Der Kaiser, Kairo und ich - Miszellen aus der oberbayerischen Kommunalpolitik

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Der Kaiser, Kairo und ich Miszellen aus der oberbayerischen Kommunalpolitik von Steffen Kopetzky

Das Leben in Kairo zu verstehen, erzählte der Kaiser, nachdem er von seiner Studienreise in einen Slum der ägyptischen Hauptstadt zurückgekehrt war, ist ganz einfach: schmeiss einfach alle deine finanziellen Größenordnungen über Bord, beginne Müll zu sammeln, näh dir aus Plastikfetzen, die du auf der Straße findest, einen Sack, befüll ihn mit Sand und versuche, den Sand zu verkaufen und wenn es geht - auch noch den Sack. Mit den erzielten Einnahmen ist es dir möglich, dich und deine Familie für einen halben Tag zu versorgen, das machst du dann auch, frohgemut. Wenn die zweite Tageshälfte anbricht (den Mittag hast du bekifft irgendwo im Schatten verschlafen), beginnst du dich nach neuen Fetzen weggeworfenen Plastiks umzusehen, um wieder einen solchen Sack zu nähen. Wenn dir das auch noch gelingt, ist es ein guter Tag. In Kairo. Seitdem ist „Kairo“ das Sinnbild für die gemeinsame politische Arbeit, als ehrenamtliche Ratsherren unserer kleinen Stadt. Der Kaiser ist nicht nur ein Genosse, nein, er ist mein Freund, mein Ratgeber, mein Förderer. Er ist der erste Mensch in meinem Leben, der deutlich jünger ist als ich, so viel jünger, daß ich ihn als Angehörigen der (von mir aus gesehen) nächsten Generation bezeichnen würde und zu dem ich dennoch, trotz seiner relativen Jugendlichkeit einen eher väterlichen Bezug habe. Auch einen beichtväterlichen. Vor allem diesen. Immer wenn ich politisch nicht weiter weiss, wenn die Frustration über die Mühsal der bürokratischpolitischen Prozesse mich überkommt und ich am liebsten alles hinschmeißen möchte, gehe ich zum Kaiser und klage ihm mein Leid. Und da er es ist, dem ich die Politik verdanke, der mich hineingezogen, hineingeredet, der mich zur Politik verführt hat, beschimpfe ich ihn oft die ersten zehn Minuten, und da wir gut miteinander stehen und beide aus dem selben Kaff sind, kann man diese Beschimpfungen nicht wiedergeben. Meistens freut er sich darüber. Später dann, wenn wir die Probleme der Sache nach durchgesprochen haben, wartet er stets auf die eine oder andere Weise - mit einer herben Erkenntnis auf, die auch eine Forderung enthält: dass es für einen Politiker nicht ausreicht, viel direkt zu arbeiten, ja dass seine eigentliche Aufgabe überhaupt jenseits davon liegt. Der Kaiser weiß selbst, wie bitter es ist, nicht nur vorher Plakate zu kleben, sondern dann anschließend auch noch derjenige zu sein, der die Stühle aufräumt. Dennoch lässt er mich niemals in jener bemitleidenden Tröstung hängen, die eine Führungskraft Mitarbeitern, die überfordert sind, gemeinhin zukommen lässt, damit sie nicht unvermittelt ausfallen und den Plan in Gefahr bringen. Zwar tröstet er mich schon auch, aber vor allem macht er mir immer wieder klar, dass ehrenamtliche Basisarbeit für einen engagierten Politiker zwar unumgänglich ist, aber dass sich seine Tätigkeit darin nicht erschöpfen darf. Er muss die Aufgabe benennen und dann dafür sorgen, dass Strukturen wachsen, die auf sein eigenes Engagement alleine nicht mehr angewiesen sind. Das waren von jeher die bittersten Lehr-Stunden für mich denn diese Forderung ist die härteste. Spätnachts Stühle zu schleppen ist leicht, im Vergleich mit der Aufgabe, eine stabile, eigenständige Struktur, eine Organisation zu schaffen, in der es dann jemanden gibt, der dies tun kann.

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Der Kaiser arbeitet daran, nicht mehr da sein zu müssen, damit der Laden läuft er arbeitet an seiner eigenen Abschaffung. Er ist durch und durch revolutionär. Er ist nie zufrieden, mit dem, was ist. Das wird ihm von manchen Leuten angekreidet. Wie kann man im Oberbayern des Jahres 2012 leben und unzufrieden sein? Wir haben immer schon genau anders herum gefragt: wie kann man mit einem politisch nahezu gleichgeschalteten Land zufrieden sein, über das seit Jahrzehnten die Schockwellen massiver Industrialisierung hinweg laufen und das sich selbst immer und immer wieder das Märchen seiner Traditionen und seiner Heimatliebe erzählt und einfach nicht sehen will, wie eiskalt und zugig es schon geworden ist? Wir wissen, dass er Intim-Feinde hat, die ihn etwa in den sozialen Netzwerken verfolgen und angreifen, wann immer sich ihnen eine Gelegenheit bietet. Auf eine seltsame Weise, vielleicht typisch sozialdemokratisch, freue ich mich über seine gewöhnlichen und auch seine hartnäckigsten Gegner denn eigentlich jeder von ihnen ist mir auf seine Weise unsympathisch. Der Kaiser hat eine Art, alles Üble besonders aufzustacheln, fast könnte man auch sagen, anzuziehen. Mir ist er deshalb um so lieber. Denn er stellt sich den Konflikten, die er vielleicht weniger heraufbeschwört, als dass er ihre Entstehung nicht von vorne herein energisch bekämpft. Er ist ein guter Kämpfer, weil er keine Angst vor dem Verlieren hat. Der Kaiser entwarf einen spektakulären Wahlkampf, der unseren Mann mit sechzig Prozent ins Amt brachte. Eine Koalition aus uns, Grünen und Freien Wählern wurde Wirklichkeit. Die Aufgabe der Pfaffenhofener Sozialdemokratie bei diesem ersten Bunten Bündnis in Bayern Ideengeber und Allianz-Manager zu sein formulierte er noch in der Wahlnacht. Kaum jemand ist seitdem so vielverbunden, hat Kopfrechnungen mit so vielen Stellen durchzuführen, wie er. Wir leben hier in einer kleinen Stadt. 24.000 Einwohner. Da kennt man sich. Aber niemand kennt so viele, weiß so viel, hat so viele Namen im Kopf und Geschichten bei der Hand, weiss, wer mit wem unter einer Decke steckt und an welcher Stelle das nächste Windrad errichtet werden soll. Der Kaiser ist ein Schwamm, aber einer mit unendlich scheinender Osmose-Kraft. Doch nichts und niemand wird ihn jemals bis zum letzten auspressen können, und möge er ihn noch so bearbeiten, aussaugen, als willigen Zuhörer missbrauchen und mit Anliegen und absurden Ideen nerven. Auch ich besuche ihn oft, auch zu unmöglichen Zeiten. Denn der Zufall will es, dass ich bei jedem Weg in die Stadt und zurück an seinem Büro vorbeikomme von der Hauptstraße liegt es etwas tiefer, in einem alten, gut einsehbaren Haus, das wahrscheinlich nur noch deswegen steht, weil genau unter ihm ein Bach fließt, der irgendwann unterirdisch kanalisiert wurde. Ein schlechtes Geschäft ist bei uns immer noch der beste Denkmalschutz. Der Teil der alten Bude, in dem der Kaiser sein Büro hat, war früher ein Ziegenstall. Es ist dort wegen des unterirdischen Wasserlaufs stets deutlich kühler. Wenn ich nachts an ihm vorüber komme und die Glasfront erleuchtet sehe, muss ich meinen Weg einfach unterbrechen. Er ist ein Mensch, den es stets zu sprechen lohnt, weil selbst seine banalsten Ausführungen immer das Körnchen in sich tragen, das man braucht, um zur Heiterkeit zu finden. Er ist niemals selbst in Zeiten trüber Belastungen und kummervollen Wirrwarrs larmoyant. Zynismus ist seine Sache nicht, seine Polemik und seine Beschwerden über die Hindernisse, mit denen er umgehen muss, strotzen von Witz. Dieser Witz war es auch, der mich letztlich reizte, sein politischer Gefolgsmann zu werden denn zu lachen gibt es mit ihm immer etwas. So zeigte er mir auf, dass Veränderungen im Leben unserer kleinen Stadt, Verbesserungen, Modernisierungen, Inspiration und kulturelle Wärme nur von der Politik in Gang gebracht werden könnten.

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Früher, als junger Mann, als ich in weit entfernten Großstädten lebte, habe ich diesen fundamentalen Zusammenhang nicht gesehen. Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, für den Bezirksstadtrat von Neukölln zu kandidieren, im Gegenteil, eine größere Obszönität hätte ich mir geradezu nicht vorstellen können. Ich war ja froh, irgendwo zu wohnen, wo mich scheinbar nichts etwas anging. Dinge, die mir nicht gefielen, nahm ich hin. Vielleicht fand ich es sogar gut, dass es Dinge gab, die mir nicht gefielen war es so doch viel leichter, die Distanz zu wahren. Zurück in der alten oberbayerischen Heimat war ich dann sofort wieder mit dem konfrontiert, das mich einst hatte fortgehen lassen. Doch nun, als Familienvater begann ich mich mächtiger mit dem neuen alten Ort zu verwurzeln, denn je. Es ist nicht nur die eigene Kindheit, die einen an seine Heimat bindet, sondern in höherem Maße sind es die eigenen Kinder, die den Ort, an dem man mit ihnen lebt, zur Heimat werden lassen. Sie zwingen einen zur Heimat. Der Kaiser dann zog mich in die Politik. Im Brotberuf betreibt der Kaiser eine kleine Marketing-Agentur, doch ist er eigentlich staatlich anerkannter Erzieher und war in ganz jungen Jahren Stadtjugendpfleger. Er ist absolut fasziniert vom Menschen an sich, seiner Gefräßigkeit, seiner Absonderlichkeit, seiner Bequemlichkeit, seiner Einfalt und natürlich auch seiner Kreativität. Man könnte sagen, der Kaiser nimmt den Menschen wie er ist er ist - kein Menschenverbesserer sondern setzt darauf, dass die Gesellschaft die Hirnrissigkeit des einzelnen und seines Fehlverhaltens auszugleichen vermag. Darin sieht er ihre wesentliche Aufgabe. Für die Fähigkeit der Gesellschaft, mäßigend, ausgleichend, helfend, aufmunternd und inspirierend zu wirken, muss die Politik sorgen. Wir teilen beide den hohen Respekt vor der Kommune, wohl wissend, dass es auch ganz andere Haltungen gibt, die das Gemeinschafts-Projekt, sei es eine Stadt, ein Land, ein Bundesstaat wenn nicht vor allem als hinderlich, dann aber auch nur als Gegenstand der Ausbeutung sehen, als Wertschöpfungsrahmen, als generelle Bad-Bank für alle Lasten und Probleme, die der einzelne bei seinem Leben, Konsumieren und Wirtschaften produziert. Eine andere Sache ist die, etwa in der Kommunalpolitik in bestimmten Kreisen durchaus verbreitete Neigung, die Verwaltung des Gemeinwesens möglichst schwach zu halten. Denn eine schwache Verwaltung eröffnet dem einzelnen, zumindest wenn er sich auskennt, Spielräume. Eine schwache Bauverwaltung produziert viele lukrative, weil eventuell fehlerhafte oder unvollständige Ausschreibungen und eine schwache Kulturabteilung lässt dem (ehrenamtlichen) Kulturpolitiker viel Raum zur Selbstdarstellung und Befriedigung seiner Eitelkeiten. Der Kaiser ist ziemlich klein und ziemlich rund. Es wäre für seine Gegner leicht, sich deshalb über ihn lustig zu machen, aber kaum einer traut sich das, strahlt er doch die Kampfbereitschaft eines wilden Ebers aus früher hat er Eishockey gespielt, sein Nacken wölbt sich wie ein prall gefüllter Sandsack über seinen Schultern. Er spricht schnelles, energetisches, zuweilen derbes Bayerisch, das er mit Internet- und Creative-Wording durchsetzt, wie einstmals F.J. Strauss seine Reden mit lateinischem Vokabular. Er merkt, wenn ihm jemand nicht mehr folgen kann, und dann liebt er es, alles wieder zurückzuübersetzen, als spräche er mit einem Menschen der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Einmal meinte er, in der Politik gehe man sich gelegentlich an die Nüsse und es gewinne der, der den schrecklichen Schmerz am längsten aushalte. Dieser interne Kampf ist vielleicht der Ausgleich für jene seltsame, innerlich nicht zu selten verbogene Art, mit der Politiker sich äußern, jene unverwechselbare Art von Zurückhaltung, Wohlwollen, Freundlichkeit und Unverbindlichkeit. Diese absolut geschmeidige Art der Seite 3


Gesprächsführung, die die meisten Politiker wo immer sie auch sind auf die eine oder andere Weise beherrschen und anwenden, rührt nur von einem Umstand her: dem mehr an Wissen. Mehr zu wissen als die anderen ist eine seltsame Substanzenballung. So zu wirken, als ob man immer wüsste, was es zu sagen gibt; was man sagen kann. Plötzlich findet man sich in der Zeitung zitiert, unheimlich viel Interessantes, über das man sich geäußert hat, ist weggelassen und nur eine Bemerkung aus dem Kontext gerissen und sinnentstellt, taucht auf: und das Ganze hat einen faden Geschmack. Die arglos dahin gesprochenen Sätze werden einem um die Ohren gehauen, dass man es pfeifen hört. Im politischen Geschäft, muss man lernen, Dinge für sich zu behalten - der Mächtige ist der, der lernt, sich zu beherrschen, zumindest für den Moment: ein ganz spezifischer Instinkt wird angesprochen, nämlich nicht über alles zu reden, was einem durch den Kopf geht, die anderen nicht hineinzuziehen. Die Dinge für sich zu behalten, sich nicht zu beschweren, nicht zu schimpfen. Die Sorgen und den Ärger mit sich selbst auszumachen. Strategisch motiviert wird man also eine Art Müllschlucker, eine Deponie, ein Endlager. Man braucht politische Freunde, um zu teilen, worüber man sonst nicht reden kann, sonst vergiftet man sich die eigene Quelle. An einem unserer Spazierwege steht ein mehr als übermannshoher Eichenstumpf, von so gewaltigem Durchmesser, dass meine Kinder und ich minutenlang um ihn herumschleichen können, wie wir es von Inspektor Clouseau und dem Rosaroten Panther kennen, ohne uns zu entdecken. Der Eichenstumpf war einmal Teil einer Holzbildhauerei-Arbeit, und die wiederum ein Kunst-im-öffentlichen-Raum-Projekt. Die Politiker, die es in den achtziger Jahren, nach großem Kampf durchsetzen konnten, sind alle schon längst von der Szene verschwunden, ebenso die Kunstwerke. Nur der ungeheure Eichenstumpf ist geblieben. Man kann nicht nur scheinbar endlos um ihn herumschleichen, sondern ihn auch beklettern. Er ist Grundlage von mehreren anderen Baumschösslingen, zwei Ahorns und natürlich findet sich auch ein Exemplar unseres hiesigen Wunderbaums, ein kleiner Hollunder. Es gibt keinen Zweifel, dass der Eichenstumpf verrottet, aber bis er nicht mehr da sein wird, wird es noch 40 Jahre dauern, vielleicht länger. Immer wenn wir an ihm vorbeikommen, frage ich mich, ob meiner kommunalpolitischen Arbeit - die so oder so irgendwann zu Ende geht - eine ebenso gute Bilanz beschieden sein wird. Der Kaiser wird für den Bayerischen Landtag kandidieren und kämpft nun mit den chimärischen Giganten dieser Ebene: unseren Gross-Genossen, die natürlich auch den Sieg wollen, aber dabei keine hochenergetischen Kugelblitze aus Pfaffenhofen gebrauchen können, die sich auf einmal dazwischen drängen und Ansprüche stellen. So brennt das Licht in seinem Büro bis spät in die Nacht, wälzt er Probleme, schreibt Konzepte, entwirft Aufrufe, Anträge, plant Sitzungen zu denen immer nur die knappe Hälfte kommt bedient Facebook, Twitter, die Ortsvereinsseite, die Seite des Unterbezirks, schaltet da und polemisiert hier und kämpft darum, aufgestellt zu werden und zu gewinnen. Ich werde ihm helfen, so gut ich es vermag und ich bin davon überzeugt, dass er es schaffen kann, Abgeordneter, unser Mann in München zu werden. Dann wird er viel fort sein und das Licht in seinem Ziegenstall-Büro wird nicht mehr sooft brennen, wenn ich in die Stadt fahre. Und ich werde wissen, dass ich selbst daran schuld bin, zu einem gewiss winzigen Teil, dass er nicht mehr da sein wird, um mir die politische Beichte abzunehmen. Seite 4


Steffen Kopetzky


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