FFCGN—Die Macht der Bilder Vol. 4

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Die Macht der Bilder

Die Macht der Bilder

Portraits Best of NRW

Sound & Vision Stories for Change

Udo is Love Statements

Die Macht der Bilder Vol. 4

Die Macht der Bilder

Vol. 4

Ein pulsierender roter Punkt. Fluide Kreise, die sich konzentrisch ausbreiten, sanft über alles Bekannte hinüberschwappen und allem eine neue Struktur geben – ein starkes Symbol für die unaufhaltsame Kraft guter Ideen. Oder guter Filme, oder guter Gespräche. Oder guter Musik. Alles Inhalte, mit denen wir uns beim FILM FESTIVAL COLOGNE und in diesem Buch beschäftigen dürfen.

Unser diesjähriges Key Visual, wieder entwickelt von unserem Art Director Holger Risse, steht auch dafür, wie sich die Dinge gegenseitig durchdringen. Wie Kunst in die Gesellschaft hineinwirkt, wie Grenzen verschwimmen und sich auflösen. Mensch oder Maschine? Geschlechter, Gewissheiten, alte Denkmuster ... Wo ist Anfang, wo Ende? Es ist ein dynamischer Prozess, in dem wir alle uns befinden, der mit weit rasanterem Tempo voranschreitet, als wir uns das je hätten träumen lassen.

Huch. Angst? Nein, unser Herz schlägt ja. Auch das ist der rote Punkt in der Mitte: der Herzschlag unserer modernen Kultur. Kraftvoll, wärmend, Leben verbreitend.

Der Punkt strahlt aus und fängt gleichzeitig Impulse ein, ein Sinnbild für den fortwährenden Austausch von Mensch und Maschine und dem Weg in eine neue Zeit.

Willkommen bei DIE MACHT DER BILDER VOL 4. Gemeinsam mit unserem kreativen Partner Slanted haben wir ein Best-of aus der Welt der bewegten Bilder und all dem, womit wir uns im

letzten Jahr beschäftigt haben, kuratiert. Kurze Texte, lange Texte, Steine des Anstoßes, die Wellen erzeugen, hoffentlich. Die nachwirken, weiter pulsieren.

Wir haben keine finalen Antworten, aber wir kennen die Themen. Von der Erforschung der menschlichen Identität und sozialer Gerechtigkeit bis hin zu Visionen für das Zusammenleben –unsere Autor:innen und Interviewpartner:innen nehmen dich mit auf eine Reise durch die dynamische Wechselwirkung von Erzählkunst und gesellschaftlichem Wandel.

Der pulsierende Punkt, das ist auch die konstante Bewegung und der Wandel, den wir durch Filme erleben. Wie gelingt es, eine neue vernetzte Gesellschaft zu gestalten, in der Schichten und Kreise sich überschneiden und verbinden, stets auf der Suche nach neuen Impulsen und Möglichkeiten?

Beim Festival und unserer digitalen ContentPlattform erwartet euch noch viel mehr pulsierendes Wissen und lebendiges Filmschaffen. Check it out!

Mit uns am Puls der Zeit? Manchmal sind Phrasen weit besser, als man denkt!

Viel Spaß beim Lesen und Stöbern!

Eure FFCGN-Redaktion

THE TROUBLE WITH BEING BORN

DIE THEORIE VON ALLEM

funktioniert hoffentlich auch für die Leute, die all diese Filme nur halb erinnern oder vielleicht auch nie gesehen haben. Weil man trotzdem in einer schlackigen, dicken Kinobrühe rührt, die sich so traumhaft anfühlt wie die Vergangenheit, weil wir ja nicht die echte Vergangenheit erinnern, sondern so eine Art »Kinovergangenheit«, die zumindest stark geprägt wurde durch all die Filme, die wir so halb erinnern.

Ist DIE THEOIE VON ALLEM ein Film, der sich gut in den aktuellen Retro-Stil einfügt?

Ja, das wird flankiert von ganz vielen Sachen. Ich dachte das schon bei STRANGER THINGS, also da ist das ja auf einem trivialen Level, man hat die 80er Jahre erfolgreich wieder aufleben lassen mit all den Kindheitserinnerungen, die dazugehören. Das ist eine Krankheit in unserer Kultur gerade, dass wir uns nur Sachen vorstellen können und Leute nur für Sachen ins Kino gehen, die althergebracht sind, die uns an ein wohliges Gefühl aus der Kindheit erinnern. Ich glaube, George Lucas hat das Template dazu erfunden, Brian de Palma vielleicht auch mit seinen Hitchcock-Allüren. George Lucas hatte die Idee. Alles, womit er je Erfolg hatte, war: »Ich nehme Sachen, die ich in meiner Kindheit toll fand und versuche, die für ein heutiges Publikum zu adaptieren.« Und wenn man das mal auf das ernstzunehmende Kino aus Deutschland anwendet, dann kommt vielleicht so was dabei raus. Also ich bin kein Kulturtheoretiker, ich bin überhaupt kein Akademiker. Mir kommt es nur so vor, als wären wir noch in der Postmoderne. In dem Sinne, dass wir alle immer noch darauf beschränkt sind, Dinge zu dekonstruieren, und es sehr schwerfällt, etwas legitimes Neues zu definieren und zu formulieren. Auch im Film. Ich muss oft an Slavoj Žižek denken, der hat ja auch gesagt: »Ein postmoderner Film ist immer ein Film über die Unmöglichkeit des Filmemachens.« Mir wird oft gesagt, der Film verlange dem Publikum viel ab. Und dann sage ich, vielleicht wenn man ihn mit einem Film von Hitchcock vergleicht, aber Hitchcock hat ja Filme für ein ganz anderes Publikum gemacht. Was ist denn seitdem alles passiert? Wir machen doch Filme für ein Publikum, das

alles gesehen hat. Sie haben H.P. Lovecraft gelesen, die haben AKIRA gesehen, die haben RICK AND MORTY gesehen. Natürlich gilt das nicht für alle. Aber all diese Dinge bauen ja aufeinander auf. Und wenn wir einen Film schauen, dann vergleichen ihn automatisch mit den 10.000 anderen Dingen, die wir schon gesehen haben, zum Beispiel über Multiversen. Und deswegen kann man sich, glaube ich, viel mehr erlauben auf narrativer Ebene, obwohl der Film schon sehr zahm ist, wenn man ihn mit so etwas wie TWELVE MONKEYS vergleicht.

Aus welchem Grund hast du dich dazu entschieden, den ganzen Film mit einem sinfonischen Score zu unterlegen?

Ich bin besessen von Filmmusik. Ich glaube, das ist der Grund, warum ich überhaupt zum Film gegangen bin. Ich bin natürlich aufgewachsen mit allem, was John Williams komponiert hat. Ich erinnere mich, dass ich Klavierstunden hatte, als ich zwölf war, und ich kam mit einem Score von JURASSIC PARK an. Gleichzeitig mochte ich Debussy extrem, auch Wagner. All diese großen Bewegungen von nicht enden wollenden Melodien und Harmoniebewegung. Das hat mich als Kind unglaublich fasziniert. Und das Potenzial, so etwas mit Filmbildern zu kombinieren, ist für mich der zündende Gedanke am Kino, auch wenn Stummfilme natürlich ihre eigene Berechtigung haben. Aber für mich war Film nicht immer nur das Fenster in die Welt, sondern was passiert darunter mit der Musik? Und gleichzeitig ist Filmmusik, zumindest amerikanische Filmmusik, ja relativ lange noch in dieser Spätromantik verharrt, die eigentlich nicht mehr mit der Popkultur oder der zeitgenössischen Musik-Entwicklung mitgegangen – oder nur in Ausnahmefällen. Es war völlig klar: Wir brauchen eine Leitmotivik und ein unglaubliches Pathos, das es heute nicht mehr gibt. Und warum das Ganze? Weiß ich gar nicht. Außer, dass ich das extrem spannend finde. Was passiert, wenn man das heute in einem Film macht? Leute sind das nicht mehr gewohnt, der Film tut offensichtlich so, als wäre er in den 50er oder 60er Jahre entstanden. Was macht das aber mit einem Film, von dem

And the Oscar for Best Director goes

to … a woman?

Die größte Kontroverse im Zusammenhang mit den Oscars 2024? Greta Gerwigs BARBIE gewann fast nichts. Dennoch waren Frauen beim wichtigsten Filmpreis der Welt deutlich präsenter als in den vergangenen Jahren. Justine Triets Film ANATOMIE EINES

FALLS, auch bei uns ausgezeichnet, bekam einen Drehbuch-Oscar. Welche Frauen überhaupt jemals für einen wichtigen Oscar nominiert waren und diesen auch gewannen, haben wir hier recherchiert. Eine verstörend kurze Liste.

#1

SIEBEN SCHÖNHEITEN

1975: Lina Wertmüller

Lina Wertmüller wurde als erste Frau in der Kategorie Beste Regie mit einer Nominierung gewürdigt. Sie hat den Oscar nicht bekommen, wurde aber 2019 mit dem Honorary Award der Academy für ihre Karriere ausgezeichnet. Wertmüller starb 2021, sie hat bis zum Schluss gearbeitet.

Triggerwarnung: In SIEBEN SCHÖNHEITEN geht es um einen kleinkriminellen Macho im faschistischen Italien, der in einem Konzentrationslager endet, wo er eine Art BDSM-Beziehung mit einer deutschen Aufseherin eingeht. Lina Wertmülller war immer Kämpferin für Kunstfreiheit und Gegnerin des Patriarchats.

1993: Jane Campion

Knapp 20 Jahre nach Wertmüller war erst die nächste Frau an der Reihe: Im Jahr 1994 erhielt Jane Campion die Nominierung, aber nicht den Oscar für Beste Regie. Ausgezeichnet wurde der Film für das beste Drehbuch und für die beste Haupt- und Nebenrolle. Bei uns wurde Jane Campion übrigens 2017 mit dem Filmpreis Köln geehrt.

Die Handlung: Mitte des 19. Jahrhunderts kommt die stumme Ada (Holly Hunter) nebst Tochter Flora (Anna Paquin) nach Neuseeland, weil sie von ihrem Vater als bestellte Braut dorthin geschickt wurde. Ihr künftiger Ehemann Alistair Stewart (Sam Neill) weigert sich aber, das Piano der leidenschaftlichen Klavierspielerin mit zum Haus zu nehmen, obwohl es ihr die Möglichkeit gibt, sich auszudrücken. Ada bittet daraufhin einen Nachbarn, George Baines (Harvey Keitel), sie und Flora an die Stelle am Strand zu führen, wo sie das geliebte Klavier zurücklassen musste. Baines willigt ein und ist bald vom Talent der Musikerin fasziniert.

#3

LOST IN TRANSLATION –ZWISCHEN DEN WELTEN

2003: Sofia Coppola

Nicht erst 20, sondern »nur« 19 Jahre später wurde die nächste Regisseurin nominiert: Sofia Coppola. Leider hat auch sie den Oscar für Beste Regie nicht gewonnen, erhielt dafür aber einen Oscar und einen Golden Globe in der Kategorie Bestes Drehbuch. In der romantischen Tragikomödie befreundet sich Bill Murray als Hollywood-Schauspieler in der Midlife-Crisis in seinem Hotel in Tokio mit der jungen Amerikanerin Charlotte, gespielt von Scarlett Johansson.

Katharina Huber

Wie ist die Idee zu EIN SCHÖNER ORT entstanden?

Die Idee gab es schon sehr lange, aber in einer kleineren Form. Das sollte erst mal ein Animationsfilm werden. Dann ist die Idee gewachsen, und die Figuren haben sich vermehrt. Und dann merkte ich, das muss ein Spielfilm werden. Das war wirklich eher intuitiv organisch. Ich habe das Drehbuch vor drei Jahren geschrieben. Man ändert sich ja auch im Prozess. Ich bin jetzt auch schon wieder ein bisschen anders als vorher und habe andere Wünsche, Ideen und auch eine andere Wahrnehmung von künstlerischem Arbeiten.

Tiere spielen öfters eine Rolle in deinen Werken, so auch in EIN SCHÖNER ORT. Woher kommt das? Bei EIN SCHÖNER ORT ging es einfach um ein Element, was sichtbar ist, was die Problematik illustriert, dass irgendwas nicht stimmt. Ich wollte nicht, dass nur eine mysteriöse Stimmung oder irgendwas in der Luft liegt. Der Hintergrund ist der, dass dieses Dorf von der Hühnerzucht lebt. Die Hühner sind schon so überzüchtet, dass die nicht mehr so gesund sind und zum Teil Leute

Katharina Huber ist eine Meisterin des elliptischen Erzählens. Ihr minimalistisches Mystery-Kleinod EIN SCHÖNER ORT wurde komplett in der Eifel gedreht und ist auf so bezaubernde Weise nebulös, dass sich eindeutige Interpretationen von selbst verbieten. Für ihren Film wurde die Regisseurin bei den FILM FESTIVAL COLOGNE Awards 2023 mit dem Filmpreis NRW ausgezeichnet. Hier ist unser Gespräch mit Katharina Huber.

dadurch erkranken. Wir haben doch sowieso alle immer so ein komisches Verhältnis zu Hühnern, oder? Das sind so seltsame Tiere, man weiß nicht, sind sie jetzt dumm, oder sehen die nur so aus? Aber irgendwie sind sie auch süß, manchmal aber auch irgendwie gruselig. So ist das zu den Hühnern gekommen. Das war in dem Fall ein bisschen Mittel zum Zweck.

Was war zuerst da? Bilder, Gefühle, Abstraktes? Bei EIN SCHÖNER ORT war das ein gewisser Zustand, den ich beobachtet hatte. Das waren so kleine alltägliche Situationen, wo ich gedacht habe: »Das ist doch absurd, das ist doch komisch.« Also alle sind sich einig, hier stimmt was nicht. Es ist zu kalt, oder die Decke tropft, oder die Wand schimmelt. Aber keiner macht was, und man akzeptiert das, man nimmt das hin. Und das breitet sich dann auf andere Dinge aus. Natürlich auch in Beziehungen, aber auch auf gesellschaftlicher Ebene. Ich war ein Jahr lang in London, und da ist mir noch viel stärker aufgefallen, dass Leute Unbequemlichkeiten im Alltag einfach hinnehmen. Also nicht alle, aber das gilt auch für die ganzen gesellschaftlichen

Katharina Huber:

»Wir sind alle kleine Entitäten und versuchen immer, uns mit anderen Menschen in Verbindung zu setzen«

NAM JUNE PAIK: MOON IS THE OLDEST TV
OPUS — RYŪICHI SAKAMOTO
VIENNA CALLING

#3

THE BALLAD OF GENESIS AND LADY JAYE

Ein etwas anderer Liebesfilm. Genesis P-Orridge, Provokateur und Mitbegründer der wegweisenden Bands Throbbing Gristle und Psychic TV, heiratete 1993 die ehemalige Krankenschwester und Domina Lady Jaye Breyer. 1995 entschloss sich das Paar zu chirurgischen Eingriffen, die sie äußerlich immer mehr angleichen sollten. Ziel war die Schaffung des »pandrogynen« Wesens »Breyer P-Orridge«. Die Französin Marie Losier hat die beiden über Jahre mit der Kamera begleitet, entstanden ist ein Dokumentarfilm, der zeigt: Hinter all der ausgestellten Schrillheit verbarg sich tatsächlich eine große Liebesgeschichte.

#4

RHYTHM IS IT

2004: Thomas Grube, Enrique Sánchez Lansch

Eine faszinierende Doku über die transformative Kraft der Musik, die mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde. Handlung: Im Januar 2003 studierten 250 Berliner Kinder aus 25 verschiedenen Nationen Strawinskys »Le sacre du printemps« ein. Die musikalische Leitung übernahmen die Berliner Philharmoniker unter Leitung von Sir Simon Rattle. Die Aktion fand im Rahmen eines Projektes statt, das Jugendliche aus sozialen Brennpunkten mit der Magie der Musik vertraut machen sollte. Die Filmemacher haben drei der teilnehmenden Schüler:innen begleitet und beobachtet, welche positiven charakterlichen Veränderungen im Verlauf des Projekts bei ihnen sichtbar wurden.

SEARCHING FOR THE WRONG-EYED JESUS

2003: Andrew Douglas

Mit dem Jim-White-Album »The Mysterious Tale of How I Shouted ›Wrong Eyed Jesus‹« beginnt Filmemacher Andrew Douglas ein assoziatives Roadmovie durch den Süden der USA. White ist sein Reiseführer auf der Suche nach den Heiligen und Dämonen eines Landes, in dem der Herr immer nah ist, aber auch der Teufel um die Ecke lauert. Mit beklemmend schönen Bildern und einem AllStar-Country- und Indie-Soundtrack von Cat Power bis Doc Watson zieht Douglas in seinem Film von 2003 die Zuschauer:innen tief in die Seele der Südstaaten.

#6

I AM DIVINE

2013: Jeffrey Schwarz

Die Karriere von John Waters (HAIRSPRAY) wäre kaum vorstellbar ohne seine Entdeckung des damals 16-jährigen Harris Glenn Milstead alias Divine. In EAT YOUR MAKEUP ließ Waters ihn Jackie Kennedy spielen, in PINK FLAMINGOS filmte er einfach die Reaktionen von Pasant:innen auf den im Look einer blonden Sexbombe flanierenden übergewichtigen Darsteller. Am berühmtesten wurde aber eine andere Aktion: In PINK FLAMINGOS verspeiste Divine vor laufender Kamera Hundekot. I AM DIVINE gelingt mit Hilfe von Interviews und vielen Ausschnitten aus Filmen eine berührende Würdigung eines flamboyanten Selbstdarstellers, dessen Tabubrüche ein größeres Ziel verfolgten: mit Humor gegen die Engstirnigkeit der amerikanischen Gesellschaft zu kämpfen und für das Recht auf Selbstbestimmung für jeden und jede – auch für übergewichtige, schrille Drag Queens.

Jonathan: Man darf auch nicht vergessen, dass diese Formulierung vom CO2-Fußabdruck ja letztendlich eine Erfindung von BP gewesen ist, die das etabliert haben, um von ihrer Rolle abzulenken. Aber es ist natürlich richtig, dass jede:r das tut beim eigenen Fußabdruck, was möglich ist.

Minh: Wasas ich mich frage: »Wo sind die Leute? « Wenn ich in die Medien gucke und Klimaaktivist:innen sehe, dann sind es halt immer weiße Frauen. Aber warum durchbrechen wir als Bewegung das Bild nicht aktiv? Warum holen wir uns nicht asiatische Menschen, People of Color oder Menschen, die zumindest in Armut gelebt haben, mit rein? Und holen sie wirklich als prominente Vertreter:innen unserer Bewegung vor die Kamera und machen das auch sehr aktiv.

Jonathan, was erhoffst du dir von deinem Dokumentarkurzfilm in Richtung Veränderung oder Bewusstsein schaffen?

Jonathan: Meine eine Hoffnung in dem Kontext wäre, dass der Film Zusammenhänge noch mal sehr direkt aufzeigt und in seiner essayistischen Form vielleicht ein bisschen tiefer in die Psyche von Zuschauer:innen eindringen kann. Ich glaube, dass die Klimabewegung ein großes Kommunikationsproblem hat, dass eben wissenschaftliche Fakten oft nicht wirklich emotional aktivieren. Insofern hoffe ich einfach, dass der Film zu einer tieferen Kommunikation beitragen kann.

Eine Geschichte, ein Film, ein Podcast, ein Beitrag oder ein Post auf Social Media, auf einem Panel, welches Medium auch immer – gibt es da bestimmte Zutaten, die es braucht, um auch Veränderung zu bewirken?

Nina: Wenn es da das perfekte Rezept gäbe, würde man das sicherlich nutzen. Ich finde, ganz viel läuft über Emotionen. Davon leben wir als Gesellschaft. Gefühlt passiert gerade so viel, wie noch nie. So viele Brandstellen in so vielen verschiedenen Situationen oder Flächen hatten wir noch nie. Am Anfang gab es so ein Hoch, und dann ebbte das ab. Das ist ja nicht nur bei der Iran-Revolution so, das ist bei allen Themen so, weil es vielleicht zu viele Themen sind, weil viele Menschen auch lieber nicht wach

sein möchten, sondern lieber weiterschlafen möchten, weil das einfacher ist. Es ist wie bei einem Film. Du kannst ja auch nicht die ganze Zeit einen Höhepunkt, eine Actionszene an die nächste dranhängen. Und ich glaube, so ist es bei all diesen Themen auch. Sie haben halt so ihre Höhen und Tiefen, und das darf man auch zugestehen. Ich glaube, da muss man einfach immer wieder in einem anderen Ton oder auch in einer anderen Schnelligkeit mit Menschen und Mitmenschen kommunizieren, um sie abzuholen und mitzunehmen.

Minh: Also ich habe jetzt auch kein perfektes Rezept, aber aus meiner Arbeit als Journalistin kriege ich viele Rückmeldungen, dass es einfach Ermüdungserscheinungen gibt, was Nachrichten anbelangt, bei unseren Rezipienten und Rezipientinnen. Wir haben den Ukrainekrieg, wir haben den Nahost-Konflikt, die Iran-Revolution, wir haben Krisen im Jemen, im Kongo, im Südsudan. Es hört einfach nicht auf. Und es ist dann auch für mich als Journalistin herausfordernd zu gucken, wie viel ich meinen Hörer:innen zumuten kann. Ich würde es ja gerne, aber ich kann nicht jeden Tag über den Iran sprechen oder über das Klima in einem Nachrichtenformat, weil es dann diese Anti-Reaktion bei den Hörer:innen gibt und die dann sagen, ich kann mir das gerade nicht mehr anhören. Ich muss diese Nachrichten sehr strategisch setzen und auch langfristig gucken, dass ich sie auf eine Art und Weise rüberbringe, in der sie das dann auch gut rezipieren können.

Wie ist es bei dir aus der künstlerischen Sicht?

Jonathan: Also ich hoffe immer, dass man eine Art von Realität haptischer abbilden kann. Ich glaube, so sind die verschiedenen Formen von Revolutionen, wenn man so will. Es gibt halt immer diese krassen Wellen. Das sind einfach Möglichkeiten, da mit fiktionalem oder dokumentarischem Erzählen noch mal einen anderen Fokus drauf zu lenken. Und eben auch gerade im Fiktionalen die Möglichkeit zu haben, es unter Umständen mit einem Aspekt von Unterhaltung verbinden zu können, schafft nochmal eine andere Zugänglichkeit und dadurch vielleicht dann eben auch die Möglichkeit, eine Bubble zu durchdringen.

Erst Demokratie oder erst Klima?

Jonathan: Ich würde im Zweifelsfall tatsächlich sagen Demokratie über Klima, weil ich glaube, dass in einer langwährenden, funktionierenden Demokratie die Klimakrise früher oder später eine prioritäre Rolle spielen wird. Das ist natürlich insofern eine knifflige Frage, weil ich glaube, dass wir uns nicht vorstellen können, was das für Demokratien bedeutet, wenn die Klimakrise noch weiter voranschreitet. Wenn ich mir anschaue, wie populistisch jetzt schon eine Geflüchteten-Politik betrieben wird, dann will ich mir gar nicht vorstellen, was in 30 Jahren passiert.

Minh: Ich würde mich nicht entscheiden, weil die Anforderungen an die Menschheit, an meine Generation und an die nachfolgende Generation vielfältig sind. Als Gesellschaft müssen wir lernen, Empathie zu entwickeln, Gleichzeitigkeiten auszuhalten und niemandem die Menschlichkeit abzusprechen. Das sehen wir ganz stark gerade im Nahost-Konflikt, wo beide Seiten teilweise sehr einseitig dargestellt werden von der jeweils anderen Seite. Und das es sehr schwierig sein kann für Medien, dann ausgleichend und gut zu berichten. Aber das ist unsere Herausforderung – der müssen wir uns stellen. Und genauso ist es auch mit der Demokratie und dem Klimawandel.

Nina: Ich wäre erst mal für Demokratie. Dabei spreche ich von wahrer Demokratie. Und das heißt für mich, dass wir über eine Politik sprechen, die bei uns nicht beeinflusst wird von der Wirtschaft. Dann wäre es wahre Demokratie. Und dann würde ich sagen: erst mal Demokratie.

Müssen die Themen Diversity und Klimawandel zusammen behandelt werden?

Minh: Ja, das ist wichtig. Hier in Deutschland wird es den Leuten nicht schlecht gehen wegen des Klimawandels. Es wird ein paar Grad wärmer werden, wir können nicht mehr Skifahren, wahrscheinlich wird es in den Städten noch ein bisschen heißer werden, dann haben wir eine Klimaanlage, wir sind ein reiches Land. Aber es wird die Leute beeinflussen, die kein Geld haben, um sich ein schönes Haus hier in Deutschland zu kaufen, in dem sie Klimaanlagen haben. Es

trifft die armen Menschen zum Beispiel in meinem Heimatland Vietnam, wo einfach schon sehr viel Farmland verloren gegangen ist, weil auf Grund des Klimawandels und der steigenden Meere sehr, sehr viel versalzen ist. Also es trifft nicht die weißen, reichen Menschen hier. Der Klimawandel trifft die armen Menschen, und deswegen müssen wir sie unbedingt in die Klimabewegung mit reinnehmen.

Wenn ihr jetzt so eine Toolbox of Change packen würdet, was muss da rein? Was braucht ihr, um eure Stories of Change erzählen zu können?

Nina: Wir haben eine Stimme, und wir können die erheben. Jede:r einzelne. Laut, leise, es ist total egal, aber solange wir sprechen können, sollten wir sprechen. Es muss nicht immer der ganz große Schritt sein. Mund aufmachen, erzählen. Sprechen Sie in der Familie, mit Freund:innen, Bekannten. Wir haben eine Stimme, wir haben eine Macht.

Minh: Ich glaube, das Wort, das für mich in meiner täglichen Arbeit immer wichtiger ist, ist Multiperspektivität. Also, dass wir verschiedene Stimmen hören, dass wir empathisch sind mit verschiedenen Gruppen in der Gesellschaft und auch mit verschiedenen Gruppen, die in unterschiedlichen Konflikten stecken.

Jonathan: Ich würde in diese Toolbox Hoffnung legen, aber die Hoffnung ist eben wirklich auch, die eigene Stimme zu nutzen, weil ich sonst gar nicht weiß, wie im Moment Hoffnung entstehen kann, wenn nicht mit den Leuten, die versuchen, die Dystopie zu einer Utopie werden zu lassen.

Udo is Love*

Udo is Love* – der Gestaltenwandler des modernen Kinos. Formwandler, das sind jene mythologischen Wesen, die ihre eigene äußere Form nach Belieben ändern können.

Aber Udo Kier ist mehr als das: Er passt immer seine innere Form mit an, und so gelingen ihm vollendete Darstellungen abseitiger Figuren, wie sie im modernen Kino nur selten zu sehen sind. Anlässlich seines 80. Geburtstags ehrt ihn der Kölnische Kunstverein mit einer fantastischen Ausstellung und wir mit dem International Actors Award.

Udo Kier kam im Oktober 1944 in Köln zur Welt. Seine Mutter grub ihn einige Stunden später aus den Trümmern des ausgebombten Kreißsaals. Kein anderes Kind überlebte. Auf das Rheinland war an diesem Tag die größte Bombenlast innerhalb eines Tages abgeworfen worden. Im Stadtteil Mülheim wuchs er ohne Vater auf. Eine Kindheit seiner Zeit, Umstände, aus denen er raus wollte. 1966 ging der gerade abgeschlossene Buchhalter nach London, um so etwas wie Auslandskorrespondent von Bayer zu werden. Der Traum des Kriegskindes kam anders. Auf einer Party entdeckte ihn ein Produzent für die Rolle eines Gigolos in St. Tropez. Als »Schönster Mann der Welt« verkörperte der kölsche Alain Delon zunächst das Böse, spielte einen eisigen Zuhälter in SCHAMLOS (1968) von Eddy Saller, einen der grausamsten Folterknechte der Filmgeschichte in HEXEN BIS AUFS BLUT

GEQUÄLT (1969), Andy Warhols BARON VON FRANKENSTEIN (1973) und GRAF DRACULA (1974). 1975 hob, als die noch zarte Karriere mit dem Erfolg von DIE GESCHICHTE DER O in ungeahnte Sphären ab. Kier hatte nichts dagegen, wollte aber sich nicht darauf festlegen. Ab jetzt sollten alle immer wieder von ihm überrascht werden. Sein stechender Blick flanierte zwischen internationalen Erotikfilmen über Verdrehungen des deutschen Opernfilms hin zum Realismus eines Rainer Werner Fassbinder. Überall war der Rastlose dabei, aber nirgendwo ganz zuhause. Durch die Spannkräfte zwischen Exploitation-Kino und Autorenfilm begann sich sein Netz ins Weite zu spannen und wuchs sich aus in einem endlosen Teppich schillernder Tonalitäten. In den Genres und ihren wilden Verdrehungen war seine wiederkehrende Rolle die des Leidenschaftlichen, der

UDO KIER, PALM SPRINGS 2013, ANDREA STAPPERT

»Seitdem es Menschen auf dieser Erde gibt, werden Geschichten erzählt und Träume wahrgenommen. Das Kino ist die moderne Art diese Träume zu erzählen und gibt den Menschen die Möglichkeit, für einen Moment in einer Parallelwelt zu leben.«

»Das Kino ist unser Lagerfeuer, bei dem wir schweigend zusammen in die Flammen gucken. Der Kinofilm ist das emotionale kollektive Erleben. Grade in unserer brüchigen, dekonzentrierten Gegenwart wird im Kino eine Geschichte erzählt, und wir nehmen uns die Zeit, um gemeinsam zuzuhören.«

Bibiana Beglau, Schauspielerin

»Kino kann Verführung. In ganz großem Maße. Es wird immer erzählt, dass ganz früher, als das Kino erfunden wurde und ein Zug fuhr auf die Leinwand zu, alle aus dem Kino rannten, weil sie plötzlich dachten, der Zug überfahre sie wirklich. Und diese Art der Verführung, ich glaube, das kann nur das Kino.«

»Wenn ich im Kino sitze, kann ich alles ausschalten. Man schaut nicht aufs Handy, man denkt über nichts anderes nach, als die Geschichte, die einem geliefert wird. Das geht Zuhause nicht. Kino ha t etwas Meditatives.«

Franziska Hartmann, Schauspielerin

David Bennent, Schauspieler

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ISBN: 978-3-948440-75-6

Herausgeberin: Martina Richter Redaktion: Emilia Stein (Leitung), Elmar Freels, Sven von Reden

Art Direktor: Holger Risse

Design: Lena Buhl, Juliane Lipp, Slanted Publishers

Final Artwork: Julia Kahl

Typeface: GT Alpina, GT Cinetype

Publisher: Slanted Publishers

Publishing Direction: Lars Harmsen, Julia Kahl

Printed by Stober Medien, Eggenstein, www.stober-medien.de

Das FILM FESTIVAL COLOGNE möchte an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien des Landes Nordrhein-Westfalen und Chef der Staatskanzlei, der Stadt Köln und der Film- und Medienstiftung sowie allen Partnern für die kontinuierliche Förderung und große Unterstützung danken.

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About Slanted Publishers:

Slanted Publishers is an internationally active independent design, publishing and media house, founded in 2014 by Lars Harmsen and Julia Kahl. They publish the award-winning print magazine Slanted, as well as unique, creative, and bold print publications within the field of Visual Culture, Design, Photography, Illustration, and Typography.

Die Macht der Bilder

Vol. 4

Die Macht der Bilder

4 Die Macht der Bilder

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