Abstract versus Mimesis

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ABSTRAKTION VERSUS MIMESIS Ein 채sthetischer Vergleich zweier grafischer Userinterfaces mit Blick auf die moderne Kunst Kontaktdaten: Simon Broich hi@simonbroich.de



INHALT

EINLEITUNG | 4 1 USER INTERFACE DESIGN | 5 1.1 Das Zeug zur Macht | 5 1.2 Vom textbasierten zum grafischen Interface | 6 1.3 Anatomie des grafischen User Interface | 9

2 ABSTRAKTER ANSATZ BEI WINDOWS PHONE | 13 2.1 2.2 2.3 2.4

Malewitsch als Präzedenzkünstler der Moderne | 13 Das Schwarze Quadrat auf weißem Grund als Präzedenzwerk der Moderne | 15 Das Interface von Microsoft Windows Phone | 17 ‹Evernote› als Beispielapp | 19

3 FIGURATIVER ANSATZ BEI ‹IOS› | 22 3.1 3.2 3.3 3.4

Hopper als Präzedenzkünstler der Moderne | 22 Excursion into Philosophy als Präzedenzwerk der Moderne | 24 Das Interface von Apple ‹iOS› | 26 ‹Evernote› als BeispielApp | 29

4 VERGLEICH | 31 4.1 4.2 4.3 4.4

Vergleich der Präzedenzkünstler der Moderne | 31 Vergleich der Präzedenzwerke | 32 Vergleich der Interfaces | 32 Vergleich der Beispielapp33

5 FAZIT | 34 LITERATURVERZEICHNIS | 37 ABBILDUNGSVERZEICHNIS | 39 EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG | 40

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EINLEITUNG

Als Microsoft im Oktober 2010 mit seinem mobilen Betriebssystem Windows Phone 7 erstmals seine Designsprache ‹Metro› vorstellte, wurde diese weitestgehend positiv angenommen. Es ist übertrieben, von einem Paradigmenwechsel bei der Gestaltung von Betriebssystemen für mobile Geräte zu sprechen, jedoch hebt sich ‹Metro› auf angenehme Art von der vorherrschenden Konkurrenz wie Apple ‹iOS› und Google Android ab. Aber was ist so besonders an ‹Metro›? Dieser Frage möchten wir in der vorliegenden Arbeit nachgehen. Dabei werden wir Windows Phone mit dem zur Zeit des Verfassens dieser Arbeit dominantesten Mitbewerber ‹iOS› von Apple vergleichen. Gemeinhin gilt Apple als Erfinder des grafischen Interfaces und hat bis heute zahlreiche Entwicklungen auf dem Gebiet vorangetrieben, wie etwa auch die massenmarkttaugliche Touchbedienung, die 2007 mit der Launcierung des ersten Iphones und dessen Betriebssystem ‹iOS› (damals noch iPhone OS) Einzug hielt. Inhaltlich beginnt diese Arbeit mit einem groben Überblick über Interface Design. Dabei ziehen wir den Philosophen Peter Sloterdijk heran, der in seinem Vortrag ‹Das Zeug zur Macht› Design und dabei vor allem Interface Design als «Management von Inkompetenz» definiert. Design helfe in Form von Produkten dem Konsumenten, sich nicht so hilflos zu fühlen, wie er defacto ist, da das Innenleben der meisten Geräte die Kompetenz von diesem überschreitet. Dabei sieht Sloterdijk das Ritual als Vorläufer des heutigen Designbegriffes. Danach zeichnen wir einen kurzen Abschnitt der Entwicklung der Geschichte des grafischen Interfaces nach und konzentrieren uns dabei auf den Schritt vom kommandozeilenbasierten zum grafischen Interface. Darauf folgt der erste Teil des Vergleiches in Form des Abstrakten bei Malewitsch und Windows Phone. Beginnen werden wir mit einen Einblick in das Werk des Künstlers Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch, der als Mitbegründer der abstrakten Kunst gilt und mit seinem Gemälde ‹Das Schwarze Quadrat › eine Ikone der modernen Kunst geschaffen hat. Zunächst widmen wir uns einem Überblick über die Person Malewitschs, seiner Theorie sowie dem Begriff des ‹Suprematismus›, bevor wir im Detail auf sein bekanntestes Gemälde ‹Das schwarze Quadrat› eingehen. Danach widmen wir uns Windows Phone und dessen Designsprache ‹Metro›. Dies geschieht zunächst auf theoretischem Wege, worauf ein praktischer Einblick in die Ästhetik folgt anhand der App ‹Evernote›. Die Untersuchung des Mimetischen folgt der gleichen Struktur. Zunächst gehen wir auf den realistischen Künstler Edward Hopper ein und untersuchen dessen Leben und Werk. Im Anschluss sehen wir uns sein Gemälde ‹Excursion into Philosophy› genauer an und beziehen uns dabei u. a. auf eine Interpretation Wilhelm Schmids. Der Kern dieses Kapitels wird die Analyse von Apple ‹iOS› sein, welches wir ebenfalls zunächst auf theoretischem Wege und anschließend auf ästhetischer Ebene anhand von ‹Evernote› untersuchen werden. Im Anschluss werden wir diese konkret vergleichen. Dazu ziehen wir die Ergebnisse der Analysen der Präzedenzkünstler, der Präzedenzwerke sowie der Interfaces mit der Beispiel- App heran. Im Fazit erörtern wir diese wiederum und versuchen Perspektiven für die Zukunft aus der Arbeit abzuleiten.

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1 USER INTERFACE DESIGN

1.1 DAS ZEUG ZUR MACHT Unsere Moderne ist geprägt von einem Leistungswettlauf. Mit dem unaufhörlichen Anstieg der Gesamtkompetenz unserer zivilisierten, individualistischen Gesellschaft wird die Rolle des Einzelnen immer kleiner. «Der Moderne Könner kann immer weniger immer besser»1 postuliert Sloterdijk. Darin zeige sich auch eine gewisse Duplizität. Denn während gemeinhin die private Würde, der Stolz des Individuums in seinem spezifischen Können liegt, sei dies zeitgleich seine tiefste Demütigung. Die Lernkurve der Welt, zu der er selbst beiträgt, übersteige die des Einzelnen um ein Vielfaches. Dies definiere auch die Aufgabe der Gesellschaft, den Einzelnen vor einer zersetzenden Depression zu bewahren, welche aus der erst jetzt sichtbaren gewaltigen Inkompetenz in allem anderen außer seiner Fachdisziplin resultiere. Genau hier findet das Prinzip Design seinen Ansatz, welches im Kern «nichts anderes ist als die gekonnte Abwicklung des Nichtgekonnten».2 Laut Sloterdijk helfe gerade Design dem Einzelnen, indem es ihm das Werkzeug an die Hand gibt, um sich im in eben diesem Nichtgekonnten zurechtzufinden, es suggeriert Kompetenz oder: «Design ist wenn man trotzdem kann.»3 Steigen wir etwas tiefer in Sloterdijks These ein. Die Wurzel dessen liegt fernab des Design- Begriffs und ist in anthropologischen Gedankengängen zu suchen. Sie reicht schließlich bis zur Anfangszeit des Homo Sapiens zurück. Dieser wanderte einst als Werkzeugmacher und Mythenerzähler über das Land in Horden und Stämmen. Obwohl sein Kompetenzhorizont aus heutiger Sicht als sehr eingeschränkt erscheinen mag, war er alles andere als ein hilfloses Opfer seiner Umwelt. Vielmehr ist der heutige Mensch gefährdet, Opfer seiner Inkompetenz zu werden angesichts der breiten Entfaltung ihres Kompetenzfächers. Der Frühmensch jedoch war in voller Kontrolle über alle Handgriffe, die er zum Überleben brauchte. Sollte er einmal an die Grenzen seiner Kompetenz kommen, etwa, wenn Sturm und Gewitter über sein Blätterdach herfielen, gab es immer noch Schutz durch das Ritual. Dabei war es nicht wichtig, durch Gebete zum Wettergott den Sturm zu beruhigen, sondern mit Hilfe des Rituals in psychisch stabiler Form zu bleiben. «Nur wer weiß, was man tut, wenn nichts zu machen ist, verfügt über hinreichend effiziente weiterlaufende Lebensspiele, die ihm dabei helfen, nicht in auflösende Panik oder seelentötende Starre zu verfallen.»4 Seit Menschengedenken schließen sie die Öffnung, die durch unbeeinflussbare Phänomene hervorgerufen wird, durch Rituale ein wenig zu schließen. Dies legitimiert die Auffassung, das Ritual als Vorläufer des Designs aufzufassen.5 Nach einem Absturz einer Maschine der Swiss Air stellte man neben den Rettungsmaßnahmen für die Passagiere auch solche für das «verletze» Firmensignet an, indem man das weiße Kreuz auf rotem Grund übermalte, «Erste Hilfe für ein verunglücktes Firmenzeichen».6 Dadurch wird laut Sloterdijk präzis sichtbar, was «Design im Extremfall will und kann»7 Wie im Ritual erweist sich die Aktion als Ultima Ratio. Der gegenwärtige (Berufs-)Alltag kennzeichnet sich zu einem großen Teil durch den Umgang mit vielerlei Informationstechnologie. Der normale Anwender besitzt dabei keinerlei Kenntnis über die Funktionsweise der Technologie – und will es auch nicht wissen. Sie gleichen für ihn «schwarze[n] Kästen»8 – Blackboxes. Im Umgang mit diesen kommt nach Sloterdijk das Design ins Spiel, damit sich die Blackboxes dem Anwender nützlich machen kann «trotz seiner internen Hermetik».9 Sie laden ihn zur Benutzung ein, «simulieren eine Art 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Sloterdijk 2010, S.11 Sloterdijk 2010, S.12 ebd. Sloterdijk 2010, S. 13 vgl. ebd. Sloterdijk 2010, S. 14 ebd. Sloterdijk 2010, S. 15 ebd.

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von Verwandtschaft […] und flüstern dem Benutzer Appetit, Berührungslüste, Handlichkeitsempfehlungen und Initiativen ein». Sie helfen dem User sich seiner durch Inkompetenz hervorgerufenen Demütigung weniger ausgesetzt zu sein. Design hilft dem Benutzer, sein Unwissen in Macht zu transformieren. Der Designer steht als Vermittler zwischen Hersteller und Endkunden, um ihm Souveränität zu verkaufen. Gewöhnlich «nennt man diese Leistung Mithilfe zur Lebenserleichterung».10 Verwandt ist der Service nach Sloterdijk auch mit den «Rhetorik- und Grammatiklehrern der Antike und den Tanz- und Manierlehrer aristokratischer Zeiten»11, welche den Klienten durch ihre Dienstleistung davor bewahrten, in die hilflosen Situationen der Sprach-, respektive Haltlosigkeit zu fallen. Denn wo «kein Wort mehr passend ist, ist immer noch ein Wort am Platz»12 und wo der Halt verloren gegangen ist, kann man dies immer noch mit guter Haltung auffangen. Design ist die moderne Rekapitulation dieses Rüstzeugs. Nach Sloterdijk liefert es das «technische Zeug zur Macht»13 für all jene, die der Kompetenzsteigerungsspirale nicht waffenlos gegenüberstehen wollen.14

1.2 VOM TEXTBASIERTEN ZUM GRAFISCHEN INTERFACE Der Anfang der Geschichte der grafischen Benutzerschnittstelle (Graphical User Interface, GUI), wie wir sie heute kennen, ist eng mit dem Namen Alan C. Kay verbunden. Bereits 1960 hatte er mit dem ‹Dynabook› die Vision eines tragbaren Computers, der nicht größer als ein Notizbuch sein sollte.15 Obwohl Kay oft als ‹Father of PC› betitelt wird, lässt sich die Geschichte des Computers noch weiter zurückverfolgen. So beginnt die digitale Revolution in den 1930ern, lange bevor die Technologie für die Verwirklichung entwickelt wurde. Damals beschrieb Vannevar Bush, ein Vertreter des technischen Determinismus und Berater Franklin D. Roosevelts ein Gerät mit dem Namen ‹Memex›. Unter für die Zeit typischem, festen Glauben in die Vorteile von Wissenschaft und Technik forderte er ein Mittel, um Herrscher über den «growing mountain of research»16 zu werden. Memex (Akronym für ‹Memory Extender›) sollte ein Gerät sein, «in which an individual stores all his books, records and and communications».17 Gewissermaßen ein Prototyp für Hypertext, Multimediaanwendungen und sogar das Internet.18 Der Aufsatz «As we may think», in dem Bush seine Fiktion skizziert, inspiriert wiederum den Elektroingenieur Douglas Englebart zum Bau eines solchen Gerätes, als dieser den Artikel im Atlantic Monthly liest. In seinem Essay «Augmenting Human Intellect» beschreibt er, dass Computer nicht den menschlichen Intellekt ersetzen, sondern diesen erweitern und ‹verbessern› sollten. Ein erstes, theoretisches Beispiel, das aus seiner Schrift hervorgeht, ist eine Zeichensoftware, die mit heutigen CAD Anwendungen vergleichbar ist.19 Zusammen mit seinen Mitarbeitern stellte Engelbart seine Ergebnisse, die er in jahrelanger Arbeit am Stanford Reasearch Institue erarbeitet hatte, in einer perfekt inszenierten «Tour de Force»20 vor. Eins dieser Resultate war die Maus, die 10 Sloterdijk 2010, S. 16 11 ebd. 12 Sloterdijk 2010, S. 17 13 ebd. 14 vgl. ebd. 15 Friedewald 2005, S.33 16 Friedewald 2005 S. 28 17 Friedewald 2005, S. 29 18 vgl. ebd. 19 Reimer, J.: 2005: A Histroy of the GUI. 04. April 2013. www.arstechnica.com (vgl. Anlage 1) 20 Friedewald 2005, S.33

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wir heute als Standardeingabegerät für die Interaktion mit PCs kennen.21 Zuvor wurden Computer mit sogenannten Lichtgriffeln (‹Light Pens›) bedient. Dieser wurde gehalten, als wolle man auf den Bildschirm schreiben. Durch einen optischen Sensor, der sich an seiner Spitze befindet und den Kathodenstrahl, der bei Röhrenmonitoren frequenzweise auf den Bildschirm fällt, konnte die Position des Griffels auf dem Bildschirm errechnet werden.22 Eine mehr oder weniger direkte Eingabe, allerdings auch sehr unergonomisch. Daneben wurden in der Präsentation noch viele weitere revolutionäre Technologien wie etwa E-Mail, Instant Messaging oder gar Video Konferenzen vorgestellt, die nur wenige in der Audienz verstanden. Trotz des Ideenreichtums wurde das Institut 1989 auf Grund fehlender Investoren geschlossen und so schaffte es auch keine der Ideen in kommerzielle Produkte. Dies übernahm ein Unternehmen, dass viele eher mit «old-fashioned paper»23 konnotieren. Damit wären wir wieder bei Alan Kay, der Engelbarts Präsentation mitverfolgte und als einer der wenigen das Potenzial der gezeigten Ideen erkannte und in seine Arbeit implementierte. Kay kam 1971 mit seiner Vision des «Dynabook» an das frisch gegründete Xerox Palo Alto Research Center (‹Xerox PARC›)24 Xerox verdiente sein Geld zu der Zeit hauptsächlich mit dem Verkauf von Fotokopierern. Man hatte PARC eher aus Angst vor den Aussichten einer papierfreien Zukunft gegründet. Um nicht ins Hintertreffen zu geraten, wollte man die neuen Technologien beherrschen. Wissenschaftler von überall kamen ans Center, um in entspannter Atmosphäre an Fünfjahres-Projekten zu arbeiten. Man glaubte wirklich daran, dort computerbasierte Zukunft zu erschaffen, und schließlich war dem so.25 Das erste, was dort in die Welt gesetzt wurde, war ein Laserdrucker, der sich wunderbar in Xerox angestammtes Geschäftsfeld einfügte. Allerdings erforderte dieser für den Gebrauch Computer mit mehr grafischen Möglichkeiten.26 Zu dieser Zeit wurden Computer via Kommandozeilen-Interface wie z.B. PC-DOS (Disk Operating System) von IBM bedient. Dabei geben Nutzer vordefinierte Befehle in eine Befehlszeile ein. Ein Nachteil dieses Typus von Bedienung ist etwa «Rule number one […] ‹Know What You Are about to do, for There Is No Undo.›»27 Darüber hinaus leistet ein so konzipiertes Betriebssystem dem Nutzer keinerlei Hilfe. Es wird zwingend vorausgesetzt, die Befehle genau zu kennen, ehe man sie einsetzt. Vorher hat der Nutzer keinerlei Information darüber, wozu sein Computer imstande ist. Nutzer können sich nur einfach mit den Kommandos vertraut machen, wenn sie vertraut damit sind, wie ein Computer funktioniert. Das Lernen eines Kommandozeilen-Interface ist etwa vergleichbar mit dem Erlernen einer Fremdsprache: Spricht man mit jemandem, der eine Sprache spricht, die man kaum versteht, gestaltet sich die Kommunikation schwierig. Spricht die Person dagegen die eigene Muttersprache einigermaßen, geht die Kommunikation einfacher vonstatten.28 Demnach haben Computer ihre eigene Sprache, «that developers know, but computers shouldn‘t force users to speak their language when computers have the ability to speak the user‘s language.»29 Die Darstellungstechnik, mit denen diese Art Interfaces realisiert wurden, nennt sich Semigrafik. Neben Zeichen (Anfangs nur Versalien (Großbuchstaben) auf Grund der geringen Speicherkapazität) erlaubte die Technik auch die Darstellung 21 vgl. ebd. 22 Heinecke 2012, S. 78 23 Reimer, J.: 2005: A Histroy of the GUI. 04. April 2013. www.arstechnica.com (vgl. Anlage 1) 24 Friedewald, 2005, S. 33 25 Reimer, J.: 2005: A Histroy of the GUI. 04. April 2013. www.arstechnica.com (vgl. Anlage 1) 26 vgl. ebd. 27 Mandel 1997, S. 136 28 Mandel 1997 S. 136ff. 29 Mandel 1997, S. 136

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von sehr reduzierten Grafiken wie Linien, Kreisen und Quadraten. Unregelmäßige Kurven ließen sich damit jedoch nicht verwirklichen. Für reichhaltigere Grafiken kamen Vektorbildschirme zum Einsatz.30 Bei dieser Technik werden wie bei einem Oszilloskop mit einem Kathodenstrahl direkt Punkte und Linien auf den Bildschirm gezeichnet. Für den von Xerox PARC entwickelten Laserdrucker war eine bessere und erschwinglichere Technik notwendig. Dazu entwickelte man einen Rasterbildschirm. Wie beim herkömmlichen analogen Fernsehen baut ein Kathodenstrahl das Bild zeilenmäßig auf. Dabei kann jeder Bildpunkt (‹Pixel›) unabhängig an- und ausgeschaltet werden, wodurch viel größere grafische Möglichkeiten entstanden.31 Der Bildschirm, mit einer Auflösung von 606 x 808 Pixeln, war dabei das Aushängeschild der eigentlichen Neuheit: dem Computer ‹Alto›, entwickelt 1973. Zusammen mit einer Tastatur und der von Engelbart erdachten Maus war nun alles gegeben, was wir von heutigen Desktopcomputern kennen.32 Auch auf Seiten der Software erkennen wir heute beim Blick auf den Bildschirm noch vieles wieder: Überlappende Fenster, Pop-Up- Menüs und Icons zeichneten das GUI aus. Aus dem Alto ging 1982 mit dem Xerox Star der erste kommerzielle Computer hervor. Ein früher Artikel über den Star beschreibt den Desktop als Ausgangspunkt jedes Users, der einen Büroschreibtisch repräsentiert mit vertrauten Bildern aus dem Büroalltag wie Dokumentenordnern, Datei-Schubladen und Ablagen in Form von Icons. Später würde man dies weltweit als «Messy desk» kennen.33 Wie auch Alan Kay schon zu dieser Zeit richtig erkennt, ist es die enge Bindung an Büro-Metaphern, die als «wing or chains»34 dienen. Die Zielgruppe der Forscher bei PARC waren ebenso Forscher, die zwar wenig vertraut mit Computern waren, sich jedoch in der simulierten Bürowelt vertraut fühlten. Dies galt aber nicht für andere (Berufs-)Gruppen. (vgl. ebd.) Der Name des Interfaces (und gleichzeitig Betriebssystems) lautet Smalltalk. Aus der Kombination mit der ebenfalls von Xerox PARC entwickelten Hardware ergab sich ein integriertes System, wie wir es heute etwa von Apple und OS X respektive ‹iOS› kennen.35 Die Ingenieure von Xerox Park entwickelten Großartiges, waren aber keine erfolgreichen Geschäftsleute. Der Star wurde eingestellt, obwohl in ihm 30 Jahre Forschung und Entwicklung steckten. Das Know-How von Xerox wanderte zu anderen Herstellern ab. Der erfolgreichste darunter war «Apple Computer».36 Das Unternehmen war 1976 von Steve Wozniak und Steve Jobs gegründet worden. Es war ein junges Unternehmen mit viel Kapital und großer Risikofreude, das unter anderem mit dem Apple II (Eigenschreibweise: Apple ][) Erfolg verbuchen konnte. Dorthin wanderten auch viele Forscher von Xerox PARC ab. Während des Zusammenbruchs von Xerox PARC arbeite man bei Apple am Nachfolger des Apple II, dem ‹Lisa›, (benannt nach Jobs‘ Tochter) der auf Basis eines textbasierten Interfaces geplant war. Durch die Emigration von ehemaligen PARC Mitarbeitern wurde der Kurs kurzerhand auf ein grafisches Interface gewechselt. Auf dem Lisa wurden viele Interface-Paradigmen realisiert, die noch heute Verwendung finden. Drag-and-Drop beispielsweise vereinfachte die direkte Manipulation von Entitäten auf dem Bildschirm. So konnten mehrere Dateien mit der Maus ausgewählt und an einen anderen Speicherort verschoben werden. Trotz seiner fortschrittlichen Technik war der Lisa vermutlich auf Grund des hohen Preises von US $10.000 ein Flop. Eine günstigere Alternative musste her.37 Der Lisa-Nachfolger wurde 1984 durch einen legendären Werbespot (unter der Regie von Ridley Scott) angekündigt.38 Ebenso legendär war der Erfolg des für US $2.500 verkauften Apple Macintosh und dessen GUI, welches bis heute gelegentlich als Synonym für Grafisches Interface benutzt wird, möchte man das Thema Unversierten nahebringen: ‹You know, it‘s like the Apple Mac.›39 30 Heinecke 2012, S. 7 31 Heinecke 2012, S. 8 32 vgl. Reimer, J.: 2005: A Histroy of the GUI. 04. April 2013. www.arstechnica.com (vgl. Anlage 1) 33 Mandel 1997, S. 158f. 34 Friedewald, 2005, S. 39 35 vgl. Reimer, J.: 2005: A Histroy of the GUI. 04. April 2013. www.arstechnica.com (vgl. Anlage 1) 36 Mandel 1997, S. 159 37 vgl. Reimer, J.: 2005: A Histroy of the GUI. 04. April 2013. www.arstechnica.com (vgl. Anlage 1) 38 vgl. ebd. 39 Mandel 1997, S. 159


Zusammenfassend lässt sich jedoch sagen, dass an der Entwicklung der grafischen Benutzeroberflächen eine Vielzahl von Individuen beteiligt waren. Oft wird behauptet, Apple habe sein GUI von Xerox PARC gestohlen. Dies ist allerdings gleichsam falsch wie die Aussage, dass das grafische Interface bei Xerox PARC erfunden wurde. Die Dynamik innerhalb des Entwicklungsprozesses ergibt sich erst aus der gegenseitigen Beeinflussung im positiven wie auch negativen Sinne.40

1.3 ANATOMIE DES GRAFISCHEN USER INTERFACE Ein wesentliches Kriterium von grafischen Benutzeroberflächen ist, ob sie so gestaltet ist, dass sie für den Benutzer anregend sind, d.h. dass sie die Aufmerksamkeit des Benutzers auf sich ziehen und ihn dazu motivieren, mit ihnen zu interagieren.»41 Sie muss, um auf Sloterdijk zurückzukommen, «das Kastengesicht dem Kunden ins Naturgesicht lächeln und ihm signalisieren: du und ich, wir können es miteinander»42 (Voraussetzung dafür ist natürlicherweise, dass der Inhalt für den Rezipienten von Interesse ist. Dies soll aber nicht Gegenstand der hiesigen Betrachtung sein. Ein Vorteil von Interfaces ist, dass sie a priori auf Interaktivität basieren und dadurch den Benutzer aktiv in die Anwendung einbeziehen.43 Wie oben angedeutet, wird die Technik, mit Objekten auf dem Bildschirm direkt zu interagieren ‹direkte Manipulation› genannt. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass relevante Objekte persistent sichtbar sind und die physischen Eingaben per Peripherie (etwa einer Maus oder dergleichen) ausgeführt werden anstatt wie bei den kommandozeilenbasierten Interfaces durch Text. Ferner erhält der Nutzer umgehend Feedback bei der Durchführung von Operationen, die zu jeder Zeit reversibel sind. Die essentiellen, «generischen Funktionen»44 sind: Selektieren, Bewegen, Öffnen, Löschen, Erzeugen, Kopieren, Ablegen und Drucken. Direkte Manipulation zu erlernen ist u. a. für uns einfach, da sie auf Metaphern aufbauen, sich aus einer kleinen Anzahl an Aktionen zusammensetzen und auf Grund von Reversibilität auch für Anfänger angstfrei zu bedienen sind.45 Als wesentlicher Punkt im Interface Design erweist sich der Begriff der Metapher. Eine Metapher ist generell ein «sprachlicher Ausdruck, bei dem ein Wort […] aus seinem eigentlichen Bedeutungszusammenhang in einen anderen übertragen wird, ohne dass ein direkter Vergleich die Beziehung zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem verdeutlicht.»46 Metaphern haben den Vorteil, dass sie im Gegensatz zu den oben erwähnten textbasierten Interfaces nicht mit der Problematik einhergehen, den Nutzer dazu zu zwingen, neue mentale Modelle zu bilden. Sie bauen auf der Annahme auf, dass dem Nutzer die Bedienung von Oberflächen leichter fällt, wenn Geräte, Arbeitsumgebungen und Räume aus der Wirklichkeit (also ihrem «eigentlichen Bedeutungszusammenhang») auf den Bildschirm übertragen werden. So kommt etwa für die Sprachaufzeichnung oft ein Kassettenrecorder oder ein Mikrofon als Metapher zum Einsatz. Der User kann sein Wissen über den reellen Gegenstand auf das digitale Surrogat übertragen.47 Darüber hinaus impliziert die Metapher als Verbildlichung etwa von Befehlen und Aktionen weitere Vorteile. So geht die Identifikation von Bildern intuitiv vonstatten. Der Vorzug von Bildern gegenüber verbalen Inhalten in der Perzeption zeigt das bekannte Gemälde «La Trahision des Images» («Der Verrat der Bilder») Rene Magrittes. Darauf sehen wir eine Pfeife und darunter den Satz «Ceci n‘est pas une pipe.» («Dies ist keine Pfeife.»).

Darüber hinaus bieten Bilder eine große Bandbreite an Ausdruck und Charakter für das gestaltete Objekt. Man kann auch von Styles sprechen. Um beim Beispiel zu bleiben, malte Magritte seine Pfeife in einem naturalistischen Stil. Er hätte sie auch pointillistisch oder reduziert geometrisch malen können. Im Interface Design ergibt sich hieraus die Möglichkeit einer einheitlichen, kohärenten Gestaltung. 40 vgl. Reimer, J.: 2005: A Histroy of the GUI. 04. April 2013. www.arstechnica.com (vgl. Anlage 1) 41 Heinecke 2012, S. 243 42 Sloterdijk 2010, S. 16 43 vgl. Heinecke 2012, S. 243 44 Heinecke 2012, S. 208 45 vgl. Heinecke 2012, S. 208f. 46 Bibliographisches Institut GmbH: Metapher. 4. April 2013. www.duden.de (vgl. Anlage 2) 47 Heinecke 2012, S. 78


Abbildung 1 | Magritte: La Trahision des Images

Schließlich dienen Bilder auch der Kommunikation. Während die Bildunterschrift in «La Trahision des Images» nur für frankophone Betrachter verständlich ist, wird die Pfeife von nahezu jedem (zumindest in der westlichen Kultur) verstanden.48 Um diese Punkte näher zu betrachten, lohnt eine kurze Exkursion in die Semiotik, die Wissenschaft der Zeichensysteme. Diese basiert auf dem Prinzip der Repräsentation (aus lat. re- «wieder» und praesentare «zeigen»), die mentale Fähigkeit des Menschen, über Gegenstände zu kommunizieren und zu reflektieren, die nicht physisch vor Ort sind. Dies geschieht insbesondere in grafischen User Interfaces über Zeichen, also ‹something that stands for someone or something in some respect or capacity›.49 Das Zeichen ist das Ergebnis aus der Dreiecksbeziehung zwischen Reprentamen (das, was repräsentiert), dem Objekt (das, was repräsentiert wird) und dem Interpretant (derjenige, der aus der Beziehung beider eine Bedeutung herleitet). Zur Verdeutlichung bietet sich beispielsweise die Darstellung einer Datei auf einem Computer-Interface an. Dabei entspricht der User dem Interpretanten,. die Datei wiederum (etwa eine Textdatei) dem Objekt und das «icon» auf dem Bildschirm dem Representamen, die sich ergebende triadische Struktur die Sem‹iOS›e, welche wiederum auf drei Ebenen stattfindet: Die Syntax bezieht sich auf die dem Representamen inhärente Struktur, die Bestandteile, aus denen er besteht, seine Ästhetik. Mit Semantik wird die Beziehung zwischen Representamen und Objekt bezeichnet, woraus die (beabsichtigte) Bedeutung des Zeichens hervorgeht. Der Effekt, den die Beziehung zwischen Representamen und Objekt auf den Betrachter auf personellem, psychologischen Level hat, nennt man Pragmatik.50 Für das Interface Design kritisch ist der Begriff der Semantik. Hierbei unterscheidet man u. a. zwischen zwei Erscheinungen, die die Beziehung zwischen Representamen und Objekt annehmen kann. Hier wäre zum einen das Bildzeichen (Icon) zu nennen, welches einen recht hohen Ikonizitätsgrad in Bezug zum Objekt 48 Mullet & Sano 1995, S. 170f. 49 Mullet & Sano 1995, S. 170 50 Mullet & Sano 1995, S. 172

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aufweist. Es bezeichnet sein Objekt basierend auf gleichen Qualitäten oder Charakteristiken mit diesem. Doch hier ist Vorsicht geboten. Im Gegensatz zum Englischen wird im Deutschen zwischen den Begriffen «Ikone», «Ikon» und «Icon» differenziert. Dabei bezeichnet ersteres ursprünglich eine Heiligendarstellung in Form eines Tafelbildes in der griechisch-orthodoxen Kirche und ist heute als Bezeichnung für ein Vorbild übergegangen. Das Ikon andererseits bezeichnet das, wovon oben die Rede ist; eine Abbildung mit recht hohem Realitätsgrad. Der aus dem englischen stammende Begriff Icon bezeichnet ein zur Nutzerführung verwendetes Bildzeichen mit einem hohen Unterhaltungsfaktor. Dies steht in Kontrast zum Piktogramm, das seriöser daherkommt.51 Im Gegensatz dazu steht das Symbol, bei dem keine Ähnlichkeit zwischen Representamen und Objekt mehr vorhanden ist. Es kennzeichnet sein Objekt alleinig durch Konvention, die zwischen Interpretanten getroffen wird. Als Beispiel wäre hier etwa das ‹X› zu nennen, welches wir von vielen Desktop Interfaces als Smbol für den Befehl für das Schließen von Fenstern kennen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die meisten Interfaces metaphernbasiert sind und durch eine ikonische Form der Repräsentation ausgezeichnet sind.52 Interfaces, die auf Metaphern als Grundlage setzen, weisen aber auch fatale Nachteile in Bezug auf die Usability (Benutzerfreundlichkeit) auf. Zum einen sind diese nicht oder nur schwer skalierbar. Metaphernbasierte Interfaces entstanden, als User einige dutzend Dateien auf dem Desktop platziert hatten. Große, individuelle Dateisymbole waren eine gute Idee. Doch bei Tausenden von Dateien scheitert dieses System. Außerdem wurden mit der Zeit Dienste entwickelt, die keine reellen Vor- oder Abbilder haben, wie aktuell das Auslagern von Dateien auf externe Server (cloud based services). Oft wird hier das Bild der Wolke gewählt, was bei genauerer Betrachtung jedoch als willkürlich erscheint. Weiter stützen sie sich auf Verständniskonventionen. Diese hängen stark vom sozio-kulturellen Hintergrund des Betrachters ab. Bei vielen Metaphern ist die Bedeutung aber selbst im selben Kulturkreis nicht eindeutig. Bedeutet das Icon eines Flugzeuges «Flug reservieren» oder «Ankunftszeit prüfen»? Letztendlich wird durch Metaphern das Lernen anfangs erleichtert, der Fortschritt aber deutlich eingeschränkt. Durch die Abbildung von Phänomenen aus der Wirklichkeit wird die Möglichkeit von Software deutlich eingeschränkt. Ein Beispiel sind Versuche aus der Anfangszeit der GUIs. Damals experimentierte man mit «Globalen Metaphern», die das Interface z. B. als Stadt darstellten. Jedes Haus beinhaltete etwa ein anderes Programm. Sobald man das Konzept erlernt hatte und wusste, was wo verortet ist, erwies sich das Interface als äußerst lästig, da man (wie in der reellen Welt) oft weite Wege zurücklegen musste, um von A nach B zu kommen.53 Metaphern weisen auch die Gefahr des Metaphernbruchs auf. So ist der Papierkorb auf Apple Mac OS X eigentlich das Beispiel einer gelungenen Metapher. Dass externe Festplatten durch drag-anddrop auf diesen ausgeworfen (‹unmounted›) werden, erscheint wenig logisch.54 Interface- Elemente wie das letztgenannte entsprechen eher einer anderen Gattung von Interfaces, den sogenannten idiomatischen Interfaces. Idiome sind etwa Sprachspiele wie «cool» oder Phraseologismen wie «auf den grünen Zweig kommen». Sie setzen nicht auf intuitive Analogieschlüsse aus der Wirklichkeit, sondern müssen erlernt werden. Der menschliche Geist weist eine erstaunliche Stärke beim Lernen von Idiomen auf. Auch bei unserer Sprache handelt es sich um ein Idiom. Offensichtlich handelt es sich auch bei den meisten Metaphern bei GUIs tatsächlich um Idiome. Das Beispiel des Papierkorbs ist eines. Aber auch Hyperlinks, Titelleisten oder Drop-down-Menüs sind visuelle Idiome. Ein wesentliches Element von guten Idiomen ist, dass sie nur einmal gelernt werden müssen. Wie gut dieser Lernvorgang funktioniert, wissen Werbeprofis schon lange, wenn 51 Abdullah & Hübner 2005, S. 204 52 Mullet & Sano 1995, S. 172 53 Cooper, Reimann & Cronin 2010, S. 261ff. 54 Mandel 1997, S. 174

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sie Unternehmensnamen und Logos mit einer Bedeutung verknüpfen. Jedes Kind kennt die zwei goldenen McDonaldsbögen oder den silbernen Mercedesstern und weiß, wofür sie stehen.55 Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle die dritte Gattung von Interface Designs genannt. Implementierungszentrische Interfaces gründen auf Verstehen. Dabei wird vorausgesetzt, dass der Nutzer genau weiß, wie der technische Hintergrund der Dinge funktioniert. Eine überaus problematische Annahme, haben wir doch gesehen, dass nach Sloterdijk alle «technischen Systeme, die auf der Basis von […] Elektrik und Elektronik funktionieren, sind für die durchschnittlichen Benutzer völlig undurchsichtige Größen [sind]»56 und er (Interface) Design gar als «Souveränitäts-Simulation»57 definiert. Ein implementierungszentrisches Interface zwingt uns dazu, wie das entsprechende Programm zu denken. Dieser Ansatz stammt aus der Frühzeit der Interfaces, als diese von Wissenschaftlern und Ingenieuren für eben diese entwickelt wurden, für Menschen, die gerne verstehen wollen, wie die Dinge funktionieren. Allerdings sind die «meisten Menschen […] lieber erfolgreich als wissend.»58

55 vgl. Cooper, Reimann & Cronin, 2010, S. 263f. 56 Sloterdijk 2010, S. 15 57 Sloterdijk 2010, S. 12 58 Cooper, Reimann & Cronin 2010, S. 260

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2 ABSTRAKTER ANSATZ BEI WINDOWS PHONE

2.1 MALEWITSCH ALS PRÄZEDENZKÜNSTLER DER MODERNE Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch wurde 1878 in Kiew geboren. Seine künstlerische Laufbahn beginnt er mit einer Ausbildung an der Kunstschule in seiner Geburtsstadt und anschließend an der Fachschule für Malerei, Bildhauerei und Baukunst in Moskau. Dort wird er im Kontrast zu seinem späteren Werk naturalistisch erzogen und spezialisiert sich auf Farbe und Licht und beginnt das Schwingen und Flimmern in der Luft detailliert darzustellen. Diese impressionistische Phase lässt er aber schon binnen kurzem hinter sich und wendet sich in einer Übergangsperiode der Darstellung der Fühlbarkeit und Schwere von Dingen zu. Diese vermisste er im Impressionismus, welcher die körperliche Form von Gegenständen ignorierte. In dieser Übergangsphase wechselt er über zu einer leuchtenden, verdichteten Tönung seiner Bilder und versucht, das Körperliche der Form durch pure malerische Mittel hervorzuheben.59 Ab dem Jahr 1910 kommt er zu einer flächigen, zweidimensionalen Malweise mit starrer Komposition. Volumen und Raum werden durch abgestimmte Farbklänge dargestellt. Wie bei Picasso ist die «gegenständliche Natur einzig und allein der Ausgangspunkt – die Ursache – der Gestaltung neuer Formen»60 Die Gegenstände sind in diesen Bildern gar nicht oder kaum zu erkennen. Schließlich zerteilt Malewitsch in seinen kubistischen Kompositionen den Gegenstand in synchrone Ansichten bestehend aus geometrischen Grundformen wie Kreis und Quadrat, die willkürlich zusammengesetzt werden. Es erscheint logisch, dass der nächste Schritt eine vollständig gegenstandslose Kunst war. In den Jahren 1913 bis 1918 stellt er abstrakte Empfindungen wie die Bewegung oder den Raum durch Kombinationen geometrischer Formen dar. Seine Stilrichtung tauft er Suprematismus.61 Erstmals taucht seine neue Ästhetik in der Öffentlichkeit auf, als er im Dezember 1913 für die futuristische Oper ‹Sieg über die Sonne› das Bühnenbild und die Kostüme gestaltet.62 Allerdings findet die erste öffentliche Ausstellung seiner suprematistischen Kompositionen erst 1915 in Petrograd (heute Sankt Petersburg) statt. Auf der Exhibition wird auch sein berühmtestes Werk «Schwarzes Quadrat auf weißem Grund» ausgestellt.63 Inspiriert durch den Futurismus manifestierte sich bei Malewitsch der Gedanke, bildnerische Mittel auf eine maximal reduzierte Formensprache in rot und schwarz auf weiß zu beschränken.64 Der Begriff Suprematismus leitet sich vom lateinischen Wort supremus (Das Größte, das Höchste ab). Malewitsch zielt damit auf die Suprematie, also den Vorrang der Empfindung gegenüber der Abbildung, ab. Für den Suprematisten sind die Erscheinungen der gegenständlichen Natur ohne Bedeutung. Der Fokus liegt auf der Empfindung, welche von der Umgebung unabhängig ist. So sind die Empfindungen nach Malewitsch «stärker als der Mensch selbst … sie müssen um jeden Preis heraus – sie müssen Gestalt annehmen – sie müssen mitgeteilt […] werden.»65 So ist es laut Malewitsch die «Empfindung der Schnelligkeit, […] die das Flugzeug entstehen ließ […] um dem unwiderstehlichen Triebe der gestaltwerdenden Empfindung ‹Schnelligkeit› Folge zu leisten.»66 Dies führt gezwungenermaßen zu einer gegenstandslosen Darstellung, zum Suprematismus.67 Dadurch werden die Möglichkeiten der Kunst grundsätzlich erweitert. Erstmals lassen sich Phänomene erschließen, die zwar nicht vom menschlichen Auge sichtbar sind, aber durch die Vernunft erkannt und vom Gefühl wahrgenommen werden können.68 Gewissermaßen wird die Kunst dadurch erstmals zu einer Kunst des Erhabenen, weil sie einen Wechsel von der Darstellung einer Ästhetik des Schönen 59 vgl. Fjodorow-Dawydow 1978, S. 328 60 Malewitsch 1927, S. 30 61 vgl. Malewitsch 1927, S. 328f. 62 vgl. Block 1975, S. 166 63 vgl. von Tavel 1984, S. 20 64 vgl. Block 1975, S. 31 65 Malewitsch 1927, S. 72 66 ebd. 67 vgl. Malewitsch 1927, S. 65 68 vgl. Shadowa 1978, S. 53

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zu einer Kunst des Geistes und des Denkens wird. Es wird der Versuch unternommen, etwas darzustellen, das nicht darstellbar ist. Das Bild entsteht nicht nur im Auge, sondern auch im Geist.69 Dabei ist dieser Schritt auch eine Notwendigkeit, die aus dem urbanen Umfeld, in dem der Suprematismus entstand, resultiert. In von der Industrialisierung erfassten Metropolen kann es keine gegenständliche Kunst geben, denn die «Maler fürchten die metallische Stadt, denn sie finden in der Stadt kein eigentlich malerisches Element»70 Malewitsch nennt eine neue visuelle Umgebung, die den Künstler inspiriert, das «additionale Element». Sein Werk ist besonders durch moderne, technische Errungenschaften gekennzeichnet. Allen voran das Flugzeug. So lassen sich leicht in seinen Kompositionen Flugzeuge und Hinweise auf ‹Aerial landscape art› erkennen. Malewitsch selbst macht daraus kein Geheimnis und erklärt, dass man «den Suprematismus auch den ‹aeronautischen› nennen könnte»71 Ebenso, wie der Industrialismus die Malerei um ihre Naturalistik gebracht hat, fördert sie auch ihre Weiterentwicklung. Auf wissenschaftlicher Basis zeigt sich auch im Suprematismus in Form von Objektivität und Experimentierfreude. Ebenso wie die Mathematik oder die Chemie versuchte die Kunst die realen Dinge der Welt exakt zu erfassen und auszudrücken, ohne sie bloß abzubilden.72 Es ist eine anästhetische Entdeckung, dass die Art, wie wir die Umwelt wahrnehmen, nicht mit ihrer objektiven Gestalt identisch ist. Veranschaulicht wurde dies z.B. von Einsteins Relativitätstheorie, die besagt, – im Kontrast zu unserer Wahrnehmung – dass Raum und Zeit relative Größen sind. Parallel entdeckten die Suprematisten, dass die Raumwahrnehmung, welche wir bei einem naturalistischen Gemälde haben, ebenfalls nur eine Illusion ist. Dies lässt sich anhand eines einfachen Experiments aus der experimentellen Psychologie nach Wilhelm Wundt veranschaulichen. Stellt man sich ein Quadrat vor, dass von einem größeren eingerahmt wird und verbindet deren Ecken, erscheint die Zeichnung zunächst als stumpfe Pyramide. Konzentriert man sich nun auf das kleinere Quadrat, so scheint es, als würde die Spitze in unser Auge zeigen. Konzentriert man sich wiederum auf das größere, so blickt man in die Pyramide hinein, Bei neutraler Betrachtung dagegen erscheint die Figur flach. Das Experiment zeigt in konzentrierter Form die Illusion des perspektivischen Raumes in der Malerei. Der Raum in der darstellenden Kunst ist Konvention, die aus der Tradition der Wahrnehmung basiert und erst gelernt werden muss. Dafür spricht auch die Tatsache, dass etwa Kinder in der Wahrnehmung von Perspektive in einem Gemälde noch ungeübt sind und dieses flach sehen.73 Die Vorstellung, «dass die perspektivische Darstellung des Raumes, eine eindeutige, objektive, selbsterstverständliche ist», muss zurückgewiesen werden. Ebenso wie die Kunst der Renaissance durch die Illusion der Zentralperspektive den Raum zu einem Hauptsujet machte, ist der Raum (oder viel mehr die Empfindung des Raumes) das Hauptthema des Suprematismus. In Analogie zu den Naturwissenschaften handelt es sich beim Suprematismus jedoch um eine Formel des Raumbegriffs, in Form von maximaler Abstraktion und Reduktion wie etwa die Gebilde aus Zahlen und Buchstaben in Physik und Mathematik.74 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die «Suprematisten in der Kunst das gleiche getan haben wie in der Medizin der Chemiker. Sie haben den wirkenden Teil der Mittel rein dargestellt.»75

69 vgl. Welsch 2003, S. 88 70 Malewitsch, 1927, S. 60 71 Malewitsch 1927, S. 59 72 Fjodorow-Dawydow 1978, S. 330 73 Lissitzky 1978, S. 336 74 vgl. Malewitsch 1927, S. 46 75 Schklowski 1978, S. 326

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2.2 DAS SCHWARZE QUADRAT AUF WEISSEM GRUND ALS PRÄZEDENZWERK DER MODERNE «Viereck» hieß Malewitschs renommiertestes Werk zwischen 35 weiteren Gemälden im Werkeverzeichnis der Ausstellung 0.10 schlicht.76 Mit der Ausstellung, die den Untertitel «Letzte Futuristische Ausstellung» trug, wurde endgültig eine neue Epoche, die der geometrischen, gegenstandslosen Kunst eingeläutet. Mit dem «Schwarzen Quadrat auf weißem Grund» versetzte Malewitsch spätestens 1915 den bisherigen Entwicklungen auf dem Gebiet der bildenden Kunst einen Bruch.77 «Als ich im Jahre 1913 in meinem verzweifelten Bestreben, die Kunst von dem Ballast des Gegenständlichen zu befreien, zu der Form des Quadrats flüchtete und ein Bild, das nichts als ein schwarzes Quadrat auf weißem Felde darstellte, ausstellte, seufzte die Kritik und mit ihr die Gesellschaft: ‹Wir sind in einer Wüste […]›78 rekapituliert Malewitsch 1927 die gesellschaftliche Ablehnung seines Quadrates. Der Großteil der Kritiker äußerte Ablehnung gegenüber den Bildern Malewitschs und empfand die suprematistische Malerei als einen «Anschlag auf die Werte der Kultur, nicht nur als Zusammenbruch der Malerei, sondern der Kunst schlechthin»79 Malewitsch stimmt der Kritik in der Wortwahl zu, wenn diese sein Bild als eine Wüste bezeichnet, denn durch die gegenstandslose Darstellung von purer Empfindung gelangt die Kunst «in eine ‹Wüste›, in der nichts als eine Empfindung zu erkennen ist. Alles, was die gegenständlich-ideelle Struktur […] der ‹Kunst› bestimmte: Ideen, Begriffe und Vorstellungen … alles hat der Künstler verworfen, um der reinen Empfindung Gehör zu leihen.»80 Beim Schwarzen Quadrat handelt es sich um zwei Formen, ein kleineres schwarzes Quadrat, das sich in einem größeren Weißen befindet. Streng genommen handelt es sich gar nicht um Quadrate, da die jeweils gegenüberliegenden Seiten nicht parallel sind und ein mathematisches Quadrat ohnehin nicht malerisch darstellbar ist. Die zwei Farben (auch hier könnte man wieder einwenden, dass Schwarz und Weiß keine Farben sind) offenbaren zwei Pole. Zum einen die absolute Farblosigkeit, im Schwarz verkörpert sowie das sämtliche Farben in sich einschließende Weiß.81 Zusammen drücken sie in ökonomischster Art eine Empfindung aus: Das schwarze Quadrat entspricht dabei der Empfindung des unendlichen Raumes und das Weiß dem «‹Nichts› außerhalb dieser Empfindung.»82 Dies wurde jedoch von der Allgemeinheit weder erkannt noch gewürdigt. Die Gesellschaft erkannte nicht, dass es sich beim Suprematismus um die «wiedergefundene reine Kunst»83 handelt, die durch «die Anhäufung der ‹Dinge› nicht mehr zu sehen war.»84 Für Malewitsch schien es, als sei sowohl der Kritik als auch der Gesellschaft, der eigentliche Maßstab der Kunst, die «veranlassende Empfindung»85 verloren gegangen. Statt dessen wird ausschließlich das Können auf Basis der plastischen Darstellung bewundert.86 Damit teilte Malewitsch die Meinung Adornos, der fünfzig Jahre später feststellt, dass «die Einheit des Stils, dem die Gebilde angehören, ihre Kanalisierung in traditionelle Verfahrungsweisen mit ihrer eigenen Qualität gleichgesetzt [werden]»87 Es scheint beinahe, als würde er über Malewitsch urteilen, wenn er sagt, dass «auch in der Vergangenheit die bedeutendsten Gebilde jene sind, in denen das Subjekt und sein Ausdruck gerade nicht in jener unangefochtenen Einheit sich befinden»88.

76 vgl. Shadowa 1978, S. 43 77 Helfenstein 1984, S. 45 78 Malewitsch 1927, S. 65 79 Helfenstein, 1984, S. 45 80 Malewitsch 1927, S. 65 81 vgl. Shadowa 1978, S. 45 82 Malewitsch 1927, S. 74 83 Malewitsch 1927, S. 73 84 ebd. 85 ebd. 86 vgl. ebd. 87 Adorno 2003, S. 295 88 ebd.

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Abbildung 2 | Malewitsch: Das Schwarze Quadrat

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Das schwarze Quadrat kann als Ausgangspunkt einer suprematistischen Formgebung gesehen werden. Die Bewegung dieses ergibt einen Kreis, wodurch die zweite Form entsteht: ein «schwarzer Kreis vor dem Hintergrund des weißen Quadrats». Werden Quadrat und Kreis auf dem weißen Quadrat bewegt, «führt dies zu den folgenden Formen: Rechteck, Kreuz, Trapez, Dreieck, schiefes Trapez, Ellipse und ihre verschiedenen Kombinationen»89 Von primitiven geometrischen Grundformen erhält Malewitsch komplexe Kompositionen. Die Formsprache Malewitschs ist dadurch gekennzeichnet, «daß er ein jedes Element kristallklar behandelt und das Ganze mit unerbittlicher Logik entwickelt.»90 Von daher kann das «schwarze Quadrat» als «die erste Übung zur Schaffung der räumlichen Form auf der Fläche und als Nullpunkt für die Berechnung derartiger neuer Formen betrachtet werden.»91

2.3 DAS INTERFACE VON MICROSOFT WINDOWS PHONE Für das von Microsoft entwickelte Design standen, wie der Name ‹Metro› es vermuten lässt, Bahnhöfe, Flughäfen und andere Knotenpunkte der modernen Personenbeförderung Modell, genauer gesagt, die Ästhetik der visuellen Informationsaufbereitung an diesen Orten in Form von Beschilderungen und Informationstafeln. Der Hauptanspruch ist es, Informationen so klar und zugänglich wie möglich darzustellen. Diese stehen somit klar im Vordergrund. Die Informationsübermittlung geschieht in der Praxis durch Piktogramme, möglichst klarer Typografie oder der Kombination aus beiden mit dem Ziel, dem Benutzer die gewünschte Information so einfach wie möglich bereit zu stellen. Dies führt zwangsläufig zu einer reduzierten Gestaltung.92 Hier wird auch ein Grundkanon deutlich, der hinter der Idee von ‹Metro› steht und den man als digitalen Anthropozentrismus bezeichnen könnte: der Anwender steht immer im Vordergrund.93 Was sich offensichtlich anhört, ist wie oben erwähnt für Interfaces nicht immer selbstverständlich. Alle Punkte, die Metro ausmachen, sind in folgendem Leitmotiv des Windows Phone Designteams zu finden: «Metro ist unser Codename für unsere Designsprache. Wir nennen es Metro, da es modern und sauber ist. Es ist schnell und in Bewegung. Es geht um Inhalte und Typografie. Und es ist authentisch.»94 Die Windows Phone Design Philosophie wird nach Microsoft durch saubere, ordentliche App-Screens definiert, die schnell reagieren, Tastatureingaben minimieren und neue Informationen automatisch anzeigen. Interaktion erfolgt direkt mit dem Inhalt (direct manipulation). Folgende Aspekte zeichnen den Anspruch der Windows Phone Plattform aus: ‹PRIDE IN CRAFTMANSSHIP› (STOLZ IN HANDWERKSKUNST) Microsoft empfiehlt App-Entwicklern Zeit und Energie kleinen Dingen zu widmen, die oft gesehen werden. Die User Experience sollte zu jedem Zeitpunkt komplett und ausgefeilt sein. Detailfreudigkeit ist ein essentieller Aspekt für gutes AppDesign. ‹GET ON THE GRID› (GRIDBENUTZUNG) Das grid (Gestaltungsraster) ist der Kit, welcher dem Inhalt Kohäsion verleiht. In der Typografie wird der Raster schon lange verwendet. Gestalter nutzen es für 89 Shadowa 1978, S. 60 90 ebd. 91 ebd. 92 vgl. Getzmann, Hackfort & Nowak 2011, S. 58 93 vgl. Getzmann, Hackfort & Nowak 2011, S. 59 94 Getzmann, Hackfort & Nowak 2011, S. 61

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die Konzeption von zahllosen Medien. Durch die gitterbasierte Gliederung «erhält der Gestalter eine gute Möglichkeit, die Texte, Fotos und grafischen Darstellungen nach sachlichen und funktionellen Gesichtspunkten zu ordnen»95 ‹TYPOGRAFIE› Typografie erschafft Hierarchie, Struktur, Balance und Rhythmus im Interface einer App. Ebenso verleiht sie der App Personalität.(Typografie ist so wichtig, dass Microsofts Designteam eine eigene Schriftart für Metro entwickelt hat, die Segoe WP – hierauf werden wir unten genauer eingehen)96 Wichtige Informationen werden dabei zur leichteren Erkennung in großen Schriftgraden und sekundäre Information in einer kleineren Schriftgraden dargestellt.97 ‹MORE WITH LESS› Weiter rät Microsoft Entwicklern eine klare und zweckorientierte User Experience durch die Reduzierung auf die relevantesten Elemente auf dem Bildschirm. Beim Design einer App lautet die Devise «content, not chrome», was das Tilgen funktionsfreier Dekoration bezeichnet. Die Fokussierung auf Inhalte reduziert unnötige Elemente und bringt den Appinhalt zum ‹leuchten›. (dies ist was mit «modern und klar» zusammengefasst wird.) Eine App sollte nur das bereitstellen, was benötigt wird, um eine Aufgabe fertigzubringen, völlig frei, ob es sich dabei um einen Film, Nachrichten oder das Wetter handelt.98 Dabei empfinden Anwender diese reduzierte Ästhetik durchaus als attraktiv, was mitunter daran liegen könnte, dass viele Menschen es aus dem Alltag kennen und schätzen gelernt haben.99 ‹FAST AND FLUIT› Produkte, die sich umfassend und zugänglich anfühlen, sind attraktiv, freudeerweckend und bringen ein Interface zum Leben. Entwickler sollten ein Gefühl für Kontinuität erschaffen und eine Geschichte durch sinnvollen Einsatz von Bewegung erzählen. Smartphone-Apps benötigen einen Fokus auf einfache, schnell benutzbare Szenarien. Smartphone-Interfaces sind so genannte ‹ transient Applications›. Darunter versteht man ein Programm, das «immer nur für kurze Zeit verwendet wird. Es präsentiert eine einzelne Funktion mit einem eingeschränkten Satz zugehöriger Controls. Der User ruft eine solche Anwendung bei Bedarf auf, nutzt sie und schließt sie dann wieder, um mit seiner normalen Arbeit […] fortzufahren.»100 Da Menschen ihre Smartphones ‹on the go› nutzen, ist es wichtig, auch die Apps dementsprechend zu gestalten. Darüber hinaus ist es ebenso wichtig, Informationen eine Bühne zu geben. Eine statische Darstellung von Content würde womöglich in das von Metro proklamierte Modell der Schlichtheit passen, wäre aber kontraproduktiv. Bei Metro ist Bewegung ein tragender Faktor. Was zunächst paradox klingt, ergibt bei näherer Betrachtung insofern Sinn, dass sinnvoll und gezielt eingesetzte Animationen dem Nutzer helfen, Dinge zu verstehen und Lebendigkeit in die Darstellung bringen.101 ‹BE ALIVE› Live ‹Tiles› sind responsiv und lebendig und offen für eine Bandbreite an Funktionen. Ein ‹Tile› ist ein visueller Shortcut (Verknüpfung) für eine App oder deren Inhalt, welche in der Start-Ansicht auftaucht. Welche ‹Tiles› angezeigt werden, kann der Nutzer durch ‹anpinnen› von ‹Tiles› selber entscheiden. ‹Tiles› können als Weiterentwicklung des Icons bezeichnet werden, da deren Inhalt dynamischer Natur ist und Informationen zur App zeigt.

95 Müller-Brockman, 1996, S. 13 96 vgl. Cameron 2011, S. 49 97 vgl.Getzmann Hackfort, & Nowak 2011, S. 58 98 vgl. Cameron 2011, S. 49 99 vgl. Getzmann Hackfort, & Nowak 2011, S. 58 100 Cooper, Reimann, & Cronin 2010, S. 175 101 vgl. Getzmann, Hackfort & Nowak 2011, S. 60f.

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‹AUTHENTICAL DIGITAL› Authentisch digital bedeutet, hinter die Regeln der physischen Realität zu gehen und neue Möglichkeiten in einem puren, digitalen Raum zu schaffen. Entwickler sollten die gesamten Vorteile des digitalen Mediums ausnutzen. ‹WIN AS ONE› Windows Phone zielt darauf, ein universales, geschlossenes Betriebssystem zu schaffen. Dabei erschafft ein gemeinsames UI-Modell komplette end-to-end UserSzenarien. In anderen Worten ist es für Entwickler nicht notwendig, ‹das Rad neu zu erfinden›, sondern sie können sich auf erprobte Konventionen stützen.

2.4 ‹EVERNOTE› ALS BEISPIELAPP Im folgenden sehen wir uns die ästhetischen Eigenschaften, welche generisch für eine Windows Phone App und das Betriebssystem sind, am Beispiel der App ‹Evernote› im Überblick an. Die App starten wir über den sogenannten StartScreen. Er ist das, was User als erstes sehen, der zentrale Knotenpunkt des UI. Durch Betätigen der Start-Hardwaretaste kommen User ebenfalls immer zu diesem zurück. Der Start-Bildschirm ist generell eine auf einem Raster basierende Fläche, auf welcher ‹Tiles› angebracht sind. Diese kann mitunter größer sein als ein Bildschirm. In diesem Falle scrollt der Nutzer horizontal nach rechts. Ein ‹Tile› ist ein visueller Shortcut (Verknüpfung) für eine App oder deren Inhalt, welche in der Startansicht auftaucht. Welche ‹Tiles› angezeigt werden, kann der Nutzer durch ‹anpinnen› von ‹Tiles› selber entscheiden. ‹Tiles› können als Weiterentwicklung des Icons bezeichnet werden, da deren Inhalte dynamischer Natur sind und Informationen zur App zeigen. Die Tile der Wetter-App etwa zeigt dynamisch die Temperatur. Gut gestaltete ‹Tiles› zeigen Informationen über die App, wie auch die Personalität dieser und passen sich gut in die anderen ‹Tiles› ein. ‹Tiles› können dem Benutzer Informationen kommunizieren, indem sie einen Zähler (etwa für mails) darstellen, ihr Hintergrundbild ändern. Die Anzeige der ‹Tiles› wird über den ‹Windows Phone Notifikationsservice› vorgenommen, ein Server, der Benachrictigungen von Apps auf das Smartphone liefert. Die Akzentfarbe der ‹Tiles› wird von der SystemAkzentfarbe bestimmt, kann aber auch vom User geändert werden. Manche ‹Tiles› sind schon von Haus aus dabei, andere werden durch den Hardwarehersteller mitgeliefert. Das Tile-Konzept ist essentiell für Windows Phone und die größte Neuerung im Bezug auf die Konkurrenz, wie wir später sehen werden.

Öffnen wir die App, sehen wir zunächst den Anmeldebildschirm, der uns auffordert, die Daten für unser Konto einzugeben. Hier wird sehr schnell die Maxime von ‹Metro› klar, Inhalte und Typografie in den Vordergrund zu stellen. Wir sehen große Farbflächen, Ikons und Typografie ohne Effekte wie Schlagschattten oder dergleichen. Alles macht einen klaren und aufgeräumten Eindruck. Gehen wir weiter, erreichen wir die Startseite der App. Die Menüstruktur, in die diese eingebettet ist, nennt Microsoft «Central App hub with home page menu».102 Dabei wird zwischen verschiedenen Menüpunkten, sogenannten Pivots gewechselt. Diese fungieren als Filter, die Inhalte beispielsweise nach temporären Kriterien oder Relevanz ordnen. Pivots sind ein wesentlicher Bestandteil des look-and-feel von Windows Phone.103

102 Microsoft: First look at Windows Phone. 7. April 2013. www. msdn.microsoft.com (Vergleich Anlage 3) 103 vgl. ebd.

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Abbildung 3 | Evernote unter Windows Phone 8

Im Startseiten-Pivot sind erneut ‹Tiles› zu sehen, welche Funktionen zum Hinzufügen einer neuen Notiz, eines Fotos, einer Sprachaufzeichnung oder einer Datei zeigen. Anhand der ‹Tiles› wird die globale Symbolsprache Windows Phones deutlich. Im Sinne der im 1.2 erwähnten Einteilung würde man bei den in Windows Phone verwendeten Zeichen von Piktogrammen und nicht von Icons sprechen, da sie bewusst neutral gestaltet wurden und nicht die Verspieltheit aufweisen, wie wir sie bei ‹iOS› vorfinden werden. Damit erinnert sie deutlich an solche Zeichen, die wir etwa von Flughäfen kennen. Wählen wir ein Notizbuch aus, sehen wir sämtliche Notizen in diesem in Form von ‹Tiles›. Das ‹Corporate Design› der App, also seine individuelle Designsprache wird oftmals zugunsten der universalen Designsprache von ‹Metro› aufgegeben oder stark zurückgenommen. Im Falle von ‹Evernote› lässt sich lediglich durch die verwendeten Hausfarben (in diesem Falle Grün und Braun) auf den Absender schließen. Ausnahmen zur Individualisierung bietet lediglich u.a. der Splash-Screen. Viele Apps brauchen anfangs einen Moment zum Laden. Apps nutzen diesen Augenblick, um den User mit einem ‹splash screen› zu empfangen. Da der Screen nur wenige Sekunden sichtbar ist, verwenden die meisten Apps Bilder, um den Nutzer in die App eintauchen zu lassen, indem er als Werbung für die App fungiert.104 Im Falle von ‹Evernote› beinhaltet dieser Illustrationen von Arbeitsutensilien wie Laptops, Papier oder Smartphones, welche Lust auf die App machen sollen.

104 Vgl. Microsoft 7. April 2013. www.msdn.microsof.com (vgl. Anlage 4)

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In der Notizbuch-Ansicht wird ein weiterer Bestandteil von Windows Phone deutlich, die ‹App-Leiste›. In der App-Leiste werden bis zu vier der am häufigsten benutzten App-Aufgaben als Icons dargestellt. Über das s.g. ‹App Bar Menu› können darüber hinaus weitere Informationen kontextsensitiv hervorgerufen werden. Rechts auf der Leiste befinden sich weitere drei Punkte. Diese beinhalten weitere Menüpunkte, die nicht ganz so oft gebraucht werden.105 Tippen wir auf eine individuelle Notiz, gelangen wir zur Detailansicht dieser. Auffällig hierbei ist, dass sich die Metro-Richtlinien bis auf diese unterste Ebene fortsetzen. So erscheint der von Hand eingegebene Text auch in der Windows-Phone-Systemschrift Segoe WP. Microsoft benutzt für sein mobiles Betriebssystem Windows Phone die Schrift Segoe UI aus der Segoe Schriftsippe. Diese ist jedoch keine Eigenentwicklung wie oft angenommen, sondern eine erweiterte Monotype Lizens. Segoe, bekannt nach dem Stadtplaner Ladislas Segoe (laut Microsoft «See-go» ausgesprochen), löste die lange verwendete Tahoma ab und wurde speziell gestaltet, um Vorteile aus der von Microsoft entwickelten Clear Type Technik zu nutzen, bei der durch die Ansteuerung von Subpixeln schräge Kanten besonders auf Bildschirmen schärfer erscheinen. Es ist aus Sicht des Brandings ein interessanter Aspekt, dass Microsoft beinahe durchgängig, vom Unternehmenslogo bis zum User- Interface-Button, eine einheitliche Typografie verwendet. Ein Exkurs in die Typografie zeigt uns, dass die Segoe WP nach der Schriftklassifizierung von Hans Peter Willberg der Gruppe VI und dabei der Untergruppe der Serifenlosen Linear-Antiqua, abgeleitet von der Renaissance Antiqua zugehört. Diese lassen ihren Ursprung in der RenaissanceAntiqua spüren: eine vom handschriftlichen Schreiben stammende Dynamik, einen zeilenbildenden Duktus, und die Fähigkeit zur Erzeugung von leicht erfassbaren Wortbildern.106 Insgesamt also dienliche Attribute für eine Interface-Schrift. Allerdings brachte die Schrift Microsoft auch Probleme: Es wurde ihnen vorgeworfen, dass die Segoe ein Plagiat der 1970 für den Pariser Flughafen entwickelten ‹Frutiger› sei.107

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3 FIGURATIVER ANSATZ BEI ‹IOS›

3.1 HOPPER ALS PRÄZEDENZKÜNSTLER DER MODERNE Edward Hopper wurde als zweites Kind am 22. Juni 1882 in der Kleinstadt Nyack im Staat New York im von seinem Vater Garrett Hopper erbauten Haus nahe dem Hudson River geboren und war damit ein Zeitgenosse Malewitschs. Die Hoppers waren eine typische amerikanische Mittelschichtfamilie; sie gehörten der benachbarten Baptistengemeinde an und schickten ihre Kinder in die ortsansässige Privatschule. Elizabeth Hopper förderte die Neigung ihrer Kinder zu Tätigkeiten wie Kunst und Theater. So veranstaltete Edwards Bruder zu Hause Puppenspiele und Eddi, wie er damals genannt wurde, zeichnete unentwegt und kopierte früh Illustrationen aus Büchern. 1899 legte Hopper die Abschlussprüfung an der Nyack High School mit dem Vorsatz ab, Künstler zu werden. Schon ein Jahr später wechselte er an die New York School of Art, die gemeinhin als ‹Chase School› bekannt war. Nach einem zweijährigen Grafik-Basisstudium hatte er schließlich genug Selbstvertrauen gewonnen, um das Studium der Malerei bei William Merrit Chase aufzunehmen. Erst 1916, als er Samstagskurse in seinem Elternhaus gab, gab er auf den Ankündigungen zu, bei Chase studiert zu haben.108 Es war vor allem Robert Henri, der im Herbst 1903 an die Schule kam und den Hopper später als Lehrer angab. Laut eigener Aussage hatte er rückblickend den Eindruck, dass Chase’ Unterricht keinen großen Einfluss auf ihn ausgeübt hatte. Nachdem er Henris Klasse verließ, malte er die nächsten zehn Jahre hauptsächlich im Freien. Später gestaltete er seine Bilder improvisierend im Atelier. Seine Methode, Beobachtetes mit Imaginierten zu gestalten, geht auf seine Studienzeit bei Henri zurück. In seinen Schöpfungen gelang es Hopper, einen authentischen Stimmungseindruck zu vermitteln, was an einen Rat erinnert, den Henri seinen Studenten vermittelt hatte: ‹Niedere Kunst schildert bloß den Zustand, z.B. einer Nacht; hohe Kunst drückt die Empfindung der ‹Nacht› aus. Letzteres kommt der Wirklichkeit näher, obwohl das erstere eine wirklichkeitsgetreue Kopie ist.›109 Eine Aussage, die so auch von Malewitsch hätte stammen können. Im Oktober 1906 fuhr Hopper nach Paris. Dass die Zeit dort seinen Stil geprägt hat, ist nicht zu übersehen, wenn man die Technik und Farbigkeit von seinen studentischen Arbeiten mit denen seiner ersten Monate in Europa vergleicht. Offenbar hatte er von den Impressionisten gelernt, obwohl er es selber leugnete.110 In Hoppers Rückblick hieß es: ‹Das Licht war anders als alles, was ich kannte. Sogar die Schatten leuchteten, es gab viel reflektiertes Licht. Selbst unter den Brücken herrschte eine gewisse Helligkeit›111 Als er sich im Mai 1909 erneut nach Paris begab, entstanden Bilder, die bereits von jener Dichte sind, die für seine späteren Werke charakteristisch werden sollte. Sie belegen sein wachsendes Interesse und zunehmendes Wissen um die gestalterischen Möglichkeiten von Licht und Schatten und die Unmittelbarkeit und Vitalität, die eine gezielt eingesetzte Lichtführung herbeirufen kann.112 Im Februar 1915 stellt Hopper auf einer Gruppenausstellung aus. Bei der Darstellung des Volksfestes wird Hoppers spezifische Art der Anlage und Komposition sichtbar. Keine der sieben dargestellten Personen blickt eine andere an, alle sind in ihre eigenen Träumen verloren, als hätte er seinen gemalten Charakteren die eigene nachdenkliche Art verliehen.113 Dieser Stil prägt sich in den 1920er Jahren immer mehr aus, was wohl auch mit seinen Erfahrungen durch das Radieren, welches er zuvor erlernte, zusammenhängt. Grund dafür war, dass, wenn er die Druckplatten im Atelier bearbeitete, er auf sein 108 vgl. Levin 1986 , S. 16 109 Levin 1986 , S. 20 110 vgl. Levin1986 , S. 23 111 vgl. Levin 1986 , S. 23 112 vgl. Levin 1986 , S. 26 113 vgl. Levin 1986 , S. 30f.

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Gedächtnis und seine Skizzen angewiesen war. So lernte er, aus der Erinnerung zu arbeiten, wie er es schon bei seinen früheren Ölbildern getan hatte und Gegenstände und Kompositionen zu erfinden. In der Anfangsphase dieses Stils entwickelte er Kompositionsschemata, auf die er immer wieder zurückgriff, wie die einfache, parallel zur Bildebene verlaufende frontale Ansicht, eine Szene aus der Vogelperspektive und ein Gegenstand, der auf einer schrägen, ins Bild weisenden Diagonale liegt. Auch die typischen Fensterdurchblicke als romantisches Symbol der sich ausdehnenden äußeren Welt und Grenze, die den Betrachter von den im Inneren ablaufenden Vorgängen ausschließt, findet schon damals Anwendung. So auch Experimente mit dem Licht, wodurch die ganze Szene mit Hilfe von Schatten und Farbton belebt wurde.114 Inhaltlich lassen sich Parallelen zu Malewitsch erkennen, dem es in seinem Werk stets um das nach außen Tragen der (reinen) Empfindung ging. Hier sagte Malewitsch von sich auch, Realist zu sein. Hopper sagte einmal, dass für ihn ‹Form, Farbe und Gestalt mehr Mittel zum Zweck› seien, ‹die Werkzeuge, mit denen ich arbeite und sie interessieren mich nicht um ihrer selbst willen. Ich bin in erster Linie an dem weiten Feld von Erfahrung und Gefühl interessiert.›115 In seinem späteren Werk kommt auch seine Vorliebe für Degas zum Ausdruck, von dem er lernte, wichtige Elemente des Bildaufbaus zu beschneiden und betonte Diagonalen und ungewöhnliche Blickwinkel zu nutzen.116 Obwohl Hoppers Schaffen zeitlich auf die europäische und asiatische künstlerische Moderne fällt, hat er sich seinen eigenen Stil bewahrt. Er war Teil derselben Künstlergeneration wie etwa Picasso oder auch Malewitsch. Aber im Gegensatz zu diesen malte er niemals abstrakt und so zählt man ihn zu den Vertretern des Amerikanischen Realismus, wo er eine führende Rolle einnimmt.117 Moderne Tendenzen dringen erst 1913 mit der New Yorker ‹Armory Show› in die USA ein. Auch dort schockierte die neue Kunst die Menschen. ‹So etwas hatte New York noch nicht gesehen›118 Hopper lässt das kalt.«Er habe wohl von Picasso gehört, sagte er später, dieser habe aber keinen besonderen Eindruck auf ihn gemacht»119 Trotzdem startet er seine künstlerische Karriere der europäischen Tradition verhaftet in Frankreich. Ebenso wie Malewitsch ist er vom Impressionismus inspiriert.120 In seinem späteren Werk zeigen sich aber auch deutlich der Einfluss der Moderne. Obwohl stets auf eine realistische Darstellung der Naturphänomene bedacht, löst sich die Farbwirkung von den Gegenständen und Farbwerte «werden in einen Kontext von patterns übertragen, der eigenständige Qualitäten erhält»121

114 vgl. Levin, 1986 , S. 38 115 Renner 2003, S. 10 116 Levin 1986 , S. 39 117 Levin 1986 , S. 5 118 dpa-info.com GmbH: Wie die „Armory Show“ Amerika schockte. 7. April 2013. www.welt.de. (vgl. Anlage 5) 119 Beck 1992, S. 13 120 vgl. Renner 2003, S. 15 121 Renner 2003, S. 34

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3.2 EXCURSION INTO PHILOSOPHY ALS PRÄZEDENZWERK DER MODERNE Im Folgenden möchten wir einen Einblick in Hoppers Werk geben anhand Wilhelm Schmids Interpretation des Bildes ‹Excursion into Philosophy› von 1959. Das Bild zeigt zwei Menschen in ihrem Alltag: Ein Mann sinnt angestrengt mit der Stirn in Falten und Bügelfalten in den Hosenbeinen über etwas nach. Hinter ihm liegt, nicht zu übersehen, eine halbentblößte Frau, die sich von ihm abgewandt hat. Anhand der quer übers Kopfkissen verteilten Haare lässt sich vermuten, dass sie sich abrupt von ihm weggedreht hat. Er schenkt ihr ebenfalls keine Aufmerksamkeit, sondern bleibt am Rand der Liege als eine Gestalt der Ratlosigkeit sitzen. Unklar bleibt das Verhältnis der beiden zueinander und ob es überhaupt um dieses Verhältnis geht.122 Dass es nicht auf die Rollenverteilung ankommt, zeigt ein Blick auf das etwa zehn Jahre vorher erschienene Gemälde ‹Summer in the City›, bei der er eine ähnliche Szene darstellte, mit vertauschten Geschlechtern. Hinter dieser auf den ersten Blick alltäglichen Situation verbirgt sich eine vielsagende Situation. Offensichtlich kommt es auf die Beispielhaftigkeit dieser Situation der Ratlosigkeit in manchen Situationen des Lebens an. Für den Stillstand des Lebens während des Moments, in dem alles in Frage steht, vor allem dort, wo es um die Dinge der Liebe zu gehen scheint.123 Eine Annäherung könnte anhand des Titels als eine Einführung in die Philosophie stattfinden. Denn wie etwa in Platons Symposium stellt der Umgang mit den Dingen der Liebe eine wichtige Fragestellung für die Philosophie dar. Das Bild könnte demnach den Augenblick danach ausdrücken, das Leben mit der schmerzlichen Distanz zum anderen, das Einsetzen der Reflexion und das unerbittliche Fragen nach dem Grund. Es ist die komplementärste Erfahrung der Liebe und ihr wiederkehrendes Verhängnis. Denn, so Schmid, «sofern die unendliche Seligkeit erfahren worden ist, wird der Sturz zurück in die Sterblichkeit nur umso fühlbarer, denn es ist der Sturz aus der Ewigkeit zurück in die Zeit.»124 Die Person findet sich zurückgeworfen auf sich selbst in den Trümmern der Welt seiner Vorstellungen, in dem das Einssein mit dem Anderen so große Bedeutung hatte, denn wer einen schönen Traum geträumt hat, möchte nicht mehr in der Realität leben.125 Nach Platon solle sich das Individuum von der sinnlichen Erfahrung abwenden und sich der Idee der wahren Schönheit zuwenden, denn diese würde nie enttäuscht werden. Das versucht wohl auch der Protagonist auf dem Bild, wenn er seine Exkursion in die Philosophie unternimmt. Kommen wir zu dem Buch, welches aufgeschlagen neben ihm liegt. Hoppers Frau Jo verriet in ihren Notizen, dass es sich um Platon handelt, vermutlich das ‹Symposion›126 (ein Dialog des Philosophen Platon, bei dem auf einer Siegesfeier Personen der athenischen Gesellschaft Lobreden auf die Leidenschaft halten). Wie anfangs erwähnt, ist die Szene herausgeschnitten. Links ist das Bild im Bild angeschnitten, rechts das weit offene Fenster. Wie im vorangegangenen Kapitel genannt, kannte Hopper den Impressionisten Degas, der mit dieser Technik arbeitete, sehr gut. Herausgeschnitten ist ein Paar am helllichten Tag, eine Szene der gemeinsamen wie einsamen Existenz. Das strahlende Sonnenlicht, das durch das geöffnete Fenster hereinbricht, steht in starkem Kontrast zum Rest der düsteren Szene. Auch das komplexe Spiel zwischen Licht und Schatten verweist auf 122 vgl. Schmid 2005, S. 11 123 vgl. Schmid 2005, S. 11f. 124 Schmid, 2005 S. 12 125 vgl. Schmid 2005, S. 12f. 126 vgl. Beck 1992, S. 42

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Abbildung 4 | Hopper: Excursion into Philosophy

Platon.127 Der Mann starrt auf diesen Lichtteppich, der nach Platon als Abbild der wahren Schönheit gedeutet werden kann. Jedoch bleibt er somit der wahren Schönheit fremd, genau in dem Moment, in dem er sie am nötigsten hätte. Es herrscht eine für Hopper typische Stille. Nichts spielt sich ab.128 Das Denken im seitlich einfallenden Licht, wie es der Protagonist auf dem Bild praktiziert, ist in der Geschichte der Kunst zur Metapher der Philosophie geworden. Wie Sokrates, der zum Symposion geht und kurz innehält, um noch einmal etwas durchzugehen, hat der Mann auf dem Bild sein Symposion schon hinter sich und denkt über die Erfahrungen nach, die er gemacht hat. Er legt das Buch der großen Weisheiten beiseite und stellt selber Fragen und denkt darüber nach, was ist, was war und was kommen mag. Denn der Sinn der Exkursion ist, dass das Danach auch gleichzeitig ein Davor ist.129 Wie der Maler verrät, geht es ihm bei der Wahl seiner Motive darum, dass sie am besten für die Wiedergabe seiner inneren Erfahrungen geeignet seien. Es ist aufschlussreich, wenn man Hoppers Gang zum Romantischen nachgeht. Das Bild wird zur Metapher des Eros und des Lebens und stellt deren Widersprüchlichkeit in den Fokus. Das Bild entlarvt die Lüge der Liebe, denn die Aufbrechung der Distanz zwischen den beiden Protagonisten gelingt nicht. Dies lässt sich ebenso auf die moderne Gesellschaft übertragen. Denn, so Schmid, ist die Einsamkeit die zentrale Erfahrung der Gesellschaft. Dies machte Hopper auch immer zum Thema seiner Bilder.130

127 vgl. ebd. 128 vgl. Schmid 2005, S. 14f. 129 vgl. Schmid 2005, S. 15f. 130 vgl. Schmid 2005, S. 17

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3.3 DAS INTERFACE VON APPLE ‹IOS› Ein gutes Interface folgt Apple zufolge den sogenannten ‹Human Interface Richtlinien›, die auf der Art und Weise basieren, wie Menschen denken und arbeiten und nicht den Möglichkeiten des Gerätes. Eine Benutzeroberfläche, die unattraktiv, verschachtelt oder unlogisch ist, kann selbst die Bedienung einer guten App als lästige Pflicht erscheinen lassen. Auf der andern Seite verstärkt ein schönes, intuitives, verlockendes UI die Funktionalität einer App und erweckt eine emotionale Bindung des Users AESTHETIC INTEGRETY Ästhetische Integrität bezeichnet nicht den Grad, wie ‹schön› eine App ist oder misst, wie gut sich die Erscheinung einer App unter seine Funktion integriert. Zum Beispiel hält eine App, die für produktive Aufgaben verwendet wird, dekorative Elemente subtil und im Hintergrund und lenkt das Hauptaugenmerk auf die Aufgaben durch Verwendung von Standardbedienelementen. Eine solche App gibt dem Nutzer eine klare, einheitliche Botschaft über ihre Funktion und Identität, während ein drolliges oder albernes Interfacedesign einer Produktivitäts- App widersprüchliche Signale aussenden würde.131 CONSISTENCY Konsistenz im Interface erlaubt es Nutzern, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten auf verschiedene Apps zu übertragen. Jedoch ist eine konsistente App keine sklavische Kopie von anderen, sondern zieht Vorteile aus den Standardparadigmen, mit denen User vertraut sind.132 DIRECT MANIPULATION Bei der direkten Beeinflussung von Onscreen-Objekten anstatt durch Benutzung von separaten Bedienelementen sind Nutzer stärker in Aufgaben eingebunden und verstehen leichter die Konsequenzen ihrer Interaktionen. In ‹iOS›, so der Name von Apples mobilem Betriebssystem (abgeleitet von Apples typischen Präfix ‹i› und Operating System), erleben Nutzer direkte Manipulation u.a. wenn sie das Gerät drehen oder anderweitig bewegen, um Objekte auf dem Bildschirm zu beeinflussen, Objekte durch Gesten zu manipulieren oder die Ergebnisse ihrer Interaktionen durch visuelle Reaktionen zu sehen.133 FEEDBACK Feedback bestätigt die vom User getätigten Aktionen und versichert, dass ein Prozess vonstatten geht. Menschen erwarten sofortiges Feedback, wenn sie etwas bearbeiten und begrüßen Statusupdates bei längeren Operationen. Die vorinstallierten ‹iOS›-Apps reagieren auf jede Nutzeraktion mit wahrnehmbaren Veränderungen. Beispielsweise werden Tabellenzeilen bei Berührung kurz farblich hervorgehoben und Aktionen, die länger als einige Sekunden andauern, zeigen einen Prozessindikator oder eine erklärende Benachrichtigung. SubTile- Animationen helfen, das Resultat einer Nutzereingabe zu verdeutlichen. Auch Sound kann als Feedback eingesetzt werden. Allerdings sollte dieser nie als primäres oder alleiniges Feedbackinstrument eingesetzt werden, da Nutzer diesen ausschalten können.134 METAPHORES Wenn virtuelle Objekte und Aktionen in einer App Metaphern für solche aus der realen Welt sind, begreifen Nutzer laut Apple schnell, wie die App zu bedienen ist. Das klassische Beispiel einer Software-Metapher ist der Ordner: Menschen legen Dinge in der Realität in Ordnern ab. Daher, so Apple, verstehen sie unmittelbar die Idee, Dateien auf einem Computer in Ordnern abzulegen. Die dienlichsten App-Metaphern suggerieren eine Benutzung, ohne die Limitationen der realen 131 vgl. Apple Inc. 2012, S. 20 (vgl. Anlage 6) 132 vgl. ebd. 133 vgl. ebd. 134 vgl. ebd.

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Welt, auf denen sie basieren, in den Vordergrund zu stellen. Beispielsweise können Menschen Software-Ordner mit mehr Inhalten füllen als dies mit einem physikalischen Ordner möglich wäre. ‹IOS› bietet eine große Bandbreite an Metaphern, da es komplexe graphische Bilder und Gesten unterstützt. Nutzer interagieren physisch mit realistischen Onscreen-Objekten, als ob diese Objekte aus der realen Welt wären. Metaphern in ‹iOS› beinhalten beispielsweise: Musikbedienelemente, drehen, ziehen, wischen in Spielen, Wahlscheiben drehen. Generell arbeiten Metaphern am besten, wenn diese nicht zu weit getrieben werden. Beispielsweise würde die Usability darunter leiden, wenn virtuelle Ordner in einem virtuellen Aktenschrank organisiert würden.135 USER CONTROL User, nicht Apps, sollten Apple zufolge Aktionen initiieren und kontrollieren. Auch wenn eine App Aktionen suggerieren und vor gefährlichen Konsequenzen warnen kann, ist es oftmals ein Fehler einer App, Entscheidungen vom Nutzer fernzuhalten. Die besten Apps bieten eine ausgewogene Balance, dem Nutzer die Möglichkeiten zu geben, die er braucht und ihm zu helfen, gefährliche Konsequenzen zu vermeiden. Nutzer haben ein Gefühl der Kontrolle, wenn das Verhalten und die Bedienung einer App vertraut und vorhersagbar sind. Sind diese ebenfalls simpel und unkompliziert, können Nutzer diese einfach verstehen und behalten. Nutzer wollen eine hinreichende Möglichkeit, Operationen abzubrechen, bevor sie beginnen und ihre Wahl betätigen bevor sie eine potenziell gefährliche Aktion ausführen. Schließlich erwarten User, die Möglichkeit zu haben, Operationen leicht zu stoppen, die im Gange sind.136 ‹iOS›-Geräte teilen sich diverse Charakteristiken, welche die User-Experience aller Apps, die darauf laufen, beeinflussen. Die erfolgreichsten Apps greifen diese auf und bieten eine User Experience, die sich dem Gerät, auf dem sie laufen, unterordnen.137 Das Display ist das Herzstück dieser User Experience. User sehen nicht nur Text, Bilder und Medien, sie können ebenfalls physikalisch mit dem Touchscreen interagieren.138 Benutzer können das Gerät zu jeder Zeit drehen. Beispielsweise erscheinen manche Aufgaben natürlicher im Portraitmodus, während bei anderen der Nutzer mehr im Querformat sehen kann. In jeder Ansicht liegt jedoch das Hauptaugenmerk auf der primären Funktionalität. Da Nutzer Apps vom Home-Screen (dem ‹Hauptmenü›) aus starten, gehen sie davon aus, dass alle Applikationen in derselben Orientierung starten.139 Benutzer machen spezifische Fingerbewegungen – Gesten –, um mit dem TouchInterface von ‹iOS› zu interagieren. Daraus resultiert ein Gefühl der direkten Verbindung mit ihrem Gerät und die Empfindung der direkten Manipulation der Objekte auf dem Bildschirm.140 In ‹iOS› ist die Nutzung auf nur eine App zeitgleich beschränkt. Beim Wechsel zu einer anderen geht die vorherige in den Hintergrund über und verschwindet aus dem (sichtbaren) Interface. Dieses als ‹Sequentielles Multitasking› bezeichnete Feature lässt Applikationen im Hintergrund weiterlaufen, bis sie neugestartet oder terminiert werden.141 Mobile Anwender haben weder Zeit noch das Verlangen, sich durch lange Hilfetexte hindurchzuarbeiten, bevor sie Gebrauch 135 vgl. Apple Inc. 2012, S. 21(vgl. Anlage 6) 136 vgl. ebd. 137 vgl. Apple Inc. 2012, S. 11(vgl. Anlage 6) 138 vgl. ebd. 139 vgl. Apple Inc. 2012, S. 11f. (vgl. Anlage 6) 140 vgl. ebd. 141 vgl. Apple Inc. 2012, S. 13 (vgl. Anlage 6)

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Abbildung 5 | Evernote unter iOS

von einer App machen können. Bei Smartphones handelt es sich wie oben genannt um ein ‹transient posture device›, das nur in kurzen Zeitspannen benutzt wird. ‹iOS›-Apps sind Apple zufolge intuitiv und einfach zu benutzen, sodass keine Bildschirmhilfen notwendig sind.142 Eine ‹iOS›-App besitzt in der Regel ein einzelnes Fenster. Das Fenster füllt den gesamten Bildschirm und bietet eine leere Fläche, die als Bühne für eine oder mehrere Ansichten fungiert. Allerdings ist es wichtig zur Kenntnis zu nehmen, dass sich Fenster in ‹iOS› (und auf Mobile Devices generell) grundlegend von solchen, die wir von einem PC kennen, unterscheiden. Beispielsweise besitzt ein ‹iOS›-Fenster keine sichtbaren Komponenten wie eine Titelleiste oder einen Schließen-Button und kann nicht auf dem Bildschirm verschoben werden. Nutzer registrieren dies erst gar nicht als Fenster. ‹iOS›-Apps erscheinen ihnen mehr als eine Ansammlung an verschiedenen Bildschirmen, durch die sie navigieren. Daher korrespondiert ein Screen allgemein mit einem bestimmten visuellen Status oder Modus in einer App. So empfinden User etwa in der Kontakte-App ihre Kontaktliste unangesehen ihrer Länge als einen Screen und die Kontaktdetails als einen weiteren.143

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142 vgl. Apple Inc. 2012, S. 14 (vgl. Anlage 6) 143 vgl. Apple Inc. 2012, S. 15 (vgl. Anlage 6)


3.4 ‹EVERNOTE› ALS BEISPIELAPP In ‹iOS› starten Apps vom sogenannten ‹Home Screen›. Dieser basiert ebenfalls auf einem Raster. Je nach iPhone-Modell werden 4x6 oder 4x5 Icons dargestellt. Überschreitet die Anzahl Apps die Größe eines Bildschirmes, wird analog zu Windows Phone nach rechts gescrollt. Die Anzahl von Apps kann durch Ordner minimiert werden. Dabei werden Apps in einer unteren Ebene gruppiert. Apple weist explizit daraufhin, dass dies «is a place where branding and strong visual design should come together into a compact, instantly recognizable, attractive package. Every App needs an App icon.»144 Dementsprechend besitzt jedes AppIcon ein eine sehr differenzierte Ästhetik. Apple empfiehlt eine App-Erscheinung, welche «balance[s] eye Appeal and clarity of meaning […] so that it’s rich and beautiful and clearly conveys the essence of your App’s purpose.»145 Eine durchgängige Gestaltung wird dadurch gewährleistet, dass bei eingereichten App-Icons automatisch abgerundete Ecken, ein Schlagschatten sowie einen charakteristischen Glanzreflex hinzugefügt wird.146 Bereits in dieser ersten Ansicht wird augenblicklich einer der ästhetischen Hauptunterschiede zwischen ‹Metro› und ‹iOS› deutlich. Apple setzt auf eine Designhaltung, die auch als ‹Skeuomorphismus› (von griech. skeuos – Behälter oder Werkzeug und and morphê – Form) bezeichnet wird. Ein Begriff, der aus dem Handwerk stammt und grob digitale Oberflächen bezeichnet, die an Objekte und Strukturen aus der Realität erinnern und meist nur dekorativen Zweck aufweisen. In Bezug auf die Icon-Gestaltung versuchen diese durch den erwähnten Schlagschatten und die Reflexion eine dreidimensionale Gestalt mit gläserner Oberfläche zu schaffen. Deutlicher wird dies beim ‹dock›, der unteren Leiste, auf der Apps gleich einer gläsernen Bühne präsentiert werden.

144 Apple Inc. 2012, S. 201 (vgl. Anlage 6) 145 Apple Inc. 2012, S. 202 (vgl. Anlage 6) 146 vgl. ebd.

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Starten wir ‹Evernote›, erscheint ein während einer mehr oder weniger langen Ladezeit ein ‹Splash screen›, welcher «enhance[s] the user’s experience at App launch».147 Wie bei Windows Phone soll dieser als Intro für die App dienen und deren Identität unterstreichen. Dieser beinhaltet ähnlich wie bei Windows Phone Illustrationen nebst dem ‹Evernote›-Icon. Doch anders als bei Microsofts Betriebssystem ist die Ansicht weniger ‹clean›.Gehen wir weiter zum Anmeldescreen, wird erneut die skeuomorphe Designsprache deutlich. So findet sich im Hintergrund eine sanfte Textur, die an Papierstruktur erinnert und Buttons weisen eine leichten Verlauf sowie einen inneren Schlagschatten auf, der sie wie geprägt erscheinen lässt. Nach dem Einloggen finden wir uns in einer Ansicht wieder, die an einen Aktenschrank erinnert. Die Punkte des Hauptmenüs (‹Orte›, ‹Schlagwörter›, Notizen des zuletzt verwendeten Notizbuches sowie ‹Alle Notizen›) erscheinen als Registerkarten mit kartonartiger Struktur, die sich einzeln herausziehen lassen und perspektivisch angeordnet sind. Im Hintergrund finden sich Zeichen für das Hinzufügen von Fotos und Dokumenten sowie für die Handschrifterkennung. Auffällig ist, dass die Zeichen keinem strikten Kanon folgen wie bei Windows Phone. Jene auf den Registerkarten erscheinen reduziert und einfarbig, während die zuvor genannten, nach der in 1.2 genannten Definition eher als Icons bezeichnet werden, da sie einen hohen Naturalismusgrad aufweisen. Apple empfiehlt Entwicklern App-Icons für seine hochauflösenden ‹RetinaDisplays› «Richer in texture […] More detailed […] und More realistic»148 zu gestalten. Wählen wir in ‹Evernote› eine Notiz aus, um sie in der Detailansicht zu sehen, offenbart sich, dass ‹Evernote› auch hier auf die entsprechende Systemschrift setzt. Im Falle von ‹iOS› ist dies Helvetica. Sämtliche User Interface Elemente sind in ‹iOS› in Helvetica Neue gesetzt. Helvetica wurde 1957 von Max Miedinger in der Haas’schen Schriftgießerei in der Schweiz als Antwort auf die damals sehr populären Schriften Akzidenz Grotesk und Futura gestaltet. Nach Willberg wird Helvetica Neue in die Gruppe 6b der serifenlosen Linear-Antiquas abgeleitet von der Klassizistischen Antiqua. Alle neuen Entwicklungen basieren gewissermaßen auf Akzidenz Grotesk der H. Bertholt AG. Diese wiederum wurde von den Grundformen der Klassizistischen Antiqua abgeleitet, indem der starke Strichstärkenkontrast homogenisiert wurde. Die Merkmale der Klassizistischen Antiqua blieben dabei erhalten: Sie ist statisch, ruhig, in sich geschlossen und hat ein größeres Schriftbild als die der Untergruppe der dynamischen Serifenlosen Linar-Antiquas, da Unter- und Oberlängen kürzer sind. Bei der Lesbarkeit weisen sie aber Nachteile auf, da einzelne Buchstabenformen einander sehr stark angeglichen sind.149 Der Einsatz als Interface-Schrift, die vor allem der schnellen Orientierung dienen soll, ist also in Anbetracht dessen fragwürdig.

147 Apple Inc. 2012, S. 204 (vgl. Anlage 6) 148 Apple Inc. 2012, S. 199 (vgl. Anlage 6) 149 vgl. Thomas & Willberg 1990, S. 22

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4 VERGLEICH

4.1 VERGLEICH DER PRÄZEDENZKÜNSTLER DER MODERNE Obwohl Hopper und Malewitsch Zeitgenossen waren, könnte ihr Werk unterschiedlicher nicht sein. Während Hopper zeitlebens gegenständlich malte, hatte sich Malewitsch der abstrakten Kunst verpflichtet. Allerdings ist dieser Schluss nur oberflächlicher Natur, wie sich im Folgenden zeigen wird. Dies beginnt bereits mit den Anfängen der beiden Künstlerkarrieren. Hopper wie auch Malewitsch eint ein reges Interesse am Impressionismus zu dieser Zeit. Malewitsch beschreibt den ersten Anblick von Monets ‹Kathedrale von Rouen› gar als Initialerlebnis. Er war fasziniert, als er erstmals ‹die lichterfüllten Reflexionen des blauen Himmels, die reinen, transparenten Farbtöne›150 sah. Beinahe unisono reflektiert Hopper einst über die Impressionisten: ‹das Licht war anders als alles, was ich kannte. Sogar die Schatten leuchteten, es gab viel reflektiertes Licht›151 Hieraus lässt sich beinahe herauslesen, dass das Interesse beider zukünftig weniger der bloßen Abbildung der Wirklichkeit gilt, als eher dem, was diese beim Rezipienten hervorruft. Bei Hopper belegt es aber zunächst sein Interesse an Licht und den Phänomenen, dass es hervorruft, was für sein Werk wesenhaft ist. In dieser Arbeit zählen wir beide Künstler zur Moderne, obwohl dies rein chronologisch nicht der Wahrheit entspricht. Tatsächlich beginnt die künstlerische Moderne in den USA mit einiger Verzögerung. Allerdings ist das Eintreffen dieser in Amerika mit der ‹Armory Show› auf das gleiche Jahr datiert wie die Erstausstellung von Malewitschs ‹Schwarzem Quadrat auf weißem Grund›. Hopper lässt jedoch beides kalt und er malt weiter realistisch. Im Gegenteil, er greift die abstrakte Kunst an und hält ‹vieles aus der zeitgenössischen Kunst für unecht. Es verfügt über keine Intimität.›152 Trotzdem konnte er sich offenbar nicht vor einigen Einflüssen der Modernen wehren. So zeigt sein Bild ‹Bahndamm bei Sonnenuntergang› Farben, die sich von dem Motiv lösen und eigenständig agieren. Während Hopper in seiner Schaffenszeit einen relativ gleichbleibenden Malstil beibehält und vertieft, wechselt dieser bei Malewitsch oft. Anfang des 20. Jahrhunderts wird er zunehmend abstrakt in seiner Malweise, inspiriert durch den Kubismus, der ihn im Gegensatz zu Hopper stark begeistert. Dennoch bezeichnet er seine Malweise ebenfalls als realistisch. In seinen Manuskripten erläutert er, dass traditionelle Malerei auf einer Illusion basiert. Das Wahrnehmen einer Perspektive beruht auf einer Konvention, die erlernt werden muss und entspricht keineswegs der Wirklichkeit. Davon ausgehend kommt er zu einer sehr reduzierten, ungegenständlichen Malerei. Dafür abstrahiert er die Wirklichkeit durch das ‹additive Element des Suprematismus›, wodurch seine typische Ästhetik entsteht. Auch Hopper könnte man die Verwendung eines additiven Elements nachsagen. Bei ihm bestände dies aus der Erinnerung. Seine Bilder entsprechen zwar reellen Orten, allerdings malt er diese aus dem Gedächtnis, wodurch ihnen seine immanente Gefühlswelt ‹hinzugemischt› wird. Beide eint gleichsam Goethes Satz: «Anfang und Ende aller künstlerischen Aktivität ist die Wiedergabe der Welt durch die Welt in mir.» Diese emotionale Ebene ist es, was beide wohl am meisten eint. Bei Malewitsch nimmt die Empfindung den höchsten Stellenwert ein. Seine Bilder beschreibt er oft mit Begriffen wie ‹Die reine Empfindung des Fluges‹ oder ‹Die reine Empfindung des Raumes›. Den Suprematismus benennt er nach ‹dem Höchsten/Größten› und meint damit den Vorrang der Empfindung vor Abbildung. Auch Hopper geht es weniger um die Abbildung oder das Erzählen einer Geschichte als um das Darstellen seiner irrationalen Empfindungen.

150 Néret 2003, S. 13 151 Levin 1986 , S. 23 152 Renner, 2003 S. 65

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4.2 VERGLEICH DER PRÄZEDENZWERKE Auch die beiden Werke ‹Schwarzes Quadrat auf weißem Grund› und ‹Excursion into Philosophie› könnten offenbar unterschiedlicher nicht sein. Neben Hoppers Gemälde wirkt Malewitschs Quadrat tatsächlich wie eine ästhetische ‹Wüste›. Das Bild scheint sich sehr schnell zu erschöpfen, ein Vorurteil, dem auch Malewitschs Zeitgenossen verfallen sind. Beiden Werken wird man wohl mit einer Aussage von Hoppers Mentor Robert Henri gerecht: «Niedere Kunst schildert bloß den Zustand, z.B. einer Nacht; hohe Kunst drückt die Empfindung der ‹Nacht› aus. Letzteres kommt der Wirklichkeit näher, obwohl das erstere eine wirklichkeitsgetreue Kopie ist.»153 Um die ledigliche Mimesis ging es beiden nicht. Malewitsch geht es um die Darstellung etwas nicht Darstellbaren, die Empfindung des reinen Raumes, eingefasst in das ‹Nichts›. Es ist beinahe die ökonomischste Darstellung dessen. Nur in seinen weißen Bildern geht Malewitsch noch reduzierter vor. Hopper zeigt die Empfindung in seinem Bild über eine Stimmung, die von Schmid vortrefflich beschrieben wird. Wer den Titel des Buches kennt, das der Protagonist neben sich liegen hat, kann der Sache noch tiefer auf den Grund gehen. Ohne es darzustellen, liefert es uns den Hinweis, dass es in dem Bild auch um die Fragestellung des Umgangs mit den Dingen der Liebe geht. Ferner geht es auch um die Darstellung einer Epoche. Malewitsch selber behauptete, mit seinem Quadrat die Ikone seiner Zeit geschaffen zu haben und inszenierte dies auch so, als er sein Bild auf der Ausstellung ‹0.10› an die Stelle im Raum hängte, die traditionell in russischen Haushalten für die christliche Ikone reserviert ist. Auch Hoppers ‹Excursion into Philosophy› zeigt einen Zeitbezug. Wie in vielen seiner Werke greift er auch hier das Sujet der Vereinsamung der Menschen auf. Die beiden Personen sind beisammen, aber sich doch abgewandt. Beide Künstler sind solche der Stadt. Ohne die Metropolen, in denen sich in der Moderne die größten Entwicklungen abspielten, hätte es beide Bilder wohl nie gegeben. Hopper war fasziniert von Städten. Malewitsch selber veröffentlichte eine Photostrecke, die Bilder von Flugzeugen zeigte und solche, die aus dem Flugzeug aufgenommen wurden. Es wird unvermittelt klar, dass seine Bilder von den geometrischen Figuren von Städten aus der Vogelperspektive inspiriert sind. Ferner behauptet er, dass Umgebung und Werk immanent in Verbindung stehen. Die Kunst der Stadt könne nur abstrakt sein, da es nichts Malerisches abzubilden gäbe.

4.3 VERGLEICH DER INTERFACES Da beide Interfaces solche für die Bedienung mit den Fingern sind, sind sie in der Grundstruktur sehr ähnlich. Die Unterschiede sind eher im Detail zu suchen und ästhetischer Art. Grob kann man sie analog zu den gewählten Künstlern der Moderne in ‹abstrakt› und ‹mimetisch› einteilen. Abstrakt zielt dabei gleichsam wie bei Malewitsch auf eine Ästhetik, die ohne Gegenstand auskommt. Das Wort abstrakt leitet sich vom Lateinischen ‹abstractus› ab, was in etwa ‹abgezogen› oder ‹entfernt› bedeutet, etwa die Entfernung vom Gegenständlichen. Aktuell bezeichnet man dies auch als ‹Flat Design›, eine Gestaltung, die stark reduziert daherkommt und den Fokus auf Typografie und Fläche legt. Daraus hat sich mittlerweile ein Trend ergeben, der sich vor allem im Webdesign und Logodesign beobachten lässt. Während früher eher eine verspielte Ästhetik verwendet wurde, auch als ‹Web 2.0 Stil› bezeichnet, finden sich immer mehr Websites, die ohne Verläufe und Texturen aus der Realität auskommen. Ebenso zeigen auch Unternehmensignets zunehmend eine Tendenz zur Reduzierung, wie es sich etwa jüngst am neugezeichneten Logo 153 Levin 1986 , S. 20

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der Verkaufsplattform eBay. Deutlich werden diese Bewegungen vor allem auf Designplattformen wie ‹Dribble› oder ‹Behance›. Ob der Trend allerdings von ‹Metro› ausgelöst wurde, kann an dieser Stelle nicht bewiesen werden. Die Gestaltung von Apples ‹iOS› lässt sich im Gegenzug als mimetisch, das heißt nachahmend definieren, nachahmend aus ästhetischer wie auch inhaltlicher Sicht. Auf gestalterischer Ebene zeigt Apple nach wie vor eine starke Affirmation des Skeuomorphismus. So kommt beispielsweise die App ‹Freunde› als Ledereinband daher und die ‹Notizen›-App zeigt einen Notizblock. Apple begründet dies mit der Benutzerfreundlichkeit. Dies mag zwar für den Einstieg stimmen, allerdings entstehen auch große Nachteile. So gibt es viele ‹Metaphernbrüche›. Ein Beispiel ist etwa die inkohärente Bedienung. Während man in der einen App wie bei einem reellen Buch umblättern kann, ist dies bei einer anderen mit ähnlicher Erscheinung nicht möglich. Darüber hinaus ist das Spiel mit skeuomorphen Oberflächen eine Gratwanderung, da sie oftmals lediglich als Dekoration daherkommen. Viele Nutzer empfinden dies zwar als schön, was mitunter auch die User Experience steigern kann, auf der anderen Seite könnten auch potentielle Nutzer vergrault werden. Inhaltlich werden durch die Klammerung an Metaphern a priori Einschränkungen manifestiert bzw. Metaphernbrüche provoziert. Eine weitere Frage ist, wie lange Apple noch den Widerspruch zwischen reduziertem Industriedesign auf der ‹Hardwarebene› und verspielter Ästhetik im Interface aufrechterhalten wird. Natürlich weist auch die Gestaltung von Windows Phone Nachteile auf. Dies ist etwa die oftmals verschachtelte Bedienung. Nutzern fällt die Bedienung anfangs schwer, da sie nicht in eine erlernte Konvention passt, wie etwa bei ‹iOS›, das sehr eng mit konventionellen Desktop-Interfaces verwandt ist. Ferner ist die minimalistische, auf Information getrimmte Gestaltung nicht jedermanns Sache. Es ist leicht einzusehen, dass die Gefahr groß ist, im Interface die Orientierung zu verlieren. Anders als bei ‹iOS› wird Apps weniger Individualität gestattet. So unterscheidet sich ‹Evernote› von ‹Facebook› oberflächlich nur durch die Farbgebung.

4.4 VERGLEICH DER BEISPIELAPP Anhand der App ‹Evernote› wird der oben genannte ästhetische Unterschied deutlich klar. Außer identischer Funktionen haben beide Versionen aus gestalterischer Sicht wenig Gemeinsamkeiten, sind sie doch Präzedenzfälle für die unterschiedlichen Designphilosophien. Die ‹iOS›-App setzt vollkommen auf die Metapher der Kartei. Die gewählte Metapher rührt wahrscheinlich daher, dass in einer Kartei Notizen, Akten und ähnliches nach bestimmten Schemata gesammelt und sortiert werden. Dies auf eine App anzuwenden, die als ‹Digitales Gedächtnis› fungieren soll, erscheint logisch. Allerdings bietet die Metapher aus Usability-Sicht keine nennenswerten Vorteile. Die Benutzung offenbart sich eher als mühselig. In den weiteren Unterpunkten wird die Metapher jedoch gebrochen. An das Sujet der Kartei erinnern lediglich Papier und Kartontexturen. Hier wiederum weist die ‹iOS›-App auch Stärken auf, da durch unterschiedliche Schriften eine höhere Unterscheidung gegeben ist. Auf Windows Phone ist die App wiederum ein Musterfall der ‹MetroDesignprinzipien›. Wir erinnern uns, dass Microsoft es als «schnell und sauber» anpreist, es um «Inhalte und Typografie» geht und es vor allem «authentisch» ist. So wirkt die App tatsächlich sehr reduziert und steril. Struktur wird vor allem durch Typografie erzeugt. Allerdings sind dadurch Hierarchien weniger deutlich als bei ‹iOS›. Die App setzt die vom Betriebssystem bekannte Navigation mit ‹Tiles› und ‹Pivots› fort. Dies bringt den Vorteil für den Nutzer mit sich, dass dieser kein neues Navigationsmodell erlernen muss und sich daher sofort zurechtfindet.

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5 FAZIT

Nach Peter Sloterdijk ist die Aufgabe eines Interfaces, dem Anwender Kompetenz an die Hand zu geben, das ‹Zeug zur Macht›, um sich seiner fehlenden Kenntnis darüber, wie die Dinge funktionieren, weniger bewusst zu sein. Und in er Tat zeichnen sich gegenwärtige Oberflächen dadurch aus. Am Anfang standen dabei implementierungszentrische Interfaces, die eher dem Gegenteil entsprechen. Kommandozeilen zwangen den Nutzer dazu, sich dem Interface anzupassen. Wer sich nicht mit der Technik dahinter auskannte, wurde sich seiner Inkompetenz sehr stark bewusst. Ein Rückblick auf die Geschichte des GUI zeigt uns, dass wir sehr viel den Wissenschaftlern wie Alan Key und Douglas Engelbart am Stanford Research Institute oder bei Xerox PARC verdanken, mehr als jedem Designer. Auch wenn die Designphilosophie von Apples Interfaces in dieser Arbeit kritisch gesehen wird, ist dem Unternehmen nach dem Niedergang von Xerox PARC wohl dennoch die Bekanntmachung von grafischen Interfaces zu verdanken. Paul Rand (Grafik Designer, u.a. Logos für abc, IBM, UPS) sagte einmal: «The public is more familiar with bad design than good design. It is, in effect, conditioned to prefer bad design, because that’s what it lives with. The new becomes threatening, the old reassuring.» Dies passt zu den Reaktionen auf Malewitschs Kunst. Werber sind sich dieser Psychologie schon lange bewusst: Durch ständige Präsenz erhält der Verbraucher ein Gefühl der Vertrautheit. Dabei ist es zunächst egal, ob das Vertrauen gerechtfertigt ist. In der Kunst war dies das Vertrauen in die Kunst als eine Abbildende. Der Abstrakten Kunst und insbesondere dem Suprematismus, der dies hinterfragte, wurde mit harscher Kritik entgegnet. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, wie der Volksmund sagt. Das Phänomen wiederholt sich aktuell, wenn auch viel subtiler. Lautstarke Kritik ist nicht wahrnehmbar. Vielleicht auch deswegen, weil den Wechsel nur Designer und andere Fachleute aus dem Gebiet der Ästhetik bemerken. Dort ist das Feedback bemerkenswerterweise größtenteils positiv. Wahrscheinlich setzt der Widerhall aus, da man aus der Vergangenheit gelernt hat. Heute gibt es weniger Schwarz-weiß-Malerei als damals, inmitten der Moderne. Wie stark der Gewöhnungsfaktor ist, zeigt ein Beispiel aus jüngster Zeit: In einem Jahr 2014 wird der Service für Microsofts Desktop Betriebssystem Windows XP nach 13 (!) Jahren eingestellt. Auch das GUI dieses Betriebssystems stieß anfangs auf starken Widerstand auf Grund seiner intensiven Farbnutzung. Bis heute wird es oft als ‹Teletubby-Optik› bezeichnet. Heute gilt es als erfolgreichstes Betriebssystem von Microsoft. User nehmen für die Benutzung sogar zahlreiche Unannehmlichkeiten in Kauf wie fehlenden Service oder hohe Sicherheitsrisiken. Hyper-Realismus ist der Status Quo der Interface-Ästhetik. Es geht um die möglichst ‹schöne›Übersetzung von Content aus der analogen in die digitale Welt. Oliver Reichenstein (Gründer Information Architects (Zeit Online, IA Writer) stellt fest, dass »Leather buttons […] feels very much like real leather buttons would feel: Tacky. […] It‘s kitsch. If you use favor style over function to make something look like something it is not, you are not a product designer, you are an illusion artist.» Reichenstein weiter: «Leather buttons, stices, torn paper edges, multi-screen multi-column pseudo-newspaper layouts […]: it tries to be something that it is not – and miserably fails at the attempt: Paper doesn‘t wear down in the digital dimension. . There are no leather buttons in the real world. Meaningless stitches in the UI distract the eye from the information.»

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Dies zeigt, wie weit das Spiel mit den Metaphern heutzutage getrieben wird. Es scheint, als würden diese versuchen, die reale Welt zu übertrumpfen. Es gibt keine ledernen Buttons in der Realität. Doch die angesprochene Verbindung zwischen dem ‹alten›, analogen, und dem neuen, interaktiven, digitalen, bringt einen solchen Eklektizismus hervor. Deutlich wird dies auch, wie wir gesehen haben, anhand von ‹Evernote›. Dort geht der Skeuomorphismus sehr weit, ohne Vorteile in Hinsicht auf Funktionalität oder Informationsaufbereitung mit sich zu bringen. Der amerikanische Schriftsteller und Stadtplaner Adam Greenfield wirft folgenden Gedanken ein: «[…] a neworked, digital, interactive copy of, say, the Tao Te Ching is simultaneously more and less than the one I keep on my shelf. You give up the tangible, phenomenological’isness of the book, and in return you’re afforded an extraordinary new range of capabilities. Shouldn’t the interface […] reflect this?» Metapherbasierte Interfaces probieren sich oft in einem Spagat, der wenig glaubwürdig erscheint. Auf der einen Seite erscheinen sie als konservative Kopien beispielsweise realexistenter Bücher, während sie auf der anderen Seite neue, interaktive Elemente beinhalten, wie etwa kontextsensitive Inhaltsverzeichnisse oder eingebettete Videos und Animationen. Dadurch machen sie aber wiederum die skeuomorphe Optik obsolet. Die beiden Pole wollen sich einfach nicht verbinden. Findet hier ein Wechsel der Werte statt, indem neue, interaktive Elemente und vor allem die Information in den Vordergrund gerückt werden, verdient dieser auch einen Wechsel im Ausdruck. Wir kennen dies von Corporate Designs. Ein Unternehmen kann entweder konservative Werte vermitteln oder jung und dynamisch sein. Beides zusammen wirkt wenig kredibil. Interface quo vadis? Diese Frage ist sehr schwer zu entscheiden. Hierbei hilft uns der Blick auf die moderne Kunst. Blicken wir zurück auf unsere Untersuchungen der Präzedenzfälle Malewitsch und Hopper, wird Folgendes klar: zum einen sind die Entwicklungen äußerst dynamisch. So wechselte auch Malewitsch seinen Malstil mehrmals. Vom Impressionismus ausgehend entwickelte er über den Kubismus seine eigene ungegenständliche Kunst, den Suprematismus. Mit seinen weißen Bildern auf weißem Grund erreichte er die äußerste Ökonomie seiner Darstellung. Ausgehend davon waren seine Möglichkeiten das Niederlegen der Malerei oder ein Wechsel zu anderen Stilistiken. Er wählte letzteres und fing an, wieder gegenständlich zu malen. Vermutlich lassen sich diese ‹KontratjewZyklen› auch auf das Interface Design übertragen. In der Vergangenheit gab es auch immer wieder neue Ansätze ausgelöst durch technischen Fortschritt. Mit neuen Darstellungsmöglichkeiten wurden beispielsweise globale Metaphern wie in ‹Microsoft Sam› en vogue. Diese konnten sich aber aufgrund der schlechten Usability nicht durchsetzen . Es bleibt abzuwarten, ob nach der beginnenden abstrakten Welle, die wir zur Zeit erleben, wieder die Mimesis in den Vordergrund rückt oder wir angesichts von ‹Augumentet Reality› (erweiterte Realität) Interfaces erleben werden, die sich keiner der beiden Strömungen unterordnen lassen.

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Für die kurzfristige Entwicklung lassen sich dennoch Prognosen machen. Es scheint, als würde das Interface Design sich dem Print Design annähern. Nicht durch das bloße Kopieren und Übertragen vom Analogen ins Digitale, sondern vielmehr durch das Aufgreifen der Prinzipien hinter dem Print Design dem Leitsatz folgend: «What is true for print design is true for Interaktion» von Mike Kruzenski. Dies wäre zum einen Gestaltung, die auf Hierarchie und Struktur mit Hilfe von Rastern basiert. Dieser Ansatz hat sich seit der Schweizer Typografie (oder auch ‹International Style›) bewährt und durchgesetzt. Mit ‹Metro› wurde er erfolgreich auf das Digitale übertragen. Desweiteren wäre der sichere Umgang mit Leerraum zu nennen. In der Musik heißt es, dass die Pausen die Musik machen. Dies gilt auch für das Visuelle. Leerraum gibt dem Auge Ruhezonen und hilft, Layouts besser zu erfassen, wodurch Inhalte besser zur Geltung kommen. Weiter Ebenso die Reduktion der Elemente: Antoine de Saint-Exupéry (‹Der kleine Prinz›) sagte einst «Vollkommenheit entsteht offensichtlich nicht dann, wenn man nichts mehr hinzuzufügen hat, sondern wenn man nichts mehr wegnehmen kann.» Reduktion erlaubt eine Fokussierung auf das Wesentliche. Im Status Quo wird nach wie vor der Großteil der Informationen auf mobilen Geräten über Schrift aufgenommen. Ein konsequenter Schritt wäre demnach eine fortschreitende Fokussierung auf Typografie, um den Leser durch die Inhalte zu führen. Dies geschieht in Kooperation mit dem Mittel der Proportion. Abschließend lässt sich nach Steven Poole. sagen dass « […] flat is the new black; that 2D is the new avant-garde; that a surface doesnt‘t have to be ashamed of being a surface.»

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LITERATURVERZEICHNIS

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ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1 Magritte, R. (1928-29): la Trahision de Images. In: Wikipedia. http://wikipedia.org7wiki/the_Treachery_of_Images10 Abbildung 2 Malewitsch, K. S. (1915): Das Schwarze Quadrat. In: Wikipedia. http://de.wikipedia.org/wiki/Das_Schwarze_Quadrat Abbildung 3 Selbstgemachte Abbildung 2013 Abbildung 4 Hopper, E. (1959): Excursion into Philosophy. in: Biblioklept http://biblioklep.org/2012/04/03/excursion-into-philosophy-edward-jopper/22 Abbildung 5 Selbstgemachte Abbildung 2013

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EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG

Hiermit versichere ich, dass ich den Produktlebenszyklus selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe, alle Ausführungen, die anderen Schriften wörtlich oder sinngemäß entnommen wurden, kenntlich gemacht sind und die Arbeit in gleicher oder ähnlicher Fassung noch nicht Bestandteil einer Studien- oder Prüfungsleistung war.

Simon Broich, 18. April 2013 Die Zeichenanzahl beträgt 101.757

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Made with love (and sweat) in Ehrenfeld.


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