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MEDIZIN

Versteckspiel führt zu höheren Medikamentenpreisen

Geheime Machenschaften hinter den Kulissen

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Bei der Festsetzung von Medikamentenpreisen handeln Behörden und Pharmafirmen oftmals geheime Rabatte aus. Solche Rabattsysteme können den Zugang von Arzneimitteln für Patientinnen und Patienten beeinträchtigen, zeigt eine Studie der Universität Zürich im Wissenschaftsmagazin «The Lancet Regional Health». Mittelfristig kann diese Praxis sogar zu steigenden Arzneimittelpreisen führen.

In der Schweiz und anderen europäischen Ländern sind Arzneimittelpreise reguliert, um die Kosten besser eindämmen zu können. In den letzten Jahren haben zahlreiche europäische Länder Rabattmodelle bei Arzneimitteln eingeführt, die mit dem Hersteller ausgehandelten Rabatte jedoch meist geheim gehalten. Dies bedeutet, dass ein Land grundsätzlich zwei Arzneimittelpreise hat – einen offiziellen, höheren Preis sowie einen tatsächlichen, tieferen Preis.

Verdeckte Praxis legalisieren?

Im internationalen Vergleich wird jedoch regelmässig der höhere angegeben. Auch die Schweiz hat solche Rabatte, die vermehrt geheim bleiben, eingeführt und möchte diese Praxis nun auch gesetzlich verankern. Derzeit läuft die Revision des Krankenversicherungsgesetzes. Nationale Behörden und Arzneimittelhersteller rechtfertigen diese Intransparenz damit, dass diese Strategie einen schnellen Zugang zu innovativen und hochpreisigen Arzneimitteln ermögliche und zudem Kosten gespart werden könnten. Im Rahmen einer empirischen Analyse hat das Forschungsteam um Professorin Kerstin N. Vokinger diese Argumente nun untersucht.

Arzneimittel mit dürftigem Nutzen

Die Wissenschaftler an der Universität Zürich identifizierten 51 Arzneimittel, denen zwischen Januar 2012 und Oktober 2020 in der Schweiz Rabatte gewährt wurden. 32 dieser Arzneimittel waren Krebsmedikamente (63 Prozent). Basierend auf ei-

Nicht erst seit den neuen Corona-Impfstoffen wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit über Medikamentenpreise verhandelt.

nem anerkannten Nutzenbewertungssystem wiesen nur 15 der 51 Arzneimitteln (29 Prozent) einen hohen Nutzen auf, 25 (49 Prozent) hatten einen tiefen Nutzen. Für 11 Medikamente (22 Prozent) konnte der Nutzen nicht bestimmt werden. Damit zeigt sich, dass nicht nur innovativen Arzneimitteln Rabatte gewährt werden. Insgesamt haben solche Rabattsysteme in den letzten Jahren stark zugenommen. Zudem gab es in diesem Verfahren eine grosse Varianz bei den Preisen und den gewährten Rabatten: Bei den Medikamenten mit gewährtem Rabatt handelt es sich nicht nur um hochpreisige Arzneien. Vielmehr reichten die Monatskosten solcher Therapien von ungefähr 3000 bis 35 000 Franken. Auch bei den transparent ausgewiesenen Rabatten gab es eine grosse Bandbreite von 4 bis 58 Prozent Preisreduktion.

Längere Verfahren und steigende Preise

Das Schweizer Verfahren zur Preisfestsetzung dauerte bei Arzneimitteln mit Rabatt mehr als doppelt so lang, im Median rund 302 Tage. Bei Arzneimitteln ohne Rabatt wurde dagegen der Preis im Median bereits nach 106 Tagen verbindlich festgelegt. «Unsere Studienergebnisse zeigen, dass Medikamente, denen ein Rabatt gewährt wird, den Zugang für Patienten beeinträchtigen können – auch weil solche Rabattsysteme zumindest mittelfristig zu steigenden Arzneimittelpreisen führen können», erklärt Studienleiterin Vokinger. Dies gilt umso mehr, als bei der Preisfestsetzung der sogenannte «Auslandpreisvergleich» ein massgebendes Kriterium in fast allen europäischen Ländern ist. Dieses regulatorische Instrument hat zum Ziel,

Der klinische Nutzen von Arzneimitteln mit Rabatt

Medikamente mit Der klinische Nutzen von Arzneimitteln mit Medikamente mit hohem Nutzen 29%Rabatt tiefem Nutzen Nutzen nicht 49% bestimmbar 22% Medikamente mit hohem Nutzen 29% Medikamente mit tiefem Nutzen Nutzen nicht 49% bestimmbar 22%

Rabatte verzögern den Zugang zu den Beinahe die Hälfte aller Medikamente mit Rabatt weisen einen geringen klinischen Nutzen auf. Medikamenten Das Schweizer Verfahren zur Preisfestsetzung dauert bei Arzneimitteln mit Rabatt mehr als doppelt so lang, im Median rund 302 Tage.

Dauer bis zur Preisfestsetzung (im Median)

Dauer bis zur Preisfestsetzung (im Median)

Tage ohne RabattRabatte verzögern den Zugang zu den

Tage mit Rabatt Medikamenten

Tage ohne Rabatt

0

Tage mit Rabatt

50 100 150 200 250 300 350

0 50 100 150 200 250 300 350

dass die Arzneimittelpreise in der Schweiz ähnlich sein sollen wie in vergleichbaren Ländern. Die Strategie von geheimen Rabatten führt jedoch dazu, dass der offizielle, höhere Preis als Referenz gilt. Somit orientieren sich alle Länder am höheren Preis – und damit besteht die Gefahr, dass die Arzneimittelpreise generell in die Höhe getrieben werden.

Transparente Zusammenarbeit gefordert

«Die zunehmende Intransparenz dient nicht der Gesellschaft oder den Patienten», ist Vokinger überzeugt. Nur transparente Arzneimittelpreise, welche die Realität widerspiegeln, würden eine funktionierende Preisregulierung ermöglichen. Gefordert wird dies auch in der WHO-Resolution, die von der Schweiz unterstützt wird. Eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den einzelnen europäischen Ländern könnten den nationalen Behörden helfen, besser informierte Entscheide bei der Festsetzung der Medikamentenpreise zu treffen. «So könnte auch der Zugang der Patienten zu innovativen Therapien gestärkt werden», erklärt Vokinger.

Originalpublikation [1] David L. Carl, Kerstin N. Vokinger, «Patients’ Access to Drugs with Rebates in Switzerland – Empirical Analysis and Policy Implications for Drug Pricing in Europe», The Lancet Regional Health (2021); DOI: 10.1016/j.lanepe.2021.100050

Medienmitteilung Universität Zürich www.uzh.ch

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Die Tricks der Erreger gegen Antibiotika

Wie sich Bakterien tot stellen

Auch ohne Resistenz können Bakterien eine Antibiotikabehandlung überstehen: Sie verlangsamen ihren Stoffwechsel und überleben so den Angriff der Antibiotika «im Schlaf». Ein vom Schweizerischen Nationalfonds gefördertes Forschungsteam fand heraus, was sich in den Bakterien verändert, wenn sie sich in den Zustand der Persistenz versetzen.

Resistente Bakterien entziehen sich der Wirkung von Antibiotika, indem sie unempfindlich werden, zum Beispiel, indem sie Antibiotika abbauen. Es gibt aber noch eine andere Überlebensstrategie für Bakterien: Sie versetzen sich in einen schlafähnlichen Zustand, um eine Behandlung mit Antibiotika auszuhalten – sie werden persistent. Nach Abschluss der Therapie erwachen sie zu neuem Leben und verursachen wiederkehrende, schwer zu behandelnde Infektionen. Forschende haben mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) neue Erkenntnisse zu dieser Bakterienpopulation gewonnen und könnten damit den Weg zu wirksamen Behandlungen ebnen. Die Ergebnisse sind in der Zeitschrift «Pnas» erschienen.

Schlafen in der Petrischale

Das Forschungsteam arbeitete in dieser Studie mit dem Bakterium Staphylococcus aureus, das bei vielen Menschen auf der Haut vorkommt und häufig invasive und schwer zu behandelnde Infektionen hervorruft. Von einem infizierten Patienten haben die Forschenden Bakterien entnommen und in Petrischalen kultiviert. Es

Forschungsförderung in allen Disziplinen Diese Forschungsarbeit wurde vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) mit dem Instrument der «Projektförderung» unterstützt. Nach einem Auswahlverfahren können Forschende mit diesen Beiträgen Vorhaben zu selbst gewählten Themen und Forschungszielen eigenverantwortlich durchführen.

Persistente Bakterien verursachen wiederkehrende, schwer behandelbare Infektionen. Eine Laborantin zählt die Bakterienkolonien auf einer Petrischale.

zeigte sich, dass gewisse Bakterienkolonien kleiner waren als die anderen. «Daran erkennen wir, dass persistente Bakterien in der Probe sind», erklärt Annelies Zinkernagel, Professorin für Infektiologie an der Universität und dem Universitätsspital Zürich und eine der Autorinnen des Artikels. «Persistente Bakterien müssen im Gegensatz zu den übrigen Bakterien zuerst ‹erwachen›, was zu einer Wachstumsverzögerung im Nährmedium führt.» Der Nachweis und die Analyse persistenter Bakterien in einer Patientenprobe sind insofern besonders interessant, da die meisten bisherigen Studien zu persistenten Bakterien im Labor mit über längere Zeit kultivierten Bakterien stattfanden und nicht mit solchen, die direkt aus dem Patienten stammen.

Stress, Stress und nochmals Stress

Um herauszufinden, unter welchen Bedingungen die Bakterien persistent werden, führten die Forschenden verschiedene Stresstests durch. Stressfaktoren sind zum Beispiel die Anwesenheit menschlicher Immunzellen, Antibiotika oder eine saure Umgebung, wie sie in Abszessen herrscht. Resultat: Je extremer die Bedingungen gestaltet wurden, desto höher

wurde der Anteil dieser persistenten Bakterien.

Proteine verraten den Trick

Mit den Bakterien direkt aus dem Patienten analysierten die Forschenden zudem, wie die Persistenzmechanismen funktionieren. Dafür untersuchten sie alle bakteriellen Proteine, das sogenannte Proteom. Es zeigte sich, dass eine umfassende molekulare Neuprogrammierung stattgefunden hatte, die eine Verlangsamung des Stoffwechsels bewirkte. Das Resultat war jedoch nicht ein vollkommener Stillstand, sondern eine Art Dämmerzustand. So steigern die Bakterien ihre Überlebenschancen in einer feindlichen Umgebung. Eine weitere Beobachtung: Sobald die Umgebung wieder freundlicher wird, machen die persistenten Bakterien diese Änderungen rückgängig und gewinnen damit ihre Infektionskraft zurück. «Die Vorstellung, dass Bakterien ihren Metabolismus nicht anhalten, sondern lediglich verlangsamen und verändern, ist nicht ganz neu, aber noch umstritten», erklärt Zinkernagel. «Unsere Studie bestätigt dies mit hoher Präzision.» Dies, weil sie hauptsächlich mit persistenten Bakterien gearbeitet habe. «Frühere Experimente beruhten auf gemischten Populationen, und das Ergebnis war deshalb möglicherweise durch die übrigen Bakterien, die für gewöhnlich in der Überzahl sind, verzerrt.»

Neue Behandlungen am Horizont

Das bessere Verständnis dieser Mechanismen könnte zur Entwicklung neuer Behandlungen gegen persistente Bakterien beitragen. Die Forschenden zeigten zudem, dass Vitamin-A-Derivate, welche die Zellmembran ins Visier nehmen, ein vielversprechendes Potenzial für die Bekämpfung von Bakterien mit verlangsamtem Metabolismus aufweisen. Ein weiterer Ansatz: «Wenn es uns gelingt, das Wachstum dieser Bakterien zu reaktivieren, könnten sie sich den Antibiotika vermutlich nicht mehr entziehen», hofft die Forscherin. Die Bekämpfung persistenter Bakterien ist zudem auch wichtig im Kampf gegen Resistenzen, da wiederkehrende Infektionen über einen längeren Zeitraum mit Antibiotika behandelt werden müssen. Durch diese ständige Exposition steigt das Risiko, dass sich Resistenzen entwickeln.

Originalpublikation M. Huemer, S.M. Shambat et. al., «Molecular reprogramming and phenotype switching in Staphylococcus aureus lead to high antibiotic persistence and affect therapy success», Pnas (2021); https://doi. org/10.1073/pnas.2014920118 Quelle: Schweizerischer Nationalfonds (SNF)

Kontakt Prof. Dr. Annelies Zinkernagel Universitätsspital Zürich Rämistrasse 100 CH-8091 Zürich +41 44 255 25 41 annelies.zinkernagel@usz.ch www.usz.ch

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