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MEDIZIN
from ChemieXtra 3/2021
by SIGWERB GmbH
Es gibt noch viel zu tun
Die Evolution der Antibiotikaresistenzen
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Die Erbinformationen vieler Mikroorganismen, insbesondere der Bakterien, liegen zum Teil in Plasmiden vor. Das sind genetische Elemente, die aus nur einem einzelnen DNA-Ring bestehen, nicht auf den Chromosomen vorliegen und sich eigenständig vervielfältigen können. Bakterien ist es dank solcher Plasmide möglich, Erbinformationen sehr schnell untereinander und auch über die Grenzen verschiedener Bakterienarten hinweg zu übertragen.
Dieser als horizontaler Gentransfer bezeichnete Prozess ist zentral an der Evolution von Mikroorganismen beteiligt und hilft ihnen dabei, sich flexibel an veränderte Umweltbedingungen anzupassen. Insbesondere für bakterielle Krankheitserreger ist diese schnelle Anpassungsfähigkeit ein grosser Vorteil.
Ein unerwünschtes Reservoir
Ein Forschungsteam vom Institut für Allgemeine Mikrobiologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) wies im vergangenen Jahr nach, dass Plasmide als häufige Träger von Resistenzgenen dauerhaft und auch ohne Selektionsdruck stabil in Bakterienzellen überdauern können. So können sie ein Reservoir für die Entwicklung von Resistenzen bilden, das schon bei einmaliger Antibiotikagabe zur Behandlungsunempfindlichkeit der nachfolgenden Bakteriengenerationen führen kann.
Ein überraschendes Ergebnis
In einer nun anschliessenden Arbeit haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der CAU-Arbeitsgruppe Genomische Mikrobiologie um Professorin Tal Dagan untersucht, welche Wirkung die Antibiotikagabe wiederum auf die Stabilität der Plasmide in den Bakterienzellen und damit ihren evolutionären Erfolg ausübt. Sie stellten fest, dass der von den Antibiotika ausgehende Selektionsdruck nicht immer die stabile Plasmid-Vererbung fördert, obwohl die Plasmide für die Zelle vorteilhafte Resistenzgene tragen. Die Ergebnisse ihrer im Rahmen des Kiel Evolution Center (KEC) entstandenen Arbeit
Dr. Tanita Wein, die Hauptautorin der Studie, hat kürzlich promoviert und arbeitet derzeit als Postdoktorandin in der Forschungsgruppe von Prof. Rotem Sorek am Weizmann Institute of Science in Israel.
veröffentlichten die Forschenden in der Fachzeitschrift «Current Biology».
Ein scheinbarer Widerspruch
Das allgegenwärtige Vorkommen von Plasmiden in der Natur lässt zunächst vermuten, dass Plasmide eine stabile Vererbung entwickeln und langfristig beispielsweise in einer Bakterienpopulation erhalten bleiben – solange sie keinen negativen Einfluss auf die Fitness des Wirtslebewesens haben, etwa durch ihren Energiebedarf. Das Kieler Forschungsteam untersuchte daher, warum sich entgegen dieser Annahme nicht in allen Fällen eine Plasmid-Stabilität einstellt, obwohl ihre Anwesenheit unter Selektionsdruck vorteilhaft ist. Dazu kultivierten die Forschenden in Evolutionsexperimenten das Bakterium Escherichia coli jeweils mit und ohne Antibiotikagabe. So konnten sie überprüfen, wie sich im Vergleich die Anwesenheit der Plasmide über die Bakteriengenerationen entwickelte. «In Anwesenheit von Antibiotika muss jede Bakterienzelle eine Resistenz entwickeln, sonst stirbt sie. Daher überleben unter diesen Bedingungen alle Zellen, die ein Plasmid als Träger des Resistenzgens haben», erklärt Erstautorin Dr. Tanita Wein, die kürzlich in Dagans Arbeitsgruppe promovierte. «Dabei ist es für die Bakterienzelle egal, in welchem Zustand sich das Plasmid befindet, und es überleben sowohl stabile als auch instabile Plasmid-Varianten», so Wein.
Die Zelle schützt sich auf Kosten des Plasmids
Dabei haben die Plasmide die Tendenz, Multimere zu bilden, sich also aus mehreren einzelnen Plasmiden zu einer grossen zusammenhängenden Struktur zusammenzuschliessen. Wenn sich die Bakterienzelle anschliessend teilt, geht das grosse Multimer mit dann mehreren Resistenzgenen nur in eine Tochterzelle über, die zweite neue Zelle erhält aber keines. Das dadurch wahrscheinlich verstärkte Plasmid mit seinen Resistenzgenen ist zwar für die Zelle von Vorteil, es wird dadurch allerdings auch instabil. Denn ohne den Selektionsdruck eines Antibiotikums gehen die grossen Multimere wieder verloren. Zusammenfassend bedeutet dies, dass die positive Selektion hinsichtlich der Antibiotikaresistenz zur Aufrechterhaltung von nicht-optimalen Plasmid-Varianten führt, die langfristig nicht stabil vererbt werden können.
Gegensätzliches Interesse
Diese Vorgänge zeigen, dass die Zellen und die Plasmide im übertragenen Sinne kein gemeinsames Interesse haben. Die evolutionäre Selektion ihrer Eigenschaften findet auf unterschiedlichen Ebenen statt und dient nicht immer dem Vorteil beider Beteiligter, obwohl sie in einem gemeinsamen Organismus existieren. «Im konkreten Fall bedeutet dies, dass der durch das Plasmid vermittelte Vorteil für die Wirtszelle mit einem verringerten Erfolg für die Evolution der Plasmide einhergeht und die Interessen von Plasmid und Zelle in diesem Fall gegenläufig sind. Die Betrachtung von Plasmiden als sich autonom von ihren Wirtszellen entwickelnde Einheiten hilft also dabei, den Verlauf ihrer gemeinsamen Evolution besser zu verstehen», erklärt Wein.
Besseres Verständnis der Resistenzevolution
Insgesamt könnten die neuen Ergebnisse zu einem besseren Verständnis der Vererbungsprozesse bei Plasmiden und den damit verbundenen Konsequenzen für den Wirtsorganismus führen. «Unsere Ergebnisse legen nahe, dass eher schnell veränderliche Bedingungen wie die abwechselnde An- und Abwesenheit von Antibiotika und nicht so sehr eine konstante Selektion der Schlüssel zur schnellen Anpassung der Plasmide sind», betont Dagan. «Unsere Erkenntnisse könnten daher auch auf die Prozesse anwendbar sein, die bei Krankheitserregern zur Entstehung von Multiresistenzen gegenüber verschiedenen Wirkstoffen führen», meint Dagan.
Originalpublikation Tanita Wein, Yiqing Wang, Nils F. Hülter, Katrin Hammerschmidt, Tal Dagan, «Antibiotics interfere with the evolution of plasmid stabilit», Current Biology (2020); https://doi.org/10.1016/j.cub.2020.07.019
Kontakt Dr. Tanita Wein Universität zu Kiel Christian-Albrechts-Platz 4 D-24118 Kiel +49 431 880 5743 twein@ifam.uni-kiel.de www.uni-kiel.de
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Beobachtung von Herz-Kreislauf-Versagen
Führt nächtlicher Fluglärm zum Tod?
Zum ersten Mal hat eine Studie gezeigt, dass lauter Fluglärm in der Nacht innerhalb von zwei Stunden zum Herz-Kreislauf-Tod führen kann. Forschende des Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Instituts (Swiss TPH) haben die Sterblichkeitsdaten mit der akuten nächtlichen Lärmbelastung um den Flughafen Zürich zwischen 2000 und 2015 verglichen. Die Ergebnisse der Studie wurden im Fachmagazin «European Heart Journal» veröffentlicht.
Die meisten Studien über Verkehrslärm und Herz-Kreislauf-Sterblichkeit konzentrierten sich bisher auf die langfristige Lärmbelastung. Diese Studien zeigen auf, dass chronische Lärmbelastung ein Risikofaktor für die Herz-Kreislauf-Sterblichkeit ist. Insgesamt können in Europa rund 48 000 Fälle von ischämischen Herzerkrankungen pro Jahr auf Lärmbelastung zurückgeführt werden, insbesondere auf Strassenverkehrslärm.
Nach zwei Stunden
Zum ersten Mal wurde im Rahmen einer Studie unter der Leitung des Swiss TPH nun aufgezeigt, dass akuter nächtlicher Fluglärm innerhalb von zwei Stunden ab der Lärmbelastung einen Herz-KreislaufTod auslösen kann. Die in der Fachzeitschrift «European Heart Journal» veröffentlichte Studie ergab, dass das Risiko eines Herz-Kreislauf-Todes bei einer nächtlichen Lärmbelastung zwischen 40 und 50 Dezibel um 33 Prozent und bei einer Belastung über 55 Dezibel um 44 Prozent steigt. «Wir haben festgestellt, dass zwischen 2000 und 2015 bei ungefähr 800 von 25000 Herz-Kreislauf-Todesfällen in der Nähe des Flughafens Zürich Fluglärm die Ursache war. Dies entspricht drei Prozent aller beobachteten Herz-Kreislauf-Todesfälle», sagt Martin Röösli, Korrespondenzautor der Studie und Leiter der Einheit «Environmental Exposures and Health» am Swiss TPH.
Fluglärm und Emotionen
Gemäss Martin Röösli zeigen die Ergebnisse, dass Fluglärm ähnliche Auswirkungen auf die Herz-Kreislauf-Sterblichkeit haben kann wie Emotionen (zum Beispiel Wut
Am Flughafen Zürich gilt ein nächtliches Flugverbot zwischen 23.30 und 6.00 Uhr.
oder Aufregung). «Die Ergebnisse überraschen nicht, denn wir wissen, dass eine Lärmbelastung in der Nacht Stress verursacht und den Schlaf beeinträchtigt», erklärt er. In ruhigen Gegenden mit wenig Eisenbahn- und Strassenverkehrslärm war die nächtliche Fluglärmwirkung stärker ausgeprägt. Dies war auch der Fall bei Menschen, die in älteren, weniger isolierten und damit lärmanfälligen Häusern wohnen.
Flugverbot in der Nacht
Am Flughafen Zürich gilt ein Flugverbot zwischen 23.30 und 6.00 Uhr. «Auf Basis unserer Studienergebnisse können wir folgern, dass dieses nächtliche Flugverbot zusätzliche Herz-Kreislauf-Todesfälle verhindert», so Röösli. Im Rahmen der Studie wurde ein CaseCrossover-Design verwendet, um herauszufinden, ob die Fluglärmbelastung zum Zeitpunkt der Todesfälle im Vergleich zu zufällig gewählten Kontrollzeiträumen ungewöhnlich hoch war. «Dieses Studiendesign ist sehr hilfreich, wenn man akute Auswirkungen der Lärmbelastung mit einer hohen täglichen Variabilität untersuchen möchte, wie im Falle von Fluglärm wegen wechselnder Wetterbedingungen oder Flugverspätungen», meint Apolline Saucy, Hauptautorin der Studie und Doktorandin am Swiss TPH. «Mit diesem zeitlichen Analyseansatz können wir die Wirkung ungewöhnlich hoher oder niedriger Lärmbelastungen auf die Sterblichkeit von anderen Faktoren abgrenzen. Faktoren, die auf den Lebenswandel zurückgehen, wie z. B. Rauchen oder schlechte Ernährung, stellen in diesem Studiendesign keine Verzerrung dar.» Die Lärmbelastung wurde anhand einer Liste aller Flugzeugbewegungen beim Flughafen Zürich zwischen 2000 und 2015 und in Verbindung mit bereits vorhandenen Berechnungen der Fluglärmbelastung modelliert. Dabei berücksichtigt wurde der Flugzeugtyp, Flugroute sowie Tages- und Jahreszeit. Die Studie wurde vom Swiss TPH in Zusammenarbeit mit der Empa und mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds durchgeführt (Förderungsnummer 324730_173330).
Originalpublikation A. Saucy et al., «Does nighttime aircraft noise trigger mortality? A case-crossover study on 24,886 cardiovascual deaths», European Heart Journal (2020); DOI: 10.1093/eurheartj/ehaa957
Medienmitteilung Schweizerisches Tropen- und Public-Health-Institut (Swiss TPH) www.swisstph.ch