Spies Hecker Chronik - deutsch

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Spies Hecker. Lacksysteme für Generationen.

ISBN 978-3-00-025313-3

Spies Hecker.

Lacksysteme für Generationen.

www.spieshecker.com

Spies Hecker – näher dran.


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Familien- und Firmengeschichte. Spies Hecker, 1882 – 1945.


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8 II Spies Hecker Chronik II Firmengeschichte, 1882 – 1945

Familienfoto der Heckers, ca. 1910.

Adolf Friedrich Hecker: Ein Kaufmann wird Lackfabrikant.

Adolf Friedrich Hecker.

Farben faszinieren den Menschen seit Urzeiten. Schon vor mehr als 10.000 Jahren schmückten unsere Vorfahren ihre Höhlen mit Malereien. Und Gelehrte wie Isaac Newton oder Johann Wolfgang von Goethe forschten Jahrzehnte über die physikalischen Grundlagen der Farbspektren. Doch wenn der Geheimrat Goethe eine seiner berühmten Reisen antrat und zu diesem Zwecke die Pferde einspannen ließ, dann machte sich der große deutsche Dichter so gar keine Gedanken darüber, wie die Farbe denn wohl auf seine Kutsche gekommen war, wer den Lack hergestellt hatte und warum dieser so robust war.

Dafür verantwortlich waren Meister eines Faches, das selbst für den so umfassend gebildeten Goethe wie ein Buch mit sieben Siegeln erscheinen musste, Personen wie Adolf Friedrich Hecker. Seine Erfolgsgeschichte beginnt am 16. Juni 1863. Automobile waren noch nicht erfunden, doch in London fuhr bereits die erste Untergrundbahn. Die englische Hauptstadt sollte im Leben Adolf Friedrich Heckers noch eine große Rolle spielen ... Von Thüringen aus hatte sich der vermögende Kaufmann mit seiner Gattin Christine auf die Reise nach Köln begeben. Adolf Friedrich Hecker (*4. März 1840)


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war mit seinen erst 23 Jahren ein Kaufmann ganz

Friedrich Hecker handelte mit böhmischem Grafit.

der alten Schule: vornehm, korrekt, gewissenhaft und

Wie es scheint, war dieser Handel jedoch kein

loyal. Eigenschaften, die bei Spies Hecker bis heute

besonders einträgliches Geschäft, denn der Kaufmann

sehr geschätzt werden.

verlor in den ersten fünf Jahren seiner Selbstständigkeit

Das Paar nahm die Eisenbahn und genoss bei der

die Hälfte des investierten Kapitals. Die schmerzlichen

Überquerung von Kölns erster fester Eisenbahnbrücke,

Verluste trug er fein säuberlich in sein sogenanntes

die von Deutz über den Rhein führte, vermutlich die

„Geheimbuch“ ein. Viele hätten nun womöglich die

schöne Sicht auf den Dom, der nach über 600-jähri-

Flinte ins Korn geworfen und Köln Adieu gesagt.

ger Bauzeit kurz vor der Vollendung stand. Hier wollte

Doch Adolf Friedrich Hecker gab nicht auf – ganz

Adolf Friedrich Hecker sein Glück versuchen. Schließ-

im Gegenteil.

lich spielte die rheinische Metropole in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine große Rolle als Handelszentrum,

Er hatte ein Auge auf ein Objekt im für damalige

wo Waren aus England, Skandinavien, Ost- und Süd-

Verhältnisse fernen Raderthal geworfen. Denn dort

osteuropa umgeschlagen wurden. Die Wirtschaft im

betrieben zwei seiner Nachbarn aus der Severin-

Rheinland boomte – erst recht mit Beginn der Repara-

straße, die Materialwarenhändler Koch und Burmann,

tionszahlungen, die Frankreich nach dem verlorenen

eine kleine Fabrik zur Herstellung von Asphaltlack.

Krieg gegen Deutschland 1870/1871 leisten musste.

Raderthal war zu diesen Zeiten nicht gerade ein begehrter Wohn- und Arbeitsplatz. Fritz Hecker sen.

Das Ehepaar ließ sich im „Vringsveedel“ nieder und

beschreibt die Gegend wie folgt:

fand in der Severinstraße ein geeignetes Ladenlokal

„Es war ein verhältnismäßig armes Nest mit 15 bis

für sein erstes eigenes Materialwarengeschäft. Adolf

20 meist sehr primitiven Häuschen, mundartlich

Lacksieder zu Beginn des 20. Jahrhunderts.


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Erste Schutzmarke mit den Buchstaben: A = Anglo, C = Continental, V = Varnish, C = Company.

‚Krüffesjen‘ genannt, mit

technischer Direktor diverser

Zimmern von 3 x 3 Metern,

Papierfabriken im In- und

spitzwinkligem Dach

Ausland machte, beschreibt

und entsprechend schie-

dies in einem Brief an den

fen Dachkammern. Im Volksmund hieß Raderthal auch ‚Räuberthal‘. Es gehörte zur Gemeinde Rondorf (…). Alle Vororte Kölns, also alles, was außerhalb der Sperrmau-

jüngeren Bruder Fritz: „Um dieselbe Zeit muss auch das kleine Lacklager auf der Severinstraße in dem damals vorhandenen Garten gebaut worden sein. Unten standen die Lagerfässer mit Kopal-

ern lag, waren damals noch selbstständige Gemein-

und Asphaltlacken, die dort in Versandkannen abge-

den; zwischen ihnen und der Stadt gab es viele

füllt wurden. Oben lagerten die Teuten (Kannen)

Stänkereien, die in den Karnevalszügen stets reich-

und dort wurde auch der Kopal sortiert. Alle paar

lich glossiert wurden. Die deftigen Bauern, ‚Kappes-

Wochen wurde eine Fuhre geladen mit Kopal, Leinöl

bure‘ genannt, lagen mehr auf der Höhe der Rade-

und Terpentinöl sowie Zwiebeln und Schwarzbrot.

berger Straße und der Hitzlerstraße bis hin zur Bonner

Die beiden letzteren Sachen wurden zum Kochen

Straße; es waren meistenteils recht vermögende

von Firnis gebraucht. In bauchigen Kupferkesselchen

Leute. Auf der Höhe der Brühler Straße, dort, wo sich

wurden etwa 15 Pfund Kopal geschmolzen.“

die Landstraße stark senkt, lag das Landhaus im Villenstil der Brüder Guilleaume, zweier Junggesellen

Zur Erklärung: Kopal ist ein halbfossiles, natürliches

und Brüder des berühmten Gründers der Firma Felten &

Baumharz, das, im Gegensatz zu Frischharzen, eine

Guilleaume. Sie betrieben in einem der Hauptgebäu-

wesentlich größere Härte und somit einen höheren

de der Kotthoff’schen Lackfabrik eine damals namhaf-

Schmelzpunkt aufweist. Aber Schwarzbrot und

te Nudelfabrik. Sie haben unserem alten Herrn das

Zwiebeln – was hatten Lebensmittel im Kessel einer

Leben oft recht sauer gemacht und noch in späten

Lackfabrikation zu suchen? Fritz Hecker sen. löst

Jahren, bis zum Weltkrieg, wenn ich Standöl kochte,

dieses Rätsel in seinen Erinnerungen: „Wenn das

gab es starke Stänkereien.“

Leinöl anfing, ziemlich erhitzt zu werden, wurden Zwiebeln und Brot reingetan und wenn sich beide

Der Begriff „Fabrik“ mag wohl ein wenig übertrieben

schwarz verfärbt hatten, so war das Leinöl fertig

sein, denn Adolf Friedrich Heckers jüngster Sohn Fritz

gekocht. Die Thermometer mit den hohen Zahlen

beschreibt sie in seinen Erinnerungen folgenderma-

gab es wohl damals noch nicht.“

ßen: „Ich habe dieses ‚Fabrikelchen‘ noch im Kopfe: von einer hohen Bretterwand umgeben, mit einem

Zurück zum frischgebackenen Fabrikanten Adolf Fried-

unter freiem Himmel liegenden, eingemauerten, größe-

rich Hecker. Betrieb dieser die Lackherstellung zuerst

ren Kessel sowie einem Schmelzraum mit einem Feu-

noch nebenbei, widmete er sich spätestens mit dem

ertopf und einigen kleinen bauchigen, kupfergetriebe-

Kauf einer kleinen Pechhütte, die den Familien Herbig

nen Schmelzkesselchen.“ Für die Zwecke des Adolf

und Haarhaus – ebenfalls Nachbarn aus der Severin-

Friedrich Hecker jedenfalls reichte es. Er pachtete

straße – gehörte, nur noch seiner neuen Leidenschaft.

1875 den gesamten Betrieb und kaufte ihn bereits

Denn an das Grundstück, das in Raderthal schräg

ein Jahr später. Die für die Lackherstellung benötigten

gegenüber der Asphaltfabrik von Koch und Burmann lag,

Rohstoffe wurden im heimischen Garten gelagert.

war die Konzession einer Lackfabrik gekoppelt. Und

Sein zweitältester Sohn Alfred Hecker, der Karriere als

auf die hatte es Adolf Friedrich Hecker abgesehen.


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Leider waren die Umstände nicht die allerbesten. Fritz Hecker sen.: „Die Lackfabriken standen etwa auf der gleichen Stufe wie Sprengstoffanlagen. Ursache war eine gewisse Feuergefährlichkeit der Abdämpfe beim Kopalschmelzen. Da diese Dämpfe schwerer als Luft waren, schlugen sie sich nicht nur auf das Gemüse der umliegenden Felder nieder, sondern drangen auch in die Häuser und die vielen Gehöfte ein, was für Nase und Lunge höchst unangenehm und lästig empfunden wurde. Es bedurfte also einer besonderen Konzession bei jeder geplanten Ausweitung der Fabrik, die durch den Stadtausschuss der Stadt Köln gehen und in der Zeitung vorher mehrmals veröffentlicht werden musste – diese Ankündigung war mit einer mehrwöchigen Einspruchsfrist belegt. Jede Veröffentlichung aber rief die ganze Umgebung bis zur Brühler- und Bonner Straße auf den Plan. Protestlisten gingen von Haus zu Haus. Der Gründer der Firma Adolf Friedrich Hecker hatte bei jeder neuen Errichtung von Fabrikationsräumen schwere Kämpfe durchzuführen, die ihn sogar zu Einsprüchen beim Ministerium in Berlin veranlassten.“ Die Pechhütte bestand lediglich aus einer Schmelzküche und einem kleinen spitzgiebeligen Wohnhäuschen mit Parterre, erstem Stock und einer wackeligen Holztreppe. Einzig der große Garten überzeugte, war er doch reichlich mit Obstbäumen und prachtvollen Rosenstöcken bestückt. Das Ganze also einfach abreißen? Leider unmöglich, denn damit wäre die Konzession für die Lackfabrikation erloschen. Adolf Friedrich Hecker musste also umbauen und moderni-

schaftsimperium verfügte nicht nur über mehr Geld,

sieren. Leicht gesagt, aber schwer zu finanzieren. Die

sondern durch seine Kolonien auch über alle notwen-

Kölner Bankiers interessierten sich damals weniger

digen Rohstoffe für die Lackherstellung. Allen voran

für die mittelständische Industrie als für die Entwick-

das begehrte Kopal. England war Hauptlieferant für

lung des Eisenbahnwesens und des Ruhr-Bergbaus,

hochwertige Kutschen- und Wagenlacke in Deutsch-

die beiden Motoren der deutschen Wirtschaft. Kaum

land. Es gab damals keine einzige deutsche Lack-

zu glauben, dass die Kölner Straßenbahn noch um

fabrik, die den Produkten der großen englischen

die Jahrhundertwende von einer belgischen Gesell-

Firmen wie Nobl & Hoar’s, Harland & Sons,

schaft betrieben wurde. Und auch die Lackfabrikation

Mander Brothers, Wilkinson, Heywood & Clark Ltd.

überließ man lieber europäischen Nachbarn. In die-

oder Ingham & Sons etwas Gleichwertiges entgegen-

sem Fall den Engländern. Das weltweit führende Wirt-

stellen konnte.

Produktetikett um 1890. Firmengelände in den 30er-Jahren.


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Adolf Friedrich Hecker

Paul Moritz Hecker (Mitbegründer der ANGLO CONTINENTAL VARNISH COMPANY)

Paul Hecker

Fritz Hecker

Alfred Hecker (nicht in die Firma eingestiegen)

Paul Adolf Hecker („PAH“)

Fritz Hecker-Over („FHO“)

Adolf Hecker

Dr. Heinz Probst (Schwiegersohn und persönlich haftender Gesellschafter)

Rolf Hecker

Stammbaum der Hecker-Familie.

Deutsch-britisches Familienabkommen. Adolf Friedrich Hecker hatte immer noch keinen Finanzier für sein großes Vorhaben gewonnen. In dieser misslichen Lage kam dem aufstrebenden Lackfabrikanten das Schicksal zu Hilfe. Sein Bruder Paul Moritz Hecker siedelte 1871 nach England über und betrieb in London einen bedeutenden Handel mit chemischen Produkten, insbesondere schwefelsaurem Ammoniak, der für Düngungszwecke eingesetzt wurde. Zudem leitete Paul Moritz die Generalvertretung für Großbritannien und Irland der Deutschen Kali-Salpeter-Vereinigung. In dieser Funktion hegte

er auch beste Verbindungen zu Leuten, die sowohl über viel Geld als auch die Rohstoffe verfügten, um erstklassigen Lack zu produzieren. Darunter die Brüder Adolf und Hermann Spies. Die Söhne eines Jägermeisters des Erbgroßherzoges waren aus Darmstadt nach London emigriert. Dort betrieben sie Handel mit allerhand Chemikalien und fungierten als Großhändler und Importeure für Lackrohstoffe jeglicher Art, vor allem Kopal. Welch ein Zufall: Paul Moritz Hecker wurde Teilhaber von Spies, Brothers & Co.


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Adolf Friedrich Hecker und Hermann Spies.

So gründeten die Brüderpaare Spies und Hecker am

Auch anderswo boomte die Wirtschaft. In England

Silvestertag des Jahres 1881 die ANGLO CONTINENTAL

nahm das erste städtische Wasserkraftwerk seinen

VARNISH COMPANY Köln und London E.C., genannt

Betrieb auf, in Nordamerika wuchs der erste Wolken-

ACVC, die am 1. Januar 1882 in das Handelsregister

kratzer gen Himmel und Gottlieb Daimler entwickelte

in Köln eingetragen wurde. Sitz des Unternehmens

1884 in Stuttgart den ersten Benzinmotor. Die größte

waren Köln und London, Geschäftsführer wurde Adolf

Sensation gelang ihm zwei Jahre später zusammen

Friedrich Hecker. Nun konnte es in Raderthal losge-

mit Wilhelm Maybach: Beide bauten Daimlers Motor

hen. Die Lackschmelze bekam ein Wellblechdach und

in eine Kutsche ein, die daraufhin eine rasante Ge-

ein kleines, englisches Drehtürmchen mit aufsitzen-

schwindigkeit von zwölf Stundenkilometern erreichte.

der Windfahne. Alles für den Start der Fabrikation

Nur Arbeit, kein Amüsement? Mitnichten! Denn die

Wesentliche wurde aus England importiert – auch die

ganze Welt tanzte zu den Walzern von Johann Strauß.

Abmessungen und Gewichte. Zudem wurden neben dem kleinen Hüttchen zwei nagelneue Häuser errich-

Trotz aller Euphorie: Paul Moritz Hecker war zu

tet und ein Anbau schuf genügend Platz für eine

diesem Zeitpunkt bereits wieder aus der ACVC aus-

ganze Reihe größerer Lagerbassins. Die Spezialitäten

getreten – nach nur fünf Jahren. Die Goldstücke

der Firma pries ACVC in Zeitungsanzeigen:

waren nicht so gerollt, wie er es sich erträumt hatte.

„Kutschenlacke, englische Wagenlacke, dauerhafte

Und Paul wollte nichts verlieren. Hätte er nur ein

Luftlacke, fleckenfreie Tischplattenlacke, hart trock-

wenig mehr Geduld bewiesen …

nende Fußbodenlacke, hauch- und sprungfreie Dekorationslacke, echte Bernsteinlacke, Heizkörperlacke,

Rolf Hecker beschreibt in seiner Festansprache

Marmorlacke, Gartenmöbellacke, Schultafellack und

zum 75-jährigen Bestehen des Unternehmens

Sitzlack für Kirchenstühle.“

Spies Hecker die anfänglichen Schwierigkeiten seines Urgroßvaters Adolf Friedrich Hecker, Ende des


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1913: Briefkopf mit dem Hinweis „Wagenlacke ersten Ranges nach bestem englischem System“.

19. Jahrhunderts das Image deutscher Lackfabrikate

Schnurrbart kam eigentlich aus dem Uhrengewerbe,

aufzupolieren: „Es war schwer, auf dem deutschen

hatte in England das Lacksiederhandwerk erlernt und

Markt mit unseren Erzeugnissen Fuß zu fassen; denn

brachte gleich seinen älteren Bruder Charles („Charlie“)

damals galt das von englischer Seite propagierte

mit nach „Good old Germany“. Adolf Friedrich Heckers

Wort für die deutsche Ware ‚billig und schlecht‘. Mit

Sohn Fritz hatte ein ambivalentes Verhältnis zu dem

dem englischen Firmennamen allein war es dann

selbstbewussten Dick aus Großbritannien, der dem

nicht getan. Man musste noch einen Schritt weiterge-

Unternehmen übrigens bis ins Jahr 1912 treu blieb:

hen und das war das Engagement eines englischen

„Er betrieb neben der Schmelzerei allerhand Lieb-

Lacksiedemeisters, der nun auch die Erfahrungen,

habereien, hatte eine ganz feudale Kaninchenzucht

die zweifellos bei den Engländern in großem Maße

sowie wunderbare englische Rassehühner und er

vorhanden waren, nach Köln mitbrachte.“

poussierte an der nachbarlichen Gutstochter, Fräulein Moll, die sein besonderes Entzücken durch ihre

„Made in Germany“ war damals noch alles andere als

prachtvoll kräftigen Beine weckte und von der er

ein Qualitätsmerkmal. Hochelegante Lackierungen gal-

meinte, dass sie durch den großen Länderbesitz der

ten als große Kunst – und deutsche Lacke als „Birnen-

Familie einst Millionen zu ererben hätte. Sie wurde

kraut“ und „Vogelleim“. Das sollte Mister Morgan

seine Frau und schenkte ihm nach und nach vier Kin-

fortan ändern. Denn der Lackfachmann, den Adolf

der, einen Sohn und drei Töchter, aber die Millionen

Friedrich Hecker aus England „importierte“, galt als

blieben aus. Sein Interesse an der Fabrik war geteilt

Spezialist im Bereich hochfeiner Kutschenlacke. 1890

und es fehlte die Gewissenhaftigkeit, die bei der

wurde Morgan von Richard Axmann – genannt „Dick“ –

außerordentlich schwierigen und empfindlichen Fabri-

abgelöst, einem Schwager von Hermann Spies. Der

kation der hochqualitativen Lacke, besonders der

Mann mit dem rötlich-blonden Haar und veritablem

Wagen- und Kutschenlacke, notwendig ist.“


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Bei aller Kritik: Die von Axmann hergestellten Lacke schienen nicht die schlechtesten zu sein. Denn das kleine Unternehmen wuchs stetig. In kurzer Zeit machte sich der Betrieb im In- und Ausland einen guten Namen. Bereits 1892, also rund zehn Jahre nach Gründung der ACVC, besaß die Firma immerhin schon drei Prokuristen: Paul Hecker (*18. November 1864), Adolf Friedrich Heckers ältester Sohn, Richard Axmann und Ludwig Bauer. Die Last der Verantwortung lag nun also nicht mehr nur auf dem Gründer allein, sondern er konnte sich auf drei Mitarbeiter stützen. Jeder hatte seine ganz besondere Aufgabe: Dick Axmann kümmerte sich um die Produktion, Ludwig Bauer (Fritz Hecker sen.: „Mit Herrn Bauer kam Zucht unter die Büroangestellten unter gleichzeitiger Aufnahme bzw. Einstellung von Lehrlingen.“) um die Buchhaltung und die Finanzen und Paul Hecker um den Verkauf. Die Herren Prokuristen waren sich auch nicht zu fein, als „Handlungsreisende“ in Sachen ACVC tätig zu werden. Sie fuhren zu potenziellen Kunden, machten Werbung für das Unternehmen und seine Produkte und schrieben Aufträge am laufenden Band. Rolf Hecker: „Aus dieser Zeit stammt noch die Tradition der Firmeninhaber, mit vielen alten Kunden engste Fühlung zu nehmen, und zwar in einem Maße, wie das bei anderen Unternehmen gleicher Art nie der Fall gewesen ist. Dieser persönliche Kontakt ist ein wesentlicher Faktor für die geschäftliche Entwicklung gewesen.“ Ein Engagement, das schnell belohnt wurde. Denn bereits 1893 waren die Räumlichkeiten zu klein geworden und die „VARNISH COMPANY“ zog im August des Jahres in neue Geschäftsräume in der Mechtil-

Anfangsgehalt von 145 Mark („eine aufreizende

disstraße 4 um. Sie beherbergten nicht nur Büros

Rücksichtslosigkeit“). Sein Enkel Rolf Hecker erinnert

und Lager, sondern dienten auch als Privatwohnung.

sich noch heute daran, dass der Großvater voller Stolz

Im Jahr des großen Umzugs kehrte Adolf Friedrich

davon berichtete, wie viel Tonnen Kopal er im Laufe

Heckers jüngster Sohn Fritz (*22. Februar 1873),

der Zeit eigenhändig geschmolzen hatte. Ihm zu

der insgesamt fünf Jahre im Ausland (drei Jahre in

Ehren wurde später die Fritz-Hecker-Straße benannt.

London, zwei in Paris) verbracht hatte, wieder in den Schoß der Familie zurück und trat als Lacktechniker

Das Schmelzen von Kopalen war Ende des 19. Jahr-

ins Unternehmen ein. Er erhielt erst einmal ein

hunderts noch kein rein wissenschaftlicher Vorgang,

Firmengelände in den 30er-Jahren. Produktionshalle mit Walzenstühlen.


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sondern erfolgte nach Gutdünken und langjähriger

Hecker, Erinnerungen.) Erst viel später baute man

Erfahrung. Je erfahrener der Schmelzer, desto besser

komplizierte Abzugsvorrichtungen mit schweren

der Lack. Schließlich wurde mit Naturprodukten

Ventilatoren. Die Abdämpfe wurden durch mehrere

gearbeitet und diese zeigten bei der Verarbeitung

wassergekühlte Schlangen und Absetzkammern für

zu Klarlacken immer wieder neue Ergebnisse. Rolf

das kondensierte Öl geleitet und was noch übrig

Hecker: „Nur wer ständig an den Kesseln stand,

blieb, unter dem Dampfkessel verbrannt. Gefahren

bekam mit der Zeit das Fingerspitzengefühl dafür,

gab es immer noch genug. Zum Beispiel, dass bei

was zur Erzielung von Qualitäten gehörte.“ Kein

einer Entzündung des Kessels und der Dämpfe die

Wunder also, dass erfahrene Lacksieder – vor allem,

Abgase zur Explosion kamen und andere Kessel

wenn sie aus England kamen – heiß begehrt waren.

entzündeten. Fritz Hecker sen.: „Dass durch Explosionen häufig Augenwimpern und Schnurrbärte zum

Fritz Hecker sen. (rechts), um 1900.

Der große Nachteil der Lackfabrikation: Die Rauch-

Teufel gingen, war an der Tagesordnung. Auch sehr

belästigung für Arbeiter und Anwohner rund um die

schwere Verbrennungen kamen vor und oft genug

Lackfabrik war enorm. „Bei der gewaltigen Rauch-

saß der Tod uns im Nacken.“ Auch Adolf Friedrich

entwicklung der abdestillierten Kopalöle war die

Hecker und seine Söhne blieben von derartigen

Schmelze derartig von Dämpfen erfüllt, dass man

Blessuren nicht verschont.

die Hand kaum vor den Augen sehen konnte.“ (Fritz

Verschont blieben sie auch nicht von einem heftigen Tornado, der im Sommer 1898 durch das Rheinland fegte. Fritz Hecker sen.: „Auch unsere Fabrik wurde schwerstens heimgesucht. Abgedeckte Dächer, umgelegte Fabrikmauer, der hohe Fabrikschornstein abgedreht, emporgehoben und in einem Ständer mit schwarzem Emaillelack abgesetzt. Ein für das Werk großer Schaden. Seitdem war die Fabrik gegen Sturmschäden versichert.“ Sie wurde glücklicherweise nie mehr benötigt. Wilhelm II. hatte währenddessen nur 29-jährig den deutschen Kaiserthron bestiegen und in Amerika erfand John Pemberton das perfekte Limonadenrezept. Das sprudelnde Getränk nannte er „CocaCola“. Doch auch im automobilen Bereich standen die Zeichen auf Zukunft. Im Rahmen der Pariser Weltausstellung wurde 1889 der erste Ganzstahlwagen mit einem Zweizylinder-V-Motor präsentiert. Das Deutsche Reich bekam im Tausch gegen Sansibar die Insel Helgoland und „ergatterte“ Togo, Kamerun, Südwest- und Südostafrika. Endlich Kolonien und damit auch Zugänge zum heiß begehrten Rohstoff Kopal. Parallel zum erfreulichen Weltgeschehen entwickelte sich die „VARNISH COMPANY“ in Raderthal prächtig. Die Lackfabrik wuchs und wuchs.


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Fritz Hecker sen.: „Hergestellt wurden zuerst Fuß-

Klarlacke

Lackfarben

bodenlacke, Dekorationslacke, Dammarlacke und

1910

487.800

143.952

Asphaltlacke verschiedener Techniken.“ Mit der

1911

601.951

201.258

Verpflichtung des Lackfachmanns Morgan bekam die

1912

741.376

209.358

Fabrikation neue Impulse. 1887 wurden zum ersten Mal Kutschen- und Schleiflacke ins Fabrikationspro-

Um die Jahrhundertwende ging die Lackindustrie

gramm mit aufgenommen. „Mit der Vervollkommnung

allmählich dazu über, nicht nur klare Lacke, sondern

der Wagen- und Kutschenlacke und der Anerkennung

auch fertige Lackfarben herzustellen. PERMANENT

derselben bei den Wagenlackierern wuchs der Stab

Lack und PERMANENTWEISS für die Waggonindustrie

der Vertreter besonders an festen Großplätzen ganz

und die Staatsbahnen wurden die ersten Waren-

erheblich. Bald war das ganze Deutschland bis in den

zeichen der ACVC. Die überragende Qualität machte

fernen Osten, von Königsberg-Danzig bis hinab nach

das Unternehmen im ganzen Reichsgebiet bekannt.

Kattowitz ein erhebliches Absatzgebiet geworden.“

Rolf Hecker: „Mittlerweile hatte die Firma einen Umfang angenommen, dass es zweckmäßig erschien,

Bis 1914 dehnten sich Fabrikation und Vertrieb

ihr eine neue Gesellschaftsform zu geben. Die Risiken

immer weiter aus. Seit 1898 hatten sich die Jahres-

waren größer geworden – die immer noch beteiligten

umsätze mehr als verdoppelt. Die zur Lackherstel-

englischen Freunde hafteten zwar nach wie vor mit

lung erforderlichen Rohstoffe lieferten weiterhin die

ihrem ganzen Vermögen, waren aber nicht unmittel-

Teilhaber Spies aus England. Die Umsätze bei Klar-

bar an der Geschäftsentwicklung beteiligt – und es

lacken und Lackfarben entwickelten sich rasant:

drängte alles zur Gründung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die 1911 mit einem Kapital von einer Million Goldmark und 100.000 Goldmark Reserven vollzogen wurde.“ Am 1. Januar 1912

Spies Hecker Lacksiederei. Davor lagern Kopale und Fässer mit Ölen.


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tätige Ludwig Bauer die Geschäftsführung des Unternehmens erhalten sollten.“ Von der andauernden Hochkonjunktur profitierten nahezu alle Kreise der Bevölkerung. Die medizinische Versorgung verbesserte sich rapide, der Anschluss an die Versorgung mit Wasser, Gas und Strom, der Ausbau der Kanalisation, aber auch die Verbesserung der Ernährungsgewohnheiten führten zu einer regelrechten Bevölkerungsexplosion. Lebten 1890 rund 50 Millionen Menschen in Deutschland, so waren es 1913 bereits 67 Millionen. Fast den gesamten Zuwachs nahmen die Städte auf – natürlich auch Köln. Die Folgen der rasanten Urbanisierung waren unübersehbar: In den schnell wachsenden Metropolen wurden Kraftwerke errichtet, Straßenbahnen und Straßenbeleuchtung wurden elektrifiziert, Eisenbahnen transportierten in großer Menge Fisch und Getreide in die Städte. Großmärkte und Kaufhäuser übernahmen die Versorgung mit frischen Lebensmitteln, neben denen neuerdings auch Konserven angeboten wurden. Dem rasanten Fortschritt zum Trotz Werbung von 1911 mit Abbildungen aus dem Rheinland.

hielten die Deutschen an ihrem heiß geliebten Kaiser Wilhelm fest. Männer, die modisch auf dem letzten Stand der Dinge sein wollten, trugen ihren Bart hochgezwirbelt – ganz wie Wilhelm II. wurde die Firma in Spies, Hecker & Co. GmbH umgewandelt.

International fehlte es jedoch an Anerkennung. Denn das weltpolitisch auftrumpfende Deutsche

Adolf Friedrich Hecker erlebte diese Veränderung

Reich war vielen europäischen Mächten ein Dorn im

leider nicht mehr. Der Firmengründer, der inzwischen

Auge. 1904 legten Großbritannien und Frankreich ihre

Vorstandsmitglied des Verbandes der Deutschen

kolonialen Streitigkeiten bei und schlossen ein Bünd-

Lackfabriken war, den er 1900 mitbegründete, starb

nis (Entente cordiale). 1905 scheiterte der Versuch

im Jahre 1909 nur einige Monate nach dem Tod

Kaiser Wilhelms II., das alte deutsch-russische Bünd-

seiner geliebten Ehefrau. Urenkel Rolf Hecker: „Nun

nis zu erneuern. Zwei Jahre darauf kam es zu einem

kam die zweite Generation an die Reihe. Sie erfreute

britisch-russischen Vertrag. Deutschland war isoliert –

sich des Vertrauens ihrer englischen Teilhaber, die

abgesehen vom Bündnispartner Österreich-Ungarn.

bei Gründung der GmbH auch weiterhin die Verant-

Aber seit der Annektierung Bosniens durch Österreich

wortung für die Führung der Geschäfte den Kölner

herrschten auf dem Balkan Unruhen. Doch die

Herren überließen. Und so wurde bestimmt, dass

Deutschen ließen sich nicht unterkriegen: „Nun

die Herren Paul Hecker, mein Großvater Fritz Hecker

erst recht“ lautete die Devise.

sen. und der seit mehr als 25 Jahren im Geschäft


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Fritz Hecker sen. in seinen Erinnerungen: „Wir zitter-

Kunden. Mit der Ermordung des österreichischen

ten in Vorahnung einer Katastrophe. England lauer-

Thronfolgers und seiner Frau durch einen serbischen

te im Hintergrund, von Frankreich und seinem Ver-

Fanatiker am 28. Juni 1914 in Sarajevo endete das

bündeten Russland (Alliance) sekundiert. Der seit

konjunkturelle Hoch jedoch schlagartig. Am 31. Juli

langen Jahrzehnten aufgespeicherte Hass gegen

rief Russland zur allgemeinen Mobilmachung auf,

das Deutsche Reich begann drohende Gestalt

am 3. August 1914 erklärte Deutschland Frankreich

anzunehmen. Wir waren unerhört reich geworden.

den Krieg. Die Folge: Zwei Tage später erklärte Groß-

In der ganzen Welt gab es riesige Kapitalien und

britannien Deutschland den Krieg. Für die Spies,

gewaltige von uns kontrollierte Werke und Anlagen.

Hecker & Co. GmbH eine Katastrophe, denn die Firma

Der ganzen Welt waren wir ein schlimmer Konkur-

wurde dadurch von ihren Rohstoffquellen abgeschnitten,

rent. Auch wir waren um diese Zeit reich geworden,

was natürlich eine starke Beeinträchtigung der Lack-

das investierte Kapital in unserem Geschäft hatte

fabrikation nach sich zog.

sich immens vergrößert, der Geschäftsgang war blendend, wenn auch die vornehme Art unserer

Doch allen Misslichkeiten zum Trotz – man hatte

Geschäftsführung und eine gewisse Engherzigkeit

vorgesorgt. Fritz Hecker sen.: „Als der Weltkrieg

derselben noch einen größeren Aufschwung

ausbrach, waren wir infolge sehr umfangreicher

verhinderte.“

Einlagerungen an Rohstoffen für längere Jahre wohlgerüstet. Allein bei der Firma Brinkmann & Mergell hatten wir an Verträgen noch 260.000 Kilo Leinöl

Der Erste Weltkrieg und die Folgen.

laufen, abgesehen von den reichen Vorräten, die in der Fabrik lagerten. Einen großen Teil dieser Abschlüsse haben wir dann im Laufe des ersten

Die noch junge Spies, Hecker & Co. GmbH entwickelte sich trotz der aufziehenden Gewitterwolken prachtvoll. Das Unternehmen hatte inzwischen 8.000

Kriegsjahres zurückverkauft, aber immer wieder noch Posten hereingenommen, sodass die Öllackfabrikation und diejenige der Lackfarben fast bis zum Ende

Soldat mit Gulaschkanone, um 1916. Luftaufnahmen vom Kölner Dom aus, ca. 1920.


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Werksgelände zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

des Krieges durchgehalten werden konnte. Auch an

Es kam das Schicksalsjahr 1917, in dem das Unter-

Kopalen waren große Mengen auf Lager; außerdem

nehmen auf eine besonders harte Probe gestellt

hatten wir bei den damals außerordentlich billigen

wurde. Großbritannien war dazu übergegangen, unter

Mühlenraum mit Trichtermühlen für Kleinansätze.

Schellackpreisen mehrere Hundert Kisten spekulativ

Bruch des Völkerrechtes das Privateigentum deutscher

auf Lager genommen. Da wir bald nach Kriegsanfang

Bürger in England zu beschlagnahmen, es zu verkaufen

von Staats wegen detaillierte Bestandsaufnahmen an

und den Erlös für Kriegszwecke einzuziehen. Durch

Rohstoffen machen mussten, waren auch diese

diese Handlungsweise sah sich die Regierung des

Schellackvorräte entsprechend den Fakturenberech-

Deutschen Reiches gezwungen, ebenso mit dem briti-

nungen aufgegeben worden. Im weiteren Verlauf des

schen Privateigentum in Deutschland zu verfahren.

Krieges haben dann die Kriegsgesellschaften diese

Für die Spies, Hecker & Co. GmbH bedeutete dies

ganzen Schellackvorräte übernommen, zahlten uns

zunächst einmal die Beschlagnahme der Anteile der

dafür die Fakturenbeträge plus – soviel ich mich

britischen Teilhaber. Ein Desaster, zumal die Gebrüder

erinnere – einen Aufschlag von zehn Prozent. Wie wir

Spies den überwiegenden Teil des Geschäftsvermö-

dann später hörten, verkauften diese Kriegs-(Wucher-)

gens besaßen. Wären diese Anteile in fremde Hände

Gesellschaften in Berlin den Schellack mit mehreren

geraten, hätte dies unter Umständen das Ende der

Hundert Prozent Zuschlag an die Kriegsindustrie. Schel-

Firma unter der Führung der Familie Hecker bedeutet.

lack wurde in ganz erheblichem Maße zur Anfertigung

Unter größten Opfern erwarben sie für rund eine

der Handgranaten und auch anderer ,Feuerwerks-

halbe Million Goldmark die Anteile der britischen

körper‘ benötigt. Ebenso ging es mit einem Rest von

Partner, die voll ausgezahlt wurden.

4.000 Kilogramm selbst gebleichten Leinöles, der leider von meinem Bruder gegen Ende des Krieges

Am 9. November 1918 verkündete Kaiser Wilhelm II.

den Kriegsgesellschaften gemeldet und von diesen

seine Abdankung und flüchtete ins niederländische Exil.

natürlich eingesackt wurde.“

Der Erste Weltkrieg war verloren, Deutschland besiegt. Die Spies, Hecker & Co. GmbH konnte den Betrieb auch in den schwersten Zeiten aufrechterhalten, doch nun


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Die dritte Generation der Hecker-Familie: Paul Adolf Hecker, links, und Fritz Hecker-Over, rechts.

waren die Rohstofflager leer – und das Geld für die Beschaffung neuer Lackrohstoffe war denkbar knapp.

Ein kleines Wirtschaftswunder und sein schnelles Ende.

Rolf Hecker: „Wenn nicht die Vorräte im Jahre 1917 zur Auszahlung der beschlagnahmten Anteile verkauft worden wären, hätten genügend Geldmittel zur Werksmodernisierung zur Verfügung gestanden. So aber konnte selbst das nicht in der Inflationszeit bewerkstelligt werden und Ende 1923 war wieder mal ein Tiefpunkt erreicht. Inzwischen war die Firma, jetzt ohne Engländer, erneut geändert worden, diesmal gab es eine Kommanditgesellschaft für den Betrieb, während die GmbH aus steuerlichen Gründen als reine Grundstücksgesellschaft bestehen blieb. Die zweite Generation wurde jetzt persönlich haftender Gesellschafter.“ Die Währungsumstellung am 1. Januar 1924 beließ dem Unternehmen ein Restkapital von 540.000 Reichsmark, halb so viel wie 1911.

Längst war schon die dritte Generation der Familie Hecker aktiv in den Betrieb nachgerückt – Paul Heckers Sohn Paul Adolf Hecker (*29. Oktober 1896), genannt „PAH“, der bereits seit 1913 in der Firma arbeitete, sowie die beiden Söhne von Fritz Hecker sen., Fritz Hecker-Over (*20. April 1903), genannt „FHO“, und Adolf Hecker (*19. April 1904). Der Wagemut der jungen Herren setzte die gute alte Tradition fort und bereits fünf Jahre nach der Währungsinflation, also 1929, war das Unternehmen wieder bestens aufgestellt. Deutschland befand sich endlich wieder in einer Phase des Aufschwungs. Ausländische Kredite und Investitionen ermöglichten die Einführung modernster Technologien. Siemens und die Allgemeine Electricitäts-Gesellschaft (AEG) in Berlin konnten ihre Weltmarktpositionen zurückgewinnen, die sie bereits vor 1914 eingenommen hatten. Als erstes deutsches Werk setzte die Firma NSU 1927 im Motorradbau das Fließband ein. Und in Stuttgart entstand 1926 die Daimler-Benz AG. Mit der Zunahme der Motorisierung und des Straßentransportes in den 20er-Jahren gewann die Kraftfahr-


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zeugindustrie erheblich an Bedeutung. Zwischen

Die Tage des Ausprobierens, des auf jahrelanger

1922 und 1928 erhöhte sich der Bestand von

Erfahrung basierenden empirischen Lackschmelzens

PKW und LKW von 125.000 auf rund 470.000.

waren gezählt. Forschung und Wissenschaft setzten sich auch im Herstellungsprozess immer mehr durch.

Gute Zeiten für Spies Hecker. Und auch hier ging

Dies galt ansatzweise schon bei der Herstellung der

man mit der Zeit. Ab 1927 wurde das Unternehmen

Nitrozelluloselacke. Anfangs half sich Spies Hecker

massiv umstrukturiert – sowohl im Bereich der Ver-

durch einen Zusammenschluss mit weiterentwickelten

triebsorganisation als auch in der Anwendung neuer

befreundeten Firmen. Gemeinsam wurde ein neues

Herstellungsverfahren. Der Trend kam aus Amerika

Produkt unter dem Namen „TEMPOLOID Lack“ auf

und trug den Namen Nitrozelluloselack. Dabei han-

den Markt gebracht. „Bald aber schieden wir aus,

delte es sich um die Verarbeitung nicht verpulverter

weil erkannt wurde, dass der größere Erfolg in der

Schießbaumwolle, auch Kollodiumwolle oder Nitrozellu-

eigenen Leistung liegt“, so Rolf Hecker.

lose genannt. Wie sehr auch die ältere Generation den Fortschrittsgedanken der jungen trug, belegt ein

Nun schlug die große Stunde von FHO. Gegen den

Kommentar von Ludwig Bauer, dem verdienten Proku-

Widerstand seines Vaters trieb er die Entwicklung der

risten unter Firmengründer Adolf Friedrich Hecker und

nun aufkommenden Kunstharzlacke voran und setzte

späteren Geschäftsführer, zur Notwendigkeit einer

sich für die Aufnahme ofentrocknender Lacke in das

Betriebsumstellung: „Da mache mer ebe von jetzt

Entwicklungs- und Herstellungsprogramm ein. Die

an Zelluloselack.“

Kunden waren begeistert, sodass Fritz Hecker sen. seinem resoluten Sohn die eigenmächtige Handlung

Fritz Hecker sen.: „Es gingen in der guten Zeit

großzügig verzieh. Denn mit dem Beginn der Weltwirt-

wöchentlich viele Tausend Kilogramm Schleiflack und

schaftskrise 1929/1930 endete die Phase des konjunk-

viele Hundert Kilo feinste Kutschenlacke in die Welt

turellen Aufschwungs abrupt. Doch der erfolgreiche

hinaus. So wurden die Lacke für den Großbedarf in

Auf- und Ausbau wurde einmal mehr zurückgeworfen.

saubere, 25 Kilogramm fassende Kannen oder für

In ganz Deutschland. Der Abzug amerikanischer Kre-

Wagenlackierereien und Kleinbetriebe in kleine,

dite, auf denen der Aufschwung seit 1924 beruhte,

schmucke, verzinnte Blechkännchen abgefüllt.“

führte überall im Deutschen Reich zu Firmenzusammenbrüchen. Die Industrieproduktion sank von 1929

Leider wurde die positive geschäftliche Entwicklung

bis 1932 um 40 Prozent und fiel auf den Stand von

von einem großen Verlust begleitet: 1929 starb

1904 zurück. 1931 kam es zum Zerfall des internatio-

Paul Hecker, ältester Sohn des Firmengründers Adolf

nalen Währungssystems. Sparer stürmten Banken und

Friedrich Hecker, nach langer, schwerer Krankheit.

Sparkassen, um ihr Geld zu retten. Die Bankenkrise

Sein Sohn Paul Adolf Hecker („PAH“) übernahm die Auf-

verschärfte die wirtschaftliche Rezession. Die Folge:

gaben des Vaters, die in den 20er-Jahren im Wesent-

1932 waren 6,2 Millionen Deutsche arbeitslos. Die

lichen im kaufmännischen Bereich lagen. PAH hatte

soziale Not wurde zum ergiebigen Nährboden für die

lange Zeit in Kassel-Bettenhausen verbracht, wo das

Nationalsozialisten.

Unternehmen nach dem Krieg einen Zweigbetrieb aufgebaut hatte. Denn als die Franzosen das Rheinland

Rolf Hecker erinnert sich: „Erst kam noch die große

– also auch Köln – besetzten und das Gebiet abrie-

Pleite. Nicht bei uns, aber bei vielen Kunden. Und es

gelten, konnten die Kunden nicht mehr bedient wer-

gab Verlustjahre 1931 und 1932. Nicht an unserem

den. Kurzerhand wurde in Kassel eine Niederlassung

Unternehmen lag das. Es war die Wirtschaftskrise, die

gegründet.

in den USA begann und dann die ganze Welt erfasste.


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Produktionshalle mit Walzenstühlen zum Anreiben von Pigmenten, 30er-Jahre.

Als das Jahr 1933 heraufzog, waren wir wieder einmal

schloss er für immer die Augen. Rolf Hecker:

arm. Sehr arm sogar. Aber trotzdem unternehmungs-

„Ihm hat das Unternehmen außerordentlich viel zu

lustig. Eifrig wurden Fäden gesponnen und die Lage

danken. Er war es, der stets den Überblick über die

unseres Unternehmens in Verwaltung und Betrieb genau

finanziellen Möglichkeiten von der ersten Zeit an bis

untersucht. Als sich dann der Silberstreif am Horizont

zu seinem Tode behielt und auch in der gehörigen

der Wirtschaft zeigte, war auch unsere Firma da. (…)

Form zur Geltung bringen konnte. (…) Wer mit ihm

Schon ehe das Schlimmste überwunden war, begann

gearbeitet hat, der weiß, wie sehr er der Garant für

die Reorganisation des Betriebes. Mit gebrauchten

das Ansehen der Firma namentlich in finanzieller

Maschinen fing es an. Auch die waren teuer genug.“

Hinsicht gewesen ist.“ Ludwig Bauers Tod machte

Es ging wieder bergauf. Sowohl das Unternehmen

einmal mehr eine Neuordnung innerhalb der Gesell-

als auch das Produktprogramm wurde entscheidend

schaft notwendig. Die Mitverantwortung für das Unter-

erweitert. Zudem übernahm Spies Hecker 1936 ein

nehmen war längst auf die dritte Generation über-

Gelände von der Stadt Köln. So konnte die Firma

gegangen. Von den ehemals drei persönlich haften-

auch den Radius des Geschäftsgrundstückes in

den Gesellschaftern war nur noch Fritz Hecker sen.

Raderthal vergrößern. Das Büro wurde erweitert,

verblieben. Es war an der Zeit, den Junioren

Nitroabteilung und Expedition entstanden.

die volle Verantwortung zu übertragen. Paul Adolf Hecker („PAH“), Fritz Hecker-Over („FHO“) und Adolf

Den ersten Schritt der neuen Entwicklung durfte Lud-

Hecker übernahmen zusammen mit dem Senior

wig Bauer noch miterleben. Doch im Dezember 1935

die Geschäftsleitung.


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Kalender von 1941: Im Kundenanschreiben von 1948 (rechts) heißt es: „... wurden wir doch 1941 wegen des ‚Schwarzen Korps‘ heftig zurechtgewiesen – und damals waren es nur zwei Bilder, die solchen ‚Anstoß‘ erregt hatten … möge ein gnädiges Geschick es fügen, dass wir alle im neuen Jahre friedlich und mit gutem Erfolg an der Wiederherstellung normaler Verhältnisse arbeiten dürfen.“

Der Zweite Weltkrieg – fast der Untergang. Bis 1939 stieg die Zahl der Mitarbeiter auf 250. Dann drehte sich wieder einmal das Rad der Geschichte. Am 1. September 1939 erklärte Hitler Polen den Krieg. Die Reaktion aus Großbritannien und Frankreich, die im März Polens Unabhängigkeit garantiert hatten, erfolgte prompt: Am 3. September 1939 erklärten beide Länder Deutschland den Krieg. Die Katastrophe nahm ihren Lauf. Der Zweite Weltkrieg war ausgebrochen. Schon vor dessen Beginn wurde Fritz HeckerOver einberufen. Viele sollten noch folgen. Doch auch als sich die Belegschaft auf 100 Angestellte reduziert hatte, wurde der Betrieb aufrechterhalten – wenn auch unter vereinfachten Bedingungen: große Mengen, wenig Sorten. Noch im Jahr 1941 erreichte Spies Hecker ein gutes Ergebnis und produzierte 3.000 Tonnen im Wert von 5,5 Millionen Reichsmark. Doch der Mangel an Arbeitskräften ließ den Umsatz immer weiter sinken. Produzierte das Unternehmen 1942 immerhin noch 2.900 Tonnen (4,8 Millionen Reichsmark), waren es 1943 nur noch 2.300 Tonnen (4,3 Millionen Reichsmark), 1944 nur noch 1.400 Tonnen (3,4 Millionen Reichsmark) und 1945 dann 400 Tonnen (0,7 Millionen Reichsmark).

Seniorchef Paul Adolf Hecker berichtet 1959 in einem Interview mit der Industrie- und Handelskammer (heute im Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv zu Köln): „Selbst im letzten vollen Kriegsjahr wurde mengen- und wertmäßig mehr geleistet als im besten Friedensjahr. Und das mit der Hälfte der Belegschaft.“ Bereits 1942 entschied sich die Firmenleitung zur Verlagerung einzelner Betriebszweige. Befreundete Betriebe leisteten in zunehmendem Maße „Lohnarbeit“ für Spies Hecker und lagerten Rohstoffe des Unternehmens ein. Unter diesen Firmen befanden sich auch die Detmolder Lackfabrik Niesen und Söhngen sowie die Firma Klett & Schürhoff in Solingen, mit der Spies Hecker eine Kriegsbetriebsgemeinschaft bildete. Im Kreis Ludwigsburg pachtete das Unternehmen 1943 einen Betrieb mit eigenem Personal. Im schlesischen Liegnitz richtete man einen nagelneuen Verlagerungsbetrieb ein. Auf Betreiben der Fachgruppe Lacke wurde zudem im Rahmen eines Nothilfsprogramms die Firma Reichert, Krüger & Böcking in Wien eingeschaltet, um auf Rechnung von Spies Hecker die Waggonindustrie zu beliefern.


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Bereits 1941 begannen die Luftangriffe auf Köln und

ihr zu bedanken nach dieser grausigen Bombennacht.

damit auch auf die Lackfabrik von Spies Hecker. Erst

Wir waren pechschwarz vom Einsatz. Trotzdem lag auf

nach dem Krieg erfuhr die Familie, dass das Werk

allen Gesichtern Freude, weil viel gerettet war. Und

zu den erklärten Zielpunkten der Gegner gehörte.

was tat ein Spaßvogel? Er hatte in den Trümmern

Der große Knall kam jedoch am 9. Juni 1943 im

meines Kontors ein mir von meinem Vater als Brief-

Zuge eines Großangriffes. Glücklicherweise konnte die

beschwerer geschenktes, ihm im Jahre 1916 verliehe-

Betriebsfeuerwehr das Allerschlimmste verhindern.

nes großes, eisernes Kreuz gefunden und dies an ein

Die nächste schwere Bombardierung erschütterte die

buntes Band gehängt. Und so überreichte er mir als

Rheinmetropole nur 20 Tage später, am 29. Juni 1943.

Dank der Belegschaft für meinen wackeren Einsatz im

Spreng- und zahllose Brandbomben verwüsteten

Bombenkrieg das ,Großkreuz des Eisernen Kreuzes‘.“

die Werksanlagen und Freilagerflächen der Fabrik. Das Unternehmen verlor sein gesamtes Verwaltungs-

Im Raderthaler Werk wurde so lange weitergearbeitet,

gebäude, das Lacklager und mehrere Werkshallen.

wie es Strom gab – so lange, bis am 17. Oktober 1944

Nur die unterirdischen Tankanlagen und die darin

in den frühen Morgenstunden die Kunstharzabteilung

eingelagerten Lösungsmittel blieben unversehrt. Der

vernichtet wurde. 78 Prozent der Firmenanlagen waren

Werksfeuerwehr von Spies Hecker gelang es jedoch,

zerstört. Paul Adolf Hecker: „Bis dahin war immer

die wichtigsten Produktionseinrichtungen, Maschinen

wieder unermüdlich aufgeräumt worden, um den

und Apparaturen sowie das Hauptlaboratorium und

Betrieb zu erhalten. Maschinen wurden abmontiert,

die Versandabteilung vor der Vernichtung zu bewah-

die wichtigsten Dokumente und Büroeinrichtungen

ren. Eine Anekdote von Paul Adolf Hecker belegt,

nach auswärts verbracht. Es hat sich gelohnt, die

dass seine Mitarbeiter auch unter Einsatz des eige-

Sachen sind noch da.“ Am 7. Februar 1945 beschlag-

nen Lebens das Unternehmen schützten und selbst

nahmten die russischen Besatzer die Fabrik in Lieg-

in scheinbar ausweglosen Situationen ihren rheini-

nitz mit wertvollen Rohstoffen und besten Maschinen.

schen Humor nicht verloren: „Am 29. Juni ließ ich

Später betrieben die Polen diese Fabrikation weiter.

morgens die Werksfeuerwehr antreten, um mich bei

Ein herber Verlust.

Werksgelände in Köln-Raderthal nach Kriegsende. 80 Prozent der Gebäude waren zerstört.


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dort ein kleiner Stab und die letzten drei Mitarbeiter hüteten die dortigen Schätze noch bis zur Wiederaufnahme des Kölner Betriebes. Das Laboratorium wiederum wurde nach Detmold verlagert, ein Teil der Geräte nach Solingen-Gräfrath. Die drei persönlich haftenden Gesellschafter Fritz Hecker sen., Paul Adolf Hecker („PAH“) und Adolf Hecker harrten mitsamt ihren Familien bis zum bitteren Ende in Köln aus – die letzten Tage verbrachten sie zusammen mit der Restbelegschaft im Luftschutzbunker des Unternehmens. Am 7. März 1945 war der Krieg in Köln zu Ende und es kam zur Besetzung des Werkes in Raderthal. Paul Adolf Hecker erinnert sich im IHK-Interview noch genau an diesen Tag: „Ich war zu Hause, meine Tochter Alice guckte durch die halb heruntergelassenen Rolladen und sagte plötzlich: ‚Vati, da sind se!‘ Es kam ein smarter Boy mit seinem Colt unter dem Arm herein und sagte: ‚Have you soldiers, have you pistols, have you cognac?‘ Das habe ich alles verneint, aber meine alte Hausgehilfin, die sieben Jahre im Dorchester Hotel in England treue Dienste als Zimmermädchen geleistet hatte, empfing den Boy mit den Worten: ‚No, we have no soldiers, no pistols and no cognac. But you can try the very good Hitler Coffee – you want?‘ Der Soldat setzte sich daraufhin in der Küche auf die Tischkante, trank eine Tasse Muckefuck und war begeistert.“ Betriebserlaubnis der amerikanischen Militärregierung vom 30. November 1945.

Der Betrieb in Raderthal wurde am 17. Oktober 1944 so schwer beschädigt, dass eine Einstellung der Pro-

Alles schien verloren, doch eines war geblieben: der

duktion nicht mehr zu verhindern war. Bis auf eine

Optimismus, der schon Firmengründer Adolf Friedrich

Notbelegschaft zum Zwecke des Werkschutzes wur-

Hecker in seinen schwersten Jahren nicht aufgeben

den alle Angestellten entlassen. „Es war ein harter

ließ. Am 30. November 1945 erwirkten Paul Adolf

Entschluss für die Geschäftsleitung, bedeutete dies

und sein Vetter Adolf Hecker von der amerikanischen

doch für manchen Mitarbeiter die Einberufung zur

Militärregierung die Erlaubnis zur Weiterführung des

Wehrmacht zu einem Zeitpunkt, als uns allen das

Betriebes. Wie es dazu kam? Auch hier gibt Paul

Weiterkämpfen schon sinnlos erschien“, so Paul

Adolf Hecker eine Anekdote zum Besten: „Wir fuhren

Adolf Hecker im IHK-Interview. Um den Kontakt mit

mit dem Fahrrad auf den Kaiser-Wilhelm-Ring, wo die

Behörden, Kunden und Lieferanten aufrechtzuerhalten

Militärregierung untergebracht war. Im ersten Halb-

und das wertvolle Aktenmaterial zu sichern, zog

stock saß ein smarter American Boy kaugummi-

die Verwaltung von Spies Hecker kurzerhand nach

fletschenderweise an seinem Pult. Wir stammelten

Morsbach an der Sieg. Bis Mitte März 1945 arbeitete

etwas daher unter Überreichung unserer Visitenkar-


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ten, woraufhin dieser die Beine vom Tisch nahm, uns groß anguckte, auf die Tischplatte schlug und sagte: ‚Ihr Armleuchter, weshalb sprecht ihr denn nicht Kölsch?‘ Wir machten natürlich große Augen. Doch woher kannten wir diesen Mann? Da sagte er: ‚Ich war früher Angestellter bei der Firma Lissauer in der Elisenstraße und habe Ihnen manche Hundert Tonnen Zinkweiß verkauft.‘ Dass er uns daraufhin ein gutes Entree bei seinem hohen Chef verschaffte, lag auf der Hand.“ Und so bekam Spies Hecker in null Komma nichts die Betriebserlaubnis. Doch von einer normalen Betriebsaufnahme konnte zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede sein. Erst einmal mussten alle Trümmer beseitigt werden. Glücklicherweise war auf dem Werksgelände ein unterirdischer Tank mit dem Treibstoffgemisch Homologen unversehrt geblieben. Mit dem Sprit wurden

ten?‘ Worauf er antwortete: ‚Oh, no, Mister Hecker,

Räumraupe, Bagger und drei riesige Kipper betankt,

ich habe noch nicht gefunden den Fabrikanten von

die insgesamt 5.250 Fuhren Schutt aus der Fabrik

die Lack, die genommen werden, um die Blutfilter

abtransportierten. Am 26. Juli 1945 bekam das

zu bekleiden.‘ Jetzt wurde ich vorwitzig und sagte:

Unternehmen von der britischen Militärregierung die

‚Ja, hat man Ihnen in Kreuznach denn gesagt, wie der

vorläufige, am 30. November die endgültige Geneh-

Lack heißt?‘ – ‚One moment please‘, sagte er und zog

migung, den Betrieb wieder aufzunehmen. Mit dem

ein Notizbuch heraus – ‚das ist PERMANAX.‘ Worauf-

ersten verfügbaren Strom lief auch die Produktion

hin meine Tochter, die den ersten Teil der Unterhal-

wieder an. Spies Hecker stellte endlich wieder Lacke

tung nicht mitbekommen hatte, sagte: ‚Vati, das ist

her. Heiß begehrte Lacke, wie die abschließende

doch der Lack, den ihr fabriziert.‘ Der Engländer lach-

Geschichte von Paul Adolf Hecker belegt:

te sich kaputt, hielt mir sein goldenes Zigarettenetui hin und sagte: ‚Oh, dann werde ich Sie morgen in der

„Wir saßen abends in der Wohnung, da klingelte es.

Fabrik besuchen und das Rezept abholen.‘ Am nächs-

Meine Hausgehilfin öffnete, kam zurück und sagte:

ten Morgen bin ich dann zu meiner Chefchemikerin

‚Da ist ein Engländer.‘ Herein kam ein Hüne von Kerl,

Frau Dr. Tamm gegangen: ‚Frau Tamm, gleich kommt

begleitet von einem Major David. Ich bot den Herren

ein Engländer, der will unser PERMANAX Rezept für

einen Drink an und fragte den großen, mir bis dahin

den Auskleidelack für Blutfilter haben. Da müssen wir

unbekannten Mann, was er denn täte. Er zeigte mir

was tun.‘ Sie holte das Rezept, dann versetzten wir

seine Visitenkarte. Es handelte sich um einen Beauf-

an zwei Positionen ein wenig das Komma, schrieben

tragten der British Filtering Company, der von den

eine neue Karte aus, die wir dann künstlich altern

Salzwerken in Kreuznach kam, wo er einen Blutfilter

ließen, indem wir auf ihr herumtraten und einen vol-

studiert hatte. Meine Ohren wurden immer spitzer,

len Aschenbecher darauf auskippten. Der Engländer

denn wir waren die Lieferanten für die Auskleidung

kam, wir überreichten ihm mit bitterböser Miene die

der Filter. Ich fragte also ganz dumm: ‚Haben Sie

Karte und er steckte sie stolz ein. Das muss ein

denn alles gesehen und gehört, was Sie hören woll-

netter Lack geworden sein!“

1945: Amerikanische Soldaten in Köln.


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Produktgeschichte. 1882 – 1945. Fahrbarer Schmelzkessel mit Transportwagen.


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Aus dem Stoffwechselsekret der Lackschildläuse wurde Schellack hergestellt. Der Kopal, ein fossiles Hartharz, war ein wesentlicher Rohstoff zur Lackherstellung (hier Kauri-Kopal aus Neuseeland).

Von Schildläusen und Lackbäumen. Lack [sanskr.-pers.-arab.-italien.], Anstrichstoffe besonderer Güte; echte oder kolloidale Lösungen von festen Stoffen in flüchtigen Lösungsmitteln, die nach dem Auftragen und Trocknen einen geschlossenen, auf der Unterlage haftenden Film bilden. … (Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Mannheim)

Die ersten „Lackproduzenten“ der menschlichen Geschichte waren die Neandertaler und die Aborigines. Mangels Lackschildläusen verwendeten unsere Vorfahren natürlich vorkommende Pigmente, beispielsweise rote und gelbe Eisenoxide, Kreide oder Holzkohle. Als Bindemittel diente Tierfett, Eiweiß, Eigelb oder auch Blut. Wahrscheinlich waren

Das Wort Lack stammt vom indischen Sanskritbegriff

es die Ägypter, die die ersten Farben und Lacke mit

Laksha ab und heißt wörtlich übersetzt „einhundert-

synthetischen Zutaten entwickelten: So wurde die

tausend“. Es benennt die Anzahl der auf den Baum-

Totenmaske von Ramses III., der vor mehr als 3.000

zweigen herumkrabbelnden Lackschildläuse (ebenfalls

Jahren starb, mit „Egyptian blue“ bearbeitet – einer

Laksha genannt). Ihr harziges Stoffwechselsekret, ein

Mischung aus organischen und anorganischen Mate-

reines Naturprodukt, ergab den ersten hochglänzen-

rialien als Bindemittel, zum Beispiel Gummiarabikum,

den Lack. Die Menschen erkannten schnell, dass

Gelatine, Bienenwachs, Kalkstein oder Gips.

man dieses Harz durch Erhitzen ablösen und auf andere Oberflächen auftragen konnte, bevor es dort

Ihren Ursprung hatte die Lackierkunst jedoch in

durch Lufttrocknung wieder aushärtete. Die von dem

China. Möbel und Vasen der ältesten bekannten

Hannoveraner Emil Berliner um 1880 erfundenen

Arbeiten stammen aus der Zeit um 200 vor Christus.

„Schellack“-Schallplatten basieren übrigens ebenfalls

Als Marco Polo 1271 nach China aufbrach, hatte die

auf diesem Grundstoff.

Lackierkunst in diesem Land bereits eine fast 2.000jährige Tradition. Als Lack diente der Saft des RhusBaumes. Die klassischen Farben Rot und Schwarz erhielt man durch Zugabe von Zinnober bzw. Ruß.


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Das Automobilzeitalter begann mit der motorisierten Pferdekutsche (Daimler-Benz).

Um dem Ideal einer hochglänzenden Beschichtung

Spätbarock und Rokoko setzte. Zur Zeit des Sonnen-

gerecht zu werden, wurden keine Mühen gescheut.

königs Ludwig XIV., Ende des 17. Jahrhunderts,

Mehrere Spachtelgänge des Untergrundes und bis

erreichte die Lackierkunst in Frankreich und England

zu 200 Lackaufträge, die jeweils bis zu einer Woche

ihre erste Blüte.

trocknen mussten, waren vonnöten, bis das Werkstück eine glänzende Oberfläche aufwies. Durch

Im 18. Jahrhundert dann bildeten Kopal und Bern-

die handelserfahrenen Portugiesen gelangten die

stein die Basis der damaligen Lacke. Durch die

kunstvollen Schätze aus dem fernen China zu

Benutzung von Terpentinöl als Lösemittel wurde

Beginn des 16. Jahrhunderts nach Europa.

der Gebrauch bei Raumtemperatur verbessert. Die physikalische Trocknung und damit auch die

Die Europäer waren begeistert. Derartige Kostbar-

Emission waren erfunden.

keiten wollten sie auch herstellen. Die Realisierung scheiterte jedoch lange Zeit an der Beschaffung des Grundstoffes. Auch die 1655 vom Jesuitenpater

Die Kutschenlacke.

Martinus Martini veröffentlichte Erkenntnis, dass der chinesische Lack aus einem Baumharz gewonnen wurde, führte nicht weiter, da der Lackbaum in Europa nicht gedieh. Es wurden Ersatzrezepturen entwickelt und die europäischen Fürstenhöfe versuchten, die chinesischen Lackerzeugnisse ebenso ernsthaft wie unvollkommen zu imitieren: So entstand eine umfangreiche Lack-Chinoiserie, die einen markanten Akzent in der Kunst des europäischen

Die feine Gesellschaft war entzückt, konnte der Adel seine Staatskarossen nun endlich wirksam gegen widrige Witterungsverhältnisse schützen und sich durch eine farbenprächtige Gestaltung von der höfischen „Konkurrenz“ absetzen. Als die Kutsche zum allein gültigen Beförderungsmittel für die Massen wurde, erschlossen sich auch für das Lackiererhandwerk weitere Aufgabengebiete. Die


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Lange Trocknungszeiten erforderten spezielle, möglichst staubfreie Räume.

besten Kutschenlacke kamen aus Großbritannien.

Siedemeister weitergegeben wurde, engagierte auch

Sie bestanden aus einem Fettlack, bei dem einge-

Spies Hecker zu Beginn einen englischen Fachmann,

dicktes Öl mit ausgewähltem hartem Kopal verkocht

der die Lacke in Deutschland aufbereitete. Dr. Fritz

wurde. Die Erzeugnisse von der Insel waren welt-

Sadowski, langjähriger Leiter der Spies Hecker Ent-

berühmt und bis zum Ende des 19. Jahrhunderts

wicklungsabteilung: „Die Lacksieder waren hoch

das Maß der Dinge in der Lackierkunst.

angesehene, hoch bezahlte Leute. Wenn sie arbeite-

England mit seinen Kolonien hatte traditionsgemäß

ten, trugen sie schmutzige Lederschürzen, wenn sie

den Zugang zu den dringend benötigten Rohstoffen,

aber Feierabend hatten, trugen sie Frack und Zylin-

vor allem den Kopalen. Diese fossilen Harze kamen

der.“ Eigentlich logisch, denn „machte der Mann

aus aller Herren Länder, aber vor allem aus den Tro-

seine Arbeit nicht ordentlich, war alles verpfuscht“

pen. Sierra-Leone-Kopal, Manila- oder der wertvollste,

(Fritz Hecker sen.). Sämtliche Rohstoffe kamen

der Sansibar-Kopal wurden an Handelsplätzen wie

aus England und über Jahrzehnte erfolgte die Zu-

Amsterdam oder London umgeschlagen. Der zweite

sammensetzung in englischen Maßen mit Pounds

wichtige Rohstoff, das Terpentinöl, kam überwiegend

und Gallons.

aus dem Süden der USA. Fritz Hecker sen. in seinen Erinnerungen: „In den guten Zeiten um 1914 impor-

Fritz Hecker sen. beschreibt die Situation der

tierten wir mehrmals im Monat 100 Fass Terpentinöl

deutschen Lackindustrie in den Zeiten der ACVC-

direkt aus Amerika.“

Gründung in seinen Erinnerungen: „Zur damaligen Zeit gab es keine einzige deutsche Lackfabrik, die

Es war dementsprechend ein schlauer Schachzug

den ausländischen Produkten etwas Gleichwertiges

von Adolf Friedrich Hecker, seinen in London leben-

an die Seite stellen konnte, und es war absolut

den Bruder Paul Moritz mit ins „Boot“ zu holen.

zwecklos, bei den damaligen bedeutenden deutschen

Schließlich fungierte dieser als Teilhaber von Spies

Wagenfabriken von Weltruf deutsche Lacke anzubie-

Brothers & Co., die den kostbaren Kopal nach Eng-

ten. Man stieß überall auf ein glattes wie kategori-

land importierten. Da die Herstellung des Kutschen-

sches ,Nein!‘. (…) Die Ansprüche waren ungeheuer

lackes eine Kunst war, die von Siedemeister zu

hoch und auch verständlich, wenn man bedenkt,


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Blick auf das Spies Hecker Werksgelände, um 1925.

dass eine Lackierung der damals üblichen vorneh-

Die geeignetsten Rohleinöle kamen aus indischen

men Equipagen – offen oder geschlossen – in einer

oder baltischen Staaten. Zudem verwendeten sie

hocheleganten, ja brillanten Ausführung der Lackie-

seit Jahrzenten ausprobierte Trockenstoffe. Viel-

rung drei bis vier Wochen Arbeit kostete. Ein einzi-

leicht war es sogar die englische Luft – wer weiß.“

ger Fehlstrich oder ein Insekt oder Staubkörnchen im letzten Überzugslack bedeutete unendliche und

Ersatzstoffe waren noch nicht bekannt. Die guten

kostspielige Neuarbeiten. Hochelegante Lackierun-

Qualitäten bestanden aus Kopal. Der beste aus

gen waren tatsächlich eine ganz große Kunst und

Sansibar war blassrot bis gelbrot, bernsteinhart

lagen eigentlich nur in der Hand außergewöhnlich

und geruchsfrei. Die Stücke hatten einen glas-

fähiger Lackierermeister. (…) Die Vorzugsstellung

artigen Bruch. Zunächst wurden die Kopale von

der fremden Lacke beruhte auf alten Überlieferun-

Hand gereinigt und gewaschen. Danach erfolgte

gen und schon früh begründeter englischer Lackfa-

die Erhitzung auf offenen Feuern zwischen 300 und

brikation, also vor allem auf langer Erfahrung und

400 Grad, wobei die flüchtigen Kopalöle entwichen.

erprobten Fabrikanlagen, mit riesigen Lagerungsan-

Schmutz und Einschlüsse wurden während des

lagen, die stets in gleichmäßiger Wärme gehalten

Kochens abgeschöpft. „Das Schmelzen erfolgte

wurden, wodurch die Möglichkeit gegeben war, diese

damals noch rein empirisch, d. h. also, nach Gut-

feinen Lacke jahrelang bis zur absoluten Klärung

dünken des erfahrenen Lackschmelzers.

und Reife zu lagern. Damals gab es noch keine Fil-

Ein Kopal galt als ausgeschmolzen, wenn nach den

trieranlagen; jahrelanges Lagern musste diese Ein-

üblichen verschiedenen Steigungen des Kopals der

richtung ersetzen. Weiterhin hatten die Engländer

Sud langsam zurückging und das Gut mit Blitzes-

den Vorteil, dass sie sich auf den Kopalmärkten in

schnelle an dem Rührstab heruntersauste. Bei

Übersee die besten Rohstoffe aussuchen konnten.

der gewaltigen Rauchentwicklung der abdestillierten


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Pferdeomnibus oder Lokomotive, ob Werkstor oder Küchentisch, Nähmaschine oder Spielzeug: Alles musste mit einer Lackschicht vor Wetter und Abnutzung geschützt werden. Die Farben erfreuten das Herz der Käufer und kurbelten den Verkauf an. Die Lackindustrie erlebte daher in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen rasanten Aufstieg. So auch die junge VARNISH COMPANY in Raderthal. Dort wurden in den ersten zwei Jahrzehnten des Bestehens vor allem Kutschenklarlacke, Waggonlacke, Lokomotivlacke, Güterwagenlacke, Sitzlacke, Innen- und Dekorationslacke, trocknungsbeschleunigende Sikkative und Spachtel produziert. Auch die ersten Werkzeug- und Maschinenbauer wurden bereits in diesen Jahren mit schützenden Lacken versorgt. Dies ist auf die Vertriebsstrategie der Anfangsjahre zurückzuführen: Es waren die Handelsvertreter, die den Kontakt zu möglichen Kunden herstellten. Diese auf Provisionsbasis arbeitenden Handelsvertreter wollten natürlich kein Geschäft Die Eisenbahnindustrie war ein bedeutender Kunde für Spies Hecker.

Kopalöle war die Schmelze trotzdem derartig von

„am Wege liegen lassen“ und waren bereits in den

Dämpfen erfüllt, dass man die Hand kaum vor

Gründerjahren bemüht, den „Industriebereich“ für

Augen sehen konnte“, beschreibt Fritz Hecker sen.

sich zu erobern. Dr. Fritz Sadowski: „Zum Ende des

den Schmelzvorgang.

19. Jahrhunderts bildeten Naturharze wie Kopal, Dammar, Schellack oder Holzöl die Basis für Öllacke.

Unter der Zugabe trocknender Öle wie Lein- oder

Die Applikation erfolgte mit dem Pinsel und als

Holzöl wurde der Lack so lange verkocht, bis er

Schleifmittel diente Bimsstein.“

Fäden zog. Vom Feuer genommen und abgekühlt,

Zum erlauchten Kundenkreis der Lackfabrik zählten

wurde die Masse mit Terpentinöl verdünnt und

die Reichsbahn, die Königlich Preußischen, König-

erhielt so ihre streichbare Konsistenz. Die pulvri-

lich Bayerischen, Königlich Sächsischen und Groß-

gen Farbpigmente – früher überwiegend anorgani-

herzoglich Badischen Staatsbahnen, viele Privat-

scher Natur – wurden auf Walzenstühlen verrieben

und Straßenbahnen sowie die bedeutendsten

(dispergiert) und so verfeinert, dass sie vom Binde-

Waggon- und Lokomotivfabriken Deutschlands.

mittel, der Matrix, vollständig benetzt waren. Damit

Doch die staatlichen Unternehmen bildeten nur

sich gröbere Pigmentklumpen und Verschmutzungen

einen Teil der Spies Hecker Kundschaft. Auch das

absetzen konnten, wurden die Lacke zum „Reifen“

Maler-, Lackier- und Karosseriehandwerk, die Spiel-

über Jahre gelagert. Dann erst kamen sie, in Kannen

zeugindustrie und Möbelproduzenten verwendeten die

bis zu 25 Kilo abgefüllt, in den Verkauf.

guten Lacke aus Köln. Dr. Fritz Sadowski: „Bis nach dem Ersten Weltkrieg hatte Spies Hecker ein über-

Mit der verstärkten Produktion von Industriegütern

aus breites Geschäftsfeld. Es gab nichts, was das

stieg auch die Nachfrage nach Lacken. Ob Fahrrad,

Unternehmen nicht produzierte.“


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PERMANENTWEISS: Die erste Produktmarke war eine Weißlackemaille von besonderer Qualität. Lackgebinde aus den 20er-Jahren: „Automobil-Überzugslack“.

Die ersten Produkte aus dem Hause Spies Hecker wur-

Parallel zu dieser Entwicklung erfuhr auch die

den um 1900 unter den Schutzmarken PERMANENT –

chemische Industrie allmählich einen Aufschwung.

damals noch mit dem Zusatz „bunte Japanlack-

Schon um 1904 arbeiteten in Deutschland große

farben“ – und PERMANENTWEISS auf den Markt

chemische Fabriken wie Bayer und BASF zusammen,

gebracht. Fritz Hecker sen. erinnert sich an die Ent-

um sich die Kosten für die Forschung zu teilen. Ihr

stehungsgeschichte: „Es war mir bald gelungen, eine

Ziel war es, mit den Ländern, die über Rohstoffe aus

ganz hervorragende Weißlackemaille zu konstruieren,

ihren Kolonien verfügten, konkurrieren zu können. In

die unter dem Namen PERMANENTWEISS großen

den deutschen Laboratorien wurde zum Beispiel an

Anklang fand – selbst bei den verwöhntesten Verbrau-

künstlichem Kautschuk und künstlichem Indigo gear-

chern. Die Herren Spies hatten mir damals auf mei-

beitet – auch an einem Ersatz für die Harze, die nicht

nen besonderen Wunsch hin von acht berühmten

immer zugänglich und sehr teuer waren.

Weißlacken Englands sowie Amerikas eine große Mustersendung besorgt, von denen das Beste mir

Zur Zeit der Firmengründung, die fast identisch mit der

als Vorbild diente.“ Der besondere Vorteil: eine

Erfindung des Automobils ist, wurden die ersten Motor-

außergewöhnliche Haltbarkeit bei verkürztem Arbeits-

fahrzeuge lackiert. Die Wagen der Gründerzeit sahen

verfahren und geringeren Materialkosten. Mit den

noch lange aus wie Kutschen. Es war nur ein Motor

PERMANENT Farben eroberte Spies Hecker in weni-

irgendwo eingebaut. Bis etwa 1920 schaute die alte

gen Jahren den Markt. Insbesondere das Verkaufs-

Kutsche noch aus jedem Auto heraus. Die Karossen

talent von Fritz Hecker sen. trug dazu bei, dass

wurden aus Holz gefertigt und mit Kunstleder überzo-

bedeutende Betriebserweiterungen notwendig wur-

gen. Die Arbeit des Lackierers war es, Motorhaube und

den, um allen Anforderungen genügen zu können.

Kotflügel, die aus Blech gefertigt waren, zu lackieren.


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Während die Chemiker fieberhaft

Die Nitrolacke.

forschten, ließ der Amerikaner Henry Ford am 14. Januar 1914 zum ersten Mal ein Automobil vom Fließband rollen. Damit endete das Zeitalter der Manufaktur. Die einzelnen Fertigungsschritte konnten präziser aufeinander abgestimmt werden, aber die zeitaufwendige Lackierung von immerhin drei bis vier Wochen stellte ein wesentliches Hindernis dar, größere Stückzahlen in kürzerer Zeit von den Bändern rollen zu lassen. Bei Ford verwendete man daher einen schneller trocknenden Japanlack. „Bei uns bekommt man jeden Farbton, solange er schwarz ist“, wird Henry Ford zitiert. Sein Ausspruch zeigte das Manko

Während Deutschland sich noch von den Folgen des Ersten Weltkrieges erholte, trumpfte Amerika mit einer weiteren Sensation auf. Chemikern der Firma DuPont gelang es, herauszufinden, wie sich Nitrozellulose, die aus der Kriegsproduktion von Schießpulver übrig geblieben war, zu Lackbindemittel verarbeiten ließ. Dieser Nitrolack bestand nicht aus Öl und Harzen, sondern aus Nitrozellulose, Lösemitteln und Weichmachern, sodass er dem Zelluloid ähnelte. Damit war der erste Durchbruch geschafft. Es entstand eine neue Generation von Lacken mit einem unglaublichen Vorteil: Sie trockneten physikalisch durch Abdunstung der flüchtigen Lösemittel in kürzester Zeit. Sadowski: „Diese Nitrolacke waren matt und wurden mit Polierpaste und einem Leinentuch im applizierten und getrockneten Zustand auf Hochglanz gebracht.“ Doch das Lackieren bereitete Schwierigkeiten, da dieser Lacktyp nicht für den Pinselauftrag geeignet war. Eine neue Applikationsweise musste gefunden werden.

auf: Die ersten „Tin Lizzys“ (zu Deutsch: Blechliesel) gab es nur in Schwarz. Dr. Fritz Sadowski: „Der Grund dafür liegt in

Diese zweite, für die Lackierrevolution wichtige Neuerung gab es eigentlich schon. Und wieder kam sie aus Amerika. Der Arzt Allen DeVilbiss

der Tatsache, dass die ersten schnell

hatte bereits um 1890 einen Apparat zum Versprü-

trocknenden Lacke asphalthaltige

hen von Medikamenten in den Hals-Rachen-Raum

Japanlacke waren. Der Asphalt sollte

entwickelt. Sein Sohn Tom modifizierte diese Vor-

die Beständigkeit erhöhen.“ Die auf-

richtung nun zu einem Zerstäuber für Lacke. Diese

wendigen Lackierarbeiten und die neu-

innovative Technik trat zusammen mit dem neu-

artigen Produktionsmethoden ließen

artigen Lack einen gemeinsamen Siegeszug an.

sich noch nicht reibungslos miteinander kombinieren. Trotzdem sank der Preis des T-Modells von

Die Vorteile des Nitrolackes waren die kurze Trocknungszeit, die gute Schleifbarkeit und der Hochglanz, der durch Pflegemittel und Polierwatte ent-

850 auf 370 Dollar. Die Firma Ford stellte mit Beginn

stand. Allerdings war Schießbaumwolle in der

der Bandfertigung auf Stahlblechkarossen um. Das

Verarbeitung sehr gefährlich. Sie durfte nie trocknen

war gleichzeitig das Ende der Pinsellackierung.

und wurde deshalb in Alkohol angefeuchtet geliefert und bei Spies Hecker außerhalb des Fabrikgeländes

Fließbecherpistole der ersten Stunde.

in Bunkern gelagert. Die Verarbeitung auf den Walzenstühlen, wo die Pigmente mit der Bindemittel-


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lösung benetzt wurden, war brandgefährlich. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn kleinere Brände und Explosionen waren keine Seltenheit. Auch Vormaterialien – Haftgrund, Füller, Spachtelmassen etc. – konnten auf der Basis dieses Bindemittels hergestellt werden, denn die Chemiker waren inzwischen in der Lage, Weichmacher, einige Lösemittel und synthetische Pigmente großtechnisch herzustellen. Spritzpistolen, Spritzkabinen, Absaugvorrichtungen und gereinigte Zuluft wurden zur Voraussetzung für ein gutes Arbeitsergebnis. Es gehörte viel Mut dazu, in das Geschäft mit Nitrolacken einzusteigen. Doch Spies Hecker reagierte prompt, modernisierte die Fabrik und stellte bereits in den 20er-Jahren einen Teil der Produktion um. Die Nitroabteilung entstand und unter dem Namen PERMALOID kam die erste Serie von Nitrolack auf den Markt. Allerdings hatten diese Lacke – neben den höheren Schadstoffbelastungen und der Gefährlichkeit – noch weitere Nachteile: Sie waren nicht witterungsbeständig. Durch den ständigen Abbau des Bindemittels wurde die Lackierung schnell stumpf. Deshalb mussten die Fahrzeuge sehr oft nachpoliert werden – mit dem Ergebnis, dass die Decklackschicht nicht lange hielt. Das mühsame Polieren oblag jedoch in den meisten Fällen nicht dem Autokäufer. Denn frei nach dem Motto „noblesse oblige“ wurden die Fahrzeuge in der Frühzeit des

Pinsellackierung, um 1910. Farbkartenbuch für PERMALOID Nitrolacke, Ende der 20er-Jahre.

Lackgebinde: PERMALOID Nitrolack, PERMANAL Kunstharzlack.


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Lacklabor mit Trichtermühlen, 30er-Jahre. Lackproduktion mit starken Rührwerken, 50er-Jahre.

Automobils häufig zusammen mit einem Chauffeur

Pigment, alles musste mit der Hand transportiert

geliefert. Der war nicht nur Fahrer, sondern auch

werden und wurde nach Rezeptur zugefügt. Das

Mechaniker und Polierer. Konnte auch der Chauffeur

Abfüllen einer Dose Weißlack erfolgte per Hand

mit seinem Lappen nichts mehr ausrichten, musste

auf einer Waage. Das Reinigen der Lackkessel war

der Lack erneuert werden. Der Autolackierer stand

eine schwierige Arbeit zur damaligen Zeit. Die Leute

dann vor einer harten Aufgabe: Den richtigen Farb-

standen in den Kesseln und mussten die Farbreste

ton zu treffen, war eine Kunst, die schon damals

mit Abbeizpasten und Spachteln abkratzen. Frisch-

viel Fingerspitzengefühl erforderte.

luft wurde zwar zugeführt, aber der Gesundheitsschutz hatte noch keine große Bedeutung. Wenn

Die Farbtonauswahl war noch sehr begrenzt – der

jemand Kopfschmerzen hatte, wurde er für kurze

Kunde konnte anfangs bei den meisten Fahrzeug-

Zeit an die frische Luft geschickt.“

herstellern nur Unifarbtöne wie Rot, Blau oder Grün wählen und das Endergebnis entsprach nicht dem heutigen Standard. Die neuen Lacke und die ver-

Die Kunstharzlacke.

änderte Applikationstechnik erforderten auch ein Die Lackiertechnik war zwar in ein modernes Zeit-

1927 war in den Vereinigten Staaten ein neues Bindemittel entwickelt worden, das Alkydharz. Nach-

alter getreten, doch die Arbeitsbedingungen waren

dem die Modifizierung dieses Harzes mit Fettsäuren

trotz der fortschreitenden Technisierung noch immer

gelang, konnte es als Lackharz verwendet werden.

auf dem Stand des 19. Jahrhunderts. Rolf Hecker:

Und wieder reagierte Spies Hecker umgehend. Unter

„Die ganze Fabrik durchzog der gute Geruch von

maßgeblicher Beteiligung von Fritz Hecker-Over („FHO“)

Terpentinöl. Männer mit dicken Lederschürzen

entstand der erste Kunstharzlack. Ende der 20er-

standen an den offenen Feuern und schmolzen

Jahre brachte Spies Hecker das entsprechende

in großen 1.000-Liter-Kesseln Kopal. Jeder Sack

Produkt auf den Markt: PERMANAL. „PERMANAL

Umlernen der Lackierer.


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ist ohne Überlackierung bei ausreichender Schicht-

Die Krone vom Rhein – eine weiße Japanemaille

dicke sechs Monate witterungsbeständig, auch bei

für den Innen- und Außenanstrich. „Leicht und

scharfem Seeklima; hervorragend bewährt für den

geschmeidig verstreichbar, von guter Deckkraft und

Korrosionsschutz von Eisen und aufgerautem Leicht-

tadellosem Verlauf, voll und satt wie edles Porzel-

metall und ebenso vorteilhaft für Holz zu verwenden“,

lan, schneeweiß in der Farbe, ausgiebig und von

preist die Firma ihr Spitzenprodukt an.

guter Trockenkraft, von hoher Elastizität und bestän-

„Mit den Kunstharzlacken beginnt die moderne,

dig gegen Witterungseinflüsse“, pries Spies Hecker

aber auch komplexe Neuzeit der Lackentwicklung“,

das Jubiläumsprodukt. Zu der Zeit wurde wahr-

beschreibt Dr. Fritz Sadowski die Erfindung der

scheinlich Titandioxid (TiO2) als hochdeckendes

Kunstharze. Die frühen 30er-Jahre standen in

Weißpigment für die Lackherstellung entdeckt.

Raderthal ganz im Zeichen der systematischen

Ab Mitte der 30er-Jahre verdrängten die ebenfalls

Entwicklung entsprechender Lacke. Deren Fabri-

fülligen Alkydharzlacke auf vielen Gebieten die

kation wurde nun von intensiver Laborforschung

herkömmlichen Öllacke, da sie wesentlich schneller

abhängig, die die Lackfabriken selbst leisten muss-

trockneten. Die Nitrolacke waren zwar auch schnell

ten. Schon früh ließ Fritz Hecker-Over Labors er-

in der Trocknung, aber nicht so wetterbeständig.

richten, stellte Chemiker ein, baute Bunker für die

Ein weiterer Nachteil bei Nitrolacken war es, dass

Nitrozellulose und organisierte den Brandschutz

sie wegen ihres geringeren Festkörpergehaltes –

im Unternehmen.

bezogen auf gleiche Trockenfilmschichtdicke – mehr

In den 30er-Jahren entwickelte Spies Hecker auch

Spritzgänge erforderten und darüber hinaus poliert

Melamin- und Harnstoffeinbrennlacke – PERMANAX –,

werden mussten. Als Königsweg erwies sich die

die nicht mehr so stark vergilbten und hellere Farb-

Kombination von Nitrozellulose mit einem Alkydharz,

töne ermöglichten.

der PERMALOID Nitrokombilack. Dessen lacktech-

1932, zum 50-jährigen Jubiläum, gönnte sich das

nische Eigenschaften lagen etwas in der Mitte.

Unternehmen ein gar königliches, neues Produkt:

Anderseits gab es auch bereits erste Versuche,

„Die Krone vom Rhein.“ Zum 50-jährigen Firmenjubiläum wurde ein Weißlack für den Innen- und Außenbereich entwickelt. PERMANENT Farbtonkarte „für den Anstrich von Eisenbahn- und Straßenbahnfahrzeugen, Luxus- und Kraftwagen sowie für die Ausführung sämtlicher Malerarbeiten“, 1928.


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40 II Spies Hecker Chronik II Produktgeschichte, 1882 – 1945

Hamburger Reparaturwerkstatt in den 30er-Jahren.

die Filmbildung in einer beheizten Trockenkabine

Ofenbronze verwendet, die im Lackfilm aufschwamm –

zu beschleunigen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt

dies hatte zur Folge, dass beim Drüberwischen die

hatte der Lackierer die Wahl der Entscheidung für

Pigmente an den Fingern hafteten.

das jeweils geeignete Material. Parallel dazu wurde durch neue, brillantere, wetterbeständigere Pigmen-

Über die Kriegsjahre lässt sich nur wenig berichten.

te so mancher interessante Farbton möglich, den

Die Produktion war im Wesentlichen durch die

man bisher nicht liefern konnte. Als erste Auto-

Forderungen der Rüstungsindustrie und durch

mobilhersteller präsentierten Škoda, Tatra und

Materialengpässe gekennzeichnet.

Lancia Anfang der 30er-Jahre sogar schon einige Fahrzeuge mit einer effektvollen Metallic-Lackierung. Diese basierte auf nicht aufschwimmenden Aluminiumplättchen. Bis dahin wurde graue, stumpfe


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Produktgeschichte, 1882 – 1945 II Spies Hecker Chronik II 41

Chronik der Reparaturlack-Entwicklungen. Lack

Applikation

Trocknung*

Kutschenlacke (19. Jahrh.)

Pinsel

6 – 8 Wochen/20 °C

Japanlacke (ab 1900) PERMANENT

Pinsel

2 – 3 Wochen/20 °C

Nitrolacke (ab 1920) PERMALOID®

Spritzpistole

30 – 60 Min./20 °C

Alkydharzlacke (Ende 20er Jahre) PERMANAL®

Pinsel Spritzpistole

1 – 2 Tage/20 °C

Nitrokombilacke (ab 1935 – 60er Jahre) PERMALOID®

Spritzpistole

2 – 4 Std./20 °C

Spritzpistole

4– 6 Std./20 °C 60 Min./60 °C

Spritzpistole

30 – 45 Min./80 °C

Alkydharzlacke (ölmodifiziert) PERMANAL® (Ende 40er – 80er Jahre) PKW/NFZ Serie 200/210 80-Grad-Lacke (Interimslösung) PERMANAL®-80°C (60er Jahre) 2K Acryllacke Medium Solid PERMACRON®/PERMAFLEET® (NFZ) PKW Serie 257 (1975) NFZ Serie 260 (1989 – 1997) NFZ Serie 620 (1997 –2007) NFZ Serie 630 (ab 2004)

Spritzpistole 25 – 30 Min./60 °C 30 Min./60 °C 30 Min./60 °C 20 – 30 Min./60 °C

Basislacke PKW Serie 293/295 (ab 1980) + MS Klarlack High-Solid PERMASOLID®/PERMAFLEET® (NFZ) PKW Serie 270 (1998 – 2007) PKW Serie 275 (ab 2007) NFZ Serie 250 (1990 – 1997) NFZ Serie 650 (1997 – 2005) NFZ Serie 670 (ab 2004) NFZ Serie 675 (ab 2004)

15 Min./20 °C 20 – 30 Min./60 °C Spritzpistole 30 – 40 Min./60 °C 20 – 30 Min./60 °C 40 Min./60 °C 30 – 40 Min./60 °C 20 – 30 Min./60 °C 20 – 30 Min./60 °C

Nitro, Alkyd, Acryl, EP, PUR PERMAFLEX® Industrie Serie 520 – 570 (ab 2007)

Spritzpistole

Wasserbasislacke PERMAHYD® PKW Serie 280/285 (ab 1994) + MS Klarlack

Spritzpistole

PERMASOLID® HS Klarlack oder UV Starlight Klarlack (ab 2006)

Spritzpistole Spritzpistole

8 – 60 Min./60 °C

20 Min., bis matt 20 – 40 Min./60 °C 1 – 2 Min. Blitzlampe

* Trockenzeit bis zum Gebrauch/ Montagefähigkeit Temperaturangabe = Objekttemperatur


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Abteilungsleiterkonferenz 1952. Von links: Herr Dr. Siebert, Herr Meier, Herr Dibbert, Herr Kämer, Herr Bosgard, Herr Horn, Herr Kirchner, unbekannt (stehend), Paul Adolf Hecker, Herr Latzen, Fritz Hecker-Over, Herr Brauch, Adolf Hecker, Frau Tamm, Herr Löwer, Herr Dr. Herrmann, unbekannt, Herr Katzenmeier, Herr Dr. Hauck, Herr Schlagwein, unbekannt.


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Familien- und Firmengeschichte. Spies Hecker, 1945 – 1971.


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44 II Spies Hecker Chronik II Firmengeschichte, 1945 – 1971

1948: Aufbauarbeiten auf dem Firmengelände in Köln-Raderthal.

Der Wiederaufbau.

schaft enorm. Auch bei Spies Hecker musste man wieder fast bei null anfangen. „Trümmer. Ein

Deutschland im Herbst 1945: Der Krieg war verloren, die Menschen traumatisiert und weite Bereiche des Landes glichen einem Trümmerfeld. Eine Infrastruktur fehlte fast gänzlich. In allen vier Besatzungszonen herrschte Wohnungs- und Nahrungsmangel. Die Versorgungslage der Bevölkerung war katastrophal. Die größte Sorge betraf die eigene Existenz. Viele hungerten, denn die täglichen Lebensmittelrationen lagen noch unter denen der Kriegszeit. Oft konnten nicht einmal die geringen Tagesrationen ausgegeben werden. Mehrmals mussten die Alliierten die Kaloriensätze senken. Viele Menschen tauschten daher auf dem Schwarzmarkt oder hamsterten auf dem Lande Lebensmittel. Wichtigstes Zahlungsmittel waren amerikanische Zigaretten. Eine unschätzbare Hilfe: die seit 1946 aus den USA nach Deutschland geschickten CARE-Pakete.

großer Bedarf an Glas- und Bedachungsmaterial. Kein Strom, kein Gas. Kein Rohstoff, kein Geld“, beschreibt Fritz Hecker-Over den Zustand seines Unternehmens 1945. 80 Prozent der Firmenanlagen waren zerstört. Doch in Köln-Raderthal wurde nicht gejammert, sondern angepackt. Rolf Hecker: „Denn eines war trotz aller Rückschläge geblieben: der Optimismus, der schon Firmengründer Adolf Friedrich Hecker 1863 beseelte.“ Ganz oben auf der Prioritätenliste stand jedoch nicht nur der Wiederaufbau des Unternehmens, sondern auch das soziale Engagement der Eigentümerfamilie und ihrer Angestellten. Spies Hecker wurde nach dem Krieg zu einem Sammelbecken für Kriegsheimkehrer. Wenn wieder einmal ein Zug mit Heimkehrern im Bahnhof einfuhr, dann standen Mitarbeiter der Firma bereit und kümmerten sich um

Kriegsschäden, eine fehlende wirtschaftliche Einheit

die behördlichen Formalitäten. Darunter auch Helena

und die zerstörte Infrastruktur belasteten die Wirt-

Müller und Günther Dünnwald aus der Werbeabteilung.


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Die Diplom-Betriebswirtin erinnert sich: „Die Leute

Firma. „Nach dem Krieg sah das Viertel schrecklich

hatten keine Kleider, waren ungewaschen, ausge-

aus. Ich habe selbst dabei mitgeholfen, Ziegelsteine

hungert, krank. Bei der Bahnhofsmission bekamen

von Zement zu befreien. Viel stand nicht mehr. Es

sie erst einmal etwas zu essen und zu trinken,

gab noch einige ältere Gebäude, die aber auch an-

dann erfolgte die erste Kontaktaufnahme zu den

gegriffen waren. Sie wurden dann notdürftig fertig-

Behörden.“ Auch Kunden aus den ehemaligen Ost-

gestellt. Die Rohstoffversorgung war zu diesem

gebieten des Reiches suchten über Spies Hecker

Zeitpunkt nur durch die Amerikaner gewährleistet.

ihre verloren gegangenen Angehörigen. Man hatte

Es wurde nichts anderes als Olivgrün produziert“,

bei der Flucht – für den Fall einer Trennung –

beschreibt Rolf Hecker die Zeit nach Kriegsende.

verabredet, sich dort zu melden. Die Aufbauarbeiten in Raderthal gingen nur langsam Zu den Heimkehrern gehörten auch Mitglieder der

voran. Immerhin hatte das Unternehmen 1945 mit

Familie Hecker. Noch vor Kriegseinbruch wurde Fritz

nur zehn Mitarbeitern und einigen kleinen, über ganz

Hecker-Over eingezogen. Er leitete als Hauptmann

Deutschland verstreuten Arbeitsgruppen wieder

die Flakartillerie bei Brauweiler. Sein Sohn Rolf

begonnen. Zum 31. Dezember 1946 waren bereits

Hecker musste 1944 mit 16 Jahren an die Front –

53 Angestellte und 65 Arbeiter bei Spies Hecker

als Luftwaffenhelfer. Ein Jahr zuvor war sein Eltern-

beschäftigt. Der Jahresumsatz belief sich auf

haus in Rodenkirchen in der ehemaligen Kaiser-

3.057.000 Reichsmark. Dass dieser im Jahre 1947

straße völlig zerstört worden. Rolf Hecker geriet dann

wieder auf 2.846.000 Reichsmark zurückfiel, führte

in amerikanische Kriegsgefangenschaft in Andernach

die Geschäftsleitung auf die ungenügende Rohstoff-

und kehrte gesund nach Hause zurück. Zuerst kam

versorgung zurück. Die Angestelltenzahl stieg trotz

die Familie bei Freunden unter, 1946 zog sie in die

Umsatzrückgang auf 125 Mitarbeiter. Der „Bericht

Firmengelände, 1955.


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46 II Spies Hecker Chronik II Firmengeschichte, 1945 – 1971

lassen, weil in vielen Fällen Materialschwierigkeiten bestanden. Nicht zuletzt machen sich auch hier die Folgen des Krieges – zerstörte Anlagen der Reparaturbetriebe, bereits durchgeführte und noch vorgesehene Demontagen, der Ausfall wichtiger Zubringerbetriebe in der Ostzone usw. – sehr hemmend bemerkbar. Wir werden daher noch viele Jahre brauchen, ehe unser Maschinenpark wieder völlig modernisiert ist und ehe alle der Produktion dienenden Anlagen von den Kriegsschäden geheilt sind.“ (Bericht über das Geschäftsjahr 1947.) Alte Kontakte verhalfen Spies Hecker zu lukrativen Aufträgen. Einer davon: die Produktion von Kanisterlacken für das englische und belgische Militär. Für diese Lacke gab es die heiß begehrten Devisen – englische Pfund. Und mit dem Geld konnten wiederum Rohstoffe auf den internationalen Märkten gekauft werden. Es ging aufwärts. In der Lackschmelze wurde eine Gaserzeugungsanlage installiert, die im Krieg zerstörte Schlosserei wieder aufgebaut, ebenso die Büroräume im ersten Stockwerk des Kontorhauses. Mit der Anschaffung eines 3,5-Tonners, Marke Magirus Diesel, verfügte der Spies Hecker Fuhrpark nunmehr über zwei Lastkraft PERMANAL Farbtonmischerei.

über das 66. Geschäftsjahr 1947“ gibt einen detail-

wagen, die die Abhängigkeit von Fremdspediteuren

lierten Einblick in die Schwierigkeiten des Wiederauf-

verringerten. Die alte Kundschaft war dem Rader-

baus: „Nicht nur die durch Rohstoffmangel bedingte

thaler Unternehmen treu geblieben. Es fehlten allein

Beschränkung in der Produktion wirkte kostenstei-

die Mengen, um die große Nachfrage der Kunden

gernd, sondern auch und vor allem die sichtlich

zu decken.

gesunkene Leistungsfähigkeit der in der Produktion praktisch tätigen Arbeitskräfte. Daneben sind die

Die Jahre ab 1948 standen dann wieder ganz im

übrigen Betriebskosten ganz erheblich gestiegen.

Zeichen des Wachstums. Es ging voran! Ein neues,

Wir mussten manche unentbehrlichen Betriebsstoffe,

modernes Firmengebäude entstand. Das Dachge-

die trotz oder wegen der Bewirtschaftung auf norma-

schoss beherbergte die Privatwohnung von Fritz

lem Wege nicht zu erhalten waren, anderweitig zu

Hecker-Over. Auf der Dachterrasse hatte die Familie

erhöhten Preisen beschaffen wie auch alle Repara-

eine Kegelbahn installiert.

turen und die Produktion belastenden Wiederherstellungskosten wesentlich teurer geworden sind, als sie es früher waren. (…) Auch im vergangenen Jahr konnten wir bei Weitem nicht alle geplanten Instandsetzungen und Reparaturen ausführen bzw. ausführen


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Alter Eingang zu den Bürogebäuden in KölnRaderthal, 50er-Jahre. Die Tür steht heute im neuen Spies Hecker Center. Oben: Firmengelände in Köln-Raderthal nach dem Wiederaufbau 1948.

Haupteingang.

Blick in das Gelände: links die Laborgebäude, rechts der Vertrieb.

Eine große Familie.

gehörte 1946 Ernst Lucas, der nach Kriegsdienst und dreimonatiger Gefangenschaft die höhere Handels-

Der Mitarbeiterstab vergrößerte sich stetig. Und auch der Nachwuchs ließ nicht lange auf sich warten:

schule abgeschlossen hatte und mit 19 Jahren arbeits-

Denn Lehrverträge waren in der Nachkriegszeit heiß

geschickt und dachte erst, es sei eine Konserven-

begehrt. Zu den ersten Lehrlingen in Raderthal

fabrik“, erinnert sich der gebürtige Kölner. Schwer

los war. „Ich wurde vom Arbeitsamt zu Spies Hecker


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Tönerei. Betriebsfest im PERMANAL Produktionsgebäude.

beeindruckt von den riesigen Büros der Firmeneigen-

ben, die Ihnen im Lehrberuf gestellt werden, sind von

tümer Paul Adolf Hecker, Fritz Hecker-Over und Adolf

anderer Art als in der Schule. Sie brauchen aber nicht

Hecker nahm der junge Mann seinen Lehrvertrag mit

von vornherein ängstlich zu sein; mehr als Sie leisten

nach Hause. „Den musste meine Mutter unterschrei-

können, wird von Ihnen niemals verlangt werden. (…)

ben, da ich noch keine 21 Jahre alt war. Ich bekam

Seien Sie immer pünktlich! Das ist nicht nur die Höf-

36 Reichsmark im Monat. Am 30. Juni 1948 bekam

lichkeit der Könige, sondern auch der Lehrlinge. (…)

ich mein erstes Gehalt in D-Mark – 170 Mark, das

Für die Arbeit in den Büros genügt ein weißer Kittel

war die Hälfte eines Anzuges.“ Lucas wurde später

zur Schonung der Kleidung. Wer von Ihnen im Betrieb

Vertriebsleiter für den Bereich Süd mit Prokura.

beschäftigt wird, muss natürlich einen solchen Kittel schon als Schutz gegen Flecken usw. tragen. (…) Für

Von den jüngsten Mitarbeitern wurden Engagement

alle Jugendlichen, die neu ins Berufsleben kommen,

und Zuverlässigkeit gefordert. Helena Müller: „Die

bedeutet die gegenüber den Schulstunden wesentlich

Lehrlinge mussten damals eine Stunde vor den ande-

längere Arbeitszeit eine besondere körperliche Bean-

ren im Betrieb sein – um 6.15 Uhr. Dienstschluss war

spruchung. Das gilt auch in erhöhtem Maße für die

um 17.15 Uhr. Es gab für jeden Mitarbeiter täglich

weiblichen Lehrlinge. Im Verlaufe Ihrer Ausbildung

einen Liter Milch, den die Lehrlinge vor dem Dienst

werden Sie stundenlang an Ihrem Arbeitsplatz sitzen

verteilten. Samstags wurde von 6.15 Uhr bis 14.00 Uhr

müssen. Da braucht der Körper Ausgleichsgymnastik.

gearbeitet. Worauf ein Lehrling bei Spies Hecker zu

Jeden Mittwochnachmittag ist unter Leitung eines

achten hatte, wurde den jungen Menschen in einem

geprüften Sportlehrers dazu Gelegenheit.“ Keine

persönlichen Brief vermittelt. Die Überschrift lautete:

Frage: Bei Spies Hecker waren junge Menschen gut

„Liebe Freunde!“ – Ein Auszug: „Sie müssen nur den

aufgehoben.

aufrichtigen Willen zeigen, mitzumachen. Die Aufga-


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Das Miteinander funktionierte. Helena Müller:

Eine Ausnahme hinsichtlich dieser Vorgehensweise

„Das Betriebsklima war exzellent. Man hatte zwar

bildeten übrigens Mitarbeiter, die in der Stammkneipe

Respekt vor den Abteilungsleitern, aber es waren

um die Ecke gerne mal ein bisschen zu tief ins Glas

immer alle Türen offen. Man konnte jederzeit auch zu

schauten. Sie bekamen keine Lohntüte aus der Hand

den obersten Chefs gehen.“ Dies war sogar Pflicht –

ihres jeweiligen Chefs. Das Geld wurde von Lehrlin-

nämlich einmal im Monat, wenn das Gehalt ausge-

gen per Fahrrad zur Ehefrau transportiert. Was dem

zahlt wurde. Conrad Röthgen, der am 1. Februar 1950

familiären Frieden fraglos sehr zugutekam …

als Lacklaborant bei Spies Hecker begann, gibt einen kleinen Einblick in die allmonatlichen „Zahl-

Doch auch wenn es um die Herren Hecker und deren

tage“: „Alle Angestellten bekamen ihr Geld persönlich

Familienangehörige ging, wurden gerne einmal außer-

von Paul Adolf Hecker. Die einzelnen Abteilungen er-

gewöhnliche Maßnahmen ergriffen. Conrad Röthgen:

hielten am Monatsende einen Anruf und wurden zum

„Ich war schon zwei oder drei Jahre dabei, da brachte

Chef gebeten. Einer nach dem anderen musste zu

BMW ein schickes Cabriolet heraus. Die Gattin von

ihm ins Zimmer und bekam dort sein Geld in einer

Fritz Hecker sen. hatte sich ein solches Auto bestellt.

Lohntüte. Da wurden dann auch ein paar Worte

Zu der Zeit konnte man sich für derartige Fahrzeuge

gewechselt.

den Lack aussuchen. Ich fuhr also mit zwei Lackier-

Fragen zu Gesundheit und Familie. Das ging einige

meistern für vier Tage nach München und wir

Jahre so. Alle Angestellten trugen weiße Kittel,

lackierten den Wagen am Band zweifarbig metallic.

auch in den Büros. Selbst den Chef habe ich nie

Davor und dahinter liefen die Isettas vom Band.“

im Anzug gesehen.“ Für gewerbliche Mitarbeiter gab es ein Lohnbüro. Hier wurde das Geld von den Aus-

Anfang der 50er-Jahre „machte Spies Hecker fast

zubildenden einkuvertiert und anschließend zu den

alles“, erinnert sich Röthgen: „Auto- und Malerlacke,

jeweiligen Abteilungsleitern gebracht, die das Geld

Straßenmarkierungsfarben, Lacke für den Waggon-

dann verteilten.

bau, Blechemballagenlacke für Kanister, Holzlacke,

Büroräume und Werbeabteilung in den 60er-Jahren.


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Büro der Geschäftsleitung.

Industrielacke und Lacke für Sonderaufbauten –

te vortragen“, schwärmt Ernst Lucas vom ehemaligen

Feuerwehrautos, Omnibusse, Anhänger.“

Chef. Ein Jahr später, 1953, trat die vierte Generation ins Unternehmen ein: FHOs Sohn Rolf Hecker: „Ich

1952 übergab Seniorchef Fritz Hecker, Ehrenvorsitzender

kümmerte mich zuerst um die Modernisierung der

des Verbandes der deutschen Lackindustrie, 79-jährig

Produktion, die zum Teil noch sehr altmodisch war,

das Firmenruder an seine beiden Söhne Fritz Hecker-

und die Einführung neuer Methoden.“ 1956 reiste

Over („FHO“) und Adolf Hecker sowie seinen Neffen

er zum ersten Mal in die Vereinigten Staaten – „um

Paul Adolf Hecker („PAH“). Er verabschiedete sich mit

nachzuschauen, was dort besser gemacht wurde als

einem großen Firmenfest – einer Schiffstour auf dem

bei Spies Hecker. Hier gab es bereits große Kugel-

Rhein. Noch im selben Jahr starb der hochverehrte

mühlen.“

Senior, der Spies Hecker in weiten Teilen Deutsch-

Rolf Hecker brachte aus den USA eine sogenannte

lands bekannt gemacht hatte. „Er war ein ganz lieber,

„sand mill“ mit. Eine mit Sand gefüllte Mühle, in

väterlicher Mensch“, erinnert sich Helena Müller.

die der Lack gepumpt wurde. Für diese Erfindung

„Er war ein Unternehmer vom alten Schlag – aber er

von DuPont erwarb Spies Hecker die Lizenzen.

konnte auch singen und in der Kantine seine Gedich-


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Hier kommt das Wirtschaftswunder …

listen. Wohl kaum ein Mann verkörperte das Wirtschaftswunder so sehr wie Ludwig Erhard, Wirtschaftsminister unter Kanzler Konrad Adenauer.

Westdeutschland setzte im Gegensatz zur DDR glücklicherweise nicht auf die sozialistische Planwirtschaft, sondern auf eine solide soziale Marktwirtschaft. Die politische Bindung der noch jungen Bundesrepublik an den Westen und die Verflechtung mit der Weltwirtschaft erleichterten in den 50er-Jahren den raschen Wiederaufstieg. Weltweit herrschte Hochkonjunktur. Während die Produktions- und Exportdaten rasant stiegen, sank die Zahl der Arbeitslosen in der Bundesrepublik 1961 auf unter ein Prozent. Die Lebensverhältnisse für die Bevölkerung verbesserten sich rapide. Der wachsende Wohlstand veränderte auch die Wünsche und Lebensgewohnheiten der Konsumenten. Luxusgüter wie elektrische Haushaltsgeräte und ein eigenes Auto waren heiß begehrt und standen an der Spitze der Wunsch-

Sein erklärtes Motto: „Wohlstand für alle!“ Mit der Entwicklung der Autoindustrie kam auch die Lackindustrie richtig in Fahrt. Denn mit der steigenden Zahl der Autobesitzer stieg auch der Bedarf an Reparaturlackierungen. Spies Hecker erkannte die Zeichen der Zeit und reagierte prompt. Bereits zu Beginn der 50er-Jahre errichtete das Unternehmen eine nach neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgestattete Halle mit Spritzkabine für die Autolackierung. Das Lieferprogramm der Firma umfasste in den 50er-Jahren die Erzeugung von Lacken und Lackfarben für nahezu jeden Anwendungsbereich auf vielseitigen Rohstoffbasen. Zum stetig wachsenden Kundenkreis gehörten Auto- und Karosseriefabriken, das Malerhandwerk,

Leitende Belegschaft, um 1950. Fritz Hecker sen.


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Fahrzeugbeschriftung war in den 50er-Jahren echte Handarbeit.

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Möbellackierer, Waggonfabriken, die Deutsche Bun-

garantierten eine schnelle Lieferung. Das dichte

desbahn, die Bundespost und sonstige Verkehrs-

Vertriebsnetz des Unternehmens war die Basis für

unternehmen, staatliche und Kommunalverwaltungen,

mehr Erfolg.

Schiffswerften, die Großchemie, die Schwer- und Montanindustrie, die Mineralölverarbeitung, der Behälter-

Spies Hecker weitete sein Vertriebsnetz immer

und Apparatebau, Emballagen- und Blechwarenfabriken,

weiter aus und expandierte erstmalig ins europäische

die Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie, die Textil-,

Ausland. Das Exportgeschäft basierte auf wenigen

Papier- und Lederindustrie. Ferner Fabriken für pharma-

Großabnehmern wie Bell-Telefon in Belgien und

zeutische und kosmetische Produkte, Hersteller von

Philips in den Niederlanden. Die Aufgabe bestand

gewerblichen und Haushaltsmaschinen, Spielwaren-

jetzt darin, den Export mit Autoreparaturlacken auf

fabriken sowie der Landmaschinenbau.

eine sichere, breite Plattform zu stellen. Autoreparaturlacke erwirtschafteten gute Betriebsergebnisse.

In ihrer Eigenschaft als Konsumentenlackfabrik, die

So sollte auch der Export mit dem PERMANAL Auto-

unmittelbar die gewerblichen Verbraucher belieferte

lack und der Vormaterialpalette, Grundierungen,

und nicht den Handel, entwickelte sich Spies Hecker

Spachtel, Füller, wesentlich wachsen. Der Export-

zur größten ihrer Art in Deutschland. 45 Außen-

umsatz stieg rasant und erreichte 1968 bereits

dienstmitarbeiter priesen die Produktpalette direkt

4,5 Millionen DM. Das waren ca. zehn Prozent

vor Ort beim Kunden an. 22 Auslieferungsläger

des Spies Hecker Gesamtumsatzes.


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Vertriebstagung 1952.

Ab 1955 wurden Importeure mit Marketing- und Verkaufsverantwortung für ihr jeweiliges Land gesucht

Karneval in Köln. „De Pooz bliev zo!“

und gefunden. So in den Niederlanden, Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland, Luxemburg, Belgien, Schweiz, Frankreich und Italien. In einigen Ländern mussten öfter die „Pferde“ getauscht werden, da es an der Gesamtverantwortung mangelte. Dies war vor allem bei großen europäischen Ländern wie Italien und Frankreich der Fall. Märkte, in denen Spies Hecker schließlich mit der Gründung von Tochtergesellschaften wie Italpermanal und Permanal France die Aktivitäten in die eigene Verantwortung nahm. In der gleichen Zeit entwickelte sich auch das Geschäft durch Lizenzvergabe patentierter Spies Hecker Produkte. Die Lizenzen wurden für Produktion und Anwendung sogenannter „Kontakverfahren“ vergeben. Es handelte sich dabei um Polyesterlacke für die Phono- und Möbelindustrie in Finnland, Norwegen, Brasilien, Italien und Südafrika.

Einmal im Jahr herrschte im ganzen Unternehmen der Ausnahmezustand. Dann wurde Karneval gefeiert. Das jecke Spies Hecker Motto: „De Pooz bliev zo!“ – das Tor bleibt zu. Nach der Schicht am Karnevalsfreitag (später bereits Weiberfastnacht, also einen Tag zuvor) wurde der Betrieb bis Aschermittwoch geschlossen. Für manchen steuerte die Geschäftsleitung ein paar Mark dazu, denn jeder in der Firma sollte feiern können. Zum Dienstbeginn gab’s dann ein fröhliches Betriebsrundschreiben von Paul Adolf Hecker. 1958 begann dies so: „Ich darf Ihnen vermelden, dass die 650 Männlein und Weiblein, nachdem sie unserem alten Motto zufolge ‚De Pooz bliev zo!‘ seit Karnevalssamstag ‚ausgesperrt‘ waren, heute mit frisch-froher Laune ihre Arbeit wieder aufgenommen haben. (…) Die Sperrschilder an unserem Werkstor sind wieder entfernt. Der Erste, der heute Morgen


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Haupteingang zum Kölner Werk in der Fritz-Hecker-Straße. 1958: Information an die Kunden, dass Spies Hecker während der Karnevalstage geschlossen bleibt: „Die Tür bleibt zu.“

das Fabriktor passierte, war unser Postkurier mit

Legendär sind auch die Betriebsfeste von Spies

einem prall gefüllten Sack aufgestauter Geschäfts-

Hecker, die in der Kölner Flora oder in der Heide-

post.“ Neben diesen Rundschreiben ließ es sich Paul

mühle in Dellbrück gefeiert wurden. Und dann gab

Adolf Hecker nicht nehmen, seine Mitarbeiter Ascher-

es noch den berühmt-berüchtigten ersten Schiffsaus-

mittwoch höchstpersönlich am Tor zu begrüßen.

flug nach Linz am Rhein … – Heiner Ross: „Die Firma charterte ein Schiff der Köln-Düsseldorf, für die

Zwei der drei Chefs aus der Hecker-Dynastie waren

Schiffslacke produziert wurden. Darauf rund 1.000

aktiv im Kölner Karneval engagiert: Paul Adolf Hecker

Menschen, Inhaberfamilien, Innen- und Außendienst-

als Ehrenmitglied der „Roten Funken“, sein Cousin

mitarbeiter und Kunden. Dummerweise schrieb der

Adolf Hecker bei den „Negerköpp“. Nur Fritz Hecker-

Personalchef in seinem Rundschreiben: ‚Ihr könnt

Over, seines Zeichens Konsul von Tunesien und ein

auch an Land gehen.‘ Wir kamen dann gegen Mittag

sehr weltoffener, international denkender Mensch,

in Linz an und jeder bekam Getränke- und Essens-

hielt sich aus dem jecken Treiben weitgehend heraus.

marken im Wert von 10 Mark. Ein Kölsch kostete

Und das begann an Altweiber pünktlich um 11.11 Uhr

damals 10 Pfennig. Alles strömte also rein nach Linz

im gesamten Betrieb. Der ehemalige Versandleiter

zum Tanzen oder Weintrinken. Das Schiff sollte um

Heiner Ross: „Donnerstags gab’s ,Ringelpiez mit

18.00 Uhr wieder ablegen. Nachdem der Kapitän drei-

Anfassen‘. Überall wurde getanzt. Es wurde zwar

mal ab- und wieder angelegt hatte, weil immer wieder

getrunken, aber in Maßen. Wir waren eine große

neues Volk am Anleger erschien, flog sogar einer

Familie.“ Deren Mitglieder übrigens liebevoll mit

kopfüber in den Rhein. Er hatte wohl zu tief ins Glas

Spitznamen angesprochen wurden. Da gab es Heiner

geschaut. Eigentlich durften wir Auszubildenden gar

Ross, aus dem kurzerhand „et Päd“ (das Pferd) wurde,

keinen Alkohol trinken, aber wir taten es dann doch.

den „Werbefuzzi“, die „Knallbotz“, den „Anti-Alki“ oder

Ich gehörte zu den Letzten am Anleger: Das Schiff

„Herbse Herb“. Der harte Kern traf sich am Altweiber-

war weg und wir mussten mit der Bahn zurückfahren.“

abend im Casino, wo dann bis zum nächsten Morgen ausgelassen Karneval gefeiert wurde.

Alkohol gab’s nur einmal im Jahr offiziell – zu Weihnachten: für die Damen eine Flasche Sekt, für die Herren eine Flasche Cognac. Beides trug den Namen

1975: Werbeplakat für PERMANAL Autolack (Kunstharz) mit Kölner Tanzmariechen.

„Hecker privat“. Die Mitarbeiter in den Lackierereien präferierten hingegen eine ganz besondere „Spezia-


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Karneval in Köln.

lität“: den „Spritlack für innen“, ein klarer Schnaps. Gelagert wurden die Getränke im Weinkeller. Dort soll

Innovative Lösungen – neuer Partner.

es freitags zu geheimen Sitzungen gekommen sein, die erst samstagmorgens durch die Ehefrauen, deren Männer verlustig gegangen waren, recht unsanft beendet wurden. Den Gemeinschaftsgeist der Mitarbeiter förderte zudem der alljährliche „Tag der offenen Tür“ mit organisierten Rundgängen durch das Werk. „Das prägte den Zusammenhalt unheimlich“, so Ross. „Wir waren ein sehr freudiges Völkchen bei Spies Hecker.“ Ein „Völkchen“, das vom Arbeitgeber liebevoll gehegt und gepflegt wurde. Verantwortlich dafür war Sanitäts-

Bereits 1970 hatte Spies Hecker im deutschen Autoreparaturlacksektor mit 4.661 produzierten Tonnen einen Marktanteil von 24,4 Prozent. Die namhaften Konkurrenten auf nationaler Ebene: Glasurit und Herberts. Innerhalb von nur zehn Jahren erhöhte das Unternehmen seinen Marktanteil um satte sieben Prozent. Im Bereich Industrielack hatte Spies Hecker zwar nur einen Anteil von 1,5 Prozent (5.899 Tonnen) und war damit nur minimal vertreten, erzielte aber immerhin einen höheren Umsatz als der Autoreparaturlackbereich.

helfer Bobenhausen, der viele Jahre den Posten des Vorsitzenden des Betriebsrates bekleidete. Ihm oblag

Im April 1971 kaufte Spies Hecker die in der Nähe

es, einmal pro Woche die örtliche Markthalle zu besu-

gelegene Lackfabrik Theodor Kotthoff. Aus einem

chen, um dort kistenweise Bananen zu kaufen. Heiner

ganz besonderen Grund: Auf dem Firmengelände von

Ross: „Jeder bekam ein Banänchen und eine Flasche

Spies Hecker gab es alte Hallen, in denen noch pro-

Milch – das war für die Gesundheit.“ Damals herrschte

duziert wurde. Mit einer Verlagerung dieser Produktion

nämlich noch der Irrglaube, Milch und Bananen wären

zu Kotthoff konnten die veralteten Produktionshallen

ein probates Mittel gegen die giftigen Lackdämpfe.

abgerissen und Platz für neue, moderne Fabrikations-

Auch wenn die Kalziumration mit an Sicherheit gren-

methoden geschaffen werden. Zudem wollte Spies

zender Wahrscheinlichkeit nichts gegen Gifte ausrich-

Hecker durch den Kauf der Baufarbenfirma das

ten konnte – gesund war sie allemal. Und lecker.

Geschäft in diesem Bereich ausbauen. Rolf Hecker:


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„Als man sich dann bei Kotthoff alles näher anschaute,

eigene Lackfabriken in den englischen Territorien welt-

kam man zu dem Entschluss, dass es besser sei,

weit und auch DuPont besaß derartige Firmen in den

alles abzureißen und neu aufzubauen. Das geschah

USA und in Europa. Die Konkurrenz der Lackherstel-

dann auch. So entstand das Werk 2 auf der anderen

ler befürchtete nun, vom Know-how abgeschnitten

Straßenseite des Raderthalgürtels – das modernste

zu sein. Der wichtigste Grund war aber sicherlich die

von Spies Hecker.“ Das Unternehmen hatte nun

Tatsache, dass die rasant steigenden Rohstoffpreise

1.200 Mitarbeiter.

nicht in gleicher Geschwindigkeit an die Abnehmer weitergegeben werden konnten. Damit gerieten die

Im Gesellschaftsvertrag zur Übernahme von Kotthoff

Lackhersteller fast ausnahmslos in Zahlungsschwie-

vom 22. April 1971 tauchte zum ersten Mal die

rigkeiten und nahmen die „Rettungsangebote“ der

Farbwerke Hoechst AG auf – als Kommanditist

Großchemie gerne an – in der Hoffnung, dass sich

mit einer Einlage von 1,7 Millionen D-Mark und einer

ihre wirtschaftliche Lage schnell bessern würde.

25-prozentigen Beteiligung an Spies Hecker. Seit dem 1. Januar 1971 war der Großkonzern am Raderthaler

Hoechst zeigte großes Interesse an Spies Hecker.

Unternehmen beteiligt. Die Kriterien lagen auf der

Die Firmenleitung entschloss sich, eine strategische

Hand: War es zuvor ein ungeschriebenes Gesetz,

Allianz mit Hoechst einzugehen, da der langjährige

dass sich die Rohstoffindustrie als Hersteller von

Rohstofflieferant das beste Konzept vorgelegt hatte.

Bindemitteln, Pigmenten und Additiven von der

Spies Hecker hoffte, so gegen Glasurit als starken

Lackindustrie abgrenzte, hatte BASF als erstes

Wettbewerber besser gewappnet zu sein, da sich

Unternehmen dieses Tabu gebrochen und eine Lack-

abzeichnete, dass herkömmliche Familienbetriebe

fabrik gekauft. Kurz darauf wurde auch die Kölner

sich nicht auf Dauer halten konnten. Die „strategi-

Lackfabrik Herbig-Haarhaus von BASF übernommen.

sche“ 25-Prozent-Beteiligung an Spies Hecker seitens

Eine Entwicklung, die zu diesem Zeitpunkt im Ausland

Hoechst war jedoch erst der Beginn.

bereits üblich war. So hatte das britische Unternehmen ICI – Imperial Chemical Industries – immer schon

1971 kaufte Spies Hecker die Lackfabrik Theodor Kotthoff in KölnRaderthal. Auf dem Gelände von Theodor Kotthoff wurde das „Werk 2“ neu errichtet.


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Analytisch-physikalisches Labor.


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RAL-Farbtonkarte von 1960.

Auch die verheerenden Folgen des Zweiten Weltkrieges konnten die rasante Entwicklung im Bereich der Lacktechnologie nicht stoppen. Ganz vorn mit dabei: Spies Hecker. Die neue Marke PERMANAL, ein lufttrocknender Alkydharzlack, war schon bald die Nummer 1 unter den Autoreparaturlacken. Da sich bei den ersten oxidativ härtenden und spritzfähigen Kunstharzlacken auf Basis ölmodifizierter Alkydharze die Staubeinschlüsse schlecht herauspolieren ließen, wurden luftgefilterte Spritz- und Trockenkabinen erforderlich. Ein nagelneues Firmengebäude mit analytischem Labor und eine Halle mit hochmoderner Spritzkabine für die Autolackierung nach neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen ermöglichten dem Unternehmen die aktive Beteiligung an der Entwicklung innovativer Technologien. Das im Krieg beinah zerstörte Werk in Köln-Raderthal produzierte wieder fast wie in alten Zeiten. Im Jahre 1954 betrug die Gesamtfläche 23.500 Quadratmeter, von denen 8.500 Quadratmeter bebaut waren. Die Lösemittel wurden in unterirdischen Tankbehältern gelagert. Das Gesamtfassungsvermögen dieser Anlagen betrug nicht weniger als eine halbe Million Liter – unterteilt in Schmelze (35.000 Liter), PERMANAL Kunstharz (133.000 Liter) und PERMALOID Nitrolacke (350.000 Liter). Der moderne Etagenbetrieb gewährleistete eine reibungslose Lackherstellung. Zwei Filtertürme mit vier Etagen reinigten die Halbfertigerzeugnisse von allen Verunreinigungen, die durch Kolophonium, Kopale oder Kollodiumwolle entstanden. Die Sud-

küche oder Schmelze umfasste fünf offene und vier feste Feuerstellen. Modernste Kochanlagen vervollständigten das Herz der Fabrik. Alle Anlagen wurden durch besondere Feuerlöschanlagen gesichert, die einen eventuellen Brandherd mittels Stickstoffdruck und Kohlensäureschnee von minus 78 °C abdecken und ersticken konnten. Das gesamte Fassungsvermögen der Lagerbehälter für Fertigfabrikate betrug 650.000 Kilogramm. Kein Spies Hecker Produkt verließ die Produktionsabteilung, bevor es nicht im analytischen Labor und in der Prüflackiererei auf „Herz und Nieren“ untersucht worden war. In den Wirtschaftswunderjahren nach dem Zweiten Weltkrieg war Spies Hecker auch bei den größer werdenden Maschinen- und Anlagenherstellern präsent. Mitte der 60er-Jahre wurden die Lacke zunehmend perfektioniert und die Produkte wurden kundenbezogen auf die speziellen industriellen Lackierprozesse abgestimmt. Zusammen mit verschiedenen Spritzgeräteherstellern erbrachte Spies Hecker Pionierleistungen bei den innovativen Lackierverfahren wie zum Beispiel Airless- und Elektrostatikverarbeitung. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung stieg auch die Zahl der Autobesitzer und damit erneut der Bedarf an Reparaturlackierungen. Die Nitrolackierung wurde Stück für Stück von der perfektionierten Kunstharzlackierung verdrängt. Letzte Triumphe der Nitrolackierung waren vielschichtig gespritzte Luxuswagen,


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Produktgeschichte, 1945 – 2008 II Spies Hecker Chronik II 61

deren Hochglanz bei sorgsamer Pflege an handpolierte Nobelwagen alter Zeiten erinnerte. Doch die Zukunft gehörte den Kunstharzlacken. Die Umstellung von den sehr arbeitsintensiven Nitrolacken auf die Kunstharzlacke erforderte auch eine neue Technik. Conrad Röthgen erinnert sich noch gut an diese Zeiten: „Das war sehr beratungsintensiv. Wir hatten zwei Lackierermeister, die unsere Kunden im ganzen Bundesgebiet schulten.“ Doch auch die Kunstharz-

Nutzfahrzeuglackierung in den 60er-Jahren.

lacke hatten ihre kleinen „Macken“. Rolf Hecker: „Sie hatten einen großen Nachteil: Sie waren zwar sehr haltbar, aber sie vergilbten in UV-Licht. Der Lack hatte sich nach zwei Jahren so verändert und war so ausgeblichen, dass er nicht mehr mit dem im Inneren

Beatles. Doch nicht nur musikalisch ging es rund:

des Wagens identisch war. Das war sehr aufwendig

Auch die Entwicklung des Lackmaterials kam richtig in

in finanzieller Hinsicht. Denn es gab entsprechend

Fahrt. Mit der Automobilwelle stieg die Zahl der Unfälle

viele Abmischungen, je nachdem, wie sich der Lack

und damit auch wieder die der Reparaturlackierungen.

nach einigen Jahren veränderte, damit der Lackierer

Dem Wunsch nach mehr Effizienz und somit nach

auch den richtigen Farbton hatte.“

schnellerer Durchtrocknung und -härtung begegnete man mit den sogenannten 80-Grad-Lacken. Damit führte Spies Hecker unter der Leitung von Dr. Sadowski

Eine neue Ära beginnt.

einen neuen Trend ein: das „Baukastensystem“ aus Stammlack und Härter. Es war die Geburtsstunde der

Zu Beginn der 60er-Jahre feierte nicht nur der Minirock der Britin Mary Quant einen unvergleichlichen modischen Siegeszug. Eine vierköpfige Band aus England ließ deutsche Eltern erstmals entschieden mit ihrem Nachwuchs hadern. Der Name der wilden „Pilzköpfe“, die eine bisher nicht da gewesene Hysterie unter Europas Jugendlichen auslöste: The

Zwei-Komponenten-Technologie (2K). Eine Revolution im Lackiererhandwerk. Mehr Reparaturqualität und eine rationelle Verarbeitung, so lautete die Devise. Parallel dazu wurde die Anwendungstechnische Abteilung ATA gegründet. Der spätere ATA-Leiter Conrad Röthgen: „Die ATA übernahm die Qualitätskontrolle und verglich das Produkt mit denen der Konkurrenz.“ Die Anzahl


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Anwendungstechnische Abteilung.

der Serienfarbtöne nahm Ende der 60er-Jahre –

Kurz- und Langzeitbewitterungen ausgesetzt und in

gerade hatte der erste Mensch den Mond betreten –

regelmäßigen Zeitabständen in vielerlei Hinsicht

Analytisches Labor.

immer weiter zu. Waren es 1966 noch 1.500 Farb-

beurteilt. Drei Jahre später – im Jahre 1967 – konn-

töne, so stieg die Zahl 1970 bereits auf 2.500 Farb-

ten wir dem Vertrieb umfangreiche Mappen mit

töne. Diese Tatsache erforderte die Gründung der

erprobten Aufbauempfehlungen übergeben.“

Spies Hecker Colouristik und die Einführung der Farbtonmessung. Auch hier legte das Team um den späte-

„Das Erfolgsgeheimnis im Industrielackbereich war

ren Entwicklungsleiter Dr. Fritz Sadowski frühzeitig den

nicht, für jeden Lackierbetrieb ein spezielles Produkt

Grundstein für ein präzises Colour-Management.

zu erstellen, sondern für das Segment der kleinen bis mittelgroßen Industrielackkunden ein planmäßig

Er war es auch, der mit damals 30 Jahren die Spies

bevorratetes Produktsortiment mit einer sehr großen

Hecker Industrielack-ATA (ATA = Anwendungstechni-

Anwendungsbandbreite zur Verfügung zu stellen.

sche Abteilung) als notwendig erkannte und parallel

Damit konnten die Industrielackkunden in die Logis-

zur Fahrzeuglack-ATA aufbaute. „Es gab damals zwar

tikkette des PKW-Reparatursegmentes eingebunden

Einzelergebnisse, aber keine systematisch erarbeite-

werden“, so Günter Berschel, bis 2007 Leiter der

ten Aufbauempfehlungen für bestimmte Untergründe

Anwendungstechnik.

und Einsatzzwecke. Zusammen mit dem neu eingestellten Industrielackierermeister Günter Berschel fin-

Herausragende Produkte waren die Struktur- und

gen wir von der Pike auf an, die verschiedenartigsten

Hammerschlageffektlacke, die den Kunden in den

in der Industrie verarbeiteten Untergründe mit unter-

früheren Jahren der Industrielackierung bereits ein

schiedlichsten Lackaufbauten zu versehen. Diese

hohes Rationalisierungspotenzial eröffneten. Mit der

Tafeln wurden dann parallel den unterschiedlichsten

Entwicklung der Struktur- und Hammerschlageffekt-


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Revolutionär: Mitte der 70er-Jahre wurde die 2K Technologie eingeführt (Foto von 1982).

lacke konnte sich Spies Hecker über viele Jahre die Technologieführerschaft in dieser speziellen Lack-

Die Lackrevolution: Mischsysteme und 2K Technologie.

anwendung sichern. Die Colouristik arbeitete erfolgreich, die Prüfgeräte waren zentral zusammengefasst, das Industrielacklabor hatte eine eigene ATA, die Analytik unterstützte die verschiedenen Entwicklungslabors und eine strenge Produktkontrolle sorgte für eine ständig

Die 70er-Jahre markieren einen Wendepunkt in der Geschichte von Spies Hecker. Das Unternehmen schloss sich mit Hoechst zusammen (siehe Kapitel „Erschließung der Märkte“), Forschung und Entwicklung wurden neu strukturiert, die Produktionsabläufe weiter modernisiert.

gleichbleibende Qualität. Die Einführung der 2K Technologie auf Acrylharzbasis Um ein optimales Ergebnis zu erzielen, benutzten die

war eine Sensation für die Autoreparaturlackierer.

Lackierer bereits 2K Grundmaterialien wie Wash Primer,

In Deutschland und im Ausland erkannte man sehr

Epoxid-Primer, Polyesterspachtel und Füller aus dem

schnell, dass die Verarbeitungsvorteile deutlich

Hause Spies Hecker. 2K Polyurethanfüller (PUR) und

gegenüber der Kunstharztechnologie überwogen.

-decklacke (PERCOTEX) ermöglichten zudem hochchemikalienbeständige Lackierungen. So lernte der

Dr. Fritz Sadowski: „Bezeichnet man die Einführung

Lackierer frühzeitig, mit 2K Materialien umzugehen

der Spritztechnik als die erste Revolution zur Tech-

und sich an die genaue Beachtung der Mischungs-

nisierung auf dem Autoreparaturgebiet, so war die

verhältnisse und der Topfzeit zu gewöhnen.

Einführung der 2K Systeme die zweite, denn jetzt

Spies Hecker trug diesen Ansprüchen mit regel-

mussten genaue Mischungsverhältnisse eingehalten

mäßigen Schulungsveranstaltungen Rechnung.

werden.“ Die gesamte Lackiererbranche stellte sich


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1975: Das erste PERMACOLOR Mixsystem mit Mikrofilmlesegerät kommt auf den Markt.

sukzessive auf diese Technologie um, obwohl das

Spies Hecker war sehr schnell bewusst, dass mit den

Tempo der Umstellung von Land zu Land sehr unter-

Mischsystemen und der Modultechnik eine dauerhafte

schiedlich war – je nach Innovationsfähigkeit und

Kundenbindung entstand, da der Kunde mit der Misch-

Investitionsbereitschaft.

maschine alle Farbtöne ausmischen und spezielle Lackeigenschaften selbst bestimmen konnte. Hierfür

Die neue 2K Acryllacktechnologie wurde bei Spies

benötigte er nicht mehr mehrere, sondern nur noch

Hecker unter dem Markennamen PERMACRON mit

einen Lackhersteller.

den Seriennummern 257 für Decklacke und 293 für den Basislack der Zweischichtlackierung (Basislack/

„Die Einführung der Mischsysteme und die neue Tech-

2K Klarlack) vermarktet. Zu dieser Zeit verfügte das

nologie des 2K Lackes führten zu einer völlig neuen

Unternehmen über ca. 3.000 Fertigfarbtöne.

Dynamik im Markt und zur Ablösung der Kunstharztechnologie in den darauffolgenden Jahren“, so Herbert

1975 brachte Spies Hecker die ersten Mischsysteme

Born, damals noch Gruppenleiter in der Exportabtei-

auf den Markt. Anfangs noch als PERMACOLOR

lung.

Mixsystem für Kunstharz (PERMANAL), kurze Zeit später auch für 2K Acryllack (PERMACRON Serie 257

Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Spies Hecker

und Serie 293).

in Asperg, Württemberg, bei der Tochterfirma Permatex, hochwiderstandsfähige Korrosionsschutzfarben herstell-

Stammlack und unterschiedliche Härter, Beschleuniger,

te. Diese Produkte wurden vorwiegend in Nassbetrie-

Mattierungsmittel, Elastifizierer und andere Zusätze

ben wie Brauereien, Molkereien und der chemischen

wurden zu Modulen eines äußerst variablen „Bau-

Industrie eingesetzt. Auf diesem Spezialgebiet hatte die

kastensystems“ mit nur geringer Lagerhaltung.

Permatex Lackfabrik eine bedeutende Marktstellung.


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Eine weitere Tochtergesellschaft war die Teppitex Chemische Produkte GmbH. Sie lieferte Bodenbeschichtungen für den Wohnungsbau der Nachkriegszeit, später dann auch Wand- und Fassadenfarben sowie „Unitherm“, ein Brandschutzsystem für Stahlkonstruktionen. Karlheinz Steimel, bis 1973 Leiter Marketing, Verkaufsförderung und PR für Autolacke, erinnert sich: „Dass Markenzeichen und Markennamen für ein marktorientiertes Unternehmen wichtig sind, wurde früh erkannt. Als erster Markenname wurde PERMANENT im Jahre 1900 eingeführt. Im Laufe der Jahre folgten einprägsame Namen, die in der Regel neben dem Attribut ,PERMA‘ für Dauerhaftigkeit einen Bezug zur Rohstoffgrundlage oder zur Verwendung hatten.“ Spies Hecker Markennamen: PERMANENT (Schleiflack- und Überzugslackfarbe) PERMALOID® (Nitrozelluloselacke) HECKOLIN®/HECOLON® (Weißlack für Maler) PLASKIN® (Polyesterklarlacke) PRIOMAT® (Haftgrundierungen)

PRIOPHOR® (Wash Primer) RADERAL® (Polyesterspachtel) REAGEN® (Epoxidharzlacke) ROBUSTIK® (säurehärtende Holz- und Möbellacke) SILBERKRONE® (Weißlacke für Maler) MARKIPLAST® (Straßenmarkierungsfarben) TEPPITEX® (Spachtelböden) UNITHERM® (Brandschutzfarben) VETRODUR® (chemikalienfeste Lacke) VETROPHEN® (Kunststofffarbpasten und Hilfsmittel) PERMANAL® (Alkydharzlacke) PERCOTEX® (Industrielacke) PERMASIN® (Lederlacke) PERMAX® (Lackentferner) CARSIPOL® (Autopoliermittel) FOLIFLEX® (abziehbare Schutz- und Verpackungslacke) PERMATEX® (Chlorkautschuklacke) PERMANAX® (Kunstharzeinbrennlacke) PERMACRYL®/PERMACRON® (Acryllack) PERMASOLID® (High Solid Lacke) PERMAHYD® (wasserverdünnbare Lacke) PERMAFAST® (preiswertgerechtes Segment) PERMAFLEX® (Industriesegment) PERMAFLEET® (Nutzfahrzeugsegment)

Anzeigen aus den 60er-Jahren.


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1987: Erstmalig erscheint der Spies Hecker COLOR INDEX. Der Aufbau Basislack/Klarlack begann mit der ZweischichtMetallic-Lackierung und wurde später auch für Unifarbtöne umgesetzt.

Obwohl die Lackindustrie schon Ende der 60er-Jahre

Spies Hecker baute in den 80er-Jahren seine Farbton-

mit der Entwicklung von lösemittelarmen, wasser-

dokumentation systematisch aus. Eine Sensation war

verdünnbaren Lacken begonnen hatte, wurden das

1987 der neue Spies Hecker COLOR INDEX, ein zu

Bewusstsein und die Anstrengungen auf dem Gebiet

dieser Zeit einmaliges System zur Farbtonfindung.

der Erforschung ökologischer Lackiertechnologien und

Das dreibändige Nachschlagewerk beinhaltete rund

der Ressourcenschonung erst durch die Ölkrise 1973

470 Farbkarten und über 8.000 Automobilfarbtöne

geschärft. 1974 trat die Technische Anleitung zur

aus aller Welt.

Reinhaltung der Luft (TA Luft) in Kraft und 1975 wurden die Untersuchungsergebnisse zur Entstehung des

Farbtonentwicklung:

Sommersmogs veröffentlicht. Damals ging die Auto-

1900:

Schwarz

mobilherstellung in Deutschland innerhalb eines

1912:

Schwarz, gedecktes Rot, Blau, Grün

Jahres um 22 Prozent zurück.

1928:

Erstes deckendes Weiß

Die faszinierende Welt der Farben: das Spies Hecker Colour-Management. Ende der 70er-Jahre war die Farbtonvielfalt auf dem Vormarsch. 1979 wurde der Spies Hecker „Colour-Service“ ins Leben gerufen, da für die wachsende Anzahl an Farbtönen immer mehr Informationen abgefragt wurden.

1930:

Erste Metallic-Farbtöne

1966:

1.500 Serienfarbtöne

1975:

2.500 Serienfarbtöne

1979:

8.000 Serienfarbtöne

1988:

14.000 Serienfarbtöne

1998:

33.000 Serienfarbtöne

2008:

46.000 Serienfarbtöne

Eine ausgefeilte Systematik gab dem Lackierer die Möglichkeit, jeden Farbton, jede Nuance gezielt zu bestimmen. Allein für die Wiedergabe der Farbtöne


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Produktgeschichte, 1945 – 2008 II Spies Hecker Chronik II 67

1994: Die Einführung des wasserbasierenden PERMAHYD Mischlackes war ein wegweisender Schritt in Richtung lösemittelreduzierter Lackentwicklung.

verbrauchte Spies Hecker 65 Tonnen Lack und

Richtungen reflektieren und – je nach Betrachtungs-

240 Tonnen Papier. Alle Farbkarten nebeneinander-

winkel – heller oder dunkler ausfallen lassen.

gelegt hätten eine Fläche von rund 120 Fußballfeldern ergeben. Gigantisch!

1994 fand das Spies Hecker Colour Management seine Entsprechung im Firmenslogan „Colours unlimited“.

Übrigens: Die am meisten aufgeschlagenen Seiten

Dieser sollte ausdrücken, dass sich im Unternehmen

waren mit Sicherheit die der Metallics. Denn eine

alles um eine farbtongenaue Reparaturlackierung

Metallic-Lackierung war der absolute Hit. 50 Prozent

dreht. Der Claim beinhaltete Farbtongenauigkeit,

aller neu zugelassenen Personenwagen in Deutsch-

Farbtonvielfalt und Farbtonverfügbarkeit.

land strahlten im Jahr 1981 im todschicken MetallicLook (1970 waren es nur 4,8 Prozent). Und das,

Das PERMACOLOR Mixsystem war inzwischen fast

obwohl „Metallics“ teurer waren als „Unis“. Das

in allen Autowerkstätten Standard. Die Mischformeln

Geheimnis liegt wohl in der Mehrdimensionalität

waren – damals hochmodern – auf einem Mikrofilm

dieser Farbtöne, die streng genommen keine Farben

verzeichnet. Dieser wurde regelmäßig aktualisiert

im herkömmlichen Sinne sind. Es sind Kombinatio-

und ausgetauscht.

nen aus Farbe und Effekt. Der Effekt beruht auf kleinen Aluminiumplättchen, die das auf die Lackierung fallende Licht – unzähligen Spiegeln gleich – in alle


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68 II Spies Hecker Chronik II Produktgeschichte, 1945 – 2008

Das GREENTEC Logo auf dem Etikett zeigt, welche Produkte die VOC-Gesetzgebung erfüllen.

Der Umwelt zuliebe.

das Wasser nur noch in den Zwischenräumen befindet. Wenn das

Mit Beginn der 90er-Jahre wuchs auch das Umweltbewusst-

Wasser schließlich ganz verdun-

sein stetig an. Lösemittelredu-

tröpfchen zu einem dichten, irre-

zierte Produkte gewannen immer mehr an Bedeutung. Die Vorschriften für Lackierer wurden strenger, Schadstoffe – soweit als solche erkannt – in den Lackformulierungen ausgetauscht. Auf die Forderung, die organischen Lösemittel-

stet ist, verschmelzen die Harzversiblen (d. h. nicht wasserlöslichen) Film. Für die Eigenschaft dieses Lackfilmes ist der Grad des Verfließens entscheidend. Um diesen Vorgang zu unterstützen, werden unter anderem kleine Mengen organischer Lösemittel

mengen zu reduzieren, reagierte Spies Hecker mit

eingesetzt, die sogenannten Colöser. Daher enthalten

der Einführung von PERMAHYD (wasserverdünnbaren)

die meisten Wasserbasislacke noch bis zu zehn Prozent

und PERMASOLID (High Solid) Lackmaterialien.

Lösemittel. Trotzdem ist der Wasserbasislack ein gewaltiger Schritt in Richtung Lösemittelreduzierung.“

Neben dem Aspekt der Umweltschonung ermöglichte das PERMASOLID System eine rationellere und damit

Mitte der 90er-Jahre folgte dann das weltweit erste

kostengünstigere Arbeitsweise, denn festkörperrei-

komplette Sortiment auf Wasserbasis – von der Grun-

ches Material benötigte weniger Spritzgänge.

dierung bis zum Klarlack.

Die Einführung der PERMAHYD Wasserbasislack

1998 wurde erstmals ein Very High Solid Füller im

Serie 280/285 im Herbst 1994 war ein Meilenstein

Markt präsentiert. Der Festkörpergehalt konnte dabei

in der Spies Hecker Produktentwicklung. Den Unter-

nochmals deutlich gegenüber HS Füllern gesteigert

schied von PERMAHYD im Vergleich zu konventionel-

werden. In der Marketingabteilung hatte man sich

len Lackharzen erklärt Dr. Fritz Sadowski 1995 im

dafür etwas Besonderes ausgedacht. Unter „Top

Spies Hecker Journal:

Secret“ wurde eine Audio-Kassette herausgegeben.

„Am deutlichsten ist wohl der rein optische Unter-

Der Lackierer konnte sich die neue Technologie vom

schied: Konventionelle Lackharze sind in organischen

Band präsentieren lassen.

Lösemitteln löslich. Die dabei entstandene Lösung ist klar und zeigt keine Lichtstreuung (den sogenannten

Im Jahre 2001 tauchte dann erstmalig ein neues Logo

Tyndall-Effekt). Die wasserverdünnbaren Harzsysteme

auf: GREENTEC. Darunter wurden festkörperreiche

(Emulsionen) sind dagegen mit Wasser emulgiert,

und wasserverdünnbare Produkte zusammengefasst.

sehen trüb bis milchig aus und zeigen einen starken

Ein einfaches Symbol, das zeigt, dass der Verarbeiter

Tyndall-Effekt. Aber das ist nicht der einzige Unter-

die Vorgaben der europäischen VOC-Verordnung

schied. Wenn man aus einer konventionellen Harz-

(VOC = Volatile Organic Compounds; bezeichnet die

lösung einen Lackfilm erzeugt und diesen physika-

Emission potenziell schädlicher flüchtiger organischer

lisch trocknet, ist er in seinen Lösemitteln rücklösbar

Verbindungen) erfüllt. Die Verordnung trat endgültig

(reversibel). Anders bei den Lackfilmen aus einer

am 1. Januar 2007 in Kraft. Seitdem dürfen Lackher-

Harzemulsion: Sie sind nicht wasserlöslich. Wenn

steller nur noch wasserbasierende oder festkörper-

der Basislack trocknet, das Wasser also verdunstet,

reiche Materialien ausliefern.

rücken die Harztröpfchen näher zusammen. So bildet sich zunächst eine dichte Kugelpackung, bei der sich


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Produktgeschichte, 1945 – 2008 II Spies Hecker Chronik II 69

Einfach unglaublich: Aus den PERMAHYD/PERMASOLID

erfanden Forscher neue Lacke, die durch ultra-

Mischsystemen können inzwischen 46.000 Farbtöne

violettes Licht in Sekundenbruchteilen härten. Kaum

produziert werden. Doch wie wird die Geschichte

vorstellbar: Fällt ein Tropfen eines UV-Lackes durch

der Lackentwicklung weitergehen – zwischen Ästhetik,

eine Lichtschranke, die einen sehr kurzen Fotoblitz

Ökologie, Ökonomie, Technologie und Globalisierung?

auslöst, dann schlägt der Tropfen nicht mit einem

Ökoeffiziente Systemlösungen sind auf dem Vor-

„Platsch“ auf, sondern als fester Körper mit einem

marsch. Für jede Technologie wird der Schutz und

„Klick“. Er ist völlig durchgehärtet – ohne Wärme-

damit der beständige Werterhalt des Fahrzeuges

kammer, ohne Wartezeit, ohne Lösemittelemission.

weiterhin höchste Priorität haben. Und auch der

Außerdem sparen UV-härtende Lacke eine Menge

ästhetische Aspekt darf nicht vergessen werden.

Lösemittel. Zudem sind die Oberflächen hochkratzfest

Der Wunsch nach Individualität wird immer größer.

und chemikalienbeständig. Experten prophezeien

Dafür bietet Spies Hecker seit 2002 ganz besondere

den UV-Lacken eine große Zukunft. 2004 brachte

Farbtöne an. Die „Fascination Colors“ können nicht

Spies Hecker den ersten UV-härtenden Grundierfüller

mehr einfach aus der Mischmaschine zusammenge-

unter dem Produktnamen „Starlight“ heraus. 2007

stellt werden, da sie ganz spezielle Pigmente enthal-

wurde das System um Spachtel und Klarlack kom-

ten. Der Farbeffekt changiert in mehreren Dimensio-

plettiert. Dies eröffnet eine ganz neue Zeitdimension

nen, sodass es schwerfällt, eine genaue Farbbezeich-

für die Lackierung von Kleinreparaturen, den so-

nung zu geben: Asian Sun, Arctic Frost, Etna Stream.

genannten Speed Repairs. Doch die Lackforscher arbeiten auch schon an neuen Zukunftsvisionen,

Eine nahezu geniale Technik stellt die Strahlenhär-

zum Beispiel der Nanotechnologie.

tung von Lacken dar. Für die Lackierung von Objekten, die aufgrund ihrer Saugfähigkeit, leichten Entflamm-

Egal, wohin der Weg auch gehen wird – Spies Hecker

barkeit oder Verformung durch Wärme mit herkömm-

wird ihn aktiv mitentwickeln. Ganz nach dem Motto:

lichen Lacken nicht optimal zu beschichten sind,

„Spies Hecker – näher dran.“

PERMAHYD Mischsystem. 2002: Einführung der Fascination Colors. 2007: Das schnellste Speed Repair System der Welt – mit UV-härtenden Produkten und UV-Blitzlampe zur Trocknung.


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12:37 Uhr

Seite 1

Spies Hecker. Lacksysteme für Generationen.

ISBN 978-3-00-025313-3

Spies Hecker.

Lacksysteme für Generationen.

www.spieshecker.com

Spies Hecker – näher dran.


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