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Christiane Karg, Sopran
VON BENJAMIN HERZOG Die Sängerin Christiane Karg über ihre Erfahrungen mit Gustav Mahler als Liedbegleiter; darüber, dass sich ein konzentriertes Publikum manchmal ‹Silben dazu denkt› – und dass Mahler die WunderhornLieder keineswegs nur aus Sehnsucht nach der guten alten Zeit geschrieben hat. Sie seien ein Kosmos.
BH Welches der in Basel aufgeführten
Wunderhorn-Lieder ist Ihr persönlicher Favorit? CK Diese Lieder habe ich ausgewählt, weil sie alle meine Favoriten sind. Jedes Stück hat seine Besonderheit. Vergleiche wären fehl am Platz. Was mich in diesen Tagen am meisten Kraft kostet, ist wohl Wo die schönen Trompeten blasen. Ein Lied, das aktueller nicht sein könnte. Es hat mich immer berührt. Diese Geschichte zweier Liebender, die der Krieg trennt. Im Moment schaffe ich es kaum, es zu singen.
BH Die Lieder haben ja Eingang gefunden in Mahlers Sinfonik, wo der Komponist gerne ganze Weltentwürfe verhandelt. Ist es, simpel gesprochen, die Sehnsucht nach der ‹guten alten
Zeit›, die Mahler in den Wunderhorn-
Liedern ausleben wollte? CK Mahler hat sich fast zehn Jahre mit den Wunderhorn-Liedern beschäftigt. Von der ‹guten alten Zeit› würde ich nicht sprechen. Sehr positiv sind die meisten Lieder nicht. Thomas Hampson spricht vom «Abbild des Lebens in all seinen Facetten», von einem «Kosmos voller Humor und zugleich voller Tragik». Dem kann ich nur beipflichten.
BH Sie haben die Lieder vor zwei Jahren mit dem Pianisten Malcolm
Martineau in der Klavierfassung aufgenommen. Was sind die Unterschiede, Mahler mit Orchester oder mit
Klavier zu singen? CK Hier spreche ich nicht nur von den Mahler-Liedern, sondern allgemein vom Klavier- und Orchesterlied. Es funktioniert beides gleich gut, nur eben anders. Auch hier darf man nicht vergleichen und sich nicht immer nach einem üppigen Orchesterklang sehnen. Beides hat Stärken und Schwächen, und die Lieder können komplett anders angelegt werden. Mit nur einem Partner bin ich natürlich viel spontaner und flexibler. Ich kann hauchen und flüstern. Der Raum ist meist auch ein anderer. Mit Orchester muss man viel deutlicher sein. In der Textverständlichkeit, aber auch in der Intention. Man muss schliesslich ein ganzes Orchester mitnehmen. Der Dirigent folgt, man muss aber ebenfalls mitgehen und ist nicht ganz so frei. Dafür kann man die Stimme ausfahren. Denn gegen ein riesiges Orchester muss man sich schon behaupten. BH Für mich als Hörer ist die Textverständlichkeit im vorhin angesprochenen Punkt der grösste Unterschied.
Weniger Text, mehr Emotion – ist das vielleicht die Gleichung, die ich hier machen müsste? CK Überhaupt nicht. Das Lied mit Klavierbegleitung hat ebenso viel Emotion. Es ist nur viel subtiler. Und mit der Textverständlichkeit sollte man sich als Sänger so viel Mühe geben, dass der Zuhörer trotzdem versteht. Ein guter Dirigent lässt dafür Platz und nimmt das Orchester zurück. Die eine oder andere Silbe kann sich der konzentrierte Zuhörer auch dazu denken.
BH Sie haben auf der erwähnten Aufnahme einen exklusiven zweiten Begleiter am Klavier, nämlich Gustav
Mahler persönlich, der 1905 Das himmlische Leben auf der Papierrolle eines Welte-Mignon-Klaviers aufnahm. Wie singt es sich mit Mahler am Klavier? CK Es war unvergesslich! Als ich das erste Mal von einem Welte-Mignon-Klavier hörte, hatte ich keine Ahnung, was das ist.
INTERVIEW Und als der Apparat – so nenne ich es jetzt einmal – begonnen hat, wie von Geisterhand zu spielen, hatte ich Gänsehaut und wirklich das Gefühl, Gustav Mahler sei anwesend.
BH In einem biografischen Text über Sie heisst es: «Geboren als Tochter eines
Konditoreibäckers, der seine Liebe zur Oper auch auf seine drei Töchter übertrug». Ich stelle mir das vor wie in einem frühen Farbfilm: zuckrig, pastellbunt, voller fröhlicher
Musik. CK Richtig infiziert mit dem Opernvirus habe nur ich mich. Meine beiden Schwestern kommen gerne mal ins Konzert oder in eine Opernaufführung, aber so richtig gebrannt habe nur ich. Das allerdings schon sehr früh. Eigentlich war mir mit fünf Jahren klar, dass ich Sängerin werden möchte.
BH Haben Sie sich dieses familiäre
Faible für Süsses bewahrt? Und: Wie überträgt sich die Liebe zur Musik der Sängerin Christiane Karg auf ihre Kinder? CK Ich brauche keine ganze Tafel Schokolade auf einmal. Aber ein Stück Süsses am Nachmittag muss schon sein. Bei Kaffee und Kuchen sitzen wir dann gerne auch alle zusammen am Tisch. Unsere Kinder werden nicht besonders musikalisch erzogen. Musik tönt einfach immer durchs Haus. Befreundete Musiker kommen, wir proben, und die Kinder spielen nebenan. Wir nehmen sie mit ins Konzerthaus, in die Oper und in die Kirche. Unser normaler Alltag eben.