Trotzdem Ausgabe 2/2013

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DI E ZEI T U NG DER SOZ I A L IST ISCH E N J UGE N D ÖST ER R EICH.

Ausgabe 2/13 April 2013 www.sjoe.at

Abschied von einem Hoffnungsträger Hugo Chávez hat nicht nur Venezuela, sondern gesamt Lateinamerika beeinflusst wie kein anderer. Wie geht es nun weiter? seite 18

Repressive Liebe Besuchsverbot, Verständigung der Polizei, Rauswürfe, schimmlige Duschen und Leben im Keller. Ein Refugee-Lagebericht aus dem Servitenkloster.

Den Rechten die Zähne zeigen! Die FPÖ ist keine soziale Heimatpartei. Sie vertritt die Interessen der Reichen und Mächtigen, anstatt für eine gerechte Gesellschaft einzutreten. Mit ihrer Hetze spaltet sie die Gesellschaft, und verhindert dadurch den gemeinsamen Kampf für Verbesserungen. Der Undercover-Journalist Thomas Kuban liefert uns im Interview außerdem Einblicke in die Nazi-Szene.

seite 24

antifa-schwerpunkt seite 12–17

Junges Wohnen muss leistbar sein! Während die Renditen der Reichen und Superreichen auf Grund der horrend hohen Mieten in lichte Höhen wandern, können sich viele Menschen und vor allem Jugendliche keine Wohnung mehr finanzieren.

Österreichische Post AG / Sponsoring.Post 02Z032957 S

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Mit der Kampagne „Junges Wohnen muss leistbar sein!“ schaffte es die Sozialistische Jugend, dass die SPÖ nun mit den Forderungen der Kampagne in den Wahlkampf geht.


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INHALT INHALT

Falsche Hoffnungen Das Medienspektakel zu Papst-Wahl kannte keine Grenzen. Groß ist die Hoffnung auf eine „Kirche der Armen für die Armen“. Diese Hoffnung ist aber unbegründet. Die Kirche war schon immer im Interesse der Mächtigen und systembewahrend. Verspricht sie doch das Himmelreich nach dem Tode, anstatt für Verbesserungen im Hier und Jetzt zu kämpfen. Predigt sie doch die Erlösung der Armen und Unterdrückten dieser Welt durch Jesus Christus, anstatt durch die ArbeiterInnen selbst. Aus Angst vor der ArbeiterInnenbewegung und Machtverlust kooperierte die Kirche bereitwillig mit rechten Tyrannen. Im Austrofaschismus oder im Franco-Regime (Opus Dei) saß sie auch direkt an den Hebeln der Macht. Mit dem faschistischen Italien und Österreich wurden völkerrechtliche Verträge (Konkordat)

abgeschlossen. Dem menschenverachtenden Regime Pinochets in Chile stattete Papst Johannes Paul II. einen Besuch ab, und spendete dem Diktator eigenhändig die Kommunion. In der NS-Zeit wollte ein gewisser Bischof Hudal die Aussöhnung von Kirche und Nazis erreichen und der damalige Kardinal Innitzer unterstützte ihn dabei. Die Grundlage für den kirchlichen Antisozialismus schuf Leo XIII. mit der 1891 erlassenen Enzyklika „Rerum Novarum“, die „jede Form des Sozialismus“ als „Pest“ brandmarkte und vom Staat forderte, „die Massen (...) mit starker Hand“ niederzuhalten. Es ist auch nicht verwunderlich, dass der neue Papst Bergoglio ausgerechnet während der Zeit der argentinischen Militärdiktatur, von 1976–1983, wo unzählige Menschen gefoltert und ermordet wurden, Jesuitenführer in Argentinien war.

Inhalt Editorial 3 Vorwort von Wolfgang Moitzi: (Junges)

Wohnen muss wieder leistbar werden!

Coverstory 4–5 Wohnen: Runter mit den Mieten! Her mit dem schönen Leben!

Innenpolitik 6–7 Sexismus: War der #aufschrei laut genug? 8 Kärnten: Wahlkampf einmal anders Pro / Contra 9 Polizei: Streifenpolizei entwaffnen? Geschichte 10–11 Austromarxismus:

Der Kampf um die Staatsmacht

Schwerpunkt 12–13 Rechtsextremismus:

Den Rechten die Zähne zeigen!

14–16 Interview mit Thomas Kuban:

„Die Nazi-Szene hat sich zur Bewegung weiterentwickelt“

17 Buch: Über Nächsten- und Fernstenliebe

Heute sieht er sich deshalb mit dem Vorwurf konfrontiert, mit der Junta paktiert zu haben oder zumindest von vielen Verbrechen gewusst oder sie gar gebilligt zu haben. Papst Franziskus, der immer wieder die Arbeit für „die Armen“ betont, ist außerdem ein Bekämpfer der „Befreiungstheologie“ in Südamerika, die immer wieder Seite an Seite mit der Bevölkerung und sozialistischen Bewegungen für eine bessere Gesellschaft kämpfte. Leidenschaftlich bekämpft er auch die Gleichstellung der Frau und Homosexualität. Bergoglio ist ein rückständiger, antisozialistischer, alter Mann. Hoffnung in ihn zu setzen wäre kontraproduktiv. PS: Von 15. bis 22. April Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien unterstützen!

Die Trotzdem-Redaktion

Internationales 18–19 Venezuela:

Abschied von einem Hoffnugsträger

20–21 Italien:

Is Berlusconi just around the corner?

22 Gastkommentar: Zeit für Gerechtigkeit 23 Mali: Erfolgsgeschichte –

oder ein weiterer „failed state“?

Gesellschaft 24 Refugee Camp: Repressive Liebe ÖH-Wahlen 25 Interview mit Julia Freidl:

„Kein Privileg der Reichen“

Frauen 26–27 Rechtsextremismus: Braune Schwestern – Frauen in der rechten Szene

Termin 28 Workers Youth Festival: Wir sind das Bauvolk der kommenden Welt!

Buch / Film / Musik 29 Buch: Hans-Henning Scharsach – „Strache

Es rettet uns kein höh‘res Wesen, kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!

Impressum Trotzdem 2/2013: Verlagspostamt: 1050 Wien Aufgabepostamt: 4020 Linz Zulassungsnummer: GZ 02Z032957 S Herausgeberin: Sozialistische Jugend Österreich (SJÖ), Amtshausgasse 4, 1050 Wien Tel.: 01/523 41 23, Fax: 01/523 41 23-85, Mail: office@sjoe.at, Web: www.sjoe.at DVR: 0457582, ZVR: 130093029 Medieninhaberin: Trotzdem VerlagsgesmbH, Amtshausgasse 4, 1050 Wien. Geschäftsführerin: Sybilla Kastner, Eigentümerin: SJÖ (100%), Tel.: 01/526 71 12, Fax: 01/526 71 12-85, Mail: office@trotzdem.at Grundlegende Richtung: Das Trotzdem versteht sich als Medium zur Information von Mitgliedern, FunktionärInnen und SympathisantInnen der SJÖ. Das Trotzdem informiert über aktuelle politische Debatten und thematisiert jugend-relevante Ereignisse. Chefredaktion: Matthias Punz, Wolfgang Moitzi MitarbeiterInnen dieser Ausgabe: Nina Andree, Anna Bruckner, Ludwig Dvořák, Lisa Ernst, Boris Ginner, Michael Gogola, Marina Hanke, Julia Jakob, Matt Krainz, Heimo Mauczka, Thomas Pilgerstorfer, Daniel Posch, David Rautner, Marlene Reinberger, Louis Reumann, Iris Schwarzenbacher, Bernhard Spindler, Johanna Uekermann, Marlis Zederbauer, Maximilian Zirkowitsch Lektorat: Matthias Punz Art Direktion, Grafik: Peter Rüpschl

– Im braunen Sumpf“, Film: Die Kriegerin, Musik: Pulp – Different Class

Produktion: NGL-Mediamondial, 3151 St. Georgen

Kalender

Powered by: BMWFJ, gem. § 7Abs. 2B-JFG

30 – 31 Was war – was kommt


EDITORIAL EDITORIAL

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Vorwort von Wolfgang Moitzi

(Junges) Wohnen muss wieder leistbar werden! Wohnraum wird immer weniger leistbar. Der Preisanstieg ist seit über einem Jahrzehnt für jeden Leser / jede Leserin von Wohnungs­annoncen mit freiem Auge sichtbar und regelmäßig durch Studien belegt. ie HausbesitzerInnen-Parteien ÖVP und FPÖ haben diese Entwicklung bewusst gefördert: Sie haben bis 2006 den MieterInnenschutz gelockert, seit 2006 widersetzt sich die ÖVP jeder substanziellen Verbesserung im Mietrechtsgesetz und überfälliger Maßnahmen zur Ankurbelung des gemeinnützigen Wohnbaus. Auch die Entwicklung beim Wohnbau war absehbar: Durch die Aufhebung der Zweckwidmung der Wohnbauförderung, den Verkauf und die Verpfändung von Wohnbaudarlehen werden die verfügbaren Investitionssummen immer kleiner. Durch die Erwartung hoher Mieterträge steigen gleichzeitig die Immobilienpreise, wodurch Spekulation angeheizt wird und dem geförderten Wohnbau Flächen entzogen werden. Da gerade angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise viele Vermögende in Immobilien eine sichere Anlagemöglichkeit sehen, verschärft sich diese Proble-

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matik, womit der Wohnungsmarkt im privaten Mietwohnungsbau weiter spekulativ aufgeheizt wird.

Zeit zu handeln Für die Sozialdemokratie sind die letzten Monate ein Signal. Unsere Forderungen zum Thema Wohnen sind regelmäßig Bestandteil unserer Wahlprogramme und werden von Zeit zu Zeit pflichtschuldig vorgetragen. Dass Grüne und ÖVP plötzlich auf dieses Feld drängen (und in Graz die KPÖ vier Wahlen damit erfolgreich geschlagen hat), zeigt aber eines: Es ist allerhöchste Zeit ist, dass die Sozialdemokratie das Thema Wohnen offensiv besetzt. Die Bereitstellung neuen Wohnraums, die stadtplanerischen Perspektiven und eine deutliche Reduktion des Mietpreisniveaus sind kein Thema für die vorletzte Seite eines Wahlprogramms. Sie sind eine Kernkompetenz der Sozial­ demokratie und sie sind ein ganz

zentraler Hebelpunkt für Umverteilung und eine spürbare Hebung des Lebensstandards der Menschen in diesem Land. Genau aus diesem Grund hat die Sozialistische Jugend im Februar dieses Jahres eine Kampagne für leistbares Wohnen gestartet. Wir haben einen umfassenden Forderungskatalog (nachzulesen unter www.sjoe. at/wohnen) erstellt, wie wir (junges) Wohnen wieder leistbarer machen wollen. Und wir haben diese Forderungen innerhalb der SPÖ durchgesetzt, sodass diese nun 1:1 unsere Forderungen vertritt.

Wohnpolitik ist Verteilungspolitik Durch die Umsetzung dieser Maßnahmen kann eine Trendumkehr geschafft werden. Wohnpolitik muss neben einer Verbesserung der Primärverteilung der Einkommen und einer grundlegenden Reform des österreichischen

Steuersystems ganz oben auf der Agenda für mehr Verteilungsgerechtigkeit stehen. Legen wir auf den Tisch, um wie viel Euro eine starke SPÖ den MieterInnen von Altbauwohnungen pro Monat billiger kommt, rechnen wir vor, wieviele neue Wohnungen mit leistbaren Mieten wir in der nächsten Legislaturperiode errichten werden und wieviele Startwohnungen wir jungen Menschen übergeben wollen. Wohnpolitik ist konkret. Und konkrete Politik für mehr Gerechtigkeit ist es, wofür wir gewählt werden.

Wolfgang Moitzi Verbandsvorsitzender der SJÖ

Mit unserer Kampagne konnten wir nicht nur eine große mediale Öffentlichkeit erreichen, sondern auch unsere Forderungen innerhalb der SPÖ durchsetzen.


COVERSTORY COVERSTORY

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Runter mit den Mieten! Her mit dem schönen Leben!

Wohnen

Mit 25 Jahren noch im „Hotel Mama“ wohnen, sich von morgens bis abends bedienen lassen und zu faul sein, um auf eigenen Beinen zu stehen. Viele Jugendliche werden mit solchen Aussagen konfrontiert, aber es ist nicht die Bequemlichkeit, die viele junge Menschen ans zu Hause fesselt, sondern die schwindelerregenden Preise von Wohnungen, besonders im privaten Sektor.

ohnen ist, wie Arbeit oder Gesundheit, ein Grundbedürfnis und sollte leistbar und qualitativ hochwertig sein. Zwischen 2000 und 2011 stiegen die Mieten (ohne Betriebskosten) aber um ca. 40 Prozent, während die Löhne, die in etwa der Inflationsrate entsprechen, durchschnittlich nur um 25 Prozent erhöht wurden. Unterm Strich stiegen die Mieten also um ca. zwei Drittel stärker als die Löhne. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Gewinne von privaten ImmobilienbesitzerInnen explodieren, während steigende Mietpreise für immer mehr Menschen existenzbedrohend werden. Höchste Zeit diesen Missstand aufzuzeigen und wieder Wohnungen für Menschen an Stelle von Profit zu schaffen.

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Spekulation stoppen! In den letzten Jahren sind Immobilien auch immer mehr zur Zielscheibe von Spekulanten geworden. Angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise sahen viele Vermögende in Immobilien eine sichere Anlagemöglichkeit und sorgte

durch ihre Spekulationen für eine gewaltige Steigerung bei Mieten. Die Mieten wurden auch nicht mehr, wie gewöhnlich, für weitere Investitionen hergenommen, sondern dienten zur (Re-)Finanzierung von Spekulationen. Dies hat dann natürlich auch zur Folge, dass immer weniger gebaut wurde – und das, obwohl Österreich in den letzten zehn Jahren um über 300.000 Haushalte gewachsen ist.

Öffentlichen Wohnbau ankurbeln! Durch zu wenige, leistbare Wohnungen und der steigenden Nachfrage, können ImmobilienbesitzerInnen die Preise weiter nach oben treiben. Der private Wohnungssektor trägt auch nicht dazu bei, genug leistbaren Wohnungsraum für alle zu schaffen. Ganz im Gegenteil, die Mieten im privaten Sektor sind im Zeitraum von 2005 bis 2011 um 27 Prozent gestiegen, während MieterInnen in Gemeindebauwohnungen nur 13 Prozent mehr zahlen mussten. Eine logische Schlussfolgerung für das gesamte Problem wäre eine

Die ÖVP, die jetzt plötzlich auf dieses Feld drängt und sich als Beschützerin der MieterInnen gibt, verkaufte erst 2004 mit Hilfe von Blau-Orange insgesamt 60.000 geförderte Mietwohnungen – inklusive BUWOG und dem dazugehörigen Skandal. massive Investition in den öffentlichen und gemeinnützigen Wohnbau. Österreich hat jahrzehntelange Erfahrung auf dem Gebiet des geförderten Wohnbaus aufzuweisen und wird für seine Erfolge international bewundert.

ÖVP: MieterInnenbeschützerin? Leider wurde und wird dieser höchst erfolgreiche Sektor durch

eine falsche Politik in weiten Teilen Österreichs gefährdet. Die ÖVP, die jetzt plötzlich auf dieses Feld drängt und sich als Beschützerin der MierterInnen gibt, verkaufte erst 2004 mit Hilfe von Blau-Orange insgesamt 60.000 geförderte Mietwohnungen – inklusive BUWOG und dem dazugehörigen Skandal. Die ÖVP erscheint generell als sehr unglaubwürdig, was das Thema Wohnen anbelangt. Sie macht nun z. B. Jagd auf „BesserverdienerInnen“ in geförderten Wohnbauten. Laut der ÖVP gibt es zu viele Menschen, die unrechtmäßig in geförderten Wohnbauten leben. Diese MieterInnen sollten jetzt auch mehr zahlen. Durchsetzten will man das mit einer laufenden Kontrolle des Einkommens. Die ÖVP die sich seit eh und je für die reichsten Prozent der Bevölkerung einsetzt will nun Fairness im Gemeindebau? Eine sehr bizarre Vorstellung.

Wir wollen keine Einkommensghettos! Natürlich ist es nicht gerecht wenn geförderte Wohnungen nicht an


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Selten konnte die SJ mit einer Kam­ pagne eine so große mediale Reichweite erzielen.

Menschen vergeben werden, die sie nötig haben. Das ist aber auch nicht der Fall. Man kämpft in Gemeindebauten mit der Ghettoisierung, da Wohlhabende ausund nicht einziehen. Wohnungen sollen nicht nach Geld, sondern Bedarf vergeben werden. Hier sieht man, dass die ÖVP nur Nebelgranaten in den frühen Vorwahlkampf werfen will.

MaklerInnenhysterie Eine hitzige Debatte löste auch unser Vorschlag aus, dass künftig die VermieterInnen die Makler­ Innenprovision bezahlen sollen.

zu ziehen. Die VermieterInnen werden dann einfach die billigsten Makler beauftragen oder die Vermietung in Zeiten von Internet selbst in die Hand nehmen. Die MieterInnen haben in der jetzigen Situation, aber weder die Chance sich den/die Makler­ In auszusuchen, noch Einfluss auf die Höhe der Provision zu nehmen.

Mietrecht modernisieren! Eine unserer Forderungen, ist auch die Modernisierung des Mietrechts. Nur ein Teil des privaten Sektors unterliegt den Bestim-

werden. Deshalb ist es auch wichtig Zu -und Abschläge gesetzlich festzulegen damit der/die Mieter­ In geschützt wird und im Wohnungsdschungel nicht der Überblick verloren geht.

Öffentliche Spekulation verbieten & Wohngeld zweckwidmen Eine weitere zentrale Forderung ist die Ankurbelung des öffentlichen und gemeinnützigen Wohnbausektors und die Bekämpfung von Spekulation mit Wohnbaugeldern. Bis jetzt sorgte die Wohnbauförderung für halbwegs

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Der Erwerb von Eigentum soll gestärkt und Immobilien im Besitz Österreichs privatisiert werden. Das zeigt wie abgehoben die Jungschwarzen und Sebastian Kurz sind. Die Jugendlichen haben Probleme Wohnungen zu finden, die auch bezahlbar sind, nicht sich in jungen Jahren schon eine Eigentumswohnung oder ein Haus zu kaufen.

Durch das Interesse der ÖVP und anderer Parteien, an diesem Thema, zeigt sich aber auch, dass es höchste Zeit ist etwas zu bewegen. Gerade für die Sozialdemokratie war es schon immer eine Kernaufgabe für leistbares und gerechtes Wohnen zu kämpfen. leistbare und ausreichende Wohnungen. Dieses System ist nun bedroht. Deshalb ist es wichtig, dass die Gelder wieder für den sozialen Wohnbau zweckgebunden werden. Darüber hinaus soll ein Teil der Wohnbauförderung für Jugend-Startwohnungen reserviert werden.

Mit der Kampagne und unserem „mobilen Wohnzimmer“ gab es österreichweit Aktionstage, um gegen die hohen Mieten anzukämpfen

öffentlicher und gemeinnütziger Wohnbau: Da der freie Markt am Wohnungssektor eindrucksvoll versagt, soll durch öffentliche Investitionen leistbarer Wohnraum für alle Menschen zur Verfügung gestellt werden. Dies passiert in Österreich durch Gemeindewohnungen und den geförderten Genossenschaftswohnbau.

Obwohl die MaklerInnentätigkeit eine Leistung für die Vermieter­ Innen und HausbesitzerInnen darstellt, zahlen die MieterInnen. Zurzeit ist diese Provision auf zwei Monatsmieten beschränkt. Eine hohe Summe für junge Menschen, vor allem da diese durchschnittlich öfter umziehen und die Provision bei jedem Umzug fällig ist. Nach unserem Vorschlag schwärmten sofort die Makler­Innen aus, um Reformen im Makler­Innenwesen zu verhindern. Im Standard ließen mit Rhetorik wie „Den Maklern reicht es: Hände weg von den Provisionen“ aufhorchen und auch Beschwerde-Mails flatterten ins Verbandsbüro der SJ. Die ÖVP beschützt nun diesen oft zwielichtigen Berufsstand. Diese MaklerInnenhysterie ist aber eigentlich schon ein Schuldeingeständnis für das Abzocken der MieterInnen. Denn: Ist wird ja nur gefordert, dass künftig die VermieterInnen zahlen sollen und nicht, dass die Provisionen abgeschafft werden. Die MaklerInnen wissen aber sehr genau, dass sie nicht die Möglichkeit haben die VermieterInnen auch über den Tisch

mungen des Mietrechtsgesetztes (MRG) und damit dem Mieterschutz. Die Mieten dieses Bereiches werden nicht gesetzlich reglementiert und sind den Kräften des freien Wohnungsmarktes ausgesetzt. Deshalb treten wir dafür ein, dass der Anwendungsbereich des Mietrechtsgesetztes auf sämtliche Mietverhältnisse ausgedehnt wird.

Unbefristete Verträge Im Jahr 2000 kam es außerdem zu einem wohnpolitischen Rückschritt, als der befristete Vertrag zum Regelvertrag wurde. Ein befristeter Vertrag ist für jede/n MieterIn eine große Belastung, psychisch wie auch finanziell. Darum fordern wir, dass der unbefristete Vertrag zur Regel und der befristete Vertrag zur begründungspflichtigen Ausnahme wird. Außerdem stehen wir für eine klare und nachvollziehbare Mietsobergrenze. Bei Altbauwohnungen gibt es diese Mietsobergrenze schon, aber leider kann diese durch unbegrenzt erlaubte Zuschläge sehr leicht umgangen

Sozialdemokratische Kernaufgabe Durch das Interesse der ÖVP und anderer Parteien, an diesem Thema, zeigt sich aber auch, dass es höchste Zeit ist etwas zu bewegen. Gerade für die Sozialdemokratie war es schon immer eine Kernaufgabe für leistbares und gerechtes Wohnen zu kämpfen. Die SJ steht mit ihrem Forderungskatalog auch nicht alleine da. Zahlreiche Organisationen wie der VSSTÖ, die Bauarbeitergewerkschaft, oder die Mietervereinigung unterstützen die Kampagne. Die wochenlange Tourarbeit und die große mediale Präsenz haben sich bezahlt gemacht: Die SPÖ hat nun auch unsere Forderungen der Wohnkampagne übernommen und wird mit diesen in den Wahlkampf gehen. Wir waren es die dieses Thema aufgriffen und der Sozialdemokratie zeigten, wo der Schuh drückt. Gerade in diesen Zeiten ist es wichtig für faire Verhältnisse im Wohnungsbereich zu kämpfen und miteinander für eine leistbare und schöne Zukunft zu sorgen.

Thomas Pilgerstorfer

befristeter Vertrag: Der/Die VermieterIn setzt einen Vertrag auf, welcher fordert, dass die Mieter nach einer gewissen Zeitspanne, z.B. 2 Jahren, die Wohnung zwangsweise verlassen muss. VermieterInnen müssen die Aufsetzung eines solchen Vertrages zurzeit nicht begründen. Zuschläge: Der sogenannte Richtwert ist eine gesetzliche Obergrenze für Mieten für Altbauwohnungen, die vor 1945 gebaut wurden. Zusätzlich können aber Zuschläge verlangt werden. Zum Beispiel für „gute Lage“ etc. Welche Aufschläge und wie hoch diese sein dürfen, ist aber gesetzlich nicht geregelt. Für alle anderen Wohnungen kann ein „angemessener Marktpreis“ verlangt werden. Jugend-Startwohnungen: nach Vorbild des Startwohnungsgesetzes, das bis in die 1980er Jahre schon Realität war.

Alle Infos unter: • www.facebook.com/ leistbareswohnen • www.sjoe.at/wohnen


INNENPOLITIK INNENPOLITIK

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Sexismus

War der #aufschrei   laut genug? Alltagssexismus gibt es nicht erst seit drei Monaten, zumindest nicht, wenn man Betroffene danach fragt. Geht es nach der medialen Berichterstattung und der öffentlichen Beachtung dieses Themas, sieht die Sache etwas anders aus: Tatsächlich wird im Jahr 2013 erstmals eine breite Sexismus-Debatte geführt. a Sexismus, wie erwähnt, kein sonderlich neuartiges Phänomen ist, war auch der Auslöser dieser Debatte bei weitem nicht der erste Vorfall dieser Art. Der FDP-Politiker Rainer Brüderle machte das, was ein zu großer Teil der Gesellschaft als „harmloses Späßchen“ abqualifizieren würde – er beäugte die Brüste der Stern-Journalistin Himmelreich und erklärte ihr, sie könne ein Dirndl auch ausfüllen. Im Laufe des Gesprächs küsste er ihre Hand und als sie sich verabschiedeten, sah die Pressesprecherin des Politikers sich gezwungen einzuschreiten, da Brüderle sich trotz ihrer abweisend vor den Körper gehaltenen Hände immer weiter an Himmelreich annäherte.

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Kein Einzelfall Was dieser Journalistin passiert ist, ist kein Einzelfall. Es gibt kaum Frau-

en, die im Lauf ihres Lebens nicht Opfer oder Zeuginnen von sexueller Belästigung werden, häufig ohne sich wehren zu können. Viele schweigen darüber, und nur wenige haben die Möglichkeit, ihre Erlebnisse der breiten Öffentlichkeit mitzuteilen. Himmelreich hatte diese Möglichkeit. Himmelreich nutzte sie. Ein Jahr nach dem Vorfall publizierte sie im „Stern“ das Porträt „Der Herrenwitz“, in dem sie über das Erlebte berichtete. Unabhängig davon begannen zur gleichen Zeit tausende Frauen, unter dem Hashtag #aufschrei ihre Erlebnisse in einer männerdominierten Welt zu twittern – die Bandbreite reichte von sexistischen Anmachsprüchen über strukturelle Benachteiligungen bis hin zu sexueller Gewalt. Die Existenz von (Alltags-)Sexismus konnte nicht länger totgeschwiegen werden und so begannen sämtliche Medi-

Wer die Notwendigkeit einer solchen Debatte in Frage stellt, tut der Gleichberechtigung keinen Gefallen. Frauen werden nicht in eine Opferrolle gedrängt, Frauen sind Opfer. Das hat nichts mit ihrer persönlichen Stärke oder ihrem Selbstbewusstsein, sondern mit der gesamtgesellschaftlichen Struktur zu tun. en in Deutschland, das Thema von durchaus unterschiedlichen Seiten zu beleuchten, was rasch auch auf

Österreich überschwappte. Einige Journalistinnen berichteten über ähnliche Erlebnisse wie sie Himmelreich erlebt hatte: Die ehemalige Spiegel-Journalistin Kosser zum Beispiel berichtete in ihrem Buch von zahlreichen Grenzüberschreitungen von Politikern, die darin gipfelten, dass sie von einem Abgeordneten ein Dildo, dem ein Kärtchen mit der Aufschrift „Auf eine gute Zusammenarbeit“ beigelegt war, bekam. Die „Sexismus-Debatte“ war losgetreten.

Start der Debatte Nicht alle taten sich in dieser besonders ruhmreich hervor: Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck etwa, der die Debatte als „Tugendfuror“ abtat und für nicht wirklich notwendig befand, da er „hierzulande keine besonders gravierenden,


INNENPOLITIK INNENPOLITIK

Auch wenn Rainer Brüderles (FDP) sexuelle Belästigung einer Journalistin die Sexismus-Debatte in die breite Öffentlichkeit trug, handelt es sich nicht um einen Einzelfall, sondern ein strukturelles Problem unserer Gesellschaft.

Twittern nennt man das Verbreiten von Kurznachrichten, sogenannten Tweets, auf der Internetplattform Twitter. Eine Kurznachricht ist auf maximal 140 Zeichen begrenzt. Auf Twitter ist der Hashtag (also die Raute #) die Möglichkeit, Tweets von verschiedenen Nutzer­Innen unter einem Stichwort zu bündeln und so geballt sichtbar zu machen.

flächendeckende Fehlhaltung von Männern gegenüber Frauen“ erkennen könne. Nach zahlreichen Protesten gegen diese Aussage ruderte er zurück und gestand ein, dass die volle Gleichberechtigung für Frauen nach wie vor noch nicht erreicht sei. Anders Brüderle: Der weigerte sich, sich für sein Fehlverhalten bei der Journalistin zu entschuldigen oder überhaupt eine Stellungnahme dazu abzugeben. Von seiner Partei erhält er Rückendeckung, die Sexismus-Debatte sei bloß eine mediale Kampagne um Brüderle zu schaden – das merke man auch daran, dass das Porträt „Der Herrenwitz“ erst ein Jahr nach dem Vorfall publiziert wurde. Aber auch auf Seiten der MedienvertreterInnen gab es mehr als ein schwarzes Schaf: Der „Kronen Zeitung“-Kolumnist Michael Jeannée etwa brüstete sich in „Im Zentrum“ damit, nicht mehr zu wissen, wie vielen Frauen er schon einen Klaps auf den Po gegeben habe. Als Mann wie er wisse man schließlich, ob eine Frau das wolle, ja, das hätte man doch im Gefühl! Der vom ORF als „Experte“ geladene Jurist Ganzger riet Frauen schließlich dazu, „Po-Grapscher“ zu ignorieren, und unterstrich somit Jeannées Aussage, dass diese „Täter“ keine Täter seien und eine strafrechtliche Verfolgung eine Lächerlichkeit wäre.

Fight Sexism! Von vielen sich selbst als feministisch bezeichnenden Stimmen wird die aufgeflammte Sexismus-Debatte ebenfalls nicht willkommen geheißen. Frauen würden bloß einmal mehr als Opfer dargestellt, was ihnen die Emanzipation nur noch zusätzlich erschwere. Sich hysterisch in diese Debatte einzubringen und sich darüber zu echauffieren, wenn man sexuell belästigt

wird, anstatt einfach „drüber zu stehen“, zeuge davon, dass man eigentlich nur ein „armes Hascherl“ ohne Selbstbewusstsein sei. Hätte man das nämlich, könnte man ja dem Täter gleich nach der Belästigung die Meinung sagen. Solchen Aussagen stehen tausende Tweets entgegen, die aus der realen Welt berichten, von realen Frauen, realen Männern und realen Übergriffen. Wer da noch sagt, es gäbe kein Problem mit Sexismus, verschließt absichtlich die Augen. Wer die Notwendigkeit einer solchen Debatte in Frage stellt, tut der Gleichberechtigung keinen Gefallen. Frauen werden nicht in eine Opferrolle gedrängt, Frauen sind Opfer. Das hat nichts mit ihrer persönlichen Stärke oder ihrem Selbstbewusstsein, sondern mit der gesamtgesellschaftlichen Struktur zu tun. Deshalb ist die Behauptung, man würde in dieser Diskussion „alle Männer zu Tätern“ machen, auch von Grund auf falsch. Ebenso wie nicht alle Frauen unter allen Formen der Diskriminierung zu leiden haben, sind nicht alle Männer dafür verantwortlich, dass Diskriminierung überhaupt herrscht. Männer sind im Kampf für Gleichberechtigung gern gesehene Verbündete. Da aber nicht davon ausgegangen werden kann, dass dieser Kampf mit Schild, Schwert und Mistgabel ausgetragen wird, ist eine breite öffentliche Diskussion dringend nötig. Das Thema Sexismus länger als Tabu zu behandeln und ganz nach dem neuen ÖVP-Mantra „weil’s immer schon so war“ unter den Tisch fallen zu lassen, ist längst keine Option mehr. Auch wenn die #aufschreiDebatte an vielen Punkten nicht so verläuft, wie man es sich wünschen könnte. Auch, wenn Antifeministen den Hashtag nutzen, um sich über die Diskussion lustig zu machen. Auch, wenn MedienvertreterInnen häufig über oberflächliche Berichterstattung zu diesem Thema nicht hinauskommen. Auch, wenn „Po-Grapschen“ noch immer nicht im Strafgesetzbuch steht. Umsonst oder gar kontraproduktiv ist die Debatte bei weitem nicht.

Diskussion nicht abflauen lassen! Das erste Mal beschäftigt sich eine breite Masse bewusst mit dem Thema Alltagssexismus,

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Das erste Mal beschäftigt sich eine breite Masse bewusst mit dem Thema Alltagssexismus, reflektiert das eigene Verhalten und das von anderen und beginnt, sich eine Meinung dazu zu bilden. reflektiert das eigene Verhalten und das von anderen und beginnt, sich eine Meinung dazu zu bilden – wie immer diese auch aussieht. Jetzt aufgrund kleinerer oder größerer Rückschläge innezuhalten und schließlich aufzugeben, darf nicht passieren. Endlich einmal an die Oberfläche gekehrt, muss alles daran gesetzt werden, dass das Thema nicht wieder verschwindet. Langfristig gesehen muss noch viel passieren, bis diese Diskussion sich von selbst erledigt, weil es kein Problem mit Sexismus mehr in der Gesellschaft gibt. Es ist auch falsch zu glauben, dass eine mediale Debatte allein ausreicht, um ein über Jahrhunderte gewachsenes Problem zu lösen. Aber dass es ohne diese Diskussion erst recht nicht gelingt, dieses Problem zu lösen, zeigt die Vergangenheit. Wie es mit der Debatte weitergeht, ob und wann die Ziele tatsächlich erreicht werden – es wäre verwegen, zu behaupten, man könnte das jetzt schon wissen. Obwohl es in den letzten Wochen medial wieder etwas ruhiger geworden ist: Das Thema Sexismus ist immer noch wesentlich präsenter als vor Beginn der Debatte. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht wieder von der Bildfläche verschwindet. Um das zu verhindern, kann und muss jede und jeder Einzelne einen Beitrag leisten.

Julia Jakob

#aufschrei Mit 25.000 Tweets schrieb die #aufschrei-Debatte Netzgeschichte. Deutschsprachige Twitter-Nutzer­ Innen schilderten unter erwähntem Hashtag ihre persönlichen Erfahrungen mit Sexismus. In 140 Zeichen wurde abgebildet, was die Gesellschaft sonst gerne ausblendet: Sexismus ist Alltag. Sprachlich wie körperlich. Und er hat System. Laut einer Studie aus Deutschland haben insgesamt 58,2 % aller befragten Frauen Situationen sexueller Belästigungen erlebt, sei es in der Öffentlichkeit, im Kontext von Arbeit und Ausbildung oder im sozialen Nahraum. Quelle: www.bmfsfj.de/BMFSFJ/ gleichstellung,did=73018.html


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INNENPOLITIK INNENPOLITIK

Kärnten

Wahlkampf einmal anders Der Kärntner Landtags-Wahlkampf 2013 war nicht nur von einem Ergebnis gekrönt, das politische BeobachterInnen in und außerhalb Österreichs in Staunen versetzte, er unterschied sich auch in einigen wesentlichen Punkten von allen bisher geführten Wahlkämpfen im südlichsten Bundesland. wenige Wochen vor der Wahl hatte Kärnten im Gegensatz zu seiner blauen Regierung eine weiße Weste: Mehrere Meter Neuschnee waren gefallen. Und auf einmal tauchten im ganzen Land Schneemänner und Schneefrauen auf, die eine klare Botschaft an die Bevölkerung hatten: „Wir sind auch ohne Plakate präsent – am 3. März SPÖ!“. Für die FunktionärInnen wurde es dank Facebook rasch zu einem richtigen Wettbewerb: Wer baute die meisten, die schönsten, die größten SchneeFiguren? Es gab kaum eine Gemeinde, in der die freundlichen Gestalten nicht zu finden waren. Und dass einige davon nächtlichen Attentaten zum Opfer fielen, motivierte ihre ErbauerInnen nur zusätzlich.

Das selbstauferlegte Plakatverbot führte zu einem teils unkonventionellen und kreativen Wahlkampfauftritt.

Fazit

Der frisch gewählte neue Landeshauptmann Peter Kaiser und seine Kärntner SPÖ fügten dem „System Haider“ und dessen korrupten Erben eine beispiellose Niederlage zu.

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enn gerade in Kärnten, Jörg Haiders Machtbasis über viele Jahre hinweg, waren demokratische Auseinandersetzungen zuletzt immer mehr zu Materialschlachten ausgeartet, die einerseits auf immer größeres Missfallen bei der Bevölkerung stießen, andererseits aber auch die Parteien an den Rand des finanziellen Kollaps geführt hatten, mit allen Problemen, die damit einhergingen (Stichwort Parteienförderung). SPÖ, Grüne und ÖVP einigten sich vor diesem so entscheidenden Urnengang daher sowohl auf eine Wahlkampfkostenbeschränkung, als auch auf ein Plakatverbot.

Unkonventioneller Wahlkampf Dieser Verzicht barg ein nicht unwesentliches Risiko. Es fehlten nicht nur Vergleichswerte aus anderen Wahlkämpfen, der populistisch-rechte Teil des Parteienspektrums zeigte darüber hinaus keinerlei Ambitionen, sich ebenfalls

an das Verbot zu halten. Und allen voran einmal mehr die FPK mit Gerhard Dörfler, der in den größeren Städten teilweise über mehrere hundert Meter Plakat auf Plakat von sich folgen ließ, obwohl er kurz vor Beginn des Wahlkampfes in einem Interview noch selbst bemerkt hatte, dass es „die Leute regelrecht ankotzen würde, ständig unsere Gesichter sehen zu müssen.“ Die blaue KernwählerInnenschaft wird heute sagen: „Er hätte auf sich hören sollen!“ Doch tatsächlich trauten sich auch seriöse Meinungsforscher­I nnen nicht, Prognosen über den Ausgang der Wahl abzugeben. Lediglich aus der um ihr Kerngeschäft bangenden Werbebranche gab es düstere Warnungen in Richtung Rot, Grün und Schwarz. Die Sorge erwies sich als unbegründet. Bei der SPÖ war die Unsicherheit vor allem bei der Basis zunächst groß, doch wie sich zeigte, kann Kreativität Plakate durchaus ersetzen. Vor allem dann, wenn auch noch das Wetter mitspielt. Denn

Und apropos Facebook: Die NetzwerkanalystInnen, die den Wahlkampf beobachteten, waren sich einig, dass Peter Kaiser und die SPÖ im Web 2.0 diesmal allen anderen Parteien meilenweit voraus waren: Es gab kaum eine Aktion des Spitzenkandidaten, die nicht sofort die Runde machte. Die jahrelange Aufbauarbeit im Netz hat sich für die SozialdemokratInnen 2013 definitiv bezahlt gemacht und war damit ein weiterer Puzzle-Stein für den Erfolg bei den Wahlen. Politisches Kasperl-Theater, Straßenaktionen, lebende Hinweisschilder und motivierte FunktionärInnen, die über 130.000 Haushalte besuchten. Auch ältere Sozial­ demokratInnen können sich nicht erinnern, wann ein Wahlkampf in Kärnten das letzte Mal mit so viel Engagement bestritten wurde wie diesmal. Bleibt nur zu hoffen, dass das wiedererwachte Feuer im Süden Österreichs in den Mühen der Ebene erhalten bleibt.

Heimo Mauczka

Jörg Haiders Machtbasis: Haider war 1989–1991 und 1999–2008 Landeshauptmann von Kärnten. Das südlichste Bundesland wurde zu dieser Zeit zum rechtspopulistischen Kernland. Haider und seine Emporkömmlinge plünderten und wirtschafteten als gehöre das Land ihnen. Der HYPO Skandal, für den wir alle haften müssen, stellt nur den traurigen Höhepunkt eines unglaublichen blauen Korruptionssumpfes in Kärnten dar, den es nun trockenzulegen gilt.


PRO / CONTRA PRO / CONTRA

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Polizei

Streifenpolizei entwaffnen? Soll man Kriminalität wirklich mit der Waffe begegnen? Braucht die Polizei für all ihre Bewältigungsaufgaben eine Waffe am Gurt? Dient diese zum Selbstschutz oder trägt sie erst Recht zur Eskalation von Konflikten bei?

PRO PRO

Entwaffnet die Streife! Die Polizei zu belästigen, heißt so zu handeln, dass sie, indem sie überall präsent ist, nirgendwo mehr effizient ist. Jeder Akt der Belästigung belebt die 1842 ausgesprochene Wahrheit wieder: „Das Leben des Polizeibeamten ist peinlich; seine Position inmitten der Gesellschaft ist genauso erniedrigend und verachtet wie das Verbrechen selbst. [...] Die Scham und die Infamie umschließen ihn von allen Seiten, die Gesellschaft verjagt ihn aus ihrem Innern, isoliert ihn wie einen Paria, speit ihm ihre Missachtung mit seinem Lohn entgegen, ohne Reue, ohne Bedauern, ohne Mitleid, [...] der Polizeiausweis in seiner Tasche ist ein Zeugnis der Schande.“ (Unsichtbares Komitee, 2010: 105)

S

treifenpolizistInnen sollen nicht mit Schusswaffen ausgerüstet werden. Polizei wirkt schon durch ihre Anwesenheit. So wie man sich unwillkürlich einem willkürlichen, diffusen Normenkatalog unterwirft, wenn man Securitys in funktionalen Räumen trifft (z. B. Einkaufszentrum), verdeutlichen PolizistInnen durch ihre Anwesenheit und das eigene Wissen um ihre Befugnisse (obwohl auch das diffus ist), Staat, Gesetze, Rechtsprechung und Sanktion. Dafür braucht es keine Schusswaffen. Das martialische Gehabe, mit einem Batman-mäßigen Gürtel ausgestattet zu sein trägt nicht zum Wohlbefinden bei. Gegenwärtig verfügt „die Polizei“ über zig spezialisierte Einheiten.

In Großbritanien sind polizeiliche Einsatzkräfte schon seit Ewigkeiten ohne Waffe unterwegs. Einladung zu vermehrtem Verbechen?

So wie niemand von der Finanzpolizei erwartet, dass sie sich Verfolgungsjagden und Schusswechsel mit SteuerhinterzieherInnen liefert, wäre es absurd, anzunehmen, dass diejenigen Kiwara, die sich mit Handtaschendiebstahl und Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung auseinandersetzen das tun (können sollen). Eigentumsdelikte rechtfertigen keineTötungen. Nichts tut das. Morde passieren glücklicherweise so gut wie nie auf offener Straße, sondern in der Familie und dem Bekanntenkreis. In Großbritannien, einem Land mit höherer Verbrechensrate als Österreich, tragen die Bobbys seit 1829 Knüppel, keine Schießeisen. Bemerkenswerterweise werden in London nicht regelmäßig PolizistInnen verprügelt und die London Riots brachen bestimmt nicht deswegen und justament 2011 aus. Im Übrigen sollte uns als SozialistInnen und MarxistInnen bewusst sein, dass die Polizei ein Machtapparat der herrschenden Klasse ist, auch wenn die FSG hohen Zuspruch hat. Auch dem ist, nach Marx, mit der Dialektik beizukommen.

Max Zirkowitsch

CONTRA CONTRA

Die Forderung nach Entwaffnung der Streifenpolizei geht am Kern des Problems vorbei Spätestens seit 2009 in Krems ein 14-jähriger Supermarkt-Einbrecher durch die zu Hilfe gerufenen PolizistInnen getötet und der 16-jähriger Mittäter durch Schüsse in beide Oberschenkel schwer verletzt worden ist, werden auch in der Sozialistischen Jugend die Rufe nach der Entwaffnung der österreichischen Polizei lauter. Dabei geht diese Forderung völlig am Kern des Problems vorbei.

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nders als in anderen Staaten gibt es in Österreich keine Trennung von Einsatz- und Streifenpolizei. Plakativ formuliert heißt das: PolizistInnen, die einen großen Teil ihres Alltags mit Verkehrskontrollen und Sicherungsdiensten verbringen, werden auch im Ernstfall gerufen und sehen sich mitunter mit Raubüberfällen, Familiendramen und anderen schwerwiegenden Situationen konfrontiert. Wer in solche Situationen kommt, muss sein Recht auf Notwehr auch effektiv auszuüben in der Lage sein – wer nur den Verkehr regelt, wird

In Österreich ist auch die Streifenpolizei bewaffnet. Zu Recht?

diese Aufgabe problemlos ohne Schusswaffe am Gürtel bewältigen können. Es liegt nahe, dass PolizistInnen in ihnen völlig neuen Extremsituationen oft überreagieren. Den Polizeiwachkörper in Einsatz- und Streifenpolizei zu untergliedern würde also den Einsatz von unerfahrenen PolizistInnen in Krisensituationen vermeiden – überdies käme eine derartige Neugliederung faktisch einer Teilentwaffnung gleich. Ob darüber hinaus auch hochgerüstete Einheiten wie WEGA, COBRA und andere bestehen sollen, wird freilich noch einmal gesondert diskutiert werden müssen. Ebenso muss die Frage nach der Rolle der (bürgerlichen) Polizei in unserer (bürgerlichen) Gesellschaft überhaupt gestellt und ausführlich diskutiert werden. Als Denkansatz sei nur bemerkt: Auch ein sozialistischer Staat wird kaum ohne Polizei als ordnendes Exekutivorgan im Auftrag der Gesellschaft auskommen.

Michael Gogola


GESCHICHTE GESCHICHTE

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Ausrufung der Republik am 12. November 1918. In der Regierung der jungen Republik kann die Sozial­ demokratie erstmals Teile ihrer Forderungen verwirklichen.

Austromarxismus

Der Kampf um die Staatsmacht Vor bald 100 Jahren begründete sich in Österreich eine politische Ausrichtung, die bis heute unter der Bezeichnung „Austromarxismus“ bekannt ist. Noch heute begleitet diese Interpretation des Marxismus die österreichische Sozialdemokratie. uch wenn die damaligen Ideen und Forderungen heute kaum mehr gehört werden, so erinnert man sich doch gerne an „die gute, alte Zeit“. Gerade für eine Jugendorganisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Ursprünge der ArbeiterInnenbewegung hochzuhalten, ist es wichtig, sich immer wieder mit dem Austromarxismus auseinanderzusetzen und ihn auf seine Aktualität heute hin zu prüfen.

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Was ist Austromarxismus? Unter Austromarxismus versteht man eine Schule des Marxismus, die in der österreichischen Sozialdemokratie noch während der Monarchie entstand. Diese Schule versteht sich als ein Mittelweg zwischen dem orthodoxen Marxismus und der radikalen Linken auf der einen Seite und dem Revisionismus, der dem Klassenkampf abgeschworen hatte, auf der anderen Seite. Dieser Mittelweg zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass die Überwindung des Kapitalismus immer noch als oberstes

Ziel gesehen wurde, bis zum Zeitpunkt der Überwindung jedoch die erkämpften Rechte der Demokratie und der Republik dazu genutzt werden sollten, mit Reformen für Verbesserungen für die ArbeiterInnen zu sorgen. Diese Strategie wurde als „Kampf um die Staatsmacht“ bezeichnet, welcher unter anderem im „Linzer Programm“ beschrieben wurde, das 1926 von der Partei beschlossen wurde. Dieses Parteiprogramm gilt als eines der wichtigsten Dokumente des Austromarxismus und bot zur damaligen Zeit vor allem die inhaltliche Grundlage für die Auseinandersetzungen mit den Christlichsozialen und dem aufkommenden Faschismus. Neben zahlreichen Forderungen zur Demokratisierung des Staates und zur Verbesserung der Lebenssituation der Bevölkerung, wurde hier auch festgehalten, dass das Ziel die Überwindung des Kapitalismus sei, der Klassenkampf aber auch mit demokratischen Mitteln zu führen sei. Erst wenn die Bourgeoisie sich durch die Errichtung einer Diktatur oder durch den Faschismus

Der Austromarxismus führte nicht nur in der politischen Praxis zu massiven Verbesserungen für die österreichische Bevölkerung. Er war auch dafür verantwortlich, dass die österreichische Sozialdemokratie eine europaweit einzigartige Entwicklung durchlief: Sie spaltete sich nicht. der Republik und der ArbeiterInnenbewegung zu entledigen versuche, müsse diese sich auch mit Gewalt dagegen zu wehren wissen. Die Republik war eine Errungenschaft für die österreichische Sozialdemokratie, die es mit allen Mitteln zu verteidigen galt. Die Republik galt als Ort, an dem die Verhältnisse gewaltfrei und mit demokratischen Mitteln verändert

werden konnten. Als Prestigeprojekt des Austro­marxismus gilt das sogenannte „Rote Wien“.

Einigkeit und Stillstand Der Austromarxismus führte nicht nur in der politischen Praxis zu massiven Verbesserungen für die österreichische Bevölkerung. Er war auch dafür verantwortlich, dass die österreichische Sozialdemokratie eine europaweit einzigartige Entwicklung durchlief: Sie spaltete sich nicht. Warf man zu dieser Zeit einen Blick auf die sozialdemokratischen und sozialistischen Schwesterorganisationen der Nachbarländer, so sah man, wie sie allesamt nach und nach in Richtung rechts abrutschten und sich ihrer sozialistischen Grundhaltung entledigten. Die Reaktion war da wie dort die Abspaltung des linken Flügels innerhalb der Sozialdemokratie und die Gründung kommunistischer Parteien. In Deutschland kam es zu blutigen Auseinandersetzungen nach dem ersten Weltkrieg, welche letztendlich zur Ermordung


GESCHICHTE GESCHICHTE überzeugen. Denn hier war die ArbeiterInnenschaft organisiert, anders als in den ländlicheren Regionen, wo ideologisch der Konservativismus und Katholizismus vorherrschte. Der Sozialdemokratie gelang es also nicht, in ganz Österreich Fuß zu fassen. Vor allem gelang es ihr nicht, die ArbeiterInnenschaft in ausreichendem Maße zu mobilisieren: Obwohl die Politik für massive Verbesserungen sorgte, führte sie auch dazu, die Bevölkerung zu passivieren. In einem Kampf um die Republik konnte die organisierte ArbeiterInnenschaft nicht gewinnen. Letztendlich wurde auch sie durch die faschistische Front zerschlagen.

Und heute?

OttoBauer(1881–1938) war führender Theoretiker des Austro­marxismus.

Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht

„Linzer Programm “: Parteiprogramm des SDAP aus dem Jahr 1926. Ziel war die „Eroberung der Herrschaft in der demokratischen Republik“, um sie in den „Dienst der Arbeiterschaft“ zu stellen.

der kommunistischen Leitfiguren, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht führten, durchgeführt zwar durch Rechtsextreme, aber durchaus unter dem duldenden Blick der deutschen sozialdemokratischen Partei. Auch in anderen sozialdemokratischen Parteien Europas kam es zu solchen Spaltungen. Dadurch erlangten die rechten Kräfte innerhalb der Sozialdemokratie die Überhand und die linken Kräfte wurden mit ihren Parteien ins Abseits gedrängt. Damit war auch die Einheit der ArbeiterInnenbewegung Geschichte und sie verlor damit massiv an Schlagkraft. In der weiteren Entwicklung sollte sich letztlich zeigen, dass diese Spaltung der linken Kräfte in Europa ein weiterer Schritt war, der dem Faschismus den Boden ebnete. In Österreich jedoch blieb die Sozialdemokratie ein großes Ganzes. Zwar gründete sich auch hier die kommunistische Partei, doch sie blieb recht unscheinbar. Da die Sozialdemokratische Führung inhaltlich nicht der Revolution abschwor, obgleich sie auf praktischer Ebene sehr wohl den reformistischen Weg einschlug, war es der KPÖ nicht möglich, in ähnlicher Weise die Bevölkerung für sich zu gewinnen wie die Sozialdemokratische Partei. Dennoch war es auch der Sozialdemokratie nicht beschert, in ganz Österreich so erfolgreich zu sein wie in Wien. Nur in den proletarischen Zentren, den Städten konnte die Sozialdemokratie den Großteil der Bevölkerung

Obwohl auch in Österreich der Faschismus Einzug hielt und letztlich nicht von der organisierten ArbeiterInnenbewegung aufgehalten werden konnte, sind doch einige Lehren aus der Politik der österreichischen Sozialdemokratie aus den 20er Jahren zu ziehen. Die SDAP, die die revolutionären Grundsätze in Wort mit reformistischer Strategie in der realpolitischen Tat verband, konnte in den Teilen Österreichs, wo sie die Mehrheit erlangte, wesentliche Verbesserungen für die Bevölkerung erzielen. Obwohl das revolutionäre Potential in der Bevölkerung damit aufgegeben wurde, waren die Erfolge wesentlich und sind bis heute spürbar. Damit bekommt der Austromarxismus eine enorme Aktualität. Die politische Situation heute ist mit der in den 20er Jahren nicht vergleichbar. Doch es ist realistisch, dass die Strategien aus dieser Zeit auch heutzutage noch zu Erfolg führen können. Das ergibt sich aus der einfachen Tatsache, dass die Politik direkt aus den sozialistischen Grundsätzen abgeleitet wurde: Sozialistische Politik bedeutet, den Kapitalismus als das Grundproblem unserer Gesellschaft zu erkennen und die Ungleichheiten in der Bevölkerung aus den Mechanismen des Systems abzuleiten. Davon ausgehend ist eine Politik möglich, die sich nach den Bedürfnissen des Großteils der Bevölkerung richtet und sich nicht ausschließlich durch das Kapital einschränken lässt. Diese Politik muss auch heute wieder Realität werden. Da wir in einer Demokratie leben, haben wir den Vorteil, dass politische Macht nicht ausschließlich durch Ver-

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Die SDAP, die die revolutionären Grund­ sätze in Wort mit reformistischer Strategie in der realpolitischen Tat verband, konnte in den Teilen Österreichs, wo sie die Mehrheit erlangte, wesentliche Verbesserungen für die Bevölkerung erzielen. mögen sondern auch durch die Bevölkerung bestimmt wird. Dass die Gunst der Bevölkerung gewonnen wird, indem Politik in ihrem Sinne gemacht wird, liegt auf der Hand. Es ist nicht notwendig, es ist sogar schädlich sich nur auf den öffentlichen gesellschaftspolitischen Diskurs zu verlassen und die Forderungen zu übernehmen, die aus der Bevölkerung zu kommen scheinen. Nicht selten ist auch die Bevölkerung durch hegemoniale Werte und Normen geprägt und spricht daher nach, was die herrschende Klasse von ihnen wünscht – unabhängig von ihren tatsächlichen Interessen. Daher ist es notwendig, diese hegemonialen Werte und Normen zu entlarven und die tatsächlichen Verhältnisse aufzudecken. Zu diesem Zweck ist es immer wieder gut, einen Blick zurück zu werfen und sich Strategien aus der Vergangenheit wieder anzusehen. Obwohl der Austromarxismus nicht alle Aufgaben seiner Zeit erfüllen konnte und wichtige Chancen ziehen ließ, ist er heute moderner denn je. Er bietet die inhaltliche Grundlage um mit einem realpolitischen Programm sozialistische Werte umzusetzen und die Umsetzung in der Vergangenheit gibt uns Inspiration für die Zukunft. Was damals möglich war, sollte heute selbstverständlich sein. Leider werden die Ideen des Austromarxismus schon lange totgeschwiegen. Es ist an der Zeit, sie wieder auferstehen zu lassen.

SDAP: Sozialdemokratische Arbeiterpartei

Marlis Zederbauer

Das „Rote Wien“ In den 20er Jahren gelang es der Sozialdemokratie als stärkste Fraktion im Gemeinderat mit umfassenden Reformen Wien zu einer Stadt zu machen, in der es leistbare Wohnungen, ein umfassendes Bildungs- und Freizeitangebot sowie Versorgung in allen möglichen Bereichen gab. Kommunale Projekte wie die Gemeindebauten, Bäder und Büchereien macht diese Versorgung für alle WienerInnen möglich. Die Bedürfnisse der Bevölkerung zu decken wurde damit zum zentralen Ziel der Sozialdemokratie, das in Wien auch real umgesetzt werden konnte.


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Strache und seine FPÖ sind nichts anderes als treue Diener der Reichen. In die Regierungsjahre der FPÖ fallen immense Verschlechterungen für Jugendliche und ArbeiterInnen. Statt für eine gerechte Gesellschaft einzutreten, spaltet Strache die Bevölkerung mit dem Mittel des Rassismus.

Rechtsextremismus

Den Rechten die Zähne zeigen! Die Freiheitliche Partei unter der Führung von Heinz Christian Strache galt bis vor Kurzem als Österreichs Möchtegern-Protestpartei. Lautstark wird gegen die „unehrliche“ Politik der anderen Parteien gewettert, glorreich präsentiert sie sich als Vertreterin der „wahren Werte“, als vermeintliche Retterin der Bevölkerung. Doch was steckt hinter den populistischen Parolen der FPÖ? Eine Partei, die die Interessen der Wirtschaft vertritt, Rassismus schürt und rechtsextreme Kreise hofiert. erne präsentiert sich die FPÖ als die Partei, die auf „den kleinen Mann“ schaut und die Interessen von Lohnabhängigen vertritt. Die laut Selbstbezeichnung „soziale Heimatpartei” sieht sich gerne als Expertin in Arbeitsmarktund Sozialfragen und als Vertreterin der armen österreichischen Familie. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch schnell klar, dass eine Stimme für die FPÖ eine Stimme gegen die Interessen der arbeitenden Menschen bedeutet – das zeigen sowohl die Geschichte von Schwarz-Blau, als auch die aktuellen Forderungen der FPÖ.

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Schwarz-Blauer Selbstbedienungsladen Die Zeit der Schwarz-Blauen Regierungskoalition beweist, für welche Menschen die FPÖ Politik macht, wenn sie an der Macht ist. Zwischen 2000 und 2006 betrachteten die PolitikerInnen der ÖVP und FPÖ die Republik als einen Selbstbedie-

nungsladen. Schwarz-Blau versenkte in wenigen Jahren die Reste der verstaatlichten Industrie an ihre Freunde: Zum Vorzugspreis konnten jene, die der Regierung nahestanden und in der Industrie und Finanzwirtschaft tätig waren, einkaufen. Die Vollprivatisierung der VOEST ist wohl eines der besten Beispiele. Mit der Steuerreform 2004 verteilte Finanzminister Grasser Millionen von unten nach oben, Konzerne und Vermögende wurden von lästigen Steuern und Regeln befreit. Im Gegenzug dazu kam es zu einer Politik des verschärften Sozialabbaus: Studiengebühren, Verschlechterungen im Gesundheitswesen und die Pensionsreform aus dem Jahr 2003 sorgten für massive Belastungen großer Teile der Bevölkerung. Weitere unglaublichen Verflechtungen, dubiosen Geschäfte und Absprachen kamen in den letzten 2 Jahren nach und nach ans Tageslicht: Skandale rund um die Telekom Austria, Hypo Alpe Adria, verkaufte österreichische Staatsbürgerschaften, BUWOG etc.

Das Programm der FPÖ spricht eine deutliche Sprache: Die wirtschaftspolitischen Forderungen belasten (vor allem weibliche) ArbeiterInnen und Arbeitslose und entsprechen den Interessen der Wirtschaftstreibenden. Politik für Reiche Doch auch das Programm der FPÖ spricht eine deutliche Sprache: Die wirtschaftspolitischen Forderungen belasten (vor allem weibliche) ArbeiterInnen und Arbeitslose und entsprechen den Interessen der Wirtschaftstreibenden. Betriebe sollen nicht entnommene Gewinne nicht versteuern müssen. Es soll keine Vermögensteuer, dafür aber eine „Flat Tax”

eingeführt werden und der Spitzensteuersatz soll gesenkt werden. Wer profitiert davon? Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung, denen ohnehin bereits 70 Prozent des Vermögens gehört. Wer verliert? All jene, die auf staatliche Leistungen angewiesen sind – also vor allem ärmere und Mittelschicht-Haushalte. Gleichzeitig fordert die FPÖ, dass Monatseinkommen bis 1.000 Euro nicht mehr sozialversicherungspflichtig sind, indem die Geringfügigkeitsgrenze angehoben wird. Die Auswirkungen: Mehrere hunderttausend Menschen verlieren den Anspruch auf Arbeitslosengeld, eine Pension und vor allem auf die Leistungen aus der Krankenversicherung. Diese Menschen müssten sich auf eigene Kosten selbst versichern. Nach Ansicht der FPÖ sollen vor allem „Leistungsbereite” für Zusatzeinkommen von den Sozialversicherungsbeträgen befreit werden. Die Tatsache, dass es aber leider unzählige Menschen gibt, deren einziges Einkommen den monatlichen


SCHWERPUNKT SCHWERPUNKT

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Bis 2001 erschien jährlich ein Rechtsextremismus-Jahreslagebericht. Unter SchwarzBlau wurde dieser abgeschafft, und damit eine der wichtigsten, regelmäßig erscheinenden Dokumentationen zur aktuellen Lage der rechtsextremen Szene verhindert.

WKR: Der Wiener Korporationsring ist ein Dachverband deutschnationaler studentischer Verbindungen. Jahr für Jahr findet unter dem Deckmantel eines Balles die Vernetzung der europäischen Rechten in der Wiener Hofburg statt.

Betrag von 1.000 Euro nicht übersteigt, scheint in der Welt der „sozialen Heimatpartei” nicht zu existieren. Wer profitiert von dieser Regelung? Die Unternehmen, die für Einkommen bis zur Geringfügigkeit weniger an Sozialversicherungsbeiträgen zu entrichten hätten. Wer verliert? All jene Beschäftigte, die unter 1.000 Euro monatlich verdienen.

Braun-Blau

Finanzminister Grasser: Grasser wurde als FPÖ-Finanzminister unter Schüssel angelobt. Nachdem die Blauen an der Regierungsverantwortung zerbrachen und sich selbst zerfleischten, war er auf ÖVP-Ticket weiterhin Finanzminister. Die korrupten Machenschaften von Grasser, Strasser & Co beschäftigen heute vor allem diverse Gerichte.

„Flat Tax”: Jede/r zahlt einen gewissen, für alle gleichen Prozentsatz an Lohnsteuer. Das hilft natürlich nur den Reichen, die dann weniger zahlen müssen.

Neben den Verstrickungen in die schwarz-blauen Korruptionsfälle fällt die FPÖ und auch ihre Jugendorganisation RFJ (Ring freiheitlicher Jugend) medial immer wieder durch Verbindungen in die rechtsextreme Szene auf. Schon wenn man sich die Geschichte der FPÖ ansieht, haben diese Verbindungen in die rechtsextreme Szene seit der Gründung der Partei bestanden. Im Jahr 1949 wurde der VdU (Verband der Unabhängigen) gegründet, der vor allem ein Auffangbecken für NationalsozialistInnen und die sog. Großdeutschen darstellte. Nach einigen Wahlniederlagen löste sich der VdU 1955/56 auf und ein Teil der ehemaligen Partei gründete die Freiheitliche Partei Österreichs. Erster Parteiobmann wurde Anton Reinthaller, ein ehemaliger Nationalsozialist der ersten Stunde, der auch nach 1945 wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung verurteilt wurde. Dieser Trend setzte sich auch in der weiteren Geschichte dieser Partei durch: Immer wieder kamen extrem rechte PolitikerInnen und ehemalige NationalsozialistInnen in hohe Parteifunktionen. Hier seien stellvertretend der ehemalige FPÖ-Bundesrat John Gudenus (2006 wegen NSWiederbetätigung verurteilt) und der ehemalige FPÖ-Nationalrat Karlheinz Klement (2010 wegen Verhetzung verurteilt)

erwähnt. Die Liste von verurteilten FPÖ-PolitikerInnen ist lang, und scheint im Widerspruch zur Law-and-Order-Politik der Partei zu stehen. Immer wird medial über Verbindungen der FPÖ in die rechtsextreme Szene berichtet. In nahezu regelmäßigen Abständen machen die Freiheitlichen der Neonazi-Szene und den deutschnational-völkisch orientierten Burschenschaften bestimmte Zugeständnisse. Sei es, dass FPÖ-Abgeordnete oftmals bei Angelobungen blaue Kornblumen tragen (Symbol der zwischen 1933 und 1938 verbotenen Nationalsozialist­Innen), oder dass die FPÖ seit 2013 versucht mit dem Wiener Akademikerball das Hofburg-Verbot des WKR-Balles zu umgehen – immer wieder senden die Freiheitlichen damit Signale an die extreme Rechte.

Braune Jugend Ebenfalls evident sind auch die Fälle von Verbindungen zwischen der Neonazi-Szene und dem Ring Freiheitlicher Jugend, der vom DÖW (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes) als rechtsextrem kategorisiert wird. Obwohl auch hier die Medien regelmäßig über diese Verbindungen berichten, wird von Seiten der FPÖ dann abwehrend von Einzelpersonen gesprochen, oder aber von einer linkslinken Hetzkampagne der Medien gegen die FPÖ und dem Schwung der sogenannten „Faschismuskeule“. Beispielsweise tauchte 2009 ein Partyfoto vom damaligen Bezirksrat und Obmann des RFJ Leopoldstadt auf Facebook auf, wo dieser grinsend den Ärmel seines T-Shirts hochzog und ein mit Edding gemaltes Hakenkreuz in die Kamera hielt. Franz Lindenbauer selbst meinte dazu, er hätte nicht gemerkt, dass ihm jemand etwas auf den Arm gemalt hätte und vermutete gegenüber der Zeitung „die Pres-

se“, dass dahinter auch eine Fotomontage stecken könne. Dieser Fall sei nur stellvertretend für die vielen „Ausrutscher“ von FPÖPolitiker­Innen und -Funktionär­ Innen genannt. Und auch an dieser Stelle bietet es sich erneut an, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen: Bis 2001 erschien jährlich ein Rechtsextremismus-Jahreslagebericht. Unter Schwarz-Blau wurde dieser abgeschafft, und damit eine der wichtigsten, regelmäßig erscheinenden Dokumentationen zur aktuellen Lage der rechtsextremen Szene verhindert. Seit 2002 werden auch völkische Burschenschaften nicht mehr im Verfassungsschutzbericht erwähnt. Die FPÖ schaffte es damit, ihre eigenen Reihen zu schützen und die eigentlich dringende Notwendigkeit, rechte Burschenschaften zu beobachten, zu verhindern. Dabei ist klar, dass in rechtsextremen Burschenschaften die Köpfe der FPÖ sitzen, jene Männer, die rechtsextreme Ideologie verbreiten und weiterdenken.

Die Liste von verurteilten FPÖ-PolitikerInnen: In den Reihen der FPÖ befinden sich so viele Straftäter wie in keiner anderen Partei. Die Delikte reichen von Holocaust-Leugnung, über NS-Wiederbetätigung, bis zu wirtschaftlichen Verbrechen.

Keine Stimme für die FPÖ! Die letzten Wochen waren geprägt von sinkenden Umfragewerten der FPÖ. Bei den Wahlen in Niederösterreich am 3. März fuhr die FPÖ eine kleine Niederlage ein und eine noch größere bei den Kärntner Landtagswahlen am selben Tag. In der ehemaligen Hochburg Jörg Haiders verloren die Freiheitlichen rund 27% im Vergleich zur letzten Landtagswahl. Der prozentuell größte Verlust, der in der Geschichte der 2. Republik bei einer Wahl bisher eingefahren wurde. Der Stimmenverlust führte innerhalb der FPÖ zu zahlreichen Krisensitzungen und Konflikten. Doch auch wenn die Freiheitlichen derzeit geschwächt sind gilt es, wachsam zu bleiben und aktiv gegen ihre Politik aufzutreten. Denn auch wenn sich durch Personalrochaden die agierenden Personen verändern bleiben die menschenverachtenden Inhalte und die Politik der FPÖ gleich! Marina Hanke & Lisa Ernst

Der Kärnter FPÖ-Zwilling, die FPK, wurde im März von den KärntnerInnen abgewählt. Was bleibt: Ein riesiger Schuldenberg, ein gigantischer Korruptionssumpf und etliche noch anhängliche Gerichtsverfahren. Im Bild oben: Strache mit dem mittlerweile wegen Korruption verurteilten Uwe Scheuch. Nach der blauen Wahlschlappe will Strache auf einmal nichts mehr mit seinen ehemaligen Weggefährten Dörfler (Bild unten), den Scheuchs & Co zu tun haben.


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Foto: Thomas Kuban

Interview

„Die Nazi-Szene hat sich zur Bewegung weiterentwickelt“ Unglaubliches Material liefert der Dokumentarfilm „Es muss Blut fließen“ des UndercoverJournalisten Thomas Kuban, der zu seinem eigenen Schutz nur mehr unter diesem Pseudonym auftritt. 10 Jahre lebte der Filmemacher mitten im Herzen der tiefbraunen Szene in Deutschland und Europa und dokumentierte in über 100 Stunden Filmmaterial wie Nazis Wochenende für Wochenende Selbstvertrauen tanken, sich vernetzen und die Polizei auf dem rechten Auge blind ist. Dem TROTZDEM berichtet er, wie er sich Schritt für Schritt in die ultrarechte Szene arbeitete, wie er bei den Konzerten unentdeckt blieb und wie sich die Szene verändert hat. TROTZDEM: Du hast fast 10 Jahre in der Neonazi-Szene recherchiert. Welches Erlebnis bzw. welche Erlebnisse waren für dich besonders prägend?  Thomas:  Prägend in dem Sinne, dass mein Leben bzw. ich als Mensch geprägt worden wäre, ist vor allem meine Arbeitsweise, die verdeckte Recherche, gewesen. Ich musste insbesondere vor Nazi-Konzerten, bei denen ich mit versteckter Kamera gedreht habe, immer wieder massive Angst überwinden und mich zwingen, möglichst rational mit Risiken umzugehen. Um den konspirativ agierenden Kadern strategisch überlegen zu sein, habe ich mich permanent mit taktischen Möglichkeiten auseinandergesetzt und darüber nachgedacht, wie ich meine KameraAusrüstung perfektionieren kann. Ich

habe letztlich eher in der Recherche gelebt, als im Leben recherchiert. Aber das war auch notwendig, um über all die Jahre nicht aufzufliegen. Wie heißt es doch so schön: Überlegen macht überlegen. Aber natürlich gibt es auch einzelne Erlebnisse, die sich in mein Gehirn eingebrannt haben. Ich denke da beispielsweise an einen ungefähr vierjährigen Jungen mit dunkler Hautfarbe, der aus einer Berliner U-Bahn stieg, als ich dort mit Nazi-Hooligans auf den Zug gewartet habe. Ein Bereitschaftspolizist ist blitzschnell dazwischen gegangen, um das Kind zu schützen. Ein Hool vor mir meinte daraufhin sinngemäß: „Lasst mal den Negerbastard durch“. Diese Menschenverachtung gegenüber einem kleinen Kind so unmittelbar zu erleben, war schockierend.

TROTZDEM: Was hat dich dazu gebracht, dich einer solchen Gefahr auszusetzen? Gab es einen bestimmten Auslöser oder Schlüsselmoment? Oder war es vielmehr ein Prozess?

geschuldet, dass ich Ende der 90erJahre einem Kollegen begegnet bin, der ein Archiv über Nazis aufgebaut hatte. Von ihm hörte ich zum ersten Mal, dass es eine Rechtsrock-Szene gäbe, in der geheime Konzerte organisiert würden, so dass die Polizei nichts oder erst sehr spät etwas davon mitbekomme. Mein Erstaunen wich schnell dem beruflichen Ehrgeiz, diese konspirativen Strukturen zu knacken. Und je weiter man in solch’ verborgene Bereiche vordringt, desto schwieriger wird die Dokumentation dessen, was dort passiert. Der Einsatz einer versteckten Kamera war zwar gefährlich, aber die einzige Möglichkeit, um der Öffentlichkeit buchstäblich Einblicke zu verschaffen.

Thomas:  Das war ein jahrelanger Prozess. Letztlich war es dem Zufall

TROTZDEM: Wie lange hat es gedauert in die Szene einzutauchen? Kann

Der Rechtsrock ist eine Art Einstiegsdroge in den gewaltbereiten Neonazismus, mit Musik werden Jugendliche angefixt. Auf dieser Gefühlsebene lassen sich politische Botschaften gut transportieren.


SCHWERPUNKT SCHWERPUNKT

Um bei öffentlichen Auftritten unerkannt zu bleiben, bedient sich Kuban aus Sicherheitsgründen stets einer Verkleidung mit „senfgelber Jacke, blonder Perücke, Bart und Sonnenbrille“. Nach Erscheinen des Filmes meidet der Journalist öffentliche Auftritte generell.

da jede/r mit dem richtigen Tipp so einfach bei einem Konzert vorbeischauen?  Thomas:  Wer aussieht wie ein Nazi und auch sonst authentisch wirkt, kommt bei einem NaziKonzert rein. Ohne zu wissen, wie die „KameradInnen“ ticken, wird es allerdings nur schwer möglich sein, unverdächtig aufzutreten und auch die notwendige Gelassenheit auszustrahlen. Das erfordert eine intensive Vorbereitung. Ich hatte über mehrere Jahre hinweg im Internet Kontakte zu Nazis gepflegt, ehe ich mich in eine erste Veranstaltung hineingewagt habe. TROTZDEM: Welche Rolle spielt Musik in der Szene und wie gefährlich sind solche Konzerte für Jugendliche?

NS-Hatecore & NS-Black Metal: Rechtsextreme Spielarten der Hardcore-Punk und Black-Metal Szene Skinheads haben vor allem äußere Merkmale wie kahlgeschorene Köpfe und spezifische Kleidung gemeinsam. Skinhead ist ein Sammelbegriff für eine sehr heterogen zusammengesetzte Subkultur, die nicht zwangsläufig neonazistisch ist.

Thomas:  Der Rechtsrock ist eine Art Einstiegsdroge in den gewaltbereiten Neonazismus, mit Musik werden Jugendliche angefixt. Generell hören viele junge Leute gerne Rockmusik oder Metal und ebenfalls allgemein betrachtet weckt Musik Emotionen. Auf dieser Gefühlsebene lassen sich politische Botschaften gut transportieren, sowieso wenn sie ihrerseits Gefühle ansprechen wie beispielsweise den AusländerInnenhass. Melodien mit Ohrwurmcharakter sorgen dafür, dass die Lieder in die Köpfe eindringen. Wer eine Band gut findet, wird die Texte gar auswendig lernen. Dann haben sich die Botschaften vollends im Kopf festgesetzt. Hinzu kommt, dass es gerade für Jugendliche reizvoll sein kann, gemeinsam das Verbotene zu tun. Bei Konzerten ist das Kameradschaftsgefühl besonders intensiv erlebbar. Beim „Sieg Heil“-Schreien und wenn gemeinsam Lieder gegrölt werden, in denen beispielsweise zum Mord an JüdInnen aufgerufen wird, kann eine gefährliche Gruppendynamik entstehen. TROTZDEM: Wie kommen Jugendliche typischerweise mit der Szene in Kontakt?  Thomas:  Als ich noch jung war, gab es anfällige SchülerInnen, die

Der Polizeiapparat hat bei den Nazi-Veranstaltungen, die ich besucht habe, in der Regel versagt. So habe ich bei allen konspirativen Konzerten Straftaten erlebt, teilweise sogar bei offiziell angemeldeten Events. Trotzdem hat die Polizei fast nie eingegriffen.

fasziniert verbotene Nazi-Kassetten auf dem Schulhof gezeigt haben. Heute verschenkt die NPD so genannte Schulhof-CDs, die es auch zum kostenlosen Download im Internet gibt. Dort kann sich schon ein Zwölfjähriger die einschlägigen Lieder herunterladen. Das Internet bietet den einfachsten Weg in die Nazi-Szene. Kameradschaften und Bands sind beispielsweise in den sozialen Netzwerken wie Facebook oder MySpace vertreten.

Foto: Thomas Kuban

TROTZDEM: Was waren deine Erfahrungen mit der Polizei? Ist diese oft auf dem rechten Auge blind?  Thomas:  Der Polizeiapparat hat bei den Nazi-Veranstaltungen, die ich besucht habe, in der Regel versagt. So habe ich bei allen konspirativen Konzerten Straftaten erlebt, teilweise sogar bei offiziell angemeldeten Events. Trotzdem hat die Polizei fast nie eingegriffen. Sie überlässt den Nazis rechtsfreie Räume. Und jene tanken Wochenende für Wochenende neues Selbstbewusstsein, wenn sie erleben, wie machtlos die Staatsmacht ihnen gegenüber auftritt. Wenn StaatsschützerInnen in einem Konzertzelt stehen und Nazis trotzdem ungestört „Abhitlern“ können, dann ist das eine Bankrotterklärung des Rechtsstaats. Ich möchte allerdings betonen, dass ich auf der persönlichen Ebene auch sehr engagierte und fähige PolizeibeamtInnen kennengelernt habe. Sie leiden teilweise sehr darunter, dass die Polizei-Strukturen und manchmal auch Vorgesetzte ihre Arbeit gegen Nazis erschweren. TROTZDEM: Hat sich das Erscheinungsbild der Szene in den letzten Jahren verändert?  Thomas:  Über die gesamten 15 Jahre meiner Recherche hinweg betrachtet, hat sich der Frauenanteil in der neonazistischen Jugendkultur auf 20 bis 25 Prozent erhöht. Zudem sind mit dem NS-Hatecore und dem NS-BlackMetal haarige Nazis in der Szene salonfähig geworden. Es sah mal eine Zeit lang danach aus, als hätte die Skinhead-Subkultur ausgedient. Sie scheint sich inzwischen jedoch einer Renaissance zu erfreuen. Bei den letzten beiden Konzerten, bei denen ich im vergangenen Jahr war, lag der Skinhead-Anteil bei 70 und 90 Prozent. TROTZDEM: Hat es Momente gegeben, in denen Gefahr drohte aufzufliegen?

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Foto: Thomas Kuban

Thomas:  Nein, was die Technik und was meine RechercheLegende betraf, habe ich mich immer 200-prozentig vorbereitet. Anders wäre es mental gar nicht möglich gewesen, das Risiko einzugehen, sich mit einer versteckten Kamera bei NaziKonzerten einzuschmuggeln. Man muss sich absolut sicher sein, dass die Nazis einen nicht erwischen. TROTZDEM: Wie war es für dich auf den Konzerten? Es muss doch persönlich sehr belastend gewesen sein, die Auswüchse der Neonazis mitzuerleben. Wie bist du psychisch mit dem Erlebten umgegangen?  Thomas:  Damit hatte ich keine Schwierigkeiten. Bei den Drehs war ich immer sehr konzentriert. Es ging darum, nicht aufzufallen, ob die Technik funktioniert, dass ich eine günstige Position für die Kamera bekomme und so weiter. Ich hatte also viel zu beachten und zu überlegen, so dass die Erlebnisse mich emotional nur relativ eingeschränkt berührt haben. TROTZDEM: Wie hat sich die Szene in dieser Zeit entwickelt? Kann man von einem „Boom“ in den letzten Jahren sprechen?

Ein Nazi-Konzert am 9. Dezember 2006 in Mitterding in Österreich. Thomas Kuban: „Die Polizei pflegte einen teilweise kumpelhaften Umgang mit den Neonazis. Nachdem die Polizei den Saal verlassen hatte, nahm ein Konzert seinen Lauf, bei dem menschenverachtende Texte wie der folgende gesungen wurden: ‚In Majdanek, in Majdanek, (Anm. d. Red.: Ehemaliges KZ in Polen) da machen wir aus Juden Speck. In Auschwitz weiß ein jedes Kind, dass Juden nur zum Heizen sind.‘ Und die Polizei griff nicht ein.“


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Die angeblich unpolitische Band „Kategorie C“ bei einem Auftritt in Thüringen. Sänger Hannes Ostendorf trug ein „Antifa halt’s Maul!“T-Shirt. Das Publikum feierte den Auftritt mit Hitlergrüßen.

SCHWERPUNKT SCHWERPUNKT  Thomas:  Die Nazi-Szene hat sich zur Bewegung weiterentwickelt und entsprechend vergrößert. Das hat maßgeblich mit wirtschaftlichen Aktivitäten zu tun, die dazu geführt haben, dass immer mehr Nazis mit ihrer politischen Überzeugung Geld verdienen können. Beispielsweise mit der Produktion und dem Handel von CDs und BandShirts. Längst sind eigene Modemarken wie „Erik & Sons“ und „Ansgar Aryan“ entstanden. Da sind nicht nur VerkäuferInnen, sondern auch GrafikerInnen und andere Berufsgruppen gefragt. Und ein Teil der Erlöse fließt in Projekte der Bewegung zurück, wie einschlägige Geschäftsleute immer wieder betont haben. Hinzu kamen die Wahlerfolge der NPD, die seither ebenfalls über zahlreiches Personal verfügt, das hauptamtlich arbeitet und sogar mit Steuermitteln finanziert wird. Geld und Personal haben zu einer Professionalisierung in der politischen Arbeit geführt, auch im Bereich der Nachwuchswerbung, die bei Großveranstaltungen wie dem

Die heutige Jugend erlebt, wie die RepräsentantInnen der Demokratie zunehmend eine Politik gegen die Mehrheit der BürgerInnen machen und immer mehr Ungerechtigkeit und Chancenungleichheit entsteht.

„Erik & Sons“ & „Ansgar Aryan“ sind rechtsextreme Modemarken. Faschistische Symbolik soll durch diese Nazi-Label als vermeintlicher Mode-Gag Einzug in den Mainstream finden. „Rock für Deutschland“: Größtes Nazi-Fest Europas. Findet jährlich im braunen Dreiländerdreieck von Thüringen, Sachsen und SachsenAnhalt im kleinen Gera statt und fungiert als Schnittstelle zwischen Politik und Subkultur. Frei.Wild behauptet, unpolitisch zu sein, bedient in den Texten aber nationalistisch-völkische Klischeebilder oder singt über islamfeindliche Abschottungsphantasien.

„Rock für Deutschland“ massenhaft betrieben wird. Und diese Bewegung breitet sich nicht nur in Deutschland, sondern in Europa insgesamt aus. Der braune Kulturaustausch boomt. Fast jedes Wochenende haben reisefreudige RassistInnen die Qual der Wahl, in welches Land sie zu einem Konzert fahren sollen. Das Personenpotenzial in Deutschland und darüber hinaus ist auf viele zigtausend Nazis angewachsen. TROTZDEM: Worauf ist das deiner Meinung nach zurückzuführen?  Thomas:  Ein wesentlicher Grund ist die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Die Generation meiner Eltern hat die Demokratie als eine Gesellschafts- und Staatsform kennengelernt, die Freiheit und Wohlstand gebracht hat. Die heutige Jugend erlebt hingegen, wie die RepräsentantInnen dieser Demokratie, die Abgeordneten, zunehmend eine Politik gegen die Mehrheit der Bür-

Foto: Thomas Kuban

gerInnen machen und immer mehr Ungerechtigkeit und Chancenungleichheit entsteht. In der Folge gibt es immer mehr Jobs mit Niedriglöhnen, was für die Betroffenen mit vielen Zwängen verbunden ist, also dem Gegenteil von Freiheit. So abgedroschen der Satz klingen mag: Aber die Reichen werden eben immer reicher und die Armen immer ärmer. Das führt zu Enttäuschung und Wut. Und weil das innerhalb eines globalisierten Wirtschaftssystems passiert, wird die Lage immer unübersichtlicher. Viele Menschen sind verunsichert, sie fühlen sich macht- und orientierungslos. Der Wunsch nach Veränderung und einem klaren Weltbild kommt den NationalsozialistInnen gerade recht, um Fronten zu bilden, Schuldige zu suchen, Feindbilder zu verbreiten und zum Widerstand aufzurufen. Die Nazis verkörpern für immer mehr junge Menschen eine attraktive Protestbewegung, um Frust und Hass ausleben zu können. TROTZDEM: Wie beurteilst du die Entwicklung des Rechtsextremismus (in Deutschland und Österreich)?  Thomas:  Wesentliche Positionen von Rechtsextremisten werden zunehmend gesellschaftsfähig. Dazu zählt der Nationalismus in unterschiedlichen Ausprägungen. In aggressiver Form verbreitet ihn beispielsweise die angeblich unpolitische Band „Frei.Wild“ vor Massen-

publikum in Großstadthallen. Aber auch manche Euro-Kritik weist nationalistische Züge auf. Zudem macht sich die Fremdenfeindlichkeit breit, wie erst kürzlich die Friedrich-EbertStiftung in einer Studie herausgefunden hat. Einiges, was vor 10 oder 20 Jahren noch überwiegend als rechtspopulistisch oder gar rechtsradikal eingeordnet worden wäre, stört heute nur noch relativ wenige. Und wer sich gegen diese Entwicklung stellt, wird oft als „Gutmensch“ oder Jünger der „Political Correctness“ diffamiert. In Wirklichkeit geht es schlicht und ergreifend darum, ob ethische Grundwerte, die unsere Demokratie geprägt haben, weiterhin gelten oder nicht.

Ein Skinhead auf einem NeonaziKonzert in Österreich stellt sein HakenkreuzTattoo zur Schau.

David Rautner & Matthias Punz

„Blut muss fließen – Undercover unter Nazis“ Der Dokumentarfilm und das dazu erschienene Buch ist das Endprodukt jahrelanger, akribischer RechercheArbeit. Unter höchstem persönlichem Risiko wurde mit einer Knopflochkamera in über 40 UndercoverDrehs in und außerhalb Deutschlands der Nazi-Wahnsinn, der im Untergrund Woche für Woche unter Duldung der Polizei geschieht, festgehalten. Hochbrisant und einzigartig ist das Material, das Thomas Kuban im Lauf der Jahre zusammengetragen hat. „Blut muss fließen“ musste privat vorfinanziert werden und wird von keiner Filmförderung oder Fernsehsanstalt unterstützt. In Peter Ohlendorf, der Kuban auch in der Öffentlichkeit vertritt, konnte schließlich ein Produzent gefunden werden.


SCHWERPUNKT SCHWERPUNKT

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Buch

Über Nächsten- und Fernstenliebe SOS Mitmensch-Sprecher Pollak hat ein Streitgespräch zwischen ihm und FPÖIdeologen Mölzer aufgegriffen, um ein Buch über den alltäglichen rechten Wahnsinn und den Umgang mit der Rechten herauszubringen. Mölzer bewusst ist, nicht alles sagen zu können, was er sich denkt. Um diese Einschränkung abzuschwächen greift er auf sein liebstes Werkzeug, das Spiel mit der Grenze zwischen Ernst und Ironie, zurück. Hier werden die Grenzen der Sinnhaftigkeit solcher Diskussionen deutlich. Im Zweifel zieht sich Mölzer immer wieder auf das Schutzschild der Ironie zurück. Seine KontrahentInnen stellt er als humorlos dar, falls sie seine Sager auf den Ehrlichkeitsgehalt untersuchen.

Homogene und statischen Vorstellung von Kultur: Kulturelle Identität wird in dieser Vorstellung vererbt. Kultur ist dabei nicht veränderlich und hat klar umrissene Grenzen, womit eine stark vereinfachte Vorstellung von Geschichte einhergeht.

Fazit

Alexander Pollak Gut gegen Mölzer. Exkursion ins rechte Eck. edition a, Wien 96 Seiten, 14,90 Euro

A

ndreas Mölzer muss nicht lange überlegen, ob er sich eher mit einer linken Kärntner Anarchistin oder mit einem rechtsgerichteten türkischen Politiker identifizieren könnte: Nation kommt bei Mölzer „natürlich“ (sic!) vor Ideologie. Der FPÖ-Altstar erklärt seine Art der Mitmenschlichkeit mit einer Logik konzentrischer Kreise. Seine Nächstenliebe gilt zuerst seinem engsten Umfeld, dann kommt bald Kärnten, vor Österreich und mit Respektabstand Europa. Der Rest der Menschheit hat in diesem Modell meist nur als bedrohliches Außen Platz. Seinen linken WidersacherInnen wirft Mölzer vor, dass „man sich in einer akademischen, esoterischen Fernstenliebe gefällt und auf die Eigenen möglichst scheißt“. Einer dieser Widersacher ist Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch, der ein Streitgespräch mit Mölzer initiierte, um die 20-jährige Konfliktgeschichte zwischen SOS Mitmensch und der FPÖ abzuhandeln und um zu testen, welchen Sinn die Diskussion mit Rechtspopulisten macht. In dem Buch „Gut gegen Mölzer“ setzt sich Pollak auf gut 100 Seiten noch einmal mit seiner „Exkursion ins rechte Eck“ auseinander. Neben einer kommentierten Version des Streitgespräches selbst, gibt er dabei einen lehrreichen

Einblick in seine Vorbereitung für das Gespräch.

Mölzers Kulturverständnis In der launischen Diskussion werden die nationalistischen und kulturalistischen Konzepte von Gesellschaft und Identität, die sich hinter rechtspopulistischen Phrasen verstecken, immer wieder offen gelegt. Mölzer tut sich im Allgemeinen leicht damit, Eigene von Anderen, die Nächsten von den Fernsten, zu unterscheiden. Und zwar auf Basis seines historischen „Wissens“ in Verbindung mit einer homogenen und statischen Vorstellung von Kultur. Deshalb ist ihm sein Stammbaum über alles wichtig. Und deshalb interessiert es ihn so sehr, ob bei Pollaks Vater, der von Rumänien nach Wien migrierte, nicht doch irgendwo „altösterreichische Komponenten“ zu finden sind. Hier sieht man wie locker Mölzer Menschen zwischen seinen konzentrischen Solidaritätskreisen hin und her schieben kann und mit welcher Willkür dabei ausund eingeschlossen wird. Bei aller inhaltlichen Dissonanz muss man Mölzers Bereitschaft anerkennen, sich einem solchen Streitgespräch zu stellen und einen relativ offenen Diskussionsstil zu pflegen. Allerdings wird an vielen Stellen des Gespräches klar, dass sich auch

Pollak schreibt zu Recht, dass es nicht gegen jedes rechtspopulistische Manöver einen ebenso klaren Konter gibt. Trotzdem ist eine umfangreiche Vorbereitung in der Begegnung dieser Manöver enorm hilfreich. Genau das hat Pollak getan, wobei er ein hohes Bewusstsein für die speziellen Herausforderungen bewies, die die Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen PhrasendrescherInnen mit sich bringt. Dadurch gelingt es ihm immer wieder die egozentrische und widersprüchliche Logik in Mölzers Argumentation offenzulegen. Das Buch liefert zwar kein Patentrezept, zeigt aber auf lesenswerte Art und Weise nicht nur die ideologischen, sondern auch die argumentativen Schwächen der Rechten auf.

Bernhard Spindler

20-jährige Konflikt­ geschichte zwischen SOS Mitmensch und der FPÖ: In Reaktion auf das AntiAusländer Volksbegehren der FPÖ fand 1993 ein Lichtermeer mit 300.000 Menschen statt. Es war die erste Aktion von SOS Mitmensch und der Startpunkt des Konfliktes mit der FPÖ.

Foto: Kurt Keinrath


INTERNATIONALES INTERNATIONALES

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Hunderttausende säumten die Straße und verabschiedeten sich von ihrem Präsidenten.

Venezuela

Abschied von einem Hoffnungsträger Am 5. März 2013 ist Hugo Chávez, seit 1999 Präsident von Venezuela, Idol-Figur linker Bewegungen und Hoffnungsträger der Armen Lateinamerikas, an den Folgen seines schweren Krebsleidens verstorben. Chávez hinterlässt ein stark verändertes Lateinamerika. er in der Welt verändert, und zwar zum Wohl der lohnabhängigen Masse der Bevölkerung, wird meist zerrissen. Medial und politisch. Hugo Chávez, ehemaliger Offizier, hat mit seiner Bewegung einen Kontinent verändert. Nachhaltig, beinahe flächendeckend und zum Guten. Am Ende zweier „verlorener Jahrzehnte“ (décadas perdidas) wurde er 1998 mit 56 Prozent zum neuen Präsidenten im erdölreichen Andenland und Karibikstaat Venezuela gewählt. Erst im Oktober letzten Jahres wurde er zum wiederholten Male im Amt bestätigt – mit der höchsten Wahlbeteiligung in der Geschichte des Landes. Die Erfolge bei Präsidentschafts-, Parlaments- und Regionalwahlen, sowie in mehreren Referenden, machten Chávez zum am öftesten demokratisch legitimierten Amtsinhaber Südamerikas.

W

Zweiter Comandante? Mit dem Wahlsieg 1998 wurde ein politischer und wirtschaftlicher Emanzipationsprozess in Lateinamerika eingeläutet, der die politischen Verhältnisse auf den Kopf stellte. Auf den revolutionären Wandel in Venezuela folgte ein genereller Linksruck in den benachbarten Staaten – zum Ärger der USA, die den Kontinent

nicht mehr länger als nützlichen Hinterhof unter Kontrolle halten konnte und ihre Pläne einer Freihandelszone „von Alaska bis Feuerland“ verwerfen musste. So beliebt Hugo Chávez unter der armen Bevölkerungsmehrheit war, so verhasst war er unter der traditionellen europäisch- und USstämmigen Elite des Landes. Denn rasch gehörten Privatisierungen und Steuergeschenke für Reiche der Vergangenheit an. Stattdessen wurden die Gewinne aus dem Erdölgeschäft in wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen für die Bevölkerung investiert. Ein Mix aus Sozialprogrammen, Verstaatlichungen, Integrationsprojekten mit südamerikanischen Nachbarländern und basisdemokratischen Elementen, genannt „Bolivarische Revolution“, hat zum Einen massive Erfolge in der Armutsbekämpfung gebracht. Zum anderen mutierte Chávez dadurch unter der armen Bevölkerungsmehrheit, die zuvor aus dem politischen Prozess ausgeschlossen war, zu einer Art „zweiten Ché“ oder „zweitem Comandante“.

Von décadas perdidas zur bolivarischen Revolution Blinder Hass schlug der ChávezAdministration von der weißen Elite

Wer in der Welt verändert, und zwar zum Wohl der lohnabhängigen Masse der Bevölkerung, wird meist zerrissen. Medial und politisch. Hugo Chávez, ehemaliger Offizier, hat mit seiner Bewegung einen Kontinent verändert. Nachhaltig, beinahe flächendeckend und zum Guten. des Landes entgegen. Bis in die 1990er Jahre war deren Welt noch in Ordnung: Eine kleine oligarchische Minderheit teilte den Reichtum des Landes unter sich auf. Vorangetrieben von den USA, der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) wurde eine neoliberale Wirtschaftspolitik durchgeführt – Bilanz: Vom Wirtschaftswachstum profitierten nur wenige, während breite Bevölkerungsschichten verelendeten. Die damaligen Traditionsparteien AD und COPEI drückten ein „Reformprogramm“ durch, das im Wesentlichen aus Privatisierungen, Verteuerungen und sozialen Kürzun-

gen bestand. Massen-Volksaufstände waren die Folge und wurden blutig niedergeschlagen: Militär und Nationalgarde rückten in den Barrios ein, um „für Ordnung“ zu sorgen. Während die Reallöhne in den frühen 1990er Jahren unter das Niveau von 1955 sanken, verdoppelten sich die Nahrungsmittelpreise innerhalb weniger Jahre.1) Versorgungs- und Finanzkrisen, Misswirtschaft und Korruption bedeuteten einerseits „verlorene Jahrzehnte“ für die Entwicklung vieler lateinamerikanischer Länder in den 80er und 90er Jahren. Andererseits bereitete dies den Boden für einen umfassenden politischen Wandel, der mit der Wahl von Chávez in Venezuela eingeläutet wurde.

Was von Chávez bleibt Die Auswirkungen dieser „Revolution“ sind vor allem auf sozialpolitischer Ebene sichtbar: Mit einer ganzen Reihe an Sozialmissionen wurde die Armut allein zwischen 1998 und 2008 von 55,4 auf 31,5 Prozent zurückgedrängt. Deutlich reduziert wurden auch Kindersterblichkeit, Staatsverschuldung und Analphabetismus. Der Anteil der Bevölkerung, die Zugang zu Trinkwasser hat, ist zwischen 1998 und 2007 von 80 auf 92 Prozent


INTERNATIONALES INTERNATIONALES

Missionsprojekte unter Chávez Das 2004 geschaffene „Ministerium der Volksmacht für kommunale Wirtschaft“ führte zu einem Boom bei Genossenschaften (1998: 800, 2005: 74.000) und Mikrofinanzinstituten (1997: 600, 2006: 3.300), zur Entstehung von Gemeinschaftsbanken, die zinsfreie Kredite vergeben und damit die Wirtschaft ankurbeln. Aus den Rohstofferlösen wurden beeindruckende sozialpolitische Missionen finanziert. Die Misión Barrio Adentro sorgt etwa – unter Mithilfe tausender kubanischer Ärztinnen und Ärzte – für bessere medizinische Versorgung in abgelegenen GebieUteder Bock wurdeMilagro wurde ernährungsbedingten ten. Mit Misión bekannt durch ihren Erblindungen erfolgreich der Kampf angesagt. Dank fürwurden AsylMisiónEinsatz Hábitat Zigtausende VenezolanerInnen werberInnen und von ihren Wellblechdachhütten in den Barrios in gut Flüchtlinge, dieSozialwohnungen sie mit ausgestattete umgesiedelt. In den neu dem in Wien beheigeschaffenen urbanizaciones gibt es staatliche Märkte, in mateten Verein Ute denen zu günstigen Preisen Lebensmittel besorgt werden Bock mit Wohnraum, können, sowieKursen kostenlose Abendschulen, in denen SchulKleidung, kenntnisse oder Studienberechtigungen rasch nachgeund der Vermittlung holtvon werden können. juristischer und Zigtausende illegal Eingewanderte wurden dank der Misión Identidad legalisiert. Mit der medizinischer Hilfe unterstützt. Misión Cultura wurde ein für den gesamten Kontinent vorbildhaftes Kulturprogramm geschaffen, das von der Förderung von Straßentheatern bis zu regionalen und indigenen Kulturinitiativen reicht und besonders internationalen Austausch fördert. Demokratisch: Internationale WahlbeobachterInnen (darunter etwa auch Ex-US-Präsident Carter) bescheinigten den Wahlgängen in Venezuela einen korrekten Ablauf, Transparenz, gute Organisation und Durchführung des Wahlprozesses. Auch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und die EU konnten keine Unregelmäßigkeiten feststellen, die die Legitimität der Wahlen beeinträchtigen könnte. Bolivarische Revolution: benannt nach dem südamerikanischen Unabhängigkeitskämpfer Simón Bolívar (1783–1830). Weiße Elite: Wie in vielen latein­ amerikanischen Staaten, konnte man in Venezuela die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht lange anhand der Hautfarbe ablesen: Je dunkler, desto ärmer. ALBA: Alianza Bolivariana para los Pueblos de Nuestra América

gestiegen, der Anteil derjenigen, die Zugang zu Sanitäranlagen haben, konnte sogar von 62 auf 82 Prozent gesteigert werden.2) Statt neoliberale Strukturanpassungsprogramme durchzupeitschen, setzte die venezolanische Regierung in den letzten Jahren auf Vergesellschaftung wichtiger Industriebereiche und erhöhte damit die Einflussmöglichkeit der Bevölkerung auf die Wirtschaft. Die Lebensbedingungen der unteren Schichten konnten in den letzten Jahren erheblich verbessert werden – auch wenn nicht alle Missionsprojekte wie am Schnürchen laufen. Näheres dazu im obigen Kasten.

¡América Latina Unida! Das bolivarische Projekt um Chávez wirkte aber von Beginn an über die Grenzen seines Landes hinaus – sei es mit Alphabetisierungsprojekten, Rohstoffhilfen für ärmere Länder wie Bolivien oder der Initiierung neuer wirtschaftlicher Kooperationsprojekte wie der ALBA. Das alternative Integrationsprojekt soll auf energetischer, sozialer, ökonomischer, kommunikativer und finanzieller Ebene die Kooperation innerhalb des südamerikanischen Raums fördern – etwa mittels übernationaler Unternehmen („empresas grannacionales“), dem gemeinsamen TV-Sender TeleSur oder einer eigenen Entwicklungsbank.

Auch bei der Gründung der „Union Südamerikanischer Nationen“ (Unasur) und der Bank des Südens spielte Venezuela eine entscheidende Rolle. Dies bestätigt in einem Nachruf der ehemalige Staatspräsident Brasiliens, Lula da Silva: „Von den vielen Lobbyisten und politischen Staatsoberhäuptern, die ich getroffen habe, haben wenige so vehement an den Zusammenhalt unseres Kontinents und seiner verschiedenen Völker – den Indigenen, den Nachfahren von Europäern und Afrikanern, heutigen Einwanderern – geglaubt, wie er.“ 3) Nicht einmal seine schärfsten GegnerInnen könnten das Maß an Liebe leugnen, das Chávez für die Armen Venezuelas und die Sache der lateinamerikanischen Integration aufbrachte, so Lula.

Der Befreiungsschlag, der mit der Kursänderung Lateinamerikas in Richtung Autonomie und Armutsbekämpfung einherging, ist auch ein Hoffnungsschimmer für Europa. Denn Lateinamerika befand sich jahrelang in Geiselhaft derselben Ideologie, die heute Europa einen wirtschaftlichen Selbstmordkurs aufgehalst hat, der aus EU-Mitgliedsstaaten Entwicklungsländer macht. Und jetzt? Wie es nun weitergeht, entscheidet sich zuerst einmal bei den Präsidentschaftswahlen am 14. April. Das trauernde sozialistische Regierungsbündnis schickt mit Nicolás Maduro den ehemaligen Vizepräsidenten und Außenminister ins Rennen. Seitens der rechtsgerichteten Opposition tritt erneut Henrique Capriles Radonski an, der Chávez letzten Oktober unterlegen war. Capriles entstammt einer der reichsten Familien des Landes, die Immobilien, Industrieunternehmen und eine ganze Reihe an TV- und Radiosendern zu ihrem Besitz zählt. Seine Partei „Primero Justicia“ wurde 2000 gegründet und ist alliiert mit dem „International

Republican Institute“. Sie unterstützte den letztlich erfolglosen Militärputsch gegen Chávez im Jahr 2002, als eine Militärjunta für wenige Tage die Macht an sich riss. Da das rechtsgerichtete Oppositionsbündnis offenbar bereits jetzt eine Nicht-Anerkennung des Wahlergebnisses vom 14. April plant, haben oppositionelle Abgeordnete ihre Unterstützung für Capriles zurückgezogen. In Umfragen führt Maduro haushoch.

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Militär und Nationalgarde rückten in den Barrios ein, um „für Ordnung“ zu sorgen. Bis zu 4.000 Menschen kamen dabei im Februar 1989 ums Leben. Die offiziell anerkannten 399 Toten wurden als notwendiger Preis für die Erhaltung der sozialen Ordnung und den Eintritt in die schwierigen Zeiten der Globalisierung dargestellt.

Was letztlich zählt Wer westlichen Medienberichten Glaube schenkt, musste zum Eindruck gelangen, in Venezuela habe eine wilde Diktatur unter dem Rabauken Hugo Chávez getobt, wo Pressefreiheit und freie Meinungsäußerung strikt untersagt waren. Eine Reise in den Andenstaat genügt, um diese Berichterstattung als politisch tendenziöse Märchen zu entlarven. Wer einen Blick in venezolanische Kioskstände wirft oder dort einen Fernseher aufdreht, wird sehen, dass die jahrzehntelang herrschende und nun oppositionelle Oligarchie im Land weiterhin mittels mächtiger Medien großen Einfluss auf die Bevölkerung ausübt. Keinesfalls darf die venezolanische „Revolution“ von jedweder Kritik befreit sein. Klar ist aber, dass letztendlich die realen Verbesserungen für die Bevölkerung zählen – nicht Sympathie oder Antipathie einer Person gegenüber. Die Entwicklung in Venezuela hat im krisengebeutelten und jahrhundertelang vom Kolonialismus und Imperialismus geprägten Südamerika ein neues Bewusstsein geschaffen. Ein Bewusstsein, eigene Wege zu gehen und ein solidarisches, sozialistisches Südamerika aufzubauen. Die Nachhaltigkeit des revolutionären Prozesses wird daran zu messen sein, ob die eingeschlagene Richtung beibehalten wird oder nicht.

Boris Ginner

Barrios: Armenvierteln/Slums

Nicolás Maduro: einst Busfahrer, ist seit den 70er Jahren politisch aktiv und ist seit den 90ern enger Mitstreiter in der revolutionären bolivarischen Bewegung von Chávez.

Zeuske, Michael: Eine kleine Geschichte Venezuelas, München 2007, S. 174

1)

Center for Economy and Policy Research, Washington D.C., Februar 2009: http://www.cepr.net/ documents/publications/ venezuela-2009-02.pdf

2)

Luiz Inácio Lula da Silva: Lateinamerika nach Chávez, 10.03.2013 – abrufbar unter: amerika21.de/ analyse/80927/lateinamerika-nach-chavez

3)


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Während die vom Finanzmarkt eingesetzte Marionette Monti abgestraft wurde, legte Berlusconi ein Comeback hin. Das Mitte-Links Bündnis Bersanis schaffte es nicht, eine glaubwürdige Alternative zum europäischen Suizidkurs, der immer mehr Staaten in den Abgrund führt, zu formulieren.

Italien

Is Berlusconi just around the corner? Seit Jahren sorgt in Italien ein alternder Milliardär, der den Frust über die heimische Parteienlandschaft für die Gründung seiner Privatpartei genutzt hat und mit seinen Ressourcen die private Medienlandschaft dominiert, für Staunen in Europa. Die Landtagswahlen in Kärnten und Niederösterreich zeigen aber, das im Kleinen auch in Österreich möglich scheint, was in Italien im Großen „funktioniert“. as Ergebnis der italienischen Parlamentswahlen sorgte für Aufruhr in Europas Regierungen und Medien. Bei sinkender Wahlbeteiligung wurde die Protestbewegung des Ex-Komikers Beppe Grillo in der Abgeordnetenkammer stimmenstärkste Partei, Silvio Berlusconi erreichte mit massiver Agitation gegen seine deutsche Parteifreundin Angela Merkel im Senat ein Patt. Und der amtierende Premierminister, „Super-Mario“ Monti, in Europas Medien als Garant für die Fortsetzung der Sparreformen gefeierter Messias? Er erreichte gerade einmal neun Prozent der Stimmen und ist weit davon entfernt, im Parlament Zünglein an der Waage zu sein. Monti ist nach Spaniens Zapatero, Griechenlands Papandreou, Frankreichs Sarkozy, den Regierungen Rumäniens und Bulgariens etc. der nächste Regie-

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rungschef, der für den diktierten „Sparkurs“ vom Wahlvolk abgestraft wurde. In den Kommentarseiten großer europäischer Medien scheint man daran nichts zu finden. Die von Angela Merkel im Bündnis mit Kommission und EZB durchgezogene Austeritätspolitik sei unpopulär, aber richtig. Wenn das Volk sie an den Urnen ablehne, sei das verständlich, weil das Volk die höheren Interessen nicht verstünde, die Wahlen dürften aber keinesfalls zu einer Kurskorrektur führen. Diese offen zur Schau getragene antidemokratische Einstellung erinnert an Bert Brechts Spott über die SED-Führung und ihre Reaktion auf die ArbeiterInnenproteste in der DDR im Juni 1953: „Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“

Monti ist nach Spaniens Zapatero, Griechenlands Papandreou, Frankreichs Sarkozy, den Regierungen Rumäniens und Bulgariens etc. der nächste Regierungs­chef, der für den diktierten „Sparkurs“ vom Wahlvolk abgestraft wurde. In den Kommentarseiten großer europäischer Medien scheint man daran nichts zu finden.

Stehauf-Männchen Berlusconi Das Paradoxe ist, dass es ausgerechnet der Verursacher der meisten politischen, wirtschaftlichen und moralischen Verwerfungen Italiens ist, der der Unpopularität Montis das politische Überleben verdankt. Niemand hätte vor einem Jahr damit gerechnet, dass Silvio Berlusconi noch einmal bestimmenden Einfluss auf Italiens Politik haben würde. Auf europäischen Druck hatten ihn 2011 seine langjährigen Gönner und Verbündeten in Italiens Industrie- und Wirtschaftsverbänden in die Wüste geschickt, hatte sich seine Partei mehrfach gespalten, war er weg und ist nun wieder da. Mit großer Rhetorik gegen das deutsche Budgetdiktat und einige von Monti durchgeführten Sparmaßnahmen, vor allem auch mit der medialen Omnipräsenz in einem von Berlusconi weitgehend kontrol-


INTERNATIONALES INTERNATIONALES Eine wirtschaftspolitische Strategie, die zur Dauerrezession, zu sozialer Verelendung und politischen Massenprotesten führt, bedingt die Erosion der Demokratie selbst. lierten privaten Medienmarkt, hat er in den letzten Monaten so viel Boden gut gemacht, dass er zwar nicht gewonnen hat, das Mitte-Links-Bündnis Bersanis aber blockieren kann.

Unerwartet starker Grillo Hat man sich bei Berlusconi bereits an politische Überraschungen gewöhnt, ist der Erfolg von Beppe Grillo noch unerwarteter. Dass mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen an die Bewegung eines Mannes gehen, dessen zentrale Forderung zu sein scheint, dass die bisherigen Politiker „heimgehen“ sollten, empört Italiens europäische Partner, auch wenn man augenzwinkernd zu verstehen gibt, dass man die Einstellung gegenüber

Beppe Grillo: Da den etablierten Parteien nichts anderes einfällt, als kritiklos die europaweit verordnete Kürzungspolitik umzusetzen, haben Politiker wie Stronach, Berlusconi und Grillo, die auf die „da oben“ schimpfen, leichtes Spiel.

Italiens politischer Elite nur zu gut verstehen könne. Aber auch hier sollte man den Faktor der europäischen Kürzungspolitik nicht unterschätzen. Mafiaverbindungen hin, Korruption her: Es ist die Krisenpolitik Europas, steigende Arbeitslosigkeit, wachsende Unsicherheit, sinkende Einkommen, die die Lage eskalieren lässt und dem vorhandenen Misstrauen gegenüber der politischen Kaste neue Bahnen bricht.

Ergebnis gescheiterter Krisenpolitik Wie man es dreht und wendet: Die Niederlage Montis und die neue unsichere Lage in Italien ist letztlich ein Scheitern der Krisenpolitik in Europa. Griechenland verordnete man im Jahr 2012 einfach so lange zu wählen, bis

eine Regierung der Willigen zu einer Mehrheit kam, um das Spardiktat der Troika weiter umzusetzen. In dieser Art und Weise wird Europa in den nächsten Monaten und Jahren nicht in allen Ländern weiterverfahren können. Eine wirtschaftspolitische Strategie, die zur Dauerrezession, zu sozialer Verelendung und politischen Massenprotesten führt, bedingt die Erosion der Demokratie selbst. Die laut beklagte Unregierbarkeit Italiens ist nur ein Symbol dafür, dass der momentane Kurs der europäischen Eliten in die Sackgasse führt und die dadurch provozierte Wut breiter Schichten nicht notwendigerweise aus dieser Sackgasse herausführt. Mehr denn je braucht es klare politische Alternativen zur gescheiterten Austeritätspolitik, die Bersanis Bündnis offenkundig nicht glaubwürdig formuliert hat.

Sonderfall Italien? Es wäre falsch zu meinen, dass das, was in Italien passiert, ein welscher Sonderfall sei. Selbstverständlich gibt es in Italien spezielle Rahmenbedingungen, die uns zum Glück bislang erspart geblieben sind. Wer in Österreich von der Politik spricht, meint damit nicht synonym die organisierte Kriminalität. Die öffentliche Verwaltung mag da und dort Optimierungspotenzial haben, aber sie funktioniert vom Finanzamt über die Müllversorgung bis hin zum Krankenhaus äußerst zuverlässig. Und obwohl der Leidensdruck der ItalienerInnen zweifellos und völlig zurecht deutlich höher ist als hierzulande, sind die Folgen der Unzufriedenheit mit der Politik auch in Österreich nicht zu übersehen: Ein Milliardär, der als Altershobby die Politik entdeckt, obwohl er aus steuerlichen Gründen zumindest ein halbes Jahr in Kanada lebt, der sich aus den moralisch fragwürdigen Restbeständen des BZÖ einen Parlamentsklub zusammensammelt, der bis heute kein Parteiprogramm hat, dieser Mann erhält in zwei Bundesländern auf Anhieb zehn Prozent, zieht in zwei Landtage und Landesregierungen ein. In Niederösterreich, wo Stronach selbst antrat, meinte laut SORAWahltagsbefragung kaum ein Drittel seiner eigenen WählerInnen den besten Kandidaten und nicht einmal ein Viertel das beste Programm zu wählen. Stronach ist eine Möglichkeit, Protest auszudrücken. Und auch wenn er anders als Berlusconi keine TVKette besitzt, so hat er das Geld,

um sich Inserate und Werbeeinschaltungen zu kaufen. Und wo größere Summen fließen, dauert es nicht lange bis der Verdacht im Raum steht, mit Werbegeld sei auch die Berichterstattung beeinflusst worden.1) Das wirkliche Kernproblem ist aber ein anderes: Das offensichtlich sehr große Protestpotenzial.

Europäische Kurswende! Das Phänomen Stronach macht derzeit in Österreich außer HeinzChristian Strache niemanden so recht nervös. So erfreulich und verdient es aber auch ist, dass der „Urgestein“-Flügel der FPÖ in Niederösterreich auf die Nase gefallen ist und die Kärntner Freiheitlichen den gerechten WählerInnenzorn kassiert haben: Wenn es nur jemandem wie Stronach zu verdanken ist, dass der FPÖ vorläufig keine weiteren Proteststimmen zufließen, kann man damit nicht zufrieden sein. So unterschiedlich nationale und regionale Besonderheiten sein mögen und so sehr sich die einzelnen Personen inhaltlich, rhetorisch und moralisch unterscheiden: Die Erfolge eines Berlusconis, eines Grillos, eines Stronachs oder auch das Umfragehoch der faschistischen „Goldenen Morgenröte“ in Griechenland sind Ausdruck einer besorgniserregenden Skepsis gegenüber Politik und Demokratie. Die Warnsignale müssen endlich ankommen. Ein „Weiter so!“ in der Austeritätsstrategie kann nicht länger die Grundlage europäischer Politik sein. Auch in Österreich ist die Sozialdemokratie daher dringend gefordert, die demokratischen und sozialen Alternativen für eine europäische Politik zu formulieren und dem Merkel-Kurs, der Europa und die Demokratie an die Wand fährt, spürbar zu widersprechen.

Ludwig Dvořák

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Monti: Als folgsamer Gehilfe der Wirtschaft und der Finanzindustrie kürzte Monti im Gesundheitsund Sozialsystem, anstatt die Verursacher­ Innen der Krise zur Kasse zu bitten. Noch im Bild: Der ebenfalls abgewählte Sarkozy und die Anführerin der arbeiterInnenfeindlichen Krisenpolitik, Angela Merkel.

http://derstandard.at/ 1361241213021/KeineAuskunft-zu-StronachsWerbebuchungen-beiPuls-4, abgerufen am 12.03.2013 1)


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Gastkommentar

Zeit für Gerechtigkeit! „GenossInnen in der Krise“ – konstatierten ParteienforscherInnen und JournalistInnen allerorts nach der Bundestagswahl 2009. Diese Einschätzung war keinesfalls übertrieben. Die SPD fuhr magere 23 Prozent und damit das historisch schlechteste Ergebnis ein. Nach elf Jahren in der Regierung ging es für die Sozialdemokratie auf die Oppositionsbank. Die Bundesrepublik regierten ab sofort CDU/CSU und FDP, weiterhin unter der Führung der allseits beliebten Königin der Austeritätspolitik Angela Merkel. hier Einiges im Argen liegt. Der Niedriglohnsektor ist deutlich gewachsen, Leih- und Zeitarbeit haben sich ausgebreitet, genauso wie sachgrundlose Befristungen, Werksverträge und andere Formen prekärer Beschäftigung. Der Arbeitsmarkt ist tief gespalten und das Armutsrisiko steigt. Dies alles zeigt: Es braucht einen Politikwechsel in Deutschland und in Europa.

Foto: Susi Knoll

Linkes Parteiprofil stärken!

Johanna Uekermann ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Jusos Deutschland.

Agenda-Politik: Agenda 2010: neoliberale Arbeitsmarkt- und Sozialreformen unter RotGrün und SPD-Kanzler Schröder in Deutschland, die der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland massiv schaden und einen riesigen Niedriglohnsektor entstehen ließen. Die Politik des „dritten Weges“ wurde demokratisch abgestraft und verstärkte den Mit­ gliederschwund der SPD.

N

icht nur die SPD steckte 2009 mitten in der Krise, Europa tat es auch. Die einseitige Sparpolitik, die Angela Merkel und ihre konservativen KollegInnen Europa verordnet hatten, führte jedoch keineswegs zur Überwindung der Finanz- und Wirtschafts­krise. Statt die Ursachen zu bekämpfen, verschlimmerte der neoliberale Kurs die Situation nur. Die Folgen spüren die Länder im Süden Europas: Massive soziale Verwerfungen, Arbeitslosigkeit und insbesondere erschreckend hohe Jugendarbeitslosigkeit sind die Realität. Auch wenn die merklichen Auswirkungen der Krise in Deutschland weiterhin auf sich warten lassen und die Bundesrepublik im europäischen Vergleich gut dasteht, kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch

Für die Jusos war 2009 klar: Aus ihrer Krise kommt die SPD nur, wenn sie sich personell, inhaltlich und organisatorisch erneuert. Der Blick zurück zeigt, dass es an vielen Punkten gelungen ist, das sozialdemokratische Profil der SPD als linke Volkspartei wieder zu stärken. Grund dafür ist auch der Druck der Jusos gewesen, die nicht locker gelassen haben, sich konsequent für die Erneuerung der SPD und die Abkehr von der Agenda-Politik eingesetzt haben. Sicher ist jedoch auch, dass viele von uns nicht erfreut waren, als die sozialdemokratische Troika (Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück) verkündet hat, dass Peer Steinbrück der Kanzlerkandidat der SPD wird. Ein Verfechter der Agenda 2010 und dafür bekannt seine „Beinfreiheit“ sehr zu schätzen. Eine personelle Erneuerung sieht anders aus. Zentral für uns ist jedoch, mit welchen Forderungen die SPD in den Wahlkampf geht und was sie im Falle einer Regierungsbeteiligung daraus macht. Es gilt die durch die Agenda-Politik verlorene Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.

Für ein Deutschland und Europa der Menschen, nicht der Profite! Das Regierungsprogramm mit dem die SPD in den Wahlkampf

startet, enthält viele Forderungen, für die die Jusos in den vergangenen Jahren gekämpft haben. Angefangen von der Regulierung der Leiharbeit, über den Mindestlohn und die Vermögenssteuer, bis hin zur Ausbildungsgarantie, mehr Investitionen in Bildung und den sozialen Wohnungsbau. Auch die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa schreibt sich die SPD auf die Fahnen. An einigen Stellen herrscht jedoch noch Nachbesserungsbedarf: Wenn wir tatsächlich eine andere Europapolitik als Merkel wollen, dann müssen wir eine einmalige hohe

Austerität: bezeichnet staatliche Haushaltsdisziplin. In der Theorie soll der Staat sparen um seine Schulden abzubauen, in der Realität verschlimmern Sparmaßnahmen und Sozialabbau die Krise immer weiter. Dieser von Merkel und den Konservativen verordnete wirtschaftliche Suizidkurs hat schon Millionen von Menschen in Europa ins soziale Elend gestürzt, und treibt angeschlagene Staaten in den Staatsbankrott.

Der Bundestagswahlkampf ist für die Jusos der Kampf für einen echten Politikwechsel und für mehr soziale Gerechtigkeit. In der Bundesrepublik und auch in Europa. Vermögensabgabe auf europäischer Ebene durchsetzen, damit daraus ein tatsächliches Wachstumsprogramm finanziert werden kann. Auch da werden die Jusos nicht lockerlassen und die SPD weiter antreiben. Denn der Bundestagswahlkampf ist für die Jusos der Kampf für einen echten Politikwechsel und für mehr soziale Gerechtigkeit. In der Bundesrepublik und auch in Europa.

Johanna Uekermann


INTERNATIONALES INTERNATIONALES

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Mali

Erfolgsgeschichte – oder ein weiterer „failed state“? Anfang 2013 begann die französische Armee, auf offizielles Gesuch des Präsidenten der malischen Übergangsregierung hin, eine militärische Offensive in Mali. Ziel war es, die „Islamisten“ aus Nordmali von der Übernahme des Landes abzuhalten und zurückzudrängen.

B

In Mali werden natürlich auch handfeste wirtschaftliche Interessen verfolgt, gibt es doch sehr viel Gold und Baumwolle zu holen.

Malische Übergangsregierung: Im März 2012 kam es zu einem Putsch gegen die damalige Regierung Tuareg: ein Nomadenvolk aus der Sahara und dem Sahel MNLA: Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad. Sehen sich als Vertreter der Tuareg und der nordmalischen Völker.

ei näherer Betrachtung erscheint der Kampf zwischen den „Al Kaida nahestehenden, Sharia durchsetzenden, islamistischen Terroristen“ und der hilflos überforderten malischen Armee mit ihrem selbstlosen Partner Frankreich nicht mehr so einseitig, wie es medial vermittelt wurde, sondern umso komplexer. Wer sind diese „Islamisten“? Welche Interessen vertritt die malische Regierung? In welchem Verhältnis steht sie zu den „Islamisten“ und dem „War on Terror“? Und was haben die Tuareg und der Krieg in Libyen mit den jüngsten Entwicklungen in Mali zu tun?

Tuareg-Konflikt Im Zentrum des Konfliktes stehen die Tuareg. Aufgerieben zwischen den nun unabhängigen Staaten Niger und Mali schlossen sich viele Anfang der 1970er Jahre als Söldner der libyschen Armee an. Gaddafi verstand sie einzubinden und übertrug ihnen Verantwortung. Nach seinem Fall kam es in Libyen zu zahlreichen Massakern an den dort lebenden Tuareg. Tausende flohen, teils schwer bewaffnet, nach Mali. Gemeinsam mit den nordmalischen Tuareg gelang es ihnen, die malische Armee, verantwortlich für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen, aus Nordmali zu vertreiben. Am 12. April vorigen Jahres riefen die MNLA die Unabhängigkeit eines säkularen Nordmalis unter dem Namen Azawad aus. Ähnlich wie in Lybien spielte das Verhältnis Zentrum – Peripherie eine große Rolle. Wenig wusste man, wenig interessierte

Armut, Verwüstung und Verzweiflung müssen bekämpft werden, nicht ihre Auswirkungen.

man sich im Süden für den dünnbesiedelten Norden des Landes. Mit Gewalt unterdrückt man alle Proteste der Tuareg schon seit Jahrzehnten. Im Zuge des „War on Terror“ erhielt die malische Regierung über die letzten 10 Jahre eine halbe Milliarde USDollar. Diese verwendete das Geld jedoch nicht nur, um den Einfluss der AQIM zurückzudrängen, sondern bekämpfte damit vor allem die Tuareg im Norden und kooperierte dabei sogar mit der AQIM.

Was bringt die Zukunft? Im Laufe des vergangenen Jahres gelang es Terrororganisationen die MNLA wieder aus allen größeren Städten Nordmalis zu vertreiben. Die AQIM hat in den letzten zehn Jahren über 100 Millionen US-Dollar durch Entführungen von Ausländern eingenommen, andere organisierten ihr Kapital weitgehend aus dem Drogenschmuggel. In beiden Fällen verdient die malische Regierung kräftig mit, obwohl sie offiziell im Krieg mit diesen Organisationen ist. Iyad Ag Ghaly, der Führer von Ansar

Dine, diente sogar als Diplomat für die malische Regierung und unterhielt beste Kontakte zur US-Regierung im Kampf gegen den Terrorismus. Auch wenn inzwischen die TerroristInnen fast geschlagen scheinen, der Norden von den Tuareg zurückerobert ist, Wahlen geplant sind und die französische Armee zunehmend von Truppen der ECOWAS abgelöst wird, bleibt vieles offen. Man muss beginnen, sich mit Ursachen von Terrorismus auseinanderzusetzen, um humanitäre Krisen zu verhindern, bevor sie beginnen. Armut, Verwüstung und Verzweiflung müssen bekämpft werden, nicht ihre Auswirkungen. Malis Zukunft ist alles andere als vielversprechend, wichtig ist jetzt, dass, wenn es um Malis Zukunft geht, die Tuareg auf allen Ebenen ehrlich miteingebunden werden und auch die malische Armee zur Rechenschaft gezogen wird. Ansonsten wird sich Mali in die lange Liste von „failed states“ einreihen, die westliche Interventionen hinterlassen haben.

Matt Krainz

Nachdem Terrororganisationen die säkulare MLNA, die die Unabhängikeit Nordmalis ausrief, vertrieben hatten, bat die Übergangsregierung Malis Frankreich um Hilfe, um den Norden wieder zurückzuerobern.

AQIM: Al-Kaida des islamischen Maghreb (westlicher Teil der arabischen Welt) Terrororganisationen: Die AQMI gehörte gemeinsam mit Ansar Dine und der Bewegung für Einheit und Dschihad in West­afrika (MUJWA) zu den drei islamistischen Gruppen, die die MNLA aus den Norden Malis vertrieben. ECOWAS: Economic Community Of West African States


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GESELLSCHAFT GESELLSCHAFT

Refugee Camp

Repressive Liebe Besuchsverbot, Verständigung der Polizei, Rauswürfe, schimmlige Duschen und Leben im Keller. Das alles kann man heutzutage schon unter dem Deckmantel der Nächstenliebe verkaufen. Dazu muss man nur so schamlos wie die Kirche und die Caritas sein.

Mehrere Monate nun schon weisen die Refugees auf die miserablen Zustände im Asyl­ wesen hin. Die Caritas versprach „warme Quartiere“ und übt sich öffentlichkeitswirksam in „Deeskalation“, statt sich mit den Refugees zu solidarisieren und ihre Forderungen mitzutragen.

T

atort Servitenkloster in Wien. Hier haben die Refugees der Protestbewegung Schutz vor der bevorstehenden Räumung der Votivkirche gesucht. Es gibt einen feuchten Keller, in dem ca. 40 Personen schlafen und einige Doppelzimmer, in denen bis zu sechs Personen leben.

Leben im Servitenkloster W., einer von den protestierenden Flüchtlingen, hat Besuch von einem Freund in einem dieser Zimmer. W. befindet sich schon seit längerem in psychologischer Behandlung und hatte auch schon vermehrt schwere Anfälle. Was er braucht, ist ein ruhiges Umfeld ohne zu viel Stress. Den Caritas Mitarbeiter kümmert das nicht. Er will, dass die man ihm öffnet. Er hämmert an die Tür. W. macht irritiert auf und fragt wütend, warum man ihn denn so rücksichtslos störe. Man entgegnet ihm, Besuch sei keiner erlaubt. Weil W. nicht einsehen will, dass er in sein Zimmer keine Leute einladen darf, versucht er die Tür zu schließen. Es kommt zu einer lauten Auseinandersetzung. Der Mitarbeiter der Caritas ruft die Security und die Polizei. Als die Exekutive dann kommt, wurde sie gebeten W. aus dem Raum zu holen: Er sollte

wegen Fehlverhalten des Zimmers verwiesen werden. Inzwischen erlitt der Flüchtling einen Nervenzusammenbruch und war nicht mehr ansprechbar. Alle vorhergehenden Versuche der Refugees und UnterstützerInnen, die Situation zu erklären und zu deeskalieren, schlugen fehl.Angekommen im Zimmer, fanden die Polizeibeamten ihn nur mehr auf dem Bett liegend. Danach wurde die Rettung gerufen. W. befindet sich jetzt seit Wochen im Krankenhaus und muss wahrscheinlich mit einer Anzeige rechnen.

die Luft im Keller ist stickig und es gibt nur einen kleinen Elektroherd zum Kochen. Die Postnächstenliebe ist perfekt. Boshafte Zungen könnten behaupten, die Bedingungen seien deswegen so schlecht, damit sich die Flüchtlinge mit ihrer Situation im Kloster beschäftigen und nicht mit ihren Protestaktivitäten. So war es auch schon früher, als Kirche und Caritas den Zugang der Votivkirche auf fünf UnterstützerInnen limitierte und ein Verbot für JournalistInnen verhängte. Bisher haben sich die beiden Organisationen nämlich als Sprachrohr von Flüchtlingen sehr wohl gefühlt. So wohl, dass man vergessen hat politische Forderungen in den Mittelpunkt zu stellen. Irgendwann ging das zu weit und die Flüchtlinge organisierten sich selber. Davor hat man natürlich begründete Angst, denn wo bleibt dann die eigene Existensberechtigung? Hier tritt das Grundproblem von Charity auf: Solange keine Hilfe zur Selbsthilfe gegeben wird, wirkt sie systembewahrend. EinE MehrheitsösterreicherIn wird die Situation von Flüchtlingen nie nachvollziehen können und

Hier tritt das Grundproblem von Charity auf: Solange keine Hilfe zur Selbsthilfe gegeben wird, wirkt sie systembewahrend.

Untragbare Zustände Solche Vorfälle häufen sich: An einem anderen Tag hat A. zu viele Tabletten geschluckt, weil der letzte Rest seiner Familie von den Taliban brutal ermordet wurde. Wieder versuchen Flüchtlinge und UnterstützerInnen die Situation zu erklären. Man stößt auf taube Ohren und wird wegen den „Öffnungszeiten“ hinausgeworfen. Die Situation im Kloster gleicht immer mehr einem schlechteren Gefängnis mit Ausgang: Seit Neuem müssen sich die Flüchtlinge jeden Tag von der Caritas registrieren lassen. Als Beigeschmack kommt eine verschimmelte Dusche für 60 Personen, man schläft auf Feldbetten,

Anfang März zogen die Refugees von der Votivkirche ins Servitenkloster. Der Großteil muss nun in feuchten Kellern schlafen und hat mit bürokratischen Hürden ala Besuchsverboten und „Öffnungszeiten“ für UnterstützerInnen zu kämpfen.

deswegen auch einen anderen Einsatz zeigen. Wie ist es, wenn man von Mord bedroht wird? Wie fühlt sich das an, Schleppern ausgeliefert zu sein? Was macht es aus einem, wenn das Leben aus dem Warten auf einen positiven Bescheid besteht? Nein, die Befreiung der Flüchtlinge kann nur das Werk der Flüchtlinge selbst sein, nicht von nach Kollektivvertrag bezahlten Helferlein. Unterstützen wir sie dabei! Die Bewegung braucht Essen, Geld und Solidaritätserklärungen!

Louis Reumann


ÖH-WAHLEN ÖH-WAHLEN

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Interview

„Kein Privileg der Reichen“ Von 14. bis 16. Mai finden die ÖH-Wahlen statt. TROTZDEM hat mit der VSStÖ-Spitzenkandidatin, Julia Freidl, über’s Eis Verkaufen, faire Praktika und das löchrige Beihilfensystem in Österreich gesprochen. ren zu können. Genau da möchte ich ansetzen und mich mit den politisch Verantwortlichen an einen Tisch setzen, um auf eine Reformierung des Beihilfensystems hinzuarbeiten. Studieren darf kein Privileg der Reichen werden, sondern muss für alle zugänglich sein. Genau dafür setzen wir uns als VSStÖ ein. TROTZDEM: Du bist seit 2008 beim VSStÖ. Warum bist du politisch aktiv geworden?

Julia Freidl ist Spitzenkandidatin des VSStÖ für die ÖH-Wahlen 2013

J

ulia Freidl, gebürtige Grazerin, studiert an der Wirtschaftsuniversität in Wien im Master Volkswirtschaft. Seit 2012 ist sie Sozialreferentin der ÖH-Bundesvertretung und Sozialsprecherin des VSStÖ. Ihre Erfahrungen möchte sie auch weiterhin in die ÖH einbringen und tritt deshalb als Spitzenkandidatin des Verbandes Sozialistischer Student_innen (VSStÖ) für die ÖH-Wahlen von 14. bis 16. Mai 2013 an. TOTZDEM: Hallo Julia, du gehst als Spitzenkandidatin für den VSStÖ in die ÖH-Wahl. Wenn man sich die Situation an den Unis so ansieht, wartet viel Arbeit auf dich. Welche Ziele hast du dir gesetzt?  Julia:  Eines der wichtigsten Ziele ist es für mich, dass Studieren wieder für alle leistbar wird und zwar unabhängig vom Geldbörserl der Eltern. Als ÖH-Sozialreferentin hab ich sehr viel mit Studierenden zu tun, die massive Schwierigkeiten haben, sich ihr Studium und ihr Leben finanzie-

Die SPÖ muss mit einem klaren Bekenntnis gegen Studiengebühren und Zugangs­ beschränkungen, für soziale Absicherung und gegen Sozialabbau in die Wahlen gehen.

Julia:  Ich bin im VSStÖ aktiv geworden, nachdem ich mich durch die Eingangsphase an der WU gekämpft hab, bei der 80 Prozent der Studierenden hinausgeprüft werden. Ich hab mir damals gedacht: Das gibt’s doch nicht, dass ein Studium so ausschauen muss. Seitdem setze ich mich dafür ein, dass an Hochschulen echte Orientierung ermöglicht wird, anstatt der unfairen Knock-Out-Phase. TROTZDEM: Viele Studierende müssen neben dem Studium arbeiten. Oft sind das nicht die spannendsten und gut bezahlten Jobs. Hast du damit Erfahrungen?  Julia:  Jede Menge (lacht). Von der Eisverkäuferin bis zur Babysitterin hab ich schon alles durch. Auch in der ÖH hab ich die Erfahrung gemacht, dass gerade Praktika, die mittlerweile ja für die meisten Studierenden zum Alltag gehören, oft sehr schlecht oder gar nicht bezahlt sind. Da muss sich etwas ändern, damit faire Praktika endlich gewährleistet werden. TROTZDEM: 2013 ist das “Superwahljahr“. Welche Rolle spielen die ÖH-Wahlen in der politischen Landschaft?  Julia:  Die ÖH-Wahl ist definitiv als Richtungswahl zu werten. Unser Ziel ist ein gutes Wahlergebnis, um der Politik und insbesondere der SPÖ zu zeigen,

dass Studierende in Österreich hinter der VSStÖ-Position für einen freien Hochschulzugang stehen. Die SPÖ muss mit einem klaren Bekenntnis gegen Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen, für soziale Absicherung und gegen Sozial­ abbau in die Wahlen gehen. (Highlighttext) Dafür werden wir uns konsequent einsetzen und mit einem starken Ergebnis bei den ÖH-Wahlen vorzeigen, wie linke Politik erfolgreich funktionieren kann. TROTZDEM: Warum braucht es aus deiner Sicht den VSStÖ in der ÖH?  Julia:  Weil wir uns für Studierende mit geringen finanziellen Mitteln einsetzen, für die sich sonst niemand einsetzt. Außerdem ist es für uns als VSStÖ wichtig, in Verhandlungen nicht immer nur laut „Nein“ zu schreien, sondern konkrete Konzepte auf den Tisch zu legen. Für uns ist es zentral, Studierenden Beratung und konkrete Hilfestellungen im Alltag zu bieten. Das tun wir seit einigen Jahren mit unseren Beratungs- und Serviceangeboten besonders im Sozialbereich und das wollen wir auch in Zukunft fortsetzen.

Iris Schwarzenbacher

ÖH-Wahlen Die ÖH-Wahlen finden von 14. bis 16. Mai 2013 statt. Dabei kann die Studienvertretung (Personenwahl) und die Universitätsvertretung (Listenwahl) gewählt werden. Die Universitätsvertretungen beschicken dann die Bundesvertretung der ÖH. Der Verband Sozialistischer Student_innen (VSStÖ) kandidiert bundesweit und setzt sich besonders für die Reformierung des Beihilfensystems ein. Die Forderungen sind u.a. die Abschaffung der Altersgrenzen für Beihilfen, die Erhöhung der Studienbeihilfe und die Ausweitung der Toleranzsemester. Mehr Infos und das VSStÖ-Wahlprogramm findest du auf www.vsstoe.at.


FRAUEN FRAUEN

26 Foto: Andrea Röpke

Die „Kameradinnen“ und „Skingirls“ schaffen Akzeptanz bei denen, die mit Neonazis bisher nur martialische Mannsbilder und prügelnde Skinheads verbunden haben.

Rechtsextremismus

Braune Schwestern – Frauen in der rechten Szene Von braven Hausfrauen und Müttern zu Skingirls und Renees. ie rechtsextreme Szene gilt allgemein als männerdominiert. Doch in den letzten Jahren scheint sich das zunehmend zu verändern. Durch das verstärkte Auftreten von Männern entsteht leicht der Eindruck Frauen wären aufgrund traditioneller Rollenklischees nicht anfällig für das rechte Gedankengut. Doch dieser scheinbare Unterschied schwindet, wenn man sich das Verhalten von Frauen und Männern im Alltag genauer ansieht. Hier stehen die Frauen den Männern in Bezug auf rassistische Verhaltensweisen, Äußerungen in der Familie und im Freundeskreis etc. in keinster Weise nach und dürfen keinesfalls unterschätzt werden. Der Anteil von Frauen in der rechten Szene steigt. Die Beweggründe für den Eintritt haben sich verändert, ebenso wie die Art des politischen Engagements oder das Auftreten der rechten Frauen und Mädchen. Diese machen sich das Internet zunutze, um sich politisch eine Bühne zu schaffen und ihre rechtsextreme Propaganda zu verbreiten. Es gibt

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eine Vielzahl von Frauenbildern, die in der rechten Szene vertreten werden und so vielfältig ist auch die Darstellung im Internet.

Traditionelles rechtes Frauenbild Auf der einen Seite finden wir die traditionellen rechten Rollenbilder, die den Platz der Frau zu Hause bei den Kindern sehen. Repräsentiert werden diese traditionellen Rollenbilder unter anderem von der „Gemeinschaft Deutscher Frauen“, deren zentrale Themen Brauchtum, Kultur und

Es ist klar zwischen den rechten emanzipatorischen Positionen und linken, feministischen Anschauungen zu entscheiden. Diese dürfen keinesfalls gleichgesetzt werden.

Kindererziehung sind. Insbesondere sollen Mütter durch Rezepte, Bastelanleitungen und die „Zwergenpost“ für Kinder gefördert werden. Das Dreischild, ein altes germanisches Symbol, dient der „Gemeinschaft Deutscher Frauen“ (GDF) als Erkennungszeichen. „Erst durch die Mutterschaft wird eine Frau ihre wahre Rolle und Stellung im Leben erkennen. Es ist aber auch die Pflicht der Frau, ihrem Mann zur Seite zu stehen, ihn mit ihrer Kraft zu unterstützen, ihm einen Halt zu geben … Wir beschäftigen uns ebenso mit wichtigen politischen Fragen wie mit Handarbeit.“ (GDF)

„Rechte Emanzen“ Ganz im Gegenteil jedoch beispielsweise der „Mädelring Thüringen“. Diese Gruppe junger Frauen, setzt sich für Gleichberechtigung von Männern und Frauen ein und ist nicht der Meinung, dass Frauen unbedingt Kinder haben müssen. Während traditionel-

le RechtsextremistInnen gegen die Berufstätigkeit von Frauen wettern, weil es eine „Vermännlichung“ sei, ist es für die „rechten Emanzen“ ein selbstverständlicher Teil ihres Lebens. „Genauso sind wir Frauen eigenständige Individuen, die sich durch selbstständiges Handeln auszeichnen und nicht wie fälschlicherweise noch heute zu oft im nationalen Widerstand behauptet über die Mutterrolle. Die Frau von heute ist nicht nur Hüterin der Familie und des Heims, sondern auch gleichwertige Mitgestalterin des öffentlichen Lebens, das alle Lebensbereiche und Berufsbilder gleichermaßen beinhaltet.“ (Mädelring Thüringen)

Pseudofeminismus Auch Sigrid Hunke, deutsche Theoretikerin der „Neuen Rechten“, meinte es seien die „germanischten unter den Frauen Europas“ gewesen, die die Frauenbefreiung auf ihre Fahnen geheftet hätten. Das problematische


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FRAUEN FRAUEN

Frauen machen bislang 20–30% der rechts­ extremen Szene aus, aber ihre Zahl wächst. Ihre Rolle bleibt jedoch großteils als Helferin und Mutter definiert.

an diesen pseudofeministischen Stellungnahmen ist, dass sie an der Oberfläche Ähnlichkeiten zu linken Standpunkten aufweisen. Kritik an Sexismus, das Ablehnen von Frauenhandel, Selbstverteidigungskurse für Mädchen, Proteste gegen sexuelle Gewalt an Frauen etc. Durch diese vielfältigen Positionen lässt sich nicht mehr einfach zwischen „linken“ und „rechten“ Anschauungen und Positionen unterscheiden.

In der rechten Szene beruhen Gleich­ berechtigungstendenzen immer auf einem „völkischen“ Weltbild. Es ist unsere Aufgabe, diese zu erkennen und sie in unserer antifaschistischen Arbeit nach Außen zu tragen. Aber wenn man nur ein bisschen genauer hinschaut, lassen sich natürlich klare unterschiedliche Ideologien erkennen. Zwar weisen sie oberflächlich gesehen die gleichen Argumente auf, Ausgangspunkt für rechte Argumentationslinien und Theorien ist jedoch immer die „Volksgemeinschaft“ bzw. die klare Abgrenzung von anderen „Rassen“. Ziemlich deutlich wird es am Beispiel Sexismus, denn es wird meist von den „weißen deutschen“ Frauen gesprochen die von dem „Schwarzen Mann“ bedroht werden. Dies ist eine sehr gefährliche Vermischung von Anti-Sexismus und Rassismus, die oft nicht so leicht zu durchschauen ist.

Sexismuskritik und Selbstverteidigung Auch Skingirls haben mit ihrer Einstellung sich ebenso prügeln zu wollen wie ihre Freunde und sich nicht mit einer dem Mann untergeordneten Rolle zufriedengeben, einen quasiemanzipatorischen Ansatz. Doch ein wichtiger Aspekt darf nicht aus

dem Auge verloren werden, Frauen und Mädchen fallen natürlich nicht immer eindeutig durch einen der stereotypischen Stile auf. Nur ein Teil entspricht heute noch einem klar umrissenen Bild eines „Skingirls“, „Renees“ oder dem Bild der „pflichtbewussten“ deutschen Hausfrau. Hier kann man nur noch einmal betonen, dass es eine absolute Notwendigkeit ist, sich klar von der rechten Szene abzugrenzen. Es ist klar zwischen den rechten emanzipatorischen Positionen und linken, feministischen Anschauungen zu entscheiden und es gilt diese keinesfalls gleichzusetzen.

Betätigungsfelder Die verschiedenen Rollenbilder in der rechten Szene haben stark mit der Vielzahl von Betätigungsfeldern zu tun, die sich im Gegensatz zu früher um einiges erweitert haben und somit ein viel breiteres Angebot für Frauen besteht. Sei es als Politikerin, Musikerin, Autorin oder als Aktivistin. Rechte Organisationen versuchen so auch für Frauen interessant zu werden und damit nicht nur ihre AnhängerInnen, sondern auch ihre potenzielle WählerInnenschaft zu vergrößern. Auch in der NPD, der in Deutschland nicht verbotenen „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“, spielen Frauen eine immer größere Rolle. Sie werden eingesetzt, um für mehr gesellschaftliche Akzeptanz der rechten Szene zu sorgen. Doch diese Strategie verfolgen nicht nur die deutschen rechten Parteien. Für Österreich ist in diesem Falle die FPÖ-Politikerin Barbara Rosenkranz das perfekte Beispiel. Politisch und privat verkörpert sie jenen Typus der Hausfrau und Mutter, der das Frauenbild des dritten Lagers bis in die Neunziger prägte. Nach der Erziehung ihrer zehn Kinder widmete sie sich der Politik und ist seit März 2013 wiedergewählte Landesparteichefin und neue Klubobfrau der FPÖ im niederösterreichischen Landtag.

Stabilität und Scharnier Untersuchungen zeigen, dass rechtsextreme Frauen oft unterschätzt werden, gerade in der Mitte der Gesellschaft werden sie eher akzeptiert als Männer. Doch eines darf nicht aus den Augen verloren gehen, egal wie neutral sie sich auch geben. Diese Frauen gehören Organisationen an, die antidemokra-

tische, rassistische Ideologien vertreten. Oft werden Frauen auch vorgeschickt um Räume anzumieten, Demos anzumelden oder auch um Kredite aufzunehmen. Frauen dienen auch nicht selten als „Spitzel“ in der linken Szene. Sie gründen Verlage und helfen so, rechte Schriften zu publizieren und dienen oft auf diese Weise als wichtige Financiers. Wissenschaftler­ Innen sprechen von einer neuen Strategie rechter Frauen, die Nachfolgegenerationen neu zu formen. Auch der Faktor „Bildung“ bekommt einen wichtigen Stellenwert, rechte Frauen werden Erzieherinnen, studieren Geschichte oder Jura.

Nie wieder Faschismus! Wie bereits erwähnt, gibt es in der rechten Szene in vielfältiger Weise Modernisierungsansätze in Bezug auf Geschlechterthematiken und Gleichberechtigung. Feminismus ist aber antifaschistisch und basiert auf marxistischen Wurzeln und ist deshalb emanzipatorisch und zugleich herrschaftskritisch. In der Gesellschaft gibt es eine Vielzahl an Unterdrückungen, Diskriminierungen, egal ob aufgrund des Geschlechts, der Herkunft, der Hautfarbe, der Religion oder der sexuellen Orientierung. In der rechten Szene beruhen Gleichberechtigungstendenzen immer auf einem „völkischen“ Weltbild. Es ist unsere Aufgabe, diese zu erkennen und sie in unserer anti-faschistischen Arbeit nach Außen zu tragen. Es gilt diese zu bekämpfen, um eine steigende Akzeptanz rechtsextremer Parteien und Gruppierungen zu verhindern.

Viele Renees entsprechen dem männlichen Bild, halten sich gern im Hintergrund und sehen ihre Hauptaufgabe in der Unterstützung der Männer. Andererseits gibt es auch viele Frauen, die sich selbst an Werten wie „Mut, Stärke und Tapferkeit“ orientieren und aktiver auftreten.

Weil sie unauffälliger wirken, sorgen jungen Frauen oft für reibungslose Organisation und mieten zum Beispiel Räume für Rechtsradikale.

Nie wieder Faschismus!

Nina Andree

Filmtipp: Siehe S. 29

Skingirls und Renees Die weiblichen Angehörigen der Skin-Szene nennen sich selbst häufig Skingirls oder Renees. Was die Kleidung betrifft, so kennzeichnen sich Renees durch ein spezielles Outfit und eine bestimmte Frisur. Erkennungszeichen ist der Haarkranz: Rasierter Schädel mit einem Kranz aus langen Strähnen um das Gesicht herum. Ihre Kleidung ähnelt zum Teil stark der der Männer, sie tragen Springerstiefel, Jeans und Bomberjacken. Eine andere Variante ist der sogenannte Vamp-Look mit zerrissenen Kleidern, Netzstrumpfhose und Minirock. Natürlich gibt es in der rechten Szene auch sehr viele Frauen, die ganz normal gekleidet sind und mit dem rechten Standardoutfit nichts anfangen können.


TERMIN TERMIN

28 Workers Youth Festival

Wir sind das Bauvolk der kommenden Welt! United we make History – Solidarity now! Das 150-jährige Bestehen der ArbeiterInnenjugendbewegung in Deutschland wird von Jusos und SJD – Die Falken beim Workers Youth Festival in Dortmund groß gefeiert werden und ihr seid alle herzlich eingeladen! schaftsjugenden, migrantischen Selbstorganisationen und unseren internationalen GenossInnen aus IUSY und YES (früher ECOSY) werden wir zeigen: Die Jugend ist nicht politikverdrossen – sie ist systemverdrossen! Dortmund wird internationaler Begegnungsort und wir werden miteinander eine Synergie aus Bildung, Aktion und Jugendkultur erleben. Vier Tage lang erwartet dich ein abwechslungsreiches politisches Programm, das alle selbst mitgestalten können.

Wir holen uns die Straße zurück!

Das Workers Youth Festival findet von 9. bis 12. Mai 2013 in Dortmund statt. 35 € Teilnahmebeitrag und gratis Busanreise auch aus Österreich!

Website: workersyouthfestival.org Facebook: www.facebook. com/workersyouthfestival Twitter: @wyf13 / #wyf13

D

ie ArbeiterInnenjugend erfüllte damals wie heute ihre Aufgabe als Sandkorn im Getriebe gegen reaktionäre Kräfte innerhalb der eigenen Bewegung. Für die innerverbandliche Festigung und die Verankerung der Inhalte in der Gesellschaft dienten die ArbeiterInnenjugendtage. Gemeinsam laut in die Offensive zu gehen für Solidarität, für Sozialismus. Dieses Bewusstsein prägte die ArbeiterInnenjugendtage. Und an diese Tradition knüpfen wir miteinander von 9. bis 12. Mai in Dortmund an. Erinnern an Vergangenes ist uns nicht genug: In einem breiten Bündnis mit Gewerk-

Ihr seid am Festival genau richtig, wenn ihr unter Politik gestalten mehr als eine Social Media-App oder das Unterzeichnen einer Online-Petition versteht. Wir schreiben Aktionismus in Dortmund ganz groß! Im Zuge des Festivals tragen wir unsere Inhalte bei einer Demonstration laut in die Innenstadt, wo wir vor dem Rathaus am Samstag einen großen Aktionstag begehen. Gemeinsam mit unzähligen linken Initiativen, Organisationen und Gewerkschaftsjugenden nehmen wir die Innenstadt mit unseren Forderungen ein. Neben politischen Aktionen erwartet dich ein buntes Straßenfest mit Street Soccer, einem Riesenwuzler, einer Vielzahl an Infoständen von unseren Partnerorganisationen, Reden und natürlich jeder Menge Spaß bei den Open Air-Konzerten! Unter dem Motto „Rise Up! Wir für ein schönes Leben“ werden wir damals wie heute zeigen: Die ArbeiterInnenjugend weiß, wohin sie will! Wir lassen uns die Errungenschaften unserer Bewegung nicht von reaktionä-

ren KarrieristInnen nehmen – wir nehmen die Zukunft unserer Bewegung selbst in die Hand! Lasst die Konservativen an Christi Himmelfahrt in die Kirchen pilgern. Wir treffen uns in Dortmund! Anna Bruckner

Anna Bruckner war Koordinatorin des IUSYFestivals 2011 in Österreich. Unsere deutschen GenossInnen waren davon so beeindruckt, dass sie Anna nach Deutschland holten, um das Projektbüro des Workers Youth Festival zu leiten.

Kulturprogramm-Highlights • Die Orsons (Hip Hop) • Sookee (Rap), die sich auch an unserem inhaltlichen Programm beteiligen wird • Bakkushan (Rock/Indie) • Antilopengang (Rap) • Feine Sahne Fischfilet (Ska, Punk) 80er Parties und Electro, Poetry Slams, Lesungen, Riesenwuzler, Sumoringen, Hüpfburg (auch für Erwachsene!), Biergarten, Lagerfeuer, Ausflüge ins BVB-Fußballstadion und in Zechen, Nazis wegkegeln, Eurovision Songcontest! RednerInnen-Highlights von A bis Z • Elmar Altvater (Gründungsmitglied Institut Solidarische Moderne) • Christoph Butterwegge (Politikwissenschafter) • Harlem Désir (Vorsitzender Parti Socialiste Frankreich, t.b.c.) • Jutta Ditfurth (Publizistin, ehem. Politikerin) • Heiner Flassbeck (Ökonom) • Sigmar Gabriel, Andrea Nahles, Peer Steinbrück (SPD) • Freerk Huisken (Publizist, Schwerpunkt Politische Ökonomie) • Mona Sahlin (ehem. Vorsitzende der Schwedischen SozialdemokratInnen) • Guntram Schneider (Minister für Arbeit, Integration und Soziales NRW) • Martin Schulz (Präsident Europäisches Parlament) • Michael Sommer (Vorsitzender Deutscher Gewerkschaftsbund) • Jean Ziegler (UNO, t.b.c.)


BUCH / FILM / MUSIK BUCH / FILM / MUSIK

BUCH BUCH

Strache – Im braunen Sumpf von Hans-Henning Scharsach — Geb. Ausgabe: 335 Seiten Verlag: Kremayr & Scheriau Preis: 24 € ISBN: 978-3-218-00844-0

Strache – Im braunen Sumpf

„H

ans-Henning Scharsachs Analyse ist unerbittlich.“ Der erste Satz des Klappentextes liefert bereits einen ersten Eindruck von „Strache – Im braunen Sumpf“ – einer Abrechnung Scharsachs mit dem rechtsextremen bis neonazistischen Gedankengut vieler FPÖ-PolitikerInnen und speziellem Augenmerk auf den FP-Frontmann. Neben zahlreichen Berührungspunkten Straches mit der rechtsextremen Szene, geht Scharsach vor allem auch auf Strukturen, Schauplätze und Hintermänner und -frauen ein,

Die Kriegerin

E

rzählt wird die Geschichte der zwanzigjährigen Marisa, die Teil der rechtsextremen Szene ist. Sie macht auch kein Geheimnis daraus: Auf ihrer Schulter hat sie “Skingirl” tätowiert, vorne ein Hakenkreuz. Wenn ihr jemand dumm kommt, schlägt sie zu. Für das Mädchen sind alle gleich: Ausländer, Schwarze, Politiker, Juden und die Polizei. In ihren Augen sind sie alle Schuld daran, dass ihr Freund im Knast sitzt und alles um sie herum den Bach runter geht: Ihr Leben, ihre Stadt, das Land und die ganze Welt.

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die Strache umgeben und seinen politischen Background bilden. Das Buch liefert spannende Einblicke zu Straches Person, aber auch zu seinen Burschenschaftsverbindungen, den Wehrsportübungen, die Frauen- und allgemeine Politik der FPÖ und den Einfluss rechtsextremer Koryphäen auf die Partei. Zwei Jahre harter Recherche-Arbeit haben sich gelohnt: „Strache – Im braunen Sumpf“ deckt das menschenverachtende Bild der FPÖ, Straches und der umgebenden Strukturen bedingungslos auf. „Was als Sachbuch konzipiert wurde, ist zum politischen Thriller geworden“, ist auf der Verlagshomepage ganz richtig zu lesen. Prädikat: Lesenswert!

Marlene Reinberger

Doch dann ändert sich alles. Der Streit zwischen ihrer Clique und zwei Asylwerbern eskaliert und löst eine Kette von Ereignissen aus, die ihr Leben grundlegend ändern. Marisas Weltbild gerät ins Wanken, doch der Weg aus der rechten Szene ist härter, als sie je vermutet hätte. Dem Film geht eine zweijährige Recherche voraus, während der Regisseur sich intensiv mit der Szene auseinandergesetzt hat und Interviews mit NeoNazi-Gang-Mitgliedern führte. Marisas Charakter wurde von wahren Gegebenheiten inspiriert.

FILM FILM

Nina Andree

Die Kriegerin — Land: Deutschland Jahr: 2011 Laufzeit: 103 min. Regie: David Wendt

MUSIK MUSIK

Pulp – Different Class (1995)

E Pulp – Different Class (1995) — Release: England 1995 Genre: Britpop Länge: 52:50 min. Label: PolyGram / Island Records

in frischer, gitarrenlastiger Sound begleitet von Keyboard und der einzigartigen Stimme von Jarvis Cocker. Scharfsinnige Pointen und die Gegenwartshaltigkeit ihrer Texte mit der sie Sozialgeschichte erzählen, machen Pulp zu einer derart großartigen Band. Das vorliegende Album mit dem Titel „Different Class“ erzählt genau diese Geschichten von der britischen Klassengesellschaft, von Ihren Opfern und ihren Tätern in den 90ern. Auch wenn bereits 18 Jahre seit der Erstveröffentlichung des Albums vergangen sind,

die behandelten Themen, die zynischen Texte, sind angesichts steigender sozialer Ungleichheit in der heutigen Zeit, aktueller denn je. Klassenhierarchien, die Zerstörung des Wohlfahrtssystems und die Abschaffung der Gesellschaft als solche, werden thematisiert und mit Britpop der Sonderklasse musikalisch untermalt. Sie waren möglicherweise die letzte große Band, deren Mitglieder sich ihrer Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse bewusst waren und sich gleichzeitig als Künstler verstanden. Musizierende Arbeiterkinder sind schließlich eine verschwindende Minderheit.

Daniel Posch


KALENDER KALENDER

Kampagne

WAS WAR WAS WAR

Junges Wohnen muss leistbar sein!

2. April 2013

Februar 2013

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Seminar

Feministisches Seminar

Vom 1.–3. März fand das feministische Seminar (FemSem) der Sozialistischen Jugend statt. Wie jedes Jahr am Wochenende vor dem Weltfrauentag, dem 8. März. Junge Frauen aus ganz Österreich trafen sich ein Wochenende lang, um gemeinsam Wissen zu sammeln, sich auszutauschen, zu vernetzen und Spaß zu haben. In Workshops und Diskussionsrunden zu verschiedensten Themen gab es die Möglichkeit, Feminismus zu erleben. Auch der Spass kam dieses Wochenende natürlich nicht zu kurz.

Wahlkreiskonferenz Bruck/Mur

Anfang April fand die Konferenz des Wahlkreises Obersteiermark der SPÖ Steiermark statt, bei der unser Vorsitzender Wolfgang Moitzi mit großer Mehrheit auf Platz 3 gewählt wurde. Wolfgang kandidiert somit an aussichtsreicher Stelle für die Nationalratswahl im Herbst.

5.–7. April 2013

1.–3. März 2013

Im Februar startete unsere Kampagne für leistbaren Wohnraum. Abseits und vor der jetzt hitzigen Koalitionsdebatte wurde ein Wohnprogramm erarbeitet und mit unseren Forderungen und einem mobilen Wohnzimmer durch ganz Österreich getourt. Wir waren aber nicht nur in ganz Österreich präsent, sondern auch in allen größeren Medien. Nachdem die SPÖ unsere Forderungen nun übernommen hat und damit in den Wahlkampf geht, werden wir das Thema aber auch weiterhin offensiv besetzen.

SPÖ

Seminar

RISE UP – Internationales Seminar

AKS, SJÖ & VSSTÖ veranstalteten in Kooperation mit dem KarlRenner-Institut von 5. bis 7. April 2013 ein Internationales Seminar in Wien. Ziel war es an Internationaler Arbeit Interessierte GenossInnen zusammen zu bringen, sich innerhalb der Organisation verstärkt über die politische Lage in verschiedenen Regionen der Welt zu informieren und gemeinsam darüber zu diskutieren. Das Programm konnte mit einem breiten Workshopangebot, das von der neuen ArbeiterInnenbewegung in China, über den Westsahara-Konflikt bis hin zur Krise in Europa aufwarten konnte. Ein besonderes Highlight waren auch die Besuche der Botschafter Kubas und Venezuelas am Freitagabend, und der von Friederike Spiecker (Ökonomin) am Samstag.


30. April 2013

WAS KOMMT WAS KOMMT

10.–12. Mai 2013

KALENDER KALENDER

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Seminar

Antifa-Seminar

Demo/Jugendkultur

Fackelzug gegen Strache Über 200 Jugendliche aus Österreich und Deutschland beteiligen sich jedes Jahr am Antifaschismus-Seminar der Sozialistischen Jugend Österreich im Europacamp am Attersee (OÖ), das heuer vom 10. bis 12. Mai 2013 stattfinden wird. Beim inhaltlichen Programm, das den Themenkomplex Faschismus, Rechtsextremismus sowie Antifa vor Ort umfasst, ist wie immer für jeden und jede etwas dabei. Neben einer Buchvorstellung zu „Grauer Wolf im Schafspelz“ von Christian Schörkhuber am Freitagabend werden wir am Samstagabend ein Zeitzeuginnengespräch mit Käthe Sasso organisieren. Zum Abschluss dieses Seminar-Wochenendes nehmen wir gemeinsam an den Befreiungsfeiern des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen teil. Somit wird dieses Wochenende zu einem ereignisreichen Höhepunkt im SJ-Jahr.

Dieses Jahr werden tausende von Fackeln angezündet, um gemeinsam gegen Heinz-Christian Strache und seine FPÖ zu demonstrieren. Wir dürfen es uns nicht länger gefallen lassen, dass die FPÖ einen rassistischen Rülpser nach dem anderen loslässt und damit ungeschoren davon kommt. Sei dabei, wenn wir gemeinsam gegen Strache auf die Straße gehen und damit ein klares „Nein!“ zu Rassismus, Antisemitismus und Korruption sagen!

Jugendkultur

Fettes Fest

Seminar

Workers Youth Festival Zeitgleich mit dem Antifa-Seminar findet auch das Workers Youth Festival statt. Die ArbeiterInnenjugend erfüllte damals wie heute ihre Aufgabe als Sandkorn im Getriebe gegen reaktionäre Kräfte innerhalb der eigenen Bewegung. Für die innerverbandliche Festigung und die Verankerung der Inhalte in der Gesellschaft dienten die ArbeiterInnenjugendtage. Gemeinsam laut in die Offensive zu gehen für Solidarität, für Sozialismus. Dieses Bewusstsein prägte die ArbeiterInnenjugendtage. Und an diese Tradition knüpfen wir miteinander von 9. bis 12. Mai in Dortmund an. Auch die SJÖ wird ein kleines Kontingent nach Dortund schicken. Wann? 10.–12. Mai | Wo? Dortmund TeilnehmerInnenbeitrag: SJ-Mitglieder 35 €

Am 30. April tolle Acts wie Klangkarussel der Menge auf drei Floors einheizen. Tausende Menschen werden die Reaktivierung des „Fetten Festes“ in Graz feiern. Kostenloser Eintritt!

18. Mai 2013

30. April 2013

Treffpunkt: 20 Uhr, Oper Danach Openair-Party am Rathausplatz mit DIE BOYS (Deichkind/Hamburg)

10.–12. Mai 2013

Wann? 10.–12. Mai | Wo? Europacamp am Attersee TeilnehmerInnenbeitrag: SJ-Mitglieder 25 €, Nichtmitglieder 35 €

Kampagne

Aktionstag „Leistbares Wohnen“ Am 18. Mai werden wir unseren Forderungen für billigeren Wohnraum noch einmal kräftig unterstreichen. In ganz Österreich werden am 18. Mai Aktionstage abgehalten werden, damit junge Menschen endlich wieder qualitativ hochwertige, finanzierbare Wohnungen vorfinden.


J UG I A L I S END T IS sjoe C HE . at

10.–12. MAI 2013 WEISSENBACH AM ATTERSEE, OÖ EUROPACAMP

S OZ

Mit über 200 Jugendlichen aus ganz Österreich geht das Antifa-Seminar im Europacamp in Weißenbach/Attersee von 10. bis 12. Mai 2013 über die Bühne.

ANTIFA-SEMINAR & BEFREIUNGSFEIER

Heuer erwarten dich 10 verschiedene Workshops zu den Themen Faschismus, Rechtsextremismus oder Antifa vor Ort. Neben einer Buchvorstellung zu „Grauer Wolf im Schafspelz“ mit Christian Schörkhuber am Freitagabend werden wir am Samstagabend ein Zeitzeuginnengespräch mit Käthe Sasso organisieren. Zum Abschluss nehmen wir am Sonntag gemeinsam an den traditionellen Befreiungsfeiern im ehemaligen KZ Mauthausen teil. Anmeldung unter: www.sjoe.at oder www.facebook.at/sjoe.at

ICH BIN

Porto übernehmen wir!

NAME STRASSE PLZ /ORT TELEFON E-MAIL TEL.-NR. : GEB.-DAT. : Trotzdem 2/2013 – Die Zeitung der Sozialistischen Jugend Verlagspostamt: 1050 Wien – Aufgabepostamt: 4020 Linz P.b.b. Zulassungsnummer: GZ 02Z032957 S

ICH WILL mich zum Antifa-Seminar anmelden ein Antifa-Package ein Trotzdem-Abo aktiv werden Infos über die SJ

An die Sozialistische Jugend Österreich Amtshausgasse 4 1050 Wien


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