SPIESSER SPEZIAL Nr. 132

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spezial

WIR PFLEGEN –

KEINE VORURTEILE Ein Tag in der Altenpflege, fünf Jugendliche, fünf Orte, ab fünf Uhr morgens...

David Braun, 20, erlebt heute als Altenpflege-Azubi im 1. Ausbildungsjahr ein erstes Mal und einen Feierabend um 13 Uhr im thüringischen Ellrich. „Genau das Richtige für Männer.“

Patricia Schmidt, 20, im 3. Jahr Auszubildende zur Altenpflegerin im baden-württembergischen Weinheim, verwaltet heute einen Lagerplan. „Das ist unser Motto: So viel Hilfe wie nötig, so viel Selbständigkeit wie möglich.“

Corinna Wex, 23, Azubi in der ambulanten Altenpflege im 3. Ausbildungsjahr, wird heute in Wiesbaden geblitzt und mit dem WauWauWauLied verwöhnt. „Ich kann mir nicht mehr vorstellen, woanders zu arbeiten.“

Nicole Simon, 16, hilft als Azubi im 1. Ausbildungsjahr heute in Konz bei einem besonderen Training – und wird Opfer von Mundraub. „Der Beruf macht dich reifer.“

Sophia Schulz, 22, erlebt als Altenpflegerin in Hamburg eine ruhige Nachtschicht, bei der sie auch über den Tod nachdenkt: „Ganz wichtig ist für mich, dass ich mich verabschieden kann.“


Patricia

David

Corinna

3 Fragen an...

Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

1. Frau Dr. Schröder, warum ist Altenpflege ein Beruf mit Zukunft? Ganz einfach – Fachkräfte der Altenpflege sind in Zukunft mehr und mehr gefragt. Das liegt an der demografischen Entwicklung. Es gibt immer mehr alte Menschen in unserem Land. Wer heute Altenpflegerin oder Altenpfleger wird, hat

5:19 Uhr Schnell den Kaffee austrinken, dann noch frisch machen, und los geht‘s ins 25 Kilometer entfernte thüringische Ellrich zum „Asternhof“. Dort wird David seit dem 1. September zum Altenpfleger ausgebildet. Mehr als eine halbe Stunde ist er unterwegs, weil sich auf der engen Landstraße viele LKW durch die Kurven schieben.

6:00 Uhr Patricia trifft sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen der Station A im Dienstzimmer. Während vor Patricia noch der ganze Tag liegt, streckt sich ihre Kollegin, gähnt und sagt: „Ich geh’ jetzt heim.“ Patricia lächelt. Sie ist es gewohnt, dass andere schlafen gehen, wenn sie gerade zur Arbeit kommt.

Sophia

Nicole

6:20 Uhr Während sich Kollegin Melanie um die medizinische Versorgung der Bewohner kümmert, beginnt David mit der Grundpflege. Als Erste ist Frau E. an der Reihe. „Guten Morgen“, begrüßt David die alte Dame freundlich und führt sie ins Bad. Während sie sich wäscht, schüttelt er ihr Bett kräftig auf und richtet es her. Das zweite Bett im Raum ist leer, denn der Ehemann von Frau E. liegt im Krankenhaus. „Hoffentlich kommt er bald gesund zurück, sagt Frau E. „Keine Sorge. Er ist doch in guten Händen“, antwortet David.

6:00 Uhr In Ellrich erscheint David pünktlich zur Schichtübergabe im Personalzimmer. Sofort erhält er seine Aufgaben für den heutigen Tag. Er ist Altenpflegerin Melanie zugeteilt.

krisenfesten Job auch gute Perspektiven. neben einem

Uhr

Bei entsprechender Fort- und Weiterbildung stehen viele Wege offen, wie z.B. eine Wohnbereichsleitung, Pflegedienst- oder Heimleitung, Lehrtätigkeit oder ein Einsatz in der Pflegeberatung.

2. Was macht diesen Job für Jugendliche interessant? Altenpfl ege ist ein spannendes Berufsfeld. Hier sind viele positive Eigenschaften gefragt, zum Beispiel Eigenverantwortung und Selbständigkeit, aber auch Team- und Sozialkompetenz. Wie bei anderen Berufen auch kann der Arbeitsalltag manchmal ganz schön fordernd sein. Aber die Vielfältigkeit der Aufgaben, ihre Bandbreite und die guten Berufschancen machen das wieder wett.

3. Ist Altenpflege reine Frauensache oder auch etwas für Männer? Dass viele Frauen in diesem Beruf stehen, heißt noch lange nicht, dass Männer das nicht ebenso gut können und es ihnen keine Freude macht. Früher haben viele Jungs über den Zivildienst in die Altenpflege hineingefunden. Heute stellen auch Praktika oder die Jugendfreiwilligendienste eine gute Alternative dar, um den Pflegealltag kennen zu lernen. Um noch mehr jungen Männern die Möglichkeit zu geben, die Altenpflege und andere soziale Arbeitsfelder kennen zu lernen, werde ich am 14. April 2011 den ersten bundesweiten Boys’ Day ausrufen. Alle jungen Männer sind eingeladen, an diesem Tag Berufsfelder zu erkunden, die bislang traditionell von Frauen gewählt wurden. Ich bin mir sicher, dass wir so einige Trendsetter gewinnen können.

5:34 Uhr Das „Bodelschwingh-Heim“ im baden-württembergischen Weinheim liegt noch im Dunkeln. Drum herum: nur Wald und Gässchen mit so beschaulichen Namen wie der „Katzenlauf“. Patricia ist schon gut eine halbe Stunde vor Schichtbeginn da. „Ich komme nicht immer so gut aus dem Bett wie heute“, sagt die 20-Jährige. Sie parkt ihren Wagen in der Tiefgarage, die zum Heim gehört, und geht in die Personalumkleide. Aus der blonden Frau in Jeans und schwarzem Pullover wird innerhalb von fünf Minuten die Altenpflegeschülerin Patricia in weißer Stoffhose und Bluse.

6:07 Uhr Heute sorgt Patricia für die Gruppe 3. Das sind elf Bewohnerinnen und Bewohner des Altenheims. „Herr F. hat neue Hausschuhe“, sagt Pfleger Jörg, der den Dienst einteilt, „wir müssen aufpassen, dass er sie wirklich nur drinnen anzieht. Und Frau S. braucht einen neuen Verband.“ Patricia notiert sich alles auf einem Zettel, den sie im Laufe des Tages mit Haken für jede erledigte Aufgabe versieht. Dabei ist ihr Job mehr für sie als eine Aufgabe, die erledigt werden muss. „ Meine Oma war Chefin eines Altenheims, in dem ich praktisch meine ganze Jugend verbracht habe. Dort habe ich gelernt, wie glücklich es mich macht, Menschen zu helfen – und sei es nur dabei, dass sie so lange wie möglich selbständig aus einem Becher trinken können.“

6:28 Uhr Corinna schließt die Bürotür zum ambulanten Pflegedienst „Licht und Schatten“ in Wiesbaden auf. Am Tisch sitzt ihr Ausbilder Peter Bindl. Bei Kaffee und Keksen wird geplaudert. Nach mehreren Wochen in der Schule erfährt Corinna alles über die Entwicklung der Klienten, zu denen sie heute fahren wird.


6:37 Uhr In Corinnas Rucksack kommen Einweg-Handschuhe, Notizbuch, Taschentücher, Handy und Schlüssel. Am Computer druckt sich Corinna den Tagesplan aus und geht ihn aufmerksam durch. „Die Ausbildung läuft im Blockunterricht. Was ich theoretisch lerne, kann ich so gleich praktisch anwenden. So lernt man intensiver.“

6:39 Uhr Patricia geht mit dem Pflegewagen, auf dem Handtücher, Einlagen und Einmalhandschuhe liegen, von Tür zu Tür. „Guten Morgen“, ruft sie jedes Mal fröhlich, wenn sie eine davon öffnet.

7:10 Uhr Frau K. ist zu schwach, um das Bett zu verlassen. Patricia wäscht sie, wechselt ihre Einlagen, gibt ihr Augentropfen und lagert sie. Lagern, das heißt, die Bewohnerin in eine andere Position zu bewegen, damit sie sich nicht wegen des andauernden Drucks wund liegt. Neben dem Bett liegt eine Tabelle. „Der Lagerplan, oder besser: Lagerungsplan“, sagt Patricia. „Darauf trage ich ein, um wie viel Uhr ich sie wie hingelegt habe – denn sie muss alle vier Stunden anders gebettet werden.“

7:19 Uhr, im Bad „Kennen Sie schon das WauWau-Lied?“, fragt Herr R. Corinna kennt es. Beide singen „Oh Tannenbaum“, nur eben mit WauWauWauSilben. Das Waschen nimmt viel Zeit in Anspruch, denn Herr R. klagt über Schmerzen beim Bewegen. Corinna lenkt ihn ab, sie verwickelt ihn in ein Gespräch über die Wiedervereinigung. Herr R. zitiert aus Geschichtsbüchern, kennt Fakten, Zahlen, Daten. „Er ist geistig total fit, er scherzt und unterhält sich gern. Motivierende Worte sind sehr wichtig, denn er gibt sich schnell auf.“

8:00 Uhr „Schreiben Sie: Heute geht es Herrn R. gut!“, fordert er Corinna auf. Sie schreibt das in die Klienten-Mappe, notiert aber auch, dass er über starke Schmerzen klagt.

7:48 Uhr Auf dem Weg bis zum Frühstücksraum in der dritten Etage hilft David dort, wo er gebraucht wird, bietet seinen Arm als Stütze oder schiebt einen Rollstuhl.

7:55 Uhr, Küche Corinna schmiert Schnitten mit Erdbeermarmelade, denn die mag Herr R. am liebsten. Es kam schon vor, dass er ein ganzes Glas auf einmal gegessen hat.

8:00 Uhr Der Gong ertönt, es gibt Frühstück. Frau K. kann nicht mehr selbständig essen. „Sie ist bettlägerig und hat Schluckstörungen“, erklärt Patricia und mischt in einer Schale Joghurt unter den vorbereiteten Brei. Mit einem Teelöffel reicht sie ihn Frau K. Sie lässt ihr Zeit, redet freundlich mit ihr. Dann gibt Patricia ihr die Schnabeltasse in die Hand und animiert sie, sie an den Mund zu führen. „Das ist unser Motto: So viel Hilfe wie nötig, so viel Selbständigkeit wie möglich.“

8:27 Uhr „Ich komme am Nachmittag wieder“, verabschiedet sich Corinna. Herr R. winkt zum Abschied. Corinna fährt zum nächsten Klienten – Herrn S. Er hat in der Vergangenheit viel und oft getrunken. Seine Gesundheit hat darunter gelitten, er ist inkontinent, gehbehindert und braucht umfassende Hilfe.

Uhr

7:15 Uhr Corinnas erster Klient ist Herr R. Er ist stark übergewichtig und inkontinent. Depressive Phasen kommen und gehen. Er benötigt Hilfe bei der täglichen Körperpflege, beim Toilettengang, mit den Medikamenten und beim Zubereiten von Mahlzeiten. Viele vertrauen den Pflegern ihre Schlüssel an – auch Herr R., denn in depressiven Phasen fällt ihm das Aufstehen schwer. Corinna schließt die Haustür auf. „Guten Morgen!“, ruft er freudig aus dem Wohnzimmer.

6:43 Uhr Corinna fährt mit dem roten Citroën los. „Der Führerschein ist für die Arbeit bei einem ambulanten Pflegedienst Voraussetzung.“

7:40 Uhr Bei Patricia ist Herr F. zuletzt mit der morgendlichen Routine an der Reihe – er schenkt ihr Schokolade. Berührungsängste habe sie nie gehabt. „Meistens heißt es, Altenpflege sei nur ‚Hinternabwaschen‘. Das ist nicht wahr. Ich habe die älteren Menschen hier viel besser kennengelernt und verstehe sie jetzt.“ Sie kann jedoch nachvollziehen, dass nicht jeder so locker damit umgeht. „Mancher hier wirkt schließlich sehr zerbrechlich“.

8:45 Uhr Herr S. liegt noch im Bett, als Corinna die Wohnung betritt. Das Aufstehen dauert bei ihm besonders lange, Corinna leistet Überzeugungsarbeit. „Setzen Sie sich schon mal auf die Bettkante, ich mache solange Frühstück. Es gibt Joghurt mit Kirschen.“ Anschließend fährt sie Herrn S. mit dem Rollstuhl ins Bad. Sein Schlafanzug ist durchnässt. „Erst einmal die Hosen aus“, kündigt Corinna an. Sie wäscht ihn. „Pflegerinnen und Pfleger haben verschiedene Tricks gegen unangenehme Gerüche. Wir atmen dann einfach durch den Mund oder reiben uns einen Tropfen Minzöl unter die Nase. Wichtig ist, dass man mit den anderen über Unangenehmes redet. Häufig erfahre ich so neue Strategien für belastende Situationen.“


Patricia

9:00 Uhr Pause. David sitzt mit seinen Kolleginnen und Kollegen beisammen, genießt seinen Kaffee und fachsimpelt über das Kinoprogramm.

9:04 Uhr Auch Patricia macht Pause – 15 Minuten lang setzt sie sich mit einer Kollegin auf die Terrasse. „Heute ist mein Highlight der Verbandswechsel. Das mache ich gern.“

David

Corinna

10:25 Uhr Auf dem Weg zurück in den Wohnbereich wird David von Frau H. und Frau B. zu einer Runde „Mensch ärgere dich nicht“ eingeladen. Weil er gerade für nichts anderes eingeteilt ist, nimmt er an. Er ist gerne unter Frauen – obwohl er sich auch mehr männliche Kollegen wünscht. „Manchmal ist das richtig anstrengende Arbeit, wenn jemand zum Beispiel ohne Hilfsmittel aus dem Bett gehoben wird. Genau das Richtige für Männer.“

Sophia

Nicole

11:10 Uhr David muss Papierkram erledigen. Verschiedene Protokolle gilt es auszufüllen. „Wie viel hat Herr B. nochmal genau getrunken?“, überlegt er laut. Unter Anleitung von Kollegin Melanie darf David dann bei Herrn S. zum ersten Mal einen Tropf gegen Schmerzen setzen. Davids Hand zittert ein wenig, aber er meistert die Aufgabe einwandfrei. Danach beginnt die Toilettenrunde, das heißt für David: all denen helfen, die nicht mehr selbst zur Toilette gehen können. „Ich bin hier, um den Menschen zu helfen.“

12:10 Uhr „Meine Haare sind wieder viel zu lang. Corinna, immer wenn wir uns sehen, sieht eine von uns beiden aus wie eine Vogelscheuche“, begrüßt Frau W. Corinna. Die grinst. Irgendwie erinnert Frau W. sie an „Bienchen“, ihre Nachbarin. Der alten Dame hat sie schon mit 15 im Haushalt geholfen, ist mit ihr spazieren gegangen. „Der Altenpflegeberuf ist weitaus mehr als nur Waschen. Man muss immer aufmerksam sein und Verständnis, Geduld und Kraft haben, aber auch viel Fachwissen mitbringen.“

13:20 Uhr Herr R. bekommt den zweiten Besuch von Corinna. Diesmal ruft er „Guten Mittag!“ aus dem Wohnzimmer. Corinna erzählt, dass sie auf dem Weg zu ihm geblitzt wurde und macht sein Essen fertig. Herr R. zitiert aus der Bibel: „Ist nicht schlimm. Sorge dich nicht um morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen.“ Als Herr R. aufgegessen hat, spült Corinna das Geschirr und kocht Tee.

Uhr

9:20 Uhr Herr S. besteht heute auf eine Trockenrasur, die er selbst übernimmt. Solange bereitet Corinna das Frühstück zu: Toast, Apfelsaft, Joghurt und Medikamente. Während Herr S. kaut, liest ihm Corinna aus der Zeitung vor. Nach dem Frühstück raucht Herr S.: „Er bekommt nach den Mahlzeiten immer eine Zigarette angezündet. Nur das Feuerzeug schließen wir weg, denn einmal hat die Wohnung gebrannt.“ Im Auto greift sie zum Desinfektionsspray. „Es gibt einen Hygieneplan, der die Hygiene in der täglichen Arbeit eines Pflegedienstes regelt. Die Desinfektion der Hände ist die wichtigste Infektionsprophylaxe. So wird die Keimkette unterbrochen. Zum Waschen habe ich zum Beispiel immer Handschuhe an – natürlich bei jedem Patienten frische.“

10:28 Uhr Corinna fährt zum Ehepaar B. „Die beiden haben Demenz. Müssten sie ihre Wohnung verlassen, kämen sie nicht mehr klar. Frau B. räumt immer alles weg, sogar das Essen. Ich helfe dann beim Wiederfinden. Herr B. sagt immer, das Einzige, was er nie vergessen wird, ist seine Frau. Sowas berührt natürlich.“ Corinna hat die Wasserflasche unter dem Bett gefunden. Sie fordert beide zum Trinken auf. „Mach ich sofort, da werd‘ ich schöner“, scherzt Frau B. Ihr Mann verrät Corinna, dass beide gern einen Hund hätten. „Aber wir können keinen Hund haben. Den würden wir doch nur wieder wegräumen.“

12:33 Uhr „Nudelsuppe oder Gyros mit Tsatsiki, was darf‘s morgen bei Ihnen sein?“, fragt David Herrn F. freundlich. Bevor das Mittagessen beendet ist, muss er die Bestellungen für den kommenden Tag aufnehmen.

12:35 Uhr Mittagspause. Corinna trifft sich mit Kolleginnen und Kollegen.

12:42 Uhr Patricia hat frei. Es war ein guter Tag. „Zuerst mache ich mir jetzt selbst auch Mittagessen, dann gehe ich vielleicht noch reiten.“ 11:39 Uhr Für das Mittagessen richtet Patricia die Medikamente für die gesamte Station in Plastikbechern an. „Im ersten Lehrjahr hat man sechs Tage Zeit, um sich auf einer neuen Station einzuarbeiten, im dritten nur noch einen Tag.“

11:41 Uhr David deckt die Tische.

12:47 Uhr Die Dienstübergabe an die Spätschicht beginnt. David muss noch in die Protokolle eintragen, wie viel jeder gegessen hat. Aber kurz nach 13 Uhr ist Feierabend.

13:35 Uhr Zu Hause angekommen fällt David erschöpft ins Bett und schläft ein Stündchen.

13:50 Uhr Warum gerade ambulante Altenpflege? Corinna erklärt es auf dem Rückweg: „Hier kann ich Menschen dabei helfen, zuhause zu leben, solange es geht. Manchen Menschen geht es wie Blumen: Werden sie verpflanzt, welken sie dahin.“


14:15 Uhr Corinnas Schicht ist zu Ende. Sie stellt das Auto vorm Büro ab und verabschiedet sich von den anderen. Mit ihrem eigenen Auto fährt sie nach Hause. „Ich mag Frühdienst am liebsten. Da hat man den Nachmittag frei und kann noch so viel unternehmen.“

14:15 Uhr An der Pflegezentrale des Ahorn-Wohnbereichs im Seniorenhaus „Zur Buche“ startet Nicoles Schicht. Den Vormittag hat sie genutzt, um auszuschlafen. Ihre Kollegin Melanie telefoniert gerade, also greift Nicole an ihr vorbei nach ein paar Schnellheftern mit Protokollen.

15:30 Uhr Alle sind mit dem Essen fertig, ein paar heben die Hand. „Jetzt geht es zum Toilettentraining“, erklärt Nicole. Mit Toilettentraining meint sie den Gang zur Toilette, der für manchen zum Kraftakt werden kann. Die Übung hilft dabei, so lange wie möglich kontinent zu bleiben. Danach stehen Zeitung lesen und Diskutieren auf dem Plan.

16:14 Uhr Nachdem David ein wenig am Rechner gezockt und gechattet hat, sitzt er mit seiner Familie am Kaffeetisch. 18:32 Uhr Die Abendpflege beginnt. „Wir bringen die Leute auf ihr Zimmer und machen sie bettfertig“, erklärt Nicole. Vorsichtig zieht sie Frau M. die Bluse aus und hilft ihr mit geübten Handgriffen ins Nachthemd. Frau M. ist nun fertig, und Nicole deckt sie zu. „Ist so alles in Ordnung?“ – „Jaja, Sie machen das gut!“ – „Ihre Zähne liegen im Bad, Frau M.!“

16:22 Uhr Pause für Nicole. „Der Beruf macht dich reifer“, erzählt sie. „Ich hab‘ schon in meinem Schulpraktikum festgestellt, dass Altenpflege mein Traumberuf ist. Es macht mir einfach Spaß, mit alten Menschen zu arbeiten und sie glücklich zu sehen.“

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14:48 Uhr Nicole schiebt einen Wagen vor sich her, der mit Kaffee und Tee, ein paar Tellern mit Kuchen und Geschirr beladen ist. „Manche wollen ihre Ruhe haben und essen lieber auf dem Zimmer“. Danach verteilt sie auch im Speisesaal Kuchen.

15:50 Uhr Dass Nicole gerade diesen Beruf lernen will, wusste sie schon früh: „Ältere Leute fand ich schon immer sehr nett. Kein Wunder, schließlich habe ich tolle Großeltern. In der Schule habe ich dann mein Praktikum im Altenheim gemacht und dachte sofort: Das ist der richtige Job. Das klingt für andere sicher komisch, aber seit ich einer alten Frau damals das Essen gereicht habe und sie sich tierisch gefreut hat, will ich diese Ausbildung machen.“

16:42 Uhr Im Speisesaal ist Ruhe eingekehrt. Nicole sieht nach dem Rechten und spricht mit den Menschen, auch wenn sie nicht reagieren. „Menschen mit Demenz leben in ihrer eigenen Welt. Sie sollen sich wohlfühlen, deshalb lebe ich einfach mit in ihrer Welt. Wir haben auch eine Station, wo nur Demenz-Kranke wohnen. Als Auszubildende darf man dort erst im dritten Lehrjahr und mit 18 Jahren arbeiten, weil das eine große Verantwortung ist. Das gilt auch für den Nachtdienst.“

17:22 Uhr Die Angehörige einer Dame in Rot ruft nach einer Altenpflegerin: „Sie hört nix mehr, gar nix mehr!“ Die Frau im roten Pullover wiederholt: „Ich hör nix mehr!“ Nicole ruft mit ihrem Diensthandy in der Pflegezentrale „Birke“ an. „Ich bring euch ‘rüber“, erklärt Nicole der Dame im Rollstuhl. „Ja, ja“, anwortet sie. Als Nicole zurückkommt, lacht sie: „Sie hört nix mehr, aber wenn ich sie etwas frage, antwortet sie.“

17:30 Uhr „Jetzt hat mir jemand mein Brötchen weg gegessen!“ Nicole muss wohl mit knurrendem Magen Abendessen verteilen.

17:55 Uhr Die Essensausgabe ist im vollen Gang. Nicole setzt sich zu einer Frau und gibt ihr behutsam Löffel für Löffel etwas Suppe.

18:36 Uhr David rennt beim wöchentlichen Fußballtraining über den Platz. „Für mich ist das ein super Ausgleich zum AzubiDasein.“


Patricia

David

Corinna

19:00 Uhr Beim Zubettgehen bleibt genug Zeit für ein wenig Plauderei mit Nicole. „Ich unterhalte mich immer mit den Leuten, während ich sie umziehe. Dann ist es ihnen nicht so unangenehm. Ich frage sie zum Beispiel, wie ihr Tag war und ob das Essen geschmeckt hat.“

19:43 Uhr Auf Nicoles Station liegen jetzt alle in ihrem Bett, schlafen oder schauen fern. „Ich werde hier in der Pflegezentrale bleiben. Wenn jemand klingelt, bin ich da.“

Sophia

Nicole

21:00 Uhr Schichtübergabe für Sophia. Sie erfährt: Wer hat Probleme? Ist jemand im Krankenhaus? Welche Medikamente müssen verabreicht werden? 21:00 Uhr Nicole wird von ihrer Kollegin abgelöst. Es war ein langer Tag, Nicole ist müde: „Ich bin froh, wenn ich in meinem Bett liege.“

21:10 Uhr Damit David am nächsten Morgen zur Frühschicht wieder fit ist, geht er zeitig ins Bett. „Schließlich klingelt der Wecker mitten in der Nacht.“ Genauer gesagt: um 4.30 Uhr.

20:47 Uhr Auf ihre Nachtschicht im Hamburger „Alsterdomizil“ ist Sophia gut vorbereitet: „Ich habe 14 Stunden vorgeschlafen“, erzählt sie. In der Hand hält sie einen Energy-Drink.

Uhr

GEPFLEGTES WISSEN Achtung, Zahlen! Was machen Altenpfleger/-innen? Was Altenpfleger/-innen tun, sagt der Name – denkt man. Dabei umfasst der Beruf viel mehr: Altenpflege ist ein Gesundheitsfachberuf. Er ist vielseitig und zukunftsorientiert. Altenpfleger/-innen betreuen und beraten ältere Menschen, begleiten sie im Alltag. Sie sorgen dafür, dass die Senioren möglichst lange selbständig bleiben oder nach einer Krankheit wieder selbständig werden. Wie intensiv die tatsächliche Pflege ist, hängt von demjenigen ab, der gepflegt wird – in Alten- und Pflegeheimen, in Krankenhäusern, beim Betreuten Wohnen, in Tages- oder Kurzzeitpflegeeinrichtungen oder Zuhause. Altenpfleger/-innen unterstützen alte Menschen zum Beispiel beim Waschen, Essen, Anziehen und Bewegen. Sie gehen mit ihnen zum Arzt, organisieren und gestalten Freizeitangebote. Angehörige werden als wichtige Bezugspersonen stets in die Pflege miteinbezogen und ebenfalls beraten. Mit Menschen muss man also schon können! Außerdem sind psychologische, medizinische und therapeutische Fähigkeiten gefragt: bei Bewegungsübungen, bei der Kommunikation mit geistig verwirrten Menschen, beim Wechseln von Verbänden oder Zusammenstellen von Medikamenten. Auch am Schreibtisch gibt es etwas zu tun: Altenpfleger/-innen dokumentieren ihre Arbeit, schreiben Biografien, Pflegeplanungen und -berichte. Das geschieht mittlerweile mit speziellen Computerprogrammen.

133.927 Altenpflegerinnen und Altenpfleger arbeiteten 2007 in Pflegeheimen, 8 Jahre vorher waren es nur 83.705. Und der Bedarf wächst. 44.975 Altenpflegefachkräfte arbeiteten 2007 im

ambulanten Pflegedienst. Da hat sich die Zahl innerhalb von 8 Jahren mehr als verdoppelt. Man muss nicht lange nachdenken, um darauf zu kommen, dass der Beruf der Altenpflege

Zukunft hat.

Wir werden immer älter und mit steigendem Alter nimmt auch die Wahrscheinlichkeit zu, pflegebedürftig zu werden. Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt nach Prognosen des Statistischen Bundesamtes bis 2020 um

37 Prozent. Heute sind es bereits

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über Millionen Menschen. Und wir wollen doch alle in Würde alt werden. Die dazugehörige Pflege und Betreuung soll individuell und professionell sein.

gut qualifiziertes

Dazu brauchen wir ausreichendes und Pflegepersonal und junge Menschen, die diesen Beruf mit Zukunft ergreifen.


21:35 Uhr Auf dem Flur vor dem Dienstzimmer wartet eine Dame im Rollstuhl und macht ein trauriges Gesicht. „Ich kann nicht schlafen damit”, krächzt sie herzzerreißend und deutet auf den Bauchgurt, den der Arzt verordnet hat. Sophia bleibt gelassen: „Drehen Sie noch ‘ne Runde. Dann bringe ich Sie ins Bett und nehme Ihnen den Gurt schnell ab.” Die alte Dame guckt versöhnt und dreht langsam an den Rädern ihres Rollstuhls.

21:53 Uhr Sophia beginnt mit dem ersten Kontrollgang. Drei davon gibt es jede Nacht. Sophia muss durch alle 45 Zimmer ihrer Station.

22:28 Uhr Kurze Pause mit Sophias Kollegen Irfan. Er macht ausschließlich Nachtschichten und erzählt: „Es ist schön, eine Woche zu arbeiten und dann eine Woche frei zu haben. Das ist so üblich nach der Nachtschicht.”

22:45 Uhr Sophia setzt den Kontrollgang fort. „Frau W. hat keinen Tag-NachtRhythmus mehr, sie braucht starke Schlaftabletten und Spritzen.” Tatsächlich sitzt Frau W. hellwach vor dem Fernseher. Als sie Sophia erblickt, fragt sie nach einer Schmerztablette. „Haben Sie denn Schmerzen?” – „Nein, mir ist gerade danach”, antwortet die alte Frau. „Dann klingeln Sie bitte, wenn die Schmerzen schlimmer werden.“

23:52 Uhr „Jetzt muss ich alles, was ich gemacht habe, protokollieren”, sagt Sophia und deutet auf einen riesigen Aktenschrank. 1:13 Uhr Der zweite Kontrollgang steht an. Für alle Fälle hat Sophia ein Tablett mit Obst, einem „Powerdrink” und Joghurt dabei. Ruhig ist es in dieser Nacht, fast alle Bewohner schlafen und die, die wach sind, sind mit einer Mahlzeit von Sophias Tablett zufrieden.

Uhr

Und wie gehts weiter? Wie wird man das? Die Ausbildung dauert drei Jahre, kann aber unter bestimmten Voraussetzungen verkürzt werden. Sie besteht meist aus mehrwöchigen Theorie- und Praxisblöcken in Berufsfachschule und Ausbildungsbetrieb. Voraussetzung ist der Realschulabschluss. Wer in die Altenpflege will, muss gerne mit Menschen arbeiten und teamfähig sein. Neben Energie braucht man vor allem Einfühlungsvermögen, starke Nerven und Geduld. Außerdem sollte man gut zuhören können. Neugierig geworden? Der erste Ansprechpartner für eine Ausbildung ist die Altenpflegeschule. Wer eine Pflegeeinrichtung kennt und dort anfangen möchte, kann auch vor Ort nachfragen.

Fort- und Weiterbildung wird immer wichtiger und eröffnet neue Karrierechancen: fachliche Themen sind zum Beispiel Pflegeplanung, Konfliktmanagement oder Hospizarbeit. Mit Weiterbildung kann man später z. B. als Einrichtungsleitung ein Pflegeheim oder einen ambulanten Dienst leiten. Nach der Ausbildung kann man auch studieren, etwa Pflegemanagement, -pädagogik oder -wissenschaft. Zahlreiche Hochschulen bieten außerdem Studiengänge in Kombination mit der praktischen Pflegeausbildung an. Wer gerne mit vielen Menschen arbeitet, kann auch in die Pflegeberatung gehen oder sich sogar selbstständig machen und einen ambulanten Pflegedienst oder Seniorenbetreuungsdienst eröffnen.

Wo gibts Videos, Fotos und Infos?

www.bmfsfj.de bietet mehrere Broschüren zur Altenpflegeausbildung

und die Info-Mappe „Altenpflege – Komm ins Team!“, sie informieren umfassend über Zugangsvoraussetzungen, Ausbildungsinhalte und Perspektiven im Beruf. Als PDF oder kostenlos bestellen. Auf direktem Weg findet ihr all das hier: www.bmfsfj.de/BMFSFJ/aeltere-menschen,did=128876.html

www.beroobi.de/berufe/altenpfleger

– begleitet Altenpfleger Tim durch den Tag, die interaktive, mit dem Grimme-Online-AwardPreis ausgezeichnete Internetseite, stellt den Beruf in Video, Bild und Ton dar.

www.planet-beruf.de, Suche: Altenpfleger – zeigt unter anderem den Tagesablauf von Altenpflegern und bietet Steckbriefe zum Runterladen.

Sind Pflegeberufe weiblich? 85 Prozent der Beschäftigten in Pflegediensten und -heimen sind weiblich. Und so kann man schnell auf die Idee kommen, dass die Altenpflege nix für Jungs ist. Doch da ändert sich die Sichtweise. Der Anteil der Männer wächst, Berufsstereotype werden abgebaut. Immer mehr Pflegeeinrichtungen werben um Jungs, es gibt Internetseiten für Männer in traditionellen Frauenberufen. Damit junge Männer das Berufsfeld erkunden können, gibt es am 14. April 2011 den ersten Berufskennenlerntag Boys‘ Day.

Alle Infos unter www.boys-day.de

www.berufenet.arbeitsagentur.de

– ist die Internetseite der Bundesagentur für Arbeit, unter „Altenpfleger“ findet ihr alle handfesten Infos, auch zu Aus- und Weiterbildung.

www.berufe.tv, Stichwort: Filmübersicht – zeigt im Video-Portrait Altenpflegerin Lydia, jetzt auch fürs Handy.

www.neue-wege-fuer-jungs.de

– hat eine Datenbank von Veranstaltungen, Ansprechpartnern und Praktika in Berufen, die Jungs vielleicht nicht als erstes auf dem Zettel haben, also auch Altenpfleger. Die Seite ist das Gegenstück zu www.girls-day.de.


PFLEGESTUFEN Für Altenpflegerinnen und Altenpfleger gibt es viele Chancen zum Aufstieg: Sie können Fachkräfte etwa für Wundmanagement oder Hygiene werden oder Pflegemanagement, -wissenschaft oder -pädagogik studieren. Hier sind zwei Karrierebeispiele:

Martin Bollinger, 29, gelernter Altenpfleger aus Lahnstein bei Koblenz, macht sich gerade mit dem „Alltagshaus“ selbständig. Dort will er Patienten mit Demenz tagsüber betreuen. Zuvor hat er eine Fachausbildung in Gerontopsychologie gemacht. Die beschäftigt sich mit den Veränderungen des menschlichen Verhaltens während des Alterns.

Tina Bickel, 28, aus Offenbach/Main hat Pflege- und Gesundheitswissenschaften studiert und eine Ausbildung zur Altenpflegerin gemacht. Bisher hat sie Pflegeeinrichtungen beraten. In Zukunft möchte sie Pflegekräfte ohne Ausbildung unterstützen, eine Altenpflegeausbildung zu machen, damit genug Personal für die Pflege älterer Menschen da ist.

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2:45 Uhr Sophia setzt sich mit einem Becher Tee auf eine Couch. Wie geht sie eigentlich damit um, wenn ein Bewohner stirbt? „Ganz wichtig ist für mich, dass ich mich verabschieden kann. Meistens stelle ich mich ein paar Minuten ans Bett, und dabei geht mir durch den Kopf, was ich mit dem Menschen alles erlebt habe.“

3:30 Uhr Letzter Kontrollgang. Wieder verläuft alles nach Plan: Sophia bettet die Pflegebedürftigen, die sich nicht alleine bewegen können und legt ein paar Infusionen. Sie schließt Sonden für die Patienten an, die ihre Nahrung nicht mehr mit dem Mund zu sich nehmen können.

Impressum Im Auftrag vom

4:59 Uhr Gegen Ende der Schicht die wichtigste Frage: Warum hat sich Sophia entschieden, Altenpflegerin zu werden? „Ich will es besser machen – ich will die Welt verändern! Außerdem gebe ich gerne viel, weil ich weiß, dass ich dann auch etwas zurückbekomme.”

Herausgeber: SPIESSER – die Jugendzeitschrift Projektleitung: Anja Neufert Redaktion: Christoph Brammertz, Jörg Flachowsky, Eva Weber Autoren: Sabrina Gebauer, Ruben Karschnick, Yasmin Mergen, Stefanie Rödiger, Inga Schörmann, Anne Wirth Fotografen: Frank Dünzl, Mario Gentzel, Julia Kroh, Marius von Wenzlawowicz, Maren Wohlers Art Director: Maik Wankmüller


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