Adipöse Patienten

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Die Reihe stellt in Form kleiner Taschenbücher die Spezifika in der Versorgung besonderer Personengruppen durch das präklinische Fachpersonal dar. Dabei stehen je nach Personengruppe medizinische, tech­nische, taktische oder auch psychosoziale Informationen im Vordergrund. Fachwissen und Versorgungskonzepte werden durch konkrete Handlungsempfehlungen und Tipps für die Praxis abgerundet.

Band 1 stellt der häufig mangelnden Erfahrung mit extrem adipösen Patienten neu entwickelte Versorgungskonzepte gegenüber und stellt spezielle Rettungsfahrzeuge vor. Neben pathophysiologischen Veränderungen stehen Diagnostik, Pharmakologie, Gefäßzugang, Narkose, Traumaversorgung und Reanimation bei Adipösen im Mittelpunkt. Fallbeispiele zeigen die einsatztaktischen Herausforderungen bei der Rettung auf.

M. Faißt · M. Stuhr · S. Kappus · T. Kerner

H. Karutz, S. Schröder (Hrsg.) M. Faißt, M. Stuhr, S. Kappus, T. Kerner

Besondere Personengruppen im Rettungsdienst

Adipöse Patienten M. Faißt · M. Stuhr · S. Kappus · T. Kerner H. Karutz · S. Schröder (Hrsg.)

Adipöse Patienten

Besondere Personengruppen im Rettungsdienst Band 1

ISBN 978-3-943174-49-6 · www.skverlag.de ISBN 978–3–943174–61–8

BePeRD 1

Adipöse Patienten

www.skverlag.de

Band 1


Anmerkungen des Verlags Die Herausgeber bzw. Autoren und der Verlag haben höch­ste Sorgfalt hinsichtlich der Angaben von Therapie-Richtlinien, Medikamentenanwendungen und -dosierungen aufgewendet. Für versehentliche falsche Angaben übernehmen sie keine Haftung. Da die gesetzlichen Bestimmungen und wissenschaftlich begründeten Empfehlungen einer ständigen Veränderung unterworfen sind, ist der Benutzer aufgefordert, die aktuell gültigen Richtlinien anhand der Literatur und der Beipackzettel zu überprüfen und sich entsprechend zu verhalten. Die Angaben von Handelsnamen, Warenbezeichnungen etc. ohne die besondere Kennzeichnung ®/™/© bedeuten keinesfalls, dass diese im Sinne des Gesetzgebers als frei anzusehen wären und entsprechend benutzt werden könnten. Der Text und/oder das Literaturverzeichnis enthalten Links zu externen Webseiten Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat. Deshalb kann er für diese fremden Inhalte auch keine Gewähr übernehmen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seite verantwortlich. Aus Gründen der Lesbarkeit ist in diesem Buch meist die männliche Sprachform gewählt worden. Alle personenbezogenen Aussagen gelten jedoch stets für Frauen und Männer gleichermaßen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen oder Textteilen, vorbehalten. Einspeicherung in elektronische Systeme, Funksendung, Vervielfältigung in jeder Form bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autoren und des Verlags. Auch Wiedergabe in Auszügen nur mit ausdrücklicher Genehmigung. © Copyright by Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2016, Titelbild: Heiko Warnke, Feuerwehr Bremen Satz: Hille Schulte, Edewecht Druck: M.P. Media-Print Informationstechnologie GmbH, 33100 Paderborn ISBN 978-3-943174-61-8 ISBN 978-3-943174-60-1 (Gesamtausgabe)


Besondere Personengruppen im Rettungsdienst – Band 1 Herausgegeben von Harald Karutz & Stefan Schröder

Adipöse Patienten

M. Faißt, M. Stuhr, S. Kappus, T. Kerner

Verlagsgesellschaft Stumpf & Kossendey mbH, Edewecht 2016



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Inhalt Abkürzungen Geleitwort der Herausgeber Vorwort

7 9 10

1 Definition und Epidemiologie der Adipositas 13 1.1 Allgemein 1.2 Rettungsdienst

14 15

2 Ursachen, Begleit- und Folgeerkrankungen

17

3 Das Adipositas-Paradoxon

21

4 Psychologische Aspekte

24

4.1 Sicht des Patienten 4.2 Sicht des Rettungsdienstpersonals

24 24

5 Grundlegende pathophysiologische Veränderungen

26

5.1 Pathophysiologische Veränderungen des Herz- und Kreislaufsystems 26 5.2 Pathophysiologische Veränderungen der Atemorgane 28

6 Pharmakologie

32

7 Präklinische Diagnostik

36

7.1 Klinische Untersuchung 7.2 Apparative Untersuchung 7.3 Traumaversorgung

37 38 41

8 Gefäßzugänge

43

8.1 Intravenöse und intraossäre Zugänge 8.2 Nasale Medikamentenapplikation

43 46


6

9 Pr채klinische Narkose

48

9.1 Vorbereitung zur Narkose 9.2 Atemwegsmanagement 9.3 Beatmung

49 52 64

10 Reanimation

70

11 Traumaversorgung

71

11.1 Management beim Polytrauma 11.2 Management thermischer Traumata

71 78

12 Adipositas in der Schwangerschaft

88

13 Rettungsdienstfahrzeuge der Freien und Hansestadt Hamburg

93

13.1 Bodengebundene Rettung 13.2 Luftrettung

14 Einsatztaktik Adipositasrettung der Feuerwehr Hamburg 14.1 Organisation der Rettung 14.2 Einsatztaktik vor Ort

15 Ausgew채hlte Fallbeispiele

93 103

107 107 108

111

15.1 Herzinfarkt 15.2 Exazerbierte COPD 15.3 Schlechter Allgemeinzustand 15.4 Polytrauma, stabil 15.5 Polytrauma, instabil

111 112 114 116 117

Literatur Autoren und Herausgeber Register

120 129 131


13

1 Definition und Epidemiologie der Adipositas Übergewicht und Adipositas werden anhand des Body-Mass-Index (BMI) klassifiziert, der sich aus der Formel Körpergewicht (in kg) dividiert durch Körpergröße im Quadrat (m2) errechnet: kg/m2. Ab einem BMI von ≥ 30 kg/m2 liegt per definitionem eine Adipositas vor. Die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definierten Schweregrade sind in der Tabelle 1 zusammengefasst. Tab. 1  Klassifikation des Körpergewichts anhand des BMI Gewichtsklassifikation

BMI (kg/m2)

Normalgewicht

18,5 – 24,9

Übergewicht

≥ 25,0

Präadipositas

25,0 – 29,9

Adipositas Grad I

30,0 – 34,9

Adipositas Grad II

35,0 – 39,9

Adipositas Grad III

≥ 40,0

Nicht immer ist ein hoher BMI allein ursächlich, wenn das Rettungsdienstpersonal oder das Standardequipment an die Grenzen des Machbaren stößt. Eine unproportionierte Körperfettverteilung reicht aus, um einen normalen Transport unmöglich zu machen. Wenn z.B. bei einem BMI von 51 (130 kg/1,60 m2) das meiste Körperfett im Bauch- und Hüftbereich verteilt ist, kann die maximale Tragenlast u.U. noch nicht erreicht sein, dennoch verhindert das Verteilungsmuster die Lagerung auf einer Standardkrankentrage. Somit sind neben dem Gewicht und dem BMI auch die Körperform und -fülle zu berücksichtigen.


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1.1 Allgemein Die Zahl der Menschen mit Adipositas hat sich weltweit seit 1980 nahezu verdoppelt. Der BMI stieg um 0,4 kg/m2/Jahrzehnt bei Männern und um 0,5 kg/m2/Jahrzehnt bei Frauen. Im Jahr 2008 waren 1,48 Milliarden Erwachsene übergewichtig. In den USA waren in den Jahren 2009/2010 35,7 % der Menschen adipös, in Europa bis zu 28,3 % der Frauen und 36,5 % der Männer. In Deutschland ist die Prävalenz der Adipositas verglichen mit anderen Ländern sehr hoch und liegt bei 23,3 % bei Männern und 23,9 % bei Frauen. Nachdem sie in den letzten Jahrzehnten stetig zunahm, ist zurzeit eine Stagnation auf hohem Niveau zu verzeichnen. Den Daten einer DEGS-Studie (Mensink et al. 2013) zufolge sind in Deutschland unter den 18- bis 79-Jährigen 67,1 % der Männer und 53,0 % der Frauen übergewichtig. 1997 bezeichnete die WHO Übergewicht erstmals als „globale Epidemie“. Mit sinkendem sozioökonomischem Status steigt die Prävalenz der Adipositas. In den USA dagegen ist die Prävalenz der Adipositas unabhängig vom sozioökonomischen Status, zeigt jedoch einen Trend zur höheren Prävalenz bei Menschen mit höherem Einkommen.

Merke: Knapp ein Viertel der deutschen Bevölkerung ist adipös und mehr als die Hälfte übergewichtig. Die adipositasassoziierten Ausgaben in den USA wurden 2008 auf 147 Milliarden US-Dollar geschätzt, was 9 – 10 % der Gesamtausgaben im Gesundheitssystem ausmachte. In Deutschland muss, bezogen auf das Jahr 2007, von Kosten in Höhe von 4,8 Milliarden Euro ausgegangen werden.

Merke: In der täglichen Praxis ist mit einer deutlichen Zunahme von adipösen Patienten zu rechnen.


15

1999

8 – <12%

2003

12 – <14%

14 – <16%

2005

16 – <18%

≥18%

Abb. 1  Häufigkeit der Adipositas in Deutschland in den Jahren 1999, 2003 und 2005 (nach Robert Koch-Institut 2009)

1.2 Rettungsdienst Zur Häufigkeit von Rettungsdiensteinsätzen mit adipösen Patienten existieren bislang kaum Daten. Allgemein wird jedoch von einer stetigen Zunahme der Einsatzhäufigkeit mit adipösen Patien-

Abb. 2  Der SRTW und GRTW der Feuerwehr Hamburg (von links nach rechts; Foto: G. Savinsky, Feuerwehr Hamburg)


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7 Präklinische Diagnostik Von wenigen apparativen Untersuchungstechniken wie EKG, Messung von Blutdruck und Sauerstoffsättigung abgesehen, erfolgt die Untersuchung und Beurteilung des Patienten mit klassischen Mitteln wie Sprechen, Sehen, Hören und Fühlen. Rettungsmedizin ist somit zu einem Großteil Medizin im klassischen Sinn. Adipositas erschwert die körperliche Untersuchung, und die apparative Diagnostik kann veränderte Parameter im Vergleich zu Normalgewichtigen ergeben. Wichtig ist, diese speziellen Unterschiede zu kennen, da sonst Fehldiagnosen oder klinische Fehleinschätzungen resultieren oder gar Erkrankungen oder Verletzungen übersehen werden können. Aufgrund der erschwerten Untersuchungsbedingungen kommen Anamnese und klinischem Eindruck besondere Bedeutung zu. Trotz oder gerade wegen der erschwerten Bedingungen darf eine Untersuchung nicht unterlassen, sondern muss mit größter Sorgfalt durchgeführt werden. Die erhobenen Befunde müssen im Kontext des klinischen Bildes und der Gesamtsituation beurteilt werden. Besondere Bedeutung kommt der Untersuchung von Thorax, Abdomen und Bewegungsapparat zu, um keine lebenswichtigen Befunde zu übersehen. Das Detektieren von knöchernen oder abdominellen Verletzungen kann eingeschränkt bis unmöglich sein; auch ein klassischer Peritonismus kann unentdeckt bleiben. Sowohl durch eine verminderte Beweglichkeit als auch durch eine veränderte Körperwahrnehmung kann die neurologische Untersuchung gleichermaßen erschwert sein. Immer bedacht werden muss, dass aufgrund der Adipositas Verletzungen unterschätzt oder gänzlich übersehen werden können.


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7.1 Klinische Untersuchung Auskultation Die Auskultation kann durch das Fettgewebe stark eingeschränkt bis unmöglich sein. Durch die gewebsbedingte Dämpfung können die Auskultationsbefunde kaum hörbar sein, sodass z.B. Herzgeräusche oder Lungenpathologien schwer oder gar nicht detektiert werden können. Bei Verdacht auf einen Pneumothorax ist der Informationsgewinn ebenfalls eingeschränkt. Das Vorliegen von Atemgeräuschen kann unter Umständen dazu führen, dass im Zweifelsfall eine Drainage gelegt werden muss. Darmgeräusche können ebenfalls kaum bis gar nicht auskultiert werden. Nicht wahrgenommene akustische Phänomene wie z.B. hochgestellte, metallisch klingende Darmgeräusche, wie sie klassischerweise beim Ileus vorkommen, können für den Patienten letale Folgen haben.

Körperliche Untersuchung Die Palpation von Pulsen kann stark eingeschränkt bis unmöglich sein. Eine diagnostische Aussage über die Qualität der Pulse (regelmäßig, kräftig, schwach, fadenförmig etc.) ist oftmals nicht möglich. Die körperliche Untersuchung des Adipösen ist häufig nur eingeschränkt möglich, aber dennoch sehr wertvoll und darf keinesfalls unterlassen werden. Besonders im Hinblick auf kardiovaskuläre Erkrankungen ist auf folgende Befunde zu achten:  obere Einflussstauung  periphere Ödeme  Herztöne und -geräusche  pulmonale Auskultationsbefunde  Hepatomegalie.


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Merke: Die körperliche Untersuchung bei adipösen Patienten kann stark erschwert sein, entscheidende Befunde können oft nicht erhoben werden. Der Anamnese im Zusammenhang mit einer klinischen Untersuchung kommt daher besondere Bedeutung zu.

7.2 Apparative Untersuchung Blutdruckmessung Eine wichtige präklinische Untersuchungsmethode ist die Blutdruckmessung, auskultatorisch wie auch palpatorisch. Unabdingbar für eine korrekte Messung ist die richtige Manschettengröße. Wird eine zu kleine Manschette gewählt oder sitzt diese nicht fest, werden falsch hohe Werte gemessen. Pro Umfangzunahme des Oberarms um 5 cm wird mit einer Standardmanschette der systolische Wert 2 – 5 mmHg und der diastolische Wert 1 – 3 mmHg höher gemessen als real vorhanden.

Merke: Bei der Wahl der Blutdruckmanschette muss auf die richtige Größe und einen festen Sitz geachtet werden, um korrekte Werte zu erhalten.

FOKUS – Korrekte Manschettengrößen  Oberarmumfang 24 – 32 cm → Manschettengröße 13 × 24 cm  Oberarmumfang 33 – 41 cm → Manschettengröße 15 × 30 cm


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 Oberarmumfang ≥ 42 cm → Manschettengröße 18 × 36 cm  Manschettenbreite: mindestens 40 % des Oberarmumfangs

EKG Die exakte Platzierung der EKG-Elektroden, insbesondere bei einer 12-Kanal-Ableitung, ist oft schwierig. Dennoch sollte auf eine möglichst genaue Platzierung geachtet werden. Wenn möglich, sollten die Elektroden in und nicht auf den Hautfalten aufgebracht werden. Nicht korrekt platzierte EKG-Elektroden können Fehldiagnosen im Sinne eines Übersehens von Pathologien ebenso wie falsch negative Befunde zur Folge haben. Veränderungen im EKG bei Adipositas:  Niedervoltage  Linksverlagerung der Herzachse, Linkstyp  Zeichen der linksventrikulären Hypertrophie  S-Persistenz  flache T-Wellen in den lateralen und inferioren Ableitungen  Herzrhythmusstörungen, am häufigsten Vorhofflimmern.

Merke: Bei Adipositas können typische Veränderungen im EKG auftreten.

Die typischen EKG-Veränderungen sind in die differenzialdiagnostischen Überlegungen mit einzubeziehen. So kann z.B. eine Niedervoltage eine typische Veränderung bei Adipositas oder aber ein Zeichen eines Perikardergusses sein.


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Pulsoxymetrie Die Pulsoxymetrie ist bei adipösen Patienten meist wenig beeinflusst. Aufgrund des vermehrten subkutanen Fettgewebes kann es vorkommen, dass ein Fingerclip nicht korrekt angebracht werden kann. In diesen Fällen empfiehlt sich die Messung am Ohr, für die jedoch spezielle Ohrclips verwendet werden sollten, da eine korrekte Messung mit Fingerclips am Ohr nicht sicher durchführbar ist.

Merke: Bei adipösen Patienten sollte die Sauerstoffsättigung mit einem speziellen Clip am Ohr gemessen werden.

Präklinische Sonografie Einige Rettungsmittel verfügen bereits über die Möglichkeit der präklinischen Sonografie. Sie wird zumeist als FAST (Focussed Assessment Sonography for Trauma) beim Traumapatienten durchgeführt und soll freie Flüssigkeit im Abdomen detektieren. Weitere Möglichkeiten sind z.B. die Diagnostik eines abdominellen Aortenaneurysmas oder einer Dissektion. In der präklinischen Notfallmedizin spielt die Sonografie aktuell noch eine untergeordnete Rolle, zumal die Untersuchungsergebnisse meist stark untersucherabhängig sind. Das Hauptproblem bei der Sonografie adipöser Patienten besteht darin, dass aufgrund der Dicke der mit dem Schallkopf zu durchdringenden Fettschicht die Untersuchungsqualität stark eingeschränkt ist, was bedeutet, dass keine verlässliche Aussage z.B. über freie Flüssigkeit im Abdomen oder zu einer Milz- oder Leberruptur getroffen werden kann.


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Merke: Die Sonografie bei Adipositas ist u.U. stark erschwert. Die Gefahr, falsch negative Befunde zu erheben, ist hoch.

FOKUS – Apparative Untersuchung  Bei der Messung des Blutdrucks muss auf die richtige Größe und den korrekten Sitz der Manschette geachtet werden.  Bei der EKG-Ableitung kommt es bei Adipositas zu typischen Veränderungen, die bekannt sein und beachtet werden sollten, um Fehldiagnosen zu vermeiden.  Die Sauerstoffsättigung sollte mit einem speziellen Sensor am Ohr gemessen werden.  Die Sonografie ist häufig erschwert und erfordert viel Erfahrung.

7.3 Traumaversorgung Adipöse Patienten mit einem schweren Trauma (Injury Severity Score, ISS > 16) haben im Vergleich zu Normalgewichtigen ein 2,52-fach höheres Risiko, an einem hämorrhagischen Schock zu versterben. Bei einem Schädel-Hirn-Trauma ist das Risiko zu versterben um das 3,09-Fache erhöht. Adipositas geht ebenfalls mit einem höheren Risiko für Organdysfunktionen und -versagen nach einem Trauma sowie einer verlängerten Behandlungs­dauer auf der Intensivstation und generell im Krankenhaus einher. Bei adipösen Traumapatienten sollte die Diagnostik auf mehreren Ebenen erfolgen. Zunächst ist der Unfallmechanismus entscheidend, erste Rückschlüsse auf etwaige Verletzungen können gezogen werden. So ist z.B. bei einem Auto ohne Airbag bei ei-


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ner erheblichen Deformation des Lenkrades auch ohne entsprechende Klinik von massiven Kopf-, Hals- und/oder Thoraxverletzungen auszugehen, da letztlich der aufprallende Körperteil die gleiche Gewalteinwirkung erfahren hat wie das Lenkrad. Allein diese Informationen reichen aus, um den Patienten in ein Traumazentrum zu transportieren. Aufgrund der Körpermasse ist bei Adipösen von einer höheren kinetischen Energie mit entsprechend großer Gewalteinwirkung und höherer Verletzungsschwere auszugehen. Bei einem Trauma muss mit einem gegenüber Normalgewichtigen veränderten Verletzungsmuster gerechnet werden. Ein Schädel-Hirn-Trauma kommt seltener vor, thorakale Verletzungen sind häufiger. Abdominelle Verletzungen sind bei Übergewichtigen (BMI 25 – 29,9), nicht jedoch bei adipösen Patienten (BMI ≥ 30) seltener, was auf den Schutz der Bauchorgane durch das vermehrte abdominelle Fett zurückzuführen ist, der auch als Cushion-Effekt (Kisseneffekt) bezeichnet wird.

Merke: Bei einem Trauma können aufgrund der Adipositas lebensbedrohliche Befunde oft nicht erhoben werden. Die Gefahr, die Verletzungsschwere geringer einzuschätzen, ist sehr hoch.

FOKUS – Traumaversorgung  Die körperliche Untersuchung ist aufgrund der Adipositas stark erschwert.  Anamnese und klinischer Beurteilung kommen besondere Bedeutung zu.  Die Verletzungsschwere kann ggf. unterschätzt werden.


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13 Rettungsdienstfahrzeuge der Freien und Hansestadt Hamburg 13.1 Bodengebundene Rettung Der Schwerlast-Rettungswagen (SRTW) In Hamburg wurden bis 2011 alle schwer übergewichtigen Patienten mit dem Großraum-Rettungswagen (GRTW) transportiert. Seit 2012 erfolgt der Transport mit dem neu angeschafften SRTW (Abb. 8). Seit der Bereitstellung beider Spezialrettungsdienstfahrzeuge werden Transporte innerhalb der Stadtgrenzen mit dem SRTW und überregionale Transporte mit dem GRTW abgewickelt. Technische Daten: Kofferaufbau: Vollaluminium-Wechselkoffermodul; Ladebordwand mit Klappgeländer (Abb. 9), klappbar; Maximalgewicht 1,5 t Masse (L × B × H [mm]): 6 600 × 2 550 × 3 050 Zulässiges Gesamtgewicht: 7 490 kg Leermasse: 6 555 kg Hubraum: 4 580 cm3 Leistung: 180 PS (132 kW) Funkausrüstung: 4 m analog & digital, 2 Handsprechfunkgeräte; Mobiltelefon mit Freisprecheinrichtung Zusatzausrüstung: • Zusatzheizung Fahrerhaus • Standheizung (7 kW) und Klimaanlage (4 kW) im Kofferaufbau • Gegensprechanlage zwischen Fahrerkabine und Patientenraum • Bildübertragung vom Patientenraum in Fahrerkabine


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Abb. 8  Der SRTW der Feuerwehr Hamburg (Foto: S. Kappus)

Abb. 9  Der SRTW in Heckansicht mit geöffneter Ladebordwand (Foto: S. Kappus)


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• Hänsch DBS 3000 LED Warnanlage • Luftfederung in der Hinterachse • Rückfahrkamera • Arbeits- und Umfeldbeleuchtung Seitenfächer: • Vakuummatratze XXL • Schleifkorbtrage XXL • Rettungsdienstrucksack/-koffer 2 • 3× Schutzhelm/Warnwesten Patienteninnenraum: • Länge: 4 400 mm • Breite: 2 400 mm • Höhe: 1 980 mm • Sitzplätze: 2 • Liegeplätze: 1. Ausstattung: Die Ausstattung gleicht der eines normalen Hamburger RTW. Die Besonderheiten liegen in der Größe des Patienteninnenraums sowie der Schwerlast-Liegemöglichkeiten und der Sonderausstattung mit Schleifkorbtrage (XXL) und Vakuummatratze (XXL). Es besteht die Möglichkeit, ein Schwerlast-Bett (bis 400 kg) oder eine Schwerlast-Krankentrage (bis 350 kg) zu montieren. Des Weiteren können Elektrorollstühle verlastet und gesichert werden. Einsatztaktisch wichtig ist, dass das Schwerlast-Bett standardmäßig zur Ausstattung des SRTW gehört (Abb. 10). Dies bietet dem Patienten wie auch den Helfern einen vergleichsweise hohen Komfort. Sollte aus einsatztaktischen Gründen die kleinere und wendigere Schwerlast-Krankentrage erforderlich sein (enge räumliche Verhältnisse, enger Fahrstuhl etc.), so sollte diese gezielt über die Leitstelle angefordert werden (Abb. 11).


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Abb. 10  Das Schwerlast-Bett im SRTW in gesicherter Posi­

tion (Foto: S. Kappus)

Abb. 11  Die Schwerlast-Trage im SRTW (Foto: S. Kappus)


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Das Schwerlast-Bett Das Schwerlast-Bett ist eine Sonderanfertigung für die Feuerwehr Hamburg. Je ein Bett steht für den SRTW und einen GRTW zur Verfügung. Mit diesem Spezialbett können Patienten bis zu einem Körpergewicht von 400 kg transportiert werden. Das Bett lässt sich in Länge und Breite dem Patienten anpassen. Das Spezialbett ist mit einer Wechseldruckmatratze ausgestattet, die eine Lagerung mit optimaler Druckverteilung erlaubt und unter Transportbedingungen eine optimale Lagerung zulässt. Zudem verhindert die Wechseldruckmatratze das Auftreten von Dekubiti besser als die Trage, besonders bei langen Transportzeiten. Um ein einfaches Handling unter Einsatzbedingungen zu gewährleisten, wurden zusätzlich Spezialrollen angebracht, die ein Manövrieren auf der Straße möglich machen (Abb. 12/13). Technische Daten: Liegefläche: • dreigeteilte Liegefläche • Matratzenabmessungen: Breite 90 – 120 cm, Länge 210 – 230 cm • Außenabmessungen: Breite 100 – 130 cm, Länge 235 – 255 cm • Die Liegefläche ist von 90 bis 120 cm elektrisch verstellbar. • Nennlast: 450 kg • Personengewicht: 400 kg. Bremse: Das Bett steht stabil auf 4 Beinen und verfügt über einen elektrischen Radlift. Zur besseren Manövrierbarkeit auf unebenem Gelände verfügt das Bett über Spezialrollen (Abb. 12/13). Allgemein: • elektronische Steuerung des gesamten Bettes möglich • richtungssteuernde Räder am Kopfende


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Merke: Die aufnehmende Klinik sollte so früh wie möglich über das Patientengewicht und die Diagnose informiert werden.

Bewertung des Patientenzustands (inkl. Abschätzen von Körpergewicht und -ausmaß)

Zeitintensives Anfordern von Spezialsystemen medizinisch vertretbar?

ja

nein schneller, improvisierter Transport

Umfeld beurteilen (Flur/Treppenhaus/Fahrstuhl nutzbar?)

nein Rückmeldung an Leitstelle – Spezialtrupps oder -gerätschaften anfordern (z.B. Höhenrettung) – mit Polizei das Freihalten der Anfahrtswege und Aufstellflächen für Großfahrzeuge koordinieren

ja Rückmeldung an Leitstelle – Notwendigkeit zusätzlicher Tragehilfen klären (Berufsfeuerwehr/ Freiwillige Feuerwehr)​ – Notwendigkeit von Spezialfahrzeugen (z.B. Großraum-RTW) klären

Auswahl und Anmeldung in der Zielklinik durch Rettungsleitstelle – Bereitstellung von Lagerungshilfen – Vorhalten von Spezialbetten – Möglichkeit der bildgebenden Diagnostik – Tragkraft der OP-Tische

Abb. 21  Einsatzalgorithmus (nach Kruska, Kappus, Kerner 2013)


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15 Ausgewählte Fallbeispiele Mit den folgenden Fallbeispielen aus der täglichen Praxis soll eine zeitgerechte und hochqualitative Versorgung von adipösen Patienten exemplarisch dargestellt werden. Unabhängig vom Krankheitsbild ist es, wie bei jedem anderen Einsatz auch, bei Rettungseinsätzen mit adipösen Patienten notwendig, die einzelnen Schritte der Rettung in Abstimmung mit den beteiligten Einsatzkräften vorausschauend zu planen und zu koordinieren. Nur so ist ein reibungsloser Einsatz möglich.

15.1 Herzinfarkt An einem Werktag um 5:12 Uhr morgens werden ein RTW und ein NEF mit der Meldung „Brustschmerz“ alarmiert. Die beiden Rettungsdienstfahrzeuge treffen nach einer Anfahrt von ca. 8 Minuten nahezu zeitgleich ein. Vor Ort in einem Mehrfamilienhaus finden sie im Schlafzimmer im zweiten Obergeschoss einen männlichen, ca. 55 Jahre alten Patienten vor. Dieser klagt über seit ca. 30 Minuten bestehende massive linksthorakale Schmerzen, die in den linken Arm ausstrahlen. Der Patient ist kaltschweißig, RR 90/60, Herzfrequenz 100/min, SpO2 80 %, Blutzucker 100 mg/dl. Im EKG zeigen sich eine Niedervoltage sowie ST-Strecken-Hebungen in I, aVL, V5, V6. Auskultatorisch sind sehr leise basal feinblasige Rasselgeräusche beidseits zu hören. Es wird die Diagnose „STEMI mit beginnendem kardiogenem Schock gestellt“. Auf genaueres Nachfragen nach dem zuletzt gemessenen Körpergewicht und der Einschätzung des Rettungsdienstpersonals wird gemeinsam das Gewicht des Patienten auf ca. 250 ± 20 kg geschätzt. Eine Rettung über das Treppenhaus ist aufgrund der Enge und der Kreislaufsituation mit einem Schwerlast-Tragetuch nicht möglich. Es wird zum Transport ein SRTW mit Schwerlast-Schleifkorbtrage über die Rettungsleitstelle alarmiert. Zusätzlich werden zur Rettung aus dem Obergeschoss der Umwelt-


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dienst mit Kranwagen und die Spezialeinsatzgruppe Höhenrettung nachgefordert. Zeitgleich wird die Leitstelle damit beauftragt, nach einer geeigneten Klinik zu suchen, die personell und technisch in der Lage ist, den Patienten zu versorgen und eine Koronarangiografie durchzuführen. Der Patient erhält Sauerstoff über eine Maske, 500 mg ASS i.v., 5 000 IE Heparin sowie bis zur Schmerzfreiheit titriert Morphin, zur Prophylaxe einer etwaigen Übelkeit erhält der Patient außerdem Ondansetron 8 mg i.v. Durch den Sauerstoff und die Medikation bessert sich die Symptomatik auf ein für den Patienten erträgliches Niveau. Nach der Erstversorgung und den parallelen Vorbereitungen durch die beteiligten Einsatzkräfte wird der Patient mit dem vorhandenen Toilettenstuhl an ein großes Fenster gefahren. Von dort wird der Patient mit der Schwerlast-Schleifkorbtrage und mit dem Teleskopmastfahrzeug (TMF) vor das Haus gehievt. Anschließend erfolgt der Transport mit dem SRTW in das Herzkatheterlabor des von der Rettungsleitstelle organisierten kardiologischen Zentrums.

15.2 Exazerbierte COPD An einem kalten Wintermorgen um 10:25 Uhr werden ein RTW und ein NEF zu einem Einfamilienhaus mit der Meldung „akute Dyspnoe“ gerufen. Nach einer Anfahrt von ca. 10 Minuten trifft das NEF am Einsatzort ein. Der RTW ist bereits vor Ort. Im Obergeschoss findet sich in einem Sessel sitzend ein übergewichtiger Patient. Der Patient hat stärkste Dyspnoe, eine zentrale Zyanose und wird gerade von der RTW-Besatzung mit Sauerstoff versorgt. Die erste O2-Sättigung ohne Sauerstoff sei bei 65 % gewesen. Während ein i.v. Zugang gelegt wird, werden die Anamnese und die Untersuchung vervollständigt. Der Patient habe seit zwei Tagen zunehmend Dyspnoe, Husten mit weißlichem Auswurf, sei zunehmend schlapp und müs-


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se viel schwitzen. Allergien seien keine bekannt. Mit der Lunge habe er öfters Probleme. Die Einsicht der Medikamentenliste deutet auf eine KHK, Hypertonie, Hyperlipidämie und eine COPD hin. Auskultatorisch ist beidseits eine leise Spastik zu hören. Die Herztöne sind kaum hörbar. Die peripheren Pulse sind kräftig. Der Patient wirkt sehr warm. Die Temperatur liegt bei 38,6 °C,

Abb. 22  Einsatz der Höhenretter der Feuerwehr Hamburg (Foto: Rüdiger Gaertner, mit freundlicher Genehmigung)

Abb. 23  Einsatz mit Kranfahrzeug und Lademulde (Foto: Rüdiger Gaertner, mit freundlicher Genehmigung)


Die Reihe stellt in Form kleiner Taschenbücher die Spezifika in der Versorgung besonderer Personengruppen durch das präklinische Fachpersonal dar. Dabei stehen je nach Personengruppe medizinische, tech­nische, taktische oder auch psychosoziale Informationen im Vordergrund. Fachwissen und Versorgungskonzepte werden durch konkrete Handlungsempfehlungen und Tipps für die Praxis abgerundet.

Band 1 stellt der häufig mangelnden Erfahrung mit extrem adipösen Patienten neu entwickelte Versorgungskonzepte gegenüber und stellt spezielle Rettungsfahrzeuge vor. Neben pathophysiologischen Veränderungen stehen Diagnostik, Pharmakologie, Gefäßzugang, Narkose, Traumaversorgung und Reanimation bei Adipösen im Mittelpunkt. Fallbeispiele zeigen die einsatztaktischen Herausforderungen bei der Rettung auf.

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Besondere Personengruppen im Rettungsdienst

Adipöse Patienten M. Faißt · M. Stuhr · S. Kappus · T. Kerner H. Karutz · S. Schröder (Hrsg.)

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Besondere Personengruppen im Rettungsdienst Band 1

ISBN 978-3-943174-49-6 · www.skverlag.de ISBN 978–3–943174–61–8

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