Mein Bauch tut immer wieder weh: Kommt dies von meinem Morbus Crohn oder kann dies auch ein Reizdarm sein? Prof. Dr. med. Frank Seibold, Crohn-Colitis-Sprechstunde Spital Tiefenau, Spital Netz Bern sowie Gastroenterologie, Inselspital Bern.
Mehrere Studien konnten zeigen, dass Patienten mit Colitis ulcerosa als auch mit Morbus Crohn ähnliche Beschwerden haben wie Patienten mit Reizdarm. In zwei Studien, in denen man schubfreie Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen untersuchte, wurden Reizdarmsyndrome bei ca. 33% der Patienten mit Colitis ulcerosa und zwischen 40% und 60% der Patienten mit Morbus Crohn gefunden. Nun stellt sich natürlich die Frage, ob man einen Reizdarm und eine chronisch entzündliche Darmerkrankung gleichzeitig haben kann, ob eine unentdeckte Entzündung im Rahmen der chronisch entzündlichen Darmerkrankung vorliegt oder ob Reizdarmsyndrome bei Reizdarm als auch bei der Colitis ulcerosa in ähnlicher Weise vorkommen. In einer in England durchgeführten Studie hat man untersucht, ob bei ReizdarmPatienten ein erhöhtes Risiko besteht, eine chronisch entzündliche Darmerkrankung zu entwickeln. In der Tat hat man in dieser Studie gefunden, dass das Risiko für Reizdarm-Patienten an einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung zu erkranken während einer dreijährigen Beobachtungsphase 16% höher liegt als in der Allgemeinbevölkerung. Natürlich ist hiermit nicht die Frage beantwortet, ob es eine gewisse Überlappung zwischen Reizdarmsyndrom und chronisch entzündlicher Darmerkrankung gibt oder ob bei den Reizdarmsyndrom-Patienten die Diagnose der chronisch entzündlichen Darmerkrankung einfach verpasst wurde. Also müssen wir das Problem etwas näher beleuchten. Das Problem des Reizdarmes ist, dass es keine harten Kriterien gibt, eine solche Diagnose sicherzustellen. Der Reizdarm wird anhand von Symptomen diagnostiziert, es gibt jedoch keine sichtbaren Laborveränderungen oder endoskopische Kriterien wie ein Reizdarm zu diagnostizieren ist. Das Reizdarmsyndrom ist über die Formkriterien definiert: Sich wiederholende Bauchschmerzen und Veränderung der Stuhlgewohnheiten mit Besserung der Schmerzen nach Stuhlentleerung. Ganz anders ist dieses natürlich bei einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung, die bei einer Darmspiegelung relativ einfach zu entdecken ist. In einer neueren Studie konnte gezeigt werden, dass Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen und Reizdarmsymptomen erhöhte Spiegel für Calprotectin im Stuhl hatten. Calprotectin im Stuhl ist ein relativ empfindlicher Entzündungsmarker. Somit muss davon ausgegangen werden, dass ein Teil der Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, die eine Reizdarmsymptomatik hatten, nicht kontrollierte Entzündungsvorgänge im Darm auswiesen. Aus diesem Grunde ist es sicherlich sinnvoll, sofern Sie unter Reizdarmsymptomen mit Veränderung der Stuhlgewohnheiten und Schmerzen, die sich nach dem Stuhl entleeren bessern, leiden, zu überprüfen, ob bei Ihnen solche
Entzündungsmarker erhöht sind. Sollte dies der Fall sein, müsste die Therapie der zugrunde liegenden chronisch entzündlichen Darmerkrankung intensiviert werden. Nichtsdestotrotz gibt es bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen und dem Reizdarmsyndrom einige interessante Überlappungen. Bei beiden Erkrankungen gibt es Zwillings-Studien, die darauf hinweisen, dass beide Erkrankungen gehäuft bei Zwillingen vorkommen. Das Immunsystem scheint bei beiden Erkrankungen aktiviert zu sein. Während sich bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen deutliche Infiltrationen von weissen Blutkörperchen in der Schleimhaut finden, zeigt sich eine solche Entzündung nur in geringerem Masse bei ReizdarmPatienten. Gewisse Entzündungsbotenstoffe (Zytokine) spielen bei beiden Erkrankungen eine wichtige Rolle. Offensichtlich scheint auch bei beiden Erkrankungen der Darm nicht in der Lage zu sein, Entzündungsvorgänge wieder zu stoppen. Im Blut können bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen unterschiedliche Eiweissstoffe auftreten, die in der Diagnose einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung hilfreich sein können, beispielsweise ein PAB, ASCA oder pANCA. Interessanterweise können auch bei einem Teil von Patienten mit Reizdarmsyndrom solche Eiweissstoffe auftreten. Wiederum stellt sich natürlich hier die Frage, ob bei solchen Patienten nicht eine übersehene chronisch entzündliche Darmerkrankung vorliegen könnte. Ein grosser Unterschied bei beiden Erkrankungen besteht in der Therapie. Während bei Patienten mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa die Krankheit durch anti-entzündliche Substanzen, Immunsuppressiva und TNF-Blocker sehr gut zu kontrollieren ist, haben solche Therapieversuche bei Reizdarm-Patienten nichts genützt. Zusammenfassend kann man festhalten, dass es im Bereich der Immunologie und der Genetik gewisse Überlappungen zwischen Reizdarm und chronisch entzündlichen Darmerkrankungen gibt. Das grosse Problem beim Reizdarm ist aber eine sogenannte Überempfindlichkeit der Schmerzwahrnehmung. Die Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, die über Reizdarm-ähnliche Beschwerden klagen, sollten zunächst genau abgeklärt werden, ob noch entzündliche Veränderungen vorliegen. Falls ja, sollten diese medikamentös intensiver behandelt werden. Sollten keine entzündlichen Veränderungen nachzuweisen sein (normale CalprotectinWerte im Stuhl) und dennoch Beschwerden vorliegen, können bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen Bauchschmerzen auch auf Verwachsungen (beispielsweise nach Operationen) zurückzuführen sein. Bei einem Teil der Patienten scheint es wirklich eine gewisse Überlappung zwischen Reizdarm und chronisch entzündlicher Darmerkrankung zu
geben. Hier muss der behandelnde Gastroenterologe nach sorgf채ltiger Abkl채rung eine individuelle Therapie f체r den Patienten w채hlen.