Nr. 5 Saison 21/22 – Turtelei

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ZUM W ER K

WOLFG A NG A M A DÉ MOZ A RT Sinfonia Concertante

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REICHTUM A N IDEEN U ND K L Ä NGEN

VON THOM AS M AY

Im Jahr 1779, einige Jahre bevor Haydn seine Sinfonie Nr. 76 niederschrieb, brann­ te der 23-jährige Mozart darauf, sich von den Einschränkungen zu befreien, die ihm sein Dienstherr in Salzburg, der Erzbi­ schof Colloredo, auferlegt hatte. Seine kurz zuvor unternommene Reise nach Mannheim und Paris war dabei von ent­ scheidender Bedeutung; sie regte Mozart offenbar dazu an, mit instrumentalen For­ men und Stilen, denen er dort begegnet war, zu experimentieren. Ein Ergebnis davon war die Sinfonia Concertante – ein Werk, das vor Freude am Erforschen neuer instrumentaler Klang­ kombinationen und -möglichkeiten nur so strotzt. Es markiert gleichzeitig eine Art Wendepunkt und fasst zusammen, was Mozart bis dahin als Künstler erreicht hatte. Nicht lange nach der Vollendung des Werks – und zum Teil wegen seiner rein vergnüglichen kreativen Unterneh­ mungen auf Kosten seiner Pflichten als Hoforganist – wurde er von seinem Vor­ gesetzten fristlos entlassen (wie er in ­einem Brief sardonisch formuliert, «durch einen Tritt im Arsch») und verliess Salz­ burg endgültig, um in Wien zu leben. Die genannte Gattung ist, wie der Name schon sagt, eine Mischung aus Sinfo­ nie und Konzert, was im späteren 19. Jahr­ hundert als Doppelkonzert für Violine und Viola bezeichnet werden sollte. D ­ och

die Sinfonia Concertante vereinigt diese verschiedenen Dimensionen auf wunder­ same Weise. Wie Haydn schöpft Mozart sein eher bescheidenes Orchesterensem­ ble maximal aus; es gibt kein Schlagzeug, nicht einmal Flöten oder Mozarts gelieb­ te Klarinetten, dafür die Einteilung der Bratschen in zwei Stimmen, um eine ­reichere Streichermischung zu erreichen. Die Proportionen des Eröffnungssatzes (der mit dem episch klingenden Tempo Allegro maestoso gekennzeichnet ist) sind grosszügig und umfangreich, was den ­sinfonischen Aspekt des Werks noch ver­ stärkt. Für viele ist dieses Stück das gross­ artigste von Mozarts Konzerten für die Violine und übertrifft die fünf offiziellen Violinkonzerte. Gleichzeitig spielt die Bratsche in der Sinfonia Concertante nicht die Rolle der zweiten Geige. Mozarts Wahl des Instruments für den zweiten Solisten ist aufschlussreich: Obwohl ein hervor­ ragender Geiger, spielte er selber gerne Bratsche in Streichquartett-Ensembles und genoss es, im ‹Mittelpunkt› zu stehen. Ein unverwechselbares Merkmal der ­Sinfonia Concertante ist die bemerkens­ werte Partnerschaft und Gleichberech­ti­ gung der beiden Solistinnen oder Solisten sowie ­die mitreissend schöne Klangmi­ schung, die sie erzeugen. In Mozarts Ori­ ginalpartitur ist die Bratschenstimme sogar in D-Dur notiert, sodass die Solo-


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