Informationen für Teilnehmende der Schweizer Kohortenstudie zu Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa
Liebe Leserinnen und Leser, haben Sie sich schon einmal gefragt, ob Sie Ihre chronisch entzündliche Darmkrankheit (IBD) von Ihren Eltern geerbt haben oder an Ihre Kinder weitervererben können? In diesem Newsletter berichten wir, was Forscher Neues über die Vererbung bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa herausgefunden haben. Zwar scheinen Veränderungen am Erbgut nicht allein für IBD verantwortlich zu sein. Aber sie können das Ausbrechen der Krankheiten begünstigen. Leider gibt es kein einzelnes „IBD-Gen“. Wir kennen mittlerweile viele Gene, die bei einigen Crohn- und Colitis-Patienten verändert sein können. Die meisten beeinflussen vermutlich, wie sich das Immunsystems mit Bakterien auseinandersetzt. Ein Gentest, mit dem man die Genveränderungen feststellen könnte, ist zurzeit aber noch aufwändig und teuer. Wir Ärzte empfehlen ihn im Moment daher nicht. Ich wünsche Ihnen viel Spass dabei, mehr über die Erforschung von IBD zu lesen. Halten Sie unserer Studie die Treue. Denn nur über Jahre erhobene Daten werden uns in der Erforschung von IBD weiterbringen.
Frank Seibold Professor für Gastroenterologie und Chefarzt am Spital Netz Bern
02 – September 2012
Gene bestimmen Risiko für Colitis ulcerosa Forscher kennen etwa 100 Genveränderungen bei IBD. Sind diese vorhanden, reagiert das Immunsystem im Darm empfindlicher und es kommt zu der chronischen Entzündung
E
iner von 250 Menschen in Europa erkrankt an Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn. Noch immer wissen Forscher noch nicht genau, warum einer die Krankheit bekommt und der andere nicht. Vermutlich reagiert das Immunsystem in der Darmschleimhaut bei Menschen mit bestimmten Veränderungen am Erbgut überempfindlich auf die natürlicherweise im Darm vorkommenden Bakterien. Bis vor kurzem kannten die Wissenschafter 18 Gene, die bei Men-
schen mit Colitis ulcerosa verändert sein können. Solche kranken Gene können Betroffene an ihre Kinder vererben. Das erhöht das Risiko, dass diese ebenfalls eine Colitis bekommen. Jetzt hat eine internationale Arbeitsgruppe 29 weitere Genveränderungen gefunden. Hierzu untersuchten sie das Erbmaterial von 6687 Patienten mit Colitis ulcerosa und verglichen es mit dem von 19718 ohne die Krankheit. «Jetzt kennen wir 47 Gene, die bei der Entstehung von Colitis
Swiss IBD – insight – September 2012
Nicht nur Veränderungen in den Genen, sondern auch Faktoren in der Umwelt können IBD begünstigen. So scheinen Infektionen im Darm, die «Pille», Rauchen oder Antibiotika das Risiko für Morbus Crohn zu erhöhen, während die Entfernung des Blinddarmes eher vor einer Colitis ulcerosa zu schützen scheint. (Gastroenterol Clin Biol 2009, Band 33, S. 145)
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Keiner mit IBD braucht auf Reisen zu verzichten. Damit Ihr Darm Ihnen die nächsten Ferien nicht vermiest:
1. Dank Gentests können Ärzte viel besser erklären, warum das Immunsystem bei IBD überreagiert.
ulcerosa eine Rolle spielen könnten», sagt Frank Seibold, Professor für Gastroenterologie in Bern, der mit Kollegen aus der IBD Kohorte an der Studie beteiligt war. Anhand der Informationen aus den 47 Genen stellt der Körper Eiweisse her, die bei der Immunabwehr eine Rolle spielen. Das Gen TNFRSF14 beispielsweise produziert Botenstoffe, die Entzündungsvorgänge regulieren. Ist das Gen defekt, könnte dies zu mehr Entzündungen im Darm führen. Einige der Genveränderungen finden sich sowohl bei Colitis ulcerosa als auch bei Morbus Crohn. «Das zeigt, wie nahe beide Erkrankungen beieinander liegen und es wundert nicht, warum sie manchmal so ähnliche Beschwerden machen, dass man sie
kaum unterscheiden kann», sagt Seibold. Insgesamt können Ärzte jetzt viel besser erklären, warum das Immunsystem bei IBD überreagiert. «Weil aber viele Gene verändert sein können und dies nur bei einem Teil der Patienten, hat ein Gentest für den einzelnen Patienten zum jetzigen Zeitpunkt noch keinen Sinn.» Nature Genetics 2011, Band 43, Seite 246
Crèmes mit hohem Lichtschutzfaktor sind besonders wichtig bei einer Therapie mit Methotrexat, Cyclosporin oder Azathioprin. Denn diese machen die Haut empfindlicher für UV-Licht und man bekommt schneller einen Sonnenbrand.
2. Erkundigen Sie sich, ob Sie in Ihr Urlaubsland problemlos alle Medikamente einführen dürfen. Falls nicht, lassen Sie sich ein Zeugnis von Ihrem Arzt ausstellen, dass Sie die Arzneimittel dringend brauchen.
3. Bei Flugreisen nehmen Sie wichtige Medikamente im Handgepäck mit. Flüssigkeiten wie Einläufe können Sie problemlos im Koffer verpacken und aufgeben.
Swiss IBD – insight – September 2012
Alternativen, wenn Cortison nicht hilft E
ine schwere Colitis ulcerosa behandelt der Arzt häufig mit Kortison, um den heftigen Entzündungsprozess zu stoppen. Bei jedem fünften wirkt die Therapie jedoch nicht oder nicht genügend. Als Alternative verschreibt der Arzt dann Tacrolimus, Infliximab oder Ciclosporin. Bis jetzt wurden die drei Medikamente nicht direkt miteinander verglichen. Man weiss, dass sie besser sind als Placebo, aber nicht welches, von den dreien am besten wirkt. Tacrolimus verhindert, dass bestimmte weisse Blutkörperchen, die so genannten T-Helferzellen, aktiv werden und Immunreaktionen anstossen können. So unterdrückt es den Entzündungsprozess im Darm. Tacrolimus wirkt ähnlich wie Ciclosporin, soll aber weniger Nebenwirkungen hervorrufen und die Blutspiegel schwanken nicht so stark. In einer Studie mit relativ wenigen Patienten besserte sich die Entzündung im Darm mit Tacrolimus bei mehr Patienten als mit Placebo (1). An Nebenwirkungen dokumentierten die Ärzte in den Studien einen Anstieg des Blutzuckerspiegels, Nierenschäden, Zittern, Gefühlsstörungen, Bluthochdruck, Schlaflosigkeit und Magen-Darm-Probleme. Ob Tacrolimus auch dauerhaft hilft, ist nicht klar. Infliximab ist ein Antikörper, der an den so genannten Tumor-Nekrose-Faktor (TNF) bindet und ihn neutralisiert. TNF hält den Entzündungsprozess aufrecht. In den zwei grossen Studien ACT 1 und 2 (2) mit insgesamt über 700 Patienten linderte Infliximab die Beschwerden und den Entzündungsprozess im Darm bei 70 Prozent der Patienten und Placebo bei 40 Prozent. Patienten, die Infliximab bekamen, brauchten seltener ins Spital und ihnen musste seltener der Dickdarm entfernt werden (3). Ob auch nach Jahren noch weniger Patienten der InfliximabGruppe operiert werden müssen, wissen die Forscher allerdings noch nicht. Jetzt haben Forscher der IBD-Kohorte unter Leitung von Prof. Frank Seibold, Gastroenterologe am Spitalnetz Bern, eine
Studie gestartet, in der sie die drei Medikamente miteinander vergleichen wollen. Diese TOROS-Studie ist eine so genannte retrospektive Untersuchung. Das heisst die Wissenschafter analysieren im Rückblick anhand von Patientenakten, wie gut die Präparate wirkten. «Lieber hätten wir eine prospektive Studie durchführen wollen», sagt Seibold. Dabei entscheidet der Zufall, welche Patienten welches Medikament bekommen und man prüft nach einem bestimmten Zeitraum, wie es ihnen geht. «Leider fanden wir aber keine Sponsoren für eine solche Studie, denn diese hätte mehrere Millionen Franken gekostet», sagt Seibold. In die TOROSStudie werden Patienten mit Colitis ulcerosa eingeschlossen, bei denen Kortison nicht wirkte. Aus den Akten entnehmen die Forscher, wer welches Medikament erhalten hatte und wie schlimm die Krankheit vor der Therapie und nach sechs, 26 und 52 Wochen war. «Wir brauchen etwa ein halbes Jahr, um die Daten zu sammeln und zu analyiseren», sagt Seibold, «in spätestens einem Jahr hoffen wir, die Ergebnisse zu veröffentlichen.» Weitere Informationen erhalten Sie unter www.crohncolitis.ch oder www.ibdnet.ch. (1) Gut 2006, Band 55, S. 1255 (2) NEJM 2005; Band 353, S. 2462 (3) Gut 2007, Band 56 (Suppl. III), S. A26
Warum ist es so schwierig, krankmachende IBD-Gene zu entdecken?
Dr. Stefan Müller Leiter der Durchflusszytometrie und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Departement Klinische Forschung der Uni Bern
Häufig wird bei Gen-Untersuchungen das ganze Erbgut «durchleuchtet». Dabei findet man Genveränderungen an «versteckten Stellen» vielleicht nicht. Es ist wichtig, gezielt Gene auszuwählen und auf Veränderungen zu untersuchen. Ein Gen haben wir schon länger im Verdacht, es gehört zu den Lektin-Genen. Ist es verändert und funktioniert nicht mehr, kann dies eine Darmentzündung begünstigen – so unsere Theorie. Und tatsächlich fanden wir bei einigen Patienten Veränderungen in diesem Lektin-Gen. Das wollen wir nun an mehr Patienten untersuchen.
Teilnehmende Patienten August 2012: Beteiligte Kinder: Ältester Teilnehmer: Mitwirkende Gastroenterologen: Anzahl Projekte:
2’388 137 89 Jahre 70 195
Swiss IBD – insight – September 2012
«Meine Töchter wissen, dass mein Darm nicht so gut funktioniert»
NEUE STUDIEN Drei neue Studien beginnen demnächst in der Schweiz. Sie bieten Alternativen für Patienten, bei denen eine anti-TNF-Therapie nicht mehr hilft oder die sie nicht vertragen. – Antikörper AMG 181 gegen Integrin bei Colitis ulcerosa. Das soll die Einwanderung von Entzündungszellen ins Darmgewebe bremsen. → http://clinicaltrials.gov/ct2/show/ NCT01164904
Adrian Mühlemann leidet seit seinem 13. Lebensjahr unter Colitis ulcerosa. Er ist der einzige in der Familie. Manchmal hat er Angst, er könne die Krankheit an seine Töchter, acht und elf Jahre alt, vererbt haben. «Von den Gentests halte ich nicht viel»
– Behandlung von Morbus Crohn mit GSK1605786A. Dadurch sollen weniger Entzündungszellen in den Darm gelangen. → http://clinicaltrials.gov/ct2/show/ NCT01536418 – BMS-936557 bei Morbus Crohn, ein Antikörper gegen IP-10 (gamma interferon inducible protein). Das soll die Entzündung hemmen. → http://clinicaltrials.gov/ct2/show/ NCT01466374
Würden Sie bei Ihren Töchtern einen Gentest machen lassen, um zu wissen, ob Sie ein erhöhtes Risiko haben? Von diesen Tests halte ich nicht viel, sie sind zu ungenau. Und selbst wenn ich wüsste, dass ich die Krankheit vererben würde, ist es nicht sicher, dass sie bei meinen Töchtern auch zwangsläufig ausbricht. Wissen Ihre Töchter von der Colitis? Ja, Sie wissen, dass mein Darm nicht richtig funktioniert. Sie sind damit aufgewachsen und wissen, dass Sie manchmal nicht so mit mir «herumtollen» oder auf mir herumklettern können, wenn ich Bauchschmerzen habe. Stört die Krankheit die Familie? Sicherlich finden sie es manchmal nicht gut, dass wir bestimmte Sachen nicht machen können. Zum Beispiel lange wandern oder zelten, weil ich zu oft zur Toilette muss. Aber ich versuche, meine Krankheit zu vergessen. Meine Familie hat viel Verständnis. Von meinen Arbeitskollegen wissen nur wenige davon. Ich will auch trotz Krankheit gut arbeiten können. Wie war das damals mit 13, als sie die Colitis bekamen? Ich dachte, nach einigen Tagen oder Wochen würde es mir wieder gut gehen. Die Mitschüler waren sehr nett, schickten mir Briefe ins Spital. Zum Glück hatte ich keine weiteren Schübe. Wie geht es Ihnen jetzt? Nach meinem letzten grossen Schub 2003 habe ich jetzt keine Beschwerden mehr. Ich habe ein- bis zweimal pro Tag Stuhlgang und arbeite hundert Prozent. Schade finde ich, dass noch zu wenig an der Ursache meiner Krankheit geforscht wird – wohl aus Geldgründen oder weil zu wenige darunter leiden.
Veranstaltungen der Patientenvereinigung
18.10.2012: Lausanne – Öffentliche Info-Veranstaltung im CHUV mit Dr. Schoepfer und andern Referenten 27.10.2012: Wettingen – Eltern-Kinder-Treffen Erfahrungsaustausch von Eltern betroffener Kinder 13.11.2012: Konstanz – Öffentliche Info-Veranstaltung zum Thema Komplementärmedizin 22.11.2012: St. Gallen – Öffentliche Informationsveranstaltung mit begehbarem Darmmodell → weitere Infos: www.smccv.ch («Events») oder unter welcome@smccv.ch
Herausgeber: Studienleitung Erscheint: 3x jährlich Auflage: 5000 Text und Konzept: Witte / Winkler.com Design: Crafft Kommunikation AG, www.crafft.ch Druck und Vertrieb: IUMSP, Lausanne Kontakt: info@ibdcohort.ch