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Sinfonia Concertante
ZUM WERK WOLFGANG AMADÉ MOZART Sinfonia Concertante
REICHTUM AN IDEEN UND KLÄNGEN
VON THOMAS MAY Im Jahr 1779, einige Jahre bevor Haydn seine Sinfonie Nr. 76 niederschrieb, brannte der 23jährige Mozart darauf, sich von den Einschränkungen zu befreien, die ihm sein Dienstherr in Salzburg, der Erzbischof Colloredo, auferlegt hatte. Seine kurz zuvor unternommene Reise nach Mannheim und Paris war dabei von entscheidender Bedeutung; sie regte Mozart offenbar dazu an, mit instrumentalen Formen und Stilen, denen er dort begegnet war, zu experimentieren.
Ein Ergebnis davon war die Sinfonia Concertante – ein Werk, das vor Freude am Erforschen neuer instrumentaler Klangkombinationen und möglichkeiten nur so strotzt. Es markiert gleichzeitig eine Art Wendepunkt und fasst zusammen, was Mozart bis dahin als Künstler erreicht hatte. Nicht lange nach der Vollendung des Werks – und zum Teil wegen seiner rein vergnüglichen kreativen Unternehmungen auf Kosten seiner Pflichten als Hoforganist – wurde er von seinem Vorgesetzten fristlos entlassen (wie er in einem Brief sardonisch formuliert, «durch einen Tritt im Arsch») und verliess Salzburg endgültig, um in Wien zu leben.
Die genannte Gattung ist, wie der Name schon sagt, eine Mischung aus Sinfonie und Konzert, was im späteren 19. Jahrhundert als Doppelkonzert für Violine und Viola bezeichnet werden sollte. Doch die Sinfonia Concertante vereinigt diese verschiedenen Dimensionen auf wundersame Weise. Wie Haydn schöpft Mozart sein eher bescheidenes Orchesterensemble maximal aus; es gibt kein Schlagzeug, nicht einmal Flöten oder Mozarts geliebte Klarinetten, dafür die Einteilung der Bratschen in zwei Stimmen, um eine reichere Streichermischung zu erreichen. Die Proportionen des Eröffnungssatzes (der mit dem episch klingenden Tempo Allegro maestoso gekennzeichnet ist) sind grosszügig und umfangreich, was den sinfonischen Aspekt des Werks noch verstärkt. Für viele ist dieses Stück das grossartigste von Mozarts Konzerten für die Violine und übertrifft die fünf offiziellen Violinkonzerte. Gleichzeitig spielt die Bratsche in der Sinfonia Concertante nicht die Rolle der zweiten Geige. Mozarts Wahl des Instruments für den zweiten Solisten ist aufschlussreich: Obwohl ein hervorragender Geiger, spielte er selber gerne Bratsche in StreichquartettEnsembles und genoss es, im ‹Mittelpunkt› zu stehen. Ein unverwechselbares Merkmal der Sinfonia Concertante ist die bemerkenswerte Partnerschaft und Gleichberechtigung der beiden Solistinnen oder Solisten sowie die mitreissend schöne Klangmischung, die sie erzeugen. In Mozarts Originalpartitur ist die Bratschenstimme sogar in DDur notiert, sodass die Solo
ZUM WERK Bratsche die Saiten einen Halbton höher stimmen muss. Damit soll der sonst eher zurückhaltenden Bratsche eine gewisse Resonanz verliehen werden, um die Klangfülle der üblicherweise im Rampenlicht stehenden Violine auszugleichen.
Mozarts Kunst bringt an vielen Stellen der Sinfonia Concertante mit scheinbarer Leichtigkeit einen aussergewöhnlichen Reichtum an Ideen und Klängen hervor – wie reife Früchte, die einfach nur gepflückt werden wollen. Dies zeigt sich gleich in der eröffnenden Orchesterexposition, wo sich eine Idee an die nächste reiht, bis man bei einem halben Dutzend den Überblick verliert. Und es folgen weitere, sobald sich der Vorhang hebt und die Solistinnen oder Solisten in einer der erhabensten MozartPassagen einsetzen, indem sie sich mit einem anhaltenden hohen Es vom Orchesterhintergrund abheben. Es ist wohl keine Überraschung, dass George Balanchine ein berühmtes Ballett zu dieser Musik choreografierte, denn die beiden Solistinnen oder Solisten stehen nicht nur im Dialog mit dem gesamten Orchester, sondern auch miteinander. In den vielen sich entfaltenden widerhallenden Passagen und im Aufbau der ausdrücklich ausgeschriebenen Kadenzen ist vielleicht sogar Mozart selbst als Bratschist herauszuhören.
Neben diesen instrumentalen Dimensionen gibt es noch eine weitere. Diese ist die Welt der Oper, des Klagelieds, mit einem Hauch archaischer Barockstimmung, die im empfindsamen und langen Andante, einem der relativ seltenen langsamen MollSätze Mozarts, aufscheint. Hier ist eine emotionale Tiefe zu spüren, die, wie Maynard Solomon in seiner bemerkenswerten Biografie spekuliert, die Verlusterfahrung des Komponisten beim Tod seiner kurz zuvor verstorbenen Mutter widerspiegeln könnte. Auch die Dualität des ViolinViolaKlangs trägt zur atemberaubenden Schönheit des Stücks bei: Hören Sie auf die klagende TrauerArie der SoloVioline und die Antwort der Bratsche, die nun plötzlich, aber glaubwürdig, Trost spendet. Auch im Folgenden bilden die beiden ein komplementäres Paar, während Mozart sein Lied bruchlos weiterentwickelt – eine Melodik, die Wagner in seinen Bühnenwerken später als «unendliche Melodie» bezeichnen wird.
Wolfgang Amadé Mozart (1756–1791)
Mit dem Presto-Rondo-Finale kehrt eine unbändige freudige Energie zurück. Wie Alfred Einstein bemerkte, resultiert diese «Heiterkeit hauptsächlich aus der Tatsache, dass in der Kette der musikalischen Ereignisse das Unerwartete immer zuerst auftritt und dann das Erwartete folgt». Oder, um es mit Hesses ätherischen Unsterblichen aus dem Roman Der Steppenwolf zu vergleichen: Die Sinfonia Concertante endet mit dem Lachen der Unsterblichen, einem Lachen «ohne Gegenstand».
Aus dem Englischen übersetzt von Lea Vaterlaus. Verwendung mit Genehmigung der Los Angeles Philharmonic Association.
Sinfonia Concertante
BESETZUNG Violine solo, Viola solo, 2 Oboen, 2 Hörner, Streicher
ENTSTEHUNG 1779 in Salzburg
URAUFFÜHRUNG nicht überliefert