3 minute read

Violinkonzert in D

KNIFFLIGE SPIELTECHNIKEN UND NEOKLASSIZISTISCHE KLÄNGE

VON FELIX MEYER Es fällt auf, dass in den 1920er-Jahren nur wenige Violinkonzerte geschrieben wurden; ein Grund hierfür dürfte darin bestanden haben, dass der Klang der Streichinstrumente für manche Komponisten eng mit der spätromantischen Ausdruckswelt verbunden war, von der sie sich distanzieren wollten. Diese Situation änderte sich jedoch am Ende des Jahrzehnts, als eine gewisse Abkehr vom kühlen, scharf konturierten Klangideal stattfand, das in der unmittelbaren Nachkriegszeit vorgeherrscht hatte. Tatsächlich erlebte die Gattung des Violinkonzerts in den 1930erJahren eine ausgeprägte Hochblüte, zu der so verschiedene Komponisten wie Karol Szymanowski (1934), Alban Berg, Sergei Prokofjew (beide 1935), Arnold Schönberg (1934–1936), Béla Bartók (1937/38), Benjamin Britten (1938/39), Paul Hindemith und Samuel Barber (beide 1939) gewichtige Werke beitrugen.

Igor Strawinsky: Violinkonzert in D (1931), Particell S. 17 (Ende des 1. Satzes)

Am Anfang dieser beeindruckenden Werkreihe steht jedoch das 1931 abgeschlossene Violinkonzert in D von Igor Strawinsky – jenem Komponisten also, der mit seinen verfremdenden Rückgriffen auf Satztechniken und Formmodelle des 18. Jahrhunderts das antiromantische Musikverständnis der frühen 1920er-Jahre wie kaum ein anderer verkörpert und sich als führender Exponent des sogenannten Neoklassizismus profiliert hatte. Strawinsky war im Herbst 1930 von Verleger Willy Strecker angefragt worden, ob er bereit wäre, ein Konzert für den Geiger Samuel Dushkin (1891–1976) zu schreiben. Zunächst zögerte er, da ihm Instrumentalvirtuosen generell suspekt waren und er mit der Violine nicht so vertraut war wie mit dem Klavier, seinem angestammten Instrument. Nach einem Treffen mit Strecker und Dushkin in Wiesbaden willigte er jedoch ein, denn nicht nur war ihm der Geiger sympathisch, sondern dieser anerbot sich auch, ihn in Fragen der Violintechnik zu beraten. In den folgenden Monaten besuchte Dushkin den Komponisten denn auch mehrmals in Nizza, in Paris und schliesslich in Voreppe (bei Grenoble), um mit ihm über violinistische Details des in Entstehung begriffenen Werks zu sprechen. Abgeschlossen wurde das Violinkonzert im September 1931; die Uraufführung fand, unter der Leitung Strawinskys und mit Dushkin als Solisten, am 23. Oktober 1931 in Berlin statt.

Verglichen mit dem sperrigen, dunkel timbrierten Klavierkonzert mit Blasorchester von 1923/24 wirkt das Violinkonzert deutlich entspannter. Zu seinen Besonderheiten gehört es, dass Strawinsky das Orchester sehr zurückhaltend einsetzt und vor allem das Dialogisieren des Soloinstruments mit einzelnen Orchesterinstrumenten oder -gruppen in den Vordergrund rückt. Trotz seiner eleganten, transparenten Faktur weist das Werk aber die für Strawinsky typischen Ecken und Kanten auf. So werden die barocken – oft Bach’schen – Modelle, auf die der Komponist rekurrierte, systematisch verzerrt und dadurch in ein neues Licht gerückt. Im Kopfsatz (Toccata) und im Finale (Capriccio) etwa sind die vielen motorischen Dreh- und Skalenfiguren mit überraschenden Akzenten versehen, ebenso mit unerwarteten

Verlängerungen oder Verkürzungen. Die plötzlichen Perspektivenwechsel in diesen beiden quirligen Sätzen suggerieren Theatralisches: Es ist, als ob in rascher Folge Figuren aus der Commedia dell’Arte auf- und abträten. In den beiden Mittelsätzen (Aria I und Aria II) dagegen kommt die Kantabilität zu ihrem Recht, obschon auch hier etliche rhythmische und harmonische Widerhaken eingebaut sind. Ganz besonders sticht schliesslich die Tatsache ins Auge – bzw. ins Ohr –, dass Strawinsky alle vier Sätze mit einer Art ‹Startschuss› eröffnet, nämlich mit einem dreitönigen, über zweieinhalb Oktaven gespreizten Akkord (D-E-A), den Dushkin gegenüber Strawinsky zunächst als unspielbar bezeichnete, bevor er dann beim Ausprobieren auf dem Instrument eines Besseren belehrt wurde. Überhaupt sind solche Mehrklänge, wie auch Flageoletts und andere knifflige Spieltechniken, überaus charakteristisch für den Solopart dieses Werks, der als ausgesprochen anspruchsvoll gelten muss.

Strawinskys Violinkonzert führte nicht nur zu einer regen kammermusikalischen Zusammenarbeit zwischen Dushkin und Strawinsky, sondern hatte auch ein Nachleben auf der Ballettbühne: 1941 choreografierte es George Balanchine unter dem Titel Balustrade, und 1972 liess er diesem ersten, wenig beachteten Versuch eine neue, höchst erfolgreiche Choreografie folgen.

Violinkonzert in D

BESETZUNG Solovioline, Piccolo, 2 Flöten, 2 Oboen, Englischhorn, 3 Klarinetten, 3 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug, Streicher

ENTSTEHUNG 1931 in Paris, Nizza und Voreppe

URAUFFÜHRUNG 23. Oktober 1931 in Berlin mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung des Komponisten und mit Samuel Dushkin als Solist

This article is from: