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Bio-Kraftstoffe fahren aus dem Mittelfeld an die Spitze

Von «klimaneutral» und «schadstoffarm»

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Für die Energiewende scheinen die Finalisten zu sein: Elektrofahrzeug oder Wasserstoffauto. Doch es könnte auch ganz anders kommen: Synthetische, aber umweltfreundliche flüssige Kraftstoffe werden in optimierten Motoren verbrannt. Ein Überblick.

Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat schon vor anderthalb Jahren gezeigt, dass sich Kohlendioxid in einem vierstufigen Prozess unter Einsatz von Ökostrom (z.B. Windräder, Photovoltaik) und Wasser zu Benzin, Diesel oder Kerosin umsetzen lässt (Power-to-X). Zunächst fängt man das CO2 mithilfe einer Technologie aus der Luft ein (ETH Zürich und ihr Spin-off Climeworks). Anschliessend spaltet man in einer Elektrolyseanlage gleichzeitig CO2 und Wasser (SunfireVerfahren, Dresden), und erhält in einem einzigen Schritt Synthesegas. Dieses wird nach der bekannten Fischer-Tropsch-Synthese in eine breite Palette von linearen Kohlenwasserstoffen umgesetzt. Ein nachgeschaltetes Hydrocracking («Spalten unter Wasserstoff-Einsatz») führt dann direkt zum gewünschten Bio-Sprit.

Methanol und Ethanol aus Hüttengas

Aktuell kommen neue Möglichkeiten zur Gewinnung synthetischer Bio-Kraftstoffe oder Bio-Kraftstoffzusätze hinzu. So hat man nach 60 Jahren Forschung endlich verstanden, wie der bekannte Kupfer-Zinkoxid-Aluminiumoxid-Katalysator bei der Methanolsynthese funktioniert: mit zwei voneinander unabhängig wirksamen Zentren. Das werten die Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum als eine entscheidende Information [1]. Optimierungen sollten nun die Umsetzung von Hüttengasen aus Kokereien und Hochöfen mit elektrolytisch hergestelltem Wasserstoff zu einer «grünen» Methanolsynthese machen. Auch Ethanol, das man im E10-Benzin in seinen Tank füllt, könnte sich in Zukunft aus Hüttengas gewinnen lassen. Dabei helfen zwei uralte «lebende Fossilien» [2]: die Bakterien Clostridium autoethanogenum und

Bild 1: Es gibt immer eine Alternative: Luftschiff oder Flugzeug, Benzin oder Kerosin, erdölbasierter oder synthetischer Bio-Kraftstoff.

Moorella thermoacetica. Neben Ethanol produzieren sie einen weiteren Flüssigkraftstoff (Acetat) und 2,3-Butandiol. Kürzlich hat man herausgefunden, wie die beiden Organismen das entscheidende Enzym ganz unterschiedlich einsetzen. Dies wiederum eröffnet Chancen, ihre Effizienz in der Kraftstoffherstellung zu steigern.

«Abgebrühtes» Butanol

Neben Methanol und Ethanol kommt auch Butanol als Bio-Kraftstoff in Frage. Es weist eine Energiedichte fast wie erdölbasiertes Benzin auf (deutlich höher als Ethanol) und lässt sich mit diesem gut mischen. Butanol liess sich allerdings bisher nach seiner Herstellung durch ABE-Fermentation schwer von der entstandenen Brühe aus Wasser, Ethanol, Aceton und fermentierter Biomasse abtrennen. Das gelingt jedoch jetzt durch Adsorption an ein metallorganisches Gerüst auf Basis von Kupferionen und Carboran-Carboxylat-Liganden (mCB-MOF-1). Entwickelt wurde dieses neuartige «metal-organic framework» (MOF) von Wissenschaftlern in der Schweiz (EPFL, Lausanne), China, Grossbritannien, Spanien und Oregon (USA) [3].

Endlich sinnvoller Syntheseweg

Jenseits der Alkohole eignen sich weitere Verbindungen als Bio-Kraftstoff. Zum Beispiel 2,5-Dimethylfuran (DMF): Es weist eine höhere Oktanzahl auf als Ethanol, eine bessere Energieintensität und einen

Bilder 2 und 3: Grün und nachhaltig und wahrscheinlich weniger ölbasiert: So werden Treibstoffe der Zukunft aussehen.

für die Praxis günstigen Siedepunkt (92 bis 94 °C). DMF lässt sich aus Biomasse herstellen, und zwar über 5-Hydroxymethylfurfural (HMF). Bei der Umsetzung von HMF zu DMF entstehen allerdings nach gängigen Verfahren zu viele unerwünschte Nebenprodukte. Zum Beispiel betrug die Ausbeute bei der Herstellung aus Fructose in einem zweistufigen Prozess nur 71 Prozent [4,5]. Mithilfe eines Palladium-Nanopartikel-Katalysators gelang aber jetzt in Anwesenheit von Wasserstoff unter milden Bedingungen eine quantitative Umsetzung. Als entscheidend erwies sich ein Zusatz von Ameisensäure. Sie verschiebt das Reaktionsgeschehen von der Hydrierung der Aldehydgruppe des DMF zur Hydrogenolyse der Hydroxymethylgruppe. Genauer: Durch Ameisensäure wird die C-OH-Gruppe protoniert, was wiederum den Bruch der C-O-Bindung erleichtert und letztlich die Reaktionsgeschwindigkeit erhöht.

Bio-Kerosin: CO2aber zu teuer -neutral,

Synthetische Bio-Kraftstoffe sind über das Automobil hinaus auch für andere Verkehrsträger denkbar. Der gemäss Powerto-Kerosene (KIT, s.o.) gewonnene Flugzeugtreibstoff verbrennt sogar ohne nennenswerte Mengen an aromatischen Kohlenwasserstoffen und verursacht daher praktisch keine Russbildung – klimaneutral und schadstoffarm. Ein Wermutstropfen bei Bio-Kerosin ist die ökonomische Kalkulation. An der ETH Zürich kam kürzlich eine Arbeitsgruppe um Prof. Marco Mazzotti zu diesem Schluss: Synthetischen Treibstoff aus CO2 herzustellen, kommt zurzeit dreimal so teuer, wie das CO2 einfach im Untergrund zu speichern. Und diese Technologie (carbon capture and storage, CCS) ist ausgereift; unterirdische Lagerstätten sind in Betrieb (z.B. in der Nordsee). Die gängigen Energie-Alternativen erscheinen unpraktikabel: Voraussetzung für den Wasserstoffbetrieb wäre eine komplette Neuentwicklung von Flugzeugen und Kraftstoff-Infrastruktur. Und Batterien für einen Elektroantrieb sind für die Langstrecke einfach zu schwer. Gerade hier jedoch geht besonders viel CO2 in die Luft. Denn obwohl Flüge über 4000 Kilometer und mehr im Jahr 2020 nur 6,2 Prozent der

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Bilder 4 und 5: Voraussetzung für den Erfolg: Prozess-Know-how und massgeschneiderte Bio-Kraftstoff-Analytik.

Abflüge ausmachten, waren sie laut der europäischen Luftsicherheitszentrale Eurocontrol für knapp 52 Prozent des CO2-Ausstosses verantwortlich.

Neuer Kurs auf See

Für den Schiffstank eignet sich Bio-Ethanol aus Weizenstroh oder anderem cellulosebasierten Material (z.B. Laub, Sägemehl, Restholz). Bei der Herstellung leitet man das Roh-Ethanol bei 350 °C und 20 bar über katalysatorbeschichtete Aktivkohle. In Vergleichsrechnungen ist ein Forscherteam des Fraunhofer-Instituts Umsicht, Oberhausen, je Megajoule gewonnener Energie auf eine Spanne von 64,3 bis 91,6 Gramm CO2-Äquivalente für den «WeizenstrohKraftstoff» gekommen – immerhin bis zu 32 Prozent weniger als bei erdölbasiertem Dieselkraftstoff (94 Gramm CO2-Äquivalente). Das könnte wesentlich zum Kurswechsel Richtung CO2-Neutralität beitragen. Denn weltweit ist die Schifffahrt für den Ausstoss von etwa einer Milliarde Tonnen Kohlendioxid verantwortlich, und der Dieselantrieb dürfte auf See noch lange konkurrenzlos bleiben. Vielleicht das Beste an dem Verfahren: Es ist marktreif und so unkompliziert, dass ein Reeder seinen BioDiesel selbst herstellen und den Schiffstank damit komplett füllen kann. Das hat eine ganz andere Qualität, als wenn man lediglich dem erdölbasierten Kraftstoff geringe Anteile Bio-Sprit zumischt (E10) oder Cellulose an geeigneter Stelle in einen bestehenden Erdölraffinationsprozess einschleust.

Prozess-Know-how und Bio-Kraftstoff-Analytik

Damit weisen synthetische Bio-Kraftstoffe gegenüber Wasserstoffbetrieb und Elektromobilität so manchen Pluspunkt auf. Die Ilmac in Basel zeigt dem Besucher die Potenziale und viele Ansatzpunkte, die betreffenden Technologien selbst mit voranzutreiben beziehungsweise von ihnen zu profitieren. Als entscheidend dürfte sich in der Herstellung das Prozess-Know-how, speziell die Temperaturführung, nebst der zugehörigen Sensorik erweisen. Auch eine massgeschneiderte Bio-Kraftstoff-Analytik trägt zum Erfolg bei. Denn so mancher Rohstoff weist schwankende Qualitäten auf. Es handelt sich schliesslich oft um Naturprodukte.

Literatur [1] Daniel Laudenschleger, Holger Ruland, Martin Muhler, «Identifying the nature of the active sites in methanol synthesis over Cu/ZnO/Al2O3 catalysts», Nature Communications (2020) [2] Olivier N. Lemaire, Tristan Wagner, «Gas channel rerouting in a primordial enzyme: Structural insights of the carbonmonoxide dehydrogenase/acetyl-CoA synthase complex from the acetogen Clostridium autoethanogenum», BBA – Bioenergetics (2020) [3] Lei Gan, Arunraj Chidambaram, Pol G. Fonquernie, Mark E. Light, Duane Choquesillo-Lazarte, Hongliang Huang, Eduardo Solano, Julio Fraile, Clara Viñas, Francesc Teixidor, Jorge A. R. Navarro, Kyriakos C. Stylianou, José G. Planas, «A Highly Water-Stable meta-Carborane-Based Copper Metal–Organic Framework for Efficient High-Temperature Butanol Separation», Journal of the American Chemical Society 2020 142 (18), 8299-8311; DOI: 10.1021/ jacs.0c01008 [4] Y.Román-Leshkov, C. J. Barrett, Z. Y. Liu, J. A. Dumesic, Nature 2007, 447, 982– 985 [5] Y. Román-Leshkov, J. N. Chheda, J. A. Dumesic, Science 2006, 312, 1933-1937

Ilmac Basel 2021 Dauer: Dienstag, 19. Oktober, 9.00 bis 17.00 Uhr Mittwoch, 20. Oktober, 9.00 bis 18.30 Uhr Donnerstag, 21. Oktober, 9.00 bis 17.00 Uhr Ort: Messe Basel, Halle 1.0 Veranstalter: MCH Messe Schweiz (Basel) AG info@ilmac.ch www.ilmac.ch

Woher kommen sie?

Seltene Erden im Abwasser

Aus der Industrie, aber auch aus Spitälern gelangen vermehrt Metalle der Seltenen Erden wie Cer und Gadolinium ins Abwasser. Das zeigen neuere Untersuchungen des Wasserforschungsinstituts Eawag in 63 Abwasserreinigungsanlagen in der Schweiz.

Bärbel Zierl ¹

Ohne Metalle der Seltenen Erden geht heute fast nichts mehr. Es gäbe keine Smartphones, Flachbildschirme, LED-Lampen, Akkus, Elektromotoren und auch viele andere elektronische Geräte nicht. In der Hightech-Industrie, etwa in der Automobil-, der Elektronik- und der Energiebranche und in der Medizin sind die wertvollen Rohstoffe nicht mehr wegzudenken. Von zunehmendem Interesse ist daher, wohin die Seltenen Erden nach Gebrauch verschwinden.

Kein seltenes Ereignis

Das Wasserforschungsinstitut Eawag hat jetzt im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (Bafu) erstmals Seltene Erden im

¹ Eawag, Dübendorf Nachklärbecken einer Abwasserreinigungsanlage aus der Vogelperspektive.

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Schweizer Abwasser genauer unter die Lupe genommen. Ein Team von Forschenden der beiden Abteilungen Verfahrenstechnik sowie Wasserressourcen und Trinkwasser untersuchte dazu die Klärschlämme von 63 Schweizer Abwasserreinigungsanlagen (ARA). Das Wichtigste vorweg: Seltene Erden, die in Industrie und Spitälern eingesetzt werden, landen nicht selten im Abwasser.

Herausforderung: Die Suche nach den Quellen

Zuerst schätzte das Forscherteam ab, welche Mengen der Seltenen Erden aus natürlichen Quellen stammt. Denn nur so lässt sich auch beurteilen, welchen Anteil der Mensch hinzufügt. Dazu analysierten die Forschenden Bodenproben aus der Schweiz und berücksichtigen dabei sogenannte PAAS-Werte (post-Archaean Australian shales), welche die durchschnittliche Zusammensetzung der Seltenen Erden in der Erdkruste reflektieren. So erhielten sie die in der Schweiz natürlich vorkommende Zusammensetzung der Seltenen Erden – das Hintergrundmuster. Zudem entwickelte das Forscherteam zwei neue Methoden, um aus den im Abwasser gemessenen Konzentrationen und dem natürlichen Muster auf den Anteil aus industriellen Quellen schliessen zu können.

Aus spezialisierten Anwendungen in der Industrie

Das Ergebnis: Im Klärschlamm der meisten ARAs entsprechen die gefundenen Konzentrationen der Seltenen Erden dem natürlichen Hintergrundmuster. In einigen wenigen ARAs jedoch, insbesondere in denen in Yverdon, Bioggio, Hofen und Thal, waren die Konzentrationen einzelner Seltener Erden deutlich erhöht. Das Forscherteam schliesst daraus, dass Seltene Erden nicht grossflächig eingesetzt werden, sondern aus hoch spezialisierten Anwendungen in der Industrie stammen. Die höchsten Konzentrationen wurden für Cer (auch Cerium genannt) nachgewiesen. Cerdioxid wird in der Industrie oft als Schleifmittel eingesetzt. Hochgerechnet auf die Schweiz erreichen über 4000 Kilogramm Cer jährlich die ARAs, davon rund die Hälfte aus industriellen Anwendungen.

Seltene Erden wie Cer (Ce) und Gadolinium (Gd) kommen in der Natur vor, werden aber auch in Industrie und Spitälern immer häufiger eingesetzt. Über das Abwasser gelangen die Seltenen Erden in Abwasserreinigungsanlagen (ARA). Ein Grossteil des Cers wird dort im Klärschlamm abgeschieden. Gadolinium wird jedoch kaum im ARA zurückgehalten und fliesst mit dem gereinigten Abwasser in die Gewässer.

Im Klärschlamm bleibt ein sehr grosser Teil davon hängen, etwa 95 Prozent. Der Rest gelangt in die Umwelt. Die Forschenden gehen deswegen davon aus, dass in der nächsten Zeit auch in Seen, Flüssen oder Grundwasser erhöhte Cer-Konzentrationen gefunden werden.

Medizinische Kontrastmittel als Quelle vermutet

Ein besonderer Fall ist Gadolinium: Bereits vor 20 Jahren wurden in Europa erhöhte Konzentrationen in Gewässern nachgewiesen. Als Quelle vermutete man das Abwasser aus Spitälern. In der aktuellen Studie der Eawag fanden die Forschenden rund 80 Prozent des insgesamt aus industriellen Quellen stammenden Gadoliniums in der ARA von Ramsen in der Nähe des Bodensees an der deutsch-schweizerischen Grenze. Die ARA behandelt Abwasser aus der Stadt Singen in Deutschland, wo sich ein Krebszentrum mit MRI-Einrichtungen befindet. In der Region werden zudem Gadolinium-basierte Kontrastmittel hergestellt. Die Ergebnisse bestätigen daher die bisherige Vermutung, dass das im Klärschlamm gefundene Gadolinium auf die Produktion oder den Einsatz von Kontrastmitteln zurückzuführen ist. Entsprechende Massnahmen zur Reduktion des Eintrags von industriellem Gadolinium ins Abwasser seitens Industrie wurden bereits getroffen und werden zu einer markanten Reduktion der Gadolinium-Fracht führen.

Offene Fragen bleiben

Anders als bei den anderen Seltenen Erden ist die Konzentration von Lanthan in den Klärschlämmen praktisch aller untersuchten ARAs erhöht. Eine mögliche Ursache könnten biologische Prozesse sein, die den Rückhalt von Lanthan im Klärschlamm verändern. Eine andere Erklärung wäre der Einsatz von mit Lanthan angereicherten Düngern in der Landwirtschaft. Inwieweit biologische Prozesse oder Dünger für die erhöhten Werte verantwortlich sind, muss aber noch genauer untersucht werden. Die Studie wurde vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) in Auftrag gegeben und finanziert.

Originalpublikation Ralf Kaegi, Alexander Gogos, Andreas Voegelin, Stephan J. Hug, Lenny H.E. Winkel, Andreas M. Buser, Michael Berg, «Quantification of individual Rare Earth Elements from industrial sources in sewage sludge» Water Research X (2021); https://doi.org/ 10.1016/j.wroa.2021.100092

Kontakt Eawag Überlandstrasse 133 CH-8600 Dübendorf +41 58 765 55 11 info@eawag.ch www.eawag.ch

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