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Isabelle Faust & Antoine Tamestit

INTERVIEW ISABELLE FAUST & ANTOINE TAMESTIT im Gespräch

NICHT ZU ÜBERBIETEN

VON BENJAMIN HERZOG Die Geigerin Isabelle Faust und der Bratschist Antoine Tamestit sind sich einig: Mozarts Sinfonia Concertante KV 364 ist eines der besten Werke, die Mozart geschrieben hat.

BH Alfred Einstein meinte, die Sinfonia Concertante sei «die Krönung dessen, was Mozart in seinen Violinkonzerten angestrebt hatte». Wie stehen

Sie zu dieser Aussage? IF Ich kann dem nur zustimmen. Die Sinfonia Concertante ist sicherlich das schönste Werk, das Mozart für solistische Streicher und Orchester geschrieben hat. AT Die Violinkonzerte sind grossartig. Aber die Sinfonia Concertante ist ein Bijou. Punkto Form und emotionaler Struktur ist sie unglaublich gut geschrieben. Da höre ich den Mozart der Operndialoge und der Streichquartette, die ja auch sehr dialogisch sein können. «Mozart zieht hier die Summe aus all seinen bisher gewonnenen Erfahrungen und schreibt ein Werk, das an Schönheit und Ausgewogenheit nicht zu überbieten ist.»

BH Das Werk stammt aus dem Jahr 1779.

Die fünf bekannten Violinkonzerte aus den Jahren 1773 bis 1775. Hören

Sie da eine Entwicklung, einen Unterschied? IF Mozart hat schon während der Arbeit an den Violinkonzerten innerhalb einer kurzen Zeitspanne eine enorme Entwicklung der Form und des Stils vorangetrieben. Wenn man das Violinkonzert KV 207 mit KV 219 vergleicht, wird dies sehr deutlich. Die Sinfonia Concertante ist nun aber das Resultat eines längeren Aufenthalts in Mannheim, wo Mozart sich mit dem Stil der Konzertanten Sinfonie und insbesondere der Musik von Carl Stamitz auseinandersetzen konnte. Ebenso spielen hier seine Pariser Erfahrungen mit hinein. Die Sinfonia Concertante vereinigt auf einmalige Weise Tiefgründigkeit

und Unterhaltendes. Mozart zieht hier die Summe aus all seinen bisher gewonnenen Erfahrungen und schreibt ein Werk, das an Schönheit und Ausgewogenheit nicht zu überbieten ist. AT Mozart geht formal weiter als in seinen Violinkonzerten. Das gilt auch für die Freiheit dieser Form. Der langsame Satz hat eine viel grössere emotionale Tiefe als die langsamen Sätze der vorangegangenen Konzerte. In beidem, der Form und der emotionalen Tiefe, sind die Violinkonzerte klassischer, erwartbarer. In der Sinfonia Concertante dagegen spüre ich sowohl grössere Reife wie auch grössere Freiheit.

«Die Inspiration ist einfach perfekt. Man könnte fast meinen, dass Mozart hier ein derart sensationelles Werk geschaffen hat, dass er zum Thema Streichersolisten nichts mehr hinzuzufügen hatte.»

BH Einstein nannte die Violine Mozarts

«Dienstinstrument». Er spielte damit auf das gespannte Verhältnis zum

Salzburger Erzbischof Colloredo an.

Hat sich Mozart mit der Sinfonia Concertante davon befreit? IF Interessant ist, dass Mozart nach der Sinfonia Concertante kein solistisches Werk für Violine mehr geschrieben hat. Offensichtlich hat er seine Ressentiments diesem Instrument gegenüber, die sicher von seiner geigerischen Anstellung im Orchester in Salzburg herrührten, nie ganz ablegen können. Dennoch lassen die solistischen Parts hier keinen Hauch von Überdruss oder Routine erahnen, im Gegenteil: Die Inspiration ist einfach perfekt. Man könnte fast meinen, dass Mozart hier ein derart sensationelles Werk geschaffen hat, dass er zum Thema Streichersolisten nichts mehr hinzuzufügen hatte. AT Sicher ist, dass Mozart auch sehr gerne Viola gespielt hat. Zum Beispiel im Streichquartett. Und vermutlich hat er auch die Solostimme in der Sinfonia Concertante selber gespielt. Befreit hat Mozart eher die Viola als solche. In diesem Werk hebt er sie auf das Niveau der Violine.

BH Die Sinfonia Concertante entstand nach einer Paris-Reise, auf der Mozart grosse Erfolge feiern konnte.

Ein einschneidendes Erlebnis dieses

Aufenthalts war aber auch der Tod der Mutter 1778 in Paris. Ist der langsame Mittelsatz ein Lamento? IF Der langsame Satz ist sicher einer der schönsten in Mozarts Gesamtwerk. Er hat einen sehr ernsten, klagenden Charakter, ist aber nicht todtraurig, es gibt immer wieder auch etwas hellere Anklänge. Im Vergleich zur herzzerreissenden und extrem intimen eMollViolinsonate, die sicherlich während der Trauer um die Mutter geschrieben wurde, wirkt der Mittelsatz hier nicht ganz so tragisch. Aber wer weiss, natürlich kann es sich auch hier um eine Erinnerung an Mozarts Mutter handeln. AT Auf jeden Fall ist das Musik mit ganz tiefem Ausdruck. Mozart beherrscht den emotionalen Ausdruck hier extrem gut. Diese Modulationen, diese Betonung des tiefen C – das hinterlässt ein regelrechtes Gewicht der Trauer im Körper und auch im Ohr. Und dann gibt es daneben diese Zärtlichkeit in Dur, Erinnerungen an die Mutter vielleicht. Wie die Musik das beschreibt, ist jedenfalls absolut fabelhaft. Das spüre ich jedes Mal beim Spielen.

BH Der Werktyp ‹Symphonie Concertante› schien damals gerade in Paris sehr beliebt zu sein. Hören Sie Französisches in Mozarts Musik? IF Die Form der Konzertanten Sinfonie war damals in Paris, aber auch in Mannheim, sehr in Mode. Wir wissen, dass Mozart speziell für Paris eine Symphonie Concertante (auch in EsDur!) für Oboe, Klarinette, Fagott und Horn geschrieben hat. Leider ist diese verschollen. Hier wäre es extrem spannend, den Stil dieses Werks mit demjenigen von KV 364 zu vergleichen. Sicherlich hatte Mozart hier noch ein paar französische Spezialitäten eingebaut, als Hommage an die Pariser. In KV 364 er

kenne ich mehr FormMerkmale aus der Mannheimer Schule. Mozart hat sich zum Beispiel auch nicht gescheut, das Hauptthema des 1. Satzes bei Stamitz zu stibitzen. AT Ich höre nicht allzu viel Französisches. Vielleicht zu Beginn des 1. Satzes. Hier hat sich Mozart möglicherweise von der majestätischen Eleganz der französischen Barockouvertüre mit ihren punktierten Rhythmen leiten lassen.

«Das ist ein Zuhören und Spielen über Kreuz: Wie kann ich das Gleiche sagen, was ich vom anderen gehört habe, aber doch auf meine Weise? Das ist dann ein sehr schöner Kompromiss.»

BH Haben Sie auch schon einmal die andere Stimme gespielt? IF Die andere Stimme habe ich leider nie seriös zu spielen hinbekommen. Aber beide Stimmen sind einander ebenbürtig, beide haben eigentlich identische Parts zu spielen. Für die Viola gibt es allerdings noch einen extra Spass: Sie ist normalerweise in Skordatur zu spielen (Antoine Tamestit lässt sich das natürlich nicht nehmen), sodass trotz der Tonart EsDur viele leere Saiten benutzt werden können, die Bratsche dadurch heller klingt und sich besser von den TuttiBratschen (die übrigens in zwei Stimmen unterteilt sind) abhebt. Überhaupt ist die Viola im Tutti besonders bedacht worden, die Teilung in zwei unterschiedliche Stimmen ist aussergewöhnlich und verleiht dem Orchesterklang etwas speziell Rundes und Warmes. AT Ich habe die andere Stimme noch nie gespielt.

BH Wie einigt man sich auf eine gemeinsame Interpretation? Ist es am

Schluss eher ein Kompromiss oder gerade das Gegenteil: doppeltes Aufblühen? IF In diesem Falle ganz bestimmt ‹doppeltes Aufblühen›. Mit einem solch grandiosen Partner wie Antoine Tamestit ist das gar nicht anders denkbar! AT Zweiteres. Oder sagen wir es so: Wenn man mit jemandem wie Isabelle Faust spielt, die ich sehr schätze, mit der ich ähnliche musikalische Überzeugungen teile, dann ist es kein Kompromiss im negativen Sinne, sondern es stellt sich eher die Frage, was man vom anderen übernehmen kann, wie man sich gegenseitig auf einem höheren Niveau Antworten zuspielen kann. Das ist ein Zuhören und Spielen über Kreuz: Wie kann ich das Gleiche sagen, was ich vom anderen gehört habe, aber doch auf meine Weise? Das ist dann ein sehr schöner Kompromiss.

BH Eine Zusatzfrage, Antoine Tamestit.

Warum spielen Sie Ihren Part in

Skordatur, also mit Saiten, die alle einen Halbton höher gestimmt sind? AT Längere Zeit dachte man, das sei bloss eine Vereinfachung für die Bratschisten. Das ist es aber nicht nur. Das Instrument höher zu stimmen, ist eher eine Frage der Resonanz. Die Viola gleicht sich dadurch klanglich der Violine an. Weil die Saiten stärker gespannt sind, hat das Instrument mehr Brillanz. In normaler Stimmung klingt die Viola vielleicht tiefer, dunkler. In Skordatur klingt sie eher wie eine Schwester der Violine. Oder wie ihr Bruder.

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