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Robert Trevino, Leitung

EIN STEILER PFAD BERGAUF

VON CHRISTOPH GAISER Der amerikanische Dirigent mexikanischer Abstammung Robert Trevino – aktuell mit Orchestern im Baskenland, im Piemont und in Südschweden verbunden – liebt als ausgebildeter Fagottist die Bläserbehandlung in Strawinskys Violinkonzert in D und fasst Rachmaninows 2. Sinfonie als «sehr tiefgehendes inneres Zwiegespräch» auf.

CG Wenn wir über Karrieren in der Musikwelt reden, geht es meist um Erfolg und Fortschritt. Rachmaninows 2. Sinfonie ist ein Zeugnis einer Schaffenskrise und deren Überwindung.

Gab es in Ihrer Laufbahn auch eine

Zeit, in der es nicht so gut lief? Und wenn dies zutrifft: Wie kamen Sie aus dieser Situation wieder heraus? RT Rachmaninow versuchte, seiner unverwechselbaren künstlerischen Stimme wieder Gehör zu verschaffen, nachdem diese im Tumult um seine 1. Sinfonie unhörbar geworden war. Glasunow hatte die Uraufführung dieser Sinfonie dirigiert, aber er war wohl betrunken, und es war ein einziges Desaster! Danach ging das Interesse an Rachmaninow, dem Komponisten, verloren. Er war gezwungen, sich auf den Broterwerb durchs Klavierspielen zu konzentrieren. Die 2. Sinfonie ist in der Tat ein Neubeginn, und ich liebe sie dafür sehr. Jede und jeder von uns kennt Momente der Zurückweisung, das ist Teil des Menschseins. Auch an mir hat das Leben ein paar Narben hinterlassen. Ich komme aus armen Verhältnissen, als Einwanderer aus Mexiko haben wir in den USA immer wieder rassistische Anfeindungen erlebt. Ich musste sehr hart dafür arbeiten, dass das, wofür mein Herz schlug – das Musikmachen –, zu meinem Beruf werden konnte.

Wenn man einen Berg besteigen will, kann der Pfad bergauf sehr steil werden. Wenn es hart auf hart ging, hat mir aus diesem Gefühl immer herausgeholfen, dass ‹Erfolg› nicht das Ziel auf meinem Weg sein kann. Mein Leben und meine Energie auf jede mögliche Weise dafür einzusetzen, die Welt in einen besseren Zustand zu bringen als jenen, in dem ich sie vorgefunden habe – das ist es, wofür sich der mühsame Aufstieg lohnt. Und Teil davon ist, dass ich mich mit Menschen durch Musik verbinde.

«Wir müssen alle Menschen dazu ermutigen, sich nicht nur mit unserer Kunstform zu verbinden, sondern mit der Welt in ihrer ganzen Vielfalt.»

CG Strawinsky und Rachmaninow kamen beide aus musikalischen und wohlhabenden Familien. Sie haben gerade gesagt, dass Ihre familiäre Situation eine ganz andere war und Sie bisweilen einen steinigen Weg zu gehen hatten. Haben wir inzwischen den

Zugang zur klassischen Musik erleichtert? RT Ich komme wahrlich aus keiner begüterten Familie, und Musik spielte im Familienleben keine Rolle. Ich entdeckte die Klassik, als mein Vater am Radio seines Lastwagens einen anderen Sender suchte. Mein Weg in den Musikberuf war in der Tat steinig, und ich denke, es ist heutzutage nicht einfacher geworden. Ein Orchester sollte aber auch nicht primär dazu da sein, junge Leute in den Musikberuf zu bringen. Wir sollten vor allem Möglichkeiten schaffen, dass junge Leute mit Musik in Kontakt kommen. Wir müssen die besten Wege finden, damit unsere Einladung zur gemeinsamen Entdeckung sie erreicht. Und wir müssen alle Menschen dazu ermutigen, sich nicht nur mit unserer Kunstform zu verbinden, sondern mit der Welt in ihrer ganzen Vielfalt. In der Musik haben wir nichts Absolutes: Die Perspektiven, Meinungen und Emotionen sind so verschieden wie die Menschen, die ihr lauschen. Was kann Musik also tun? Sie kann uns öffnen, als einzelne Wesen aber auch als Gemeinschaft, am Ort, an dem sie erklingt, aber auch darüber hinaus. Und sie lässt dennoch Raum für unsere ganz persönlichen Eindrücke und Gefühle. Das Individuelle wie das Gemeinschaftliche zur Geltung bringen – das ist sicherlich der Grundpfeiler für eine gesunde Gesellschaft.

CG Wenn ich Rachmaninows 2. Sinfonie höre, werde ich oft an Sibelius’ Musik erinnert. Gibt es einen ‹nordischen›

Tonfall in diesem Werk? Könnte dies der Grund sein, warum beide Komponisten bereits zu Lebzeiten in den

USA immens populär waren? RT Ich würde diese Musik nicht ‹nordisch› nennen, sie ist vielmehr ein sehr tiefgehendes inneres Zwiegespräch. Bei

der Lektüre von Tolstoi oder Kierkegaard bleibt man schon an der Textoberfläche an vielem hängen, aber es gibt, bildlich gesprochen, unter den Erd- und Gesteinsschichten noch mächtige Wasser-Unterströmungen. Sibelius und Rachmaninow sind in den USA in der Tat sehr populär, das hat sehr viel damit zu tun, dass Dirigenten wie Eugene Ormandy, Arturo Toscanini und Fritz Reiner sich stets leidenschaftlich für ihre Werke eingesetzt haben. Zu Mahler haben wir in Amerika ein ähnliches Verhältnis aufgebaut.

«Fagottist*innen lieben Strawinsky ganz besonders!»

CG Sie wollten schon immer Dirigent werden, haben aber dann zuerst die

Laufbahn eines Fagottisten eingeschlagen. Wie wirkt sich dies auf Ihre

Arbeit mit dem Orchester aus? RT Es stimmt, ich wollte schon immer Dirigent werden! Meine formelle Ausbildung habe ich aber als Fagottist durchlaufen. Ich wusste, dass ich nur aus dem Orchester heraus die Fähigkeit erlangen würde, die enorm gut ausgebildeten Musiker*innen im Orchester auf effiziente Weise anleiten zu können. Nur auf diese Weise würde ich mich mit meinem Dirigat in den Dienst sowohl der Komponist*innen als auch der Musiker*innen stellen können. Bislang ist mein Eindruck, dass die Musiker*innen sofort zu erkennen geben, dass ich als Dirigent ihre Perspektive einnehmen kann, und das hilft mir dabei, noch kommunikativer vorzugehen. Ich habe Rachmaninows 2. Sinfonie selbst als Fagottist gespielt und auch vieles von Strawinsky, beides ist herrlich und sehr dankbar für das Fagott. Ich glaube, Fagottist*innen lieben Strawinsky ganz besonders!

� � LADY IN THE DARK

Psychoanalyse als Broadway-Show-Spektakel Musical Play in zwei Akten von Kurt Weill Musikalische Leitung: Thomas Wise Inszenierung: Martin G. Berger Mit: Delia Mayer, Stefan Kurt, Jan Rekeszus, Gabriel Schneider u.v.m. Sinfonieorchester Basel Chor des Theater Basel Termine bis Juni theater-basel.ch/ladyinthedark

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