zeibeamte, Feuerwehrleute, Notärzte und Notfallseelsorger sind in ihren Berufen starken psychologischen und physiologischen Belastungen ausgesetzt. Nicht nur bei medial
beachteten Zugunglücken, Amokläufen, Geiselnahmen und
Frank Lasogga Harald Karutz
Explosionen, sondern wesentlich häufiger bei alltäglichen
Einsätzen werden sie mit schwierigen und unübersichtlichen
Situationen konfrontiert. Oftmals müssen sie dabei belastende Anblicke, das Leid und die Trauer anderer Menschen ertra-
gen oder auch körperliche Höchstleistungen erbringen. Diese
und viele weitere Belastungsfaktoren können zu unterschied-
lichen Folgen führen; sie reichen von leichten Schlafstörungen bis zur Alkoholabhängigkeit, von Konzentrationsschwierigkeiten bis zum Suizid.
Einsatzkräfte sind den Belastungen jedoch nicht ohnmächtig ausgeliefert. Sie können lernen, angemessen mit ihnen umzugehen. Das vorliegende Buch will dabei helfen. Es enthält
Frank Lasogga · Harald Karutz Hilfen für Helfer
Professionelle Helfer wie Rettungsdienstmitarbeiter, Poli-
zunächst eine systematische Beschreibung der möglichen Belastungen. Daran anschließend werden Moderatorvariablen aufgezeigt, die das Auftreten negativer Folgen verhindern
oder begünstigen können. Auch die möglichen Folgen werden thematisiert. Ausführliche Hinweise zur Prävention, zur Inter-
vention und zur Einsatznachsorge machen das Buch für jeden professionellen Helfer zu einem wichtigen Nachschlagewerk.
Frank Lasogga · Harald Karutz
Hilfen für Helfer
Belastungen – Folgen – Unterstützung
Hilfen für Helfer
Belastungen – Folgen – Unterstützung
2., überarbeitete Auflage 2., überarbeitete Auflage isbn 978 – 3 – 943174 – 05 – 2
www.skverlag.de
Hilfen für Helfer Belastungen – Folgen – Unterstützung Frank Lasogga / Harald Karutz
2., überarbeitete Auflage
Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2012
Anschriften der Verfasser Prof. Dr. Frank Lasogga TU Dortmund Fakultät 14 – Institut für Psychologie Emil-Figge-Str. 50 44221 Dortmund E-Mail: frank.lasogga@tu-dortmund.de
Dr. Harald Karutz Notfallpädagogisches Institut Müller-Breslau-Str. 30a 45130 Essen E-Mail: karutz@notfallpaedagogik.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
© Copyright by Verlagsgesellschaft Stumpf und Kossendey mbH, Edewecht 2012 Druck: M. P. Media-Print Informationstechnologie GmbH, 33100 Paderborn Umschlagfoto: H. Karutz; Umschlaggrafik: J. Pesch ISBN 978-3-943174-05-2
Hilfen für Helfer
Inhaltsverzeichnis Einleitung
11
1 Belastungen durch Einsätze
14
1.1 Einsatzbeginn
” ” ” ” ”
Alarmierung Anfahrtsweg Zeitdruck Unfallrisiko Vorbereitung
” ” ” ” ” ” ” ”
Alltägliches Einsatzgeschehen Besonders belastende Einsätze Fehleinsätze Wissen um mangelnde Kompetenz Anspruchsdenken, Verantwortung Aufwand Dauer Besondere Gefahren
” ” ” ” ”
Eintreffen am Einsatzort Rahmenbedingungen Anwesende Personen Sensorische Empfindungen Kontrollverlust, Hilflosigkeit
” ”
Fehler Mangelndes Feedback über Betroffene
” ” ” ”
Großschadensereignisse Auslandseinsätze Leitstellendisponenten Psychosoziale Notfallhelfer
15 15 17 18 18 19
1.2 Art des Einsatzes
20
1.3 Situation vor Ort
32
1.4 Einsatzabschluss
52
1.5 Spezielle Einsätze und Personengruppen
54
20 21 22 23 24 25 26 26 32 34 39 51 51 52 54
54 55 56 58
5
6
Hilfen für Helfer
2 Moderatorvariablen
2.1 Biologische Moderatorvariablen
” ” ”
Alter Geschlecht Konstitution
” ” ” ” ”
Dienstalter Finanzielle Situation Familiäre Situation Soziale Ressourcen Weitere Faktoren
” ”
”
Emotionale Stabilität Kontrollüberzeugung, Selbstwirksamkeitserwartung Kohärenzerleben Hardiness Resilienz Coping-Strategien Einstellung zum Beruf und Arbeitszufriedenheit Humor
” ” ” ” ” ” ” ” ” ” ”
Ausstattung Aus- und Fortbildung Dienstplangestaltung, Schichtdienst Organisationskultur Vorgesetzte Kollegen Zusammenarbeit mit anderen Organisationen Wachalltag Arbeit der Leitstellen Ansehen in der Öffentlichkeit Übrige Arbeitsbedingungen
59
60 60 61 61
2.2 Soziografische Moderatorvariablen
63
2.3 Psychologische Moderatorvariablen
66
” ” ” ” ”
2.4 Organisatorische Moderatorvariablen
63 64 64 64 65 66 67 68 68 68 69 70 72
73
74 76 79 80 81 84 86 89 92 93 95
Hilfen für Helfer 2.5 Situative Variablen
96
3 Folgen
98
” ”
Einsatzverlauf Ausgang
96 97
3.1 Kurzfristige Folgen 98 3.2 Mittel- und langfristige Folgen 99 3.3 Anzeichen für eine starke Belastung 102 3.4 Akute und posttraumatische Belastungsstörung 105 3.5 Positive Folgen 110
4 Prävention
4.1 Die Notwendigkeit von Prävention 4.2 Möglichkeiten und Arten von Prävention und Intervention
” ”
Personelle und institutionelle Prävention Primäre, sekundäre, tertiäre Prävention
” ” ” ” ” ” ” ” ”
Personalauswahl Aus- und Fortbildung Teamzusammensetzung Organisationsentwicklungsmaßnahmen Dienstplan, Schichtdienst Aktive Pflege der Gemeinschaft Betriebliches Gesundheitsmanagement Freizeitgestaltung Entspannungstechniken
114
114 116
116 118
4.3 Primäre Prävention
118
5 Intervention
133
119 122 125 126 127 128 129 130 131
5.1 Interventionsmaßnahmen während der Anfahrt 133
” ” ” ”
Bewertung von Stress Mentale Vorbereitung Hoffnung auf Erfolg Zeitliche Grenzen vor Augen führen
133 134 135 135
7
8
Hilfen für Helfer 5.2 Interventionsmaßnahmen während des Einsatzes vor Ort
136
6 Nachsorge
143
” ” ” ” ” ” ”
Eigene Befindlichkeit prüfen Konzentration auf einzelne Maßnahmen Kurze Unterbrechung Selbstinstruktion Kollegen um Unterstützung bitten Thematisieren der Situation Ablösung
6.1 Individuelle, informelle Nachsorge
” ” ” ”
Gespräche Rituale Ablenkung, Aktivitäten Informationen über den Zustand des Opfers einholen ” Analyse der belastenden Gedanken
6.2 Institutionelle, organisierte Nachsorge
” ”
” ” ” ” ”
Supervision Nachbesprechung bei besonders belastenden Einsätzen (Debriefing) CISM Anti-Stress-Trainings Organisationen Qualitätsstandards Therapie
7 Diskussion
” ” ”
Forschungsstand Begriff »Belastungen« Einseitigkeit der Darstellung
136 137 138 139 139 140 141
145 145 147 147
148 149
150 150
152 155 158 160 166 166
170
170 171 172
Hilfen f체r Helfer
Regeln f체r Einsatzkr채fte
173
Nachwort
175
Literatur
176
Autoren
189
9
Hilfen für Helfer
Einleitung Dass auch professionelle Helfer wie zum Beispiel Rettungsdienstmitarbeiter, Polizeibeamte, Feuerwehrleute, Notärzte und Notfallseelsorger in ihren Berufen starken Belastungen ausgesetzt sind, wurde früher kaum beachtet. Erst in den letzten Jahren wird die psychische Situation von Einsatzkräften deutlich wahrgenommen, und zwar sowohl in den eigenen Reihen als auch in der Öffentlichkeit. So wird in den Medien beispielsweise immer wieder darauf hingewiesen, dass Helfer psychologisch betreut werden müssen. Helfer sind allerdings nicht nur bei schweren, medienwirksamen Einsätzen wie Zugunglücken, Amokläufen, Geiselnahmen, Großbränden und Explosionen körperlichen und psychologischen Belastungen ausgesetzt, sondern wesentlich häufiger durch die alltägliche Arbeit. So ereignen sich jährlich 300.000 bis 400.000 Unfälle mit Personenschaden. Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2010 verzeichnet neben 2.218 Tötungsdelikten sowie 142.903 gefährlichen und schweren Körperverletzungen unter anderem auch 2.301.786 Diebstähle, 968.162 Betrugsfälle und 700.801 Sachbeschädigungen (Bundesministerium des Innern 2011). In der Einsatzstatistik der Berufsfeuerwehren für das Jahr 2009 machen 198 Katastrophenalarme lediglich 0,007% des Gesamteinsatzaufkommens aus. Ihnen stehen 52.443 Klein- und 3.790 Mittelbrände gegenüber (Deutscher Feuerwehrverband 2011). Aber auch bei derartigen Einsätzen sind Helfer mannigfaltigen Belas tungen ausgesetzt, die unterschiedliche Folgen haben können. Insofern arbeiten Helfer immer in einem Grenzbereich. Dass diese alltägliche Belastung der Helfer gesehen wird, ist sehr positiv zu bewerten. Allerdings entsteht zuweilen der Eindruck, dass die Belastungen der Helfer fast schon überbetont werden. Bei Presseberichten, beispielsweise
11
12
Hilfen für Helfer über das Zugunglück in Eschede oder den Anschlag auf das World Trade Center, schien manchmal die Hilfe für die Helfer gegenüber der Hilfe für die Opfer zu dominieren. Auch das Bundesinnenministerium finanziert Forschungsprojekte zur psychologischen Hilfe für Einsatzkräfte, aber keine zur psychologischen Hilfe für unmittelbare Notfallopfer. Wenn man manche Medienberichte verfolgt oder einige Artikel in Fachzeitschriften liest, könnte man heute fast zu dem Eindruck gelangen, dass – überspitzt formuliert – ganze Löschzugbesatzungen, Dienstgruppen oder Einsatzeinheiten unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden, alkoholkrank oder höchst suizidgefährdet sind und in eine Psychotherapie müssten. Das ist natürlich Unsinn und trifft nicht zu! Die Folgen von Belastungen fallen vielmehr sehr unterschiedlich aus. Ob die Belastungen zu negativen, keinen oder positiven Folgeerscheinungen führen, liegt auch in der Hand der Helfer selbst. Sie sind den Belastungen nicht hilflos ausgeliefert, sondern können angemessen mit ihnen umgehen, sodass es möglich ist, Folgeschäden häufig zu beeinflussen. Das vorliegende Buch stellt in Kapitel 1 eine systematische Übersicht über die Belastungen dar. Daran anschließend werden in Kapitel 2 Moderatorvariablen aufgezeigt, die das Auftreten negativer Folgen verhindern oder begünstigen können. Die Folgen, die durch die Belastungen und die alltägliche Arbeit auftreten können, werden in Kapitel 3 thematisiert. Hinweise und konkrete Tipps zur Prävention, zur Intervention und zur Einsatznachsorge schließen sich in den Kapiteln 4, 5 und 6 an. Wenn von »Helfern« oder »Einsatzkräften« gesprochen wird, so sind damit sämtliche professionellen Helfer gemeint wie Polizeibeamte, Feuerwehrleute, Notärzte, Rettungsdienstmitarbeiter bzw. Mitarbeiter der Hilfsorganisationen sowie Mitarbeiter des Technischen Hilfswerkes
Hilfen für Helfer (THW), und zwar unabhängig davon, ob diese haupt- oder ehrenamtlich tätig sind. Nicht gemeint sind Laienhelfer. Der Personenkreis, dem geholfen wird, wird als »Patient«, »Opfer«, »Hilfesuchender« oder auch als »Klientel« oder »Kundschaft« bezeichnet. Synonym werden auch die Worte »Einsatzort«, »Einsatzstelle« und »Notfallort« verwendet.
13
98
Hilfen für Helfer ” 3 Folgen
3 Folgen Schaut man sich die große Anzahl von möglichen Belas tungen und Moderatorvariablen an und stellt sich die mög lichen Kombinationen vor und dann noch deren unter schiedliche Ausprägungen, ist es nicht erstaunlich, dass die Folgen der alltäglichen Arbeit und auch der Belastungen durch bestimmte Einsätze sowohl kurzfristig als auch lang fristig völlig unterschiedlich ausfallen. Nicht nur starke interindividuelle Unterschiede, also Unterschiede zwi schen den einzelnen Personen, sind zu verzeichnen, sondern auch intraindividuelle Schwankungen: Die Reaktionen fal len nicht an allen Tagen gleich aus. Aber es treten nicht nur Schwankungen an unterschiedlichen Tagen auf, sondern auch Schwankungen bei bestimmten Einsätzen. Wenn ein Helfer beispielsweise durch einen Einsatz an einen belas tenden Einsatz erinnert wird, können sehr heftige Reakti onen auftreten.
3.1 Kurzfristige Folgen Kurzfristige Folgen sind unmittelbar nach einem Einsatz zu beobachten und dauern nur wenige Minuten oder Stunden an. Sie treten mehr oder weniger stark ausgeprägt bei sehr vielen Helfern auf, wenn ein Einsatz außerhalb der alltäg lichen Routine liegt. Folgende Reaktionen werden häufig genannt:
” ”
Die Aufregung aus dem Einsatzgeschehen dauert einige Zeit an, man kommt innerlich nicht sofort wieder zur Ruhe. Man hat einen Aktivitätsüberschuss, beginnt z. B. unmittelbar nach einem Einsatz, den Aufent haltsraum der Wache aufzuräumen.
Hilfen für Helfer ” 3 Folgen
” ” ” ” ” ”
Eine starke emotionale Anspannung entlädt sich in einem spontanen Wutausbruch oder durch Weinen. Man ist übertrieben lustig oder wirkt aufgedreht. Es ist ein auffallender Rededrang spürbar, man spricht plötzlich und vorübergehend viel mehr als sonst. Es macht sich ein kurzzeitig anhaltender Erschöp fungszustand bemerkbar. Nach einem nächtlichen Einsatz gelingt es nicht, sofort wieder einzuschlafen. Nach einem belastenden Einsatz findet man kaum Schlaf.
Solange die Folgen nach einiger Zeit von selbst wieder abklingen und nicht zu einer stärkeren Beeinträchtigung führen, müssen sie nicht beunruhigen und brauchen nicht weiter beachtet zu werden. Es handelt sich um normale Reaktionen auf das Erleben von außergewöhnlichen Ereig nissen.
3.2 Mittel- und langfristige Folgen Befragt man Helfer, die häufig mit Notfallsituationen kon frontiert werden, oder sichtet Literatur nach den Auswir kungen von Belastungen, folgt ein ganzer Katalog psy chischer und gesundheitlicher Folgen. Die genannten Folgeerscheinungen sind äußerst vielfältig. Dies gilt für sämtliche Helfergruppen: Notärzte, Polizeibeamte, Feuer wehrleute, Rettungsdienstmitarbeiter etc. Fasst man alle bekannten Untersuchungen zusammen, können sich Fol geerscheinungen in folgenden Bereichen zeigen (Lasogga & Gasch 2004):
99
100
Hilfen für Helfer ” 3 Folgen Emotionale Belastungsfolgen ” Angst, ” Gefühlskälte, ” Desinteresse, Abgestumpftheit, Gleichgültigkeit, ” Depression, Antriebslosigkeit, Unlustgefühle, ” Reizbarkeit, ” Nervosität, ” Gefühl der Überlastung, ” Hoffnungslosigkeit, ” Schuldgefühle, ” Aggressionen, ” zunehmende Empfindsamkeit, ” verringerte Empathie, ” Anpassungsstörung, ” Akute Belastungsstörung, Posttraumatische Belastungsstörung. Kognitive Belastungsfolgen nicht abschalten können, Konzentrationsstörungen, Zweifel an der eigenen Arbeit, Veränderung von Wertvorstellungen, Demotivation.
” ” ” ” ”
Körperliche Belastungsfolgen ” Müdigkeit, Erschöpfung, ” Schlafstörungen, ” Verspannungen, ” Kopf- und Rückenschmerzen, ” Magenschmerzen, Magengeschwüre, ” Verdauungsprobleme, ” Herzbeschwerden, ” sexuelle Probleme,
Hilfen für Helfer ” 3 Folgen
” ”
sonstige psycho-somatische Beschwerden, häufigere Erkrankungen.
Verhaltensbezogene Belastungsfolgen Konflikte mit Kollegen und Familie, sozialer Rückzug, z. B. aus dem Freundeskreis, vermehrter Alkohol-, Medikamenten- und Ziga rettenkonsum, ” verändertes Essverhalten, Appetitverlust, ” unorganisiertes Handeln, ” schlechterer Umgang mit seiner Klientel, ” Suizid(-versuch).
” ” ”
Wie ersichtlich ist, bleibt nahezu kein Bereich von nega tiven Folgeerscheinungen ausgeschlossen. Dies entspricht der Realität beim Durchschnitt der Bevölkerung: Auf Belas tungen reagieren Menschen mit sehr unterschiedlichen Folgeerscheinungen, so eben auch die professionellen Hel fer. Allerdings sollte angesichts dieser Aufzählung nicht davon ausgegangen werden, dass sämtliche Helfer an einer oder mehrerer dieser Störungen leiden. Vielmehr verhält es sich so, dass viele Helfer auch nach stark belastenden Ereig nissen keinerlei negative Folgeerscheinungen entwickeln (Krämer 2010). Allgemeine negative Folgeerscheinungen, die mit Ermü dung und Frustration verbunden sind, werden teilweise unter dem Begriff »Burnout« zusammengefasst. Problematisch ist, dass der Begriff unscharf ist und ein ganzes Sammelsurium von Einstellungen und Verhaltensweisen umfasst. Eine ein deutige Begriffsklärung liegt nicht vor. In den beiden großen Diagnoseverzeichnissen DSM IV-TR und ICD 10, in denen Hunderte von Störungen verzeichnet und exakt beschrieben sind, kommt auch keine Burnout-Störung vor.
101
102
Hilfen für Helfer ” 3 Folgen »Burnout« klingt nach einer wissenschaftlichen Dia gnose, obwohl es oft nur eine diffuse Beschreibung der Befindlichkeit darstellt. Es entsteht auch der Eindruck, das es sich bei dem Begriff »Burnout« und der Erforschung dieses Phänomens ebenfalls um eines der »Modethemen« handelt, die zeitweise eine große Rolle spielen und die nach einiger Zeit wieder mehr oder minder aus der Forschung verschwinden. Des Weiteren hat der Begriff »Burnout« eine positive Konnotation: man hat einmal »gebrannt«, war äußerst engagiert, nun ist man »ausgebrannt«. Wenn aber über eine Einsatzkraft gesagt würde: Er hat eine »Depres sion« oder eine »Anpassungsstörung«, hat dies eine nega tive Nebenbedeutung. Schließlich handelt es sich bei Per sonen, die an Burnout leiden, aber letztendlich vielfach um Personen, die eine depressive Störung oder eine Anpas sungsstörung haben. Damit es keine Missverständnisse gibt: Sicherlich lei den Einsatzkräfte (wie auch andere Berufsgruppen) unter den Belastungen durch Einsätze, durch Extremsituationen sowie unter bestimmten Moderatorvariablen, und dies kann negative Folgen haben. Dies soll auch nicht bagatelli siert werden. Einsatzkräfte sollten aber auch nicht patholo gisiert werden, und nicht jedem Modethema muss gefolgt werden. Ferner sollte auch nicht vergessen werden, dass Einsatzkräfte auch selbst Verantwortung für ihre Befind lichkeit und den Umgang mit Belastungen tragen.
3.3 Anzeichen für eine starke Belastung Die Folgen von Belastungen entwickeln sich meist langsam und schleichend und bleiben häufig zunächst unbemerkt. Helfer selbst erkennen oft erst (zu) spät, dass sie durch die alltägliche Arbeit und/oder durch bestimmte Einsätze stark
Hilfen für Helfer ” 3 Folgen belastet sind, sich überfordert fühlen und eine Intervention notwendig wäre. Auch für Vorgesetzte und Kollegen ist es nicht einfach festzustellen, wie belastet Einsatzkräfte sind. So sagte ein Rettungsdienstmitarbeiter nach einem Ein satz für sämtliche Kollegen völlig überraschend: »Ich habe keinen Bock mehr, ich höre auf.« Eindeutige Kriterien für eine Überlastung und die Notwendigkeit einer bestimmten Intervention liegen nicht vor. Im Folgenden ist eine Auflistung mit möglichen Anzei chen für eine Überlastung zu finden. Diese basiert aller dings nur auf den Erfahrungen der Autoren. Zunächst sind Anzeichen aufgeführt, die relativ häufig auftreten, und am Ende der Auflistung Anzeichen, die eher selten auftreten. Gereiztheit Die Nerven eines Mitarbeiters »liegen blank«. Ein Mitarbeiter geht schon bei Kleinigkeiten häu figer »an die Decke«. ” Ein Mitarbeiter fühlt sich rasch angegriffen oder bedroht. ” Ein Mitarbeiter ist ständig unruhig und nervös. Wut, Aggressivität ” Ein Mitarbeiter brüllt häufig herum. ” Ein Mitarbeiter tritt häufiger wütend vor Wände oder Türen. ” Ein Mitarbeiter schlägt die Türen von Einsatzfahr zeugen extrem heftig zu. ” Ein Mitarbeiter geht auffallend unachtsam mit Einrichtungs- und Ausrüstungsgegenständen um und verursacht häufigere Beschädigungen, evtl. zerstört er Einrichtungs- oder Ausrüstungsgegen stände absichtlich.
” ”
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Hilfen für Helfer ” 3 Folgen
”
Ein Mitarbeiter geht auffallend »ruppig« mit Pati enten um.
Sarkasmus, Zynismus Ein Mitarbeiter äußert sich in sarkastischer oder zynischer Weise über Einsätze, Kollegen oder Pati enten. ” Ein Mitarbeiter zeigt kein empathisches (einfüh lendes) Verhalten mehr.
”
Desinteresse Ein Mitarbeiter interessiert sich nicht mehr für die Einsatzerfahrungen seiner Kollegen. ” Ein Mitarbeiter erscheint häufiger verspätet zum Dienst. ” Ein Mitarbeiter meldet sich häufiger krank. ” Ein Mitarbeiter besucht keine Fortbildungsveran staltungen mehr. ” Ein Mitarbeiter begibt sich nach der Alarmierung nur widerwillig zum Einsatzfahrzeug. ” Ein Mitarbeiter verrichtet seine Arbeit auffallend unaufmerksam und macht häufiger Fehler. ” Ein Mitarbeiter scheint extrem »abgestumpft« zu sein.
”
Sozialer Rückzug Ein Mitarbeiter nimmt an Gemeinschaftsveran staltungen nicht mehr teil. ” Ein Mitarbeiter vermeidet Gespräche oder sons tigen Kontakt zu Kollegen.
”
Depressives Verhalten ” Ein Mitarbeiter scheint häufig traurig zu sein oder weint häufiger.
Hilfen für Helfer ” 5 Intervention
5 Intervention Die oben angeführten Methoden dienen dazu, vor einem Einsatz dafür zu sorgen, dass Belastungen nicht zu negativen Folgewirkungen führen. Auch während des Einsatzes empfehlen sich einige Verhaltensweisen und Methoden, die dazu beitragen, eine überstarke Erregung zu reduzieren und angemessen mit Belastungen umzugehen. Diese Techniken können die Einsatzkräfte selbst anwenden, teilweise unter Einbezug von Kollegen.
5.1 Interventionsmassnahmen während der Anfahrt
”
Bewertung von Stress
Viele Helfer beklagen sich über Stress vor und während des Einsatzes. Selbst erfahrene Kollegen geben zu, dass sie gelegentlich bei schwierigen Situationen z. B. zu zittern anfangen (Sefrin 2001). Stress ist grundsätzlich allerdings nicht als negativ zu bewerten. Er stellt beim Einsatz eine normale Reaktion dar. Ein gewisses Ausmaß ist sogar erforderlich, um eine optimale Leistung zu erbringen. Wenn eine schwierige Aufgabe zu entspannt angegangen wird, führt dies zu einer schlechteren Leistung. Ein mittlerer Grad an Anspannung ist für viele Leistungen optimal (Yerkes-Dodson-Gesetz). Erst bei zu starkem Stress verschlechtert sich die Leistung wieder. Sollten Helfer also generell Stress als schädlich ansehen, so wäre zu raten, mit Hilfe eines kompetenten Gesprächspartners eine Neubewertung des Phänomens (refraiming) für sich vorzunehmen.
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Hilfen für Helfer ” 5 Intervention
Tipp! ˇ Stress an sich sollte nicht beunruhigen. ˇ Ein mittleres Ausmaß an Stress ist optimal.
”
Mentale Vorbereitung
Zur mentalen Vorbereitung gehört, sich die zur Verfügung stehenden Ressourcen noch einmal bewusst zu machen, wobei nicht nur die fachlichen Fähigkeiten, sondern auch protektive Faktoren gemeint sind. Dies kann die Schutzkleidung, eine kugelsichere Weste oder ein Schutzhelm sein. Hilfreich ist auch, sich noch einmal klar zu machen, dass man zuverlässige Kollegen an seiner Seite hat. Mentale Vorbereitung kann zudem bedeuten, sich die eigene Funktion und die eigenen Aufgaben in einem bevorstehenden Einsatz nochmals zu verdeutlichen und sich über die eigene Einsatzbereitschaft zu vergewissern. Manchmal ist es auch hilfreich, die voraussichtlich notwendigen Maßnamen gedanklich Schritt für Schritt durchzugehen. Dabei sollte man sich auf eine kleine Zahl von standardisierten, formalisierten Regeln oder Handlungsabläufen konzentrieren. Diese Handlungsabläufe können dann in Gedanken noch einmal wiederholt werden, z. B. die bekannte ABCD-Regel (»Atemwege – Bewusstsein – Circulation – Drogen«). Auch könnte man sich nochmals an die Regeln zur Psychischen Ersten Hilfe erinnern (Lasogga & Gasch 2006).
Hilfen für Helfer ” 5 Intervention
Tipp! ˇ Führen Sie sich Ihre Ressourcen noch einmal vor Augen (Schutzkleidung, Kollegen etc.). ˇ Gehen Sie Ihre Aufgaben durch. ˇ Konzentrieren Sie sich auf einige standardisierte Regeln.
”
Hoffnung auf Erfolg
Eine grundsätzlich positive Einstellung ist für die Arbeit von Vorteil: Hoffnung auf Erfolg führt eher zu adäquaten Verhaltensweisen als Furcht vor Misserfolg. Dementsprechend sollte bei der Fahrt zum Notfallort eine Einstellung vorhanden sein etwa in dem Sinne: »Wir werden auf alle Fälle irgendwie helfen können!« und »Ich bin gut ausgebildet!«. Negativ auf die Leistung wirkt sich Furcht vor Misserfolg aus etwa in dem Sinn: »Hoffentlich passiert mir kein Fehler!«. Das Rettungsteam kann sich dabei durch kleine Bemerkungen wechselseitig günstig beeinflussen. Auch die Erinnerung an erfolgreich bewältigte Stress- und Belas tungssituationen ist in diesem Sinne hilfreich.
”
Zeitliche Grenzen vor Augen führen
Häufig ist es hilfreich, sich schon im Voraus bewusst zu machen, dass ein bevorstehender Einsatz nicht unendlich andauern wird. Nach einem überschaubaren Zeitraum ist er in der Regel beendet. Ein üblicher Einsatz des Rettungsdienstes dauert beispielsweise von der Alarmierung bis zum Wiederherstellen der Einsatzbereitschaft nur selten länger als zwei Stunden.
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Hilfen für Helfer ” 5 Intervention Ausnahmen stellen Einsätze dar, bei denen aufwendige Rettungsarbeiten notwendig sind. Auch Großschadensereignisse oder Geiselnahmen können deutlich länger dauern, aber auch sie sind zeitlich begrenzt. Außerdem werden die Einsatzkräfte ohnehin nach einigen Stunden abgelöst.
Tipp! ˇ Führen Sie sich vor Augen, dass der Einsatz zeitlich begrenzt ist. ˇ Sagen Sie sich: »Spätestens in zwei Stunden ist der Einsatz beendet.«
5.2 Interventionsmassnahmen während des Einsatzes vor Ort Sollte ein Helfer während des Einsatzes spüren, dass er zusehends nervöser wird, bieten sich einige Möglichkeiten an, damit umzugehen. Sie sind im Folgenden dargestellt. Die Anforderung von anderen Personen (psychosoziale Unterstützung, siehe unten) ist in der Regel zunächst nicht notwendig.
”
Eigene Befindlichkeit prüfen
Einige Situationen führen zu besonders starkem Stress. So steigt z. B. die Fehlerrate bei Aufgaben um das Siebzehnfache durch den Faktor »Neuigkeit einer Aufgabe«, um das Elffache durch »Zeitknappheit«, um das Sechsfache durch »zu viele Informationen«, um das Vierfache durch »falsche Risikoeinschätzungen«. Bei diesen Situationen sollte der eigene Stress besonders beachtet werden (Lippay 1999). Hinweise für das Erreichen der Belastungsgrenze bei sich selbst (und bei anderen) können sein (Lippay 1999):
Hilfen für Helfer ” 5 Intervention
” ” ” ” ” ” ” ” ” ” ” ” ”
schnelle, hohe Stimme, hastiges Sprechen, angespanntes Sitzen, schnelles Atmen, Schweißausbrüche, Herzrasen, trockener Mund, gerötete Hautfarbe, zusammengebissene Zähne bzw. Zähneknirschen, Tunnelblick, Schwierigkeiten, einen Gedanken zu fassen, Dominieren von Nebensächlichkeiten, Übergehen von festgelegten Algorithmen und Standards.
Tipp! ˇ Beachten Sie Ihre eigene Befindlichkeit. ˇ Führen Sie bei bestimmten Belastungssignalen die im Folgenden vorgestellten Verhaltensweisen durch.
”
Konzentration auf einzelne Maßnahmen
Sofern ein Helfer feststellt, dass ihm die weitere Ausübung seiner Arbeit nicht so routiniert wie sonst möglich ist, kann es hilfreich sein, sich einige Sekunden lang nur auf die Durchführung einer einzelnen Routinetätigkeit zu konzentrieren und das übrige Geschehen vorübergehend auszublenden. Manchmal lässt sich die eigene Handlungsfähigkeit auf diese Weise zurückgewinnen. Während man die Gabe einer Infusionslösung vorbereitet oder eine Spritze aufzieht, könnte man beispielsweise für einen kurzen Augenblick lang »durchatmen« und versuchen, seine
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zeibeamte, Feuerwehrleute, Notärzte und Notfallseelsorger sind in ihren Berufen starken psychologischen und physiologischen Belastungen ausgesetzt. Nicht nur bei medial
beachteten Zugunglücken, Amokläufen, Geiselnahmen und
Frank Lasogga Harald Karutz
Explosionen, sondern wesentlich häufiger bei alltäglichen
Einsätzen werden sie mit schwierigen und unübersichtlichen
Situationen konfrontiert. Oftmals müssen sie dabei belastende Anblicke, das Leid und die Trauer anderer Menschen ertra-
gen oder auch körperliche Höchstleistungen erbringen. Diese
und viele weitere Belastungsfaktoren können zu unterschied-
lichen Folgen führen; sie reichen von leichten Schlafstörungen bis zur Alkoholabhängigkeit, von Konzentrationsschwierigkeiten bis zum Suizid.
Einsatzkräfte sind den Belastungen jedoch nicht ohnmächtig ausgeliefert. Sie können lernen, angemessen mit ihnen umzugehen. Das vorliegende Buch will dabei helfen. Es enthält
Frank Lasogga · Harald Karutz Hilfen für Helfer
Professionelle Helfer wie Rettungsdienstmitarbeiter, Poli-
zunächst eine systematische Beschreibung der möglichen Belastungen. Daran anschließend werden Moderatorvariablen aufgezeigt, die das Auftreten negativer Folgen verhindern
oder begünstigen können. Auch die möglichen Folgen werden thematisiert. Ausführliche Hinweise zur Prävention, zur Inter-
vention und zur Einsatznachsorge machen das Buch für jeden professionellen Helfer zu einem wichtigen Nachschlagewerk.
Frank Lasogga · Harald Karutz
Hilfen für Helfer
Belastungen – Folgen – Unterstützung
Hilfen für Helfer
Belastungen – Folgen – Unterstützung
2., überarbeitete Auflage 2., überarbeitete Auflage isbn 978 – 3 – 943174 – 05 – 2
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