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von Benjamin Herzog

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RÜCKBLICK

RÜCKBLICK

F WIE FRACK

VON BENJAMIN HERZOG Elegant, ja. Bequem, nein. So lautet das Urteil vieler (männlicher) Orchestermusiker über ein Kleidungsstück, das sie während eines wichtigen Teils ihrer Arbeitszeit tragen: den Frack. Ist eine Kleiderordnung im Konzertpublikum heutzutage mehr oder weniger inexistent, so spielen die Musiker aller grossen Berufsorchester der Schweiz noch immer in einem Kleidungsstück, das sich seit zwei Jahrhunderten nur wenig verändert hat. Der in der Regel schwarze Herrenrock, vorne knapp geschnitten, hinten in zwei Schwalbenschwänzen auslaufend, wurzelt sprachlich im englischen frock, womit ursprünglich ein langes Mönchsgewand gemeint war. Zum Frack gehört seit dem 19. Jahrhundert eine ebenfalls schwarze Hose mit seitlichen Galonstreifen, einem von Militäruniformen übernommenen Detail, dazu ein weisses Frackhemd mit Stehkragen. Statt der üblichen Frackweste tragen Orchestermusiker meist einen sogenannten Kummerbund. Weste und Kummerbund haben beide die Funktion, das ursprünglich zur Unterwäsche zählende Hemd zu verdecken. Eine weisse Schleife, auch Fliege genannt, und schwarze, glänzende Schuhe oder Lackschuhe komplettieren diese Uniform. Denn um eine solche handelt es sich eindeutig. Die Musiker*innen eines Orchesters sollten möglichst einheitlich aussehen, um auch optisch den Eindruck eines grossen Ganzen zu erwecken. Merkwürdig, aber letztlich begrüssenswert ist, dass Frauen im Orchester von dieser meist in Arbeitsverträgen festgelegten Frackordnung ausgenommen sind. Die Badische Philharmonie Pforzheim experimentierte zwar vor einigen Jahren mit Damenfräcken, liess davon aber wieder ab. Frauen ziehen sich schwarz an. Ob in Kleid, Rock, Hose, Blazer, Bluse, bleibt ihnen überlassen. Sie haben hier eindeutig mehr Freiheit, müssen sich aber auch Gedanken machen, die ihren männlichen Kollegen mit der Vorschrift zur Uniform abgenommen sind.

Orchestermusiker haben gemäss Vertrag etwa alle sechs Jahre Anrecht auf einen neuen Frack. Die dabei gelieferten Standardmodelle sind jedoch eher unbeliebt. Man schwitze, besonders im Sommer, stark in solchen Fräcken. Der Stoff kratze an den Beinen. Und vor allem Geiger spüren ihr Instrument wegen der vielen Stoffschichten schlecht. Es gibt deshalb Musiker, die sich ihren Frack selbst kaufen oder sogar neu schneidern lassen. Ein von Hand massgefertigter Frack kostet bis zu 5000 Franken. Ein Vermögen, das sich alleine im Tragekomfort und in kaum sichtbaren Details wie Knöpfen äussern darf.

Der Frack und die Orchester, wie wir sie heute kennen, entstanden beide im 19. Jahrhundert. Auch daher fällt die Eleganz

© Janine Wiget

dieses Kleidungsstücks im Konzertsaal nur wenigen auf. Der Frack scheint mit der Institution Sinfoniekonzert geradezu fusioniert zu haben. Ob man beide nun altmodisch oder zeitlos nennt, ist Ansichtssache. Wer hingegen im Frack mit der Tram oder auf dem Fahrrad zur Arbeit fährt, der dürfte schon ein gewisses anachronistisches Kribbeln unter seiner Verkleidung spüren. Die meisten lagern daher zumindest das auffällige Oberteil in ihrem Spind am Arbeitsort, wohin es nach der schweisstreibenden Konzertarbeit schnell wieder zurückgehängt wird. Was also einst im Alltag gehobener Schichten und bis heute in vielen Orchestern am Konzertabend getragen wird, um möglichst unauffällig zu bleiben, fällt ausserhalb des Konzertsaals auf wie das Fell des berühmten bunten Hundes, es sei denn, man befindet sich gerade an einer Nobelpreisverleihung oder einer formellen Hochzeit. In einer normalen Orchesterprobe sind denn auch genauso viele Jeans und Turnschuhe zu sehen wie in mittlerweile fast allen Lebensbereichen – Ausnahme medizinisches Personal, mittleres bis oberes Management, Kirche. Dass dieses Outfit, Jeans und Turnschuhe, ebenso einer Uniform gleicht, steht auf einem anderen Blatt. Einen Dresscode im Probealltag jedenfalls gibt es nicht. Auch bei Opernaufführungen gilt im Orchestergraben bloss schwarz als Kleidervorschrift. Auffällig ist allerdings, dass immer mehr Dirigenten und Solisten auf den Frack verzichten. Herbert von Karajan trat im Rollkragenpullover auf und löste damit in Musiker*innenkreisen eine förmliche Rollkragenpulloverwelle aus. Dirigent*innen tragen heute lieber individuell ausgeprägte Stehkragenjacken. Das gibt ihrem Auftritt etwas Priesterliches und hebt sie von der Schar der bisweilen boshaft ‹Pinguine› genannten Orchestermusiker in ihren Fräcken ab. Der Komponist und Dirigent Pierre Boulez übrigens, der auch mit über achtzig Jahren kein Blatt vor den Mund nahm, meinte, wenn Musiker schon Fräcke trügen, warum denn nicht auch gleich Perücken? Er selbst verzichtete zeitlebens nicht nur auf den Frack, sondern auch auf den Taktstock. Was der 2016 gestorbene Boulez nicht mehr mitbekam, ist der rasante Aufschwung von Dirigentinnen im Konzertbetrieb. Kaum eine von ihnen trägt Frack. Fraglich bleibt, ob sich diese Lockerung im Dresscode dereinst auch auf die Orchestermusiker überträgt.

→ Das nächste Mal: G wie Gehör

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