige gegen mich und andere öffentliche Personen zu erstatten. Ich habe das nie für sehr glaubhaft gehalten und sehe darin eher einen letzten Versuch Mubaraks, auf die Revolutionäre zuzugehen. Mann muss außerdem sehen, dass ja bereits 6 Jahre seit meiner Tätigkeit für das IMC vergangen sind. Dass gerade jetzt Anklage erhoben wird, scheint mir kaum

Ich habe mich nie als Opfer der Revolution, ­sondern des alten Regimes wahrgenommen.

Zufall sein zu können. Man kann so natürlich auch von den derzeitigen innenpolitischen Problemen ablenken. Hosni Mubaraks Nachfolger, der Verteidigungsminister Hussein Tan­ tawy, war der Privat­ wirtschaft und ihrem politischen Engagement gegenüber kritisch eingestellt. Auch die Militärgeneräle, der Generalstaatsanwalt und viele Richter sind ja noch von Mubarak eingesetzt worden. Außerdem muss man den „Druck der Straße“ bedenken, der sich auch direkt gegen öffentliche Würdenträger richtet, die ja bereits versprochen haben, jene 720 Milliarden ägyptische Pfund, die das Mubarak-Regime möglicherweise veruntreut hat, dem Volk zurückzugeben. Wenn man das bedenkt, dann wirft das ein besonderes Licht auf die Umstände meiner Verhaftung. Ich habe mich aber nie als „Opfer“ der Revolution, sondern vielmehr des alten Regimes wahrgenommen. Wie hast Du Dir in den fast 100 Tagen Deiner Unter­suchungshaft Deine Moti­ vation bewahrt? Es mag schwer zu glauben sein, aber ich habe es nicht als eine besonders schwierige Zeit empfunden. Für mich war die innere Ruhe, die in dem Augenblick über mich kam,

als der Staatsanwalt die Anklage verlas, eine besondere Erfahrung. Diese Ruhe und die Überzeugung, dass, was immer Allah für mich vorgesehen hat, mir vor allem eine Entwicklungschance bieten würde, das hat mir sehr viel Kraft gegeben. Angst hatte ich niemals. Im Gefängnis habe ich versucht, vielen über das geteilte Leid hinwegzuhelfen. Nicht alle ließen sich wirklich aus ihrem Elend und ihren Depressionen reißen, aber ein wenig Hoffnung haben sie durch unsere Gespräche hoffentlich geschöpft. Ich habe mich bemüht, unseren Optimismus zu stärken und mir gleichzeitig meinen Humor zu bewahren. Es war zum Beispiel bekannt, dass ich an keinen „negativen“ Gesprächen teilnehmen würde. Viele haben mir im Laufe der Zeit gesagt, dass sie für mich beten würden. Auch das hat mir selbst Kraft gegeben. Mir selbst hatte ich einen rigiden Tagesplan gegeben. Ich nahm mir vor, mindestens 5000 Schritte täglich zu laufen und hatte immer einen Schrittzähler am Gürtel. Ich habe außerdem bald einen „Salon Sakafi“ (Kulturabend) gegründet, in welchem wir jeden Abend anderthalb Stunden über bestimmte Themen

sprachen, um uns aus der ständigen Grübelei und dem Klagen heraus zu holen. Wir sprachen zum Beispiel über die Freiheit des Menschen, die Verbindung von Gemeinwohl und Wirtschaft oder die wirtschaftlichen Angaben des Korans. Es war herrlich zu erleben, wie viele auf diese Weise zumindest für kurze Zeit geradezu aufblühten. Es ist für viele schwer verständlich, wie Du trotz Deines Engagements verurteilt werden konntest... Im Kern geht es bei der Beurteilung des Falls ja um die Frage, welches Recht überhaupt zur Anwendung kommen soll. Nach den Vorgaben, an die ich mich als Geschäftsführer und Mitglied des Aufsichtsrats des IMC immer gehalten habe, war mein Engagement für eine Förderung der SEKEM-Firmen stets rechtens. Davon bin ich fest überzeugt und diese Interpretation haben mir auch offizielle Gutachten immer wieder bestätigt. Auch die vielen Verfahren des IMC und der Europäischen Union, welche meine Arbeit immer wieder regelmäßig geprüft haben, haben dies bestätigt. Das Gericht hat sich jedoch am Ende für eine Interpretation entschieden, die mit dieser nicht übereinstimmt. Deshalb werde ich auch in Berufung gehen. SEKEM Insight | Juli 2011 | Seite 2


Wirtschaft

Wie bewertest Du selbst das Urteil? Wenn man bedenkt, welch‘ harte Strafen gegen andere, die derzeit verurteilt werden, verhängt werden, muss man das Urteil als ausgesprochen milde bewerten. Ich halte es natürlich dennoch für falsch. Du wurdest auch zu einer Strafzahlung verurteilt. Was hat es damit auf sich? Neben der einjährigen Be­ wäh­ rungsstrafe, zu der ich verurteilt wurde, wurde auch die Rückzahlung geleisteter Fördergelder sowie eine Strafzahlung in Höhe des einfachen Wertes dieser Summe gefordert. Dabei muss man bedenken, dass SEKEM-Firmen diese Gelder ja nie erhalten haben. Gelder erhalten grundsätzlich nur Dienstleister, mit deren Hilfe auch SEKEM-Firmen von Ausbildungsmaßnahmen und ähnlichem profitieren durften. Wie hat die Öffentlichkeit auf Deine Verhaftung reagiert? Im Vorfeld des Prozesses gab es Spekulationen. Ich wurde da praktisch mit Rashid Mohamed Rashid, dem ehemaligen Handelsminister, gleich gesetzt. Er sollte gleichzeitig mit mir in Haft genommen werden und wurde jetzt in Abwesenheit zu einer hohen Haftstrafe verurteilt. Später hat die Presse differenzierter und im Großen und Ganzen fair berichtet. Vor dem Hintergrund der aktuellen Lage, der aufgestachelten öffentlichen Meinung, der vielen Provokationen und der ständigen Kritik an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, war das nicht zu erwarten. Es ist ja immer noch dieselbe Presse der Mubarak-Zeit! Was war die Motivation hinter Deinem öffentlichen Engagement? Ich hatte mich vor allem dafür einsetzen wollen, dass die ägyptischen Unternehmen für eine nachhaltige Entwicklung in die Verantwortung genommen werden. Wir können den positiven Wandel nicht nur den Regierungen und der Zivilgesellschaft überlassen. Auch die Unternehmen müssen zu

der Pflege des Gemeinwohls ihren Beitrag leisten. Gerade sie sind ja durch ihre finanziellen und praktischen Mittel Akteure, die vieles verändern können und das relativ schnell. Vieles von dem, was ich damals mit initiiert habe, und von dessen Wert ich immer noch überzeugt bin, ist bis heute Be­ stand­ teil der politischen Diskussion. Das heute populäre Projekt „Vision 2030 for Egypt“ hatte ich bereits 2004 mitgestartet. Auch die ägyptischen Strategien für mehr wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, bessere industrielle und landwirtschaftliche Entwicklung und den Kampf gegen den Klimawandel, die ich mitinitiieren durfte, gehören dazu. Das empfinde ich als sehr befriedigend. Ist dieser Teil Deiner Arbeit und der SEKEMs in Ägypten ausreichend bekannt? Es ist ja so, dass ein jeder immer nur die Antwort auf eine Frage hört, die er oder sie auch selbst hat. Viele Menschen in Ägypten haben immer noch ganz andere, elementarere Prioritäten. Diese sind vor dem Hintergrund der schwierigen Entwicklungssituation im Land auch sehr verständlich. SEKEM publiziert bereits viel zu den eigenen Projekten, aber es ist nicht so einfach. Deshalb sehe ich die größte Herausfor­derung darin, noch mehr für Bewusstseinsentwick­ lung und Multiplikation zu tun. Würdest Du, wenn Du zurück schaust, etwas anders machen? Ich würde wieder versuchen, die Dinge auf den Weg zu bringen, für die ich persönlich stehen möchte. Aber ich sehe, dass ich mich verzettelt habe. Ich war ja beispielsweise in rund 50 nationalen und ����������� internationalen Gremien tätig. Ich würde heute mehr Wert auf sichtbare Resultate gegenüber reinem Aktivismus und eine fruchtbare Balance zwischen öffentlichem Engagement, SEKEM und der Familie legen.

Mir persönlich ist die geistige Durch­dringung meines Tuns noch wichtiger geworden.

Auf was wirst Du Dich jetzt in Deiner Arbeit konzentrieren? Mir persönlich ist die geistige Durch­ dringung meines Tuns noch zentraler geworden. In Ägypten würde ich mich gerne weiter für die nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung einsetzen. International möchte ich mich vor allem auf die Internationale Gemeinschaft für Partnerschaft in Handel und Ökologie (IAP) (siehe SEKEM Insight 06.11) konzentrieren. Das sind die Bereiche wo ich glaube, dass SEKEM dort noch sehr viel bewegen kann. Aber das Wichtigste ist, dass SEKEM weiter an sich selbst arbeitet, weiterhin ein lebendiges Beispiel bleibt. Daran weiterzuarbeiten, dass SEKEM ein gutes Beispiel abgibt, wie man es besser machen kann, das ist mir jetzt vor allem wichtig. Aufgezeichnet von Bijan Kafi.

SEKEM Insight | Juli 2011 | Seite 3


Wirtschaft

Der Fall und das Urteil gegen Helmy Abouleish Das Gericht verhandelte im Prozess gegen Helmy Abouleish auch einen komplexen Fall internationaler Zusammenarbeit. Dabei dominierten vor allem widerstreitende Rechtsauffassungen.

M

it dem Urteil gegen Helmy Abouleish am 5. Juli 2011 kam ein Verfahren zum Abschluss, das sich weder auf die SEKEM-Initiative selbst noch eine der SEKEM-Einrichtungen direkt be­ zo­ gen hatte, sondern auf Helmy Abouleishs Tätigkeit für ein internationales Kooperationsprojekt. Das Urteil spiegelt daher auch die Schwierigkeit wider, zu entscheiden, welchem rechtlichen Rahmen diesen besonderen Initiativen unterliegen. Rolle im IMC

Das Industrial Modernization Centre (IMC) ist der größte Fond für Wirtschaftsförderung Ägyptens. Die von der Europäischen Union, der ägyptischen Regierung und der ägyptischen Privatwirtschaft im Jahre 2000 gegründete Fördereinrichtung sollte der ägyptischen Privatwirtschaft dabei helfen, nachhaltiger und wettbewerbsfähiger zu werden. Im April 2005 entschloss sich Helmy Abouleish, ein Jahr lang für das IMC als Geschäftsführer tätig sein, weil er in seiner Einladung, den Posten zu übernehmen, eine einzigartige Gelegenheit sah, die Privatwirtschaft in Ägypten in die Pflicht für einen nachhaltigen Wandel zu nehmen. Das IMC fördert ägyptische Unternehmen durch von ihm finanzierte Leistungen. Die Fördergelder fließen jedoch nicht direkt an eine unterstützte Firma. Stattdessen finanziert der Fond Dienstleister, die ihrerseits Weiterbildungsmaßnahmen oder Beratungsleistungen für geför­ derte Firmen erbringen. Sie helfen ihnen zum Beispiel bei der Einführung von Qualitätsstandards, der Umstellung auf Prinzipien nachhaltiger Geschäftsführung, Ver­besserung von Ener­ gieef­ f izienz oder der For­

mulierung von Verhaltenskodizes für Mitarbeiter. Nach ersten wenig erfolgreichen Jahren fasste die IMC-Leitung 2005 den Entschluss, die Privatwirtschaft enger in die Vergabe von Geldern einzubinden. In diesem Zusammenhang übernahm Helmy Abouleish die Rolle des Geschäftsführers für die Zeit bis zum Dezember 2006. Nach dem ersten Jahr unter neuem Management entschloss sich die Europäische Union, die Verantwortung für die Führung der Einrichtung vollständig an ägyptische Regierung und Privatwirtschaft zu übergeben. Auch dieser Schritt erwies sich als Erfolg. Das IMC ist noch heute im Einsatz und hat bisher rund 15.000 Firmen durch Weiterbildungs- und Moder­ nisierungsmaßnahmen unterstützen können. Interessenskonflikte ausschließen Da sich mit Helmy Abouleishs Übernahme der neuen Rolle potentielle Interessenkonflikte ergeben konnten, wurden Maßnahmen getroffen, diesen zu begegnen. Zunächst wurden alle bereits laufenden Förderungen an SEKEM-Firmen erfasst. Es wurde beschlossen, dass diese abgeschlossen und keine weiteren Projekte beantragt werden sollten. Helmy Abouleish lehnte es außerdem ab, für seine Tätigkeit ein Gehalt zu beziehen. Nach dem Abschluss seiner Tätigkeit als Geschäftsführer wurde Helmy Abouleish gebeten, weiterhin dem Aufsichtsrat des IMC vorzustehen, einem Überwachungsgremium ohne beschlussfassende Funktion. In diesem Zusammenhang entschied er, dass SEKEM-Firmen erst 9 Monate nach seinem Niederlegen des

Das Tora-Gefängnis, Ort der Haft Helmy Abouleishs.

Geschäftsführeramts wieder Projekte beantragen sollten.

neue

Die Ausgaben des IMC hatten seit seiner Gründung einer strikten Überwachung (Audit) unterlegen. Alle Gelder wurden in Über­einstimmung mit dem hauseigenen Verfahrenshandbuch (Manual of Pro­ cedures) verausgabt. Außerdem prüften auch die zuständigen Stellen der Europäischen Union noch einmal alle Ausgaben. Zusätzlich überwachte eine unabhängige Audi­ tierungsfirma alle Verträge und Aus­g aben. Ein eigenes Komittee kontrollierte außerdem den jährlichen Auditierungsbericht. Anklagepunkte Nach Helmy Abouleishs Festnahme im März 2011 wurde bekannt, dass ein unbekannter Kläger Anzeige erstattet hatte. Diese nannte drei Vorwürfe, zu denen Helmy Abouleish verhört wurde. Zunächst sollten Aufträge an internationale Berater von Unternehmen un­ recht­ mäßig, das heißt ohne Aus­ schreibungsverfahren vergeben worden sein. Nach einer Prüfung des Sachverhalts durch das Gericht wurde der Anklagepunkt zurückgewiesen. SEKEM Insight | Juli 2011 | Seite 4


Wirtschaft

Der zweite Anklagepunkt erhob den Vorwurf, der Prozess, mittels dessen SEKEM ein Gebäude an die Firma FTC (Food Technology Center) vermietet hatte, und in dem FTC heute eine Kräutertrocknungsanlage betreibt, sei intransparent gewesen und hätte zu einer Veruntreuung von Anlagen geführt. Auch dieser Punkt wurde nach einer Prüfung zurückgewiesen. In einem dritten Punkt wurde Helmy Abouleish vorgeworfen, SEKEM-Firmen hätten nach seiner Zeit als Geschäftsführer des IMC, während er noch Mitglied des Aufsichtsrats gewesen war, nicht von Förderungsleistungen des IMC profitieren dürfen. Im folgenden Verfahren ging es aussschließlich um die Klärung dieses verbleibenden Punktes Durch den Staatsanwalt wurde daraufhin eine Ex­perten­kom­mission mit einer Prüfung betraut. Sie schloss ihre Untersuchungen im Februar 2011 ab und erklärte die Vorwürfe als gegenstandslos. Dennoch wurde Ende März Untersuchungshaft gegen Helmy Abouleish verfügt. Unklare Rechtslage Das IMC hatte bereits vor dem Prozess gegen Helmy Abouleish ein Rechtsgutachten eingeholt, dass die in der Anklageschrift später monierte Vergabepraxis als rechtmäßig und in Übereinstimmung mit den eigenen Vergaberichtlinien bewertete. Das interne Verfahrenshandbuch gestattet eine solche Förderpraxis ausdrücklich. Hintergrund dieser Vorgehensweise ist das Kooperationsgesetz 66-1999, das die Zusammenarbeit ÖffentlichPrivater-Partnerschaften regelt, also auch solcher Gemeinschaftsprojekte wie das IMC, die durch eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit zustande kamen. Es war eigens im Zuge der Einrichtung des IMC geschaffen worden. Eine auf Grund des Kooperationsgesetzes geschaffene Einrichtung ist keine rein ägyptische Behörde, sondern unterliegt als Gemeinschaftseinrichtung kom­ plexen Sonderregelungen und

Durchführungsbestimmungen, die mehrere Rechtsrahmen überspannen und vereinen.

SEKEM veröffentlicht Nachhaltigkeitsbericht 2010

Urteil

V

Im Richterspruch vom 5. Juli, der Helmy Abouleish zu 1 Jahr auf Bewährung, Rückzahlung von Fördergeldern und einer Strafzahlung verurteilt, wurde daher zunächst eine Entscheidung über einen Rechts­ rahmen gefällt. Von dieser ist die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Vergabepraxis abhängig. Das Gericht gab mit dem Urteil dem Antrag der Staatsanwaltschaft statt und folgte so einer Interpretation, die von der Helmy Abouleishs und zahlreicher interner und unabhängiger Gutachter abweicht. Die Staatsanwaltschaft hatte beantragt, den von der Europäischen Union und der ägyptischen Regierung gemeinsam eingerichteten Fond nicht als Institution zu werten, deren Tätigkeit von einem eigens dafür geschaffenen Gesetz geregelt wird. Sie sah in der Einrichtung stattdessen eine reguläre ägyptische Behörde, die allein ägyptischer Gesetzgebung unterliege. Schwierigkeit der Rechtsfindung Das Urteil spiegelt die Schwierigkeit der Rechtsfindung in einem Bereich überlappender Zuständigkeiten und Interessen wieder, die sich zudem im Verlauf der Arbeit des IMC mehrfach änderten. Ob die nun verurteilten Aktivitäten rechtmäßig gewesen sind, wird damit zu einer Frage der Klärung, welcher Rechtsrahmen zugrunde zu legen ist - eine Frage, die Helmy Abouleish bereits beantwortet hat: er hat angekündigt, gegen das Urteil und die Bemessung der Strafzahlung Berufung einzulegen.

oraussichtlich Ende August 2011 wird der vierte Bericht zur nachhaltigen Entwicklung in SEKEM erscheinen. Der Bericht legt seinen Schwerpunkt auf die Kultivierung von Wüstengebieten und ihre Bedeutung für nachhaltige Entwicklung. Der Bericht macht deutlich, daß SEKEM nicht nur wirtschaften will, sondern vielmehr eine Kultur der Wertschöpfung im Einklang mit der Natur und der sozialen Umgebung schaffen möchte. Aus inzwischen langjähriger Erfahrung hat sich der Bericht zu einer Institution nicht nur in der externen Kommunikation, sondern auch für die eigene Bewusstseinsbildung entwickelt. Entlang der vier Dimensionen Ökonomie, Gesellschaft, Kultur und Umwelt erfährt der Leser alle aktuellen Fakten über Erreichtes und neue Herausforderungen. Die jährliche Berichterstattung fasst den Fortschritt von Dr. Ibrahim Abou­ leishs Vision in Wort und Bild, eine Initiative aufzubauen, die Gesellschaft und Umwelt in allen vier Dimensionen fördert. Das Rahmenwerk liefert die „Blume der Nachhaltigkeit“ (SEKEM Insight be­rich­tete) und die anschließende Kon­trolle der Arbeitsschritte.

Bijan Kafi

Für ein verlässliches Ergebnis wer­ den Manager aus allen SEKEMUnternehmen und -Institutionen in den Erhebungsprozess eingebunden. Jährlich werden diese damit konfrontiert, die Erfüllung von Zielen zu analysieren und die aktuelle Lage zu beschreiben. Ihr Bewusstsein für die Themen der nachhaltigen Entwicklung wird dadurch geschärft. Seit 2011 setzt sich dieser Prozess zweiwöchentlich fort.

Bijan Kafi ist Ansprechpartner der SEKEMGruppe für die Presse und Öffentlichkeit in Europa.

Der Bericht wird Interessierten im Internet und im Druck bereit stehen.

SEKEM können sie auch besuchen:

www.sekem-reisen.de www.aventerra.de

Anne Mordhorst Anne Mordhorst betreut im Team für nachhaltige Entwicklung in SEKEM die Erstellung des Nachhaltigkeitsberichts.

SEKEM Insight | Juli 2011 | Seite 5


Wirtschaft

Die Geschäftsentwicklung der SEKEM-Firmengruppe im 2. Quartal 2011

Umsatz (konsolidiert)

Umsatz (konsolidiert) Die mit der Revolution vom vergangenen Februar begonnene wirtschaftliche Entwicklung setzt sich auch im zweiten Quartal 2011 fort. Für die SEKEM-Firmen schloss das 2. Quartal 2011 mit identischen Zahlen wie das Vergleichsquartal im Vorjahr ab. Beide Quartale schlossen mit jeweils 48 Mio. ägyptischen Pfund ab.

Q2 2010

48 Mio. EGP

Q2 2011

48 Mio. EGP

EBITDA (konsolidiert)

EBITDA (konsolidiert) Auch im Bereich EBITDA (konsolidiert) liegt das 2. Quartal des Jahres 2011 gleich auf mit demselben Zeitraum des Vorjahres. Beide Quartale schlossen mit jeweils 10 Mio. ägyptischen Pfund ab.

Q2 2010

10 Mio. EGP

Q2 2011

10 Mio. EGP

Anteile am Umsatz

Anteile am Umsatz Die Umsatzanteile der SEKEM-Geschäftsbereiche 4 bewegten sich im 2. Quartal 2011 nur geringfügig. Während die Anteile für Landwirtschaft und FCMG (Lebenmittel, verarbeitete Produkte) leicht zurückgingen, stiegen diejenigen für den Pharma- und den Textilbereich um jeweils 1%.

18%

16%

16%

Landwirtschaft

50%

Pharma

Textilien

FMCG

Absatzanteile (Inland vs. Ausland)

Absatzanteile (Inland vs. Ausland) Die Absatzanteile Inland vs. Ausland verschoben sich 2. Quartal des Jahres 2011 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 4%. Dieser Anteil ging zugunsten des internationalen Geschäfts.

Q2 2010

Q2 2011

74%

26%

70%

Lokal

30%

Export

SEKEM Insight | Juli 2011 | Seite 6


Impressionen

Impressionen aus SEKEM

S

ehr klein und doch sehr mächtig. Bockshornkleesamen wie diese hat SEKEM auch im Jahre 2009 in die Europäische Union exportiert. Genauer gesagt waren es 9 Tonnen, die SEKEMs Firma Lotus sowohl 2009 als auch 2010 in die Niederlande geliefert hat. Sie waren jedoch, wie SEKEM gemeinsam mit ihren Kunden geprüft hat, nicht Teil der insgesamt 15 Tonnen Samen, die über den Hafen Rotterdam auch deutsche und französische Händler erreichten und in denen später EHEC-Bakterien gefunden wurden. SEKEM war es wichtig, schnell und transparent darüber zu informieren, dass von den eigenen Produkten für ihre Kunden keine Gefahr ausgeht. Deshalb hat sie noch vor der Verhängung eines Importstopps für ägyptische Samen und Ölsaaten eine Pressemitteilung veröffentlicht. Dennoch ist SEKEM vom Importstopp betroffen. Alle Kunden von Produkten, in denen SEKEM-Saaten enthalten sind, können jedoch darauf vertrauen, dass sie den hohen Qualitätsanforderungen für Bio-Produkte entsprechen. SEKEM Insight | Juli 2011 | Seite 7


Kurznachrichten

Vorbild Heliopolis Akademie findet Anklang

SEKEM-Vorträge an Uni Bayreuth sehr beliebt

GLS Bank macht Sparer zu Entwicklungshelfern

Das Konsortium des Bildungs­ projektes UNCHAIN (Univer­ sity Chairs on Innovation) hat sich am 7. und 8. Juli in Wien getroffen und den Fortgang des Projekts, an dem die Heliopolis Akademie teilnimmt, besprochen. Nach ihre Vorbild sind bisher auch an der Universität Kairo sowie an Universitäten in Marokko, Tunesien, Syrien und dem Libanon Innovationszentren aufgebaut worden, die Akademiker und Industrie besser vernetzen sollen. In den vergangenen 2 Jahren wurden außerdem über einhundert Universitätsmitarbeiter geschult, solche Kooperationen aufzubauen und Innovation zu stimulieren. Zuletzt waren die SEKEM-Mitarbeiter Dr. Mohamed Wageih und Ing. Dalia Abdou im Juli zum Thema Produkt- und Prozessinnovation mit Hilfe erneuerbarer Energien an der Technischen Universität in Graz geschult worden.

Am 11. Juli hielten die SEKEM Mitarbeiter Jasmin Ateia und Bianca Fliß einen Vortrag vor Studenten der Universität Bayreuth. Der Vortrag zum Thema „Ägypten nach der Revolution – Ein Land voller Herausforderungen“ war gut besucht und stieß auf das Rege Interesse der Studenten, unter die sich auch Universitätsmitarbeiter mischten.

Mit dem von Oikocredit und GLS Bank jetzt eingeführten Oikocredit Sparkonto werden Spargelder zu Darlehen für Menschen in Entwicklungsländern. Ziel der Kooperation ist es, eine sichere und sinnstiftende Anlage zu bieten, die benachteiligten Menschen den Zugang zu Kapital ermöglicht.

Insbesondere die Universität Kairo hat bereits erfolgreich einige Partnerschaften mit Unternehmen aufbauen können. Des weiteren ging es bei dem Treffen um die weitere Zusammenarbeit des Innovationsnetzwerkes. Bei dem Projekt geht es um eine verbesserte Zusammenarbeit von universitärer Forschung und Unternehmen. So wird Bedarf, der sich aus dem Unternehmensalltag heraus ergibt, interdisziplinär fundiert von Teams von Experten und Studenten gelöst. Die Unternehmen erhalten Kontakt zu hoch qualifizierten Studenten und diese die Möglichkeit zum Sammeln praxisrelevanter Erfahrung. Die Heliopolis Akademie wird in diesem Projekt immer wieder als Beispiel für gelungene Zusammenarbeit von Industrie und Forschung genannt. Bianca Fliß

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Mehr Informationen:

Der Vortrag ging auf die Herausforderungen Ägyptens ein. Besondere Berücksichtigung fanden die Themen Bevölkerungswachstum, Armut, Wasserknappheit, Ernährung und Bildung. Nachdem damit der ägyptische Kontext vorgestellt wurde, berichtete die gebürtige Ägypterin Jasmin Ateia über ihre persönlichen Erlebnisse und Eindrücke während der Tage der ägyptischen Revolution zu Beginn dieses Jahres. In der anschließenden Diskussions­ runde wurde besonders über den tatsächlichen Einfluss fundamentalistischer Kräfte in der ägyptischen Gesellschaft gesprochen. Die Studenten zeigten sich den bisherigen Medienberichten gegenüber sehr kritisch und interessierten sich besonders für die Ansichten von Ägyptern. Insgesamt waren die Themen breit gefächert und reichten von politischen Fragen zur Zukunft Ägyptens bis zu Fragen über Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft.

Das einzigartige Konzept ist auf die gesellschaftliche Wirkung der Gelder ausgerichtet: Anleger eröffnen bei der GLS Bank ein Oikocredit Sparkonto. Die GLS Bank vergibt ein Darlehen in Höhe der angelegten Gelder an Oikocredit, die damit Partnerorganisationen in Entwicklungsländern finanziert. Ein Großteil des Kapitals geht an Mikrofinanzorganisationen, die vor Ort Kleinkredite vergeben. Ein kleinerer Teil kommt Genossenschaften, Fair­handels­organisationen und kleinen Unternehmen zugute. „Das neue Sparkonto richtet sich speziell an Anleger, die sich gezielt für die Verbesserung der Lebenssituation von Menschen in Entwicklungsländern einsetzen möchten“, so GLS Vorstand Andreas Neukirch. Quelle: GLS Bank

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Mehr Informationen: http://www.gls.de http://www.oikocredit.de

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„Wir haben sehr positives Feedback erhalten“, so Bianca Fliss. „Insbesondere die Verknüpfung von landeskundlichen Hintergründen mit den Ereignissen der Revolution und Jasmins Erfahrungsbericht sind sehr gut angekommen. Viele sagten uns dass sie ein realistischeres Bild gewonnen hätten, wie die Herausforderungen Ägyptens sich gegenseitig bedingen.“

Herausgeber v.i.S.d.P.: SEKEM, Egypt. Die Redaktion von SEKEM Insight dankt allen Korrespondenten, die an dieser Ausgabe mitgewirkt haben. Redakteur: Bijan Kafi Kontakt: SEKEM-Insight c/o SEKEM Holding P.O.Box 2834, El Horreya, Heliopolis, Cairo, Egypt insight@SEKEM.com Bildnachweis: Seiten 1, 2, 3: Martina Dinkel; 7: SEKEM Keine Vervielfältigung ohne schriftliche Einwilligung des Herausgebers. Markenzeichen sind Eigentum der jeweiligen Markeninhaber.

http://www.unido.org/index.php?id=o66410

Bianca Fliß

SEKEM Insight | Juli 2011 | Seite 8


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