Nr. 3 Saison 24/25 – Mahler 9

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Der Kulturstadt

Basel Sorge tragen

ÜBERSICHT DER SYMBOLE

Diese Institution verfügt über eine Höranlage

Nummerierte Rollstuhlplätze im Vorverkauf erhältlich

Für Familien mit Kindern geeignet

Das Sinfonieorchester Basel verwendet geschlechtergerechte Formulierungen und weist Autor*innen bei der Vergabe von Textaufträgen im Vorfeld darauf hin. Es steht den Autor*innen jedoch frei, ihre Texte individuell zu gestalten.

ONE QUIET NIGHT

HÉLÈNE DE MONTGEROULT

COURS COMPLET POUR L’ENSEIGNEMENT DU FORTE PIANO

JOHA NNES

BRAHMS

NÄNIE OP. 82

VIER QUARTETTE OP. 92: O SCHÖNE NACHT / SPÄTHERBST / ABENDLIED / WARUM?

SEHNSUCHT OP. 112

VIKTOR ULLMANN

STREICHQUARTETT NO 3 OP. 46

Basler Gesangverein

Streichquintett des Orchestre Musique des Lumières Klavier und Arrangements : Ioana Ilie

Musikalische Leitung: Facundo Agudin SONNTAG, 1. DEZEMBER 2024, 17.00 UHR MARTINSKIRCHE

Vorverkauf: Bider & Tanner und an den üblichen Vorverkaufsstellen.

Online: www.biderundtanner.ch oder www.bs-gesangverein.ch

Preise: CHF 55.-, 42.50, 30.-

MAHLER 9

Liebes Konzertpublikum

Mit Sir Mark Elder kehrt ein vom Sinfonieorchester Basel sehr geschätzter Künstler ans Dirigentenpult des Orchesters zurück. Sie erinnern sich vielleicht noch an Elders konzertante Auf ührungen von Richard Wagners Parsifal (3. Akt) oder Siegfried (3. Akt) in Basel. Im aktuellen Konzert bringt er uns Gustav Mahlers 9. Sinfonie näher. Im Interview für dieses Programm­Magazin erzählt Sir Mark Elder, welche Bedeutung dieses monumentale Werk für ihn persönlich hat. Auch in der Musik stadt Basel und in der Geschichte unseres Orchesters hat Gustav Mahler seine Spuren hinterlassen. So leitete er 1903 im Basler Münster eine Au f ührung seiner 2. Sinfonie mit dem damaligen Basler Sinfonieorchester.

Wie kein anderer verstand es Gustav Mahler, auf zu seiner Zeit völlig unkonventionelle Art und Weise, unterschiedliche Stimmungen in Musik nebenund übereinanderzulegen. Seine Fähigkeit, mit Klangfarben und Motiven zu spielen, um emotionale Landschaften zu schafen, ist unübertrofen. In seiner 9. Sinfonie sind das einerseits die Liebe zum Leben, aber auch Schmerz und Trauer. Wir hören Mahlers grosse Naturverbundenheit, eine Welt voller Schönheiten, die dieser Natur entspriessen. Auf der anderen Seite verarbeitet

Mahler in seiner 9. Sinfonie auf eindrückliche Weise persönliche Schicksalsschläge: den Tod seiner Tochter Maria Anna und die Diagnose seiner Herzkrankheit. Die 9. Sinfonie, fertiggestellt im Jahr 1910, ist das letzte vollendete grosse Werk des Komponisten. Sein Abschied von der Welt.

Für mich persönlich zählt die 9. Sinfonie von Gustav Mahler zu den genialsten und ergreifendsten Beispielen grosser Sinfonik. Ich freue mich, dass Sie mit uns auf eine wundervolle und faszinierende musikalische Entdeckungsreise kommen.

Franziskus Theurillat Orchesterdirektor

Sir Mark Elder beim Konzert ‹Siegfried› mit dem Sinfonieorchester Basel (23. März 2023)

VORVERKAUF, PREISE UND INFOS

VORVERKAUF

Bider & Tanner – Ihr Kulturhaus in Basel Aeschenvorstadt 2, 4051 Basel +41 (0)61 206 99 96 ticket@biderundtanner.ch

Sinfonieorchester Basel +41 (0)61 272 25 25 ticket@sinfonieorchesterbasel.ch www.sinfonieorchesterbasel.ch

ZUGÄNGLICHKEIT

Das Stadtcasino Basel ist rollstuhlgängig und mit einer Induktionsschleife versehen. Das Mitnehmen von Assistenzhunden ist erlaubt.

PREISE

CHF 110/90/75/55/35

ERMÄSSIGUNGEN

• Junge Menschen in Ausbildung: 50 %

• AHV/IV: CHF 5

• KulturLegi: 50 %

• Mit der Kundenkarte Bider & Tanner: CHF 5

• Begleitpersonen von Menschen, die für den Konzertbesuch eine Begleitung beanspruchen, haben freien Eintritt. Die Anmeldung erfolgt über das Orchesterbüro.

GEHÖRSCHUTZ

Gehörschutz ist an der Abendkasse sowie am Welcome Desk im Foyer des Stadtcasinos Basel erhältlich.

© Benno Hunziker

MAHLER 9

Mi, 20. November 2024, 19.30 Uhr

Do, 21. November 2024, 19.30 Uhr

Stadtcasino Basel, Musiksaal

18.30 Uhr, Musiksaal: Konzerteinführung mit Benjamin Herzog

Gustav Mahler (1860–1911)

Sinfonie Nr. 9 (1910)

I. Andante comodo

II. Im Tempo eines gemächlichen Ländlers.

Etwas täppisch und sehr derb

III. Rondo-Burleske. Allegro assai. Sehr trotzig

IV. Adagio. Sehr langsam und noch zurückhaltend

ca. 75’

Sinfonieorchester Basel

Sir Mark Elder, Leitung

Konzertende: ca. 20.50 Uhr

SEHNSUCHT UND DIE LIEBE ZUM LEBEN

Sir Mark Elder liebt die letzte vollendete Sinfonie von Gustav Mahler innig, und er kennt ihre Schwierigkeiten. Im Interview spricht er über seine Interpretationsansätze, über das Miteinander von Süsse und Schärfe und über Mahlers Bedeutung für uns heute.

FK Die 9. Sinfonie von Gustav Mahler wird oft als Werk des Abschieds interpretiert. Was würden Sie diesem Grundthema hinzufügen?

ME Ich denke nicht, dass die Sinfonie mit Abschied zu tun hat. Da ist eine andere Geschichte drin. Bevor und während er seine 9. Sinfonie schrieb, wusste Mahler zwar bereits um seinen prekären Gesundheitszustand aufgrund seiner Herzprobleme. Aber niemand sagte ihm, dass sein Tod unmittelbar bevorstehen würde.

FK Was hören Sie denn in dieser Musik?

ME Sehnsucht und Liebe zum Leben –das grosse persönliche Drama des Weiterlebens. Ich bin der Ansicht, dass die Anfangstakte der Sinfonie den unregelmässigen Herzschlag von Mahler zum Ausdruck bringen und sein Bemühen, damit zu leben. Wenn tatsächlich eine Ahnung von Abschied in dieser Sinfonie enthalten sein sollte, dann wäre damit eher der schreckliche Verlust seiner Tochter gemeint.

FK Mahlers Tochter Maria Anna , die 1907 mit knapp fünf Jahren gestorben ist.

ME In gewisser Weise steht hinter dem letzten Satz so etwas wie: ‹Ich mache meinen Frieden mit dem Tod

© Benjamin Ealovega

meiner Tochter.› Interessanterweise finden wir dort auch ein direktes Zitat aus Mahlers Kindertotenliedern . Aber seinen eigenen Tod höre und spüre ich aus der Neunten nie heraus.

FK Wie sind die vier Sätze aufeinander bezogen?

ME Dazu nur ein Beispiel: Beim ersten Hören realisiert das Publikum nicht, dass Mahler im 3. Satz bereits das Finale vorbereitet, indem er eine diskrete Vorschau, eine Art ‹Sneak­Preview›, auf dessen Hauptthema einschiebt. Danach kehrt der Lärm des Lebens zurück. Das ist unglaublich originell.

FK Können Sie etwas zum dramaturgischen Aufbau sagen?

ME Mahler wollte, dass jede seiner Sinfonien eine riesige Landschaft unterschiedlicher Emotionen darstellt. Die Dimensionen des 1. Satzes der Neunten sind so monumental, dass Mahler wusste: So konnte er in den Folgesätzen nicht weitermachen. Er benötigte Kontraste, um die Balance des Werks zu halten.

FK Wie würden Sie den individuellen Gehalt der einzelnen Sätze beschreiben?

ME Der 1. Satz Andante comodo ist in sich bereits ein staunenswertes musikalisches Drama. Das finale Adagio ist der am weitesten ausgreifende Satz, den Mahler je komponiert hat. Die Mittelsätze sind objektiver und führen zum Finale hin. Der 2. Satz Im Tempo eines gemächlichen Ländlers blickt auf jene Tanzformen zurück, die Mahlers Musik seit je ihren Charme verliehen haben. Mit seiner albtraumhaft verzerrten Harmonik enthält dieser Satz auch eine diabolische Qualität. Die Rondo-Burleske an dritter Stelle schrieb Mahler nicht zuletzt, um damit seine ausserordentlichen Fähigkeiten im Kontrapunkt zu demonstrieren und so eine damals in Wien verbreitete Meinung zu widerlegen, er wäre nur ein dilettantischer Freizeitkomponist. Gleichzeitig kündet

der Satz von der Unbeschwertheit und der Trivialität des Lebens.

FK Welches sind die grossen Schwierigkeiten dieser Neunten – beim Proben, beim Aufführen?

ME Sie sind enorm! Herausfordernd für die Musiker*innen ist es, sich in ein Ensemblegefühl einzufinden. Es geht mir darum, dem Orchester die emotionale Temperatur der Musik zu zeigen und es so ins Zentrum des Geschehens zu führen. Zwar ist da eine Kombination von Süsse – eine sehr österreichische Qualität – und langen, inbrünstigen Linien. Aber zugleich muss alles schar f und präzise artikuliert sein. Sonst wird daraus eine verkochte Minestrone.

FK Und für das Publikum?

ME Ich finde es wichtig, Mahlers Musik live zu hören. Meine erste LiveErfahrung hatte mich seinerzeit tief beeindruckt. Mahler versucht, zu seinem Publikum zu sprechen, macht es ihm dabei aber nicht leicht. Die Zuhörenden werden auf eine epische emotionale Reise mitgenommen, mitten in den Wirbel sturm des Lebens.

FK Welche Qualitäten des Sinfonieorchesters Basel sind besonders nützlich für die Interpretation von Mahler?

ME Sie sind leidenschaftlich engagierte Musiker*innen und gehen gerne auf Entdeckungsreise. Es herrscht ein gutes Arbeitsethos hier in Basel. Ich mag den Klang des Orchesters sehr. Es kann sehr schnell zwischen Farben und Stimmungen wechseln.

FK Was hat Mahler uns Menschen von heute zu sagen?

ME Das 21. Jahrhundert bringt unserer Welt so viele Herausforderungen von ganz grosser Tragweite. Deshalb sprechen Gustav Mahlers Visionen stärker zu uns als zu seinen Zeitgenoss*innen. Die wussten nicht, wie umzugehen mit dieser Kraft und dieser negativen

Energie. Wir hingegen können einen Bezug dazu herstellen. Das macht Mahler für uns Heutige interessant. Natürlich kann ein*e Konzertbesucher*in etwas ganz anderes finden und hören als ich. Aber genau das ist wundervoll!

© Heritage Image Partnership
Ltd / Alamy Stock Foto
Gustav Mahler mit seiner Frau Alma und den Töchtern Maria Anna und Anna Justine, 1910

GUSTAV MAHLER

Sinfonie Nr. 9

«DAS ALLERHERRLICHSTE, WAS MAHLER GESCHRIEBEN HAT»

VON STEFAN SCHICKHAUS

«Abschied von allen, die er liebte, und von der Welt und von seiner Kunst, seinem Leben, seiner Musik» – der grosse niederländische Dirigent Willem Mengelberg, der als 32­Jähriger Gustav Mahler kennenlernte und sich sehr für die Verbreitung seiner Musik einsetzte, schrieb diese Zeilen über die Dirigierpartitur der 9. Sinfonie. Dabei traf er gleich mit dem ersten Wort den Kern dieses Werks, der letzten vollendeten Mahler­Sinfonie, seiner Abschiedssinfonie.

Mengelberg gab jedem weiteren Satz eine kurze Charakterisierung,

handschriftlich jeweils über den Satzbeginn gesetzt, jede so subjektiv wie trefend.

Der Dirigent war aber nicht der Einzige, der schriftliche Spuren hinterlassen hatte in der Partitur. Zwar ist Mahlers Neunte nicht über und über mit verbalen Ausrufen und Schmerzensschreien versehen wie das Manuskript der unvollendet gebliebenen Zehnten . Doch auch hier hat der Komponist Hinweise hinterlassen, auf seinen Seelenzustand und auf das, wovon diese Musik spricht. «Leb wol! Leb wol!», steht da etwa im Partiturentwurf des 1. Satzes, und «O Jugendzeit! Entschwundene! O Liebe! Verwehte!». Mahler nimmt Abschied, setzt aber – geht es nach dem Musiktheoretiker Theodor W. Adorno – quasi nebenbei mit dieser Sinfonie zu einer gänzlich neuen Epoche an und lässt die Spätromantik von da an als etwas Vergangenes erscheinen. Diese Neunte sei, so Adorno, das «erste Werk der neuen Musik».

1907 war ein Unglücks­ und Krisenjahr in Gustav Mahlers Biografie. Er trat im Mai, von einer öfentlich geführten Kampagne dazu gedrängt, vom Amt des Wiener Hofoperndirektors zurück, am 5. Juli starb seine Tochter,

kurze Zeit später wurde bei ihm ein Herzklappenfehler festgestellt – «und mit diesem Befund begann das Ende Mahlers», so seine Frau Alma. Mahler kehrte Wien den Rücken und suchte in New York eine neue Perspektive. Seine Briefe aus den Jahren 1907 bis 1910 sprechen von Depressionen, von Angstzuständen.

Ein Gerüst für seine 9. Sinfonie hatte er noch in Toblach errichtet, in seiner gewohnten Komponierumgebung. Der «ganz unleserliche» Partiturentwurf war dann in seinem Überseegepäck auf der Fahrt nach New York, wo Mahler an der Metropolitan Opera zwar nicht glücklich wurde, wo er aber ab Herbst 1909 die Leitung der New Yorker Philharmoniker übernahm. In New York entstand dann die Reinschrift. Die Urau f ührung 1912 durch die Wiener Philharmoniker unter Bruno Walter hat Mahler nicht mehr erlebt. Ist das spätere Adagio aus Mahlers 10. Sinfonie ein geradezu ungefilterter Aufschrei ganz aus eigenem Erleben heraus, so hat diese 9. Sinfonie etwas weitaus Überpersönlicheres. Es scheint, Gustav Mahler wollte hier bewusst Tradition auflösen, der Abschiedsgedanke bezieht sich längst nicht nur auf seine Biografie. Es geht hier nicht um das Scheitern auf der Jagd nach dem persönlichen Glück, sondern um ein Scheitern der Welt als Ganzes. Nicht nur der Mensch Mahler sieht sich vor dem Abgrund, er sieht vielmehr die Menschheit dort.

Formal ist diese Neunte kaum zu greifen. Vier Sätze sind es zwar, doch ist ihre Tempoverteilung sozusagen auf den Kopf gestellt. Die Ecksätze sind langsam, sie rahmen zwei Scherzo­artige schnelle Sätze ein. Traditionell gültige Ordnungsprinzipien wie etwa die Sonatenhauptsatzform gibt es nicht mehr, das Rondo verdient seinen Namen kaum. Harmonisch führt die Sinfonie ein Eigenleben, pendelt zwischen den oft hart aneinandergestellten Tonarten DDur, C­Dur, a­Moll und Des­Dur. Die Potenzierung aller denkbaren Klang­

mittel, wie Mahler sie in seiner 8. Sinfonie ein für alle Mal ausgereizt hatte, spielt in der Neunten keine Rolle mehr. Die Zeit des Riesenapparats mit Chor und Vokalsolisten ist vorbei.

Der 1. Satz Andante comodo ist einer der merkwürdigsten Sinfoniesätze, die Mahler je geschrieben hat. Er stellt zu Beginn extrem heterogenes Material vor. Laute, Symbole, Motivfetzen, Rhythmen, die scheinbar beziehungslos sich nebeneinander lagern. Kein anderer Mahler­Satz entwickelt sich aus derart rudimentären Substanzen – die sich allerdings als tragfähig erweisen für ein Gebilde von gut dreissig Minuten Spieldauer! Alban Berg schilderte im Urau f ührungsjahr 1912 seine Eindrücke: «Ich habe wieder einmal die 9. Sinfonie durchgespielt. Der erste Satz ist das Allerherrlichste, was Mahler geschrieben hat. Es ist der Ausdruck einer unerhörten Liebe zu dieser Erde, die Sehnsucht, im Frieden auf ihr zu leben,

© Pictorial Press Ltd / Alamy Stock Foto
Gustav Mahler, Porträtfotografie, ca. 1909

sie, die Natur, noch auszugeniessen bis in ihre tiefsten Tiefen – bevor der Tod kommt. Denn er kommt unaufhaltsam. Dieser ganze Satz ist auf die Todesahnung gestellt. Immer wieder meldet sie sich, […] am stärksten natürlich bei der ungeheuren Stelle, wo diese Todesahnung Gewissheit wird, wo mitten hinein in die tiefste, schmerzvollste Lebenslust ‹mit höchster Gewalt› der Tod sich anmeldet. Dazu das schauerliche Bratschen­ und Geigensolo und diese ritterlichen Klänge: der Tod in der Rüstung! – Es kommt mir wie Resignation vor, was jetzt noch vor sich geht. Dagegen gibt’s kein Auflehnen mehr.»

Zum Wesen des Abschieds, sagt der Musikologe Habakuk Traber, gehört ein Horchen in die Vergangenheit, gehören Erinnerungen, Zitate und Reminiszenzen. So arbeitet Gustav Mahler im 2. Satz Im Tempo eines gemächlichen Ländlers mit Volksliedern wie «Hab mir mein Weizen am Bergl g’sät, hat ihn der böhmische Wind verweht» oder einem böhmischen Weihnachtslied. Hier, so

Traber, «zählen wohl weniger die Zitate als solche, sondern eher der Tonfall. Er ent stammt dem süddeutsch­österreichisch­böhmischen Kulturraum, dessen volkstümliche Musik sich deutlich von anderen Gegenden mit deutscher Sprache unterscheidet. In diesem Milieu erlebte Mahler seine Jugend. Ein Stück von ihr defiliert hier – gebrochen, gezerrt, durcheinandergewürfelt, geschleudert – in eine Gleichzeitigkeit des Verschiedenartigen, wie sie Traumbilder auszeichnet.» In erster Linie aber fasst Mahler hier all jene Tanzcharaktere zusammen, die er in früheren Sinfonien schon einmal angedeutet hatte. Ländler in «gemächlich» und «langsam», dazwischen verschiedene Walzertempi. Der Beginn darf «etwas täppisch und sehr derb» tönen, wie Mahler in der Satzüberschrift fordert. Die Violinen verlangt er hier «schwerfällig», sie sollen klingen «wie Fiedeln».

Auch der grimmig­verbissene 3. Satz Rondo-Burleske. Allegro assai. Sehr trotzig ist disparat bis ins Extrem. Überaus modern sich ausnehmende und grell instrumentierte Fugen­Abschnitte, bei denen Strenge zu lebloser Härte wird, wechseln sich ab mit eigentümlichen Schlagermelodien. Franz Lehárs Lustige Witwe taucht auf und wird von einer Horn­Plattitüde übertönt. «Dieser Satz wird kurzatmig, noch ehe er richtig in Schwung kommt», schreibt Habakuk Traber. Nie kann man eindeutig sagen, was Thema und was Begleitung ist, denn simple Begleitfiguren übernehmen bald Führungsaufgaben, bevor sie wiederum von der eigenen Begleitung abgelöst werden.

Das Hauptthema des 4. Satzes Adagio ist ein Rückgri f nicht nur auf einen musikalischen Gedanken der Rondo-Burleske , sondern auch auf jenen Satz aus dem Lied von der Erde , der mit Der Abschied überschrieben ist. Der Satz beginnt mit einem erhabenen Streicherchoral in aller Langsamkeit, und er hält diese Langsamkeit überraschend lang durch. Habakuk Traber

Gustav Mahlers Partiturseite

resümiert: «Ist die Achte nach Mahlers eigenen Worten seine ‹Messe›, dann enthält die Neunte sein Requiem; der Schluss des letzten Satzes aber wäre das ‹Und das ewige Licht leuchte ihnen› in der entrückten Tonart Des­Dur, in die Mahler seine Neunte aus dem anfänglichen D­Dur gleiten lässt. Dazwischen aber liegt ein schmerzvoller Prozess, der durch weite Felder der Erinnerung und durch das Fegefeuer der Groteske führt.» Ganz am Schluss, wenn der Trubel bereits verschallt ist und die Musik ganz intim wird, zitiert die erste Violine aus einem der Kindertotenlieder Mahlers, wo von der Utopie gesungen wird, von dem, wie es hätte werden können: «Der Tag ist schön auf jenen Höh’n.» Die Musik dazu erklingt aus dem Verstummen heraus, hebt nach einer Generalpause an. Danach wiederum: Verstummen. Ersterben.

Sinfonie Nr. 9

BESETZUNG

5 Flöten, 4 Oboen, Englischhorn, 5 Klarinetten, 4 Fagotte, Kontrafagott, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Basstuba, Pauke, Schlagzeug, 2 Harfen, Streicher

ENTSTEHUNG

1909–1910

URAUFFÜHRUNG

26. Juni 1912 in Wien durch die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Bruno Walter

DAUER

ca. 75 Minuten

Alma und Gustav Mahler auf dem Basler Rheinsprung, 1903

MUSIK

‹Siegfried›

Sinfoniekonzert
am 23. März 2023 mit Derek Welton, Simon O'Neill, Sir Mark Elder, Wiebke Lehmkuhl, Rachel Nicholls und dem Sinfonieorchester Basel
© Benno Hunziker

HAUSMUSIK MIT BLICK AUF DIE ALPEN

VON BENJAMIN HERZOG

Dominik Ostertag wurde 1976 in Füssen im Allgäu geboren. Er studierte an der Hochschule für Musik und Theater Zürich (heute Hochschule der Künste) Violine bei Robert Zimansky und Viola bei Nicolas Corti. Anschliessend an der Hochschule für Musik in Basel bei Thomas Füri (Violine) und Christoph Schiller (Viola). Im Sinfonieorchester

Basel spielt Dominik Ostertag seit 2003.

BH Welcher ist Dein Lieblingsort in Basel oder der Region?

DO Meine Lieblingsorte hier sind die Petite Camargue Alsacienne und mein Gartensitzplatz an der Ergoltz in Liestal. Solche Naturgebiete vor den Toren der Stadt zu haben (dazu rechne ich auch meinen eigenen Garten), ist einfach herrlich. Zum Entspannen oder auch für Vogelbeobachtungen. In der Petite Camargue ist mir schon der eine oder andere Eisvogel vor die Linse gehüpft.

BH Welche Musik hörst Du beim Kochen oder beim Sport?

DO Beim Kochen höre ich alte italienische Schlager von Renato Carosone, beim Joggen Dancemusic der 80er­Jahre. Und in der Badewanne R&B aus den 90ern. Mit Carosones Tu vuò fà l’americano gelingt jedes Gericht. Vor allem, weil ich besonders gerne italienisch koche. Eine Bistecca fiorentina mit schwarzen Linsen und frittierten Artischockenherzen als Beilage. Delizioso!

BH Was war Dein prägendstes Erlebnis mit Chefdirigent Ivor Bolton?

DO Die eindrücklichste Produktion mit Ivor Bolton war für mich Mozarts Requiem im April 2024 am Theater Basel. Bolton verband in jeder Auf ührung Tiefe und Spielfreude. Das Requiem ist

© Pia Clodi, Peaches & Mint

nicht in der Schwere versunken, sondern hatte stets etwas Pulsierendes, Lebendiges. Ich schätze sehr, wie Ivor Bolton diese Widersprüche vereint hat.

BH Deine schönste Kindheitserinnerung?

DO Meine schönste Kindheitserinnerung ist, wie ich mit meinen Eltern in unserem Wohnzimmer Kammermusik spiele. Wir spielten Klaviertrios von Haydn. Einmal wagten wir uns auch an Brahms’ H­Dur­Trio. Mein Vater am Klavier, die Mutter am Cello, beide Amateure. So im Familienkreis zu spielen mit Blick auf die Alpen – das ist unvergesslich. Und wenn Nachbarn vorbeikamen, dann haben wir denen Sachen wie Heinzelmännchens Wacht parade oder die Wiener Schnulze Drunt’ in der Lobau vorgespielt.

BH Wo findest Du Inspiration?

DO Inspiration kommt für mich aus der Natur und von Freunden. In der Natur bin ich am liebsten an fliessenden Gewässern. Wenn der Strom so unaufhaltbar an einem vorbeizieht, ruhig und schön, ist es völlig egal, was um einen herum sonst noch alles passiert. Und an meinen Freunden liebe ich deren guten, bissigen Humor. So ein scharfzüngiges Bonmot hebt einen doch wunderbar über den Alltag hinaus.

ÄLTESTE BISCUIT MANUFAKTUR DER SCHWEIZ

U WIE UMWELTSCHUTZ

VON BENJAMIN HERZOG

In Gustav Mahlers Lied von der Erde steht die Zeile: «Die Vögel hocken still in ihren Zweigen. Die Welt schläft ein!» Die Metapher einer schlafenden Welt ist, auch wenn die Textvorlage hier aus dem alten China kommt, eine zutiefst romantische. Heute haben wir indes andere Assoziationen mit dem Bild einer Welt im Schlaf und befürchten, wohl zu Recht, dass die Erde, von Treibhausgasen erstickt, bald ins Koma fallen wird. Vor hundert Jahren, als Mahler seinen Zyklus von Orchesterliedern komponierte (manche sprechen hierbei auch von seiner ‹Neunten Sinfonie›), war ein Umweltbewusstsein im heutigen Sinne praktisch noch nicht vorhanden, und von Umweltschutz gar sprach noch niemand, auch wenn sich damals bereits erste Bemühungen zeigten, die Natur durch Naturschutzgesetze und ­parks zu schützen. Die im Vergleich zu heute viel geringere Industrialisierung, eine Erdbevölkerung von ‹nur› 1,7 Milliarden Menschen, praktisch keine Autos und Flugzeuge – es herrschten fast paradiesische Zustände, wenngleich die Entwicklung hin zu den grossen Problemen, die wir heute haben, vorgezeichnet war. Erst ab den 1970er­Jahren, als die deutsche Bundesregierung unter Kanzler Willy Brandt ein ‹Umweltprogramm› auf die Beine stellte, wurde der Begri f ‹Umweltschutz› all­

mählich bekannt. Die Umwelt für Gustav Mahler war in seiner damaligen Lebenssituation also nicht ein ökologisches Panorama, sondern ein höchst persönliches: die in Scherben liegende Beziehung zu seiner zwanzig Jahre jüngeren Ehefrau Alma, der Tod seiner Tochter Maria Anna und ein bei ihm selbst dia gnostizierter Herzfehler.

Gute Kunst weist immer über sich selbst hinaus. Und so ist es uns heute fast unmöglich, in Mahlers Zyklus einzig die persönliche Tragödie eines unglücklich Liebenden und am Leben Verzweifelten zu hören. Allein schon die deutschen Texte, Nachdichtungen chinesischer Lyrik aus dem 8. Jahrhundert, lassen für ganz anderes aufhorchen. Wenn Mahler zur Zeile «Die Welt schläft ein» die Musik fast ganz zum Verstummen bringt, so rüttelt er bei uns heute an Gefühlen wie Flugscham oder unserem schlechten Gewissen, zum Lunch statt des vegetarischen Menüs doch wieder Kalbsgeschnetzeltes bestellt zu haben. Die Beziehungen von Musik, in diesem Falle von Ausübenden, Veranstaltern, Orchestern, zur Umwelt sind heute aber noch viel vielfältiger. Popund Rockfestivals, wie etwa das Open Air St. Gallen, mit ihren zum Teil in die Hunderttausende gehenden Besucherzahlen haben früh auf Vorwürfe der Verschmutzung und von ungenügendem Bemühen um Nachhaltigkeit reagiert.

Mit Massnahmen wie dem Einsatz von Solargeneratoren und Mehrweggeschirr sowie Rabatten auf den öfentlichen Verkehr. Tatsächlich ist die Mobilität der grösste Posten in der Umweltbilanz eines Veranstalters. Auch bei Sinfonieorchestern und Klassik festivals. Auch wenn das Schweizer Publikum etwa vom Lucerne Festival mit günstigen Spezialtickets zur Anreise mit der Bahn animiert wird, so dürfte den dort auftretenden US­Orchestern nichts anderes übrigbleiben, als per Flugzeug anzureisen. Der internationale Klassikmarkt mit seinem eng getakteten Konzertbetrieb setzt nach wie vor auf dieses Verkehrsmittel, auch innerhalb Europas. Reisen insgesamt, so eine Erhebung, machen drei Viertel des ökologischen Fussabdrucks eines Orchesters aus. Darauf reagieren gewisse Orchester, wie etwa das Royal Concertgebouworkest. Ab 2025 sollen «wesentliche Teile» ihrer Tourneereisen per Zug zurückgelegt werden, lautet ein Versprechen aus Amsterdam. Das bedeutet aber auch Verzicht, Absage. In diesem Sinne etwa reagiert man in Ba sel auf Tourneeanfragen aus Fernost oder den USA. Der Kernmarkt für das Sinfonieorchester Basel, so Orchesterdirektor Franziskus Theurillat, soll Europa sein. Entferntere Destinationen müssten in einer Stadt, die sich für 2037 das Klimaziel ‹Netto­Null› gesetzt habe, schon

«sehr gut begründet» werden. Neben den in Verruf gekommenen Fernreisen stecken aber noch viel mehr Umweltthemen in einer sinfonischen Saison. Umweltschutz lässt sich etwa bereits beim Programm­Magazin umsetzen, das Sie in Händen halten. Es ist mit schadstof freien Farben und in einem speziellen wasserlosen O f setdruckverfahren hergestellt. Das ist – immerhin – ein Anfang. Künstlerisch übrigens hat die Klassikbranche, ganz anders als die Popmusik, wo zahlreiche Protestsongs auf die Umweltproblematik aufmerksam machen, noch nicht wirklich reagiert. Beethovens Pastorale aufzuführen oder Schuberts Forellenquintett – das erinnert an eine heile Welt, die es so eindeutig nicht mehr gibt.

Das nächste Mal: V wie Versicherung

Die neue G-Klasse in E.

Die brandneue vollelektrische G-Klasse ist nicht nur ein mutiger Sprung in das Elektro-Zeitalter. Gleichzeitig bewahrt sie den ikonischen Geist der G-Klasse, kombiniert mit revolutionärer elektrischer Leistung.

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‹ FREUNDESKREIS

SINFONIEORCHESTER

BASEL ›

MUSIK VERBINDET –FREUNDSCHAFT AUCH

Der Freundeskreis ist eine engagierte Gemeinschaft, die Freude an klassischer Musik sowie eine hohe Wertschätzung gegenüber dem Sinfonieorchester Basel verbindet.

Wir unterstützen die Arbeit der Musiker*innen des Sinfonieorchesters Basel auf vielfältige Weise. Wir tragen dazu bei, in der Stadt und der Region Basel eine positive Atmosphäre und Grundgestimmtheit für das Orchester und das Musikleben zu schaffen. Unser Verein stellt für seine Mitglieder ein reichhaltiges Programm an exklusiven Anlässen mit dem Sinfonieorchester Basel zusammen. Dabei bietet sich die besondere Möglichkeit des direkten Kontakts zu den Musiker*innen. Auch in der aktuellen Spielzeit können wir wieder zu einer Kammermusikreihe einladen – eine aktuelle Vorschau finden Sie auf unserer Website. Als Mitglied erhalten Sie jeweils per Mail Informationen zu den bevorstehenden Anlässen und Angeboten.

Wir heissen Sie sehr herzlich will kommen! Nehmen Sie direkt Kontakt mit uns auf: freundeskreis@sinfonieorchesterbasel.ch oder besuchen Sie unsere Website www.sinfonieorchesterbasel.ch/freundeskreis

© Benno Hunziker / Galatée Films

KINOERLEBNIS MIT LIVE-MUSIK

LES CHORISTES

(DIE KINDER DES MONSIEUR

MATHIEU)

Fr, 15. November 2024, 19.30 Uhr

Sa, 16. November 2024, 19.30 Uhr

Stadtcasino Basel, Musiksaal

Les Choristes (2004) mit u.a. Gérard Jugnot, François Berléand, Jean-Baptiste Maunier und Kad Merad

Christophe Barratier, Regie

Bruno Coulais, Musik

Sinfonieorchester Basel

Knabenkantorei Basel

Anthony Gabriele, Leitung

Film in französischer Sprache, mit deutschen Untertiteln

PREISE

CHF 90/75/60/40/30

Sinfonieorchester Basel

+41 (0)61 272 25 25 (Di –Fr, 8.30 –11.30 Uhr)

ticket@sinfonieorchesterbasel.ch

Nur durch die Kraft der Musik verzaubert der Musiklehrer Monsieur Mathieu das Leben seiner Schützlinge an einem Internat für schwer erziehbare Jungen. Er ruft einen Schulchor ins Leben, dessen Stimmen die Herzen Frankreichs im Sturm eroberten.

MINI.MUSIK

MIT KARACHO

Do, 14. / Fr, 15.11.2024, 9 & 10.30 Uhr, Sa, 16.11.2024, 16 Uhr

Vorstadttheater Basel

Mitglieder des Sinfonieorchesters Basel, Anselm Dalferth

MUSICALPREMIERE

INTO THE WOODS

Fr, 15.11.2024, 19.30 Uhr

Theater Basel

Thomas Wise, Martin G. Berger, Sinfonieorchester Basel

CONCERT & CINEMA LES CHORISTES

Fr, 15./ Sa, 16.11.2024, 19.30 Uhr

Stadtcasino Basel

Sinfonieorchester Basel, Knabenkantorei Basel, Anthony Gabriele

WEITERES KONZERT ADVENTSKONZERT

So, 1.12.2024, 11 Uhr

Stadtcasino Basel

Sinfonieorchester Basel, Mädchenkantorei Basel, Regula Mühlemann, Xavier de Maistre, Ivor Bolton

VERMITTLUNGSPROJEKT

YOGA WITH LIVE MUSIC

So, 1.12.2024, 11 Uhr

Probezentrum Picassoplatz

Mitglieder des Sinfonieorchesters Basel, Nathalie Bont

WEITERES KONZERT KONZERTGESELLSCHAFTS- UND VOLKSSINFONIEKONZERT

Mi, 4. / Do, 5.12.2024, 19.30 Uhr

Stadtcasino Basel

Sinfonieorchester Basel, Irina Georgieva, Ivor Bolton

MEGA.MUSIK SCHULKONZERT

Do, 5.12.2024, 10 Uhr

Stadtcasino Basel

Sinfonieorchester Basel, Irina Georgieva, Ivor Bolton

GASTSPIEL IN LÖRRACH

So, 8.12.2024, 18 Uhr Burghof Lörrach

Sinfonieorchester Basel, Raphael Nussbaumer, Ivor Bolton

VORVERKAUF

(falls nicht anders angegeben)

Bider & Tanner – Ihr Kulturhaus in Basel Aeschenvorstadt 2, 4051 Basel +41 (0)61 206 99 96 ticket@biderundtanner.ch www.biderundtanner.ch

Detaillierte Informationen und Online­Verkauf: www.sinfonieorchesterbasel.ch

IMPRESSUM

Sinfonieorchester Basel

Picassoplatz 2

4052 Basel

+41 (0)61 205 00 95

info@sinfonieorchesterbasel.ch www.sinfonieorchesterbasel.ch

Orchesterdirektor: Franziskus Theurillat

Redaktion: Benjamin Herzog

Korrektorat: Ulrich Hechtfischer

Gestaltung: Atelier Nord, Basel

Illustrationen: Janine Wiget

Druck: Druckerei Lutz AG

Auflage: 1500 Exemplare

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