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Europaweite Studie

Zu viel Stickstoff hemmt Waldwachstum

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Zusätzlicher Stickstoff regt das Baumwachstum an. Geraten aus Luftverunreinigungen jedoch jährlich mehr als etwa 30 Kilogramm pro Hektar in einen Wald, dann verringert sich der Holzzuwachs, denn es fehlen andere für das Wachstum wichtige Elemente. Dies zeigt eine in 23 europäischen Ländern durchgeführte Studie unter Leitung der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL).

Dr. Reinhard Lässig¹

Bisher gingen Waldökologinnen und Forstwissenschaftler oft davon aus, dass aus Luftverunreinigungen stammender Stickstoff meist zu mehr Holzzuwachs führt. Dieser Nährstoff wirkt wie Dünger und ist ein wichtiger Baustein für das Wachstum von Pflanzen. Werden aber gewisse Grenzen an zusätzlichem Stickstoff überschritten, kann das Wachstum gehemmt werden. Bisher war nicht klar, inwieweit diese Wachstumshemmung in den europäischen Wäldern tatsächlich auftritt. Wer langfristig vorhersagen will, wie Waldökosysteme auf Umweltveränderungen wie den Klimawandel reagieren, der muss die wesentlichen Treiber des Baumwachstums und der Waldentwicklung kennen und einschätzen können. Darum untersuchte ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der WSL, welchen Einfluss Stickstoff auf das Wachstum von Bäumen hat.

Nährstoffmangel trotz Überfluss Die Forschenden wiesen nun nach, dass das durch Stickstoff bewirkte zusätzliche Wachstum europaweit begrenzt ist. Die in 23 europäischen Ländern auf 442 Waldbeobachtungsflächen erhobenen Daten zeigen, dass der Zuwachs nahezu überall ab einem Grenzwert von etwa 30 Kilogramm Stickstoff pro Hektar und Jahr abnimmt. Unterhalb dieses Grenzwertes hingegen steigert Stickstoff in der Regel

Austausch der Sammler zur Bestimmung des Stoffeintrags durch Regen in Vordemwald AG.

den Zuwachs. Der Grund für einen aus bleibenden weiteren Anstieg des Wachstums liegt in den fehlenden Mengen anderer wichtiger Nährstoffe und in der Bodenversauerung. Im Rahmen des europäischen Waldbeob achtungs-Netzwerks «ICP Forests» gingen Forschende in ganz Europa dieser Frage auf den Grund. Sie erhoben dazu von 1995 bis 2010 an etwa 100000 Nadelund Laubbäumen mehrere Millionen Messdaten, sie erfassten in diesen Wäl dern Messgrössen wie Art, Höhe und Stammdurchmesser der Bäume sowie verschiedene Klima- und Umweltfaktoren, zum Beispiel den Schadstoffeintrag aus der Luft und die Bodenqualität. Schliesslich prüften sie, ob verschiedene Grössen über 15 Jahre hinweg ähnliche Entwicklungen zeigten. In diese Studie sind auch Daten von Fichten, Föhren und Buchen aus Schweizer Beobachtungsflächen eingeflossen: Alptal (Kanton Schwyz), Beatenberg (Bern), Isone (Tessin), Lausanne (Waadt), Lens (Wallis), Neunkirch (Schaffhausen) und Othmarsingen (Aargau).

Stickstoff ist wichtigster Umweltfaktor Trotz der grossen Unterschiede bezüglich Geografie, Geologie, Boden, Meereshöhe, Klima und anderen Umweltfaktoren beeinflussten vor allem die Anzahl der Bäume – und damit der Konkurrenzdruck – sowie das Alter der Waldbestände den jährlichen Durchmesser- und Höhenzuwachs der Bäume. Das bedeutet, dass sich die Bewirtschaftungsform und -intensität der Forstdienste und Waldeigentümer auf den Zuwachs an Holz und Blattmasse auswirken. Der über die Luft in den Boden ein-

Meteostation mit Ozon-Passivsammlern im Tessin.

getragene Stickstoff war jedoch der wichtigste Umweltfaktor. Erstmals in Europa konnten die Forschenden nachweisen, dass es einen sogenannten Kipp-Punkt gibt, und zwar im Schnitt bei 25 bis 35 kg Stickstoff pro Hektar und Jahr. Liegt der lokal ermittelte Wert über dem KippPunkt, wachsen die Bäume weniger. Am stärksten war dieser Effekt bei Buchen. In Versuchen hatten Forschende in den letz ten Jahrzehnten für mitteleuropäische Wälder einen Stickstoffgrenzwert von 10–20 kg/ha/Jahr ermittelt. Die beiden Werte können jedoch nicht direkt verglichen werden. Letzterer Wert bezieht sich auf langfristig erhöhte Stickstoffeinträge, nicht nur mit Blick auf das Baumwachstum, sondern auch auf andere mögliche Auswirkungen (Biodiversität, Flechten, Pilze, Nitratauswaschung). Fest steht: Zu viel Stickstoff bringt das Nährstoffgleichgewicht im Waldökosystem ins Wanken. «Über die Höhe dieses Grenzwertes diskutieren Forschende seit Jahrzehnten. Im Rahmen der europaweiten Zusammenarbeit gelang es uns erstmals, einen konkreten Grenzwert für das Baumwachstum auf einer derart grossräumigen Skala in natürlich gewachsenen und bewirtschafteten Wäldern zu bestimmen», sagt Sophia Etzold von der WSL, die leitende Autorin dieser Studie. Im Vergleich zum Stickstoff, der mittlerweile zum grössten Teil aus landwirtschaftlichen Betrieben (z. B. Gülle, Tierfutter und Kunstdünger) und immer weniger aus Verbrennungsprozessen stammt, hatten andere Umweltfaktoren wie z. B. Lufttemperatur, Niederschlag oder Ozon überall einen geringeren Einfluss auf das Baumwachstum. Die Resultate legen nahe, dass der Stickstoffausstoss weiterhin begrenzt werden sollte, um globalen Einbussen auf das Wachstum der Wälder vorzubeugen.

Originalpublikation S. Etzold et al., «Nitrogen deposition is the most important environmental driver of growth of pure, even-aged and managed European forests», Forest Ecology and Management (2020), 458: 117762 (13 pp.); DOI: 10.1016/j.foreco.2019.117762

Kontakt Eidg. Forschungsanstalt WSL Zürcherstrasse 111 CH-8903 Birmensdorf +41 44 739 21 11 wslinfo@wsl.ch www.wsl.ch

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Chemikaliencocktails

Die Mischung macht das Gift

Einst genügte es, einzelne Chemikalien als Verursacher für schädliche Auswirkungen auf Mensch und Umwelt auszumachen. Doch wie sich mittlerweile zeigt, greift dieser Ansatz zu kurz. Denn die reale Welt ist von multiplen Belastungen und Chemikaliencocktails geprägt. Eine Studie stellt methodische Ansätze vor, mit denen Chemikalien, die in komplexen Mischungen von Bedeutung sind, isoliert, charakterisiert und verfolgt werden können.

Chemikalien haben unsere Lebensqualität verbessert. Doch gleichzeitig geht von ihnen ein erhebliches Risiko für Mensch und Umwelt aus: Pestizide, Pharmazeutika und Weichmacher gelangen in die Umwelt und in die Nahrungskette und bringen neben den erwünschten auch unerwünschte Effekte mit sich. Trotz gesetzlicher Bestimmungen werden diese Chemikalien nicht angemessen erfasst und unzureichend bewertet. Das liegt unter anderem daran, dass der derzeitige Ansatz, mit dem das Gefahrenpotenzial von Chemikalien bewertet wird, auf relativ wenigen Einzelkomponenten beruht. Mittlerweile weiss man aber, dass Mensch und Umwelt einem Cocktail von zehntausenden Chemikalien ausgesetzt sind. Nur ein Bruchteil davon wurde bislang identifiziert. Die Wirkung auf biologische Systeme sowie die Rolle von einzelnen Chemikalien und Abbauprodukten im Cocktail ist also weitgehend unklar.

Eignungsprüfung von analytischen Methoden Zudem wächst die Zahl neu registrierter Chemikalien rasant an: Von 20 Millionen im Jahr 2002 auf 156 Millionen im Jahr 2019. Das alles macht es schwierig, Ursache-Wirkungs-Beziehungen aufzudecken, und verlangt nach neuen Denkmodellen und methodischen Ansätzen. In ihrem Review fassen die Autorinnen um Prof. Beate Escher vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) deshalb Technologien zusammen, die sich eignen, Chemikalien in komplexen Mischungen zu identifizieren und ihre Wirkungen zu erfassen. Zudem bewerten sie deren Möglichkeiten und Grenzen. Die Publikation macht deutlich, dass es nicht nur um analytische Methoden geht

Dass erst die Mischung von unterschiedlichen Chemikalien zum Problem werden kann, ist bereits seit Jahren bekannt. Dennoch ist keine umfassende Regulierung vorhanden, die diesen Mischungseffekten Rechnung trägt.

– auch das «Was» und «Wie» der Probenahme und -aufbereitung entscheidet über den Erfolg der Analytik. Gemeinsame Ansätze für diverse Probenarten – von Wasser und Boden bis Blut oder Gewebe – erlauben, die Ergebnisse später zu vergleichen. Als besonders innovativ werden beispielsweise spezielle Wischtücher oder Silikonarmbänder hervorgehoben, die die persönliche Exposition von Menschen mit Schadstoffen erfassen können.

Auch unterhalb der Nachweisgrenze ein Risiko Die Möglichkeiten der chemischen Analytik haben sich mit der Entwicklung und der Zugänglichkeit der hochauflösenden Massenspektrometrie (HR-MS) stark verbessert. Gekoppelt mit weiteren Technologien können damit zehntausende Signale in biologischen und Umweltproben nachgewiesen werden. Sie ist auch die Basis für ein «Verdachtsscreening» zur Identifizierung unbekannter Chemikalien in komplexen Mischungen. «Das versetzt uns unter anderem in die Lage, neue problematische Schadstoffe in der Umwelt zu erkennen», so Beate Escher. «Aber alle Stoffe können wir damit niemals erfassen. Auch Stoffe unterhalb ihres Detektionslimits und unterhalb ihrer Effektschwelle können zum Risiko beitragen.»

Biologie muss der chemischen Analytik helfen Die Forscherinnen empfehlen daher ergänzend zur chemischen Analytik bioanalytische Werkzeuge, die bei der Bewertung der Toxizität von Abwasser und Sedimenten insbesondere Mischeffekte erfassen

Die Proben stehen auf dem Probenkarussell des Autosamplers bereit zur Analyse. Doch eine klassische analytische Methode allein reicht bei der Problematik von Mischungseffekten nicht aus.

können. Traditionell wurden dafür «in vivo»-Biotests mit ganzen Organismen durchgeführt, deren Nachteil ein geringer Probendurchsatz war. Mit der Weiterentwicklung zellbasierter «in vitro»-Biotests eröffnen sich nun weitere Möglichkeiten – sie können Tierversuche ersetzen und sind für Hochdurchsatzroboter geeignet. «Die Anwendung von ‹in vitro›-Hochdurchsatzverfahren zur Umweltrisikobewertung von Gemischen und komplexen Umweltproben ist erst im Entstehen, hat aber ein riesiges Potenzial», ist Beate Escher über zeugt. Durch die Ergänzung der hochauflösenden Massenspektrometrie mit bioanalytischen Werkzeugen lassen sich Informationen über die Auswirkungen aller Chemikalien in einer Probe gewinnen. Die Kombination dieser beiden Werkzeuge habe laut Escher das Potenzial, die Umweltüberwachung zu revolutionieren. Auch aus diesem Grund wurde am UFZ die Technologie-Plattform «Chemicals in the Environment Profiler» aufgebaut. Sie erlaubt die Vorbereitung und Testung von Proben mit analytischen und bioanalytischen Hochdurchsatzverfahren. Doch die Plattform ist mehr als reine Hardware. Sie ist ein Konzept, um das Ex posom zu charakterisieren – also die Gesamtheit aller Umwelteinflüsse zu erfassen, denen ein Individuum lebenslang ausgesetzt ist. Dazu gehören externe Faktoren (Chemikalien in der Luft, im Wasser oder in der Nahrung) und interne Komponenten, die ein Organismus als Reaktion auf verschiedene Belastungen produziert.

Fazit: Neue Regulierung dringend erforderlich Die Zahl der Chemikalien, die in Umweltproben mithilfe ausgefeilter instrumenteller Analysen identifiziert werden, nimmt ständig zu. In den vergangenen Jahren wurden bessere Methoden entwickelt, um ihre kombinierten Wirkungen und Mechanismen der Toxizität zu untersuchen. Es bleibt dennoch eine Herausforderung, die Ursachen für chemischen Stress in der Umwelt zu erklären. Die Verbindungen zwischen Umwelt, Natur und Mensch können nur durch einen integrierten Ansatz für Monitoring und Bewertung hergestellt werden. Die Verfolgung von Chemikalien und ihren Umwandlungsprodukten in der Umwelt und in unserem Körper ist eine immense (bio)analytische Herausforde rung: Probenahme, Extraktion, chemischer Nachweis und Datenanalyse müssen aufeinander abgestimmt werden, um robuste Informationen zu erhalten. Die Quantifizierung von Mischeffekten ist eine Möglichkeit, alle vorhandenen Chemikalien und ihre bioaktiven Umwandlungsprodukte zu erfassen. Angesichts der eindeutigen Relevanz von Gemischen und der Tatsache, dass Tausende von Chemikalien in der Umwelt und in unserem Körper vorkommen, ist ein Wechsel des bestehenden Regulierungsparadigmas hin zu Mi schungseffekten dringend erforderlich.

Originalpublikation Beate I. Escher, Heather M. Stapleton, Emma L. Schymanski, «Tracking Complex Mixtures of Chemicals in our Changing Environment», Science (2020); https://doi. org/10.1126/science.aay6636

Kontakt Prof. Dr. Beate Escher Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) Permoserstrasse 15 D-04318 Leipzig +49 341 235 1244 beate.escher@ufz.de www.ufz.de

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